Editorial
Es gilt, unser bauliches Erbe aus vielerlei Gründen zu bewahren und ihm Respekt zu zollen: baugeschichtliche Bedeutung, emotionale Bindung, landschaftlicher Bezug oder schlichtweg die Weiternutzung der bereits vorhandenen grauen Energie und Infrastruktur. Planer stehen vor der Aufgabe, diese Potenziale mit den veränderten Anforderungen an Energieeinsparung, Brandschutz, Komfort und technische Ausstattung zu vereinbaren. In vielen Fällen ist der gebauten Hülle gar der Zweck ihrer Existenz gänzlich abhandengekommen und es müssen neue Nutzungskonzepte entwickelt werden, um den Erhalt zu sichern. Dabei sind Eingriffe in die Substanz stets unvermeidlich. Die vorgestellten Projekte veranschaulichen exemplarisch, dass nicht das Ausmaß des Eingriffs über die Authentizität des Ergebnisses entscheidet, sondern ein sehr individuelles Abwägen zwischen dem Respekt vor dem Existierenden und einer tragfähigen Perspektive. So wurde z. B. beim Umbau zweier Läden eines gründerzeitlichen Hauses in Wien zur Galerie auch Wert darauf gelegt, vorangegangene Eingriffe am Gebäude lesbar zu belassen: Ein verbliebener Rest Mosaikfliesen aus den 60er Jahren zwischen neuer und historisierender Fassade legt Zeugnis davon ab. | Martin Höchst
Kühner Einschnitt
(SUBTITLE) Stadtbücherei und Dienstleistungsgebäude in Mössingen
Bei der Revitalisierung der einst für die Textildruckerei Pausa in Mössingen errichteten Tonnenhalle ist es in vorbildlicher Weise gelungen, Denkmalschutz, zeitgemäße Architektur und heutige Nutzungsansprüche unter einen Hut zu bekommen.
Um Mössingen zu kennen, muss man schon recht vertraut mit der schwäbischen Provinz sein– oder aber etwas von Textildesign verstehen. Denn dann weiß man, dass in dieser 15 km südlich von Tübingen, recht malerisch am Fuß der Schwäbischen Alb gelegenen Kleinstadt lange Zeit eine der feinsten Adressen der deutschen Textilindustrie ihren Sitz hatte: die Pausa AG. Internationale Bedeutung erreichte das vorwiegend im Bereich des Textildrucks tätige Unternehmen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – einerseits durch seine drucktechnischen Innovationen, andererseits durch seine Zusammenarbeit mit wichtigen zeitgenössischen Künstlern und Designern. Auch in der Firmenarchitektur spiegelte sich das anspruchsvolle gestalterische Selbstverständnis des Unternehmens wider. Zwischen 1950 und 1962 entwarf und realisierte der in Stuttgart ansässige Architekt Manfred Lehmbruck – ein Sohn des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck und einer der bedeutendsten Vertreter der Nachkriegsmoderne im deutschen Südwesten – für die Pausa AG einen aus zwei Fabrikationshallen, Kesselhaus, Werkstätten und Verwaltungsbau bestehenden Firmensitz. Dieses modernistische Gebäudeensemble, das einen herausragenden Beitrag zur Industriearchitektur der 50er Jahre darstellt, hat sich bis heute weitgehend unverändert erhalten.
Nach der Insolvenz der Pausa AG im Jahr 2004 und der wenig später erfolgten Unterschutzstellung der Firmenbauten durch die Denkmalbehörde erwarb die Stadt Mössingen das Areal. Über die künftige Nutzung des Pausa-Quartiers, das zwischenzeitlich in ein Fachmarkt-Zentrum umgewandelt zu werden drohte, entspann sich bald eine intensive Diskussion. Beraten von dem auf städtebauliche Problemlagen und Konversionsflächen spezialisierten Büro Baldauf Architekten aus Stuttgart entschloss man sich schließlich, die Revitalisierung des Areals schrittweise anzugehen und mit der sogenannten Tonnenhalle zu beginnen. Verschiedene Nutzungsszenarien wurden durchgespielt, bevor ein wirtschaftlich tragfähiges und dem kulturellen Stellenwert des Gebäudes adäquates Konzept entstand. Neue Hauptnutzerin des Industriebaus sollte die Stadtbücherei werden; Büroflächen für die Diakonie-/Sozialstation sowie den Regionalverband Neckar-Alb kamen hinzu. Eine großzügig bemessene Gewerbefläche komplettierte den Nutzungsmix, der die Planungsgrundlage für die Umbau- und Sanierungsmaßnahmen bildete. Nach einem Entwurf von Baldauf Architekten begannen 2008 die umfangreichen, rund 11 Mio. Euro teuren Bauarbeiten. Im Februar diesen Jahres konnte das Gebäude seinen neuen Nutzern übergeben werden.
