Editorial

Für elf der thematisch klar umrissenen Heftschwerpunkte eines Jahrgangs legen wir bei der Auswahl der Bauten strenge Kriterien an. Nach sachlichen Gesichtspunkten wird objektiv beurteilt, ob und wie die Projekte für sich genommen und innerhalb des Heftkonzeptes einen diskussionswürdigen Ansatz bieten und dabei technisch wie gestalterisch überzeugen. Dabei lässt sich das subjektive Empfinden jedes einzelnen natürlich nie ganz ausblenden, und mitunter tun sich innerhalb der Redaktion erstaunlich breite Gräben auf, wenn es darum geht, Gestaltqualität und Überzeugungskraft eines Entwurfs zu beurteilen. Nicht minder erfrischend geht es schließlich zu, wenn zur Dezemberausgabe – ausnahmsweise losgelöst von jedem thematischen Rahmen – eine wirklich subjektive, sehr persönliche Wahl getroffen und zu einem Heftschwerpunkt zusammengefasst wird. Mitunter offenbaren sich dann jene Vorlieben, die übers Jahr hinweg – aus durchaus vernünftigen Gründen – zurückstehen müssen: Ein Kollege kann nicht weiter verhehlen, dass sein Herz für den Balkan schlägt, eine Kollegin gerät angesichts von Wasser und Weite ins Schwärmen über die Vorzüge des norddeutschen Flachlands, die dritte fühlt sich von Seeluft beflügelt und die vierte schließlich schwelgt nur zu gerne in bayrischen Sinnesfreuden. Jedes der vier in diesem Heft vorgestellten Projekte hat einen von uns auf eine ganz besondere Weise angesprochen, überzeugt, berührt. Allerdings: Der kritischen Betrachtung der db-Redaktion entkam keines von Ihnen. | red

Ein Museum als Dorf

(SUBTITLE) Museum Kunst der Westküste in Alkersum auf Föhr

Um dem Dorf Alkersum auf Föhr sein historisches Zentrum zurück zu geben, entschlossen sich die Architekten, das Museum Kunst der Westküste nicht als Einzelbau, sondern als kleinteiliges Ensemble mit Dorfgasthof zu realisieren. Die unprätentiösen Bauten nehmen dabei den dörflichen Maßstab auf und orientieren sich auch stilistisch unterschiedlich stark an ortstypischen Vorbildern. Entstanden ist eine überraschende, für den Ort und das Sujet der Sammlung aber angemessene und sinnfällige Einhausung.

Alkersum, ein kleines Dorf auf der Nordseeinsel Föhr. Die gesamte Insel ist gerade einmal 12 x 6,8 km groß und zählt knapp 8 650 Einwohner, wovon auf Alkersum lediglich gut 400 entfallen. Hier, am Geburtsort des Vaters des Bauherrn und Sammlers Frederik Paulsen, sollte ein neues Museum entstehen. – Doch wie baut man in einem friesischen Inseldorf zwischen reetgedeckten Backstein-Wohnbauten? Wie könnte ein zeitgemäßes »Museum Kunst der Westküste«, das Meeres- und Strandansichten von skandinavischen, niederländischen und deutschen Künstlern zeigt – darunter eher regionale Größen, aber auch Werke von Max Beckmann, Edvard Munch, Max Liebermann, und Emil Nolde – überhaupt aussehen? Erschwerend kam hinzu, dass der Bauherr recht genaue, aber nicht eben leicht miteinander in Einklang zu bringende Vorstellungen formuliert hatte: Er wollte ein Ensemble, das sich baulich und sozial in den dörflichen Kontext einfügt; ein Museum, das auf dem Stand internationaler Museen ist und einen Begegnungsort und Treffpunkt für die Dorfbewohner. Was fast nach der Quadratur des Kreises klingt, sollte im Ergebnis eine architektonische Gratwanderung zwischen »schöpferischer« Rekonstruktion und moderner Architektursprache werden.

Die Ortsanalyse führte zum Ziel

Ihrer Entwurfsarbeit stellten der Architekt Gregor Sunder-Plassmann und die Kunsthistorikerin Brigitte Sunder-Plassmann eine besonders akribische Ortsanalyse voran. Bei diversen Inselrundfahrten sammelten sie umfangreiche Eindrücke und Erkenntnisse über die Struktur der Dörfer, über Baumaterialien, Gebäudetypen und -volumen. – Beobachtungen, die sie in ihre Architektur in Form von Zitaten oder Interpretationen einfließen ließen.

Entstanden ist ein in positivem Sinne heterogenes Ensemble aus sieben Gebäuden, das die z. T. brach liegende Ortsmitte Alkersums wieder besetzt bzw. wieder herstellt. Wesentlicher Bestandteil ist dabei auch der rekonstruierte Gasthaus-Garten mit Rasenfläche, Blumengarten und fünf alten Linden, den die Gebäude umschließen. Was das Gesamtbild derzeit leider noch etwas stört, ist ein in das Ensemble und den Garten hineinragendes bebautes Grundstück; eine Arrondierung wäre hier auf jeden Fall wünschenswert.

Tradition und Moderne im Einklang

Direkt an der Hauptstraße liegen die beiden »Eingangsbauten«: Ein Gasthof, der auf den Grundmauern eines ehemaligen, leer stehenden Gasthauses errichtet wurde – um 1900 Künstlertreff und Zentrum des gesellschaftlichen Insellebens. Das Gebäude ist von Weitem nicht sofort als Neubau zu erkennen. Mit seiner Fassade aus weiß geschlemmtem, massivem Ziegelmauerwerk, gegliedert durch Gesimsbänder und Kastenfenster mit schmalen Sprossen, besitzt es eindeutig historisierende Elemente. Die Aufteilung im Innern des zweigeschossigen Baus mit einer Galerie für Wechselausstellungen folgt der Struktur inseltypischer Gasthöfe des 19. Jahrhunderts. Mit seinen schön, wenn auch eher bodenständig modern gestalteten Gasträumen wird er auch von den Dorfbewohnern angenommen und für Feste und Veranstaltungen genutzt.

