Editorial
Benedikt Loderer
Ein kurzer Blick und drei Hauptsätze genügen, damit sich zwei Leute auch über komplizierte Angelegenheiten verständigen können. Vertrauen und Übereinstimmung müssen aber so entfaltet sein wie zwischen Benedikt Loderer und mir. Wir haben etliche unserer Entscheide als Hochparterre-Regentenduett mit Blicken entwickelt. Er lernte, was es bedeutet, wenn ich die Augen zu Schlitzen verenge, ich kannte seine Meinung, bevor er oft heftig zu sprechen begann, an der Art, wie er seine Augen gross machte. Benedikt Loderer und ich sind zwar wie Tag und Nacht, aber das hat unsere über zwanzig Jahre dauernde Glücksgeschichte gefördert. Sie ist nun abgeschlossen und Benedikt Loderer öffnet ein anderes Buch: Er pensioniert sich und hat Hochparterre am 14. März verlassen. Nun bin ich der letzte Mohikaner aus den Pioniertagen, getröstet aber von den mittlerweile zwanzig Hochparterris. Ich senke also meinen Kopf, schliesse die Augen und atme durch — das heisst in der Loderer-Gantenbein-Kommunikation: «Grossen Dank! Wie reich es war! Sonnenschein weiterhin! Für beide.» In dieser Ausgabe spielt Benedikt Loderer seine Glanzrolle nochmals: «Starschreiber ohne Führungsaufgaben. » Verteilt über das Heft beantwortet er Fragen: Wie ist der Zustand des Landes? Was ist das Wesen des Hüsli? Wie funktioniert Stadtwanderers Werkzeug? Es sind Auszüge aus seiner Rede an der ETH Zürich, wo er zur Ausstellung «War das alles?» sprach, die wir ihm zu Ehren eingerichtet hatten. Loderer sagt: «Ich kann drei dinge: lesen, reden und schreiben.» Das wird er als freier Journalist weiterhin herzhaft tun, auch für Hochparterre. Eine Meldung noch aus der Abteilung Ökonomie: Nach acht Jahren heben wir die Preise an. Ein Heft kostet neu 18 Franken, ein Jahresabonnement 158 Franken. Abo, das heisst: ambitionierter Architektur- und Designjournalismus im Heft, im Netz und in Sonderheften, vergünstigte Bücher oder einen Platz bei Reisen und Besichtigungen vor Ort, die Hochparterre Reisen organisiert. Geschätzte Abonnentinnen und Abonnenten: Ich danke für ihre Treue und ihre Neugier.
Köbi Gantenbein
Inhalt
06 Meinungen
07 Lautsprecher
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 Massarbeit
Titelgeschichte
18 Landschaft für alle auf dem Flugplatz Dübendorf. Fünf Vorschläge, wie man das Gelände in Zukunft nutzen könnte, anstatt es kurzsichtig zu überbauen.
28 Architektur: Das Hüsli ist die Krankheit des Landes. Starke Worte von Benedikt Loderer zum Bauen in der Schweiz.
32 Design: das Comeback des Freischwingers. Robert Haussmann zur Neuproduktion seines Stuhls.
36 Architektur: der Kraftakt zum Wohlgefallen. Die EPFL baut auf Aufmerksamkeit. Hochparterre war dort.
44 Architektur: «Er fehlt mir.» Der Ingenieur Jürg Buchli ist gestorben. Zumthor im Interview.
46 Typographie: In der Welt der Buchstaben. Ein neuer Fächer ordnet und erklärt die Schriften.
50 Architektur: Kniefall vor dem Hochhaus. Die Nichtdiskussion um den 180-Meter-turm in Basel.
52 Design: PET à porter. Fortschritt: Feine Sommerstoffe aus gebrauchten Getränkeflaschen.
56 Landschaft: Das Grüne versprechen. Preisgekrönte Landschaften zwei Jahre danach: immer noch gut?
60 Leute
64 Siebensachen
66 Bücher
70 Fin de Chantier
76 Raumtraum
Der Stadtwanderer geht
Benedikt Loderer lässt sich pensionieren und platziert nochmals seine scharfen Worte quer durchs Heft.
Der Kraftakt zum Wohlgefallen
«Seht her!», ist die architektonische Mitteilung des EPFL-Learning Centers in Lausanne. Der Umgang mit dem neuen Raumerlebnis will noch erlernt sein.
