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09. Dezember 2019Dagmar Ruhnau
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Spektakel auf der Burg

Nach Jahrzehnten des Provisoriums haben die Frankenfestspiele auf Burg Brattenstein eine feste Tribüne bekommen. Doch der Neubau – eine schlichte, gerad­linige Satteldachform »with a twist« – ist sehr viel mehr: Er schließt eine städtebauliche und emotionale Leerstelle in dem 1 700-Seelen-Ort und ist zu einem weiteren funktionierenden Baustein in der Neuerfindung des Städtchens geworden, das in der fränkischen ­Geschichte durchaus seine Bedeutung hatte.

Nach Jahrzehnten des Provisoriums haben die Frankenfestspiele auf Burg Brattenstein eine feste Tribüne bekommen. Doch der Neubau – eine schlichte, gerad­linige Satteldachform »with a twist« – ist sehr viel mehr: Er schließt eine städtebauliche und emotionale Leerstelle in dem 1 700-Seelen-Ort und ist zu einem weiteren funktionierenden Baustein in der Neuerfindung des Städtchens geworden, das in der fränkischen ­Geschichte durchaus seine Bedeutung hatte.

Röttingen liegt 35 km südlich von Würzburg im Taubertal, einer hügeligen Landschaft, die durch ihren Wein bekannt ist. Obwohl die Stadt heute pittoresk-verschlafen wirkt – erst recht an einem nebligen Vormittag mitten in der Woche –, deuten große Bauten aus unterschiedlichen Jahrhunderten auf vergangene Bedeutung, Wohlstand und Bürgerstolz. Erstmals wurde die Stadt gemeinsam mit der Kirche St. Kilian 1103 erwähnt.

Aus den zahlreichen schön hergerichteten Fachwerkbauten ragen das barocke Rathaus am Marktplatz, das Neorenaissance-Spital und die Schule von 1873 heraus. Die Stadt ist Ausflugsziel insbesondere für Radfahrer und Tagestouristen, die mit dem Auto die »Romantische Straße« zwischen Würzburg und Neuschwanstein abfahren. Die Burg Brattenstein wurde erstmals 1230 als Wohnsitz lokaler Adlige erwähnt und diente 1345-1803 als Sitz der Vertreter des Bistums Würzburg, ab der Säkularisierung als untere Finanzbehörde des Königreichs Bayern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Nutzungen kurzfristiger und heterogener. Passte die Vierseitanlage, die sich als Teil der Stadtmauer über dem Ort erhebt, aber aus dem Stadtgefüge ziemlich zurückzieht, während des Dritten Reichs im Ausdruck durchaus noch zur Nutzung durch den Reichsarbeitsdienst, wurde sie danach Quartier amerikanischer Soldaten, Durchgangslager für Flüchtlinge und bis 1971 Produktionsstätte für eine Aschaffenburger Textilfabrik. Seit 1984 finden hier jeden Sommer die Frankenfestspiele statt, und im Südflügel hat ein kleines Weinmuseum seine Heimat. Seit 2003, seit dem Bau der Umgehungsstraße, wird die Revitalisierung des Städtchens mithilfe der Städtebauförderung Stück für Stück vorangetrieben: Rathaus, Spielscheune, »Hochzeitsturm«, Marktplatz und Hauptstraße.

Stadt und Burg einander zuwenden

Mit ihrer Ostseite wendet sich die Burg der Stadt zu. 1971 stürzte ein Teil ­davon ein – es wird vermutet, dass die Vibrationen der Nähmaschinen dem uralten Bruchsteinmauerwerk zusammen mit dem Druck aus dem Hang den Rest gaben. Beim Sturz aus mehreren Metern Höhe wurden vier Näherinnen getötet. Die Außenmauer blieb jahrelang provisorisch abgestützt, umgeben von einer Absperrung. Dadurch entstand eine Engstelle in der Straße, die ­niemand gern passierte, was die Burg zusätzlich von der Stadt trennte. Diese physischen und mentalen Barrieren zu öffnen, war eins der Anliegen der Architekten, als sie von der Stadt beauftragt wurden, ein Konzept für die Reparatur des Ostflügels zu erarbeiten. Der Anlass war ein ganz profaner: Der Statiker konnte nach 20 Jahren die Funktionstüchtigkeit der provisorischen Holzkonstruktion für die Hangsicherung schlicht nicht mehr nachweisen. Die Suche nach einer sinnstiftenden Nutzung und damit nach der Ausgestaltung des Neubaus erwies sich als nicht so leicht. Zwar belegen die Frankenfestspiele den Hof von Mai bis August, doch ist das etwas wenig für eine solche Anlage. Somit entstand die Idee, die Burg öffentlich zugänglich zu machen, sodass sie den Bürgern auch außerhalb der Aufführungen zur Verfügung steht.

Dieses zunächst noch etwas ungefähre Nutzungskonzept, das sich in den nächsten Jahren mit Leben füllen wird, veranlasste die Architekten, zusammen mit dem Öffnungsgedanken, den Neubau im Volumen deutlich geringer als den Vorgänger zu formulieren. Zum Hof hin schließt der lange Bau die vom Rest des Ostflügels vorgegebene Kante. Dadurch tritt er auf der Außenseite der Burg aus der Flucht zurück. Es entsteht ein relativ breiter Vorplatz in Richtung der gegenüberliegenden Gebäude, den seine helle, mittelformatige Pflasterung selbst an einem dunklen Tag luftig und einladend wirken lässt. Die neue, 10 m hohe Außenmauer besteht zum größten Teil aus wieder­verwendeten Muschelkalksteinen aus dem eingestürzten Flügelbau. Dahinter wurde eine Stahlbetonkonstruktion als Unterbau für das neue Gebäude erstellt, in dem u. a. die Veranstaltungstechnik ihren Platz findet. Zwischen die neue Außenmauer und ein – ordentlich gereinigtes und abgedichtetes – Überbleibsel der alten wurde eine breite Treppe aus Sichtbeton eingeschoben, die zum Stadtzentrum gerichtet ist. Sie stellt zusammen mit dem Vorplatz die wichtige Öffnung zur Stadt sicher, ist aber zugleich ganz profan der notwendige 2. Fluchtweg, den die Burg als Versammlungsstätte benötigt. Nachts setzen Beleuchtungselemente die Treppe angenehm in Szene, ebenso die bei Tag kaum wahrzunehmende lange Betonbank (auf der sich der Architekt mehr sommernachts plaudernde Menschen wünscht) und die darüber schwebende Loggia. Vor der Loggia begrenzt ein mächtiger historischer Ausleger, auf dem früher ein Turm aufsetzte, den Vorplatz. Dessen glattes Mauerwerk, das das Unglück 1971 ohne Schaden überstanden zu haben scheint, rahmt ein Stück in der Flucht der ehemaligen Außenmauer, das bewusst die Steine zeigt, wo der Einsturz die Wand auseinandergerissen hat. Auch auf der Cortentafel, die in die Sichtbetonwand der Treppe ein­gelassen ist, wird daran erinnert – Gesten, die von den Angehörigen der Opfer gewürdigt werden.

Auf der Höhe des Burghofs, auf der Außenseite des Ostflügels, befindet sich ein weiterer Platz, barrierefreier Zugang und 1. Fluchtweg. Hier werden u. a. die Eintrittskarten verkauft. Auf einem neu angelegten Bereich auf dem Dach einer ehemaligen Garage (mit Gewölbe!) wurde während der Festspiele eine Sektbar mit Sitzsäcken und schönem Ausblick eingerichtet. Dieses Angebot wurde schon gut angenommen, und es entstand ein wenig öffentliches Stadterleben, das sich der Architekt für das Gelingen des Projekts so wünscht.

Die Loggia: Hingucker und Ausguck

Die Loggia ist das Pièce de Résistance der Burg. Architekt Stefan Schlicht meint, ein solcher Eingriff in ein historisches Gebäude und eine traditionelle Stadt brauche einen Hingucker – auch wenn mancher Stadtrat damit zunächst nicht einverstanden war. So erklärt sich u. a. die Wahl des Materials Corten, das die Tribüne umhüllt und nach außen die große glatte Fläche der Mauer proportioniert und elegant abschließt. Nach einem Jahr hat sich seine Farbe von Dunkelgrau zu Rostrot gewandelt und kommt damit auch den Wünschen jener Stadträte entgegen, die eine traditionelle rote Ziegeldeckung für den Bau vorgezogen hätten. Die Ausformulierung der Loggia selbst verdankt sich einem zufälligen Blick durch eine verschobene Latte in der provisorischen Holz-Rückwand. Für Stefan Schlicht war sofort klar, dass diese Aussicht der Burg große Anziehungskraft verleihen würde. Untermauern konnte er seine Einschätzung mit der Beobachtung, dass z. B. im nahen Würzburg all jene Weinstuben und -feste mit Ausblick über die Umgebung förmlich überrannt werden. Und in der Tat: Die Loggia wirkt. Ist der Burghof zugänglich – was noch nicht dauerhaft der Fall ist –, lassen Einheimische ihre Besucher gern an dem besonderen Gefühl, erhaben den Blick über die Stadt schweifen zu ­lassen, teilhaben.

Brattenstein ist auf dem Weg, »eine Burg für die Bürger« zu werden, wie von den Architekten geplant.

Im Innern ist die Stahlkonstruktion mit Lärchenholz ausgekleidet. Die Holzbekleidung zieht sich nahtlos auch über das große schwere Schiebeelement, das die Tribüne von der Loggia trennt und bei Aufführungen gegen Schall aus der Stadt schützt. Die unregelmäßig geteilte, raue Lattung ist außerdem mit einem akustisch wirksamen Vlies hinterlegt, das Echos unterbindet. Trotz der großen Entfernung zur Bühne ist die Akustik sehr gut, berichtet der Architekt, u. a. auch dank professioneller Tontechnik. 199 Sitzplätze sind fest installiert, bei Bedarf wird der Burghof voll bestuhlt und »betischt«. Die Regie hat ihren Platz nun zwischen den Sitzplätzen, mit Blick auf die Bühne und nicht mehr in einem Seitengebäude wie bisher. Räume in der sogenannten Zehntscheuer, die die Bühne seitlich begrenzt, dienen als Umkleiden. Das Gebäude, das 2009-12 saniert (und mit einem Preis der Bayerischen Architektenkammer bedacht) wurde, beherbergt außerdem den Sitzungssaal für den Stadtrat, Räume für Veranstaltungen und Seminare sowie Jugendräume.

Auf den Punkt

So einfach das resultierende Gebäude scheint, so komplex waren die Einflussfaktoren für seine Gestaltung. Es ist bemerkenswert, wie es all seine Aufgaben gut erfüllt, beim »Aufsehenerregen« das richtige Maß wahrt und damit seine städtebauliche Funktion verantwortungsvoll wahrnimmt. Auch die bauliche Ausführung war eine Herausforderung. Am Tag nach der letzten Festspiel-Aufführung im August 2017 gab es unter Anwesenheit des Landrats und des Bürgermeisters ein feierlich-fröhliches »Ansägen« der ausgedienten Holzkonstruktion, und am Tag der ersten Aufführung im Mai 2018 ein »Auskehren« der Späne. Dazwischen: Zeitdruck angesichts ausgebuchter Handwerker, der Suche nach den geeigneten Herstellern und (normaler) unvorhergesehener Zwischenfälle auf der Baustelle. Dass das alles geklappt hat, bezeichnet Stefan Schlicht fränkisch nüchtern als das eigentlich Herausragende an diesem Projekt. Für ein Architekturbüro rechnet sich ein solches Vorhaben so richtig nur über die Leidenschaft, die man dafür ent­wickelt, aber für die Stadt Röttingen ist es ein klarer Gewinn. Wie für viele Revitalisierungsprojekte konnten glücklicherweise Mittel aus der Städtebauförderung in Anspruch genommen werden. Denn ein attraktives, funktionierendes Städtchen, das kommenden Ideen Raum bieten kann, hält auch die Jüngeren im Ort. Weitere Projekte sind im Gang: Die Burghalle und die Alte Schule werden saniert, ein Generationenpark am Tauberufer – wieder ein sehr zeitgemäßes Projekt – ist in Planung. Im Frühjahr bekommt Röttingen einen neuen Bürgermeister. Es bleibt spannend, wie es weitergeht.

db, Mo., 2019.12.09



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03. Dezember 2018Dagmar Ruhnau
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Schatzkästchen aus Beton

Dass Dundee in Schottland liegt, muss man seit dem 16. September wohl nicht mehr erklären. An diesem Tag öffnete das Victoria and Albert Museum Dundee, und seitdem strömen die Massen in die Stadt zwischen Edinburgh und Aberdeen. Nach drei Wochen wurde bereits die 100 000. Museumsbesucherin gezählt – eine Einheimische. Bilbao-Effekt? Die Architektur ist jedenfalls ungewöhnlich und rätselhaft, aber zugleich pragmatisch, alltagstauglich und v. a.: nicht überdimensioniert für die Stadt.

Dass Dundee in Schottland liegt, muss man seit dem 16. September wohl nicht mehr erklären. An diesem Tag öffnete das Victoria and Albert Museum Dundee, und seitdem strömen die Massen in die Stadt zwischen Edinburgh und Aberdeen. Nach drei Wochen wurde bereits die 100 000. Museumsbesucherin gezählt – eine Einheimische. Bilbao-Effekt? Die Architektur ist jedenfalls ungewöhnlich und rätselhaft, aber zugleich pragmatisch, alltagstauglich und v. a.: nicht überdimensioniert für die Stadt.

Das Auffälligste an dem neuen Museum ist zunächst einmal, dass es nicht auffällt. Zumindest nicht, wenn man mit der Bahn anreist. Mit vielen Renderings und PR-Bildern im Kopf sucht man von der langen Brücke über den Tay aus vergeblich das Ufer der Stadt nach einem leuchtend weißen Monolith ab. Und auch wenn man vor dem neu gestalteten Bahnhof von Flaggen mit dem V&A-Logo begrüßt wird, muss man erst gezielt an einer großen Baustelle und der mehrspurigen Straße vorbeischauen, bevor man das dazwischen merkwürdig klein wirkende, aber eigentlich nur wenige Schritte entfernte Museum entdeckt.

Die Stadt am Meer

Sicher, die Baustellenzäune werden irgendwann verschwinden und einen unverstellten Blick auf den Bau ermöglichen. Doch noch befindet sich die 8 km lange Uferzone in einem 30-jährigen Umgestaltungsprozess, der gut 1,1 Mrd. Euro kosten wird. Ein Uferweg verbindet die fünf Abschnitte vom Naturschutzgebiet über die innerstädtische Uferzone bis zum brummenden Hafen. Das V&A steht mittendrin, im Central Waterfront genannten Abschnitt. Auf diesem flachen Gelände vor der am Hügel liegenden Stadt befanden sich einst Docks; nachdem sie aufgegeben worden waren, blieben die Auffahrt auf die Straßenbrücke über den Tay – die übrigens ganz dicht am V&A vorbeiführt –, ein riesiger Kreisverkehr und ein Freizeitcenter übrig. Erklärtes Ziel der Umgestaltung ist es, die Stadt und den breiten Fluss (auch Firth of Tay genannt) wieder zu verbinden. Die Straßenführung ist nun halbwegs verträglich und definiert den neuen Park Slessor Gardens sowie diverse weitere Baufelder, auf denen bis zu sechs Geschoss hohe Bauten mit Büro-, Hotel-, Freizeit- und Wohnnutzungen entstehen werden.

Stadt und Fluss enger zu verknüpfen, war auch eine wesentliche Anforderung im Wettbewerb für das V&A, bei dem die Jury 2010 aus sechs Finalisten einstimmig den Entwurf von Kengo Kuma and Associates wählte. Ein Glücksgriff, selbst wenn Kumas Entwurf gerade nicht demonstrativ mit dem Thema Wasser spielte. Stattdessen: »Stein in Bewegung«. An der schottischen Ostküste ist mit Stürmen, Hochwasser und Nebel durchaus zu rechnen. Insofern ist die Wahl des Materials vollkommen einleuchtend – allerdings strahlt das Ergebnis nicht so durchgängig weiß wie erwartet. Mit ein Grund dafür ist die schwarz beschichtete Außenseite der gewundenen Betonwände, die hinter den schwebenden, bis zu 4 m langen Betonsteinen der Fassade zu sehen ist. Doch trägt gerade das zu ihrer Wirkung bei: Je nach Tageszeit und Wetter erscheint sie glatt oder tief zerklüftet und – wie so viele Häuser in Schottland mit Natursteinfassade – dumpf grau, warm ockerfarben oder doch glitzernd hell. Inspiration dafür bezog Kuma aus dem »Dialog von Erde und Wasser«, der an der schottischen Küste streifenförmig ausgewaschene, von Löchern perforierte Felsen hinterlässt.

Felsen? Auster? Beton-Kokon?

Ohne direkt sichtbare Fenster und Türen, mit verschiedenen Ab- und Einschnitten, die z. T. aus der Fassade herausgedreht sind, ist das Gebäude nicht einfach zu lesen. Auch deshalb sollte man sich einen Erkundungsgang um den schweren Betonbau gönnen, zwischen seinen zwei massiven Sockeln hindurch, um Kurven und Ecken, über helle und dunkle, geschützte und windige Stellen. Dabei eröffnen sich unterschiedliche Perspektiven auf Stadt, Brücken und Hafen – und schließlich entdeckt man doch den Eingang.

Ungeduldige können ihn durch eine Art Schnitzeljagd finden: Die Flaggen vor dem Bahnhof geleiten bis zu den in gleicher Weise gestalteten Plakaten vor dem »Schlupfloch« an der stadtzugewandten Ecke des Gebäudes. Wer aber das raue Äußere nicht aufgenommen hat, kann auch das geradezu heimelige Innere nicht richtig goutieren. Hier wird es plötzlich ruhig. Selbst wenn Hochbetrieb herrscht, ist die Akustik angenehm, es riecht nach Kaffee, die holzbekleideten Wände verbreiten Wärme. Kasse, Cafeteria und Shop befinden sich, großzügig verteilt, in der offenen Eingangsebene, die sich dreigeschossig auch nach oben öffnet. Mit ein, zwei Blicken ist der Innenraum erfasst. Die Treppe zeichnet die Drehbewegung der Wände nach, ein Aufzug steht mitten im Raum, oben ist es heller als unten. Es fühlt sich ein wenig an wie in einem Schiffsbauch. Diese Assoziation ist nicht zufällig, und abgesehen von der überdeutlichen Koggenform, die das Gebäude außen zeigt, finden sich auch im Innern diverse hübsche Analogien: die geschuppten, unterschiedlich gekippten MDF-Planken mit Eichefurnier, die langgestreckten Fenster, vor denen gerne mal Kinder liegen und das Wasser draußen beobachten, und der Bodenbelag aus Irischem Blaustein, in dem fossilierte Meerestiere und -pflanzen auszumachen sind. »Ein Wohnzimmer für die Stadt« wollte Kengo Kuma bauen, und das ist ihm gelungen. Enttäuschend banal allerdings wirken in diesem sorgfältig gestalteten Interieur die Verglasungsflächen im OG – zum Glück liegen sie großenteils hinter der Fassade versteckt.

Ein Tea Room von Charles Rennie Mackintosh

Außer für Sonderausstellungen kostet das Museum – wie viele in Schottland – keinen Eintritt. Man kann also kommen, sich in die Leseecke setzen, arbeiten, sogar sein Butterbrot selbst mitbringen. Als »Klassenzimmer für jedermann« in Sachen Design, wie sich das V&A seit seiner Gründung 1852 versteht, bietet es außerdem Lernräume für Kinder, Bildungsmaßnahmen für junge Erwachsene und Studenten, Design-Workshops, Designer-in-Residence-Programme und weitere Kooperationen. Entsprechend umfasst das Kuratorium, das das V&A Dundee neu gegründet und eine eigene Sammlung aufgebaut hat, u. a. die zwei lokalen Universitäten und die staatliche Arbeitsförderungs-Agentur Scottish Enterprise. Die Ausstellungsflächen nehmen den größten Teil des OGs ein. Sie erstrecken sich über beide Sockel und bestehen aus einem offenen Bereich auf der Galerie, einem Sonderausstellungsraum und den »Scottish Design Galleries«. Hier werden wechselnde Stücke mit schottischem Design aus der Sammlung gezeigt – von Schiffsbau und maritimer Infrastruktur über Zeitungen, Comics und Computerspiele bis hin zu Textil- und Möbeldesign, überraschend vieles davon direkt aus Dundee. Ein besonderes Schmuckstück der beeindruckenden Sammlung ist das Teestuben-Interieur »Oak Room« von Charles Rennie Mackintosh, das hier nach 40 Jahren im Lager originalgetreu restauriert, aufgebaut und begehbar gemacht wurde. Obwohl aus Glasgow, muss Mackintosh als berühmtester schottischer Architekt selbstverständlich hier, im allerersten Designmuseum Schottlands, vertreten sein.