Das zweite Gebäude zur Hauptstraße hin ist ein scheunenartiger Ausstellungsbau. Er steht ungefähr an der Stelle der bis 1968 vorhandenen Scheune und zitiert diese bzw. friesische Scheunenbauten im Allgemeinen mit seinem kalkgeschlemmten Mauerwerk, den angedeuteten Gesimsen und seinem herabgezogenen Reetdach. Die raumhohen Fenster, bei denen sich der seitliche Lichteinfall in den Ausstellungsraum durch innen angebrachte Faltelemente aus Eichenholz individuell, je nach Sonneneinstrahlung regeln lässt, sprechen hingegen eine eindeutige, wenn auch zurückhaltend moderne Sprache. Der Umgang mit diesen, derzeit auch an einem trüben Oktobertag geschlossenen Holzläden, muss sich allerdings erst noch einspielen.

Beide Gebäude liegen mit ihren Fundamenten unter dem Grundwasserspiegel. Da sich in den Kellern die Museumsdepots befinden, war eine aufwendige Abdichtung (schwarze Wanne) erforderlich.

Der eigentliche Eingang zum Museum befindet sich etwas versteckt zwischen dem Gasthof und dem großen Ausstellungsbau. »Schlüsselloch« nennen ihn die Architekten daher auch. Der Besucher betritt ein kleines aber großzügig wirkendes Foyer, das sich mit einer Fensterfront zum Garten öffnet. Eine weitere Verbindung zwischen innen und außen wird über den Boden hergestellt: Er ist z. T. auch innen in einer Kieselsteinpflasterung ausgeführt, die sich im Garten und vor den Gebäuden wiederfindet. Vom Foyer gelangt man sowohl ins Gasthaus als auch in den scheunenartigen Ausstellungssaal. Hier fällt nicht nur die in modernen Museen eher ungewöhnliche »Salonhängung«, sondern auch die überraschende, aber gelungene Belichtung über den »aufgeschlitzten« Dachfirst auf. Entlang des Firsts sind zudem Strahler angebracht, so dass sich Tages- und Kunstlicht mischen und es in diesem wie auch in den beiden anschließenden Ausstellungssälen jeweils nur eine Quelle gibt, aus der das Licht kommt. Dem Rundgang folgend, gelangt man über eine Verbindungsschleuse, die an ihren verglasten, mit textilem Blendschutz versehenen Schmalseiten Garten und Nachbargebäude schemenhaft erkennen lässt, erst in den einen, dann in den zweiten schlichten Ausstellungssaal. Auch diese sind als Tageslichtsäle konzipiert: Das flache Glasdach mit regulierbarem Sonnenschutz ist mit einer Kunstlichtdecke kombiniert. Alle drei Gebäude sind als zweischalige Ziegelbauten mit Kerndämmung konstruiert. Der gesamte Trakt spricht eine eindeutig moderne Architektursprache. Die Kombination von hellgrau-weiß geschlemmtem Ziegelmauerwerk mit Eichenholz und Glas schafft eine überaus angenehme Raumstimmung.

Ein zur Gartenseite hin verglaster Verbindungsgang führt den Besucher zu einem weiteren Ausstellungsgebäude, dem Umbau eines unspektakulären Backsteinhauses aus den 80er Jahren, das im 1. OG sogar nach wie vor bewohnt wird. Daran schließt ein flacher Bau für die Museumspädagogik an, der gleichzeitig die Verbindung zum zweiten Bestandsgebäude – dem letzten Bau des Ensembles – herstellt. In diesem befindet sich neben einer museumspädagogischen Werkstatt noch eine Wohnung und ein Bäckerladen aus der Zeit vor dem Museumsbau. Die Integration der bestehenden Nutzungen in das Museumskonzept war zwar relativ schwierig, spiegelt aber das Anliegen des Bauherrn, das Museum baulich wie sozial im Dorf zu verankern, gut wider. Im Gegensatz zum Verbindungsgang, der sich mit seiner Glasfront zum Garten hin öffnet, wendet sich der Flachbau für die Museumspädagogik mit einer großen Glasscheibe zur Straße, während seine Gartenseite mit sägerauen Eichendielen beplankt ist.

Am Ende des »Rundgangs« hat der Besucher ein Museum durchlaufen, das sowohl über seine Sammlung als auch über seine Architektur im Dialog mit der ländlichen Umgebung steht. Keine elitäre Einhausung für die Kunst, sondern ein Dorf im Zentrum des Dorfes Alkersum. – Und so kommt man zu dem erstaunlichen Schluss, dass im dörflichen Zusammenhang sogar eine z. T. historisierende Architektursprache die angemessene sein kann.

db, Mi., 2009.12.09

09. Dezember 2009 Ulrike Kunkel

Gästehaus in Hohenkammer

(SUBTITLE) Das Schloss-Pendant

Die Beschränkung auf wenige Materialien, die aufgrund ihrer großzügigen Verwendung und z. T. poetischer Details gekonnt zur Geltung kommen und so wohltuend Auge und Gemüt »beruhigen«, das einen beschleichende und doch wohlige Gefühl an einen Kreuzgang mit dicken alten Mauern, der gruftartige Keller als puristische Wellness-Oase: Das Tagungshotel am Schloss Hohenkammer strahlt Kraft und Gediegenheit aus. Wenn auch mit streng symmetrischen Proportionen, ist es dennoch ein idealer Ort, um Gedanken freien Lauf zu lassen.

Die Münchener Rück bewies als Bauherr schon oft ein Gespür für reizvolle Architektur. Mit dem 2002 eingeweihten, von Baumschlager & Eberle modernisierten Verwaltungsgebäude in Schwabing zeigten sie, wie ein 70er-Jahre-Bau energieeffizient in eine neue und repräsentative Bürostruktur verwandelt werden kann, ohne dabei banal oder überkandidelt zu wirken. Und auch das »Stipendiatenhaus« am Englischen Garten, das Kiessler & Partner zur gleichen Zeit umplanten und erweiterten, zeugt im Inneren von Sensibilität für Materialien und Raumproportionen.

