Editorial

Die Zeit war knapp in Lustenau: Das neue Schuljahr stand vor der Tür und der Gemeinde fehlte Raum für einen Kindergarten und zwei Volksschulklassen. Die Zeit war auch knapp in L’Aquila: Der nächste Winter näherte sich mit großen Schritten und die Erdbebenopfer wohnten in Notunterkünften. Es sind dies Situationen, die finanzierbare, rasch realisierbare und meist wieder demontierbare Zwischenlösungen einfordern.

Sicher dachte man in Lustenau zuallererst an einen Metallcontainer als Übergangslösung. Das Argument der Nachhaltigkeit und der Wertschöpfung

im eigenen Ort aber überzeugte die Gemeindeobersten und ein Holzbau wurde in nur drei Monaten inklusive Planung realisiert. In L’Aquila war die Situation viel brenzliger. Es ging um rund 70.000 Menschen, die ihre Häuser verloren hatten. Bereits einen Monat nach dem Erdbeben schrieb der italienische Zivilschutz die Planung und Errichtung von 150 Wohnbauten international aus. Die schnelle Bauabwicklung, die rasche Verfügbarkeit und die Nachhaltigkeit sprachen für Holz als Baustoff, sodass im Endeffekt über die Hälfte der Häuser in Holzbauweise errichtet wurde.

Beispiele von ganz unterschiedlicher Größe, Funktion und gesellschaftlichem Hintergrund haben wir für diesen Zuschnitt ausgewählt. Sie sollen zeigen, dass der Baustoff Holz in mehrfacher Hinsicht nachhaltige Antworten auf räumliche Notsituationen zu bieten hat oder, wie Otto Kapfinger es im einleitenden Essay formuliert, dass »jene Zeiten und Epochen, in denen rasches Reagieren auf Elementarereignisse (…) geboten war, prompt die Qualitäten des Holzbaus zur Geltung brachten: Schnelligkeit, Einfachheit, Verfügbarkeit, Leichtigkeit, Beweglichkeit – und Behaglichkeit sogar im Provisorischen«.

Für L’Aquila wurden innerhalb kürzester Zeit knapp 11.000 Kubikmeter Brettsperrholz produziert, von Österreich nach Italien transportiert und vor Ort zusammengebaut. Allein aus technischen Gründen wäre das vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Die Wohnbauten sind also Ausdruck des technischen Fortschritts und der Beweis, dass das Zeitalter der Holzbaracke hinter uns liegt. Bis heute assoziiert man mit »Notbehausungen« aus Holz diese Baracken. Auch wenn die Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sie als »äußerst gemütlich« empfanden, prägten sie das Image des Holzbaus über Jahrzehnte negativ. Die hier gezeigten Beispiele haben nichts mehr mit der Holzbaracke gemein, sie erfüllen alle Standards, die man von einem modernen Gebäude erwartet.

Neben der zeitlichen Not gibt es natürlich auch die finanzielle. Nicht überall kann man sich fertig abgebundene, vielleicht sogar schon wärmegedämmte Wand- und Deckenelemente leisten, ja nicht einmal vorstellen. Dieser Zuschnitt spannt deshalb den Bogen von hoch technisierten, vorfabrizierten Lösungen hin zu einfachen Konstruktionen wie die »Schmetterlingshäuser« in Thailand. Im ersten Fall werden die Bauelemente mit einem hohen Vorfertigungsgrad fabriziert und auf der Baustelle in kürzester Zeit montiert, im zweiten Fall können die Betroffenen selbst anpacken und mitbauen.

Das »Katrina Furniture Project« zeigt zudem, dass die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen rund um den Werkstoff Holz sogar hilft, Lebensumstände langfristig zu verbessern. Menschen aus New Orleans lernten, aus dem Material ihrer zerstörten Häuser Möbel herzustellen und so ihr Einkommen zu generieren. Der Baustoff Holz hat eben auch eine soziale Komponente. Kein Wunder also, dass die Kenianerin Wangari Maathai 2004 den Friedensnobelpreis dafür erhielt, dass sie seit über dreißig Jahren Saatgut verteilt. Sie instruiert die Frauen in den von Dürre geplagten Dörfern, neue Bäume anzupflanzen, damit sie Brennholz, Futter und Baumaterial haben und ihre soziale Not gelindert wird.

