Editorial
Es gibt zahllose städtische Bauaufgaben, denen auf den ersten Blick wahrlich kein Zauber innewohnt. Und so wundert es auch fast niemanden, dass rein technische Zweckbauten - Trafohäuschen, Kläranlagen, Kraftwerke - zumeist ganz ohne gestalterische Zuwendung auskommen müssen. Die genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass das kommunale Bauwesen auch jenseits von glasspiegelnden Schulgebäuden oder pompösen Rathäusern ein weites Betätigungsfeld für Bauämter und Planer eröffnet. Es geht dabei nicht allein um optimierte Funktionalität und angenehme Arbeitsräume für die städtischen Bediensteten. Mit durchdachten Gestaltungskonzepten lässt sich auch an weniger attraktiv erscheinenden Stellen und bei vordergründig anspruchslosen Bauaufgaben öffentlicher Raum gewinnen.
Wir zeigen Beispiele von Orten, wo Räume oder landschaftliche Reize durch Bauten der technischen Infrastruktur nicht zerstört, sondern aufgewertet, wenn nicht gar erst erschlossen werden. ge
Technik
Sparen, sparen, sparen … Das war, reduziert betrachtet, Diskussionspunkt im wochen-, teilweise sogar monatelangen Streik der Öffentlichen Dienste, der die Mülleimer vieler Städte überlaufen ließ und die Stadt Stuttgart beispielsweise mit Bergen aus blauen, immerhin sorgsam gestapelten Mülltüten schmückte. Gingen die Streiks zwar hauptsächlich gegen das Sparen an Arbeitszeit und Gehalt der Arbeitnehmer, also wirtschaftspolitisch geplante Maßnahmen der Arbeitgeber, scheint für diese an anderen Stellen zu sparen entweder nicht lukrativ genug oder erst gar nicht erwogen? Die Stadtreinigung Hamburg geht, vereinfacht gesehen, einen anderen beziehungsweise zusätzlichen Weg: Sie spart simpel an ihren Wasserkosten. Ob die Fördermittel der Hansehauptstadt mit ein Grund sind oder man nur vorbildlich sein will? Oder ist es vor allem die Wasserpolitik Hamburgs, das als Stadtstaat schwieriger an Frischwasser kommt als die angrenzenden Länder? Beides wird wohl dazu geführt haben, dass man beim neuen Betriebsplatz der Stadtreinigung an eine Grauwasserrecyclinganlage dachte und die Reinigungsautos nun nicht mehr mit teurem Trinkwasser, Regen- oder Brunnenwasser die Stadt säubern, sondern mit Betriebswasser - wiederaufbereitetem „Grauwasser“, wie es in großen Mengen täglich unter anderem im Duschbereich der Mitarbeiter anfällt. Das fördert das Umweltbewusstsein - und schont den Geldbeutel. cf
Inhalt
03 Kommentar | Frank Roost
08 Kaleidoskop
16 Neu in ...
... Darmstadt, Kemnat, Ludwigsburg
18 Ausstellungen
Architekturskizzen in Hannover | Peter Struck
Der unbekannte Loos in Wien | Elisabeth Plessen
Nationalsozialismus in München | Ira Mazzoni
20 Bücher
Aktuell
22 Immobilienmesse MIPIM in Cannes | Gudrun Escher
24 Bild und Raum: Zum 100. Geburtstag von Anton Stankowski | Jörg Stürzebecher
26 Berlin – Moskau: Parallelitäten und Gegensätze in der Stadtplanung | Bernd Hettlage
28 Studenten-Werk
Messestand aus Acrylglas | Jens Mielke
Städtische Dienste
30 Zu diesem Heft/ge
31 Zum Thema:
Was die Stadt am Leben hält | Barbara Feller
32 Wasserkraftwerk Hochwuhr in Feldkirch, Artec Architekten | Manuela Hötzl
37 Feuer- und Rettungswache in Gelsenkirchen, Böge Lindner Architekten | Gudrun Escher
46 U-Bahnstation in Bochum, Rübsamen + Partner | Klaus Englert
54 Parkscheune in Burkardroth, Hartmut Holl | Achim Geissinger
59 Fernheizwerk in Sexten, Siegfried Delueg | Bettina Schlorhaufer
64 ... in die Jahre gekommen
Kraftwerk Birsfelden | Axel Simon
Technik
70 Zu den Themen/cf
71 Grauwasserrecycling | Erwin Nolde
76 Schwachstellen
Ausführungsplanung als »vorsätzliche Änderung« der Entwurfsplanung | Rainer Oswald
84 EDV
Software unter der Lupe: Architext Pallas on demand | Jürgen Roth
87 Produkte
Fenster, Solartechnik
100 Schaufenster:
Fassadenbekleidungen
Rolf Mauer
102 Beteiligte Firmen; Bildnachweis
103 Autoren
104 Kalender
105 Vorschau; Impressum
Volltreffer
107 Gottlieb-Daimler-Stadion Stuttgart | Elisabeth Plessen, Christoph Randl
Holzheizung
Wo der ländliche Raum mit Naturschönheit wuchern kann, gilt es, technische Bauten besonders behutsam in den örtlichen Kontext einzufügen. Die beiden unprätentiös gestalteten Baukörper des zwischen Waldhang und Bach gelegenen Sextener Fernheizwerks erlauben sich mit ihren frei geformten Hüllen einen selbstständigen Ausdruck.