Gleiches nun in Hohenkammer. Vor gut fünf Jahren kaufte das Unternehmen das dortige Seminarzentrum – ein Anwesen inklusive Schloss, Gutshof und Gästehaus, rund 40 km nördlich von München in dörflicher Idylle inmitten der Auenlandschaft gelegen – und lud sogleich acht Büros zu einem Architekturwettbewerb ein. Das Ensemble sollte ein in sich stimmiger und stimmungsvoller Ort für Seminare und Veranstaltungen werden (den die Münchener Rück aber nur zu ca. 20 % selbst nutzt). Zum einen ging es um die Restaurierung des Wasserschlosses mit seinen Tagungsräumen, was Hild und K Architekten übernahmen, zum anderen um eine Erweiterung mit Hotelzimmern für das bestehende Gästehaus von 1968, dessen kleine Zimmer, Konstruktion und Erschließung nicht mehr heutigem Standard entsprachen. Brückner & Brückner begeisterten Bauherrn und Jury mit ihrem Entwurf eines Anbaus, den »Symmetrie und ausgewogene, hierarchische Proportionen bestimmen« (Preisbegründung) und der sich an der Traufhöhe von Gutshof und Bestands-Gästehaus orientiert. Bis auf einen Teil wurde Letzteres zwar abgerissen, dafür schließen drei neue, großzügige Flügel, einen Innenhof bildend, an. Ein großes Entree und Foyer grenzt an der Westseite an den quadratischen Komplex. Ohne dem historischen Renaissancebau gegenüber die Schau zu stehlen, wirkt der Neubau selbstbewusst, geradezu »gleichberechtigt«. Nur die breite, hohe Mauer, die Eingangssituation und Taxiauffahrt bildet, mag im ersten Moment abweisend wirken. Konzeptionell gesehen hat sie ihre Berechtigung: Sie nimmt den Verlauf einer der früheren Mauern auf, die sich einst im Barockgarten befanden und teilweise noch vorhanden sind. Über ihr thront in symmetrischer Anordnung eine lärchenholzverschalte, grau lasierte Kiste mit großzügiger Glasfront und Geste zum Schloss. Sie wird als Empfangsraum genutzt und ist galerieartig mit dem Foyer verbunden.

Draussen sitzen

Während die Eingangsfassade für manch einen in ihrer Geometrie und Strenge fast ein wenig erhaben und monumental wirkt, relativiert das Foyer sogleich diese Stimmung: Ein Gefühl von Geborgenheit, Ruhe und Kraft, verstärkt durch den – auch ein Jahr nach Eröffnung präsenten – wohligen Geruch von Holz, überrascht den Ankömmling. Grund dafür ist ein absoluter Purismus der verwendeten Materialien: Die Wand- und Deckenkonstruktion verbirgt sich komplett hinter 1 mm dickem Roteichenfurnier. Das Holz stammt, wie auch in den Gästezimmern, von einem eigenen Wald- bestand in der Nähe Hohenkammers. Oben auf der Galerie und in den umlaufenden Hotel-Korridoren (fast schon möchte man sie Wandelgänge nennen, doch dazu später mehr) besteht der Bodenbelag aus Eichendielen. Im Eingangsbereich hingegen kontrastiert der graue Granitboden mit dem erdigen Wand- und Deckenfarbton.

Das Foyer erscheint, rein für die Nutzung als Rezeption, etwas überdimensioniert für ein 150-Personen-Gästehaus auf dem Land. Doch am Tag oder bei größerem Besucheraufkommen findet es seine eigentliche Bestimmung. Zwischen den hölzernen Raumfragmenten lässt sich Kaffee trinken, auf lederbezogenen Sitzflächen lesen, auf Kollegen warten, arbeiten oder noch besser nichts tun und die Atmosphäre genießen. Die vielen gläsernen Einschnitte in Wand und Decke machen es hell und lenken den Blick ins Grüne.

Doch weil Sonnenschein die wenn auch wenigen Bildschirmarbeitsplätze der Rezeption störten, wurde auf einzelne Stellen der Überkopfverglasung grüne, UV-beständige Folie in zwei Farbabstufungen und in Ahornblätterform geklebt – eine bewusst untechnische und kreative Art von Sonnenschutz, der nicht sofort ins Auge fällt. Ein unkonventionelles, geradezu poetisches Detail. ›

Melodisch-stiller Stelenhof

Ähnlich ungewohnt und eher wie Kunst am Bau zu interpretieren geht es im Innenhof weiter, zu dem man vom Eingang direkt durch das Foyer und einen kleinen Wechselausstellungsraum gelangt. Dort spielen über 150 unterschiedlich hohe Stelen – in ungleichmäßigen Abständen entlang den Fassaden neben- und hintereinander gereiht – eine Art stumme Melodie. Zugleich verschatten die Lärchenholz-Leimbinder die Ganzglasfassaden um knapp 60 %. An der Südseite wurde zusätzlich Sonnenschutzglas verwendet. Der Raum zwischen Glashaut und Stelen lässt sich durchschreiten, eine abstrakte Form eines Kreuzgangs? Das Gefühl stellt sich hier wie auch beim Gang durch die Flure zaghaft ein. In Wirklichkeit haben die Stelen aber noch einen weiteren, pragmatischen Zweck: Sie schützen nicht nur die Fassade des Neubaus vor Sonne, sondern verstecken auch den weniger reizvollen Altbauflügel und vereinheitlichen so das Erscheinungsbild.

Nichts als Gespenster

Dass bei dem attraktiven Innenhof Landschaftsarchitekten tätig waren, überrascht zunächst. Der Park wirkt so, als wäre seine Bepflanzung schon immer vorhanden. Derart natürlich soll es selbst nächtens zugehen: Eine dezente Beleuchtung redeten die Landschaftsplaner Architekten und Bauherrn aus, die Dunkelheit brauche auch ihren Raum, schließlich habe auch die Nacht ihre Berechtigung – klare, nachvollziehbare Worte und Ansätze. Doch schade ist es, passiert man die inneren Flure, während draußen im Hof tatsächlich Dunkelheit »herrscht«. Statt Ausblicke zu schaffen und Tiefe zu erzeugen, werfen die Glaswände lediglich das eigene Spiegelbild zurück, die Stelen dahinter sind nur schemenhaft und fast ein bißchen gespenstisch sichtbar.