Anne Isopp

Inhalt

Zum Thema

Editorial
Text: Anne Isopp

Essay – Not, Naht und Zimmerei
Text: Otto Kapfinger

Themenschwerpunkt

L’Aquila – Ein Augenzeugenbericht
Text: Monica Pelliccione

L’Aquila – Lösungen mit Zukunft
Text: Eva Guttmann

Geglückte Verbindung – Holzbau in Italien
Text: Georg Binder

Ein Holzbau macht Schule – Kinderpavillon in Lustenau
Text: Ulrike Haele

Nachhaltig helfen – Entwicklungsarbeit mit Holz
Text: Kerstin Kuhnekath

Box mit Stimmvolumen – Temporäres Theater in Iasi, Rumänien
Text: Karin Triendl

Operative Architektur – Zur Geschichte transportabler Holzbaracken
Text: Axel Doßmann, Jan Wenzel, Kai Wenzel

In Entwicklung – Module für den Notfall
Text: Christian Aulinger, Mark Gilbert, Georg Kogler

Vom Haus zur Kirchenbank – New Orleans – vier Jahre danach
Text: Anne Isopp

Fast nichts
Text: Hans Ibelings

Wertschöpfungskette – Wenn der Wald Gesichter bekommt
Text: Gregor Grill

Österreichische Holzbaupreise 2009
Seitenware – Wie ausgehöhlt
Text: Anne Isopp

Holzrealien

Lämpchen hüpf
Text: Michael Hausenblas

Zeitzonen
Text: Michael Hausenblas

Pinocchios Schreibblock
Text: Michael Hausenblas

Hast Du Töne?!
Text: Michael Hausenblas

Holz(an)stoß

Peter Sandbichler
Text: Stefan Tasch

Not, Naht und Zimmerei

(SUBTITLE) Essay

Krisen, Notfälle setzen überkommene Muster – die Normalität – außer Kraft, erzwingen Improvisation, erfordern Innovation. Das Bauen und Werken mit Holz, das Fügen schützender Wände, Schirme, Dächer stand am Beginn unserer Kultur, und jene Zeiten und Epochen, in denen rasches Reagieren auf Elementarereignisse, auf gefährdete oder krass veränderte Lebensbedingungen geboten war, brachten prompt die Qualitäten des Holzbaus zur Geltung: Schnelligkeit, Einfachheit, Verfügbarkeit, Leichtigkeit, Beweglichkeit – und Behaglichkeit sogar im Provisorischen.

Die bewährte Lösungskapazität in Problemlagen – Pölzungen für fragile Decken, Gewölbe; Gerüste zur Reparatur bröckelnder Gesimse; Baracken als temporäre, billige Wohnstätten – all das und mehr formt einerseits das traditionell positive Bild von Holz als Nothelfer, enthält andererseits auch die Kehrseite der Medaille: die historisch verfestigte Konnotation mit Zwangslagen, Provisorien, Mangelwirtschaft. Im semantischen Profil des Begriffs »Baracke« ist diese Doppeldeutigkeit klar. Noch im 19. Jahrhundert eher positiv besetzt, ist er durch die Erfahrungen der Kriegswirtschaft, der rassischen und politischen Vernichtungslager des 20. Jahrhunderts heute eindeutig negativ. Wenn mit ökologisch handfester Begründung und aufgrund aktueller Beispiele eine Revision jener Klischees ansteht, die Holz-Siedlungsbau generell als Filigran- und Mangel-Technologie einstufen, kann eine Besinnung auf alternative Bedeutungsstränge und innovative geschichtliche Beispiele hilfreich sein.

Ein lokales, immer noch faszinierendes Vorbild sind die revolutionären Jahre der Wiener Siedlerbewegung nach 1918. Hungersnot in Wien und Mangel an allem führten zur massenhaften »Landnahme« in vorher feudalen Grünräumen, zur Anlage von Nutzgärten für die Selbstversorgung, zur Entwicklung neuer städtebaulicher und bautypologischer Siedlungskonzepte: Modellanwendungen »wachsender Häuser«; neue Kombinationen von Holz- mit Massivtechniken, von professioneller Ingenieurplanung mit handwerklicher Eigenleistung; Schaffung robuster Systeme zur Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe, zur sozialen und wirtschaftlichen Autonomie von Lebensräumen.