Unter Architekten ist der kleine Südtiroler Ort Sexten im Hochpustertal als Standort des Hotels „Drei Zinnen“ von Clemens Holzmeister oder für den internationalen Preis für „Neues Bauen in den Alpen“ bekannt, der im Abstand von einigen Jahren von der „Vereinigung Sexten Kultur“ ausgeschrieben wird. Im Herbst 2006 wird die Auszeichnung zum vierten Mal verliehen, was neuerlich zahlreiche Architekten und Architekturinteressierte in die entlegene Alpenregion locken dürfte. Die meisten von ihnen wohnen dann „standesgemäß“ im 1926 erbauten Hotel Drei Zinnen, das seinen urig-gemütlichen Charakter der klassischen Moderne (Süd)Tiroler Ausprägung bewahrt hat.
Einst und jetzt sorgte der Tourismus in den Berggebieten mit ihren besonderen klimatischen Rahmenbedingungen dafür, dass sich ein reges lokales Wirtschaftstreiben entwickeln und halten konnte, ohne die Alpendörfer zu „Museen für Berglandwirtschaft“ erstarren zu lassen. Die erforderliche Anpassung an die Bedürfnisse des Fremdenverkehrs hat jedoch nicht nur in Sexten unübersehbare Spuren hinterlassen. In architektonischer und städtebaulicher Hinsicht sind es in erster Linie die relativ großen Hotelkomplexe, die aufgrund ihrer unverhältnismäßigen Proportionen negativ auffallen. Neben den Beherbergungsbetrieben hat sich hier aber auch eine kleine Zulieferindustrie etabliert, die ebenfalls ihren Tribut fordert. Zwar gelang es in Sexten gerade noch rechtzeitig, diese Gewerbebauten außerhalb des Dorfes quasi in einer eigenen Zone anzusiedeln. Dennoch treten auch hier zwei der schwerwiegendsten Probleme auf, die den ländlich-alpinen Städtebau heute beherrschen: die Größe der Bauten für Gewerbe und Dienstleistung in der Nähe oder gar innerhalb der historisch gewachsenen Dorflandschaften und die Bewältigung der mit der Entwicklung der Freizeitindustrie und ihrer Zulieferfirmen entstandenen Anforderungen bezüglich Energieversorgung, Entsorgung, … Denn die für die Ver- und Entsorgung tourismusintensiver Gemeinden notwendigen Einrichtungen müssen um ein Vielfaches größer angelegt werden als die für jene Orte mit konstanter Einwohnerzahl. Das heißt, dass die Dimensionen eines Klärwerks oder eines Fernheizwerks in einer Tourismusgemeinde immer auch mit der Anzahl ihrer temporären Bewohner Schritt halten können müssen. In diesem Zusammenhang erscheint es auch paradox, dass die Regionen und Kommunen, die sich dem Thema Tourismus verschrieben haben, erst vor kurzer Zeit erkannten, dass die Landschaft das ganze Kapital dieses Wirtschaftszweiges darstellt und somit erhalten werden muss. Neben Maßnahmen gegen die mehr oder weniger sichtbaren Anteile der Umweltverschmutzung gehört dazu auch ein „optischer Umweltschutz“.
Dieser ist gerade in den Berggebieten von besonderer Bedeutung, wo viele Bauwerke eine enorme Fernwirkung haben. Der Blick von der Bergstation einer Seilbahn aus muss freilich unbeeinträchtigt sein und den Erwartungen der Gäste entsprechen.
Von dieser Warte aus gesehen, lohnt sich noch einmal ein Blick nach Sexten. In der kleinen Südtiroler Gemeinde wurde es nämlich aufgrund der langjährigen Aufbauarbeit in Sachen Architektur möglich, für den Bau eines Fernheizwerkes einen geladenen, internationalen Architekturwettbewerb auszuschreiben. Die Konkurrenz sollte gewährleisten, dass der Bau - er sollte in der bereits angesprochenen Gewerbezone entstehen - schonend in die Landschaft gefügt würde. Mit dem ersten Preis wurde das Projekt des in Brixen ansässigen Architekten Siegfried Delueg ausgezeichnet, das seit seiner Fertigstellung schon viel Beachtung gefunden hat.