Bei Tag sind die Korridore lichtdurchflutet und wirken so breiter als notwendig. Am Ende jeden Gangs kann der Blick ins Freie schweifen; große Panoramafenster schaffen fantastische Ausblicke. Dafür sind die Fenster in den Zimmern selbst recht schmal, doch wer verbringt hier seine freie Zeit im Zimmer? In den im Vergleich zum hellen Flur eher duster wirkenden Räumen könnte man wiederum eine unterschwellige Anspielung auf klösterliche Gemäuer sehen, doch das mag übertrieben sein. Auf jeden Fall wird dem Wohlfühl-Charakter kein Abbruch getan – wie in allen anderen Bereichen des Neubaus ist die Ausstattung ansprechend: Ebenfalls wurde mit Eichenfurnier geschreinert, hier in einer Dicke von 2 mm. Ein einziges Raummöbel aus Garderobe, Schränken und Nachttisch schafft gelungen die Trennung zum Sanitärbereich. Gegenüber, an der Außenwand, befinden sich u. a. Schreibtisch und Fernseher, wiederum in einem Möbelstück verbunden. Die Fenster sitzen dazu innen bündig. So erweckt die Fassade von außen aufgrund ihrer tiefen Leibungen die An- mutung historischer, voluminöser Schlossmauern. Doch altertümlich ist die Konstruktion nicht, Wände und Decken im Gästezimmer-Komplex bestehen aus Leichtbeton; in der Eingangshalle, in der eine Überbrückung von bis zu 14 m notwendig war, wurde Spannbeton verwendet.

Unter der Erde

In die Unterwelt »abtauchen« lässt es sich entweder mit dem Fahrstuhl oder über einen Abgang vom Foyer aus. Früher befand sich im UG ein Schwimmbad, aber auch heutiger Saunabereich, Fitness-, Massage- und Ruheraum bringen Erholung und Abwechslung und lassen den Gedanken freien Lauf. Mit Überschreiten der Schwelle zum UG wechseln die sonst holzbeplankten oder weiß verputzten Wände zu mächtigen, grauen Granitblöcken. Auch solche mit Schönheitsfehlern – Löchern, Flecken, fehlenden Kanten – wurden eingebaut, was den Neubau umso sympathischer und authentischer macht. Auf die Spitze getrieben haben die Architekten ihr »Weniger ist mehr«-Prinzip aber auf grandios-einfache Weise im Ruheraum; sein Boden besteht nur aus Kiesel-steinen und einigen Steinplatten in der Mitte. Es ist bewusst gewollt, mit dem Schritt nach rechts zur auserwählten, hölzernen Liege- fläche zunächst den steinigen, knirschend-unebenen Boden unter den Füßen zu spüren.

Bodenhaftung

Neubau wie Schloss werden von den benachbarten Feldern und Wäldern mit Energie versorgt: Das 2,5 km entfernt liegende Blockheizkraftwerk mit Biogas- (Kleegras) und Hackschnitzelanlage (zugeschaltet von Oktober bis Mai) produziert neben Warmwasser auch Strom. Sollte der Winter besonders rau sein, kann zusätzlich Erdgas angeschlossen werden. Den Neubau selbst temperiert eine Bauteilaktivierung, zugleich gibt es Fußbodenheizung und individuell regelbare Wandheizungen.

Bodenständigkeit bewies man auch bei den eingehaltenen Baukosten, die im »Drehen an jeder finanzmäßigen Schraube« begründet liegen. Das »schlanke Budget« ließ nur »mittleren Standard« zu, erklärt Peter Brückner. Was man dem Neubau keineswegs ansieht, im Gegenteil: Die sparsam verwendeten Materialien wirken allesamt edel und gediegen, das passt zum Ort und nebenbei auch zur Handschrift der Architekten. Zu verdanken ist es zum einen sehr guten und zugleich günstigen Handwerkerleistungen, zum anderen aber auch einer gewissen »Durchdetaillierung der Einfachheit«, so Brückner. Dem kann man getrost zustimmen, und auch bei vorherigen Bauten lässt sich dieser Ehrgeiz der Planer finden. Der Neubau reiht sich also nicht nur in die Architekturqualität der Vorgängerbauten seines Bauherrn ein, sondern passt wie gewohnt auch zum Portfolio des Architekturbüros.

db, Mi., 2009.12.09

09. Dezember 2009 Christine Fritzenwallner

Badedisco

(SUBTITLE) Wellnesszentrum »Orhidelia« in Podcetrtek (SLO)

Der in den 60er Jahren begonnene Ausbau des Dorfes an der kroatischen Grenze zu einem modernen Kurort wurde in den letzten Jahren konsequent weiterentwickelt. Die jüngste Attraktion unter den unterschiedlichen Badeangeboten ist ein weiträumiger Wellnessbereich, den die Architekten zur Schonung der idyllischen Landschaft ins Erdreich einsenkten. Durch zahlreiche Anspielungen an die umgebende Natur entstand ein attraktives Ambiente, das Begierden weckt.

Um es gleich vorwegzunehmen: Gar so bunt und aufgeregt wie es die Bilder nahelegen, geht es im Wellnessbereich »Orhidelia« nicht zu. Trotz des zunächst willkürlich erscheinenden Nebeneinanders unterschiedlicher Formen und Farben schafft es die Anlage doch, den angemessenen Rahmen für Ruhe und Entspannung zu bieten.