Das legendäre Beispiel war Adolf Loos’ Patent »Haus mit einer Mauer«, 1921 im Rahmen seiner Arbeit für das Siedlungsamt konzipiert und damals nur sporadisch realisiert, Jahrzehnte später eine zentrale Referenz der Pionierphase der Vorarlberger Baukünstler und ihrer Holzbauprojekte für junge, unangepasste Leute, die sich die üblichen Angebote der Wohnbauträger und des Baumarktes nicht leisten konnten. Loos’ Patent war und ist richtungweisend, weil es keine normierte Groß- oder Hochtechnologie braucht, sondern eine Mischung von primären und sekundären, von harten und weichen Komponenten darstellt, weil es kein fixfertiges Produkt liefert, sondern ein System mit Potenzialen der lokalen Selbstbestimmung, der individuellen Variation, der leichten Veränderbarkeit in der Zeit.

Loos fusionierte rationalistische Ingenieurtechnik mit praktischer Bricoleur-Weisheit. Und diese gewitzte, offene Konzeption verschwägerte das »Haus mit einer Mauer« mit den altjapanischen Haustypen – filigrane, in mehrfacher Hinsicht elastische Holzstrukturen, die aus der Not der Erdbebenhäufigkeit und des feucht-kalten Klimas eine Tugend machten und eine geistig-gestalterische Hochkultur in »barackenartigen« Pavillons behausten, welche die Großmeister der klassischen Moderne, von Wright, Mies und Schindler bis zu Taut, Wachsmann, Frank, Plischke und Rainer faszinierte und inspirierte.

Seit Jahrzehnten hat der iso-Metallcontainer das Feld des behelfsmäßigen, nomadischen, parasitären Behausens okkupiert. Werkstofflich und logistisch ist das ein großindustrielles, hoch determiniertes Produkt und kein systemischer Ansatz. In Erinnerung sind z.B. noch die letztlich gescheiterten Versuche von Heidulf Gerngross – einziges Resultat der nach dem Balkankrieg in Wien 1993 initiierten Ausstellung »sos Aufbau-Wohnen« –, die iso-Container gegen den Strich zu bürsten und für billige, Lowtech-/Highend-Adaptionen von Wohn-, Büro- und Läden-Clustern zu individualisieren.

Holzbauvisionäre wie Wolfgang Pöschl oder Hubert Rieß betonen dagegen, dass das Potenzial und die Herausforderung moderner Prefab- und Modultechnik in Holz darin liege, nicht das Endprodukt »Haus« zu denken – in all seinen populärkulturell versteinerten und konsumistisch gesteuerten Sehnsuchts- und Wunschfixierungen. Rieß: »Ich habe im Kosovo bei den Einsätzen der Hilfskorps und anderswo gesehen, wie falsch die technisch normativen, rationalistischen Maßnahmen und Konzepte sind. Für die Zukunft des leistbaren, ökologischen Bauens nicht nur für Randschichten oder Temporärlösungen dürfen wir nicht ,in Häusern‘ denken, sondern müssen Systeme kreieren, bei denen die technische Infrastruktur das langfristige, auch sozial-räumliche Rückgrat bildet und die andockenden Ausbauten möglichst wenig normiert und maximal elastisch sind – mit modernen Holzwerkstoffen ideal zu machen.«

In diesem Sinne wäre jetzt zu fragen: Hat die kürzlich groß angelegte Wettbewerbsserie »Neue Siedlerbewegung« in Wien Optimales erbracht? Oder: Wo sind die Nachfolgeprojekte für Spöttelgasse, Mühlweg usw.? Vielleicht hilft dazu, auch breiteren Kreisen in Erinnerung zu rufen, dass Architektur wörtlich und historisch von der Holzbaukunst, der Zimmerei stammt. Der architekton der Griechen war der oberste, der Erz-Zimmerer. Und aus dieser Einsicht formulierte Gottfried Semper, der wichtigste Exponent einer soziokulturell und werktechnisch begründeten Architekturtheorie, dass die archaische Zimmerei die Kunst war, Stäbe oder aus Gittern gebildete Flächen konstruktiv zu verbinden, zu vernähen. Und er setzte die Begriffe »Noth« und »Nath« an den Ursprung der technisch über den Mauerbau hinausführenden Zimmerei. Könnte dieses Bild nicht auch für unsere globale Notzeit des Klimawandels, der Ressourcenproblematik, der aufschnellenden Schere zwischen Arm und Reich als Leitstern dienen?