Deckenschnitt als Problemlösung
Die 1950/51 errichtete Tonnenhalle war der erste Bau, den Manfred Lehmbruck für die Pausa realisierte. Seinen Namen verdankt das knapp 80 m lange und fast 30 m breite, zwei Stockwerke umfassende Fabrikationsgebäude seiner markanten Dachkonstruktion, die aus neun in Beton gegossenen Tonnenschalen besteht. Die von nur einer mittig angeordneten Stützenreihe durchzogene Halle nimmt das gesamte obere Stockwerk des Gebäudes ein. In diesem, dank großzügiger Oberlichter und seitlichen Fensterbändern lichtdurchfluteten Raum, standen einst dicht gedrängt die bis zu 65 m langen Drucktische, die das Herzstück der Pausa-Produktion ausmachten. Im EG befanden sich die Farbküche und einige Atelierräumlichkeiten. Der Rest der Fläche wurde als Lagerraum für Farben, Drucksiebe und sonstige Materialien genutzt.
Während es für die Umnutzung der hellen, räumlich überaus reizvollen Tonnenhalle zahlreiche Optionen gab, bereitete das niedrige EG, den Planern einiges Kopfzerbrechen. Denn nur in den Randzonen kam durch die seitlichen Fensterbänder ausreichend Tageslicht ins Innere des Gebäudes.
Um dieses Kardinalproblem zu lösen, entwickelte das Projektteam von Baldauf Architekten die kühne Idee, die Decke des EG entlang der zentralen Stützenreihe über eine Länge von rund 50 m und eine Breite von etwa 6 m herauszuschneiden. Dieser gleichsam chirurgische Eingriff in den Baukörper – der als solcher im Gebäude selbst ablesbar bleibt – erweist sich als funktionaler und gestalterischer Glücksfall, der die Zukunftsfähigkeit des Gebäudes sichert, ohne dabei seinen Denkmalwert zu schmälern. Der Deckenschnitt bringt einerseits Tageslicht in die bisher düstere Kernzone des EG, das sich auf diese Weise vom dunklen Gelass zum großzügigen Foyer wandelt, andererseits ermöglichte er die Anlage einer rund 30 m langen Rampe zur Erschließung des OG, in dessen nördlicher Hälfte jetzt die Stadtbücherei eine neue Heimat gefunden hat. Der Südteil der ehemaligen Produktionshalle ist als Gewerbefläche ausgewiesen. Die neu eingezogenen gläsernen Wände, die diese beiden Bereiche voneinander trennen, sorgen dafür, dass die visuelle Einheit des Raums in seinen ursprünglichen Dimensionen erhalten bleibt.
Die Grundrissplanung für das EG fiel denkbar einfach und sachlich überzeugend aus. Die Büros für die Diakonie-/Sozialstation und den Regionalverband nehmen die gut belichteten Längsseiten des Gebäudes ein. Daneben bleibt Platz für einen Vortragsraum und für die original erhaltene, durch eine Glaswand geschützte alte Farbküche, die auf die industrielle Vorgeschichte der Tonnenhalle verweist. Die Funktionsräume und die sekundäre Erschließung wurden an die Schmalseiten des EG gerückt, dessen zentraler Bereich jetzt als großes Foyer dient. Dieser Raum hat – nicht zuletzt dank seiner gestalterischen Ausformulierung – einen durchaus repräsentativen Charakter und bietet sich auch für Veranstaltungen wie etwa Empfänge oder kleine Ausstellungen an. Das beherrschende architektonische Element ist hier die bis auf eine V-förmige Betonstütze freitragende Rampe mit ihrer markanten, rot gestrichenen Stahlbrüstung, die sich im OG als Geländer fortsetzt. Wer möchte, darf dieses schmale Stahlband als gestalterische Anspielung auf die langen Stoffbahnen lesen, die in der Tonnenhalle einst bedruckt wurden.