Passenderweise ist Kengo Kuma gegenwärtig das sozusagen letzte Glied in einer Kette von Wechselbeziehungen zwischen Japan und Schottland: Während eines Aufenthalts in Glasgow befasste er sich intensiv mit der Architektur Mackintoshs, der sich seinerseits von japanischen ­Gestaltungsprinzipien inspirieren ließ.

Wirbelndes Tragwerk

Namhaft sind nicht nur der Architekt und die ausgestellten Designer. Bereits zum Wettbewerbsentwurf lieferte Arup die grundlegenden Ideen zur Realisierung der »verwirbelten« Form des Baus – die während der Ausarbeitungsphase lediglich etwas steiler wurde. Die Form entstand durch die Aufnahme der Richtungen aus der Hauptstraße, die senkrecht auf das Gebäude zuführt, und aus dem um ca. 25 ° dazu gedrehten, benachbarten Liegeplatz von Scotts Forschungsschiff »Discovery« (1901 in Dundee vom Stapel gelaufen). Die nach außen gekippten Wände sind über hohe Stahlbinder an zwei Betonkerne angebunden, und die Verwindungen wurden so entwickelt, dass sie sich gegenseitig stabilisieren. Mithilfe eines 3D-Modells entstanden 21 unterschiedliche Wände, die vor Ort (!) betoniert wurden und über Spannschlösser miteinander verbunden sind. Gegründet ist das Gebäude auf Pfählen, außerdem entschied man sich für eine geothermische Heizung und Kühlung mit 65 m tiefen Bohrungen – ergänzt durch eine Luftwärmepumpe auf dem Dach.

Identifikationspunkt für die Einwohner

Gut 90 Mio. Euro hat das neue Museum gekostet. Finanziert wurde es durch die Gründungspartner, die schottische Regierung und zu einem großen Teil auch aus Spenden. Der Unterhalt wird auf die gleiche Weise bestritten – für Besucher steht im Museum eine fahrbare Spendenbox bereit. Insofern hörte man von den Dundonians nicht viel darüber, dass man von dem Geld auch Krankenhäuser oder Schulen hätte bauen können, wie bei öffentlich finanzierten Bauten sonst oft geklagt wird. Stattdessen nur Lobesworte – die Bürger identifizieren sich schon jetzt mit dem neuen V&A. Auch als die Wettbewerbsergebnisse ausgestellt wurden, kamen mehr als 15 000 Neugierige, ein Zehntel der Einwohnerzahl Dundees. Explizit setzten die Initiatoren auf den »Bilbao-Effekt« – und von den ersten Wochen nach der Eröffnung ausgehend, könnte das funktionieren.

db, Mo., 2018.12.03



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01. Dezember 2017Dagmar Ruhnau
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Kraftvoll und zurückhaltend

So ein Stück Architektur erwartet man nicht in der Provinz. Glückwunsch an die Stadt Vreden: In einer sorgfältigen Mischung aus angemessenen Lösungen für die Erfordernisse des alten Städtchens und eigenständigem Stil haben Pool Leber Architekten aus München mit dem Kulturhistorischen Zentrum »kult« ganz selbstverständlich die Aufgabe erfüllt, die Mitte der Stadt zu reparieren und einen Identifikationsort für Bürger und Besucher zu schaffen.

So ein Stück Architektur erwartet man nicht in der Provinz. Glückwunsch an die Stadt Vreden: In einer sorgfältigen Mischung aus angemessenen Lösungen für die Erfordernisse des alten Städtchens und eigenständigem Stil haben Pool Leber Architekten aus München mit dem Kulturhistorischen Zentrum »kult« ganz selbstverständlich die Aufgabe erfüllt, die Mitte der Stadt zu reparieren und einen Identifikationsort für Bürger und Besucher zu schaffen.

Der Neubau des Kulturhistorischen Zentrums »kult« steht am zentralsten Ort von Vreden. Hier treffen die wichtigsten historischen Bereiche der Stadt auf­einander: der ehemalige Immunitätsbereich eines Damenstifts, das im 9. Jahrhundert gegründet wurde, und die alte Handels- und Hafenstadt Vreden. Zugleich ist dies die Mitte der zurzeit entstehenden Kulturachse, die die moderne Stadt stärker zusammenbinden soll. Seit Längerem verfolgt die Verwaltung das Ziel, die ruhige Kleinstadt an der niederländischen Grenze zu modernisieren.

Leitidee ist, die kulturellen Kostbarkeiten aus Vredens 1200-jähriger Geschichte durch eine »Kulturachse« zu verbinden, kommerzielle Nutzungen dagegen örtlich klar zu beschränken. Die Kulturachse führt, keinen Kilometer lang, vom Marktplatz aus über den Platz zwischen der Stiftskirche, der Pfarrkirche St. Georg und dem neuen, zentralen Stadtbaustein kult, hinweg über den Stadtgraben und das Flüsschen Berkel, durch dessen Au und bis hin zur markanten Rundsporthalle aus Sichtbeton, die auch für Konzerte genutzt wird. In der Berkel befand sich über Jahrhunderte hinweg ein Hafen, wichtiger Umschlagplatz für hochwertigen Sandstein und Textilien aus dem Münsterland sowie Waren aus den Niederlanden, z. B. Delfter Fliesen; noch heute ist im flachen Wasser seine Form auszumachen. Auch durch Sprache und historische Lebensumstände waren und sind Westmünster- und Niederländer eng verbunden, und es ist ganz normal, zu einem Tagesausflug mal eben über die Grenze zu kommen.

Die erste Annäherung von der Flussseite hinterließ bei den Architekten einen prägenden Eindruck, erzählt Martin Pool: Nebel stand über den Gewässern, dahinter ragten die Kirchen und die Dächer der Häuser auf – das von vielen niederländischen und flämischen Bilder bekannte Motiv, »vom Land in die Stadt« zu kommen. Diese mittelalterliche Stadtstruktur war denn auch für den Entwurf entscheidend.

Heterogene Einheit

Vom Mittelalter ist zwar der Stadtgrundriss erhalten geblieben, jedoch fast keine Bauwerke. Die britischen Luftangriffe vom März 1945 haben u. a. die Stiftskirche sowie ein kurzes Stück Stadtmauer mit Armenhaus und Pulverturm aus dem 14. bzw. 16. Jahrhundert überdauert. Diese erhielten in den 70er Jahren Anbauten, außerdem wurden auf dem teilweise aufgeschütteten Stadtgraben in den 70er und 80er Jahren Neubauten errichtet, die das Landeskundliche Institut Westmünsterland und das regionalhistorische Hamaland-Museum, zu dem noch das Bauernhaus-Freilichtmuseum in der Berkelaue gehört, umfassten. Ein Zusammenhang zwischen diesen stadthistorischen Standorten war trotz des kompakten Stadtkerns kaum wahrzunehmen, denn mittendrin, am zentralen Platz der Stadt, machte sich ein Jugendheim breit. Die Entscheidung, dieses abzureißen, war richtig und essenziell.

Der Platz ist nun von einer austarierten Gruppe raumbildender, voluminöser Einzelbauten umstanden und markiert deutlich das Zentrum der Stadt. Wie sehr, zeigte sich beim Richtfest: Platz und angrenzende Grünfläche waren von Bürgern belagert, was Pfarrer und Gemeindemitarbeiter sehr überraschte. Von einer eher privaten Nische hat sich der Bereich – wie geplant – zum belebten Aufenthaltsort gewandelt. Das Pfarrhaus, ein typisches Einfamilienhaus aus rotem Klinker, früher zwischen Kirchen und Jugendheim ­sicher richtig, wirkt nun allerdings etwas fehl am Platz.

Der Museumsneubau vorne am Platz dockt jetzt an den 80er-Jahre-Bau an, der wiederum mit dem Armenhaus und dem Pulverturm verbunden ist. Diese Verkettung holt den etwas abgelegenen Rest Stadtmauer wirkungsvoll nach vorne ins Zentrum. Richtung Stadtgraben wurde die Öffnung zwischen 70er- und 80er-Jahre-Bauten geschlossen. Dadurch entstand ein kleinerer innerer Hof, der eine Betrachtung des auf seine ursprüngliche Erscheinung zurückgeführten Armenhauses ermöglicht und zugleich als Tageslichtquelle dient.

Ursprünglich hatten die Architekten vor, die Fassaden aus den 70er und 80er Jahren zu belassen, dies wäre aber zu unruhig geworden. Nun überziehen Kohlebrandklinker eines regionalen Herstellers fast das gesamte Gebäude. Obwohl damit sehr lange Fassaden entstanden sind, kommt nirgends Monotonie auf. Einerseits werden in den Altbauten zeittypische, auch zuvor bereits vorhandene Elemente aufgegriffen, andererseits setzen sich die einzelnen Baukörper durch Bewegungen in der Fassade und v. a. in den Dächern voneinander ab. Mit spannendem Ergebnis: Das Ensemble changiert – sowohl nach außen als auch im Innern – zwischen »großes Gebäude« und »kleine Stadt«.

Neben viel mehr Raum für die Exponate des Hamaland-Museums (Hamaland bezeichnet in etwa die historische hiesige Region, deren größerer Teil heute niederländisch ist) wird das Ensemble verbesserte Arbeits- und Studierbedingungen für die Nutzer der bestehenden landeskundlichen Institute bieten; die Verwaltung der Kultur- und Kreispflege sitzt hier, die beispielsweise für (auch grenzüberschreitende) Bildungsveranstaltungen zuständig ist, außerdem wurden das Stadtarchiv Vreden und das Kreisarchiv Borken zusammengeführt (Stadt und Kreis teilten sich auch die Baukosten im Verhältnis 30:70). Nicht zuletzt bietet das kult Räume für öffentliche Veranstaltungen. Daher auch der Name des neuen Stadtbausteins: »kult« als Akronym für »Kultur und lebendige Tradition«. Diese Nutzungsvielfalt war teils ganz pragmatisch durch Förderbedingungen des Landes Nordrhein-Westfalen bedingt (Museen allein werden nicht gefördert). V. a. aber gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen durch die Zusammenlegung deutlich effektiver und dynamischer als zuvor.

Lebendiges Wechselspiel

Zentraler Raum des Neubaus ist das Foyer, das zugleich als Teil der Kultur­achse konzipiert ist. Und tatsächlich fließt der Außenbereich durch den luf­tigen und sehr hellen Raum hindurch – selbst die beiden Eingänge wirken als gleichwertige Tore, der jeweiligen Annäherung angemessen. Wie der Platz vor dem Haus dient auch das Foyer als Verteiler in alle Richtungen: Von hier aus ist das vielteilige Ensemble durch den direkten Blick tief ins Gebäude und nach oben bis unters Dach sogleich zu erfassen. Obwohl es über drei Geschosse offen ist, hat es eine exzellente Akustik und sich damit als gefragter Raum für Konzerte, Lesungen und Versammlungen etabliert.

So, wie es jetzt ist – dreigeschossig und mit großem Oberlicht –, thematisiert das Foyer auch die zwei wichtigsten Abweichungen vom 2013 ausgeschriebenen Wettbewerb, die sich das (zunächst zweitplatzierte) Büro erlaubte. Es war geplant, eine fensterlose Ausstellungsebene quer durch das 1. OG aller Häuser zu legen. Die Architekten konnten jedoch die Bauherren davon überzeugen, dass es klüger sei, ­jedes Haus als Einheit zu belassen – nicht nur von der historischen Integrität her, sondern auch klimatisch und konstruktiv. Letztlich erwies sich diese ­Variante im VOF-Verfahren auch als kostengünstiger – u. a. weil so viel Bausubstanz wie möglich belassen wurde, bis hin zu gut erhaltenen Bodenfliesen in den 70er-Jahre-Bauten. Um genügend Ausstellungsfläche zu erhalten, schlugen die Architekten zwei gestapelte Ebenen vor. Eine elegante Lösung, denn so bekamen die beiden Schwerpunkte des Museums, die weltliche Stadt und das ehemalige Stift, einen jeweils eigenen Bereich. Das bedeutete allerdings auch, dass der jetzt dreigeschossige Kopfbau gegenüber den Kirchen stärker ins Gewicht fallen würde. Doch dem wirkten die Architekten mit einigen klugen Eingriffen entgegen: mit der niedrigen Eingangszone, den graubraunen Klinkern und den zwei unterschiedlich geneigten Dächern – zum Platz hin flacher, in die Straße zu den anderen Gebäuden hinein steiler. All das erfüllt trotz des großen Volumens das Ziel der ­Architekten, ein »Hintergrundgebäude« zu schaffen. Zugleich kopieren diese Dächer nicht einfach das Vorhandene – sie passen zur Handschrift, die den gesamten Neubau durchzieht und damit das Museumsgebäude als eigenständige Einheit ausweist.

Präzise Inszenierungen

Die wertvollen Ausstellungsstücke und ihr Schutz vor UV-Licht bedingten die zweite ursprüngliche Forderung der Bauherren nach einer »Black Box«. Es war aber auch gewünscht, den Bau auf die Kirchen bzw. den Berkelhafen zu beziehen. Nonchalant schlugen die Architekten vier große Fenster vor, die ­genau diese Blicke inszenieren. Und der Parcours der Ausstellungsgestalter Thöner von Wolffersdorff, Augsburg, bindet sie thematisch perfekt ein – zur großen Begeisterung der stellvertretenden Leiterin des kult, Ulrike Brandt. Die Abbildung eines »Berkelzomp« etwa, ein flaches Boot, ist in Original­größe – knapp 13 m – auf die lange Außenwand direkt neben die Fenster gesetzt. Aus diesen sieht man das Hafenbecken, in Wirklichkeit und durch Ferngläser, in denen per Animation Schiffe auf dem Flüsschen segeln. Außer den Fenstern versorgt das zentrale Treppenhaus die Ausstellungsräume mit Licht, das durch Öffnungen sowie Stellwände gefiltert wird.

Hierdurch entstehen in überraschender Unmittelbarkeit nebeneinander sehr unterschiedliche Grade von Intimität und Offenheit. Besonders wirkungsvoll ist das rund um das wertvollste Stück der Sammlung gelungen. Die sogenannte Sixtus-Kasel, ein über 1 000 Jahre altes Messgewand des Heiligen Sixtus, dürfte eigentlich gar kein Licht treffen. Der Raum, der eigens für sie geschaffen wurde, hat komplett schwarze Wände und einen sehr dunklen Fußboden. Erst wenn man ihn betritt, wird die Kasel extrem sparsam beleuchtet. Doch nur ein paar Schritte trennen diese konzentrierte Dunkelheit vom hellsten Punkt des Gebäudes: den beiden wandhohen Fenstern, die die zwei Kirchengebäude inszenieren. Überwältigend!

Effektvolle Reduktion ist ein durchgängiges Merkmal der Ausstellung und ­ergänzt damit den Museumsbau perfekt. So ist auch die zweite Seite des DG gestaltet: Der rund 6 m hohe Raum ist durch eine endlos lange, extrem schlanke Betonstütze geteilt, die den Blick wie in klassischen Kathedralen nach oben bis unter den First lenkt. In der gesamten Ausstellung werden ­bewusst nur ausgewählte Stücke gezeigt, die umso größere Aufmerksamkeit erfahren. Manche Themen sind mit Absicht auch nur überblicksweise angerissen, weil sich in der Region eine andere Institution auf eins davon spezialisiert hat. Der regionale Bezug definiert diesen Ort auch noch anderweitig: Die Erläuterungstexte stehen auf Deutsch und – nein, nicht Englisch – Niederländisch an den Wänden.

db, Fr., 2017.12.01



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05. Dezember 2016Dagmar Ruhnau
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Schicht für Schicht

Das Augustinermuseum in Freiburg erfährt gegenwärtig eine tiefgreifende Sanierung und Umgestaltung, auf die es fast hundert Jahre lang warten musste – und die sich voraussichtlich über rund zwanzig Jahre erstrecken wird. Nachdem 2010 der erste ­Bauabschnitt übergeben wurde, steht seit September auch der zweite von insgesamt drei Abschnitten für Besucher offen.
In einem höchst charmanten Wechselspiel zwischen nüchtern-pragmatisch und rätselhaft-verspielt kommen sowohl die historische Umgebung als auch die Anforderungen eines modernen Museums­betriebs zu ihrem Recht.

Das Augustinermuseum in Freiburg erfährt gegenwärtig eine tiefgreifende Sanierung und Umgestaltung, auf die es fast hundert Jahre lang warten musste – und die sich voraussichtlich über rund zwanzig Jahre erstrecken wird. Nachdem 2010 der erste ­Bauabschnitt übergeben wurde, steht seit September auch der zweite von insgesamt drei Abschnitten für Besucher offen.
In einem höchst charmanten Wechselspiel zwischen nüchtern-pragmatisch und rätselhaft-verspielt kommen sowohl die historische Umgebung als auch die Anforderungen eines modernen Museums­betriebs zu ihrem Recht.

Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sich in der Straße etwas getan hat, so selbstverständlich steht der Neubau zwischen seinen Nachbarn. Eigentlich sind es drei Baukörper: wie die Nachbarn vertikal ausgerichtet, dabei aber ganz unterschiedlich proportioniert. Der Hauptbau mit taubenblauem kannellierten Putz nimmt von der historischen Häuserreihe zur Linken die kleinteilige, bewegte und schmuckvolle Gliederung, die hohen Gauben und Biberschwanzdeckung auf, die beiden folgenden Häuschen vermitteln zum hohen Chor der ehemaligen Augustinerkirche, indem ihre Gestalt schlichter, jedes Volumen kleiner und zum Schluss sogar die Baulinie an der Straße aufgegeben wird. Vom Chor, in dem zurückhaltend Spuren früherer Bebauungs­stadien sichtbar gemacht wurden, übernehmen sie die geschlossene, verputzte Gestaltung. Dass die Neubauten zur Straße fast komplett fensterlos sind, fällt zunächst einmal gar nicht auf. Große Tore und Öffnungen, Blindfenster, zwei Reliefs und ein elektronisches Display geben dem Auge genug zu tun. Besonders auffällig: das großformatige Relief auf der Schaufassade. Es trägt 16 Felder mit je einer glänzenden Letter, ähnlich wie in einem Setzkasten für den Buchdruck. Die Zeilen ASES – UTRE – GIMU – UNUM lassen Lateinisches vermuten, doch nach einigem Rätseln enthüllt sich das Wort »AUGUSTINERMUSEUM«, wenn man spaltenweise liest. An der roten Steintafel am Mittelbau ist beim Näherkommen »Haus der Graphischen Sammlung« zu entziffern. Darunter wird man später, tief im Grundstück gelegen, den Eingang finden.

100 Jahre Vorlauf

Die Gestaltung der Straßenseite(n) verweist auf den ersten Blick mysteriös, aber eigentlich ganz konkret auf den Zweck des Hauses: Es dient ganz der grafischen Sammlung des Augustinermuseums und des nahen Museums für Neue Kunst – zusammen 90 000 Blätter und Fotografien. Erstmals bekommen damit die Werke einen angemessenen Ort für Aufbewahrung, Restaurierung und Inventarisierung.

Wie die unzähligen anderen Sammlungsstücke des Augustinermuseums wurden sie in den letzten rund hundert Jahren nur provisorisch verwaltet. Grund dafür war die wechselvolle Geschichte des Gebäudes, eines ehemaligen Klosters aus dem 13. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert barock überformt und nach der Säkularisierung in ein Theater umgewandelt, sollte hier ab 1910 ein Neubau für die städtischen Sammlungen entstehen, doch konnten vor dem Ersten Weltkrieg nur noch die Theatereinbauten entfernt werden. Bis 1923 wurde die Augustinerkirche durch Stadtbaumeister Karl Gruber in eine lichtdurchflutete Ausstellungshalle umgebaut.

Und dabei blieb es. Über die Jahre zeigten sich zahlreiche Mängel, v. a. durch unzureichende Heizung: frierende Besucher, Feuchtigkeitsschäden, Schimmel – und völlig unangemessene Bedingungen für die Museumsstücke. Mit der Sanierung und dem Umbau seit 2002 durch Christoph Mäckler Architekten wird der Bau in ein zeitgemäßes Museum verwandelt. Viele Aspekte sind zusammenzuführen: museale auf der einen Seite – von der Logistik über die Haustechnik bis zur Besucherführung – und baulich-konstruktive sowie gestalterische auf der anderen, die den historischen Bestand bei allen heutigen Anforderungen wieder in den Mittelpunkt stellen. Das alles, wie Museums­direktor Tilmann von Stockhausen anerkennend sagt, in der »Kunst, die drei Bauabschnitte stets zusammen zu denken«. 2020, zur 900-Jahr-Feier Freiburgs, wird voraussichtlich auch der bereits seit August laufende 3. Bauabschnitt, das ehemalige Konventsgebäude um den Kreuzgang, abgeschlossen sein. Die phasenweise Umsetzung hat ihren Grund in der Finanzierung, die durch Bund, Land, Stadt und nicht zuletzt unzählige Spender gemeinsam getragen wird. Gut 60 Mio. Euro wird das Projekt kosten, rund 2 Mio. Euro Spenden sind das Ergebnis der Arbeit des eigens gegründeten Kuratoriums Augustinerkirche Freiburg.

