Editorial

Bilder und Bildli

Game Design heisst die junge Designrichtung, die Urs Honegger in der Titelgeschichte durchleuchtet. Vor Kurzem waren Programmierung und Gestaltung von Computerspielen noch ganz in Informatikerhand. Heute belegen an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) mehr Studierende Game Design als Industrial Design. Bereits gibt es neben hier ansässigen internationalen Firmen zehn Schweizer Entwicklerstudios. Pro Helvetia fördert das Fach mit 1,5 Millionen Franken. Die ZHdK engagiert sich stark in Lehre, Forschung und Netzwerken des Game Designs. Ein Exempel, wie grundlegend und wirksam gute Ausbildungen und gute Ausbildungsplätze für unser Land sind.

Von Bildern erzählt auch Andrina Jörg: In einem Werk- und Wohnhaus für psychisch angeschlagene Menschen verstörten Fotografien — Teil des Kunst-und-Bau-Projekts — einige Bewohnerinnen und Bewohner. Andrina Jörg lässt sie zu Wort kommen. Auch sie studiert übrigens an der ZHdK: Ihr Text entstand im Fach «Publizieren & Vermitteln». Hochparterre begleitet für ein Semester diesen Studiengang.

Bilder, besser Bildli, zum Dritten: Lange vor der Fussball- Weltmeisterschaft sorgten die Tschuttibildli des Luzerner Magazins «Tschuttiheftli» für Sammelwahn. Als nachgedruckt werden musste, liessen wir eine Serie Architekten- und Designerinnenkonterfeis mitgestalten und mitdrucken. Für dieses Heft entstand daraus ein Suchspiel, an unserer WM-Bar im Zürcher «Exil» kann man die Bildli tauschen.

Künftig haben unsere Besichtigungen und Architekturreisen — eine Nachricht aus dem Hause — eine eigene Abteilung: Architekturredaktor Werner Huber baut zusammen mit Girsberger Seating «Hochparterre Reisen» auf. Im September führt er durch Hamburgs Stadtwandel, in die Hafencity, auf die Baustelle der Elbphilharmonie. Wer mitreisen will, liest die Infos in der Reportage in diesem Heft. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme und wünschen einen anregenden Lesesommer.
Rahel Marti

Inhalt

06 Meinungen
07 Lautsprecher
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 Massarbeit

Titelgeschichte
18 Game Design - Spielwelten bauen. Einst bastelten Programmierer die Computerspiele. Heute studieren an der ZHdK mehr Leute Game Design als Industrial Design.

28 Architektur: Block im Blockrand. Roger Boltshauser hat sich in einem Innenhof ein Atelier gebaut.
32 Architektur: Andermatt wird wahrer. Der Wohnungsverkauf in Sawiris Feriendorf ist angelaufen.
34 Architektur: Wenn Bilder einen Sturm auslösen. Kunst hat in einem Wohnheim zwiespältige Reaktionen provoziert.
38 Verkehr: Die neue Längshalle. Im Bahnhof Bern müssen die Weichen neu gestellt werden.
40 Design: Architekten- und DesignerInnen-Bildli. Keine Fussball-WM ohne Tschuttibildli. Hochparterre sammelt mit.
44 Architektur: Musik am Fluss. Die Elbphilharmonie wird Hamburgs neues Wahrzeichen werden.
48 Design: Eine Leuchte für alle Fälle. Wie Jörg Boner eine neue Strassenlaterne entwickelt.

52 Leute
56 Siebensachen
58 Bücher
62 Fin de Chantier
68 Raumtraum

Block im Blockrand

(SUBTITLE) Ein Architekt baut sich sein eigenes Büro. Nicht als Firmensitz, sondern als Experimentierfeld.

Manchem wird es wohl so gehen: Beim Spaziergang in Zürich-Wiedikon geht der Blick beiläufig durch eine Hofeinfahrt. Einige Schritte weiter hält man inne, geht zurück und betritt neugierig den Hof. Denn was der Spaziergänger sieht, ist alles andere als gewöhnlich: grosse Fenster, messerscharf gerahmt von dunklem Backstein und glattem Beton. Er assoziiert kraftvoll, elegant, grosszügig — Architektur! Schon der kleine Ausschnitt, den die Einfahrt freigibt, zeigt: Hinterhofmief sieht anders aus.