Während im Innern des Gebäudes der strukturelle Eingriff direkt thematisiert wird, zeigt sich die Halle an ihren beiden Breitseiten mit der charakteristisch geschwungenen Dachkante weitgehend unverändert in ihrer (wieder hergestellten) ursprünglichen Farbfassung (s. S. 25). Nur an den Stirnseiten, die nicht unter Schutz standen, wird die Umnutzung des Gebäudes auch äußerlich sichtbar. An der Westfassade fällt der bis zum Boden verglaste, aus dem Gebäudevolumen auskragenden »Leseerker« der Stadtbücherei ins Auge. Mit ihm korrespondiert an der Ostfassade das deutlich größere »Panoramafenster«. Durch seine riesige, zweigeteilte Glasscheibe erlaubt es einen Ausblick, der über den wenig attraktiven Parkplatz des direkt benachbarten Drogeriemarkts hinweg bis auf die Berge der Schwäbischen Alb reicht. Zugleich ermöglicht dieses dezidiert zeitgenössisch anmutende »Schau-Fenster«, vor allem bei Nacht, einen spannenden Einblick ins Innere des Gebäudes.
Starkes Konzept und fruchtbare Kooperation
Das Bauen im denkmalgeschützen Bestand gleicht einer Gratwanderung. Auf der einen Seite gibt es den Imperativ des Denkmalschutzes, die originale Substanz soweit irgend möglich zu erhalten und sichtbar zu machen, auf der anderen Seite gilt es den heute gültigen Vorschriften hinsichtlich Gebäudesicherheit bzw. Klimaschutz gerecht zu werden und die legitimen Bedürfnisse künftiger Nutzer zu berücksichtigen. Schließlich ist mit einem in der Regel beschränkten Budget zu planen. Angesichts dieser komplexen Gemengelage kann ein Projekt nur dann auf überzeugende Weise gelingen, wenn ein klares, in sich stringentes architektonisches Konzept vorliegt und alle an einem solchen Bau Beteiligten – die Bauherrschaft, der Denkmalschutz, die Genehmigungsbehörden, die Fachplaner und nicht zuletzt die ausführenden Handwerksbetriebe – mit Engagement und der Bereitschaft zu ungewöhnlichen Lösungen an einem Strang ziehen. All dies war in Mössingen beim Umbau der Tonnenhalle gegeben und ist am fertigen Gebäude anhand zahlloser Details ablesbar. Dabei war es für das stimmige Erscheinungsbild dieses Projekts sehr vorteilhaft, dass Michael Frank auch für die Innenarchitektur und Möblierung verantwortlich zeichnete. Nur so konnte es gelingen das Materialkonzept (Grundsatz: alte Bauteile mit einer rauen, belebten Struktur; alle neuen Elemente mit glatter, scharfkantiger Struktur), das Farbkonzept (vorherrschender Farbdreiklang aus Weiss, Schwarz und Silbergrau; Pausa-Blau für einige historische Details, Rot für die Rampenbrüstung) und das Lichtkonzept (Grundbeleuchtung jeweils durch »Lichtlinien«), die dem Gebäude heute sein Gepräge geben, wirkungsvoll umzusetzen.
Gebäudeenergetische Maßnahmen – etwa der Einbau von Thermoglasscheiben und eine effektive Dämmung der dünnwandigen Betonschalen des Daches – beeinträchtigen das Erscheinungsbild des Baudenkmals ebenso wenig wie die notwendige Installation einer leistungsstarken Entrauchungsanlage. Im Ergebnis präsentiert sich die Tonnenhalle jetzt als ein zeitgenössischer Bau mit industrieller Vergangenheit, in dem Alt und Neu in einem spannungsvollen, aber stets harmonischen Dialog stehen. Der erste Schritt zur Wiederbelebung des Pausa-Quartiers – und damit zur Erhaltung eines bedeutenden Zeugnisses der Industriekultur – ist auf vorbildliche Weise gelungen. Was mit den übrigen Pausa-Bauten geschieht, steht zurzeit noch nicht definitiv fest. Sollte es in Mössingen auf einem vergleichbaren konzeptionellen und gestalterischen Niveau weitergehen, wird alles gut.db, Mi., 2011.05.04
04. Mai 2011 Mathias Remmele
Zusammen ein Ganzes
(SUBTITLE) Oberösterreichische Landesbibliothek in Linz (A)
Dem Wunsch des Bauherrn nach einer »radikalen« Verbesserung der bisherigen Raumsituation durch Erweiterung und Neuorganisation der Landesbibliothek entsprachen die Architekten Martin Bez und Thorsten Kock mit einem räumlich und bibliothekarisch vielschichtigen Gebäudeensemble. Eine hermetische Magazinbibliothek verwandelte sich dadurch in einen offenen Ort des Wissens und der Kommunikation.