Konzentrierte Atmosphäre

Das Haus der Graphischen Sammlung ersetzt einen quer zwischen Hausreihe und Chor eingesetzten Torbau aus den 20er Jahren, dessen Dachform sich am Chor in einem helleren Gelb abzeichnet. Der Weg zum Eingang führt durch den Neubau hindurch, das Foyer liegt bereits im Altbau, in einem kurzen Flügel des ehemaligen Konventsgebäudes. Kaum hat sich die Tür geschlossen, wird es ruhig, nicht einmal die Straßenbahn ist noch zu hören. Das niedrige, warm beleuchtete Gewölbe des Foyers, zentraler Sammelpunkt und Verteiler, bietet nach den vielen Eindrücken draußen erst einmal Gelegenheit, zu sich zu kommen. Hier befinden sich Garderobe und Schließfächer, angrenzend die Räume der Museumspädagogik sowie der Shop mit Kasse. Der Shop liegt im denkmalgeschützten Nachbarhaus, landläufig »Elektro Hauser« genannt. Das Haus wurde erst während der Planungszeit erworben und wird das Museum nach Fertigstellung zur Straße und für Zufallsbesucher öffnen.

Neben dem Foyer beginnt die sogenannte Kleinodientreppe, die funktional eine vertikale Verbindung im Rundgang durch die drei Bauabschnitte des Museums bildet. In diesem elliptisch geformten, in sich gekehrten Raum werden besondere Ausstellungsstücke aus der Sammlung in 30 unterschiedlich großen, in die Wand eingelassenen Vitrinen präsentiert. Beim Betrachten steigt man langsam in die Höhe. Die gleichmäßige Farbgebung von Wänden, Decke und Boden sowie das gedämpfte Licht erzeugen eine introvertierte Stimmung, doch immer wieder führen überraschend einige Stufen nach oben oder nach unten zu schwarz gehaltenen Türen und Gängen, hinaus aus dem Treppenraum in die Schaugeschosse oder hinter die Kulissen. Dabei lässt man gern mal für eine Weile die Orientierung fahren, denn trotz der vielen Möglichkeiten zum Abschweifen findet man durch die klare Führung stets wieder auf den Rundgang zurück. »Wegen der vielen unterschiedlichen Anschlusshöhen war es erst gar nicht möglich, die Treppe zeichnerisch darzustellen«, kommentiert Claudia Gruchow, Partnerin bei Christoph Mäckler Architekten und dort u. a. für Innenraumkonzepte zuständig, die Anforderungen. Erst anhand mehrerer Modelle und unterschiedlich langer Treppenläufe mit jeweils leicht variierten Steigungshöhen ließ sich die Aufgabe bewältigen.

Auch bis der Beton die gewünschte Farbe und Oberfläche hatte, musste viel experimentiert werden, insbesondere mit dem Zuschlag. Die sandfarbenen, gestockten und scharrierten Oberflächen, von glatten Flächen sauber ­begrenzt, greifen ein prägendes Gestaltungsmerkmal der Augustinerkirche auf – dort bestehen die neu eingebauten Stützenreihen mit ihren Galerien aus diesem Material. Und wie in der Kirche ist der Treppenbelag in hellem Marmor ausgeführt.

Die Wiederholung bestimmter Elemente zählt zu den gestalterischen Prinzipien, über die die verschiedenartigen Räumlichkeiten des Museums übergreifend verbunden werden. Neben Materialien und Farben gehören dazu die Motive der Treppe und der Durchblicke, die Verwendung von Spolien, schräge Laibungen und auch die Vitrinen.

Auf die Vitrinen wurde, mehr noch als im ersten Bauabschnitt, höchste Sorgfalt verwendet. Architekten, ausführende Firma und der Chefrestaurator Christoph Müller entwickelten in intensiver Zusammenarbeit eine spezielle Konstruktion. Drei Röhren, in exakt abgestimmter Ausrichtung an die rechteckige Box angeschweißt, stellen die schattenfreie Beleuchtung und perfekte Klimatisierung sicher – die Schalung dafür und für die Zuleitungen stellte beim Betonieren eine entsprechende Herausforderung dar.

Vollständige und unvollständige Wege

Die zentrale Lage der Treppe ermöglicht die saubere Trennung von öffent­lichen und nichtöffentlichen Bereichen. So können die Mitarbeiter, ohne den Weg der Besucher zu kreuzen, ihren vielfältigen Aufgaben nachgehen. Nicht weniger als vier Treppenerschließungen stehen ihnen dafür zur Verfügung. Wesentliche Teile dieser Aufgaben – Verwaltung, Restaurierung, Vorlegen, Museumspädagogik – finden im ­Gebäude von Elektro Hauser bzw. dem hinten anschließenden Flügel des Konventsgebäudes statt. Alle klimasensiblen Funktionen liegen indes im Neubau: die geschützte Anlieferung hinter dem großen Tor im EG, der Ausstellungsraum im 1. OG und die Magazinräume für Grafiken bzw. Fotografien im 2. und 3. OG.
Im 1. OG schließt die Treppe an den Rundgang an. Zurzeit sind allerdings die Räume im Konventsgebäude noch nicht zugänglich, es geht vorläufig nur in den einzigen Ausstellungsraum des Neubaus. Außer einer Sichtbetonstütze in der Mitte strukturiert nichts den 100 m² großen, quadratischen Raum, die ­Innenarchitektur gestaltet das Team des Museums für jede Ausstellung neu. Entsprechend zurückhaltend sind sämtliche technischen Funktionen wie ­Beleuchtung, Elektro- und Klimaleitungen in schlichten schwarzen, vielleicht etwas zu prosaischen »Technikgräben« an der Decke und im Boden bzw. in einem kaum sichtbaren umlaufenden Sockel untergebracht. Vitrinen und Stellwände sind damit flexibel andienbar.

Neben dem Ausstellungsraum beginnt das letzte momentan zugängliche Stückchen des Rundgangs: mit einem kleinen Vorraum, der direkt an den Chor der Augustinerkirche andockt und außerdem auf einen Steg führt, der den Rundgang in den 1. Bauabschnitt schließt. Ursprünglich wollten die Architekten auf dieser Verbindung einen Austritt platzieren, von dem man hinter dem barocken Orgelprospekt im Chorraum hätte hinunterblicken können. Doch dem Kuratorium war die Unversehrtheit des Chors zu wichtig. Gestalterisch hätte man mit diesem Zugang das Thema der Treppen und Durchblicke, das den Ausstellungsraum in der Kirche prägt, konsequent und sinnfällig fortgesetzt. Nun führt der Steg leider direkt vor der Kirchenfassade in den vorderen Bau. Er ist zwar verglast und mit schönem Eichenparkett ausgelegt, aber er beeinträchtigt den ohnehin recht engen Hof und mehr noch den Anblick der Kirche. Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: An der Stelle, wo der Vorraum auf den Chor stößt, sind Lisenen eines der hohen, ­zugemauerten Chorfenster zu sehen. Eines Tags wird die Wand in diesem ­Bereich hoffentlich geöffnet werden können, sodass der Blick auf die Orgel frei wird – momentan fehlt noch das Geld.

Stück für Stück wird das Augustinermuseum fertig werden. Man spürt das Vertrauen zwischen Architekten, Bauherren, Spendern und auch Handwerkern und freut sich an der Entdeckung von Detail um Detail – und darauf, ­irgendwann auch wieder im wunderbaren Café im Kreuzgang sitzen zu können, das 2010 als vorgezogener Teil des 3. Bauabschnitts vorläufig in Betrieb genommen wurde, jetzt aber wieder geschlossen ist und zusammen mit dem Konventsgebäude vollständig fertiggestellt werden wird.

db, Mo., 2016.12.05



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Haus der Graphischen Sammlung im Augustinermuseum Freiburg



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01. Dezember 2015Dagmar Ruhnau
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Coole Schmiede

Gründliche Abwägung und ein klares Ziel, gepaart mit umfassender Abstimmung mit allen Beteiligten und dem Vertrauen des Gemeinderats: So entstand in Heilbronn ein überzeugendes, robustes und nachhaltiges Stück Baukultur.

Gründliche Abwägung und ein klares Ziel, gepaart mit umfassender Abstimmung mit allen Beteiligten und dem Vertrauen des Gemeinderats: So entstand in Heilbronn ein überzeugendes, robustes und nachhaltiges Stück Baukultur.

Das Technische Schulzentrum entstand seit den 50er Jahren auf einem ehemaligen Krankenhausgelände am Rand der Heilbronner Innenstadt. Heute bieten zwei Schulen zahlreiche Bildungsmöglichkeiten an, von der Berufs- über Meister- und Technikerausbildungen bis zum Technischen Abitur. Im Lauf der Jahre wuchs das Ensemble in mehreren Etappen. Dominiert wird es heute von den viergeschossigen Schulgebäuden aus den 60er Jahren, die das Gelände in einen südlichen, »vorderen« und einen nördlichen, »hinteren« Hof teilen. Während der südliche Hof im Zuge des Ausbaus der Mensa neu geordnet wurde, bietet der nördliche noch ein Durcheinander von Anbauten, Lüftungsanlagen und Pflanzenbewuchs. Hier befindet sich das eingeschossige, 1954 errichtete Werkstattgebäude, das sich mit Sägezahndach und prägnanter Metallfassade selbstbewusst gegen den Schulbau der Wilhelm-Maybach-Schule behauptet.

Nach über 50 Jahren Betrieb waren der technische und energetische Standard, selbstverständlich auch der Brandschutz dringend überholungsbedürftig, und auch das Innere war durch unkontrollierte Ausbauten unübersichtlich geworden. Dass ein Neubau günstiger sein würde als eine Sanierung, lag auf der Hand. Doch das hätte bedeutet, einen üblichen Flachdachbau zu errichten. Das Hochbauamt als planende und ausführende Behörde legt großen Wert auf Baukultur und fand es wichtig, die Qualitäten des vorhandenen Gebäudes zu erhalten: das identitätsstiftende Äußere der Backsteinfassade, die klare, industrielle Architektursprache der 50er Jahre und nicht zuletzt die Sheddächer und das damit verbundene blendfreie Nordlicht sowie die großzügige Raumhöhe. Um den Gemeinderat von ihren Vorstellungen zu überzeugen, luden die Planer die Volksvertreter zu einer Begehung ein. In deren Verlauf erinnerten sich einige an Unterrichtsstunden in dieser Werkstatt während ihrer eigenen Lehrzeit – und nahmen über die Erinnerung den Wert des Orts auf einer ganz persönlichen Ebene wahr.

Natürlich musste das Projekt auch finanziell plausibel sein. So entwickelten die Planer ein Konzept über zwei Phasen: 2010/11 wurde das Gebäude energetisch ertüchtigt, finanziert mithilfe des Konjunkturpakets II, dann folgte 2013/14 die innere Neuordnung. Lange war überlegt worden, die Backsteinfassade zu erhalten, doch dafür hätte man eine Innendämmung anbringen müssen; was wiederum bedeutet hätte, u. a. die nachträglich eingebauten Innenwände abzureißen. Das aber wäre im Rahmen des Budgets nicht möglich gewesen. So wurde die Fassade von außen gedämmt und erhielt die vorgehängte, hinterlüftete Kupferfassade, die auf die Metallberufe verweist, die im Innern ausgebildet werden, ebenso neue Oberlichter aus Polycarbonat. Der industrielle Ausdruck ist nach wie vor erhalten, modernisiert und sogar gestärkt. Zehn Monate später schloss sich Phase zwei mit der inneren Umstrukturierung an. Seit Herbst 2014 ist die runderneuerte Werkstatt wieder in Betrieb.

60 % Technik, »nur« 40 % Architektur

Im Lauf der Jahre waren in der eigentlich offenen Werkstatt ohne Rücksicht auf die Tragstruktur Büros nach Bedarf aufgemauert, ebenso die Entlüftung fallweise gesetzt worden. Der Bau bekam aufgrund seiner zahlreichen unterschiedlichen Kamine, die durch das Dach stießen, sogar den Spitznamen »Dampflok«. Ein sauberes, übergeordnetes Konzept, unterstützt von durchgängig heller Farbgebung, verleiht der Halle nun Klarheit und erneut Großzügigkeit. Ein robuster, mit schwerem Gerät befahrbarer hellgrauer Industrieestrich zieht sich durch alle Räume, die Wände wurden nachträglich eingebaut. Um einen zentralen Kern, der drei Klassenzimmer und einen Raum zur Unterrichtsvorbereitung enthält, ordnen sich die Werkstätten an, sodass jedem Klassenraum direkt eine Werkstatt zugeschaltet ist. Entlang des Kerns bildet die Erschließung eine Art unsichtbarer Zwischenzone, die in großzügiger Breite durch alle Werkstätten verläuft. Durch Schiebetüren können diese voneinander abgetrennt werden – aus Gründen des Brandschutzes, aber auch, um Lärm und Gerüche einzudämmen –, doch zumeist stehen sie offen, um die Weitläufigkeit und das Gefühl für den Gesamtbau nicht zu schmälern. In zwei Achsen führt die Verkehrszone direkt zu den Außentüren zum Hof, die innen auch nach vier Jahren noch kupfern schimmern.

Die Klassenzimmer sind weiß gestrichen, die Werkstätten hellgrau. Sämtliche Arbeitsgeräte vom Schweißstand bis zum Schraubstock sind entsprechend hell lackiert. Damit bekam diese nüchterne technische Umgebung eine fast ätherische Qualität – die Räume wirken sehr luftig, das Gebäude nimmt sich stark zurück. Die gedämpfte Akustik, das neutrale Raumklima und die angenehme Beleuchtung tragen dazu bei, im Wesentlichen bestimmt aber die Haustechnik mit ihrer stringenten Ordnung das Ambiente. »In einem üblichen Schul- oder Verwaltungsbau ist der Anteil der Haustechnik 40 % zu 60 % für die Architektur«, erläutert Projektleiterin Daniela Branz. »Hier ist es genau umgekehrt.« Sämtliche Wandflächen wurden freigehalten, die Technik befindet sich ausschließlich unter der Decke: Heizkörper, Stromleitungen, die riesigen Be- und Entlüftungsrohre, die Leitungen für die zahlreichen Schweißgase sowie die Feuerlöschanlage. Ein kräftiges Gegengewicht bekommt der Hintergrund in Weiß, Hellgrau und reflektierendem Metall durch den gezielten Einsatz von starkem Rot und hier und da Dunkelblau. Richtig aufsehenerregend sind die rundum verlaufenden dunkelroten Kunststoffschürzen an den Ständen für das Wolfram-Inertgas- und das Metallaktivgasschweißen. Hier fühlten sich die Nutzer zunächst an einen Nachtclub erinnert. Diese Stände wurden auf besondere Anforderung des DVS (Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren) ausgestattet, für den die Schule hier überregionale Kurse und Prüfungen durchführt. Allerdings war zuvor einiges an Verhandlungen nötig: Die Anforderungen sahen u. a. eine gleichzeitige Absaugung aller 51 Stände vor " was die Lüftungsanlage sowohl in den Kosten als auch in ihren Dimensionen gesprengt hätte. Ohnehin nimmt die Lüftungstechnik jetzt das gesamte UG der Halle plus einen umfangreichen Aufbau im Schulhof ein. Man einigte sich auf eine 75 %-ige Absaugung, mit dem Argument, dass kaum an allen Ständen zugleich Abgase entstehen würden.

Baukultur in allen Facetten

Auch in anderen Bereichen war viel Abstimmung gefragt. Auf über 100 Jours fixes mit allen Beteiligten kam man für dieses Projekt. Neben sämtlichen Behörden mussten selbstverständlich auch die Lehrer und weitere Nutzer ins Boot geholt werden, um deren Anforderungen und Wünsche mit den Vorstellungen der Planer in Einklang zu bringen. »Natürlich gibt es fertige Einrichtungen für Schweißerstände«, kommentiert Daniela Branz. »Doch uns waren diese zu raumgreifend. Wir ließen eine reduzierte Sonderanfertigung entwickeln, sodass der Arbeitsplatz nun perfekt nutzbar ist. Auch die Gaszuleitungen sind sauberer angeordnet als üblich.« Besonders wichtig war den Planern, über die Farbgebung Ruhe in die Hallen zu bringen. Bei neuen Geräten wurde darauf geachtet, sie in »Papyrusweiß« zu bestellen, bereits vorhandene wurden vom Maler umlackiert, selbst die Beine der Tische haben diese Farbe. Seitdem angeschaffte oder reparierte Geräte fallen sofort ins Auge, denn die Ersatzteile und Neuzugänge zeigen mit Gelb oder Blau schon wieder erste Ansätze eines Farbsammelsuriums. Doch damit muss man wohl leben (oder in Abständen nachlackieren), denn die Nutzer tragen das Konzept zwar mit und fühlen sich hier auch wohl, doch ist ihnen der Erhalt des Farbkonzepts (erwartungsgemäß) nicht so richtig in Fleisch und Blut übergegangen.

Mit einem weiteren übergeordneten System wird die Werkstatt in das Gebäudekonglomerat eingebunden. Von einer Grafikerin ließ das Hochbauamt ein Leitsystem für das Schulzentrum entwickeln, das sich von den inhomogenen Strukturen und Farben absetzt. Es beruht auf einem schlichten schwarzen Quadrat, das bezeichnet, wo man sich gerade befindet " mit Bauteil, Raumnummer und Raumnamen. In der Funktion als Wegweiser wird die Form nur durch einen schwarzen Rahmen um diese Angaben gebildet, kombiniert mit einem Richtungspfeil. In der Werkstatt sind die Quadrate auf den Boden gemalt – wiederum, um die Wände freizuhalten –, an den Gebäuden dagegen sind sie als Schilder an der Fassade angebracht.

Da capo

Der Erfolg der Werkstatt – sie hat eben erst die Auszeichnung »Beispielhaftes Bauen« der Architektenkammer Baden-Württemberg erhalten – hat die Planer beflügelt. Auf dem südlichen Hof befindet sich die Schwesterwerkstatt noch in unsaniertem Zustand. Hier sind die Schreiner untergebracht. Naheliegend im Sinne »sprechender Architektur« wäre es, sie mit Holz zu bekleiden, doch den Planern ist viel mehr an einer Beruhigung des Geländes gelegen (mit der neuen Hofgestaltung wurde ja bereits ein Anfang gemacht). Deshalb soll diese Werkstatt ebenfalls mit Kupfer bekleidet werden. Doch bis es so weit ist, kommt erst einmal die Fassade der 60er-Jahre-Viergeschosser dran – auch hierin liegt viel Potenzial für eine ruhigere Ausstrahlung auf die Umgebung.

db, Di., 2015.12.01



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30. November 2014Dagmar Ruhnau
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Wehrhaft und durchlässig

Richtig idyllisch ist die Schweiz in den Landstrichen am Bodensee nicht. Viele Gewerbebetriebe zeugen vom industriellen Fleiß der Bewohner. Der Ort Wil-Rickenbach im Kanton St. Gallen macht hier keine Ausnahme, doch die Nachbarschaft und die Lage des Büro- und Wohnturms sind selbst in dieser Gegend sehr speziell.

Richtig idyllisch ist die Schweiz in den Landstrichen am Bodensee nicht. Viele Gewerbebetriebe zeugen vom industriellen Fleiß der Bewohner. Der Ort Wil-Rickenbach im Kanton St. Gallen macht hier keine Ausnahme, doch die Nachbarschaft und die Lage des Büro- und Wohnturms sind selbst in dieser Gegend sehr speziell.

Der Neubau steht an einer von Gewerbebauten gesäumten Straße, die aus Wil herausführt: Autohäuser, Einrichtungsmärkte und Bürobauten in unregelmäßiger Größe und Anordnung prägen die Umgebung. Hinter einer Mauer aus betongefüllten Stahlkassetten erstrecken sich Wiesen, auf denen Pflöcke künftige Einfamilienhausgrundstücke markieren. Diese Flächen gehörten zum Besitz von Eberle Mühlen, dem Bauherrn unseres Neubaus. Die Ausfallstraße führt recht schnell in die Landschaft, rechts und links öffnen sich plötzlich Blicke auf Berge und weite hügelige Wiesen. Den größten Kontrast bietet allerdings die unmittelbare vertikale Umgebung des Gebäudes: Während sich an seinem Fuß mit dem Mühleweiher eine kleine Idylle eröffnet – wenn auch v. a. optisch –, brettern sechs Geschosse weiter oben Lkw und Autos über den Viadukt einer überregionalen Hauptstraße.