Starker Umbau 

Das frische Haus ist das Architekturbüro von Roger Boltshauser. Dass es sich um einen Umbau handelt, ahnt man nicht, die alte Substanz ist an keiner Stelle mehr zu sehen. Das zweigeschossige Gewerbehaus wurde, wie viele andere Hofbauten im Zürcher Kreis 3, bereits zusammen mit den Wohnhäusern des Blockrandes gebaut. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. Nach einem massiven Umbau mit Erweiterung wurde aus der damaligen Schreinerei 1978 ein Textilbetrieb, in den Neunzigerjahren zog das Institut für Individualpsychologie ein. Vor einigen Jahren wurde Roger Boltshauser auf das Gebäude aufmerksam und kaufte es. Er legte den Rohbau frei, baute ihn aus und umhüllte ihn. Die innere Raumstruktur veränderte er dabei nicht wesentlich: ein geräumiger Eingangsraum in der Mitte jedes der beiden Hauptgeschosse, drumherum Treppenhaus mit Sanitärkern und Büroräume, Letztere nun hinter grossen Schiebetüren. Die alten Fensteröffnungen fasste der Architekt paarweise zu je einer grossen zusammen, bei der einst angefügten Schicht schloss er die aufgelöste Fassade und im Eingangsbereich entfernte er einen Lift. «Es war ein chaotisches Flickwerk aus Beton, Stahlträgern und Backstein», sagt er, doch damit musste er arbeiten, nicht zuletzt aus Kostengründen. Ein Neubau hätte ausserdem von der jetzigen Baugrenze zurückweichen müssen.

Boltshausers Handschrift

Trotzdem: Wer Boltshausers bisherige Bauten kennt, der erkennt auch den Urheber des Hofhauses. Manche Elemente und Materialien wendet der Mittvierziger immer wieder an und variiert sie: Das Fenster mit den geschlossenen, seitlich in der Tiefe der Mauer liegenden Lüftungsflügeln findet sich auch beim Lehmhaus Rauch im vorarlbergischen Schlins, die inneren Glasbausteinwände des Treppenhauses erinnern an die Schulhauserweiterung in Zürich-Hirzenbach, die beiden kubischen Betonoberlichter an die Gerätehäuser der Sportanlage Sihlhölzli, ebenfalls in Zürich. Dem Architekten dienen diese Elemente als «Vokabeln», Teile der architektonischen Sprache, die je nach Anwendung und Zuordnung eine andere Aussage machen und nicht für jede Aufgabe neu erfunden werden müssen.

Raffinierte Feinheiten

Zum Beispiel gewichtet der Architekt mit wenigen Elementen die vier Fassaden: Dort, wo sich der Blockrand zwischen zwei Häusern öffnet, gelangt man zur Eingangsseite des Hauses, seiner Adresse. Die Klinkermauer ragt geschlossen auf, lediglich ein «Portal» sitzt in der mächtigen Fläche, mit der Eingangstüre und je einem oberen und einem unteren Fenster. Über die übrigen drei Seiten des Baukörpers laufen breite Betonbänder und rahmen die Fenster oben und unten. Dort, wo sich der knappe Hofraum etwas weitet und wo eine Palme und eine in Regenbogenfarben bemalte Rückfassade vom gewandelten Image des Hinterhofs erzählen, da bildet das Bürohaus so etwas wie seine Hauptfassade aus: Als symmetrische Einheit präsentieren sich hier die sechs Fenster, stolz und prächtig.