Der Raum des «Learning Centers» ist neu. Wir kennen keinen gleichartigen. Doch was wir zur Genüge kennen, sind die Mechanismen der «iconic buildings»: Der Auftraggeber bestellt bei einem «Stararchitekten» kein Gebäude, er bestellt globales Medieninteresse. Die gebauten Räume werden den visuellen Versprechungen, die schon zum Wettbewerb gemacht werden, nur selten gerecht. Patrick Aebischer, Neurologe und seit zehn Jahren Präsident der EPFL, macht aus seiner Strategie keinen Hehl. Spricht er vom Architekturwettbewerb, den er 2004 für das «Learning Center» initiierte, so fehlt ein Hinweis nie: dass sich unter den zwölf geladenen Architekturbüros fünf Pritzkerpreisträger befanden. Ein «Nobelpreis der Architektur» müsse her, da mit die EPFL internationale Forschergrössen nach Lausanne locken kann, die wiederum für den lang ersehnten «richtigen» Nobelpreis sorgen würden. Gewonnen haben den Wettbewerb die Japaner SANAA (Kazuyo Sejima und Ryue Nishi zawa) — keiner der Pritzkerpreisträger, aber ein Büro, das mit seinem Lausanner Werk diesem Preis einen grossen Schritt näher gekommen ist. So geht das Spiel namens «How to be a Star».
Rolex zahlt Mehrwert
Die globale Medienaufmerksamkeit gehörte also zum Programm und die Rechnung des EPFLPräsidenten ging auf: Das filigrane Modell des Siegerentwurfs betörte nicht nur die Jury, sondern auch die Chefetage von Rolex. Zusammen mit weiteren Sponsoren steuerte die Uhrenfirma 50 Millionen der 110 Millionen Franken Baukosten bei, weshalb der Bau nun offiziell den Namen «Rolex Learning Center» (RLC) trägt. Der Bund, als Betreiber der EPFL, bezahlte mit 60 Millionen ungefähr so viel, wie ein konventioneller Bau kosten würde.
Den üppigen Raum und die aufwendige Konstruktion zahlen also die Sponsoren, und somit trägt sich die mediale Aufmerksamkeit selbst. Das RLC ist jedoch nicht nur das neue mediale Gesicht der EPFL. Es ist auch eine wissenschaftliche Bibliothek mit 500 000 Bänden (ein Viertel davon im Hauptgeschoss, der Rest im Untergeschoss zugänglich) und 700 Arbeitsplätzen, mit Büros und Archiven, mit Räumen des Hochschulverlags und von Craft, einem Labor, das neue Lerntechnologien erforscht und zukünftig direkt im RLC testen will.
Neben dem Auditorium locken ein Restaurant, Cafés und eine Buchhandlung mit Kiosk auch Auswärtige auf den Campus. Das Haus will nicht nur die kreative Zusammenarbeit der Disziplinen fördern, sondern es soll auch der Ort sein, an dem die Hochschule ihre Gäste empfängt. Ineinanderfliessende Räume des Austauschs und des Treffens, von sieben Uhr früh bis Mitternacht geöffnet. Kann die gebaute Realität diesen Erwartungen überhaupt gerecht werden? Und ihrem medialen Bild?
Schwächen und Stärken
Der erste Plan des Campus ist von Zweifel, Strickler und Partner und stammt aus den Siebzigerjahren. Der rund 170 auf 120 Meter grosse, flache Neubau breitet sich südlich seiner strukturalistischen Vorgänger aus. Dort beansprucht der eingeschossige Solitär einen Grossteil der Landreserve der Hochschule siehe HP 4 / 07. Von der Metrostation im Norden müssen sich Ortsunkundige ihren Weg durch das ineinandergreifende Flickwerk der bisherigen drei Bauetappen bahnen. Das Haus, über das momentan die Welt spricht, erscheint zunächst überraschend plump. Der Schwung, mit dem sich das einzige Geschoss noch im Wettbewerbsmodell hoch und nieder wölbte, ist, um den Faktor 500 vergrössert, weitaus weniger betörend. Der reizvolle Blick von weit oben, der schon einige Beschreibende zu Käseanalogien verführt hat, bleibt Hobbyfliegern vorbehalten. Die Stärken des RLC zeigen sich auf dem Weg zum Eingang, der überraschenderweise im Zentrum des Gebäudes liegt.