»Dieser Ort hat uns natürlich sehr gereizt«, sagt Patric Furrer, einer der beiden Inhaber des 2008 gegründeten Zürcher Architekturbüros Furrer Jud. Der Auftrag war erst der dritte für die jungen Architekten und kam durch Vermittlung der Tochter des Bauherrn zustande, nachdem drei andere Büros unbefriedigende Entwürfe geliefert hatten. Die Planung erstreckte sich über ca. drei Jahre; dabei entstanden rund 50 Volumenmodelle des Baus – und ein intensives und vertrauensvolles Verhältnis mit dem Bauherrn, der zunächst lieber einen »normalen«, d. h. rechtwinkligen Grundriss zwecks Flächenmaximierung gehabt hätte statt des minutiös ans Gelände und an den Bestand angepassten Gebäudes.

Gedreht und gewendet

Ursprünglich stand an dieser Stelle ein 25 m hoher Betonturm als Getreidesilo, fast zeitgleich mit der Hochstraße in den 60er Jahren für die Mühlengesellschaft errichtet. Dessen Grundmauern im Hang erhielten die Architekten und erweiterten sie in zwei Richtungen, die Eckpunkte nahmen sie auf und führten sie als wahrnehmbare Knicke in der Fassade und im Grundriss nach oben. Im Gegensatz zu dem vormals fast fensterlosen, sich rigide nach oben streckenden Turm wollten sie jedoch in intensiven Dialog mit der Umgebung treten. Das ist ihnen gelungen – jedes Geschoss reagiert auf eigene Weise auf die Einflüsse sowohl aus der horizontalen Richtung als auch aus der Vertikalen, woraus sich ein differenzierter Baukörper entwickelt hat. Umhüllt sind die Volumina mit einer Fassade aus Titanzinkblechen auf einer Unterkonstruktion aus Trapezblech. Die beabsichtigte (und erreichte) Wirkung war die eines Panzers gegenüber der unwirtlichen Umgebung. Doch es ist viel mehr: Landmarke, abwechslungsreiche Architektur, vielleicht Initialzündung. Immerhin gab es eine rege Nachfrage von Mietinteressenten sowohl für die Wohnung als auch für die Büros. Die ca. 2,5 x 0,36 m großen Bleche glänzen zwar nicht mehr wie zu Anfang, doch bilden sie bei Sonnenschein immer noch eine edel wirkende, leicht bewegte Hülle. Sie passen sich in ihrer Farbigkeit exzellent ihrer Umgebung an – sei es an die horizontal gegliederten Bleche des Autohauses, sei es an die hellgraue Faserzementverkleidung des Nachbargebäudes oder sogar an das ruppig-schmutzige Wellblech der Postumschlagbasis noch ein Grundstück weiter. »Unser Ziel war ein industrielles Gebäude in einer industriellen Umgebung«, erläutert Patric Furrer. Und mit der Umsetzung sind die Architekten auch nach einem Dreivierteljahr noch »sehr zufrieden«. Ein Aspekt allerdings könnte durchaus weniger »umfeldorientiert« sein: Die großflächige, geschlossene Seitenwand des Turms Richtung Hochstraße hätte gern leer bleiben können und würde damit mehr Zeichenwirkung entfalten als jetzt, da sie ihrer Bestimmung gemäß mit großen Werbebannern verhängt ist.

Zwischen industriell und gediegen

Die Staffelung des Baukörpers ergab sich auch aus den vorgeschriebenen Höhenbegrenzungen, die sich in den unterschiedlichen Raumhöhen widerspiegelt: Die oberirdischen Büros sind 2,35 m hoch, die UGs und die Wohnung 2,6 m. Die beiden UGs, genutzt als kleinere Büroeinheiten, orientieren sich zum Weiher; ganz unten kann man sogar heraustreten und hat einen kleinen Sitzplatz direkt am Wasser – den Verkehr auf der Brücke weit oben über einem nimmt man tatsächlich kaum wahr. Über diesen beiden Geschossen folgen, erschlossen von der Straßenebene, drei Bürogeschosse, die die gesamte Fläche des Grundstücks einnehmen und (mit wenigen Ausnahmen) durch Knicke auch dessen Grenzen nachzeichnen. Das Treppenhaus ist in einer Ecke des ehemaligen Umrisses angeordnet und trägt dazu bei, die Büros jeweils in eine vordere, zur Straße orientierte, und eine hintere, zum Weiher gerichtete Fläche zu gliedern. Hier bewirkt die Aussicht ins Grün eine ruhige Atmosphäre, bei Sonnenlicht zeigen sich sogar Reflexe vom Wasser an der Decke.

Die Ausstattung ist nüchtern und robust, mit einem Hartbetonboden, weiß gestrichenen Wänden und einfachen weißen Schränken im Eingangsbereich, die als Garderobe, Teeküche und Serverplatz dienen.

Das EG-Büro ist direkt von der Straße zugänglich, alle anderen sind vom Treppenhaus aus zu erreichen, das noch einen separaten, seitlichen Eingang im 1. UG besitzt. Das Treppenhaus führt bis ins 4. OG und bietet hier eine Art Hintereingang für das Highlight des Baus: Die Wohnung sitzt als schlanker, viergeschossiger Turm auf der breiten Basis und ruft den Vorgängerbau in Erinnerung. Mehr als eine Wohnung war im Gewerbegebiet übrigens nicht erlaubt. Der eigentliche Zugang befindet sich im 6. OG, direkt erreichbar mit dem Aufzug. So gelangt man mitten in die Wohnung, ins oberste Wohngeschoss – von hier aus geht es in die eine Richtung nach unten in die privateren Räume, in die andere nach oben auf die Dachterrasse. Interne Verbindung ist eine schöne geschlossene und parkettbelegte Treppe entlang einer Außenwand. Wie es in einem Turm eben so ist, nimmt die Erschließung viel Platz ein, doch andererseits bilden Treppe und Flur einen selbstbewusst großzügigen Bereich. Ein Kern, der Aufzug, Bad und WCs aufnimmt – Letztere mal von der einen, mal von der anderen oder auch von beiden Seiten zugänglich – trennt den Flur vom Wohnbereich und ermöglicht »Rundum-Wohnen«, was der durchgängig verlegte dunkle Parkettboden unterstreicht. Insgesamt ist die Ausstattung der Wohnung minimalistisch, aber gediegen und mit Blick auf heimische Materialien gewählt – die Fensterlaibungen etwa wurden mit Schweizer Lärche ausgekleidet. Im 5. OG, quasi das 1. OG des Wohnturms, dann ein gezielt gesetzter Kontrast: Durch das große Fenster im Flur geht der Blick direkt auf die Brücke, auf der die Lkw vorbeirauschen – die Brüstungshöhe so, dass man sich auf einem Sessel davor setzen und geradezu kontemplativ dem Verkehr zusehen könnte, zu hören ist er nämlich kaum. Die Bewohner fühlen sich durch die Nähe des Verkehrs nicht gestört, im Gegenteil: »Wir haben schon gern, dass etwas los ist, wo wir wohnen«, kommentieren sie die Frage. Das ist insbesondere im Geschoss darüber der Fall: Zwei gegenüberliegende Fenster holen auf der einen Seite die Hochstraße und auf der anderen die riesigen Leuchtbuchstaben des Autohändlers ins Wohnzimmer – und dahinter gleich die weite Landschaft. Die eine weitere Etage höher tatsächlich die Atmosphäre bestimmt: Denn die Dachterrasse haben die Architekten weg von der lauten Straße und hin zur Aussicht gedreht. Ein Übriges tun die hohen Gräser, mit denen die Bewohner, selbst Landschaftsgärtner, die Terrasse bepflanzt haben. Die Vertikalen der Dachterrasse sollten ursprünglich wie die restliche Fassade mit Titanzinkblech gestaltet werden, doch entschieden sich die Architekten dann doch lieber für grau gestrichenes Holz – einerseits ist es wärmer und einladender, insbesondere auf der Überfahrt des Aufzugs, die hier als Sonnenbank ausgebildet ist, andererseits bietet es in diesem Bereich noch einmal eine neue, andere Materialqualität.

db, So., 2014.11.30



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02. November 2014Dagmar Ruhnau
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Oberfläche mit Tiefe

»Kachelofen!« Diesen Spitznamen hatte der Neubau im Seniorenzentrum Sonnenhof bereits kurz nach seiner Fertigstellung bekommen. Auf den ersten Blick erinnert er zwar durchaus an einen gemütlichen Ofen, doch entwickeln Fassade und Baukörper bei genauem Hinsehen eine feine, fast schon flirrende Materialität – die sich auch ins Innere zieht.

»Kachelofen!« Diesen Spitznamen hatte der Neubau im Seniorenzentrum Sonnenhof bereits kurz nach seiner Fertigstellung bekommen. Auf den ersten Blick erinnert er zwar durchaus an einen gemütlichen Ofen, doch entwickeln Fassade und Baukörper bei genauem Hinsehen eine feine, fast schon flirrende Materialität – die sich auch ins Innere zieht.

Zunächst ist das Gebäude ganz unauffällig: Das Grün der Keramikfassade entspricht vollkommen dem Farbton des Laubs der umgebenden Bäume. Der Eindruck ändert sich jedoch, wenn man direkt vor dem Bau steht. Durch den Blick vom Fuß des Hangs nach oben wirkt er recht wuchtig, und das dunkle Grün kontrastiert stark mit den hellen Fassaden des Umfelds, Sichtbeton, Putz und Schindeln. Zu diesem Effekt trägt auch bei, dass für die Baustelle mehr Bäume gefällt wurden als vorgesehen, sodass das Konzept der Architekten, den dreifingrigen Bau in die Lichtungen ragen und mit den Bäumen verschmelzen zu lassen, kaum noch zu erkennen ist. Eine solche Einfügung hätte die Vorstellung der Planer von dem Neubau als »Dépendance« oder »Stöckli« des bestehenden Altenheims unterstützt: verbunden durch Übergänge in EG und UG sowie die Möglichkeit, die Infrastruktur mit zu nutzen; unterschieden jedoch durch die Funktion als Seniorenresidenz mit hochwertigen Wohnungen. Zwar nimmt die Kubatur die bewegte Gliederung der benachbarten Sichtbetonbauten mit ihren Übereck-Balkonen in abgewandelter Form auf, doch macht der Neubau durchaus einen eigenständigen Eindruck: Er steht nicht in der Flucht der Bestandsriegel, sondern vorgerückt am Eingang zum Gelände, und die dunkelgrüne Keramikfassade setzt sich deutlich vom Bestand ab.

Satte Töne, murale Wirkung

Bereits im Wettbewerb waren die glasierten Keramikelemente samt ihrer Farbe Teil des Konzepts. Geplant war der Einsatz von günstiger Stangenware eines italienischen Herstellers, der allerdings schon vor der Ausschreibung in Konkurs ging. In der »Deutschen Steinzeug Schweiz« fanden die Architekten schließlich einen Hersteller, der bereit war, gemeinsam mit ihnen zu experimentieren. Angestrebt war eine Qualität, die ältere Fliesen auszeichnet: Tiefe der Farbe und lebendige Struktur. Tatsächlich konnte der Hersteller diese Vorstellungen mit seinen modernen Brennöfen umsetzen.

Die Mühe hat sich gelohnt: In der Sonne zeigt sich die Tiefe mit mehreren Schichten satter Grüntöne, die eine abwechslungsreiche Fläche bilden – und an den nahe gelegenen Stadtweiher erinnern. Damit vermittelt die Fassade zugleich Wertigkeit, Robustheit und Eleganz. Zur edlen Ausstrahlung trägt auch das Streifenmuster bei, das durch die vertikale Reihung der konkav geformten Fliesen entsteht und eine diskret ordnende Funktion übernimmt. Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium für die Fliesen war deren »murale Wirkung« und ein plausibler Umgang mit dem auch in der Schweiz allgegenwärtigen WDVS. In der Tat vermitteln das massive Erscheinungsbild, die Beständigkeit gegen Stöße und ein guter Klang beim Dagegenklopfen die Anmutung einer Wand. Für diese Wirkung spielen die Laibungen eine wichtige Rolle, deshalb sind dort ebenfalls Fliesen verlegt. »Ein Blech wäre zu dünnhäutig gewesen«, kommentiert Marius Hug, einer der Büroinhaber. Überlegungen dazu gab es, schließlich bestehen die Fensterprofile außen ebenso wie Sonnenblenden und Brüstungselemente (an manchen Küchen) aus messingfarben anodisiertem Aluminium und bilden durchgehende Bänder zur vertikalen Gliederung der Fassade. Die Entscheidung für die Fliesen erwies sich aber als richtig: Das Thema »massive Wand« in die Innenräume zu transportieren, bewirkt mehr als eine von außen ohnehin kaum sichtbare Ergänzung der Metallbänder. Im Gegensatz zur bewegten Klinkerfassade wirken die Bänder eher flach, passen sich aber farblich sehr gut ein. Die Farbe changiert je nach Lichteinfall und entfaltet ihre Wirkung von Nahem sehr schön – aus der Ferne sehen gerade die größeren Flächen leider eher nach Faserzementplatten aus.

Bestimmendes Konstruktionselement

Die Architekten entwickelten die Form der Fliese selbst. Um Balkonbrüstungen, -stürze und Außenecken sauber zu umschließen, entstanden ca. fünf Varianten der 126 x 300 mm großen Elemente. Im Planungsablauf bedeutete dies eine besondere Herausforderung: Da sich sämtliche Abmessungen nach der Fliesengröße richten, musste der Wandaufbau samt Rohbaumaßen bereits frühzeitig feststehen.

Um die Keramikteile exakt verlegen zu können, war es wichtig, den Unterbau sauber und stabil auszuführen – immerhin wiegt die Fassade rund 30 kg/m². Die Dämmung wurde auf der Ortbetonwand verklebt und verankert, anschließend mit Armierungsmörtel mit eingelegtem Glasfasergewebe verbunden. Diese Schicht musste extrem plan werden, denn die Fliesen wurden nur mit einem hauchdünnen Kleber befestigt. Marius Hug lobt die Leistung der portugiesischen Fliesenlegertruppe wegen ihres Verständnisses für die Anforderungen der Fassade. Für die Verlegung wurden mehrere Varianten durchgespielt; letztlich entschied man sich für einen regelmäßigen Verband in halber Fliesenlänge, was ein angenehm ruhiges Fugenbild ergibt, in das sich der mittelgraue Fugenmörtel unauffällig einfügt.

Wohnen mit Ausblick

Die Innenräume sind ebenso hochwertig gestaltet wie die Fassade; durch die Verwendung heller Materialien und durch eine kluge Lichtführung wirken sie jedoch leichter. Der reduzierte, erdige Farbkanon aus Messing und Grün zieht sich durch, ergänzt um die Farbe Rot. Den Hintergrund bilden Sichtbetonwände und -decken in den öffentlichen Bereichen bzw. weiß gestrichene Glasfasertapeten und lasierte Sichtbetondecken in den Wohnungen. »Wir wollen das Farbliche eher über das Material tragen«, sagt Marius Hug dazu. Und so enthält der auffällige, grobkörnige Kunstterrazzo der Treppen einen Hauch von Dunkelrot, das bei den auf die Sichtbetonwände gemalten Etagenbezeichnungen aufgegriffen wird und mit den Wohnungstüren aus Eiche harmoniert. Das Material Eiche setzt sich in den Wohnungen im Parkett der Privaträume fort, während in den halbprivaten Bereichen (ebenfalls rötlicher) Travertin verlegt wurde.

Das Gebäude ist als Split-Level organisiert, einerseits natürlich, um den Geländeverlauf aufzunehmen, andererseits aber auch – und das ist sehr gut gelungen –, um durch Blickbeziehungen zwischen den Wohnungen den Bewohnerinnen und Bewohnern das Gefühl von Gemeinschaft zu geben. Diese Haltung manifestiert sich auch anderenorts: Vor der Waschküche bietet ein Freisitz mit Wäschespinne Platz zum Plaudern, vor dem Haus und auf der Dachterrasse stehen Bänke zur Verfügung.

Pro Etage verfügt der Bau über zwei Zweieinhalb- und vier Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen, je drei teilen sich ein großzügiges Podest. Mit der Erschließung durch ein zentrales Treppenhaus reizten die Architekten die zulässige angebundene Gesamtfläche von 700 m² aus. Der Preis dafür sind die eher dunklen Eingangsbereiche der Wohnungen, deren Einbauschränke und Abstell- räume dafür viel Stauraum bieten. Vollends aufgewogen wird der Nachteil durch den breiten Korridor, der an den Privaträumen vorbei zum hellen Wohnbereich mit integrierter Küche und Balkon führt. Die Küchenfronten aus Eiche und der grünliche Ton der Naturstein-Arbeitsplatte sowie die von den Architekten selbst entworfenen brünierten Messinggriffe rufen den Farbkanon des Hauses dezent in Erinnerung.

Die Balkone sind jeweils nach zwei Seiten orientiert, um möglichst viele Bezüge herzustellen. Nach Südosten bietet in der Ferne der Säntis den zumeist aus Wil stammenden Bewohnern einen vertrauten Anblick, nach Norden liegen der Park und die Altstadt. Einen grandiosen Bergblick gewährt v. a. die Dachterrasse, die mit ihren grünen Tischen und Sitzgelegenheiten sowie den mit Wiesenblumen bepflanzten Hochbeeten eine beliebte Freifläche darstellt.

Bergidylle in spe

Eine Wiese mit hohem Gras und Blumen schwebt den Architekten auch für das Gelände um das Haus herum vor, doch es braucht wohl noch einen oder zwei Sommer, bis man auf den Bänken das Bergwiesenflair genießen kann. Einige Sitzgelegenheiten sind in die terrassierenden Betonmauern integriert, die mit grober, herausgekratzter Oberfläche und unregelmäßiger Verteilung über den Hang ebenfalls Anklänge an eine Berglandschaft herstellen werden, sobald sie ordentlich bewittert sind. Sogar eine Art Wasserfall ist vorgesehen. Ob es an dieser differenzierten Ausgestaltung liegt oder an der Lage direkt im Stadtzentrum – die Mieter schätzen sich jedenfalls glücklich, hier zu wohnen.

db, So., 2014.11.02



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02. Dezember 2013Dagmar Ruhnau
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Lichtblick

Unter dem Dach einer ehemaligen Tankstelle platziert, bietet »The Filling Station« Raum für Gastronomie und Kultur mit Blick aufs Wasser. Material und Konstruktion sind preisgünstig und einfach, schaffen aber dennoch einen poetischen Ort inmitten der wüsten Baustellenlandschaft von King's Cross.

Unter dem Dach einer ehemaligen Tankstelle platziert, bietet »The Filling Station« Raum für Gastronomie und Kultur mit Blick aufs Wasser. Material und Konstruktion sind preisgünstig und einfach, schaffen aber dennoch einen poetischen Ort inmitten der wüsten Baustellenlandschaft von King's Cross.

Auf dem Gelände hinter King's Cross, einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Londons, entstehen zurzeit auf 27 ha ehemaliger Gleis- und Schuppenflächen neue Einkaufsstraßen, Bürogebäude und Wohnblocks. Das ehemals verrufene Bahn- und Industrieareal am Kreuzungspunkt von Eisenbahn, Straßen und Wasserwegen (das im 18. Jahrhundert noch ein verträumter Badeort war) wandelt sich zu einem Stück Stadt des 21. Jahrhunderts: sauber, glatt, effizient, mit einem Hauch Nostalgie durch umgebaute Lagerhäuser. Bis 2020 sollen hier 45 000 Menschen leben, arbeiten und studieren. Doch noch steht Kran neben Kran, kaum etwas ist fertig und überall guckt noch das Alte hervor. Am östlichen Rand des Geländes steht ein kleines Gebäude, eingezwängt auf einem dreieckigen Grundstück zwischen zwei breiten Straßen und dem Regent's Canal, der sich erst langsam wieder zu einem Ort mit Aufenthaltsqualität entwickelt.