Fährt man auf Sexten zu, passiert es leicht, dass man zwar die am Ortseingang liegende Gewerbezone wahrnimmt, nicht aber das in ihrem Hintergrund an der Waldgrenze errichtete Fernheizwerk. Es befindet sich auf einer ebenen Wiese zwischen dem so genannten Sextnerbach und einem Waldhang und umfasst zwei relativ große Baukörper, die im schrägen Winkel so zueinander gesetzt wurden, dass sie sich aufgrund der Art ihrer Platzierung und der Weise, wie die Bauaufgabe architektonisch gelöst wurde, mit ihrer Umgebung zu verbinden scheinen. Der an das Bachbett grenzende Bauteil beinhaltet das Heizhaus, der zweite das Hackgutlager. Der asphaltierte Platz dazwischen dient als Verkehrsfläche für die Bagger und als Lagerfläche für weiteres Hackgut.
Im Hackgutlager sind eine Garage und an einer Seite offene Lagerflächen untergebracht, im Heizhaus neben den Büros und den technischen Anlagen eine weitere überdachte Lagerzone. Das Heizhaus ist von jeder Seite befahrbar, die großen Aschecontainer werden über eine an der Seite des Baches angelegten Rampe, die in ein außen liegendes Untergeschoss führt, an- und abtransportiert.
Dach- und Wandtragwerke des Heizhauses bestehen aus verschweißten Stahlrahmenträgern, die in biegesteifer Verbindung ausgeführt wurden. Die Feldbreiten variieren, was in den jeweils unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Funktionszonen (Büro, Heizhaus, Lagerhalle) begründet liegt. Die Außenhüllen des Gebäudes (Dach und oberirdische Außenwände) bestehen aus großformatigen Brettschichtholz-Platten, die zugleich als tragender Raumabschluss, Aussteifung und Wärmedämmung fungieren. Nur der Bürotrakt musste mit einer zusätzlichen Innendämmung ausgestattet werden. Über der diffussionsoffenen, wind- und wasserdichten Haut der Wände und Decken der Gebäude wurden Lärchenholzlatten verlegt, die auch die Fenster und Lüftungsöffnungen verdecken - in diesen Bereichen wurde nur jede zweite Latte über die Öffnungen geführt. Aber nicht allein der senkrechte Verlauf der Lärchenholzlatten und die Geschlossenheit der Fassaden bestimmen das optische Erscheinungsbild des Fernheizwerkes. Es sind vor allem die geneigten Wand- und Dachflächen, die dafür sorgen, dass sich die Gebäudegruppe harmonisch in ihre Umgebung einfügt - denn der perspektivische Kunstgriff (der übrigens ohne Auswirkung auf die technischen Einrichtungen im Innenraum bleibt) bewirkt, dass die großen Baukörper optisch verkürzt erscheinen. In Verbindung mit ihrer Anordnung und ihrem Fassadenbild ist die Neigung ihrer Außenflächen ausschlaggebend dafür, dass dieses Fernheizwerk als gestalterisches und städtebauliches Vorzeigemodell dient.
Im Herbst 2006 wird es das erste Gebäude aus der Region Sexten sein, das beim internationalen Preis für „Neues Bauen in den Alpen“ ausgezeichnet wird. Die langjährige Aufbauarbeit der „Vereinigung Sexten Kultur“ im Hintergrund dieses Architekturpreises scheint sich also gelohnt zu haben.
Kennwerte
Das Fernheizwerk wird ausschließlich mit Brennstoffen aus der Region betrieben. Die benötigte Menge beträgt 35000 Schüttraummeter pro Jahr (SRM/a). Das Rohrnetz umfasst 36 km und wurde thermische vorgespannt, was bedeutet, dass die Rohre nach der Verlegung erwärmt wurden, damit ihre Form in befülltem Zustand stabil bleibt. Die Nenndurchmesser reichen von DN 250 bis DN 25. Die Pumpen müssen neben dem Rohrleitungsverlust eine hydrostatische Höhe von 105 Metern bewältigen, wobei die Hauptleitungen vorwiegend unter den öffentlichen Straßen verlaufen. Das gesamte Leitungsnetz wird durch ein elektronisches Überwachungssystem laufend kontrolliert. Während des Baus der Hauptleitungen wurden auch neue Trinkwasserleitungen verlegt.
Im Endausbau können insgesamt 400 Kunden versorgt werden.db, Fr., 2006.04.28
28. April 2006 Bettina Schlorhaufer
verknüpfte Bauwerke
Fernheizwerk Sexten