Und hier kann der Spaziergänger genügend weit zurücktreten, um die Feinheiten der Fassadenstruktur zu studieren. Denn, was man erst bei genauerem Hinsehen merkt: Die Fenster der beiden Etagen sind keineswegs gleich. Oben sind sie etwas schmaler, dafür höher, unten breiter und niedriger — es scheint, als werde das untere Geschoss durch das Gewicht des oberen gepresst. Auch das untere Betonband ist niedriger als das obere, das den Baukörper abschliesst.

Handgemachte Klinker

Der «gepresste» untere Teil weist darauf hin, dass der Boden der Erdgeschossräume einen halben Meter tiefer liegt als das Hofniveau. Es ist aber auch ein Hinweis auf die Interessen des Architekten, der viel über die Wirkung von Proportionen nachdenkt. Es liegt wohl an den Massen der Fassaden und ihrer «Feinjustierung», wie das Boltshauser nennt, weshalb das nicht allzu grosse Gebäude kraftvoller wirkt als seine hofrahmenden Nachbarn. Und es liegt am Material der Fassade, am schweren Klinker. Denn obwohl sich in der direkten Umgebung zahlreiche Ziegelfassaden finden lassen, auch berühmte, wie das Künstlerhaus an der Wuhrstrasse von Ernst Gisel aus den Fünfzigerjahren, ist das Fassadenmaterial hier ungewohnt.

Exotisch ist das «römische Format» des Ziegels, den Peter Zumthor für sein Kölner Museum in Dänemark von Hand fertigen lies, weshalb er «Kolumba-Ziegel» heisst. In Zürich kam nicht das hellgraue Original zum Einsatz, sondern ein schwarz-braunes, mehrfach gebranntes Modell, das dadurch rauer wirkt. Ausserdem liess Boltshauser den Wilden Verband nicht flächig verfugen, sondern mit vertieften Lagerfugen, damit die Verwerfungen der Steine stärker in Erscheinung treten. In der Horizontalen stossen die 53 Zentimeter langen und keine vier Zentimeter dünnen Klinker stumpf aneinander, was sie noch länger erscheinen lässt. Rund 9500 Stück von ihnen umhüllen das Haus.

Lehm im Innern

In der kraftvollen Schale steckt ein weicher Kern. Trotz klarer Formen, weiter Durchblicke und grosszügiger Flächen ist hier nichts nüchtern. Das scharfkantige Grau der Stahlfenster, Deckenleuchten, Treppengeländer oder Glasbausteine kontrastiert spannungsvoll mit erdigen Farbtönen und reichen, samtigen Oberflächen. Es ist, als betrete man das Versuchslabor eines Alchemisten. Wie bei vielen Projekten arbeitete Boltshauser auch hier mit dem Lehmbaupionier Martin Rauch zusammen siehe HP 12 / 09 «Massarbeit».

Ihr umfangreichstes Gemeinschaftswerk war bislang Rauchs eigenes Haus in Schlins, das fast zur Gänze aus Lehm besteht. Beim Zürcher Bürohaus konzentriert sich der Einsatz des Materials auf die Oberflächen der Innenräume: Acht Tonnen Lehm verarbeite Rauch zu Putzen, Spachtelungen, Fliesen, Waschbecken bis hin zur einfachen Farbe. Beim Spachtel bindet Kasein, also Quark, das Material. Er findet sich nicht nur an den vielen eingebauten Schrankelementen und Schiebetüren, sondern auch dunkel eingefärbt auf dem Boden. Metallpartikel im Spachtel oder Metallschienen unter dem 1,5 Zentimeter starken Putz lassen Magnete an den Wänden haften. Öl und Wachs machen die Oberflächen in den Nasszellen wasserabweisend. So manche Mischung feiert hier Premiere.

Auch die schwarzen Fliesen im Treppenhaus sind Schlinser Handarbeit und wären nicht bezahlbar, würden sich Boltshauser und Rauch nicht gegenseitig mit Arbeitsleistung bezahlen. Hinter der Eingangstür und auf dem oberen Podest empfängt ein «Teppich» aus ornamentierten Boden-platten die Besucher. Marta Rauch formte die Platten, das kubische Ornament zeichnete Sohn Sebastian. Die treppenbegleitende Stampflehmwand zeigt das Material in seiner ursprünglichsten Verarbeitungsform, wenn auch nur sechs Zentimeter dick und vorgehängt: Sie wurde in der Werkstatt hergestellt, zerschnitten und auf der Baustelle wieder zusammengefügt. Hier ist er zu sehen, der «Dreck», dessen Wandlungsformen überall im Haus schön und unaufdringlich glänzen.