Das Gebäude ist tagsüber kaum wahrnehmbar und geht auch bei Dunkelheit trotz Beleuchtung neben der lichtüberfluteten Baustelle und anderen schreienden Lichtinstallationen ziemlich unter. Und doch fällt es auf, indem es den zumeist banalen und plumpen Großbauten eine feine Eleganz entgegensetzt. Die Hülle besteht aus geschwungenen Kunststoffelementen, die in Bögen ungefähr die Form des Grundstücks nachzeichnen. Bei bedecktem Himmel wirkt der Bau rätselhaft, grau wie der alte Straßenbelag und wie eine undurchdringliche Wand. Der weiße Schriftzug »The Filling Station« ist kaum zu lesen und hilft auch nicht weiter, denn hier handelt es sich erkennbar nicht um eine Tankstelle. Doch bei Sonne erscheint auf der Fassade ein zauberhaftes Spitzenmuster; und fällt das Licht von hinten gegen die Elemente, zeigt sich ihre Transluzenz: Unterkonstruktion und Teile der Einrichtung werden als abstrakte Muster sichtbar. Nachts sind die Elemente effektvoll illuminiert, der Schriftzug leuchtet grün. Das Gebäude wird noch zarter und durchlässiger – ganz wie die leuchtende Laterne, die die Architekten beim Entwurf vor Augen hatten.

Verkehrsbau wird Idyll

»The Filling Station« steht tatsächlich auf einem ehemaligen Tankstellengrundstück. Für die Zeit, bis hier Wohnungen entstehen, verwandelte es das Architektenduo Carmody Groarke für die Eventgastronomen von Bistrotheque, bekannt für temporäre Restaurants (s. auch db 9/2010, S. 24), in eine »heiße« Adresse für hippe Londoner. Über dem durch das wechselnde Erscheinungsbild nicht ganz fassbaren, 4 m hohen und 200 m langen Baukörper schwebt das alte Tankstellendach, doch statt der üblichen gerundeten, viel zu dicken Verkleidung zeigt sich nun eine klare weiße, wohlproportionierte Scheibe. Das Grün der Leuchtschrift erinnert an die ehemalige Nutzung durch einen britischen Ölkonzern, dessen alte Tanks sich noch im Boden befinden. Auch das Tankstellengebäude blieb erhalten, mitsamt Ver- und Entsorgungsleitungen. Hier wurde die Küche eingerichtet, im ehemaligen Verkaufsraum bieten weiß eingedeckte Tische Platz für 50 Personen. Um dieses und ein weiteres kleines Gebäude am gegenüberliegenden Ende des Grundstücks entwickeln sich die GFK-Elemente und bilden dazwischen einen kleinen Hof aus, der sich zum Kanal öffnet. Hier wird im Sommer auf Bierbänken gesessen, gegrillt und getrunken, auch kulturelle Veranstaltungen gibt es. Sobald man unter den beiden riesigen Nadelbäumen um die Ecke biegt, vergisst man fast, dass man in London ist. Die Großbaustelle von King's Cross leuchtet zwar durch die Kunststoffpaneele hindurch, doch der Blick geht auf den ruhigen Kanal mit seinen Hausbooten und auf »The Granary«, ein ehemaliges Lagerhaus, das für die University of the Arts um- und ausgebaut wurde (Architekten: Stanton Williams).

Einfachheit mit grosser Wirkung

So raffiniert und vielschichtig die Architekten den Ausdruck und die Wirkung der kleinen »Laterne« gestaltet haben, so einfach und zurückhaltend ist die Konstruktion. Zwischen den GFK-Elementen ist jeweils ein Sperrholz-Schwert angeordnet, die Verbindung erfolgt über Bolzen durch jeweils ein Gelenk und die inneren Flansche der Paneele. Diese Kette wiederum wird gehalten von einer einfachen Gerüstkonstruktion, die als Herzstück und Inbegriff des temporären Baus in Szene gesetzt wird: Durch Sonnenlicht am Tag und gezielte Beleuchtung nachts zeichnen sich die Schatten der Rohre auf der geschwungenen Fassade ab.

Der Schriftzug erinnert übrigens nicht zufällig an amerikanische Diner der 50er Jahre. Das gesamte Konzept folgt dieser Richtung, allerdings ohne Polsterbänke und mit einem südlichen Einschlag. Von der Palme bis zur Wandbemalung wird eine dezent »mexikanische« Atmosphäre hergestellt, und die Speisekarte erzählt die Geschichte einer (fiktiven) Dame namens Shrimpy, die von ihren Reisen aus Mexiko die verschiedenen Tortas, Cocktails und v. a. Fischgerichte mitgebracht hat. Und so sitzt man hier und entdeckt im Grauen, Gezackten der Kunststoff-Hülle des Restaurants zu guter Letzt auch noch Ähnlichkeit mit den Schalen von Shrimps und Austern.

Für drei Jahre, bis 2014, hat »The Filling Station« eine Genehmigung, ursprünglich waren nur zwei Jahre geplant. Jetzt im Winter finden nur einzelne Veranstaltungen statt, doch soll das Restaurant ganzjährig für das Publikum offenstehen. So arbeiten die Architekten gegenwärtig an einer Lösung, die den Hof dauerhaft nutzbar macht – ein Vorhang, der vor Kälte schützt, wünschenswerterweise aber die Aussicht nicht verdeckt. Gleichzeitig wird darüber verhandelt, ob sich die Genehmigung um ein weiteres Jahr verlängern ließe.

db, Mo., 2013.12.02



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Presseschau 12

09. Dezember 2019Dagmar Ruhnau
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Spektakel auf der Burg

Nach Jahrzehnten des Provisoriums haben die Frankenfestspiele auf Burg Brattenstein eine feste Tribüne bekommen. Doch der Neubau – eine schlichte, gerad­linige Satteldachform »with a twist« – ist sehr viel mehr: Er schließt eine städtebauliche und emotionale Leerstelle in dem 1 700-Seelen-Ort und ist zu einem weiteren funktionierenden Baustein in der Neuerfindung des Städtchens geworden, das in der fränkischen ­Geschichte durchaus seine Bedeutung hatte.

Nach Jahrzehnten des Provisoriums haben die Frankenfestspiele auf Burg Brattenstein eine feste Tribüne bekommen. Doch der Neubau – eine schlichte, gerad­linige Satteldachform »with a twist« – ist sehr viel mehr: Er schließt eine städtebauliche und emotionale Leerstelle in dem 1 700-Seelen-Ort und ist zu einem weiteren funktionierenden Baustein in der Neuerfindung des Städtchens geworden, das in der fränkischen ­Geschichte durchaus seine Bedeutung hatte.

Röttingen liegt 35 km südlich von Würzburg im Taubertal, einer hügeligen Landschaft, die durch ihren Wein bekannt ist. Obwohl die Stadt heute pittoresk-verschlafen wirkt – erst recht an einem nebligen Vormittag mitten in der Woche –, deuten große Bauten aus unterschiedlichen Jahrhunderten auf vergangene Bedeutung, Wohlstand und Bürgerstolz. Erstmals wurde die Stadt gemeinsam mit der Kirche St. Kilian 1103 erwähnt.

Aus den zahlreichen schön hergerichteten Fachwerkbauten ragen das barocke Rathaus am Marktplatz, das Neorenaissance-Spital und die Schule von 1873 heraus. Die Stadt ist Ausflugsziel insbesondere für Radfahrer und Tagestouristen, die mit dem Auto die »Romantische Straße« zwischen Würzburg und Neuschwanstein abfahren. Die Burg Brattenstein wurde erstmals 1230 als Wohnsitz lokaler Adlige erwähnt und diente 1345-1803 als Sitz der Vertreter des Bistums Würzburg, ab der Säkularisierung als untere Finanzbehörde des Königreichs Bayern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Nutzungen kurzfristiger und heterogener. Passte die Vierseitanlage, die sich als Teil der Stadtmauer über dem Ort erhebt, aber aus dem Stadtgefüge ziemlich zurückzieht, während des Dritten Reichs im Ausdruck durchaus noch zur Nutzung durch den Reichsarbeitsdienst, wurde sie danach Quartier amerikanischer Soldaten, Durchgangslager für Flüchtlinge und bis 1971 Produktionsstätte für eine Aschaffenburger Textilfabrik. Seit 1984 finden hier jeden Sommer die Frankenfestspiele statt, und im Südflügel hat ein kleines Weinmuseum seine Heimat. Seit 2003, seit dem Bau der Umgehungsstraße, wird die Revitalisierung des Städtchens mithilfe der Städtebauförderung Stück für Stück vorangetrieben: Rathaus, Spielscheune, »Hochzeitsturm«, Marktplatz und Hauptstraße.

Stadt und Burg einander zuwenden

Mit ihrer Ostseite wendet sich die Burg der Stadt zu. 1971 stürzte ein Teil ­davon ein – es wird vermutet, dass die Vibrationen der Nähmaschinen dem uralten Bruchsteinmauerwerk zusammen mit dem Druck aus dem Hang den Rest gaben. Beim Sturz aus mehreren Metern Höhe wurden vier Näherinnen getötet. Die Außenmauer blieb jahrelang provisorisch abgestützt, umgeben von einer Absperrung. Dadurch entstand eine Engstelle in der Straße, die ­niemand gern passierte, was die Burg zusätzlich von der Stadt trennte. Diese physischen und mentalen Barrieren zu öffnen, war eins der Anliegen der Architekten, als sie von der Stadt beauftragt wurden, ein Konzept für die Reparatur des Ostflügels zu erarbeiten. Der Anlass war ein ganz profaner: Der Statiker konnte nach 20 Jahren die Funktionstüchtigkeit der provisorischen Holzkonstruktion für die Hangsicherung schlicht nicht mehr nachweisen. Die Suche nach einer sinnstiftenden Nutzung und damit nach der Ausgestaltung des Neubaus erwies sich als nicht so leicht. Zwar belegen die Frankenfestspiele den Hof von Mai bis August, doch ist das etwas wenig für eine solche Anlage. Somit entstand die Idee, die Burg öffentlich zugänglich zu machen, sodass sie den Bürgern auch außerhalb der Aufführungen zur Verfügung steht.

Dieses zunächst noch etwas ungefähre Nutzungskonzept, das sich in den nächsten Jahren mit Leben füllen wird, veranlasste die Architekten, zusammen mit dem Öffnungsgedanken, den Neubau im Volumen deutlich geringer als den Vorgänger zu formulieren. Zum Hof hin schließt der lange Bau die vom Rest des Ostflügels vorgegebene Kante. Dadurch tritt er auf der Außenseite der Burg aus der Flucht zurück. Es entsteht ein relativ breiter Vorplatz in Richtung der gegenüberliegenden Gebäude, den seine helle, mittelformatige Pflasterung selbst an einem dunklen Tag luftig und einladend wirken lässt. Die neue, 10 m hohe Außenmauer besteht zum größten Teil aus wieder­verwendeten Muschelkalksteinen aus dem eingestürzten Flügelbau. Dahinter wurde eine Stahlbetonkonstruktion als Unterbau für das neue Gebäude erstellt, in dem u. a. die Veranstaltungstechnik ihren Platz findet. Zwischen die neue Außenmauer und ein – ordentlich gereinigtes und abgedichtetes – Überbleibsel der alten wurde eine breite Treppe aus Sichtbeton eingeschoben, die zum Stadtzentrum gerichtet ist. Sie stellt zusammen mit dem Vorplatz die wichtige Öffnung zur Stadt sicher, ist aber zugleich ganz profan der notwendige 2. Fluchtweg, den die Burg als Versammlungsstätte benötigt. Nachts setzen Beleuchtungselemente die Treppe angenehm in Szene, ebenso die bei Tag kaum wahrzunehmende lange Betonbank (auf der sich der Architekt mehr sommernachts plaudernde Menschen wünscht) und die darüber schwebende Loggia. Vor der Loggia begrenzt ein mächtiger historischer Ausleger, auf dem früher ein Turm aufsetzte, den Vorplatz. Dessen glattes Mauerwerk, das das Unglück 1971 ohne Schaden überstanden zu haben scheint, rahmt ein Stück in der Flucht der ehemaligen Außenmauer, das bewusst die Steine zeigt, wo der Einsturz die Wand auseinandergerissen hat. Auch auf der Cortentafel, die in die Sichtbetonwand der Treppe ein­gelassen ist, wird daran erinnert – Gesten, die von den Angehörigen der Opfer gewürdigt werden.

Auf der Höhe des Burghofs, auf der Außenseite des Ostflügels, befindet sich ein weiterer Platz, barrierefreier Zugang und 1. Fluchtweg. Hier werden u. a. die Eintrittskarten verkauft. Auf einem neu angelegten Bereich auf dem Dach einer ehemaligen Garage (mit Gewölbe!) wurde während der Festspiele eine Sektbar mit Sitzsäcken und schönem Ausblick eingerichtet. Dieses Angebot wurde schon gut angenommen, und es entstand ein wenig öffentliches Stadterleben, das sich der Architekt für das Gelingen des Projekts so wünscht.

Die Loggia: Hingucker und Ausguck

Die Loggia ist das Pièce de Résistance der Burg. Architekt Stefan Schlicht meint, ein solcher Eingriff in ein historisches Gebäude und eine traditionelle Stadt brauche einen Hingucker – auch wenn mancher Stadtrat damit zunächst nicht einverstanden war. So erklärt sich u. a. die Wahl des Materials Corten, das die Tribüne umhüllt und nach außen die große glatte Fläche der Mauer proportioniert und elegant abschließt. Nach einem Jahr hat sich seine Farbe von Dunkelgrau zu Rostrot gewandelt und kommt damit auch den Wünschen jener Stadträte entgegen, die eine traditionelle rote Ziegeldeckung für den Bau vorgezogen hätten. Die Ausformulierung der Loggia selbst verdankt sich einem zufälligen Blick durch eine verschobene Latte in der provisorischen Holz-Rückwand. Für Stefan Schlicht war sofort klar, dass diese Aussicht der Burg große Anziehungskraft verleihen würde. Untermauern konnte er seine Einschätzung mit der Beobachtung, dass z. B. im nahen Würzburg all jene Weinstuben und -feste mit Ausblick über die Umgebung förmlich überrannt werden. Und in der Tat: Die Loggia wirkt. Ist der Burghof zugänglich – was noch nicht dauerhaft der Fall ist –, lassen Einheimische ihre Besucher gern an dem besonderen Gefühl, erhaben den Blick über die Stadt schweifen zu ­lassen, teilhaben.

Brattenstein ist auf dem Weg, »eine Burg für die Bürger« zu werden, wie von den Architekten geplant.

Im Innern ist die Stahlkonstruktion mit Lärchenholz ausgekleidet. Die Holzbekleidung zieht sich nahtlos auch über das große schwere Schiebeelement, das die Tribüne von der Loggia trennt und bei Aufführungen gegen Schall aus der Stadt schützt. Die unregelmäßig geteilte, raue Lattung ist außerdem mit einem akustisch wirksamen Vlies hinterlegt, das Echos unterbindet. Trotz der großen Entfernung zur Bühne ist die Akustik sehr gut, berichtet der Architekt, u. a. auch dank professioneller Tontechnik. 199 Sitzplätze sind fest installiert, bei Bedarf wird der Burghof voll bestuhlt und »betischt«. Die Regie hat ihren Platz nun zwischen den Sitzplätzen, mit Blick auf die Bühne und nicht mehr in einem Seitengebäude wie bisher. Räume in der sogenannten Zehntscheuer, die die Bühne seitlich begrenzt, dienen als Umkleiden. Das Gebäude, das 2009-12 saniert (und mit einem Preis der Bayerischen Architektenkammer bedacht) wurde, beherbergt außerdem den Sitzungssaal für den Stadtrat, Räume für Veranstaltungen und Seminare sowie Jugendräume.

Auf den Punkt

So einfach das resultierende Gebäude scheint, so komplex waren die Einflussfaktoren für seine Gestaltung. Es ist bemerkenswert, wie es all seine Aufgaben gut erfüllt, beim »Aufsehenerregen« das richtige Maß wahrt und damit seine städtebauliche Funktion verantwortungsvoll wahrnimmt. Auch die bauliche Ausführung war eine Herausforderung. Am Tag nach der letzten Festspiel-Aufführung im August 2017 gab es unter Anwesenheit des Landrats und des Bürgermeisters ein feierlich-fröhliches »Ansägen« der ausgedienten Holzkonstruktion, und am Tag der ersten Aufführung im Mai 2018 ein »Auskehren« der Späne. Dazwischen: Zeitdruck angesichts ausgebuchter Handwerker, der Suche nach den geeigneten Herstellern und (normaler) unvorhergesehener Zwischenfälle auf der Baustelle. Dass das alles geklappt hat, bezeichnet Stefan Schlicht fränkisch nüchtern als das eigentlich Herausragende an diesem Projekt. Für ein Architekturbüro rechnet sich ein solches Vorhaben so richtig nur über die Leidenschaft, die man dafür ent­wickelt, aber für die Stadt Röttingen ist es ein klarer Gewinn. Wie für viele Revitalisierungsprojekte konnten glücklicherweise Mittel aus der Städtebauförderung in Anspruch genommen werden. Denn ein attraktives, funktionierendes Städtchen, das kommenden Ideen Raum bieten kann, hält auch die Jüngeren im Ort. Weitere Projekte sind im Gang: Die Burghalle und die Alte Schule werden saniert, ein Generationenpark am Tauberufer – wieder ein sehr zeitgemäßes Projekt – ist in Planung. Im Frühjahr bekommt Röttingen einen neuen Bürgermeister. Es bleibt spannend, wie es weitergeht.

db, Mo., 2019.12.09



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03. Dezember 2018Dagmar Ruhnau
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Schatzkästchen aus Beton

Dass Dundee in Schottland liegt, muss man seit dem 16. September wohl nicht mehr erklären. An diesem Tag öffnete das Victoria and Albert Museum Dundee, und seitdem strömen die Massen in die Stadt zwischen Edinburgh und Aberdeen. Nach drei Wochen wurde bereits die 100 000. Museumsbesucherin gezählt – eine Einheimische. Bilbao-Effekt? Die Architektur ist jedenfalls ungewöhnlich und rätselhaft, aber zugleich pragmatisch, alltagstauglich und v. a.: nicht überdimensioniert für die Stadt.

Dass Dundee in Schottland liegt, muss man seit dem 16. September wohl nicht mehr erklären. An diesem Tag öffnete das Victoria and Albert Museum Dundee, und seitdem strömen die Massen in die Stadt zwischen Edinburgh und Aberdeen. Nach drei Wochen wurde bereits die 100 000. Museumsbesucherin gezählt – eine Einheimische. Bilbao-Effekt? Die Architektur ist jedenfalls ungewöhnlich und rätselhaft, aber zugleich pragmatisch, alltagstauglich und v. a.: nicht überdimensioniert für die Stadt.

Das Auffälligste an dem neuen Museum ist zunächst einmal, dass es nicht auffällt. Zumindest nicht, wenn man mit der Bahn anreist. Mit vielen Renderings und PR-Bildern im Kopf sucht man von der langen Brücke über den Tay aus vergeblich das Ufer der Stadt nach einem leuchtend weißen Monolith ab. Und auch wenn man vor dem neu gestalteten Bahnhof von Flaggen mit dem V&A-Logo begrüßt wird, muss man erst gezielt an einer großen Baustelle und der mehrspurigen Straße vorbeischauen, bevor man das dazwischen merkwürdig klein wirkende, aber eigentlich nur wenige Schritte entfernte Museum entdeckt.

Die Stadt am Meer

Sicher, die Baustellenzäune werden irgendwann verschwinden und einen unverstellten Blick auf den Bau ermöglichen. Doch noch befindet sich die 8 km lange Uferzone in einem 30-jährigen Umgestaltungsprozess, der gut 1,1 Mrd. Euro kosten wird. Ein Uferweg verbindet die fünf Abschnitte vom Naturschutzgebiet über die innerstädtische Uferzone bis zum brummenden Hafen. Das V&A steht mittendrin, im Central Waterfront genannten Abschnitt. Auf diesem flachen Gelände vor der am Hügel liegenden Stadt befanden sich einst Docks; nachdem sie aufgegeben worden waren, blieben die Auffahrt auf die Straßenbrücke über den Tay – die übrigens ganz dicht am V&A vorbeiführt –, ein riesiger Kreisverkehr und ein Freizeitcenter übrig. Erklärtes Ziel der Umgestaltung ist es, die Stadt und den breiten Fluss (auch Firth of Tay genannt) wieder zu verbinden. Die Straßenführung ist nun halbwegs verträglich und definiert den neuen Park Slessor Gardens sowie diverse weitere Baufelder, auf denen bis zu sechs Geschoss hohe Bauten mit Büro-, Hotel-, Freizeit- und Wohnnutzungen entstehen werden.