Mit Buchbeständen ehemaliger Klöster 1774 als »bibliotheca publica« gegründet, gilt die heutige oberösterreichische Landesbibliothek als älteste öffentliche Bibliothek Oberösterreichs. Sie beherbergt Büchersammlungen, die trotz ihrer seit jeher unstrittigen kulturgeschichtlichen Bedeutung zunächst viele Standortwechsel durchleiden mussten, bevor sie 1934 schließlich in das eigens errichtete Bibliotheksgebäude am Schillerplatz übersiedelten. Der Fortbestand der stetig erweiterten Sammlung war damit keineswegs gesichert: Nach 1945 fungierte der im Stil der Neuen Sachlichkeit von Julius Smolik geplante Bau erst als städtischer Verwaltungssitz, dann fiel der Auszug der Beamten 1971 ausgerechnet mit einer Phase klammer Haushalte, dem aufkommenden digitalen Zeitalter und der Frage nach dem Sinn öffentlicher Bibliotheken zusammen.
Eine Trendwende zeichnete sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts ab. Zum einen erfreuten sich Büchereien als unmittelbare und kommunikative Wissens-, Lern- und Arbeitsorte immer größerer Beliebtheit. Zum anderen wurden Sammlung und Gebäude 1999 durch das Land Oberösterreich übernommen, das dort eine »Universalbibliothek für die Zwecke der außeruniversitären Forschung in der Region« plante. Nachdem in der Folge nicht nur das Interesse, sondern auch die Ansprüche der Besucher stiegen, erwies sich der denkmalgeschützte Gebäudebestand räumlich und bibliothekarisch rasch als völlig unzeitgemäß. Einerseits gab es schlicht zu wenig Platz, andererseits war die alte Magazinbibliothek mit nur einem Lesesaal und einem kleinen Freihandbereich für ein öffentlich zugängliches Nutzerangebot völlig unzureichend.
Alt und Neu als Einheit
Ziel des 2005 von der Landesregierung ausgelobten Architektenwettbewerbs war nicht nur die Modernisierung und Erweiterung des im Laufe der Zeit vielleicht etwas verbastelten, sonst aber sanierungswürdigen Altbaus, sondern auch der »Aufbau von Informationskompetenz«, das Angebot neuer bibliothekarischer Dienstleistungen (Studienmöglichkeiten, Veranstaltungen, Ausstellungen), die »zeit- und technikgemäße sowie benutzerorientierte Präsentation der Bestände« und der Wunsch nach einer »radikalen Verbesserung der Raumsituation«. Vor allem in dieser Hinsicht entsprach der Beitrag der Stuttgarter Wettbewerbsgewinner Bez + Kock voll und ganz dem Anforderungsprofil. Anders als viele Mitbewerber rückten sie dies allerdings nicht plakativ in den Vordergrund, sondern verschmolzen Alt- und Neubau zu einer gleichberechtigten Einheit, die durch ihre kompakte Form durchaus energetische Vorteile bietet. Während der größtenteils mit vorgefertigten Wand- und Deckenelementen aus Beton errichtete Neubau Niedrigenergiestandard entspricht, blieb die energe-tische Sanierung des Altbaus aus Denkmalschutzgründen allerdings auf die Erneuerung von Fensterdichtungen und der Haustechnik beschränkt.
Insgesamt wurde das Bestandsgebäude respektvoll saniert, gleichzeitig aber auch ganz pragmatisch als bauliche Ressource zur Realisierung eines selbstbewusst zeitgenössischen und offenen Innenraumkonzepts betrachtet. Von außen ist von dieser Neuordnung kaum etwas zu erkennen: Fassaden und Kubatur des Altbaus entsprechen dem Originalzustand. Auch der einzig sichtbare neue Gebäudeteil, der siebengeschossige Turm, der an die Stelle eines abgerissenen Gebäudeteils an der Rainerstraße trat, hält sich mit seiner gleichmäßig rhythmisierten Lochfassade dezent im Hintergrund. Städtebaulich korrespondiert der Neubau, in dessen drei obersten Geschossen die Büros der Bibliotheksverwaltung untergebracht sind, ganz selbstverständlich mit weiteren »Türmen« am Schillerplatz – was der Bibliothek erstmals zu einer adäquaten Präsenz im Stadtraum verhilft. Für die gelungene Integration ins Gebäudeensemble sorgt schließlich die Fassade aus Muschelkalk, jenem Material, aus dem auch die Schmuckelemente der Eingangsfassade bestehen.