«Räumlich tut die Wand gut», meint der Architekt. Doch auch aufs Raumklima wirken sich die Oberflächen aus: Bis zu 100 Liter Feuchtigkeit sollen sie pro Geschoss innert kürzester Zeit aufnehmen und wieder abgeben können. Bezüglich Grauer Energie und Rezyklierfähigkeit ist Lehm unübertroffen.

Stolz und Bürde

In Erd- und Obergeschoss arbeiten zurzeit bis zu 24 junge Architektinnen und Architekten an Bildschirmen und weissen Modellen. 35 können es werden, wenn auch das Untergeschoss ausgebaut sein wird. Bei 40 würde es knapp, sagt der Architekt. Sein Büro hat zu tun, projektiert öffentliche Häuser und Wohnbauten, zum Beispiel ein Wohnhochhaus in Zürich-Hirzenbach oder eine Siedlung in Winterthur-Wülflingen. Und es vergeht kaum ein Monat, in dem es nicht auf einem der vorderen Ränge eines Wettbewerbs landet.

Warum wurde der Architekt sein eigener Bauherr? In seinen alten, gemieteten Räumen habe er sich nicht mehr wohlgefühlt. «Ich verbringe viel Zeit im Büro und Räume inspirieren mich.» Das wenige Eigenkapital, das er hatte, hätte zwar kaum für den Kauf gereicht. Der frühere Besitzer kam ihm dann aber mit dem Preis etwas entgegen — die Situation des Jungarchitekten erinnerte ihn an seine eigene, als er einst mit seinem Textilbetrieb dort einzog. Das Bauen für sich selbst ist laut Boltshauser nicht nur Wohltat, sondern auch Bürde: Man stellt sich aus. Repräsentation spielte beim Haus aber nicht die Hauptrolle. «Es ging um unsere Befindlichkeit. Und wir wollten Dinge ausprobieren, Themen weiterentwickeln!»

hochparterre, Mi., 2010.06.30

30. Juni 2010 Axel Simon

Andermatt wird wahrer

(SUBTITLE) Sawiris startet den Verkauf von Wohnungen im Resort. Die Realisierungschancen stehen gut.

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon nahe der Bahnhofstrasse in Zürich. Als er darauf zuschritt, kritisierte er sofort die dezente Beschriftung: «Das müssen wir ändern!» Und als er beim Betreten über eine Schwelle stolperte, ergänzte er: «Und das auch.» Seit 2005 treibt Sawiris das Projekt mit seiner bestechenden Mischung aus Charme und Kalkül voran. Zunächst werbe er für die Wohnungen vor allem im Inland: Schweizer evaluierten länger als andere, er wolle vermeiden, dass sie sich erst entschlössen, wenn die besten Stücke fort seien. An Schweizer Käufern muss Sawiris aber auch liegen, weil nur sie spontan kommen und das Resort regelmässig beleben können.

Unter dem Slogan «Noble by Nature» setzt Sawiris Preise von durchschnittlich 15 500 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche an. Das entspricht gehobenen Stadtzürcher Quartieren -— kann das im Urserental gut gehen? «Ja, denn akzeptable Zweitwohnungen erhält man kaum noch günstiger», erklärt Marco Feusi, Experte bei den Immobilienberatern Wüest & Partner. Auf der Lenzerheide, in Flims oder Grindelwald zahle man ähnlich viel, im Oberengadin, Gstaad und Verbier mehr. Ein Stück Schweiz zähle im Ausland noch immer, die Realisierungschancen stünden gut, so Feusi. Der Verkaufsstart kommt doppelt richtig: Die Wirtschaftskrise ist verflogen und während andere Regionen den Bau von Zweitwohnungen beschränken, bringt Sawiris 500 Wohnungen auf den Markt, alle Lex Koller-befreit. «Wertsteigerungen auf Preise bis zu 30 000 Franken pro Quadratmeter sind möglich», schätzt Marco Feusi. Der Kauf sei aber eine Art Wette, weil die Infrastruktur noch stark ausgebaut werden müsse.