zuschnitt, Mo., 2009.12.14

14. Dezember 2009 Otto Kapfinger

Ein Holzbau macht Schule

Bildungsfragen haben Konjunktur. Quer durch Europa herrscht Aufbruchstimmung, so auch in Österreich. Ab Herbst dieses Jahres müssen etwa die Gemeinden in Vorarlberg Kindern nicht erst ab vier, sondern schon ab drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung stellen, zudem wird der Besuch des Kindergartens im letzten Jahr verpflichtend und kostenlos. Wie vielerorts mangelt es für die oft kurzfristig geänderten Rahmenbedingungen an Räumlichkeiten.

In der Rheintal-Gemeinde Lustenau, die keine Nachwuchssorgen kennt, fehlte deshalb der Raum für zwei Volksschulklassen und eine Kindergartengruppe. Als Übergangslösung wollte sie hierfür Container aufstellen und bat Architekt Hugo Dworzak, der gerade mit Prognosen für die städtebauliche Entwicklung des Lustenauer Ortsteils Rheindorf beauftragt war, verschiedene Standorte für die Container-Schule zu beurteilen. Es blieben gerade einmal drei Monate bis zum Schulbeginn im Herbst. Sein Gegenentwurf kam prompt: Anstelle der Container schlug er einen Holzbau vor. Hugo Dworzak wusste um die schnelle Verfügbarkeit des Materials im Holzland Vorarlberg und um die qualitative Hochwertigkeit der verarbeitenden Handwerksbetriebe vor Ort. Er konnte die Gemeindevertreter mit Argumenten des Raummehrwertes, der Nachhaltigkeit durch Nachnutzungsoptionen und der Bindung der Kaufkraft im eigenen Ort überzeugen.

In merz kley partner fand Dworzak Spezialisten für Tragwerksplanungen im konstruktiven Hochbau. Als Alternative zu den Containern wurde nun ein Holzbau aufgestellt – oder wie Konrad Merz es formuliert: »Hand aufs Herz, es kommt kein anderes Material in Frage! Stahl fällt außer Betracht, es sei denn, man will Fertigteile. Einen Massivbau hochzuziehen, mit der ganzen Thematik der Austrocknung, das wäre nicht opportun gewesen.« Realisierbar war das Projekt nur, weil alle an einem Strang zogen und Planungen, Entscheidungsfindungen und Genehmigungen im Eiltempo erfolgten. Von der Einreichung bis zum Beginn der Vorfertigung vergingen lediglich zwölf Tage, vom Aushub bis zum Einzug der Kinder weitere 68.

Die Konstruktion ist rasch erklärt: Auf den Punktfundamenten kommen vorgefertigte Stahlprofile als Linienlager zu liegen, darauf OSB-Bodenplatten. Entlang den Längsfassaden werden Stützen im Abstand von 2,5 Metern geschraubt. Die Verglasungselemente sind mit Laschen montiert. Zum Gang hin tragen die Innenwände. Auf den tragenden Elementen liegen OSB-Deckenplatten, das schützende, leicht auskragende Dach ist zweifach geneigt und mit Trapezblech bedeckt. In puncto Statik, Schall- und Brandschutz ergaben sich für den Interimsbau keine Erleichterungen, alle regulären Bestimmungen mussten wie gewohnt erfüllt werden.

So einfach, wie der Aufbau klingt, soll auch die Demontage werden, wenn der Pavillon in fünf bis acht Jahren seine Zukunft als Übergangsschule andernorts zubringen wird. In welcher Form, ob größer oder kleiner, wird sich weisen. Der Holzbau ist jedenfalls horizontal und vertikal erweiterbar.

Der Bau ist zweischenklig aufgebaut. Die lange Mittelhalle, eine Mischung aus Platz und Straße, verbindet und trennt den Kindergarten mit Bewegungsraum von den zwei Volksschulklassen. Sie ist ein Multifunktionsraum und zugleich die Haupterschließung. Die hellen, luftigen Zimmer sind raumhoch verglast und werden bei geöffneten Fenstern zu Veranden.