Der Besucher schreitet durch weite Gewölbe aus speckig glänzendem Beton, deren Leichtigkeit vergessen macht, dass man sich unter dem Gebäude befindet. Der Kraftakt, der notwendig war, solch stützenfreie Räume zu schaffen, löst sich auf in Wohlgefallen. Dass die Hügellandschaft aus Beton eigentlich eine aus Stahl ist und ihre Errichtung eine komplexe Ingenieurleistung, berichtete Hochparterre bereits bei einem Baustellenbesuch vor bald zwei Jahren siehe HP 10 / 08: Fünf Zentimeter dicke Zugstangen in der Kellerdecke hindern die Betonschalen daran, nachzugeben. Der Stahlanteil im Beton ist fünfmal höher als üblich. Im Innern wellt sich der eine grosse Raum in weiten Bögen. Bei einer lichten Höhe von bis zu 4,5 Metern steigt er, sinkt wieder, um sich erneut in voller Breite hinaufzuwölben. Elf unterschiedlich grosse Patios durchstanzen Dach und Boden und teilen die Raumlandschaft in helle und dunklere Zonen. Die Höfe ermöglichen den Blick durch und über das Dach, vom «Hügel» am einen Ende des Raumes bis zum «Tal» am anderen. Aber auch hinaus: in die ruhigen Kieshöfe, hinüber zu den alten Hochschulbauten, bis auf die schneebedeckten Alpengipfel jenseits des Lac Léman.
Gestraffte Ausführung
Ein Blick auf den Grundriss zeigt, was sich zwischen Wettbewerbsentwurf und Bau verändert hat. Der Plan wirkt straffer, aufgeräumter, ohne an exotischer Wunderlichkeit verloren zu haben.
Manche Zeichenkürzel müssen selbst erfahrene Planleserinnen erst deuten. Die Patios, an Luftblasen unter einer Eisfläche erinnernd, sind jedoch generell kleiner geworden — die Armierungseisen brauchten Platz. Viele kleine Höfe wurden gestrichen. Weitere blasenartige Formen umschreiben als raumhohe Glaswände Besprechungszellen oder als nach oben offene Gipskartonboxen-Büroräume. Die «Hügellandschaft» ist folgerichtig mit Höhenlinien dargestellt. Im Wettbewerbsplan waren auf den «Hängen» noch Tische und Stühle verteilt, die finden sich nun konzentrierter auf Zonen in den «Talböden» oder liegen erhöht auf Podesten, die hier und da eine «Kuppe» vergrössern. Waren einst die nach oben führenden Wege mit Strichelchen nur zart angedeutet, verbinden sie nun, als markante und raumbestimmende Rampen, im Zickzack die wichtigsten Orte miteinander, unterstützt von drei Schrägliften. Die von SANAA bevorzugte Farbpalette bestimmt auch ihr Werk in Lausanne: weisser Akustikputz an der Decke, weiss gestrichene Einbauten aus Gips und ein durchgehender hellgrauer Nadelfilzteppich am Boden. Materialsinnlichkeit ist nicht ihr Thema.
Es gäbe viele Einsparungswunden, in die ein Kritiker seine Finger legen könnte. Zum Beispiel die groben Rafflamellen des Sonnenschutzes oder die facettierten Glaskurven der Besprechungszellen. Dagegen zeigen die gerundeten Scheiben beim Eingang der Lounge der Credit Suisse — ein weiterer Sponsor —, wie es geht, wenn man Geld hat.
Dass das RLC für Behinderte nicht nutzbar sei, bewegte die Gemüter schon früh. Gegen das Baugesuch reichten Behindertenverbände Einsprache ein und forderten, das öffentlichste Gebäude einer Hochschule müsse in der heutigen Zeit behindertengerecht gebaut werden. Die EPFL und die Verbände setzten eine Vereinbarung auf und passten das Projekt an. Die wichtigen Orte sind nun sämtlich über horizontale oder flach geneigte Ebenen erreichbar. Neben den Rampen und Aufzügen für Mobilitätsbehinderte zerschneiden Leitlinien für Sehbehinderte die Nadelfilzfläche.