Offenes Atrium statt ungenutzter Hinterhof
Die Aura einer altehrwürdigen Institution, die bereits im Eingangsportal mit seinem erhabenen Schriftzug »Landesbibliothek« anklingt, setzt sich auch im Innern fort. Dort dominieren materialsichtige und handwerklich solide Oberflächen – dunkle Terrazzo- oder Eichenparkettböden, hell verputzte bzw. gestrichene Wand- und Deckenflächen, schwarze Sitzmöbel sowie eine von den Architekten konzipierte Einrichtung aus Eichenholz. Räumlich am prägnantesten ist zweifellos das glasgedeckte Atrium, das den bislang ungenutzten Hinterhof zum neuen Herzstück der Bibliothek macht. Um dieses, mit Infotheke, Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen gleichsam als Marktplatz fungierende Gelenk herum liegen offene Freihandbereiche, Gruppenarbeitsräume, Ausleihe, eine Leselounge mit Zeitschriften sowie zahlreiche, teils offene, teils zurückgezogene Einzelarbeitsplätze. Dass das Gebäude dabei großzügiger erscheint als es eigentlich ist, liegt v.a. am direkten Nebeneinander unterschiedlicher Raumsituationen und den daraus resultierenden vielfältigen Durch- blicken. Mithilfe von »Rundwegen« vernetzten die Architekten das Atrium und die offenen Galerien unter den Bürogeschossen subtil mit den offenen Fluren und den eher zurückgezogenen Räumen des Altbaus (alte Fenster blieben hier aus akustischen Gründen erhalten) sowie dem in seiner Funktion belassenen historischen Haupttreppenhaus – die neue Treppe im Turm dient nur als Fluchtweg.
Raumwirkung versus Originaltreue
Überwiegend natürliche und zurückhaltend farbige Oberflächen führen zwar zu einem ebenso zeitlosen wie einheitlichen Innenraum, dennoch lassen sich Alt- und Neubau deutlich unterscheiden. Nicht zuletzt anhand der ehemaligen Innenhof-Fassade, an der im Gegensatz zu den ansonsten weißen Oberflächen der gleiche sandfarben glitzernde Putz zum Einsatz kam wie bei der Außenfassade – ein Putz, der nach Originalrezeptur des schon 1934 beteiligten Herstellers angefertigt wurde. Wichtiger als die originalgetreue Restaurierung des in den Rohbauzustand zurückversetzten Altbaus war den Architekten jedoch die Schaffung einer authentischen Atmosphäre. Davon zeugen etwa die neu geschaffenen Öffnungen für die Ausgabetheken der Ausleihe, die mit geradezu nostalgisch wirkenden Holzrollläden verschließbar sind und die gleiche Natursteineinfassung erhielten wie die Laibungen des Eingangs. Überdies nutzten die Planer den wegen Mängeln bei Brandschutz und Tragfähigkeit erfolgten Abbruch der alten Beton-Rippendecken der OGs zugunsten neuer Beton-Flachdecken, um alte Fliesenbeläge durch dunkle Terrazzoböden in den Fluren und Holzparkette in den Einzelräumen zu ersetzen. Aus denkmalpflegerischer Sicht mag die stellenweise Verschleierung von saniertem Original, Rekonstruktion und Erneuerung zu kritisieren sein; letztlich sorgt der generell sehr sorgfältige Umgang mit Materialien und Oberflächen aber dafür, dass es keine unpassenden Gestaltungsdetails gibt und dass der Innenraum mit jener Haptik und handwerklichen Qualität korrespondiert, von der auch viele der dort aufbewahrten Bücher geprägt sind.
Als durch und durch authentisches Kleinod historischer Bibliothekstypologien präsentiert sich der alte sechsgeschossige Bücherspeicher, der als Freihandbibliothek nunmehr erstmals komplett für Besucher zugänglich ist. Die bemerkenswert filigrane Stahl-Glas-Konstruktion mit tragenden Regalen und Glasböden wurde von Bez + Kock behutsam saniert und mit einigen aus heutiger Sicht notwendigen technischen Ergänzungen versehen. Dazu zählen u. a. Langfeldleuchten, die aufgrund ihres minimierten Querschnitts fast unsichtbar sind sowie eine Hochdrucklöschanlage, die im Brandfall nur sehr wenig Wasser einsetzt – eine Gas-Löschanlage zum Schutz der Bücher vor Wasserschäden war in diesem »Hochregallager« wegen des großen Raumvolumens und der vielen Fenster nicht möglich. Chemische Löschmittel werden nur in den drei neuen Magazin-UGs unter dem Atrium eingesetzt, in denen sich neben kaum nachgefragten historischen Büchern auch eine »Schatzkammer« mit wertvollen mittelalterlichen Drucken und Handschriften befindet.