Hauptsächlich lässt sich dies auf die vielerlei Angebote zurückführen, aus denen der Badegast je nach Gefühlslage wählen kann. Materialwahl und Oberflächengestaltung unterstützen dabei die unterschiedlichen räumlichen Qualitäten: In dem an finnische Vorbilder angelehnten Saunabereich dominiert – wenig überraschend – helles Holz, die Dampfbäder bemühen Anklänge an orientalische Ornamentik, die Beckenbeleuchtung führt mit raschen Farbwechseln die Möglichkeiten der LED-Technik vor. Dem architektonisch geschulten Auge mag dies alles reichlich überinstrumentiert vorkommen, letztlich entspricht es aber dem Wunsch nach Inszenierung und Sensation. Dem kann sich der Bauherr genauso wenig entziehen wie – seien wir ehrlich – wir, seine Gäste.

Das Dorf Podcetrtek musste neue Wege beschreiten, um sich gegenüber dem nur zwölf km entfernt liegenden, aber äußerst traditionsreichen Kurort Rogaška Slatina zu profilieren. Anders als z. B. im weltentrückten Vals – mit dessen Therme sich ganz automatisch jedes im hochpreisigen Segment angesiedelte Bad messen lassen muss – konnte man sich im Tal des Flüsschens Sotla nicht darauf verlegen, das Baden auf eine quasi spirituelle Ebene zu heben. Um breitere Schichten ansprechen zu können, empfiehlt es sich, einer volkstümlicheren Haltung der Sinnlichkeit gegenüber verhaftet zu bleiben. Die Gästezahlen müssen stimmen, schließlich stecken in der Anlage hohe Summen aus Fördertöpfen der EU, die dem Tourismus in der Region aufhelfen sollen.

Unterhaltung statt Tempelweihen

Unter den zahlreichen mehr oder minder bedeutsamen Heilbädern beiderseits der slowenisch-kroatischen Grenze spielten die Quellen beim Dorf Podcetrtek nie eine bedeutende Rolle. Erst ab den 60er Jahren begann das sozialistische Regime, das Potenzial des Ortes im Sinne der Volksgesundheit nutzbar zu machen. 1990 erfuhr der Ort den Ausbau zum Spaßbad; rund um die Quelle von Atomske Toplice (das Wasser ist schwach radioaktiv) entstand eine heute als »Terme Olimia« vermarktete Anlage. Um neben den Familien, die ihren Urlaub hauptsächlich im einige hundert Meter talaufwärts gelegenen Badepark »Aqualuna« verbringen, auch betuchte Gäste in die Therme locken zu können, empfahl sich der Bau eines Vier-Sterne-Hotels. Unter dem Namen Sotelia und mit Auszeichnungen geradezu überschüttet hat es dem Büro enota internationalen Ruhm beschert.

Die im Wettbewerb siegreichen Architekten gliederten die enorme Baumasse in ortsverträglich portionierte Streifen und schufen trotz schmalen Budgets ein komfortables und hochwertig erscheinendes Ambiente. Zuvor schon hatten sie das bestehende, mit peinlichen Anleihen aus der römischen Baukunst aufgehübschte Thermenensemble »Termalija« hinter einer gläsernen Nebenraumspange verschwinden lassen. Diesen Bereich – tendenziell für den Normalverdiener gedacht und wochenends unter Discobeleuchtung mit treibenden Beats beschallt – wollte der private Betreiber seinen neuen, zahlungskräftigen Kunden jedoch nicht zumuten. Für sie ließ er auf dem letzten freigebliebenen Wiesengrundstück zwischen Hotel und Bad eine kleine Traumwelt mit verschiedenen Wellnessangeboten einrichten und nannte sie in Anspielung auf die 40 Orchideenarten, die in der Umgebung wachsen, »Orhildelia«. Erneut ließ er enota nahezu freie Hand. Die jungen Architekten wollten das recht uneinheitlich bebaute Areal nicht noch durch einen weiteren Hochbau beeinträchtigen, sondern vielmehr die Qualitäten des Außenraums stärken und die angejahrten Badeanlagen weiter kaschieren. Durch die Vereinheitlichung des Straßenbelags hoben sie die Trennung zwischen Straße und Gehweg auf und betonten die gärtnerisch gestaltete Fußwegverbindung vom Haupteingang der Therme hinüber in das Feriendorf Lipa. Den Gebäudekomplex selbst versenkten sie in der Erde und definierten die Dächer als Bestandteil der Landschaft. Um die Räumlichkeiten mit Tageslicht versorgen und geeignete Außenbereiche schaffen zu können, nahmen die Architekten einen tiefen Einschnitt in das Gelände vor, der nun die Anmutung eines klaffenden Risses im kristallinen Erdboden hat. Die in stumpfen Winkeln gebrochenen Fassadenflächen umschließen u-förmig den terrassierten Außenbereich, der gleichzeitig intim und offen wirkt – der Blickbezug zur Landschaft blieb zumindest in einer Richtung erhalten. Durch die Schrägstellung der oberen Fassadenbereiche gelangt mehr Sonnenlicht in die Tiefe und wird die enorme Höhe der Glaswände abgemildert. Während der Freibereich vor den Saunen allen Blicken von außen entzogen ist, ergibt sich aus der direkten Nachbarschaft von Sonnenterrassen und öffentlichem Weg doch ein eigentümliches Spiel zwischen Verlockung, ja Verheißung, und Abgrenzung: Drinnen dümpeln und scherzen jene, die sich den selbst für westeuropäische Verhältnisse hohen Eintrittspreis (zwischen 22 und 33 Euro) leisteten, und vom Zaun her äugen neugierig die anderen, welche sich eben jenes bislang verkniffen und mit den althergebrachten Formen des Kurens vorlieb nahmen. Ein umso perfideres Spiel, als die glänzenden Oberflächen, die appetitlichen Farben und die schicke Deko gar nicht so teuer sind, wie sie scheinen, und trotzdem Begehrlichkeiten wecken. Den Architekten ist hier erneut ein Bravourstück gelungen, indem sie aus einem denkbar knappen Budget in jeglicher Hinsicht das Maximum herausholten – stolz verweisen sie auf den günstigen Quadratmeterpreis von 1 300 Euro/m².