Raumerlebnis nicht für alle
Ein Eingriff ist aber grundlegend: In der Vereinbarung verpflichtet sich die Hochschule, die schrägen Flächen, die für Rollstuhlfahrer zu steil sind, unzugänglich zu machen. Hierfür seien Elemente in der Formensprache des Projekts vorzusehen, genannt werden zum Beispiel Trennwände oder Pflanzen. Bei der Inbetriebnahme am 22. Februar standen sie noch nicht. Sie sich vorzustellen, fällt schwer, sind es doch gerade die fliessende Offenheit des Raums, die überraschenden Wege, von denen das Haus lebt. EPFLSprecher Nicholas Henchoz bestätigt, dass man über geeignete Abtrennungen nachdenke, um eine Gleichberechtigung herzustellen. Die an der Hochschule beschäftigten Gehbehinderten fühlten sich ausgeschlossen, weil sie bestimmte Wege nicht nutzen könnten.
Aber, so betont Henchoz, es brauche Zeit, um den Umgang mit diesem neuartigen Raum zu erlernen, das betreffe auch die Behinderten. Die offizielle Eröffnungsveranstaltung habe man auch daher erst für Ende Mai geplant.
Raum braucht Beinkraft
Die Studenten und die Mitarbeiter der Hochschule haben ihr neues Haus in Besitz genommen. Der Ansturm an den ersten Tagen war ebenso gross wie die Neugierde. Die Studierenden werden sich kaum an irgendwelche Absperrungen halten. Zu reizvoll ist der Gang über die Hügel, das Erlebnis, diese ungewohnte Indoor-Landschaft zu erkunden. Der Raum — und das ist die grosse Überraschung — funktioniert im Gebrauch besser als auf den Fotos. Die Raumlandschaft ist physisch, sie verlangt vom Nutzer körperlichen Einsatz. Man spürt seine Waden, wenn man länger auf einer der schrägen Flächen steht — zur Unterhaltung setzt man sich einfach auf den Boden oder lehnt zurück und geniesst die Übersicht. Es ist schade, dass Menschen im Rollstuhl diese Erfahrungen nicht machen können. Schaut man jedoch auf die enorme Kraft und Neuartigkeit dieses Raumes, kommen einem kaum Restriktionen in den Sinn, sondern Möglichkeiten: Die junge Generation nimmt die «Hügel» in Besitz, erfindet im grossen offenen Raum, in dem nichts im Verborgenen geschieht, neue Formen der Begegnung, der Bewegung, der Solidarität. Und bezieht Behinderte dabei selbstverständlich mit ein. Hoffentlich bleibt das kein blosses Bild.
«Das Gebäude erzeugt Behinderungen»
Für die Schweizer Behindertenverbände ist das Learning Center diskriminierend. Sie reichten Ein Sprache ein und setzten zahlreiche Anpassungen durch. Hochparterre sprach mit Joe Manser, dem Geschäftsführer der Fachstelle für Behindertengerechtes Bauen.
Wie beurteilen Sie das neue Learning Center der EPFL?
Das Gebäude ist nicht nachhaltig, weder in ökologischer, ökonomischer, noch in sozialer Hinsicht. Das Raumprogramm hätte man mit der Hälfte des Volumens und Geldes bauen können. Für Menschen mit einer Seh- oder Gehbehinderung ist das Gebäude schwer nutzbar. Die steilen Schrägen und weiten Distanzen sowie die komplexe Orientierung erzeugen Behinderungen bei der Nutzung.
Während dem Bewilligungsverfahren hat die Fach stelle mit anderen Behindertenorganisationen Einsprache eingereicht. Mit welchem Ergebnis?
Der Bau ist ein Flickwerk, wie wir es von einem bestehenden Gebäude kennen, nicht von einem Neubau. Die mäandrierenden Rampen und langsamen Schräglifte werden Mobilitätsbehinderten keine gleichwertige Nutzung ermöglichen. Sie brauchen täglich mehr Kraft und Zeit, um beispielsweise ins Café zu kommen.
Hat die EPFL neben diesen baulichen Anpassungen auch mit veränderten Nutzungen auf Ihre Einwände reagiert?
Der Entwurf sieht eine Hügellandschaft vor, über die man kreuz und quer gehen kann — was für einen «Modulor-Menschen » auch stimmt. Auf den Vorwurf der Diskriminierung sagte die EPFL: Die wichtigen Verbindungswege sind auch für Behinderte möglich, mit Lift oder Rampe, der Rest, also alle anderen Schrägen, sei sowieso nicht begehbar. Die Frage, mit welchen Mitteln das umgesetzt wird, blieb offen.
Wenn diese Absperrungen nun den Charakter des Raums zerstören, was sagen Sie dann?
Ich sage: Der Vorschlag kam nicht von uns.