Ort der Kommunikation und Alltagskultur
Dass die Anzahl der Besucher und der ausgeliehenen Bücher seit dem Umbau der Landesbibliothek ansteigen, liegt keineswegs nur an der deutlich vergrößerten Zahl frei zugänglicher Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und digitaler Medien oder dem barrierefreien Zugang zu allen Bibliotheksbereichen. Eine wichtige Rolle spielt auch das Gebäude selbst, das sich als vielfältiger und angenehm zurückhaltender Hintergrund für die Bedürfnisse der Nutzer, aber auch als öffentlicher Ort der Kommunikation und Alltagskultur versteht. Anders als noch vor 20 Jahren, kann die oberösterreichische Landesbibliothek heute relativ gelassen in die Zukunft blicken. Nicht zuletzt auch durch die Option auf Realisierung des bereits im Wettbewerb geplanten zweiten Bauabschnitts. Dieser sieht in einer südlich angrenzenden Baulücke einen weiteren Neubau mit Freihandbereichen vor, der über eine hofseitige Erweiterung ebenfalls direkt mit dem Atrium verknüpft werden kann.db, Mi., 2011.05.04
04. Mai 2011 Roland Pawlitschko
verknüpfte Bauwerke
Oberösterreichische Landesbibliothek
Sensibel, ohne Samthandschuhe
(SUBTITLE) Finanzamt in Zwickau
Bei der Umnutzung des Gebäudeensembles der ehemaligen Ingenieurschule in Zwickau zum Sitz des Finanzamts kam nahezu das gesamte Spektrum von Maßnahmen zum Einsatz, das beim Bauen im Bestand möglich ist – vom Teilabriss über Restaurierung und Umbau bis hin zur Erweiterung. Das Zusammenspiel dieser Eingriffe in die Substanz, von dezent bis entschlossen, überzeugt.
Vor der Umnutzung zeigten sich die nördlich des Stadtkerns gelegenen, seit dem Auszug der Westsächsischen Hochschule im Jahr 2004 leer stehenden Bauten, als ein heterogenes Ensemble, in dem Glanz und Elend dicht beieinanderlagen. Das 1902/03 von Paul Dreßler errichtete, in kaiserzeitlicher Pracht schwelgende Hauptgebäude an der Lessingstraße war in weiten Teilen gut erhalten, aber durch plumpe An- und Aufbauten der DDR-Zeit entstellt. Eine sensible Restaurierung verlangte auch der nördlich andockende Ostflügel von 1927, der trotz zaghafter Anklänge an eine moderate Moderne ebenfalls noch in der Tradition des Späthistorismus' steht. An ihn schlossen sich zwei recht karge Erweiterungsbauten der 50er Jahre an, die den Ostflügel zusammen mit einem hofseitigen, flachen Anbau nach Norden verlängerten. Auch wenn sie nicht gerade von hohen baukünstlerischen Ambitionen zeugten, waren sie allein schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Ressourcenschonung zumindest im Kern erhaltenswert. Hinzu kam einiges an »Architekturmüll«, etwa die über das Gelände verstreuten Baracken.
Ungeachtet dieses z. T. abschreckenden Erscheinungsbilds erkannte die Oberfinanzdirektion Chemnitz in dem Areal einen geeigneten Standort für die Zusammenlegung der früheren Finanzämter Zwickau Stadt und Zwickau Land. Ein Neubau außerhalb der Innenstadt wäre sicher billiger gewesen; für das verlassene Hochschulgelände sprachen aber dessen zentrale Lage und gute Verkehrsanbindung. Eine wichtige Rolle spielte auch der Wunsch nach einer langfristigen Nutzungsperspektive für die von Verfall und früher oder später auch von Abriss bedrohten Bauten. Die Standortwahl ist damit ein Beispiel für baukulturelles Verantwortungsbewusstsein eines öffentlichen Bauherrn.
Den Auftrag für Sanierung, Umbau und Erweiterung des Ensembles erhielt im Ergebnis eines VOF-Verfahrens das Leipziger Büro Knoche Architekten, das sich mit Neumann Architekten aus Plauen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschloss. Auf Bauherrenseite wurde das Ende 2010 nach fast fünfjähriger Planungs- und Bauzeit abgeschlossene Großprojekt durch den Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien und Baumanagement betreut.
