Editorial
Diese dérive-Frühjahrsausgabe kommt rund einen Monat später als üblich, aber das hat seinen guten Grund: dérive feiert heuer seinen 10. Geburtstag und im Oktober erscheint zu diesem Anlass eine fette Doppelnummer. Das vorliegende Frühjahrsheft hat sich deswegen ein wenig Richtung Sommer verschoben und die Sommerausgabe fusioniert mit dem Herbstheft zum extradicken 10-Jahre-Zeitschrift-für-Stadtforschung-Reader, für den es sich zu warten lohnt, soviel sei versprochen!
Das Schwerpunktthema der Jubiläumsausgabe ist die Stadtforschung selbst: Wo sie steht und was sie kann, zeigen rund zwei Dutzend internationale AutorInnen quer durch alle Disziplinen. 12 KünstlerInnen gestalten speziell zum Jubiläum Kunstinserts, die sich mit dem urbanen Raum auseinandersetzen. Ziel der Ausgabe ist ein umfassender Einblick in das vielschichtige und unendlich spannende Forschungsgebiet der Urban Studies.
Die großen 10-Jahres-Feierlichkeiten gehen von 1. bis 10.10.2010 über die Bühne und bieten ein breites Spektrum an Veranstaltungen: Neben der eigentlichen Jubiläums-Heftpräsentation wird es Diskussionen, Filme, Lesungen, Stadtführungen und dérives, Ausstellungskooperationen, einen Henri-Lefebvre-Abend und – natürlich! – ein rauschendes Fest geben. Blockieren Sie schon mal die ersten 10 Tage im Oktober für uns – es zahlt sich aus!
Doch nun zum aktuellen Heft, das ein Thema aufgreift, welches in dérive immer wieder von unterschiedlichen Perspektiven aus analysiert wurde und wird: Kunst/Kultur und Stadt. In Heft 6 (Dezember 2001) hat Andreas Fogarasi mit dem Schwerpunkt Argument Kultur vieles vorweggenommen, was Jahre später breit diskutiert wurde und auch heute noch wichtigen Stoff für Debatten darstellt: „Kultur als Standortargument“, Stichworte: Creative Industries, Kulturbauten und -bezirke. Für Heft 21/22 (Jänner 2006) hatte Roland Schöny den Schwerpunkt Urbane Räume – öffentliche Kunst konzipiert.
Kunst und urbane Entwicklung, dem Schwerpunkt von dérive 39, ist das von dérive-Redakteurin Barbara Holub kuratierte, internationale Symposium Für wen, warum und wie weiter? vorausgegangen, dessen Titel schon einiges darüber verrät, worum es diesmal geht. Im Zentrum steht „Die Rolle von Kunst im Kontext urbaner Entwicklungen zwischen Freiraum und Abhängigkeit.“ Ausgewählte Beiträge des Symposiums bilden überarbeitet und erweitert den spannenden thematischen Bogen, gefasst von Barbara Holubs ausführlichem Einleitungsartikel, der die kontroversen Fragestellungen rund um das Thema aufgreift und durchleuchtet. Das Cover dieser Ausgabe zeigt zwei Bilder aus Holubs Arbeit Make News Instead of (2008), die die Umgestaltung der Stadt Plymouth (vor allem der Naval Base in Devonport) thematisiert. Die Naval Base als jahrhundertelange, traditionell wichtigste Arbeitgeberin von Plymouth litt nach Ende des Kalten Kriegs unter massivem Geschäftsrückgang und wurde mittlerweile privatisiert. Auf der Vorderseite sieht man das ehemalige Zentrum von Devonport, das im 2. Weltkrieg komplett zerstört und von der Naval Base an die Stadt Plymouth zurückgegeben wurde. Es wird nun von Red Row Developers in ein Wohnviertel transformiert. Im Rahmen der PPP wurde die Chance, ein aktuelles Stadtzentrum mit urbaner Qualität zu entwickeln, nicht wahrgenommen. Die Rückseite zeigt einen Screenshot aus der 16mm-Film-Dokumentation des Dockyard Strike in Plymouth (1969).
Mark Kammerbauer stellt im Magazinteil in einem Artikel über die Auswirkungen des Hurrikans Katrina auf New Orleans „die Problematik des fragmentarischen Wiederaufbaus und der involvierten staatlichen Programme, in Verbindung mit Evakuierung und Rückkehr als integriertem Komplex“ in den Mittelpunkt. „Wenn man nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, ist das Experimentieren ein Weg mit den beschriebenen Unsicherheiten umzugehen“, befindet anschließend Daniela Karow-Kluge in ihrem Beitrag Planen ohne Sicherheit, der die Rolle des Experiments in den raumgestaltenden Disziplinen zum Thema hat. Manfred Russo nimmt sich in seiner Serie Geschichte der Urbanität erstmals den Fordismus zur Brust und analysiert in einer besonders ausführlichen Folge das spezielle Verhältnis von Paternalismus und Urbanismus.
Wir wünschen viel Vergnügen und freuen uns auf das gemeinsame Feiern im Herbst!
Christoph Laimer