Ist die Einschränkung aller besser als die Benachteiligung weniger?
Das ist eine grundsätzliche Frage: Dürfen Diskriminierungen aus rein gestalterischen Gründen legitimiert werden? Ich hatte den Eindruck, schon die Jury ging mit dem Thema Behindertengerechtigkeit nachlässig um. Es ist Mode geworden, dass man sich in einem Gebäude nicht nur horizontal bewegt. Das mag für eine Expo oder ein Museum in Ordnung sein, aber hier geht es um das tägliche Leben, um die für behinderte Menschen besonders wichtige Ausbildung. Gerade für eine Ausbildungsstätte wird hier ein völlig falsches Zeichen gesetzt.
Wie viel Prozent der EPFL-Studenten und Mitarbeiter sind behindert
Das ist irrelevant. Menschenrechtlich gesehen ist egal, ob Sie einen Menschen diskriminieren oder viele.
[Joe A. Manser, Architekt, Geschäftsführer Schweizerische Fachstelle für Behindertengerechtes Bauen.]hochparterre, Do., 2010.04.15
15. April 2010 Axel Simon
verknüpfte Bauwerke
Rolex Learning Center
Kniefall vor dem Hochhaus
Die Diskussion über den 180 Meter hohen Turm der Roche fällt Basel schwer.
Schon einmal planten Herzog & de Meuron für den Pharmakonzern Roche ein Hochhaus: 154 Meter hoch und auffällig geformt wie eine Doppelhelix. Dieser «Bau 1» hätte auf dem Südteil des Roche-Areals an der Basler Grenzacherstrasse entstehen sollen. Weil das Raumprogramm nicht genügte, begrub Roche den «Bau 1» aber Ende 2008. und liess ihn Ende 2009 auferstehen: Am selben Ort, aber mit 175 Metern noch höher. Im März reichte Roche den Bebauungsplan für das Projekt ein, der gar 180 Meter zulässt siehe «Der Bebauungsplan». In den ersten Etagen liegen Foyers, Restaurant und Auditorium, darüber Büros. Wieder sind Herzog & de Meuron die Architekten. 180 Meter sind ein massiver Höhensprung für Basel: Fast das Doppelte des 105 Meter hohen Messeturms, des bisher höchsten Baus, 100 Meter höher als die Türme der Sechziger- und Siebzigerjahre, das Zehnfache des durchschnittlichen Stadtkörpers. Roche begründet die Höhe funktional: Sie ergebe sich aufgrund der 1900 neuen Arbeitsplätze, die es auf dem Areal brauche, um bisher verteilte Mitarbeiter zu konzentrieren; ein Einzelturm sei dafür die funktional beste Lösung. Städtebaulich wird die Höhe nicht thematisiert. dies spiegelt die Architektur: die Stapelung von Geschosspaketen soll die Horizontale betonen und damit die Höhe optisch drücken. Wie mächtig der Turm aufstrebt, zeigt sich aber am «Bau 52» von Roland Rohn: Er wirkt trotz 62 Metern Höhe wie ein davor gestellter Dominostein; der Abstand beträgt nur fünf Meter. Der Innenstadt dreht der Turm zwar die schmalere Seite zu, doch sieht man ihn aus der Stadt meist über Eck, also breiter. Vom Rheinufer gegenüber aus ragt er als gewaltiger Stapel auf.
Gespiegelte Macht
«Sind 175 Meter zu hoch für Basel?», fragte Hochparterre zwei Basler Architekten siehe HP 03 / 10. Meinrad Morger findet die Höhe vertretbar, denn das Areal liege ausserhalb der Innenstadt und die Distanz zum historischen Münsterhügel sei gross genug. Ingemar Vollenweider ist anderer Meinung: «Aufgrund der gebogenen Stadtanlage am Rhein wäre der Turm immer von überall sichtbar. Darf ein einziges Haus das Wesen der Stadt so verändern, spiegelt dies die Machtverhältnisse: Nur Novartis und Roche können die Stadt derart prägen. Basel setzt aber seine Identität aufs Spiel, wenn es die Realität des globalen Markts so direkt abbildet.» Im selben Sinn meldet sich Carl Fingerhuth zu Wort. Er war von 1979 bis 1992 Basler Kantonsbaumeister und äusserte sich seither nicht mehr zu Basel, doch das Roche-Projekt bewog ihn zu einem Leserbrief. Anscheinend habe ein Bauherr einen Anspruch darauf, sein Raumbedürfnis in unbeschränkter Höhe zu realisieren und habe das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet, sei es heilig gesprochen siehe Kommentar. Fingerhuth kritisiert auch die Fachverbände, die sich nicht zum Projekt äusserten. Tatsächlich wollten weder die Basler SIA-Sektion noch die Basler Ortsgruppe des BSA Stellung nehmen. Das Roche-Hochhaus sei politisch und baurechtlich nicht umstritten, begründet Alfred Hersberger, Präsident des SIA Basel.