Lob der Sauerkrautplatte

Alle Oberflächen wirken zunächst einmal hochwertig und sind in ihrem abwechslungsreichen Zusammenspiel höchst geschmackvoll arrangiert. Der klopfende Finger des Kenners aber offenbart die Hohlräume hinter dünnen Platten aus Holzwerkstoff im Außen- wie auch im Innenbereich. Sämtliche Bauelemente sind, auch wenn die komplexe Geometrie anderes erwarten lässt, aus preiswerten Standardprodukten zusammengesetzt. Die Bekleidung der größeren Innenwandflächen ist schon fast ein Bubenstück zu nennen: Aus Holzwolle- und partiell gelochten Holzwerkstoffplatten unterschiedlichen Zuschnitts und Farbtons wurde eine Wandgestaltung gefügt, die auf den ersten Blick Stein assoziieren lässt und dabei nicht nur hervorragend mit dem Schalungsmuster der Sichtbetondecke zusammengeht, sondern auch auf elegante Weise die Lüftungsöffnungen kaschiert und Schall absorbiert. Leider bekommen hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit nicht allen Materialien gut: Die in Gießharz eingelassenen Baumscheiben, die dem Saunabereich eine gleichfalls warme und lebendige Erscheinung verleihen, sind schon zum großen Teil aufgesprungen und in spitzen Dreiecken aus der Wandebene herausgetreten. Beständiger sind dagegen die dreieckigen Lattenroste, die durch ihre kristalline Faltung kleinteilige, höhlenartige Räume bilden, unter denen es sich nach dem Saunagang erstaunlich behaglich ruhen lässt. Weitere Anspielungen auf Umgebung und Natur finden sich in den blassrosa Mosaikfliesen der Wasserbecken, die sich auf Orchideenblüten beziehen, und in den Baumstützen, die einerseits ein simples Tragwerk für die weit gespannten Betondecken der Bade- und Ruhehallen bilden und andererseits den nahe gelegenen Wald anklingen lassen. Sie sind ebenfalls Bestandteile einer kleinräumlichen Zonierung, die zusammen mit den hohen Ummauerungen der Whirlpools, sinnfällig positionierten Galerieebenen und zahlreichen Deko-Elementen der »Vereinzelung« der Besucher Vorschub leisten. Diese sollen sich als individuelle Gäste des Hauses fühlen können. Das Reinigungspersonal sieht dies offenbar anders und hat bereits einige der künstlichen Pflanzkübel beiseite geschafft.

Das Gesamtkonzept scheint aufzugehen. Orhidelia ist auch zu nächtlicher Stunde und zu Zeiten, da die Hotelbuffets geöffnet sind, gut gefüllt. Jeder kann für sich ein mehr oder minder stark mit Wasserrauschen und Lautsprechermusik beschalltes Plätzchen auftun und sich gleichzeitig als Bestandteil einer exklusiven Gemeinschaft empfinden. So wirbt auch die Website ganz unverblümt mit dem Wort »Prestige«. Ein Glück also, dass der Bauherr an enota geriet und die Anlagen nicht mit dem üblichen Glanz von poliertem Granit und Messing ausgestattet wurden, sondern vielmehr die spielerische Freude junger Architekten am Umgang mit Formen und Materialien spüren lassen. Ob sich ihre aus der Umgebung heraus entwickelte Gestaltung dauerhaft bewährt, oder eines Tages ihrerseits eines dann zeitgemäßen Deckmäntelchens bedarf, … wir sind ganz entspannt.

db, Mi., 2009.12.09

09. Dezember 2009 Achim Geissinger

Wissens-Werft

(SUBTITLE) Maritimer Campus in Elsfleth

In einem geglückten Zusammenspiel von Hochschule, Kultusministerium und Reederei wurde im niedersächsischen Elsfleth ein neuartiges Zentrum quasi aus dem Boden gestampft, um die Aus- und Weiterbildung des maritimen Nachwuchses sicherzustellen. Darüber hinaus wird hier zu Zukunftsfragen der Seefahrt geforscht, die sich durch Klimawandel, Rohstoffknappheit und Umweltschutz stellen. Für diesen dynamischen Ort entwickelte eins der beteiligten Architektbüros nahezu »aus dem Handgelenk« einen tragfähigen Rahmenplan, der dafür sorgt, dass die ersten drei Bauten nun schon wahrnehmbar einen Campus bilden.

Während Binnenlandbewohner wie wir Redakteure Elsfleth erst im Atlas suchen müssen, bevor wir es westlich der Weser zwischen Bremen und Bremerhaven lokalisieren können, ist der 9 000-Einwohner-Ort für Seeleute eine feste Größe. Seit 1832 werden dort Schiffsjungen, -kapitäne und -ingenieure ausgebildet. Die renommierte Navigationsschule wandelte sich über die Jahre zum Fachbereich Seefahrt der FH Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth (FH OOW), der hier vier Standorte hat. Während es früher zahlreiche Reedereien, Werften und einen großen Hafen gab, sind heute noch ein Schiffbauunternehmen und einige Reedereien übrig – und eben die Ausbildungsstätten für Seeleute. Seit Herbst 2007 wächst am Ende des Ortes, auf dem Gelände einer ehemaligen Schnapsbrennerei, der Maritime Campus. Der Seeverkehr gilt trotz Finanzkrise als Zukunftsmarkt, der bis 2008 sogar regelrecht boomte. Nach Änderungen im Steuerrecht fahren wieder mehr Schiffe unter deutscher Flagge, aber viele deutsche Kapitäne gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand, und die Dominanz rein filipinischer Besatzungen auf Containerschiffen ist keineswegs nur ein Klischee. Darüber hinaus wachsen die Anforderungen an die Abwicklung der Transporte enorm. In Elsfleth ist es nun möglich, an einem Ort vom Hauptschüler bis zum Doktoranden alle Ausbildungsgrade angemessen aus- und weiterzubilden und zu vernetzen. Bis jetzt sind vier Bauten entstanden: eine studentische Wohnanlage, eine Berufsschule, ein Bau für die FH Oldenburg und ein Forschungszentrum. Nördlich und südlich sind noch Baufelder frei, aber das Ensemble funktioniert bereits jetzt als Einheit: durch seine Lage auf einer Landspitze, die nah beieinander stehenden Bauten und die alltäglichen Verbindungen untereinander.