Stadt und Fluss enger zu verknüpfen, war auch eine wesentliche Anforderung im Wettbewerb für das V&A, bei dem die Jury 2010 aus sechs Finalisten einstimmig den Entwurf von Kengo Kuma and Associates wählte. Ein Glücksgriff, selbst wenn Kumas Entwurf gerade nicht demonstrativ mit dem Thema Wasser spielte. Stattdessen: »Stein in Bewegung«. An der schottischen Ostküste ist mit Stürmen, Hochwasser und Nebel durchaus zu rechnen. Insofern ist die Wahl des Materials vollkommen einleuchtend – allerdings strahlt das Ergebnis nicht so durchgängig weiß wie erwartet. Mit ein Grund dafür ist die schwarz beschichtete Außenseite der gewundenen Betonwände, die hinter den schwebenden, bis zu 4 m langen Betonsteinen der Fassade zu sehen ist. Doch trägt gerade das zu ihrer Wirkung bei: Je nach Tageszeit und Wetter erscheint sie glatt oder tief zerklüftet und – wie so viele Häuser in Schottland mit Natursteinfassade – dumpf grau, warm ockerfarben oder doch glitzernd hell. Inspiration dafür bezog Kuma aus dem »Dialog von Erde und Wasser«, der an der schottischen Küste streifenförmig ausgewaschene, von Löchern perforierte Felsen hinterlässt.

Felsen? Auster? Beton-Kokon?

Ohne direkt sichtbare Fenster und Türen, mit verschiedenen Ab- und Einschnitten, die z. T. aus der Fassade herausgedreht sind, ist das Gebäude nicht einfach zu lesen. Auch deshalb sollte man sich einen Erkundungsgang um den schweren Betonbau gönnen, zwischen seinen zwei massiven Sockeln hindurch, um Kurven und Ecken, über helle und dunkle, geschützte und windige Stellen. Dabei eröffnen sich unterschiedliche Perspektiven auf Stadt, Brücken und Hafen – und schließlich entdeckt man doch den Eingang.

Ungeduldige können ihn durch eine Art Schnitzeljagd finden: Die Flaggen vor dem Bahnhof geleiten bis zu den in gleicher Weise gestalteten Plakaten vor dem »Schlupfloch« an der stadtzugewandten Ecke des Gebäudes. Wer aber das raue Äußere nicht aufgenommen hat, kann auch das geradezu heimelige Innere nicht richtig goutieren. Hier wird es plötzlich ruhig. Selbst wenn Hochbetrieb herrscht, ist die Akustik angenehm, es riecht nach Kaffee, die holzbekleideten Wände verbreiten Wärme. Kasse, Cafeteria und Shop befinden sich, großzügig verteilt, in der offenen Eingangsebene, die sich dreigeschossig auch nach oben öffnet. Mit ein, zwei Blicken ist der Innenraum erfasst. Die Treppe zeichnet die Drehbewegung der Wände nach, ein Aufzug steht mitten im Raum, oben ist es heller als unten. Es fühlt sich ein wenig an wie in einem Schiffsbauch. Diese Assoziation ist nicht zufällig, und abgesehen von der überdeutlichen Koggenform, die das Gebäude außen zeigt, finden sich auch im Innern diverse hübsche Analogien: die geschuppten, unterschiedlich gekippten MDF-Planken mit Eichefurnier, die langgestreckten Fenster, vor denen gerne mal Kinder liegen und das Wasser draußen beobachten, und der Bodenbelag aus Irischem Blaustein, in dem fossilierte Meerestiere und -pflanzen auszumachen sind. »Ein Wohnzimmer für die Stadt« wollte Kengo Kuma bauen, und das ist ihm gelungen. Enttäuschend banal allerdings wirken in diesem sorgfältig gestalteten Interieur die Verglasungsflächen im OG – zum Glück liegen sie großenteils hinter der Fassade versteckt.

Ein Tea Room von Charles Rennie Mackintosh

Außer für Sonderausstellungen kostet das Museum – wie viele in Schottland – keinen Eintritt. Man kann also kommen, sich in die Leseecke setzen, arbeiten, sogar sein Butterbrot selbst mitbringen. Als »Klassenzimmer für jedermann« in Sachen Design, wie sich das V&A seit seiner Gründung 1852 versteht, bietet es außerdem Lernräume für Kinder, Bildungsmaßnahmen für junge Erwachsene und Studenten, Design-Workshops, Designer-in-Residence-Programme und weitere Kooperationen. Entsprechend umfasst das Kuratorium, das das V&A Dundee neu gegründet und eine eigene Sammlung aufgebaut hat, u. a. die zwei lokalen Universitäten und die staatliche Arbeitsförderungs-Agentur Scottish Enterprise. Die Ausstellungsflächen nehmen den größten Teil des OGs ein. Sie erstrecken sich über beide Sockel und bestehen aus einem offenen Bereich auf der Galerie, einem Sonderausstellungsraum und den »Scottish Design Galleries«. Hier werden wechselnde Stücke mit schottischem Design aus der Sammlung gezeigt – von Schiffsbau und maritimer Infrastruktur über Zeitungen, Comics und Computerspiele bis hin zu Textil- und Möbeldesign, überraschend vieles davon direkt aus Dundee. Ein besonderes Schmuckstück der beeindruckenden Sammlung ist das Teestuben-Interieur »Oak Room« von Charles Rennie Mackintosh, das hier nach 40 Jahren im Lager originalgetreu restauriert, aufgebaut und begehbar gemacht wurde. Obwohl aus Glasgow, muss Mackintosh als berühmtester schottischer Architekt selbstverständlich hier, im allerersten Designmuseum Schottlands, vertreten sein.

Passenderweise ist Kengo Kuma gegenwärtig das sozusagen letzte Glied in einer Kette von Wechselbeziehungen zwischen Japan und Schottland: Während eines Aufenthalts in Glasgow befasste er sich intensiv mit der Architektur Mackintoshs, der sich seinerseits von japanischen ­Gestaltungsprinzipien inspirieren ließ.

Wirbelndes Tragwerk

Namhaft sind nicht nur der Architekt und die ausgestellten Designer. Bereits zum Wettbewerbsentwurf lieferte Arup die grundlegenden Ideen zur Realisierung der »verwirbelten« Form des Baus – die während der Ausarbeitungsphase lediglich etwas steiler wurde. Die Form entstand durch die Aufnahme der Richtungen aus der Hauptstraße, die senkrecht auf das Gebäude zuführt, und aus dem um ca. 25 ° dazu gedrehten, benachbarten Liegeplatz von Scotts Forschungsschiff »Discovery« (1901 in Dundee vom Stapel gelaufen). Die nach außen gekippten Wände sind über hohe Stahlbinder an zwei Betonkerne angebunden, und die Verwindungen wurden so entwickelt, dass sie sich gegenseitig stabilisieren. Mithilfe eines 3D-Modells entstanden 21 unterschiedliche Wände, die vor Ort (!) betoniert wurden und über Spannschlösser miteinander verbunden sind. Gegründet ist das Gebäude auf Pfählen, außerdem entschied man sich für eine geothermische Heizung und Kühlung mit 65 m tiefen Bohrungen – ergänzt durch eine Luftwärmepumpe auf dem Dach.

Identifikationspunkt für die Einwohner

Gut 90 Mio. Euro hat das neue Museum gekostet. Finanziert wurde es durch die Gründungspartner, die schottische Regierung und zu einem großen Teil auch aus Spenden. Der Unterhalt wird auf die gleiche Weise bestritten – für Besucher steht im Museum eine fahrbare Spendenbox bereit. Insofern hörte man von den Dundonians nicht viel darüber, dass man von dem Geld auch Krankenhäuser oder Schulen hätte bauen können, wie bei öffentlich finanzierten Bauten sonst oft geklagt wird. Stattdessen nur Lobesworte – die Bürger identifizieren sich schon jetzt mit dem neuen V&A. Auch als die Wettbewerbsergebnisse ausgestellt wurden, kamen mehr als 15 000 Neugierige, ein Zehntel der Einwohnerzahl Dundees. Explizit setzten die Initiatoren auf den »Bilbao-Effekt« – und von den ersten Wochen nach der Eröffnung ausgehend, könnte das funktionieren.

db, Mo., 2018.12.03



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01. Dezember 2017Dagmar Ruhnau
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Kraftvoll und zurückhaltend

So ein Stück Architektur erwartet man nicht in der Provinz. Glückwunsch an die Stadt Vreden: In einer sorgfältigen Mischung aus angemessenen Lösungen für die Erfordernisse des alten Städtchens und eigenständigem Stil haben Pool Leber Architekten aus München mit dem Kulturhistorischen Zentrum »kult« ganz selbstverständlich die Aufgabe erfüllt, die Mitte der Stadt zu reparieren und einen Identifikationsort für Bürger und Besucher zu schaffen.

So ein Stück Architektur erwartet man nicht in der Provinz. Glückwunsch an die Stadt Vreden: In einer sorgfältigen Mischung aus angemessenen Lösungen für die Erfordernisse des alten Städtchens und eigenständigem Stil haben Pool Leber Architekten aus München mit dem Kulturhistorischen Zentrum »kult« ganz selbstverständlich die Aufgabe erfüllt, die Mitte der Stadt zu reparieren und einen Identifikationsort für Bürger und Besucher zu schaffen.

Der Neubau des Kulturhistorischen Zentrums »kult« steht am zentralsten Ort von Vreden. Hier treffen die wichtigsten historischen Bereiche der Stadt auf­einander: der ehemalige Immunitätsbereich eines Damenstifts, das im 9. Jahrhundert gegründet wurde, und die alte Handels- und Hafenstadt Vreden. Zugleich ist dies die Mitte der zurzeit entstehenden Kulturachse, die die moderne Stadt stärker zusammenbinden soll. Seit Längerem verfolgt die Verwaltung das Ziel, die ruhige Kleinstadt an der niederländischen Grenze zu modernisieren.

Leitidee ist, die kulturellen Kostbarkeiten aus Vredens 1200-jähriger Geschichte durch eine »Kulturachse« zu verbinden, kommerzielle Nutzungen dagegen örtlich klar zu beschränken. Die Kulturachse führt, keinen Kilometer lang, vom Marktplatz aus über den Platz zwischen der Stiftskirche, der Pfarrkirche St. Georg und dem neuen, zentralen Stadtbaustein kult, hinweg über den Stadtgraben und das Flüsschen Berkel, durch dessen Au und bis hin zur markanten Rundsporthalle aus Sichtbeton, die auch für Konzerte genutzt wird. In der Berkel befand sich über Jahrhunderte hinweg ein Hafen, wichtiger Umschlagplatz für hochwertigen Sandstein und Textilien aus dem Münsterland sowie Waren aus den Niederlanden, z. B. Delfter Fliesen; noch heute ist im flachen Wasser seine Form auszumachen. Auch durch Sprache und historische Lebensumstände waren und sind Westmünster- und Niederländer eng verbunden, und es ist ganz normal, zu einem Tagesausflug mal eben über die Grenze zu kommen.

Die erste Annäherung von der Flussseite hinterließ bei den Architekten einen prägenden Eindruck, erzählt Martin Pool: Nebel stand über den Gewässern, dahinter ragten die Kirchen und die Dächer der Häuser auf – das von vielen niederländischen und flämischen Bilder bekannte Motiv, »vom Land in die Stadt« zu kommen. Diese mittelalterliche Stadtstruktur war denn auch für den Entwurf entscheidend.

Heterogene Einheit

Vom Mittelalter ist zwar der Stadtgrundriss erhalten geblieben, jedoch fast keine Bauwerke. Die britischen Luftangriffe vom März 1945 haben u. a. die Stiftskirche sowie ein kurzes Stück Stadtmauer mit Armenhaus und Pulverturm aus dem 14. bzw. 16. Jahrhundert überdauert. Diese erhielten in den 70er Jahren Anbauten, außerdem wurden auf dem teilweise aufgeschütteten Stadtgraben in den 70er und 80er Jahren Neubauten errichtet, die das Landeskundliche Institut Westmünsterland und das regionalhistorische Hamaland-Museum, zu dem noch das Bauernhaus-Freilichtmuseum in der Berkelaue gehört, umfassten. Ein Zusammenhang zwischen diesen stadthistorischen Standorten war trotz des kompakten Stadtkerns kaum wahrzunehmen, denn mittendrin, am zentralen Platz der Stadt, machte sich ein Jugendheim breit. Die Entscheidung, dieses abzureißen, war richtig und essenziell.

Der Platz ist nun von einer austarierten Gruppe raumbildender, voluminöser Einzelbauten umstanden und markiert deutlich das Zentrum der Stadt. Wie sehr, zeigte sich beim Richtfest: Platz und angrenzende Grünfläche waren von Bürgern belagert, was Pfarrer und Gemeindemitarbeiter sehr überraschte. Von einer eher privaten Nische hat sich der Bereich – wie geplant – zum belebten Aufenthaltsort gewandelt. Das Pfarrhaus, ein typisches Einfamilienhaus aus rotem Klinker, früher zwischen Kirchen und Jugendheim ­sicher richtig, wirkt nun allerdings etwas fehl am Platz.

Der Museumsneubau vorne am Platz dockt jetzt an den 80er-Jahre-Bau an, der wiederum mit dem Armenhaus und dem Pulverturm verbunden ist. Diese Verkettung holt den etwas abgelegenen Rest Stadtmauer wirkungsvoll nach vorne ins Zentrum. Richtung Stadtgraben wurde die Öffnung zwischen 70er- und 80er-Jahre-Bauten geschlossen. Dadurch entstand ein kleinerer innerer Hof, der eine Betrachtung des auf seine ursprüngliche Erscheinung zurückgeführten Armenhauses ermöglicht und zugleich als Tageslichtquelle dient.

Ursprünglich hatten die Architekten vor, die Fassaden aus den 70er und 80er Jahren zu belassen, dies wäre aber zu unruhig geworden. Nun überziehen Kohlebrandklinker eines regionalen Herstellers fast das gesamte Gebäude. Obwohl damit sehr lange Fassaden entstanden sind, kommt nirgends Monotonie auf. Einerseits werden in den Altbauten zeittypische, auch zuvor bereits vorhandene Elemente aufgegriffen, andererseits setzen sich die einzelnen Baukörper durch Bewegungen in der Fassade und v. a. in den Dächern voneinander ab. Mit spannendem Ergebnis: Das Ensemble changiert – sowohl nach außen als auch im Innern – zwischen »großes Gebäude« und »kleine Stadt«.

Neben viel mehr Raum für die Exponate des Hamaland-Museums (Hamaland bezeichnet in etwa die historische hiesige Region, deren größerer Teil heute niederländisch ist) wird das Ensemble verbesserte Arbeits- und Studierbedingungen für die Nutzer der bestehenden landeskundlichen Institute bieten; die Verwaltung der Kultur- und Kreispflege sitzt hier, die beispielsweise für (auch grenzüberschreitende) Bildungsveranstaltungen zuständig ist, außerdem wurden das Stadtarchiv Vreden und das Kreisarchiv Borken zusammengeführt (Stadt und Kreis teilten sich auch die Baukosten im Verhältnis 30:70). Nicht zuletzt bietet das kult Räume für öffentliche Veranstaltungen. Daher auch der Name des neuen Stadtbausteins: »kult« als Akronym für »Kultur und lebendige Tradition«. Diese Nutzungsvielfalt war teils ganz pragmatisch durch Förderbedingungen des Landes Nordrhein-Westfalen bedingt (Museen allein werden nicht gefördert). V. a. aber gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen durch die Zusammenlegung deutlich effektiver und dynamischer als zuvor.

Lebendiges Wechselspiel

Zentraler Raum des Neubaus ist das Foyer, das zugleich als Teil der Kultur­achse konzipiert ist. Und tatsächlich fließt der Außenbereich durch den luf­tigen und sehr hellen Raum hindurch – selbst die beiden Eingänge wirken als gleichwertige Tore, der jeweiligen Annäherung angemessen. Wie der Platz vor dem Haus dient auch das Foyer als Verteiler in alle Richtungen: Von hier aus ist das vielteilige Ensemble durch den direkten Blick tief ins Gebäude und nach oben bis unters Dach sogleich zu erfassen. Obwohl es über drei Geschosse offen ist, hat es eine exzellente Akustik und sich damit als gefragter Raum für Konzerte, Lesungen und Versammlungen etabliert.

So, wie es jetzt ist – dreigeschossig und mit großem Oberlicht –, thematisiert das Foyer auch die zwei wichtigsten Abweichungen vom 2013 ausgeschriebenen Wettbewerb, die sich das (zunächst zweitplatzierte) Büro erlaubte. Es war geplant, eine fensterlose Ausstellungsebene quer durch das 1. OG aller Häuser zu legen. Die Architekten konnten jedoch die Bauherren davon überzeugen, dass es klüger sei, ­jedes Haus als Einheit zu belassen – nicht nur von der historischen Integrität her, sondern auch klimatisch und konstruktiv. Letztlich erwies sich diese ­Variante im VOF-Verfahren auch als kostengünstiger – u. a. weil so viel Bausubstanz wie möglich belassen wurde, bis hin zu gut erhaltenen Bodenfliesen in den 70er-Jahre-Bauten. Um genügend Ausstellungsfläche zu erhalten, schlugen die Architekten zwei gestapelte Ebenen vor. Eine elegante Lösung, denn so bekamen die beiden Schwerpunkte des Museums, die weltliche Stadt und das ehemalige Stift, einen jeweils eigenen Bereich. Das bedeutete allerdings auch, dass der jetzt dreigeschossige Kopfbau gegenüber den Kirchen stärker ins Gewicht fallen würde. Doch dem wirkten die Architekten mit einigen klugen Eingriffen entgegen: mit der niedrigen Eingangszone, den graubraunen Klinkern und den zwei unterschiedlich geneigten Dächern – zum Platz hin flacher, in die Straße zu den anderen Gebäuden hinein steiler. All das erfüllt trotz des großen Volumens das Ziel der ­Architekten, ein »Hintergrundgebäude« zu schaffen. Zugleich kopieren diese Dächer nicht einfach das Vorhandene – sie passen zur Handschrift, die den gesamten Neubau durchzieht und damit das Museumsgebäude als eigenständige Einheit ausweist.

Präzise Inszenierungen

Die wertvollen Ausstellungsstücke und ihr Schutz vor UV-Licht bedingten die zweite ursprüngliche Forderung der Bauherren nach einer »Black Box«. Es war aber auch gewünscht, den Bau auf die Kirchen bzw. den Berkelhafen zu beziehen. Nonchalant schlugen die Architekten vier große Fenster vor, die ­genau diese Blicke inszenieren. Und der Parcours der Ausstellungsgestalter Thöner von Wolffersdorff, Augsburg, bindet sie thematisch perfekt ein – zur großen Begeisterung der stellvertretenden Leiterin des kult, Ulrike Brandt. Die Abbildung eines »Berkelzomp« etwa, ein flaches Boot, ist in Original­größe – knapp 13 m – auf die lange Außenwand direkt neben die Fenster gesetzt. Aus diesen sieht man das Hafenbecken, in Wirklichkeit und durch Ferngläser, in denen per Animation Schiffe auf dem Flüsschen segeln. Außer den Fenstern versorgt das zentrale Treppenhaus die Ausstellungsräume mit Licht, das durch Öffnungen sowie Stellwände gefiltert wird.

Hierdurch entstehen in überraschender Unmittelbarkeit nebeneinander sehr unterschiedliche Grade von Intimität und Offenheit. Besonders wirkungsvoll ist das rund um das wertvollste Stück der Sammlung gelungen. Die sogenannte Sixtus-Kasel, ein über 1 000 Jahre altes Messgewand des Heiligen Sixtus, dürfte eigentlich gar kein Licht treffen. Der Raum, der eigens für sie geschaffen wurde, hat komplett schwarze Wände und einen sehr dunklen Fußboden. Erst wenn man ihn betritt, wird die Kasel extrem sparsam beleuchtet. Doch nur ein paar Schritte trennen diese konzentrierte Dunkelheit vom hellsten Punkt des Gebäudes: den beiden wandhohen Fenstern, die die zwei Kirchengebäude inszenieren. Überwältigend!

Effektvolle Reduktion ist ein durchgängiges Merkmal der Ausstellung und ­ergänzt damit den Museumsbau perfekt. So ist auch die zweite Seite des DG gestaltet: Der rund 6 m hohe Raum ist durch eine endlos lange, extrem schlanke Betonstütze geteilt, die den Blick wie in klassischen Kathedralen nach oben bis unter den First lenkt. In der gesamten Ausstellung werden ­bewusst nur ausgewählte Stücke gezeigt, die umso größere Aufmerksamkeit erfahren. Manche Themen sind mit Absicht auch nur überblicksweise angerissen, weil sich in der Region eine andere Institution auf eins davon spezialisiert hat. Der regionale Bezug definiert diesen Ort auch noch anderweitig: Die Erläuterungstexte stehen auf Deutsch und – nein, nicht Englisch – Niederländisch an den Wänden.

db, Fr., 2017.12.01



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05. Dezember 2016Dagmar Ruhnau
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Schicht für Schicht

Das Augustinermuseum in Freiburg erfährt gegenwärtig eine tiefgreifende Sanierung und Umgestaltung, auf die es fast hundert Jahre lang warten musste – und die sich voraussichtlich über rund zwanzig Jahre erstrecken wird. Nachdem 2010 der erste ­Bauabschnitt übergeben wurde, steht seit September auch der zweite von insgesamt drei Abschnitten für Besucher offen.
In einem höchst charmanten Wechselspiel zwischen nüchtern-pragmatisch und rätselhaft-verspielt kommen sowohl die historische Umgebung als auch die Anforderungen eines modernen Museums­betriebs zu ihrem Recht.