Der Pavillon ist ein bemerkenswert simples Gebäude, ein echtes Schulhaus mit einem kind- und entwicklungsgerechten Raumangebot zum Spielen, Lernen, Wachsen und Wahrnehmen. Andere Gemeinden interessieren sich bereits für den Holzbau. Gut möglich, dass er Schule macht.

zuschnitt, Mo., 2009.12.14

14. Dezember 2009 Ulrike Haele

Nachhaltig helfen

(SUBTITLE) Entwicklungsarbeit mit Holz

Hilfsorganisationen operieren weltweit unter der Doktrin »Hilfe zur Selbsthilfe«. Die Spanne reicht von staatlichen und nicht staatlichen Organisationen über privat organisierte Hilfe bis zu institutionellen Projekten, zum Beispiel von Universitäten. Die Arbeit bewegt sich zwischen wichtiger Soforthilfe bei akuten Katastrophenfällen wie einem Tsunami und baulichen Maßnahmen, die langfristig die Lebensumstände verbessern sollen. »Hilfe zur Selbsthilfe« bedeutet vor allem beim Bauen, die vorhandenen lokalen Ressourcen und Fähigkeiten wertzuschätzen und weiterzuentwickeln, um die Kultur des betreffenden Landes aufzuwerten. Kompetenzen sollten gefördert und Wissen vermittelt werden, damit der Weg in die Unabhängigkeit möglich wird. Wichtig ist auch, dass der heimische Markt nicht durch die Einfuhr von Fremdrohstoffen zerstört wird, sondern nur mit vorhandenen Rohstoffen gebaut wird. Deshalb spielt neben Lehm und Stroh der Werkstoff Holz eine wichtige Rolle.

Auf dem Feld der Hilfsprojekte nahm in den letzten Jahren die studentische Aktivität zu. An der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens gründeten die beiden Studenten Yashar Hanstad und Andreas G. Gjertsen im Jahr 2007 die Organisation tyin tegnestue. Die Gruppe, deren Kern aus fünf Studenten besteht, setzte seitdem vier Projekte in Thailand um. Ihr erstes waren die »Soe Ker Tie Houses« (Schmetterlingshäuser) in dem nahe der thailändisch-myanmarischen Grenze gelegenen Dorf Noh Bo, das größtenteils von Karen-Flüchtlingen bewohnt wird. Der Auftrag, ein Waisenhaus zu erweitern, kam 2008 vom Norweger Ole Jørgen Edna, der dieses zwei Jahre zuvor gegründet hatte. Innerhalb von sechs Monaten entwarf und errichtete tyin tegnestue zusammen mit den Einheimischen sechs kleine Gebäude als Schlafeinheiten und verdoppelte damit die Kapazität des Heimes von 24 auf 50 Wohnplätze. Man habe die Kinder bei den Zeichnungen und Modellen mitarbeiten lassen, erklärt Yashar Hanstad. So weisen Architektur und Bauweise lokale Elemente auf, gemischt mit dem Einfluss der europäischen Helfer. Den Namen »Schmetterlingshäuser« erhielt das Projekt aufgrund der Dachform, die an ein asymmetrisches umgekehrtes Satteldach erinnert, das schräg nach vorne und hinten weit auskragt. Die Form dient der Luftzirkulation und damit der Kühlung im Sommer sowie dem Sammeln des Regenwassers. Um der Bodenfeuchtigkeit zu entgehen, sind die Gebäude aufgeständert, die Lasten werden über Einzelfundamente aus alten Autoreifen in den Boden abgetragen.

Die Häuser sind so angeordnet, dass sie den Kindern soziale und nachbarschaftliche Interaktion ermöglichen, aber auch Räume zum Rückzug bieten.

Die Konstruktion besteht aus Bambus und Tropenholz, das aufgrund seiner außergewöhnlichen Härte als Iron Wood bezeichnet wird. Aus dem Holz wurden die tragenden Wand- und Deckenelemente vorgefertigt. Die Hauptträger ruhen auf geteilten Stützen, die durch Bolzen miteinander verbunden und fixiert sind. Der Bambus dient der Ausfachung, die in den Seiten- und Rückfassaden in der lokalen Bambus-Webtechnik ausgeführt ist. Während der Bambus nur wenige Kilometer von der Baustelle entfernt günstig geerntet werden konnte, war man bei der Beschaffung des Holzes von der Unabhängigkeitsbewegung Karen National Union abhängig.