Harte Honorarverhandlungen 

Noch immer preisen die Prospekte «über dreissig Schweizer und internationale Architekturbüros» an, die «jedes Haus individuell planen». Die meisten haben aber seit einem Jahr nicht mehr daran gearbeitet, sie müssen den Wohnungsverkauf abwarten. Die Andermatt Swiss Alps ASA habe Kostenvoranschläge zu niedrigstem Honorar verlangt, wogegen sich einige Büros wehrten. Skeptische machen nun die Weiterarbeit vom Honorar abhängig, Zuversichtliche führen an, die ASA habe SIA-Tarife in Aussicht gestellt. Die Ausführung soll mit Generalunternehmungen und Architekten als gestalterische Leiter erfolgen.

Sawiris gebührt Anerkennung: Er führte Wettbewerbe durch, holte gute Büros. Aber das Resort ist kein Liebhaber-, sondern ein Renditeprojekt. Sein Auftritt im Zürcher Verkaufsraum war auch dafür bezeichnend: Auf das Dorfmodell blickend, schien ihm die Bebauung zu dicht. Er rief seine Mitarbeiter und bestimmte Häuser, die niedriger werden sollten, um den Nachbarbauten mehr Licht und Aussicht zu gewähren. Lieber hier weniger, dort dafür umso mehr verdienen. So arbeitet Sawiris: Spontan und immer. Für die Abstimmung mit dem städtebaulichen Konzept bleibt da keine Zeit.

Trotzdem: Stimmt die Bauqualität, kann das Feriendorf mit seiner hohen baulichen Dichte und formalen Expressivität einiger Häuser noch immer zu eigenständiger und überzeugender Tourismusarchitektur werden.

Diese Chance ist beim Luxushotel The Chedi vertan. Als einziger Bau des Resorts ist es im bestehenden Dorf geplant. Die Visualisierungen zeigen ein gutes Dutzend gleichartige, bis zu 34 Meter hohe Häuser: Eine Art aufgeblasene Hütten mit Steilgiebeln, grossen Vordächern, langen Fensterschlitzen und dürftiger Holzlattung. Für das im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ISOS verzeichnete Andermatt eine Bedrohung. Das Chedi entwarfen, wie den ersten Resortplan, Denniston Architects aus Kuala Lumpur. Deren Chefarchitekt Jean-Michel Gathy, ein Freund von Sawiris, gilt als Crack der internationalisierten Luxushotelarchitektur — entsprechend bleibt es hier bei gröbsten Klischees von «Alpine Chic». Da der Heimatschutz gegen die Baubewilligung intervenierte, willigte die ASA ein, die Pläne überarbeiten zu lassen, begleitet von einer Fachgruppe unter der Leitung des Urner Denkmalpflegers Edi Müller. Im Gegenzug stimmte der Heimatschutz der Rahmenbewilligung des Projekts im Massstab 1:200 zu. Ende Mai wurden die neuen Pläne eingereicht (nach Redaktionsschluss). Zu vermuten ist, dass die Überarbeitung kaum mehr als Kosmetik gebracht hat. Das Projekt ist bewilligt, die Ausnutzung im Quartierplan sanktioniert. Das Chedi wird überwiegend mit bedienten Zweitwohnungen zu Quadratmeterpreisen bis 22 000 Franken betrieben. Dass die Top-Kette ihr erstes europäisches Hotel in Andermatt baut, gilt als Coup von Sawiris. Chedi und Golfplatz sollen zuerst gebaut und 2013 eröffnet werden, als Nukleus, der auch ohne das übrige Resort funktioniert.