Man habe zurzeit andere Prioritäten, etwa die Zonenplanrevision. In deren Rahmen sei aber die Diskussion darüber notwendig, wo, wie viele und wie hohe türme Basel vertrage. Der BSA Basel will mit einer Stellungnahme warten bis zur Mitgliederversammlung im April, für die geplant ist, das Projekt mit den Architekten und dem Kanton zu diskutieren. Schon über die Doppelhelix debattierten die Fachverbände kaum, obwohl der Höhensprung ähnlich gewesen wäre. Was erschwert die Diskussion? Im Gespräch mit Architektinnen und Architekten festigt sich der Eindruck, die Wirtschaftsmächte färbten auf sie ab. Viele erhoffen sich ein Stück vom riesigen Auftragskuchen und wollen dies nicht mit Kritik gefährden; auch bei diesem Artikel zog ein Architekt seine Aussagen deswegen zurück. Man fürchtet auch dazustehen, als vergönne man Herzog & de Meuron den Erfolg. Dazu kommt das Prellbock-Syndrom: Könnte ein Vorhaben umstritten sein, engagieren Auftraggeber berühmte Architekten, um die Qualitätsdiskussion im Vornherein zu unterdrücken. Ein weltweites Phänomen; an dieses Vorgehen erinnerten in Basel neben dem Roche-Turm auch die Projekte von Herzog & de Meuron für die Messe oder für das Museum der Kulturen.
Hochhauskonzept verlangt
Ist Städtebau in Basel also die Sache von Novartis, Roche, der Messe und Herzog & de Meuron? Esther Weber Lehner, Basler SP-Grossrätin, wägt ab: «Das Basler Stadtgebiet ist eng begrenzt. Wenn wir wollen, dass sich Firmen hier trotzdem entwickeln können, sollten wir ihnen wenn immer möglich nicht im Weg stehen.» Ob das Roche-Hochhaus städtebaulich verträglich sei, müsse aber diskutiert werden. Der richtige Zeitpunkt dafür komme, wenn der Bebauungsplan in der Bau- und Raumplanungskommission BRK behandelt und dann dem Parlament vorgelegt werde. Weber, Mitglied der BRK, hatte 2009 mit weiteren Grossräten eine Anfrage an den Regierungsrat eingereicht, ein Hochhaus-Konzept zu erarbeiten siehe «Hochhäuser in Basel». Denn «bestehende und geplante Hochhäuser scheinen eher zufällig über die Stadt verstreut, den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit und der einzelnen Bauherren entsprechend. » Es sei grundsätzlich zu überlegen, welche Stadtgebiete sich als Hochhauszonen eignen, damit die Entwicklung Basels nicht unkoordiniert durch weitere Hochbauten erfolge.
Hochbauten sollten eher in Gruppen denn als Einzelwerke im Stadtbild erscheinen. Fehlt eine wichtige Stimme: Kantonsbaumeister Fritz Schumacher. Er hält die 180 Meter für möglich, weil der Turm im Zusammenhang eines Areals stehe, einer Stadt in der Stadt. Die Gebiete von Roche und Novartis bildeten gewachsene Ausnahmesituationen und den städtebaulichen Ausdruck dessen, dass die Chemie wirtschaftlich lebenswichtig sei für Basel. Zudem: «die Projektstudien ergaben, dass ein Einzelturm weniger markant wirkt als etwa eine Serie von 100-Meter-türmen.» 180 Meter dürften nicht zur Referenz für Kommendes werden, aber: «Höher und dichter zu bauen, ist die Aufgabe der Zukunft in europäischen Städten.» architektonisch bemängelt Schumacher nichts; wichtig sei, dass der Turm zurückversetzt vom Rhein stehe, das mildere seine Wirkung auf die Stadt. Inzwischen existiert das Hochhaus-Konzept, der Kanton will es als Teilrevision des Richtplans im Herbst öffentlich auflegen. Das Projekt für den «Bau 1», obwohl später begonnen, liegt aber bereits vor. Aufgrund seiner singulären Höhe wird er als Einzelobjekt erscheinen, genau was die Grossräte verhindern wollten. Zuerst das Projekt, dann das Konzept — die verkehrte Reihenfolge. Kantonsbaumeister Schumacher widerspricht: «Über eine ähnliche Höhe diskutierten wir beim ersten Roche-Projekt. Das floss ins Konzept ein, der neue Turm widerspricht ihm darum nicht. Er schafft auch kein Präjudiz, weil diese Höhe die Ausnahme bleibt.»