Das Augustinermuseum in Freiburg erfährt gegenwärtig eine tiefgreifende Sanierung und Umgestaltung, auf die es fast hundert Jahre lang warten musste – und die sich voraussichtlich über rund zwanzig Jahre erstrecken wird. Nachdem 2010 der erste ­Bauabschnitt übergeben wurde, steht seit September auch der zweite von insgesamt drei Abschnitten für Besucher offen.
In einem höchst charmanten Wechselspiel zwischen nüchtern-pragmatisch und rätselhaft-verspielt kommen sowohl die historische Umgebung als auch die Anforderungen eines modernen Museums­betriebs zu ihrem Recht.

Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sich in der Straße etwas getan hat, so selbstverständlich steht der Neubau zwischen seinen Nachbarn. Eigentlich sind es drei Baukörper: wie die Nachbarn vertikal ausgerichtet, dabei aber ganz unterschiedlich proportioniert. Der Hauptbau mit taubenblauem kannellierten Putz nimmt von der historischen Häuserreihe zur Linken die kleinteilige, bewegte und schmuckvolle Gliederung, die hohen Gauben und Biberschwanzdeckung auf, die beiden folgenden Häuschen vermitteln zum hohen Chor der ehemaligen Augustinerkirche, indem ihre Gestalt schlichter, jedes Volumen kleiner und zum Schluss sogar die Baulinie an der Straße aufgegeben wird. Vom Chor, in dem zurückhaltend Spuren früherer Bebauungs­stadien sichtbar gemacht wurden, übernehmen sie die geschlossene, verputzte Gestaltung. Dass die Neubauten zur Straße fast komplett fensterlos sind, fällt zunächst einmal gar nicht auf. Große Tore und Öffnungen, Blindfenster, zwei Reliefs und ein elektronisches Display geben dem Auge genug zu tun. Besonders auffällig: das großformatige Relief auf der Schaufassade. Es trägt 16 Felder mit je einer glänzenden Letter, ähnlich wie in einem Setzkasten für den Buchdruck. Die Zeilen ASES – UTRE – GIMU – UNUM lassen Lateinisches vermuten, doch nach einigem Rätseln enthüllt sich das Wort »AUGUSTINERMUSEUM«, wenn man spaltenweise liest. An der roten Steintafel am Mittelbau ist beim Näherkommen »Haus der Graphischen Sammlung« zu entziffern. Darunter wird man später, tief im Grundstück gelegen, den Eingang finden.

100 Jahre Vorlauf

Die Gestaltung der Straßenseite(n) verweist auf den ersten Blick mysteriös, aber eigentlich ganz konkret auf den Zweck des Hauses: Es dient ganz der grafischen Sammlung des Augustinermuseums und des nahen Museums für Neue Kunst – zusammen 90 000 Blätter und Fotografien. Erstmals bekommen damit die Werke einen angemessenen Ort für Aufbewahrung, Restaurierung und Inventarisierung.

Wie die unzähligen anderen Sammlungsstücke des Augustinermuseums wurden sie in den letzten rund hundert Jahren nur provisorisch verwaltet. Grund dafür war die wechselvolle Geschichte des Gebäudes, eines ehemaligen Klosters aus dem 13. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert barock überformt und nach der Säkularisierung in ein Theater umgewandelt, sollte hier ab 1910 ein Neubau für die städtischen Sammlungen entstehen, doch konnten vor dem Ersten Weltkrieg nur noch die Theatereinbauten entfernt werden. Bis 1923 wurde die Augustinerkirche durch Stadtbaumeister Karl Gruber in eine lichtdurchflutete Ausstellungshalle umgebaut.

Und dabei blieb es. Über die Jahre zeigten sich zahlreiche Mängel, v. a. durch unzureichende Heizung: frierende Besucher, Feuchtigkeitsschäden, Schimmel – und völlig unangemessene Bedingungen für die Museumsstücke. Mit der Sanierung und dem Umbau seit 2002 durch Christoph Mäckler Architekten wird der Bau in ein zeitgemäßes Museum verwandelt. Viele Aspekte sind zusammenzuführen: museale auf der einen Seite – von der Logistik über die Haustechnik bis zur Besucherführung – und baulich-konstruktive sowie gestalterische auf der anderen, die den historischen Bestand bei allen heutigen Anforderungen wieder in den Mittelpunkt stellen. Das alles, wie Museums­direktor Tilmann von Stockhausen anerkennend sagt, in der »Kunst, die drei Bauabschnitte stets zusammen zu denken«. 2020, zur 900-Jahr-Feier Freiburgs, wird voraussichtlich auch der bereits seit August laufende 3. Bauabschnitt, das ehemalige Konventsgebäude um den Kreuzgang, abgeschlossen sein. Die phasenweise Umsetzung hat ihren Grund in der Finanzierung, die durch Bund, Land, Stadt und nicht zuletzt unzählige Spender gemeinsam getragen wird. Gut 60 Mio. Euro wird das Projekt kosten, rund 2 Mio. Euro Spenden sind das Ergebnis der Arbeit des eigens gegründeten Kuratoriums Augustinerkirche Freiburg.

Konzentrierte Atmosphäre

Das Haus der Graphischen Sammlung ersetzt einen quer zwischen Hausreihe und Chor eingesetzten Torbau aus den 20er Jahren, dessen Dachform sich am Chor in einem helleren Gelb abzeichnet. Der Weg zum Eingang führt durch den Neubau hindurch, das Foyer liegt bereits im Altbau, in einem kurzen Flügel des ehemaligen Konventsgebäudes. Kaum hat sich die Tür geschlossen, wird es ruhig, nicht einmal die Straßenbahn ist noch zu hören. Das niedrige, warm beleuchtete Gewölbe des Foyers, zentraler Sammelpunkt und Verteiler, bietet nach den vielen Eindrücken draußen erst einmal Gelegenheit, zu sich zu kommen. Hier befinden sich Garderobe und Schließfächer, angrenzend die Räume der Museumspädagogik sowie der Shop mit Kasse. Der Shop liegt im denkmalgeschützten Nachbarhaus, landläufig »Elektro Hauser« genannt. Das Haus wurde erst während der Planungszeit erworben und wird das Museum nach Fertigstellung zur Straße und für Zufallsbesucher öffnen.

Neben dem Foyer beginnt die sogenannte Kleinodientreppe, die funktional eine vertikale Verbindung im Rundgang durch die drei Bauabschnitte des Museums bildet. In diesem elliptisch geformten, in sich gekehrten Raum werden besondere Ausstellungsstücke aus der Sammlung in 30 unterschiedlich großen, in die Wand eingelassenen Vitrinen präsentiert. Beim Betrachten steigt man langsam in die Höhe. Die gleichmäßige Farbgebung von Wänden, Decke und Boden sowie das gedämpfte Licht erzeugen eine introvertierte Stimmung, doch immer wieder führen überraschend einige Stufen nach oben oder nach unten zu schwarz gehaltenen Türen und Gängen, hinaus aus dem Treppenraum in die Schaugeschosse oder hinter die Kulissen. Dabei lässt man gern mal für eine Weile die Orientierung fahren, denn trotz der vielen Möglichkeiten zum Abschweifen findet man durch die klare Führung stets wieder auf den Rundgang zurück. »Wegen der vielen unterschiedlichen Anschlusshöhen war es erst gar nicht möglich, die Treppe zeichnerisch darzustellen«, kommentiert Claudia Gruchow, Partnerin bei Christoph Mäckler Architekten und dort u. a. für Innenraumkonzepte zuständig, die Anforderungen. Erst anhand mehrerer Modelle und unterschiedlich langer Treppenläufe mit jeweils leicht variierten Steigungshöhen ließ sich die Aufgabe bewältigen.

Auch bis der Beton die gewünschte Farbe und Oberfläche hatte, musste viel experimentiert werden, insbesondere mit dem Zuschlag. Die sandfarbenen, gestockten und scharrierten Oberflächen, von glatten Flächen sauber ­begrenzt, greifen ein prägendes Gestaltungsmerkmal der Augustinerkirche auf – dort bestehen die neu eingebauten Stützenreihen mit ihren Galerien aus diesem Material. Und wie in der Kirche ist der Treppenbelag in hellem Marmor ausgeführt.

Die Wiederholung bestimmter Elemente zählt zu den gestalterischen Prinzipien, über die die verschiedenartigen Räumlichkeiten des Museums übergreifend verbunden werden. Neben Materialien und Farben gehören dazu die Motive der Treppe und der Durchblicke, die Verwendung von Spolien, schräge Laibungen und auch die Vitrinen.

Auf die Vitrinen wurde, mehr noch als im ersten Bauabschnitt, höchste Sorgfalt verwendet. Architekten, ausführende Firma und der Chefrestaurator Christoph Müller entwickelten in intensiver Zusammenarbeit eine spezielle Konstruktion. Drei Röhren, in exakt abgestimmter Ausrichtung an die rechteckige Box angeschweißt, stellen die schattenfreie Beleuchtung und perfekte Klimatisierung sicher – die Schalung dafür und für die Zuleitungen stellte beim Betonieren eine entsprechende Herausforderung dar.

Vollständige und unvollständige Wege

Die zentrale Lage der Treppe ermöglicht die saubere Trennung von öffent­lichen und nichtöffentlichen Bereichen. So können die Mitarbeiter, ohne den Weg der Besucher zu kreuzen, ihren vielfältigen Aufgaben nachgehen. Nicht weniger als vier Treppenerschließungen stehen ihnen dafür zur Verfügung. Wesentliche Teile dieser Aufgaben – Verwaltung, Restaurierung, Vorlegen, Museumspädagogik – finden im ­Gebäude von Elektro Hauser bzw. dem hinten anschließenden Flügel des Konventsgebäudes statt. Alle klimasensiblen Funktionen liegen indes im Neubau: die geschützte Anlieferung hinter dem großen Tor im EG, der Ausstellungsraum im 1. OG und die Magazinräume für Grafiken bzw. Fotografien im 2. und 3. OG.
Im 1. OG schließt die Treppe an den Rundgang an. Zurzeit sind allerdings die Räume im Konventsgebäude noch nicht zugänglich, es geht vorläufig nur in den einzigen Ausstellungsraum des Neubaus. Außer einer Sichtbetonstütze in der Mitte strukturiert nichts den 100 m² großen, quadratischen Raum, die ­Innenarchitektur gestaltet das Team des Museums für jede Ausstellung neu. Entsprechend zurückhaltend sind sämtliche technischen Funktionen wie ­Beleuchtung, Elektro- und Klimaleitungen in schlichten schwarzen, vielleicht etwas zu prosaischen »Technikgräben« an der Decke und im Boden bzw. in einem kaum sichtbaren umlaufenden Sockel untergebracht. Vitrinen und Stellwände sind damit flexibel andienbar.

Neben dem Ausstellungsraum beginnt das letzte momentan zugängliche Stückchen des Rundgangs: mit einem kleinen Vorraum, der direkt an den Chor der Augustinerkirche andockt und außerdem auf einen Steg führt, der den Rundgang in den 1. Bauabschnitt schließt. Ursprünglich wollten die Architekten auf dieser Verbindung einen Austritt platzieren, von dem man hinter dem barocken Orgelprospekt im Chorraum hätte hinunterblicken können. Doch dem Kuratorium war die Unversehrtheit des Chors zu wichtig. Gestalterisch hätte man mit diesem Zugang das Thema der Treppen und Durchblicke, das den Ausstellungsraum in der Kirche prägt, konsequent und sinnfällig fortgesetzt. Nun führt der Steg leider direkt vor der Kirchenfassade in den vorderen Bau. Er ist zwar verglast und mit schönem Eichenparkett ausgelegt, aber er beeinträchtigt den ohnehin recht engen Hof und mehr noch den Anblick der Kirche. Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: An der Stelle, wo der Vorraum auf den Chor stößt, sind Lisenen eines der hohen, ­zugemauerten Chorfenster zu sehen. Eines Tags wird die Wand in diesem ­Bereich hoffentlich geöffnet werden können, sodass der Blick auf die Orgel frei wird – momentan fehlt noch das Geld.

Stück für Stück wird das Augustinermuseum fertig werden. Man spürt das Vertrauen zwischen Architekten, Bauherren, Spendern und auch Handwerkern und freut sich an der Entdeckung von Detail um Detail – und darauf, ­irgendwann auch wieder im wunderbaren Café im Kreuzgang sitzen zu können, das 2010 als vorgezogener Teil des 3. Bauabschnitts vorläufig in Betrieb genommen wurde, jetzt aber wieder geschlossen ist und zusammen mit dem Konventsgebäude vollständig fertiggestellt werden wird.

db, Mo., 2016.12.05



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Haus der Graphischen Sammlung im Augustinermuseum Freiburg



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01. Dezember 2015Dagmar Ruhnau
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Coole Schmiede

Gründliche Abwägung und ein klares Ziel, gepaart mit umfassender Abstimmung mit allen Beteiligten und dem Vertrauen des Gemeinderats: So entstand in Heilbronn ein überzeugendes, robustes und nachhaltiges Stück Baukultur.

Gründliche Abwägung und ein klares Ziel, gepaart mit umfassender Abstimmung mit allen Beteiligten und dem Vertrauen des Gemeinderats: So entstand in Heilbronn ein überzeugendes, robustes und nachhaltiges Stück Baukultur.

Das Technische Schulzentrum entstand seit den 50er Jahren auf einem ehemaligen Krankenhausgelände am Rand der Heilbronner Innenstadt. Heute bieten zwei Schulen zahlreiche Bildungsmöglichkeiten an, von der Berufs- über Meister- und Technikerausbildungen bis zum Technischen Abitur. Im Lauf der Jahre wuchs das Ensemble in mehreren Etappen. Dominiert wird es heute von den viergeschossigen Schulgebäuden aus den 60er Jahren, die das Gelände in einen südlichen, »vorderen« und einen nördlichen, »hinteren« Hof teilen. Während der südliche Hof im Zuge des Ausbaus der Mensa neu geordnet wurde, bietet der nördliche noch ein Durcheinander von Anbauten, Lüftungsanlagen und Pflanzenbewuchs. Hier befindet sich das eingeschossige, 1954 errichtete Werkstattgebäude, das sich mit Sägezahndach und prägnanter Metallfassade selbstbewusst gegen den Schulbau der Wilhelm-Maybach-Schule behauptet.

Nach über 50 Jahren Betrieb waren der technische und energetische Standard, selbstverständlich auch der Brandschutz dringend überholungsbedürftig, und auch das Innere war durch unkontrollierte Ausbauten unübersichtlich geworden. Dass ein Neubau günstiger sein würde als eine Sanierung, lag auf der Hand. Doch das hätte bedeutet, einen üblichen Flachdachbau zu errichten. Das Hochbauamt als planende und ausführende Behörde legt großen Wert auf Baukultur und fand es wichtig, die Qualitäten des vorhandenen Gebäudes zu erhalten: das identitätsstiftende Äußere der Backsteinfassade, die klare, industrielle Architektursprache der 50er Jahre und nicht zuletzt die Sheddächer und das damit verbundene blendfreie Nordlicht sowie die großzügige Raumhöhe. Um den Gemeinderat von ihren Vorstellungen zu überzeugen, luden die Planer die Volksvertreter zu einer Begehung ein. In deren Verlauf erinnerten sich einige an Unterrichtsstunden in dieser Werkstatt während ihrer eigenen Lehrzeit – und nahmen über die Erinnerung den Wert des Orts auf einer ganz persönlichen Ebene wahr.

Natürlich musste das Projekt auch finanziell plausibel sein. So entwickelten die Planer ein Konzept über zwei Phasen: 2010/11 wurde das Gebäude energetisch ertüchtigt, finanziert mithilfe des Konjunkturpakets II, dann folgte 2013/14 die innere Neuordnung. Lange war überlegt worden, die Backsteinfassade zu erhalten, doch dafür hätte man eine Innendämmung anbringen müssen; was wiederum bedeutet hätte, u. a. die nachträglich eingebauten Innenwände abzureißen. Das aber wäre im Rahmen des Budgets nicht möglich gewesen. So wurde die Fassade von außen gedämmt und erhielt die vorgehängte, hinterlüftete Kupferfassade, die auf die Metallberufe verweist, die im Innern ausgebildet werden, ebenso neue Oberlichter aus Polycarbonat. Der industrielle Ausdruck ist nach wie vor erhalten, modernisiert und sogar gestärkt. Zehn Monate später schloss sich Phase zwei mit der inneren Umstrukturierung an. Seit Herbst 2014 ist die runderneuerte Werkstatt wieder in Betrieb.

60 % Technik, »nur« 40 % Architektur

Im Lauf der Jahre waren in der eigentlich offenen Werkstatt ohne Rücksicht auf die Tragstruktur Büros nach Bedarf aufgemauert, ebenso die Entlüftung fallweise gesetzt worden. Der Bau bekam aufgrund seiner zahlreichen unterschiedlichen Kamine, die durch das Dach stießen, sogar den Spitznamen »Dampflok«. Ein sauberes, übergeordnetes Konzept, unterstützt von durchgängig heller Farbgebung, verleiht der Halle nun Klarheit und erneut Großzügigkeit. Ein robuster, mit schwerem Gerät befahrbarer hellgrauer Industrieestrich zieht sich durch alle Räume, die Wände wurden nachträglich eingebaut. Um einen zentralen Kern, der drei Klassenzimmer und einen Raum zur Unterrichtsvorbereitung enthält, ordnen sich die Werkstätten an, sodass jedem Klassenraum direkt eine Werkstatt zugeschaltet ist. Entlang des Kerns bildet die Erschließung eine Art unsichtbarer Zwischenzone, die in großzügiger Breite durch alle Werkstätten verläuft. Durch Schiebetüren können diese voneinander abgetrennt werden – aus Gründen des Brandschutzes, aber auch, um Lärm und Gerüche einzudämmen –, doch zumeist stehen sie offen, um die Weitläufigkeit und das Gefühl für den Gesamtbau nicht zu schmälern. In zwei Achsen führt die Verkehrszone direkt zu den Außentüren zum Hof, die innen auch nach vier Jahren noch kupfern schimmern.

Die Klassenzimmer sind weiß gestrichen, die Werkstätten hellgrau. Sämtliche Arbeitsgeräte vom Schweißstand bis zum Schraubstock sind entsprechend hell lackiert. Damit bekam diese nüchterne technische Umgebung eine fast ätherische Qualität – die Räume wirken sehr luftig, das Gebäude nimmt sich stark zurück. Die gedämpfte Akustik, das neutrale Raumklima und die angenehme Beleuchtung tragen dazu bei, im Wesentlichen bestimmt aber die Haustechnik mit ihrer stringenten Ordnung das Ambiente. »In einem üblichen Schul- oder Verwaltungsbau ist der Anteil der Haustechnik 40 % zu 60 % für die Architektur«, erläutert Projektleiterin Daniela Branz. »Hier ist es genau umgekehrt.« Sämtliche Wandflächen wurden freigehalten, die Technik befindet sich ausschließlich unter der Decke: Heizkörper, Stromleitungen, die riesigen Be- und Entlüftungsrohre, die Leitungen für die zahlreichen Schweißgase sowie die Feuerlöschanlage. Ein kräftiges Gegengewicht bekommt der Hintergrund in Weiß, Hellgrau und reflektierendem Metall durch den gezielten Einsatz von starkem Rot und hier und da Dunkelblau. Richtig aufsehenerregend sind die rundum verlaufenden dunkelroten Kunststoffschürzen an den Ständen für das Wolfram-Inertgas- und das Metallaktivgasschweißen. Hier fühlten sich die Nutzer zunächst an einen Nachtclub erinnert. Diese Stände wurden auf besondere Anforderung des DVS (Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren) ausgestattet, für den die Schule hier überregionale Kurse und Prüfungen durchführt. Allerdings war zuvor einiges an Verhandlungen nötig: Die Anforderungen sahen u. a. eine gleichzeitige Absaugung aller 51 Stände vor " was die Lüftungsanlage sowohl in den Kosten als auch in ihren Dimensionen gesprengt hätte. Ohnehin nimmt die Lüftungstechnik jetzt das gesamte UG der Halle plus einen umfangreichen Aufbau im Schulhof ein. Man einigte sich auf eine 75 %-ige Absaugung, mit dem Argument, dass kaum an allen Ständen zugleich Abgase entstehen würden.