Der Einsatz von Bambus hat in der Region eine lange Tradition, seine Bearbeitung stellte für die Bewohner keinerlei Problem dar. Im Gegensatz dazu habe man alle Holzbretter einzeln justieren müssen, da sie krumm und schief zugeschnitten worden seien, erzählt Yashar Hanstad. Deshalb wurde ein Häuschen exemplarisch zusammen mit den Arbeitern gebaut, um zu zeigen, worauf es ankommt. Den Rest bauten die Dorfbewohner alleine, nachdem die tyin-Mitarbeiter bereits abgereist waren.

In Österreich und Deutschland arbeiten Verbände wie die Caritas und andere ngos verstärkt mit Universitäten zusammen. In Österreich wird seit fünf Jahren jährlich ein Projektsemester angeboten, das den Studenten den Anreiz geben soll, eigene Projekte in Südafrika selbst umzusetzen. Für die Logistik sorgt die österreichisch-südafrikanische ngo sarch (social sustainable architecture). Die Kontakte laufen über die Organisation Education Africa. Finanziert wird das Ganze mit Spendengeldern, die Reisekosten tragen die Studenten selbst. Elias Rubin, Lehrbeauftragter an der Kunstuniversität Linz, definiert die Arbeit der Studenten denn auch nicht als Entwicklungshilfe. Es würden zwar Gebäude erstellt, die benötigt würden, aber der Grad der Nachhaltigkeit spiele nicht für alle Beteiligten eine gleich große Rolle. Die Bauaufgabe stehe im Vordergrund und dementsprechend reiche die Spanne »von österreichischen Meisterwerken bis zu nachhaltigen Bauwerken in traditioneller Bauweise«. In den letzten Jahren habe man reichlich Erfahrungen sammeln können, worauf es ankomme. Zum Beispiel werde die Instandhaltung der Ge bäude vermittelt, damit sie nach Abreise der Studenten nicht gleich verfielen. Das Wort Nachhaltigkeit leidet heute daran, dass es ständig und für jeden Zweck genutzt wird. Ob ein Gebäude aber wirklich nachhaltig hilft, zeigt sich erst nach einiger Zeit. Es geht dabei nicht nur um die Materialien und die Baustruktur, sondern auch um Fragen wie: Was braucht der Ort? Wie entwickelt sich die Situation sowohl in politischer und sozialer als auch in geografischer Hinsicht? Wie können sich die Menschen selbst aus Notsituationen heraus helfen? Die sechs Einheiten für das Waisenhaus zum Beispiel funktionieren im bauphysikalischen Sinn einwandfrei: Sie sind trocken und kühl. Aber sie reichen jetzt schon nicht mehr aus. Die Zahl der Dorfbewohner steigt ständig. Wenn sie nun von selbst anfangen, Häuser zu bauen, die nach der neuen Technik gut klimatisiert, dicht und vor Feuchtigkeit geschützt sind, kann man sagen, dass nachhaltig geholfen wurde.

[ Kerstin Kuhnekath, geboren 1977, Tischlerlehre in Düsseldorf, danach ein Jahr auf Baustellen in Tansania, hauptsächlich für eine Tischlerei in Daressalaam beschäftigt. Architekturstudium in Köln und Valencia, seit einem Jahr freie Autorin in Berlin, schreibt u.a. für Bauwelt und Baunetz ]

zuschnitt, Mo., 2009.12.14

14. Dezember 2009 Kerstin Kuhnekath

Box mit Stimmvolumen

(SUBTITLE) Temporäres Theater in Iasi, Rumänien

Das Nationaltheater in der nordrumänischen Stadt Iasi, von den österreichischen Architekten Fellner und Helmer erbaut, musste renoviert werden und suchte ein möglichst kostengünstiges Ausweichquartier. Während der Sanierung sollte das temporäre Gebäude Platz für Theateraufführungen, Serviceräume und rund 300 Zuschauer bieten. Zudem sollte es in nur drei Monaten – inklusive Planung – und mit einem bescheidenen Budget von 300.000 Euro realisiert werden.

Angelo Roventa, in Vorarlberg lebender Architekt mit rumänischen Wurzeln, nahm die Herausforderung an. Von Beginn an suchte er nicht nur nach einer formalen Lösung, sondern nach einem System, mit dem der enge Zeitplan eingehalten und das Bauwerk um die geringe Bausumme realisiert werden konnte. Moderne österreichische Holzbautechnik und die radikale Reaktion des Architekten auf die schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen machten das Unmögliche möglich.