Und die Architekten?
Ist die Diskussion damit zu Ende? Nein, das bestätigt selbst die Reaktion von Herzog & de Meuron auf die bisher geäusserte Kritik: «Es ist nur logisch, dass ein solches Projekt kontrovers diskutiert wird — das sollte es auch.» Man habe das Projekt ausführlich erklärt und begründet, mehr könne man im Moment nicht sagen. In der weiteren Planung werde man aber sicher vertiefte Überlegungen zur architektonischen, räumlichen und städtebaulichen Konzeption präsentieren. «Wir sind uns der Verantwortung eines Projekts, das eine Stadt nachhaltig prägt, sehr bewusst und bereit, die architektonischen und städtebaulichen Herausforderungen anzunehmen. Es bewegt sich viel in Basel. Einige Hoch-Häuser werden gebaut. Dass dazu aus Fachkreisen und der Bevölkerung verschiedene Meinungen kommen, können wir sehr gut respektieren, besonders natürlich, wenn es sich um differenzierte Äußerungen handelt.» der Turm wird Basel markant verändern. Genügt dafür die Architektur? Ist die Höhenentwicklung erwünscht und wohin führt sie? Würde dies nicht öffentlich diskutiert, wäre es für Basel ein Armutszeugnis. Vom Grossen Rat sind angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse kaum kontroverse Meinungen zu erwarten. Umso mehr sind die Architektinnen und Architekten, die Fachverbände als Experten gefragt. Herzog & de Meuron zeigen sich gesprächsbereit und offen sollte auch die Roche sein als Konzern, der der Stadt viel gibt, aber noch mehr von ihr erhält.
Der Bebauungsplan
Die Grenzacherstrasse trennt das Roche-Areal in einen Nord- und einen Südteil. Der Südteil umfasst neu drei Baufelder. Auf Baufeld 1 liegt der «Bau 1», der künftige Turm. Teil 2 bildet der Gebäudekamm am Rhein, der «frühestens 2025» einer Freifläche weichen soll, wozu wieder ein Bebauungsplan nötig ist. Teil 3, der Direktionstrakt von Salvisberg, soll stehen bleiben. Roche will weitere erhaltenswerte Gebäude inventarisieren, darunter den «Bau 52» von Roland Rohn. Der Bebauungsplan für den «Bau1» lag im März öffentlich auf und gelangt nun in Kommission und Parlament. Er erlaubt 180 m Höhe und 77 000 m©˜ oberirdische Bruttogeschossfläche.
Hochhäuser in Basel
Bisher gab es kein Leitbild. Im rahmen der Zonenplanrevision erarbeitet das Hochbau- und Planungsamt jetzt einen Teilrichtplan Hochhäuser. Er soll noch dieses Jahr öffentlich aufliegen. Basis dafür ist das Hochhauskonzept, welches das Amt 2009 der Fachwelt vorstellte. Der kantonale Richtplan enthält ein Objektblatt zu Hochhäusern. Dessen Karte weist geeignete Hochhausgebiete aus, darunter das Roche-Areal und zwei Teilbereiche des Novartiscampus. Die Karte des Teilrichtplans Hochhäuser wird sich davon nicht wesentlich unterscheiden. > www.richtplan.bs.ch
Kommentar GEWALTTÄTIG UND RESPEKTLOS
Ein Leserbrief zu «sind 175 Meter zu hoch für Basel?» in Hochparterre 03 / 2010
Meines Wissens war dies der erste kritische Beitrag zu diesem Projekt, das vor Monaten publiziert wurde. Das grosse Schweigen der Fachwelt dazu irritiert mich in hohem Mass. Es handelt sich um das gewalttätigste und respektloseste Projekt, das in der Schweiz je präsentiert wurde — und es handelt sich nicht um eine Utopie, es sieht nur so aus. «Respekt» definiert mein Fremdwörterbuch als «Sichumsehen» und «schuldige Achtung». Fehlt dies, wird ein Vorhaben «gewalttätig». Soll dieser Bau zur exemplarischen Vorgabe für den Städte baulichen und architektonischen Umgang mit den Schweizer Innenstädten werden — in Zürich