Weiterbauen am Denkmal
Die beiden denkmalgeschützten Altbauten behandelten die Architekten mit großem Respekt und Hingabe an das Detail, aber auch mit Mut zum Weiterbauen. Sie befreiten sie von den verunstaltenden Anbauten, restaurierten, was sich restaurieren ließ, wagten hie und da aber auch, mit Zustimmung der Denkmalpflege, behutsame Eingriffe. Die durch eine Kuppel in der Mittelachse und stark vortretende Eckrisalite akzentuierte, dem Süden zugewandte Schaufassade des palastartigen Hauptgebäudes zeigt sich wieder so hoheitsvoll wie in wilhelminischer Zeit. Um den in der Mitte situierten Haupteingang samt dahinter aufsteigender Prachttreppe nicht durch raumverschlingende Rampen seiner einladenden Gestik zu berauben, verzichteten die Architekten an dieser Stelle auf Behindertengerechtigkeit. Stattdessen schufen sie einen barrierefreien Nebeneingang durch Aufweitung einer bestehenden Türöffnung und Einbau eines Aufzugs auf der Westseite des Gebäudes.
Die alten, morschen Kastenfenster aus Holz wurden durch neue ersetzt, die an der Außenhülle die Kleinteiligkeit und feine Profilierung ihrer Vorgänger wieder aufnehmen, dank moderner und robuster Innenseiten aber auch für Schallschutz, Einbruchssicherheit und Energieersparnis sorgen. Über den zwei Hauptgeschossen wurde das DDR-zeitliche, brachial aufgesetzte Dachgeschoss durch ein neues ersetzt, das sich mit seiner Schieferverkleidung in die historische Dachlandschaft einfügt, zugleich aber, etwa durch das hofseitige Fensterband, als Zutat der Gegenwart zu erkennen gibt.
Eine sterilisierende Überrestaurierung, wie sie so vielen Altbauten ihren Charme austreibt, blieb dem Hauptgebäude ebenso wie dem Ostflügel erspart. Dank bewusster Zurückhaltung bei der Reinigung des Sandsteins behielten v. a. die einen Großteil der Front einnehmenden wuchtigen Bossenquader Patina und Gebrauchsspuren. Ebensoviel Mühe und Umsicht die Architekten bei der Erhaltung von Substanz und Denkmalwirkung des Bestands verwandten, so sehr entschieden sie sich meist gegen rekonstruktives Ergänzen. Wo der Bestand zerstört war, suchten sie ihn nicht nachzuahmen, sondern ersetzten ihn durch unübersehbar zeitgenössische Formen. Ein Beispiel dafür ist die Neugestaltung des durch einen Umbau in der DDR-Zeit lädierten Hofeingangs des Hauptgebäudes, in deren Minimalismus die strenge Handschrift von Knoche Architekten zu erkennen ist. Aber auch ihre Fähigkeit zum Dialog mit dem Bestand: Der neue Rillenputz bietet eine subtile Variation der neben dem Eingang erhaltenen, feinfühlig restaurierten Wellen- und Kellenwurfputze.
Mit derart weitreichender Konservierung wie die beiden Altbauten konnten die nicht denkmalgeschützten Erweiterungsbauten aus der DDR-Zeit nicht rechnen. Doch auch hier bauten die Architekten nicht gegen, sondern mit dem Bestand. Der Kopfbau an der Kolpingstraße und der Verbindungsbau erhielten eine Außendämmung mit mineralischem Putz. Die in Hellgrau und Weiß gehaltenen Fassaden erscheinen nun noch schlichter, die Konturen der kantigen Baukörper noch schärfer als zuvor. An Stelle des abgerissenen hofseitigen Anbaus wurde dem Verbindungsriegel ein viergeschossiger Neubau vorgesetzt. Mit dem äußerst strengen Duktus seiner weißen Putzfassade, die nur durch die leicht unregelmäßige Anordnung der schmalen, hochrechteckigen Fenster belebt wird, steht er im Kontrast zum benachbarten Ostflügel von 1927, zollt diesem aber zugleich Respekt durch Einhaltung der Trauflinie und leichtes Zurücktreten aus der Bauflucht. In der Zusammenschau des gesamten, Alt und Neu kombinierenden Ensembles zeigt sich ein breites Kompetenzspektrum des vorwiegend für öffentliche Auftraggeber arbeitenden Büros Knoche, das in den letzten Jahren sowohl mit einfühlsamen Sanierungen und Umbauten im Bestand als auch mit prägnanten Neubauten hervorgetreten ist.