Am Anfang: Handgestrickte Unterlagen

Anfang 2005 entschied die niedersächsische Landesregierung in Hannover, den Hochschulstandort Leer, an dem man ebenfalls Nautik studieren kann, auszubauen und dafür ihr Engagement in Elsfleth herunterzufahren. »Heilung eines Kranken auf Kosten eines Gesunden« nannte dies in einem Brief an das niedersächsische Kultusministerium der geschäftsführende Gesellschafter der erfolgreichen Reederei Beluga Shipping und Absolvent der FH in Elsfleth, auf dessen Initiative die Entstehung des Maritimen Campus größtenteils zurückzuführen ist. Gemeinsam mit dem Dekan des Fachbereichs Seefahrt entwickelte er die Grundidee für den Campus als Public-Private-Partnership und kümmerte sich um Unterstützung von Unternehmen, Banken und wissenschaftlichen Institutionen. Ab Oktober 2005 begannen regelmäßige Beratungen über die konkrete Ausgestaltung unter anderem mit dem Kultusministerium, der Stadt und dem Oldenburger Architekten Alexis Angelis. Dessen Büro hatte bereits mehrere Bauten für das Land realisiert. Nun steuerte er den Entwurf für einen Rahmenplan zur Diskussion bei, der die Prinzipien des später per Wettbewerb ermittelten Masterplans vorwegnahm: eine zentrale Erschließung, die das Grundstück in drei Bereiche teilt, einen großen zentralen Platz und Durchlässigkeit, um allen Baukörpern die Orientierung zum Wasser zu ermöglichen. »So konnten wir unsere Vorstellung qualitätvoller Architektur einbauen«, äußert sich Angelis zufrieden zu diesem eher ungewöhnlichen, dabei aber effektiven – und in diesem Fall sehr gelungenen – Ablauf. Seine Ideen für den Rahmenplan konnte Angelis später beim Entwurf für den FH-Bau vertiefen .

Studentisches Wohnen

Den Anfang der Bebauung bildete die studentische Wohnanlage zusammen mit der Berufsschule. Sie wurde von HS-Architekten aus Hamburg geplant – die auch mit dem Maritimen Forschungszentrum beauftragt wurden – und befindet sich außerhalb des eigentlichen Campus. Gegenwärtig umfasst der Fachbereich 700 Studenten, das Studentenwerk bietet aber nur 32 Wohnplätze an. Viele Studenten wohnen in Privatzimmern oder kommen täglich von außerhalb. Die 86 Wohnheimplätze teilen sich in 1-, 2– und 4-Zimmer-Wohnungen auf, die in drei dreigeschossigen Baukörpern untergebracht sind. Sie bilden ein Ensemble, das Privatheit und Offenheit zugleich entstehen lässt, und sind so positioniert, dass jedes Zimmer viel Tageslicht bekommt. Ein kleiner Platz und ein hölzernes Aussichtspodest öffnen das Ensemble zum Liene-Kanal. Gegenwärtig geht der Platz in eine baumbestandene Rasenfläche über, auf der ein vierter Baukörper vorgesehen ist.

Berufsschule

Das Schiffsmechanikerzentrum bietet Platz für 100 Berufsschüler, die hier ihren dreimonatigen Blockunterricht absolvieren, außerdem können sich im Beruf stehende Schiffsmechaniker hier weiterbilden. Nach einer öffentlichen Ausschreibung erhielt das Lübecker Büro petersen pörksen partner, das auch den Masterplan entwickelte, den Auftrag für den Neubau.

Das EG der Berufsschule besteht aus klinkerverkleidetem Stahlbeton und beinhaltet im einen Trakt die Unterrichtsräume für die theoretischen Fächer, im anderen die Werkstätten. Es bildet ein U um einen nach Westen offenen Innenhof. Die Erschließung für einen dritten Trakt ist bereits angelegt. Über dem flachen, soliden Rumpf liegen containerartig zwei Geschosse mit insgesamt 40 Internatszimmern für jeweils zwei Schüler. Die rote Aluminiumverkleidung auf einer Holzrahmenkonstruktion, von einer horizontalen Weißaluminiumblende unterbrochen, unterstreicht das Bild des Containers. Diese dreigeschossige Kante bildet einen städtebaulichen Rücken für die zentrale Straße.

Durchlässigkeit bietet das introvertierte Gebäude durch den komplett auf beiden Seiten verglasten Speisesaal. Auch im Ausbau unterscheiden sich Schule und Internat deutlich voneinander: Während im EG Stein, Metall, Fliesen und Klinker dominieren – mit einzelnen Farbtupfern –, ist der Wohnbereich bunt und freundlich mit farbigem Linoleum und Putz sowie Einrichtungsgegenständen aus Multiplex-Platten ausgestattet. Der ehemalige Geschäftsführer der Berufsschule, der den Bau begleitet hat, stellt zufrieden fest, dass sein schönes neues Gebäude hohen Zulauf verzeichnet. Momentan sind 96 Schüler vor Ort – und einige davon mussten in die studentische Wohnanlage gegenüber einziehen.

Forschen

Das Maritime Forschungszentrum entstand als Public-Private-Partnership zwischen Beluga Shipping (51 %) und der FH OOW (49 %). Mittlerweile haben sich dort verschiedene Firmen und Institutionen, u. a. das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, eingemietet.