Der minimalistische Holzbau wurde auf einem aus Ortbeton gefertigten Sockel montiert, Wände und Dach wurden aus vorfabrizierten Paneelen errichtet. Die Elemente bestehen aus Holzprofilen mit integrierter Wärmedämmung, einer zementgebundenen Holzwolleplatte als Innenansicht und einer Holzplatte mit Folie als Außenhaut.

Somit sorgen die Fertigteile neben ihrer Funktion als primäre Tragstruktur für zahlreiche Nebeneffekte: Sie erfüllen auch Anforderungen an Wärmedämmung, Schalldämmung und Brandschutz. Außen montierte Holzlatten verdecken die Stöße der schwarzen Folien und geben den Rhythmus der pragmatischen Fassadengestaltung vor.

Insgesamt 65 Paneele wurden benötigt. Jedes wiegt zwei Tonnen, die vier Hauptträger aus Brettschichtholz jeweils vier. Sie wurden in Vorarlberg vorgefertigt und mit 14 LKWs nach Rumänien geliefert. Der Rest konnte dann vor Ort in nur einem Monat von vier Männern mit einem Kran und einem Baugerüst errichtet werden.

Sobald die Zeit des Theaters abgelaufen ist, kann die gesamte Konstruktion mit wenig Aufwand demontiert werden. Das Gebäude muss nur ein neues Fundament finden, damit ihm neues Leben eingehaucht werden kann – temporäre Architektur, die trotz aller äußeren Erschwernisse Verantwortung für sich selbst trägt.

Die guten Eigenschaften von Holz kommen bei diesem Theaterbau auch akustisch zum Tragen. »Da sich unter dem Bau eine Grube befindet, ähnelt er dem Körper eines Musikinstruments, weil das Volumen wie ein großer Hohlraum funktioniert«, so der Vorarlberger Architekt.

Die stattliche Raumhöhe des Theaterbaus ergab sich aus dem beschränkten Budget und den innovativen Lösungsansätzen des Architekten. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Lösung sorgt der rund 12 Meter hohe Innenraum für das doppelte Luftvolumen und ersetzt damit teure Anlagen für Lüftungs- und Klimatechnik. Nach dem Ende der Aufführung kann ein herkömmlicher Ventilator den Raum in nur einer Stunde belüften.

Aufgrund der hohen Geschwindigkeit des gesamten Bauprozesses unterlag das Projekt auch einigen nicht vorgesehenen Änderungen. Laut Angelo Roventa sollte das Gebäude eigentlich nicht mit dem Haupthaus konkurrieren. Doch die vom Architekten vorgesehene Position der schwarzen Box wurde von den lokalen Entscheidungsträgern kurzerhand um ein paar Meter verschoben und sorgt so für eine eher unkontrollierte städtebauliche Situation hin zum angrenzenden Hauptgebäude.

Für Rumänien dürfte das provisorische Theater in Iasi eine wichtige Ausnahmeerscheinung sein. Während die Öffentlichkeit sich generell skeptisch gegenüber modernen Bauten zeigt, dient das Temporäre in diesem Fall als Alibi für eine hochwertige architektonische Intervention. Das Projekt sollte jedoch nicht als modischer Minimalismus verstanden werden, sondern eher als ein Extrem, das durch Fakten und Zahlen bestimmt wird und dadurch konzentrierte Architektur mit maximalem Effekt schafft.

Architekt Angelo Roventa versuchte, die Aufgabenstellung möglichst undramatisch und klar zu erfüllen. Es gelang ihm dabei zu zeigen, dass Holz ein Baustoff ist, der bei konsequenter Anwendung kostengünstige und logische Bauten mit einer eigenen pragmatischen Ästhetik hervorbringen kann.

[ Karin Triendl, Studium der Architektur in Innsbruck, Arlington und Delft, seit 2007 Bürogemeinschaft mit Patrick Fessler. Schreibt als freie Autorin über aktuelle Stadt(räume) und Architekturen ]

zuschnitt, Mo., 2009.12.14

14. Dezember 2009 Karin Triendl



verknüpfte Bauwerke
National Theater lasi „Sala Atelier“

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