im Seefeld, in Genf hinter dem Jet d’Eau, im Tessin zwischen Locarno und Ascona? Ich muss zur Kenntnis nehmen: Hat ein Bauherr ein Raumbedürfnis, dann hat er anscheinend auch einen Anspruch darauf, dieses in einer unbeschränkten Höhe zu realisieren, und wenn das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet hat, ist es heilig gesprochen. Offenbar überlegt die Basler Ortsgruppe des BSA noch, eine öffentliche Diskussion zum Thema durchzuführen, die Basler Sektion des SIA lässt nichts von sich hören. Damit diskreditieren sich die Architekten derart, dass sie keinen Anspruch mehr haben dürfen, wichtige Partner bei der Suche nach Baukultur zu sein. Dann können wir alle Gestaltungsbeiräte abschaffen und die Schweiz zur grössten europäischen Hochhauszone erklären, was für viele Investoren alles einfacher machte und vielen nach Selbstverwirklichung hungrigen Architekten die Gelegenheit gäbe, endlich das ersehnte eigene Hochhaus zu bauen.
[Prof. Carl Fingerhuth, Zürich]hochparterre, Do., 2010.04.15
15. April 2010 Rahel Marti
Erstling auf den zweiten Blick
Das Schulhaus gibt drei kluge Antworten auf die zentralen Fragen des Wettbewerbs. Zuerst der Ort. Indem die Architekten ihren Kubus an eine der Quartierstrasse folgenden Geländekante setzen, gehen sie geschickt auf die schwierige Topografie des Baugrundes ein. So entsteht ein kleiner Vorplatz zur Strasse hin, die Würfelform sorgt zusätzlich für einen eigenständigen Auftritt. Zweitens der Grundriss. Die Architekten platzieren den Mehrzwecksaal und die Technikräume ins halb im Hang liegende Sockelgeschoss und machen ihn über eine Aussentreppe autonom zugänglich. Sie spielen so das Strassen- und Obergeschoss für reine Schulnutzungen frei. Der Clou ist, dass die zentral angeordneten Gruppenräume zwar keinen Fassadenanschluss haben, aber trotzdem Tageslicht geniessen. Die Erfindung liegt im Schnitt: Zwei kreisrunde Oberlichter über den unteren bringen auch von der Seite her Licht in die oberen Gruppenräume. Drittens die Fassade. Die Verkleidung der Holz-Elementfassade ist einfach, aber effektvoll. Wein - rot gestrichene, stehende Tannenholz-Latten sind jeweils einmal leicht nach innen und einmal leicht nach aussen geknickt. Die abwechselnde Anordnung ergibt in der Serie einen faszinierend flirrenden Holzteppich, der den Kubus rundherum einhüllt. Die abgerundeten Ecken verleihen zusätzlichen Schwung und Eleganz.
Das Schulhaus Büttenen zeigt, dass gute Architektur nicht spektakulär sein muss und dass sie durch den klassischen offenen Wettbewerb entsteht, in diesem Fall sogar durch einen Gesamtleistungswettbewerb. Der Bau zeigt aber auch, dass Baukunst sich sehr wohl in eine mengen Kostenrahmen bewegen und dabei auch die Ansprüche der Nachhaltigkeit erfüllen kann: Mit Baukosten von 491 Franken pro Kubikmeter (BKP 2) ist das Schulhaus satte 303 Franken pro Kubikmeter günstiger als Christian Kerez’ bereits weltberühmte Schule in Leutschenbach siehe HP 10 / 09. Einziger Wermutstropfen: Räumlich hält das Haus nicht ganz, was der Grundriss und der Schnitt verspricht. Die geschickte Grundrissorganisation geht teilweise zulasten der Raumqualitäten.
Die Gänge und Arbeitsnischen rund um die Klassenzimmer sind überall ein bisschen knapp bemessen. Dem Foyer beispielsweise würde man mehr Atem wünschen, auch trägt die Zweigeschossigkeit der Gruppenräume weniger zur Raumqualität bei, als man erwarten würde.hochparterre, Do., 2010.04.15
15. April 2010 Roderick Hönig