Gewaltiger Ausbau

Während der Verkauf erster Wohnungen anläuft, laboriert die ASA am Ausbau der Infrastruktur. Überraschend will sie das Betonpodium unter dem Resort siehe HP 6-7 / 09 statt zwei- nur eingeschossig bauen. So werde der Bau statisch einfacher und günstiger, zudem liege dann nur ein Fünftel im Grundwasser. Noch immer sind 900 Parkplätze geplant, dafür kleinere Lager- und Erschliessungsräume.

Derweil bahnt sich ein zweiter gigantischer Ausbauschritt an: Im Herbst soll die Richtplananpassung eingereicht werden für die Erweiterung des Skigebiets Nätschen bis zum Oberalppass, um Andermatt und Sedrun zu verbinden. Dafür wird ein ganzes Tal neu bebaut. Ein ähnliches Projekt zwischen der Melchsee-Frutt und Engelberg wird bekämpft, hier nimmt es die Öffentlichkeit einfach zur Kenntnis. Die Traversierung erfordert sieben neue Lifte, mindestens ein Restaurant sowie den Umbau eines Sees zum Speicherbecken für Schneekanonen, denn die Hänge sind südorientiert und rasch aper. Für Landschaft und Energieverbrauch ein fragwürdiger Ausbau — aber auch skitechnisch: Wie attraktiv ist eine kilometerlange Traversierung nach Sedrun? Doch für die ASA zählt: mehr Lifte, bessere Werbung. Die Natur- und Landschaftsschutzorganisationen begleiten den Ausbau zwar, aber mit gebundenen Händen: Da das Gebiet nicht geschützt ist, haben sie keine Einspracheberechtigung.


Kommentar: Mittragen, mitreden
Damit sein Vorhaben rentiert, ist Samih Sawiris auf eine kritische Grösse angewiesen, ob bei der Anzahl Ferienwohnungen oder neuer Skilifte. Wer das Projekt mitträgt, hat es darum schwierig, die Ausbaupläne zu beschränken. Und mitgetragen wird es von ganz oben: Der Bundesrat genehmigt die Lex Koller-Ausnahme ebenso wie die Richtplananpassungen. Pläne wie für das Hotel Chedi oder das neue Skital zeigen nun immer deutlicher, wie umfassend das Resort das Urserental verändern wird und wie weit die Zugeständnisse an Sawiris gehen. Mittragen reicht darum nicht. Andermatt braucht weiterhin auch das kritische Mitreden von Behörden und Verbänden, Schritt für Schritt. Rahel Marti

hochparterre, Mi., 2010.06.30

30. Juni 2010 Rahel Marti

Modern trifft auf Klassik

Seit 1877 ist das Haus im Besitz der Familie Trepp, die hier wohnte und anfangs mit Glas, später mit Futter und Lebensmitteln handelte. Roch es einst in Thusis nach Kaffee, dann röstete «Trepp & Co.», erzählt Verena Trepp mit Stolz. 2005 konnte sie das Elternhaus übernehmen und wünschte sich eine Renovation mit Lift. Geschickt verschob Pab-lo Horváth den ersten Treppenlauf und platzierte an dessen Stelle den Lift. Damit schafft er es, alle Geschosse und Zwischenpodeste zu verbinden. Den Anbau stockt er mit einem Terrassenzimmer auf. Schon während der Studienzeit um 1930 soll Rudolf Olgiati die ersten Umbauten im Haus gemacht haben, so die Familiensaga. Noch heute zu sehen ist das «Bubenzimmer» im Dachgeschoss und die Umgestaltung der Stube im zweiten Obergeschoss, wo er anstelle einer Wand eine geschwungene Vorhangschiene einbaute. Warum Horváth im umgestalteten Anbau die «klassische Moderne» sieht, kann er nicht genau erklären. Ist es die plastische Gestaltung oder sind es die stehenden Fenster, die sich an der klassizistischen Fassade des Hauptbaus anlehnen?

hochparterre, Mi., 2010.06.30

30. Juni 2010 Ivo Bösch

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