Einladend, aber auch gewöhnungsbedürftig
Zentraler Anlaufpunkt im Innern des Hauptgebäudes ist die vom Haupt- wie vom behindertengerechten Nebeneingang ebenso schnell erreichbare Informations- und Annahmestelle, in der sich der größte Teil des Publikumsverkehrs abspielt. Um dafür Raum zu schaffen, wurden auf beiden Seiten des hier verlaufenden Korridors die Mauern aufgebrochen. So entstand ein großzügiger Warte- und Beratungsbereich nach Art eines modernen Kundenzentrums, der der ungeliebten Behörde zu einem besseren Image verhelfen dürfte. Gleichzeitig haben die Architekten aber mit Geschick den alten, korridorartigen Raumeindruck gewahrt, indem sie die schlanken Stützen in den Mauerdurchbrüchen so eng stellten, dass sie beim Blick von einem zum anderen Raumende als nahezu geschlossene Fläche erscheinen. Ein Verlust für die Raumwirkung ist dagegen der vorgeschriebene Einbau von Brandschutztüren. Durch Leichtigkeit der Konstruktion und maximale Transparenz betrieben die Architekten hier aber geschickt Schadensbegrenzung.
Zur freundlichen Anmutung der Innenräume tragen die vorwiegend warmtonigen Farben bei, die teils von Originalbefunden abgeleitet sind, teils auf Vorlieben der Architekten beruhen. Strahlen die Wände des Hauptgebäudes in Honiggelb und Orange, so schließt die Farbpalette in den neueren Gebäuden auch Knallgrün und Pink ein. An einigen Stellen des Fußbodens blieb der alte Terrazzoboden erhalten, neu verlegt wurde ein schwarzer Gussasphalt-Terrazzo, der vielleicht nicht ganz so elegant, dafür aber angenehm weich zu begehen ist.
Im Hauptbau erfreuen vielerlei reizvolle, originale Details das Auge. Dazu gehören etwa die Treppen mit mächtigen Steinbalustraden und kunstvoll geschmiedeten, beim Umbau zum Teil ergänzten Geländern, die dem Interieur einen Hauch von Jugendstil verleihen, die Schwingtüren aus Holz mit ihren gekurvten Unterteilungen oder ein sozialistisch-realistisches Steinrelief, das Vertreter der in der Hochschule gelehrten technischen Berufe zeigt. Im ältesten Gebäude befinden sich auch die eigenwilligsten Räume wie die mit einer durchlichteten Tonne gewölbte Kantine in der ehemaligen Aula und das früher nicht begehbare Kuppelinnere, das nun durch eine neue Wendeltreppe zugänglich gemacht wurde. Die zur Entstehungszeit kühne, aber instabile Wölbung beider Räume mit dünnen Stahlbetonschalen wurde mit einer neuartigen Armierung aus Glasfasertextil verstärkt – eine denkmalgerechte Alternative zur entstellenden Stabilisierung mit Aufbeton.
In den jüngeren Gebäuden einschließlich des Neubaus finden sich, von der gelegentlich kühnen Farbgebung abgesehen, keine Extravaganzen. Die Ausstattung der Arbeitsräume ist aber in allen Teilen des Ensembles gleichwertig. Es überwiegen große Büros mit je acht Arbeitsplätzen und separaten Aktenablage- und Rückzugszonen. Schallschutzdecken, schallschluckende, textile Wandbeläge und trittschallgedämmte Fußböden verringern die Lärmbelastung, lichtstreuende Hängelampen, kombiniert mit schlanken Schreibtischleuchten, sorgen für eine angenehme, unaufdringliche Belichtung der Arbeitsplätze. Das »innovative Bürokonzept« der Oberfinanzdirektion »zur Förderung von Kommunikation und Teamarbeit« stößt mit seiner neuen Offenheit nicht nur auf Begeisterung: Die Mitarbeiter sehnen sich mehrheitlich nach den herkömmlichen Zweipersonenbüros zurück. Sollte sich das neue Arbeitsplatzkonzept auch nach Eintreten des Gewöhnungseffekts nicht bewähren, wäre dies mehr als ein Schönheitsfehler. Die Kunden aber sind und bleiben Gewinner des Projekts, das mit seiner Balance zwischen sensiblem Umgang mit Denkmalsubstanz und eigenständigem, aber dialogfähigem Neubau Maßstäbe für das Bauen im Bestand setzt.db, Mi., 2011.05.04
04. Mai 2011 Arnold Bartetzky