Ziel ist es, Forschungen und Entwicklungen voranzutreiben, die die Schifffahrt im 21. Jahrhundert benötigt, z. B. neuartig geformte Schiffe, Oberflächen mit weniger Wasserwiderstand oder IT-Entwicklungen für genauere Vorhersagen über die beste Fahrtroute. In diese Kooperationen sollen auch die FH-Studenten ab ihrem Vordiplom mit einbezogen werden. HS-Architekten planten das Gebäude als »Mini-Campus«. In die gläserne Spange als wettergeschützte Straße sind fünf Einzelbauten eingestellt: ein anderthalbgeschossiger, metallverkleideter »Briefing Room«, zwei verputzte Kuben – Vortrags- bzw. Ausstellungsraum und Mehrzweckbau – sowie zwei liegende Quader mit den Büroräumen der Kooperationspartner. Aus dem Materialkanon des Bebauungsplans, der ausdrücklich regionaltypische Materialien wie Stein bzw. Klinker, Glas und Metall festschrieb, wählten die Architekten als prägendes Material Glas, gefolgt von hellem Aluminium, was die optische Abwechslung auf dem kleinen Campus dankenswerterweise erhöht. Der Raum, der durch die Kuben und die Glashülle gebildet wird, wirkt sehr tief, aber dennoch transparent und einladend. Die nach Süden zurückgestaffelte Ostfassade ermöglicht viel Sonneneinfall und einen guten Blick aus der Cafeteria auf die Hunte, horizontale Siebdruckstreifen dienen als Sonnenschutz. »Ein ausgeklügeltes Energiekonzept gibt es nicht«, meint Projektleiter Axel Helberg. Wie bescheiden: Immerhin gibt es eine Luftwärmepumpe, in der Halle wurde ein Klimaboden eingebaut, der die Temperatur um 3-4 °C absenkt, die Oberlichter sorgen für Wärmeabzug, und in den Büros gibt es eine Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung.

Wie bewertet der Architekt die Arbeit für ein Public-Private-Partnership? »Unkompliziert. Wir konnten auch mal zwei Varianten parallel verfolgen. Besonders angenehm war es, dass der Bauherr nicht die absolute Minimallösung wollte, sondern großzügige, repräsentative Räume für seine Mieter.«

Körper und Geist

Wie man für einen Bauherrn mit fixen und durchaus auch einschränkenden Vorgaben ein ebenfalls attraktives Gebäude entwickelt, zeigen die Oldenburger Architekten Angelis + Partner. Das Büro plante den Mensa- und Bibliotheksbau der FH. Bei der Bibliothek stellten die Architekten die städtebauliche Funktion des Baus an den Anfang der Überlegungen zur Grundrissgestaltung. Als »das öffentliche Gebäude«, das später einmal den (von arbos Landschaftsarchitekten geplanten) Campus-Platz beleben soll, öffnet es sich mit den großen Glasflächen von Mensa, Bibliothek und Vorlesungsräumen nach Süden. Und es funktioniert jetzt schon: Hier sammeln sich die Studenten, die Nordseite nutzen sie nur zum Erreichen ihrer geparkten Autos. Dennoch wurde diese »Rückseite« bei der Entwicklung der Kubaturen sorgfältig mit berücksichtigt, so dass der Bau wirkt wie gleichmäßig aus einem Block herausgeschnitzt. Damit setzt er, obwohl er wie die dicht daneben stehende Berufsschule dunkel verklinkert ist, dieser etwas völlig anderes entgegen.

Das kopfartige Volumen am Ende des Baus weist zum Wasserlauf der Hunte hin, was die großen Fenster unterstreichen. Diese versorgen die beiden Innenräume – Mensa und Bibliothek – auch an grauen Tagen mit viel Licht und bieten einen weiten Blick auf den Fluss. Insgesamt wirken die Innenräume durch klare Zonierung, gut dimensionierte Raumgrößen und gezielt gesetzte leuchtende Farben sehr großzügig und licht – abgesehen vom Flur im Verwaltungsbereich im 1. OG. Schmal und dunkel bildet er einen auffälligen Kontrast, was den Einschränkungen durch Budget und Vorgaben des Bauherrn geschuldet ist. Besonders kreativ gingen die Architekten mit diesen Beschränkungen bei der Entwicklung der Bibliothek und der Fassade um. Die Raumhöhe der Bibliothek war ursprünglich auf 3 m begrenzt, doch durch Bildung eines »rechnerischen Durchschnitts« beträgt die Höhe in dem Bereich, der unter dem Technikraum liegt (außen als hellgraues Volumen kaum wahrnehmbar), nun 2,60 m, dafür konnten sie entlang der Fenster auf 4 m angehoben werden. Gern hätten die Architekten die Fassade der Verwaltungsräume mehr geöffnet, doch auch dem standen staatliche Vorgaben entgegen. So entwickelten sie eine doppelt lesbare Fassade: einmal als massive Lochfassade mit tief eingeschnittenen Fensteröffnungen und einmal als durchgehendes Fensterband, in dem die farbigen vorgeblendeten Glasscheiben die Fensteröffnungen optisch fortsetzen. Diese verhindern auch, dass der dunkle Bau gar zu spröde wirkt. »Hinterleuchtet sind sie nicht«, sagt die Bibliothekarin, »aber irgendwie leuchten sie im Dunkeln trotzdem.«

Gute Aussichten

Knapp fünf Jahre nach dem ersten Gedanken an ein maritimes Bildungsnetzwerk ist durch Beharrlichkeit und viel spontanes und informelles Engagement aller Beteiligten in verhältnismäßig kurzer Zeit ein lebendiger Campus entstanden. Er bündelt zahlreiche Funktionen und bildet mit seiner relativ dichten Struktur einen gelungenen Schlusspunkt am Ende des mit vereinzelten Großbauten besetzten Hunteufers. Die unterschiedlich gestalteten Einzelgebäude reflektieren in ihrer Vielfalt die Haltung des jeweiligen Bauherrn: zweckmäßig bzw. bunt die Berufsschule mit dem aufgesetzten Internat, schlicht und dabei liebevoll detailliert die Bibliothek, spielerisch und gleichzeitig repräsentativ das Forschungszentrum. Am 16. November war Elsfleth »Ort des Tages« der Bundesinitiative »Land der Ideen«. Und auch wenn 2009 die deutschen Schiffbauer einen Auftragsrückgang von 90 % hinnehmen mussten, zeigen sich die Nutzer des Campus überzeugt, dass er in den nächsten fünf Jahren vollständig sein wird.

db, Mi., 2009.12.09

09. Dezember 2009 Dagmar Ruhnau

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