Baukultur in allen Facetten

Auch in anderen Bereichen war viel Abstimmung gefragt. Auf über 100 Jours fixes mit allen Beteiligten kam man für dieses Projekt. Neben sämtlichen Behörden mussten selbstverständlich auch die Lehrer und weitere Nutzer ins Boot geholt werden, um deren Anforderungen und Wünsche mit den Vorstellungen der Planer in Einklang zu bringen. »Natürlich gibt es fertige Einrichtungen für Schweißerstände«, kommentiert Daniela Branz. »Doch uns waren diese zu raumgreifend. Wir ließen eine reduzierte Sonderanfertigung entwickeln, sodass der Arbeitsplatz nun perfekt nutzbar ist. Auch die Gaszuleitungen sind sauberer angeordnet als üblich.« Besonders wichtig war den Planern, über die Farbgebung Ruhe in die Hallen zu bringen. Bei neuen Geräten wurde darauf geachtet, sie in »Papyrusweiß« zu bestellen, bereits vorhandene wurden vom Maler umlackiert, selbst die Beine der Tische haben diese Farbe. Seitdem angeschaffte oder reparierte Geräte fallen sofort ins Auge, denn die Ersatzteile und Neuzugänge zeigen mit Gelb oder Blau schon wieder erste Ansätze eines Farbsammelsuriums. Doch damit muss man wohl leben (oder in Abständen nachlackieren), denn die Nutzer tragen das Konzept zwar mit und fühlen sich hier auch wohl, doch ist ihnen der Erhalt des Farbkonzepts (erwartungsgemäß) nicht so richtig in Fleisch und Blut übergegangen.

Mit einem weiteren übergeordneten System wird die Werkstatt in das Gebäudekonglomerat eingebunden. Von einer Grafikerin ließ das Hochbauamt ein Leitsystem für das Schulzentrum entwickeln, das sich von den inhomogenen Strukturen und Farben absetzt. Es beruht auf einem schlichten schwarzen Quadrat, das bezeichnet, wo man sich gerade befindet " mit Bauteil, Raumnummer und Raumnamen. In der Funktion als Wegweiser wird die Form nur durch einen schwarzen Rahmen um diese Angaben gebildet, kombiniert mit einem Richtungspfeil. In der Werkstatt sind die Quadrate auf den Boden gemalt – wiederum, um die Wände freizuhalten –, an den Gebäuden dagegen sind sie als Schilder an der Fassade angebracht.

Da capo

Der Erfolg der Werkstatt – sie hat eben erst die Auszeichnung »Beispielhaftes Bauen« der Architektenkammer Baden-Württemberg erhalten – hat die Planer beflügelt. Auf dem südlichen Hof befindet sich die Schwesterwerkstatt noch in unsaniertem Zustand. Hier sind die Schreiner untergebracht. Naheliegend im Sinne »sprechender Architektur« wäre es, sie mit Holz zu bekleiden, doch den Planern ist viel mehr an einer Beruhigung des Geländes gelegen (mit der neuen Hofgestaltung wurde ja bereits ein Anfang gemacht). Deshalb soll diese Werkstatt ebenfalls mit Kupfer bekleidet werden. Doch bis es so weit ist, kommt erst einmal die Fassade der 60er-Jahre-Viergeschosser dran – auch hierin liegt viel Potenzial für eine ruhigere Ausstrahlung auf die Umgebung.

db, Di., 2015.12.01



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30. November 2014Dagmar Ruhnau
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Wehrhaft und durchlässig

Richtig idyllisch ist die Schweiz in den Landstrichen am Bodensee nicht. Viele Gewerbebetriebe zeugen vom industriellen Fleiß der Bewohner. Der Ort Wil-Rickenbach im Kanton St. Gallen macht hier keine Ausnahme, doch die Nachbarschaft und die Lage des Büro- und Wohnturms sind selbst in dieser Gegend sehr speziell.

Richtig idyllisch ist die Schweiz in den Landstrichen am Bodensee nicht. Viele Gewerbebetriebe zeugen vom industriellen Fleiß der Bewohner. Der Ort Wil-Rickenbach im Kanton St. Gallen macht hier keine Ausnahme, doch die Nachbarschaft und die Lage des Büro- und Wohnturms sind selbst in dieser Gegend sehr speziell.

Der Neubau steht an einer von Gewerbebauten gesäumten Straße, die aus Wil herausführt: Autohäuser, Einrichtungsmärkte und Bürobauten in unregelmäßiger Größe und Anordnung prägen die Umgebung. Hinter einer Mauer aus betongefüllten Stahlkassetten erstrecken sich Wiesen, auf denen Pflöcke künftige Einfamilienhausgrundstücke markieren. Diese Flächen gehörten zum Besitz von Eberle Mühlen, dem Bauherrn unseres Neubaus. Die Ausfallstraße führt recht schnell in die Landschaft, rechts und links öffnen sich plötzlich Blicke auf Berge und weite hügelige Wiesen. Den größten Kontrast bietet allerdings die unmittelbare vertikale Umgebung des Gebäudes: Während sich an seinem Fuß mit dem Mühleweiher eine kleine Idylle eröffnet – wenn auch v. a. optisch –, brettern sechs Geschosse weiter oben Lkw und Autos über den Viadukt einer überregionalen Hauptstraße.

»Dieser Ort hat uns natürlich sehr gereizt«, sagt Patric Furrer, einer der beiden Inhaber des 2008 gegründeten Zürcher Architekturbüros Furrer Jud. Der Auftrag war erst der dritte für die jungen Architekten und kam durch Vermittlung der Tochter des Bauherrn zustande, nachdem drei andere Büros unbefriedigende Entwürfe geliefert hatten. Die Planung erstreckte sich über ca. drei Jahre; dabei entstanden rund 50 Volumenmodelle des Baus – und ein intensives und vertrauensvolles Verhältnis mit dem Bauherrn, der zunächst lieber einen »normalen«, d. h. rechtwinkligen Grundriss zwecks Flächenmaximierung gehabt hätte statt des minutiös ans Gelände und an den Bestand angepassten Gebäudes.

Gedreht und gewendet

Ursprünglich stand an dieser Stelle ein 25 m hoher Betonturm als Getreidesilo, fast zeitgleich mit der Hochstraße in den 60er Jahren für die Mühlengesellschaft errichtet. Dessen Grundmauern im Hang erhielten die Architekten und erweiterten sie in zwei Richtungen, die Eckpunkte nahmen sie auf und führten sie als wahrnehmbare Knicke in der Fassade und im Grundriss nach oben. Im Gegensatz zu dem vormals fast fensterlosen, sich rigide nach oben streckenden Turm wollten sie jedoch in intensiven Dialog mit der Umgebung treten. Das ist ihnen gelungen – jedes Geschoss reagiert auf eigene Weise auf die Einflüsse sowohl aus der horizontalen Richtung als auch aus der Vertikalen, woraus sich ein differenzierter Baukörper entwickelt hat. Umhüllt sind die Volumina mit einer Fassade aus Titanzinkblechen auf einer Unterkonstruktion aus Trapezblech. Die beabsichtigte (und erreichte) Wirkung war die eines Panzers gegenüber der unwirtlichen Umgebung. Doch es ist viel mehr: Landmarke, abwechslungsreiche Architektur, vielleicht Initialzündung. Immerhin gab es eine rege Nachfrage von Mietinteressenten sowohl für die Wohnung als auch für die Büros. Die ca. 2,5 x 0,36 m großen Bleche glänzen zwar nicht mehr wie zu Anfang, doch bilden sie bei Sonnenschein immer noch eine edel wirkende, leicht bewegte Hülle. Sie passen sich in ihrer Farbigkeit exzellent ihrer Umgebung an – sei es an die horizontal gegliederten Bleche des Autohauses, sei es an die hellgraue Faserzementverkleidung des Nachbargebäudes oder sogar an das ruppig-schmutzige Wellblech der Postumschlagbasis noch ein Grundstück weiter. »Unser Ziel war ein industrielles Gebäude in einer industriellen Umgebung«, erläutert Patric Furrer. Und mit der Umsetzung sind die Architekten auch nach einem Dreivierteljahr noch »sehr zufrieden«. Ein Aspekt allerdings könnte durchaus weniger »umfeldorientiert« sein: Die großflächige, geschlossene Seitenwand des Turms Richtung Hochstraße hätte gern leer bleiben können und würde damit mehr Zeichenwirkung entfalten als jetzt, da sie ihrer Bestimmung gemäß mit großen Werbebannern verhängt ist.

Zwischen industriell und gediegen

Die Staffelung des Baukörpers ergab sich auch aus den vorgeschriebenen Höhenbegrenzungen, die sich in den unterschiedlichen Raumhöhen widerspiegelt: Die oberirdischen Büros sind 2,35 m hoch, die UGs und die Wohnung 2,6 m. Die beiden UGs, genutzt als kleinere Büroeinheiten, orientieren sich zum Weiher; ganz unten kann man sogar heraustreten und hat einen kleinen Sitzplatz direkt am Wasser – den Verkehr auf der Brücke weit oben über einem nimmt man tatsächlich kaum wahr. Über diesen beiden Geschossen folgen, erschlossen von der Straßenebene, drei Bürogeschosse, die die gesamte Fläche des Grundstücks einnehmen und (mit wenigen Ausnahmen) durch Knicke auch dessen Grenzen nachzeichnen. Das Treppenhaus ist in einer Ecke des ehemaligen Umrisses angeordnet und trägt dazu bei, die Büros jeweils in eine vordere, zur Straße orientierte, und eine hintere, zum Weiher gerichtete Fläche zu gliedern. Hier bewirkt die Aussicht ins Grün eine ruhige Atmosphäre, bei Sonnenlicht zeigen sich sogar Reflexe vom Wasser an der Decke.

Die Ausstattung ist nüchtern und robust, mit einem Hartbetonboden, weiß gestrichenen Wänden und einfachen weißen Schränken im Eingangsbereich, die als Garderobe, Teeküche und Serverplatz dienen.

Das EG-Büro ist direkt von der Straße zugänglich, alle anderen sind vom Treppenhaus aus zu erreichen, das noch einen separaten, seitlichen Eingang im 1. UG besitzt. Das Treppenhaus führt bis ins 4. OG und bietet hier eine Art Hintereingang für das Highlight des Baus: Die Wohnung sitzt als schlanker, viergeschossiger Turm auf der breiten Basis und ruft den Vorgängerbau in Erinnerung. Mehr als eine Wohnung war im Gewerbegebiet übrigens nicht erlaubt. Der eigentliche Zugang befindet sich im 6. OG, direkt erreichbar mit dem Aufzug. So gelangt man mitten in die Wohnung, ins oberste Wohngeschoss – von hier aus geht es in die eine Richtung nach unten in die privateren Räume, in die andere nach oben auf die Dachterrasse. Interne Verbindung ist eine schöne geschlossene und parkettbelegte Treppe entlang einer Außenwand. Wie es in einem Turm eben so ist, nimmt die Erschließung viel Platz ein, doch andererseits bilden Treppe und Flur einen selbstbewusst großzügigen Bereich. Ein Kern, der Aufzug, Bad und WCs aufnimmt – Letztere mal von der einen, mal von der anderen oder auch von beiden Seiten zugänglich – trennt den Flur vom Wohnbereich und ermöglicht »Rundum-Wohnen«, was der durchgängig verlegte dunkle Parkettboden unterstreicht. Insgesamt ist die Ausstattung der Wohnung minimalistisch, aber gediegen und mit Blick auf heimische Materialien gewählt – die Fensterlaibungen etwa wurden mit Schweizer Lärche ausgekleidet. Im 5. OG, quasi das 1. OG des Wohnturms, dann ein gezielt gesetzter Kontrast: Durch das große Fenster im Flur geht der Blick direkt auf die Brücke, auf der die Lkw vorbeirauschen – die Brüstungshöhe so, dass man sich auf einem Sessel davor setzen und geradezu kontemplativ dem Verkehr zusehen könnte, zu hören ist er nämlich kaum. Die Bewohner fühlen sich durch die Nähe des Verkehrs nicht gestört, im Gegenteil: »Wir haben schon gern, dass etwas los ist, wo wir wohnen«, kommentieren sie die Frage. Das ist insbesondere im Geschoss darüber der Fall: Zwei gegenüberliegende Fenster holen auf der einen Seite die Hochstraße und auf der anderen die riesigen Leuchtbuchstaben des Autohändlers ins Wohnzimmer – und dahinter gleich die weite Landschaft. Die eine weitere Etage höher tatsächlich die Atmosphäre bestimmt: Denn die Dachterrasse haben die Architekten weg von der lauten Straße und hin zur Aussicht gedreht. Ein Übriges tun die hohen Gräser, mit denen die Bewohner, selbst Landschaftsgärtner, die Terrasse bepflanzt haben. Die Vertikalen der Dachterrasse sollten ursprünglich wie die restliche Fassade mit Titanzinkblech gestaltet werden, doch entschieden sich die Architekten dann doch lieber für grau gestrichenes Holz – einerseits ist es wärmer und einladender, insbesondere auf der Überfahrt des Aufzugs, die hier als Sonnenbank ausgebildet ist, andererseits bietet es in diesem Bereich noch einmal eine neue, andere Materialqualität.

db, So., 2014.11.30



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02. November 2014Dagmar Ruhnau
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Oberfläche mit Tiefe

»Kachelofen!« Diesen Spitznamen hatte der Neubau im Seniorenzentrum Sonnenhof bereits kurz nach seiner Fertigstellung bekommen. Auf den ersten Blick erinnert er zwar durchaus an einen gemütlichen Ofen, doch entwickeln Fassade und Baukörper bei genauem Hinsehen eine feine, fast schon flirrende Materialität – die sich auch ins Innere zieht.

»Kachelofen!« Diesen Spitznamen hatte der Neubau im Seniorenzentrum Sonnenhof bereits kurz nach seiner Fertigstellung bekommen. Auf den ersten Blick erinnert er zwar durchaus an einen gemütlichen Ofen, doch entwickeln Fassade und Baukörper bei genauem Hinsehen eine feine, fast schon flirrende Materialität – die sich auch ins Innere zieht.

Zunächst ist das Gebäude ganz unauffällig: Das Grün der Keramikfassade entspricht vollkommen dem Farbton des Laubs der umgebenden Bäume. Der Eindruck ändert sich jedoch, wenn man direkt vor dem Bau steht. Durch den Blick vom Fuß des Hangs nach oben wirkt er recht wuchtig, und das dunkle Grün kontrastiert stark mit den hellen Fassaden des Umfelds, Sichtbeton, Putz und Schindeln. Zu diesem Effekt trägt auch bei, dass für die Baustelle mehr Bäume gefällt wurden als vorgesehen, sodass das Konzept der Architekten, den dreifingrigen Bau in die Lichtungen ragen und mit den Bäumen verschmelzen zu lassen, kaum noch zu erkennen ist. Eine solche Einfügung hätte die Vorstellung der Planer von dem Neubau als »Dépendance« oder »Stöckli« des bestehenden Altenheims unterstützt: verbunden durch Übergänge in EG und UG sowie die Möglichkeit, die Infrastruktur mit zu nutzen; unterschieden jedoch durch die Funktion als Seniorenresidenz mit hochwertigen Wohnungen. Zwar nimmt die Kubatur die bewegte Gliederung der benachbarten Sichtbetonbauten mit ihren Übereck-Balkonen in abgewandelter Form auf, doch macht der Neubau durchaus einen eigenständigen Eindruck: Er steht nicht in der Flucht der Bestandsriegel, sondern vorgerückt am Eingang zum Gelände, und die dunkelgrüne Keramikfassade setzt sich deutlich vom Bestand ab.

Satte Töne, murale Wirkung

Bereits im Wettbewerb waren die glasierten Keramikelemente samt ihrer Farbe Teil des Konzepts. Geplant war der Einsatz von günstiger Stangenware eines italienischen Herstellers, der allerdings schon vor der Ausschreibung in Konkurs ging. In der »Deutschen Steinzeug Schweiz« fanden die Architekten schließlich einen Hersteller, der bereit war, gemeinsam mit ihnen zu experimentieren. Angestrebt war eine Qualität, die ältere Fliesen auszeichnet: Tiefe der Farbe und lebendige Struktur. Tatsächlich konnte der Hersteller diese Vorstellungen mit seinen modernen Brennöfen umsetzen.

Die Mühe hat sich gelohnt: In der Sonne zeigt sich die Tiefe mit mehreren Schichten satter Grüntöne, die eine abwechslungsreiche Fläche bilden – und an den nahe gelegenen Stadtweiher erinnern. Damit vermittelt die Fassade zugleich Wertigkeit, Robustheit und Eleganz. Zur edlen Ausstrahlung trägt auch das Streifenmuster bei, das durch die vertikale Reihung der konkav geformten Fliesen entsteht und eine diskret ordnende Funktion übernimmt. Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium für die Fliesen war deren »murale Wirkung« und ein plausibler Umgang mit dem auch in der Schweiz allgegenwärtigen WDVS. In der Tat vermitteln das massive Erscheinungsbild, die Beständigkeit gegen Stöße und ein guter Klang beim Dagegenklopfen die Anmutung einer Wand. Für diese Wirkung spielen die Laibungen eine wichtige Rolle, deshalb sind dort ebenfalls Fliesen verlegt. »Ein Blech wäre zu dünnhäutig gewesen«, kommentiert Marius Hug, einer der Büroinhaber. Überlegungen dazu gab es, schließlich bestehen die Fensterprofile außen ebenso wie Sonnenblenden und Brüstungselemente (an manchen Küchen) aus messingfarben anodisiertem Aluminium und bilden durchgehende Bänder zur vertikalen Gliederung der Fassade. Die Entscheidung für die Fliesen erwies sich aber als richtig: Das Thema »massive Wand« in die Innenräume zu transportieren, bewirkt mehr als eine von außen ohnehin kaum sichtbare Ergänzung der Metallbänder. Im Gegensatz zur bewegten Klinkerfassade wirken die Bänder eher flach, passen sich aber farblich sehr gut ein. Die Farbe changiert je nach Lichteinfall und entfaltet ihre Wirkung von Nahem sehr schön – aus der Ferne sehen gerade die größeren Flächen leider eher nach Faserzementplatten aus.

Bestimmendes Konstruktionselement

Die Architekten entwickelten die Form der Fliese selbst. Um Balkonbrüstungen, -stürze und Außenecken sauber zu umschließen, entstanden ca. fünf Varianten der 126 x 300 mm großen Elemente. Im Planungsablauf bedeutete dies eine besondere Herausforderung: Da sich sämtliche Abmessungen nach der Fliesengröße richten, musste der Wandaufbau samt Rohbaumaßen bereits frühzeitig feststehen.

Um die Keramikteile exakt verlegen zu können, war es wichtig, den Unterbau sauber und stabil auszuführen – immerhin wiegt die Fassade rund 30 kg/m². Die Dämmung wurde auf der Ortbetonwand verklebt und verankert, anschließend mit Armierungsmörtel mit eingelegtem Glasfasergewebe verbunden. Diese Schicht musste extrem plan werden, denn die Fliesen wurden nur mit einem hauchdünnen Kleber befestigt. Marius Hug lobt die Leistung der portugiesischen Fliesenlegertruppe wegen ihres Verständnisses für die Anforderungen der Fassade. Für die Verlegung wurden mehrere Varianten durchgespielt; letztlich entschied man sich für einen regelmäßigen Verband in halber Fliesenlänge, was ein angenehm ruhiges Fugenbild ergibt, in das sich der mittelgraue Fugenmörtel unauffällig einfügt.

Wohnen mit Ausblick

Die Innenräume sind ebenso hochwertig gestaltet wie die Fassade; durch die Verwendung heller Materialien und durch eine kluge Lichtführung wirken sie jedoch leichter. Der reduzierte, erdige Farbkanon aus Messing und Grün zieht sich durch, ergänzt um die Farbe Rot. Den Hintergrund bilden Sichtbetonwände und -decken in den öffentlichen Bereichen bzw. weiß gestrichene Glasfasertapeten und lasierte Sichtbetondecken in den Wohnungen. »Wir wollen das Farbliche eher über das Material tragen«, sagt Marius Hug dazu. Und so enthält der auffällige, grobkörnige Kunstterrazzo der Treppen einen Hauch von Dunkelrot, das bei den auf die Sichtbetonwände gemalten Etagenbezeichnungen aufgegriffen wird und mit den Wohnungstüren aus Eiche harmoniert. Das Material Eiche setzt sich in den Wohnungen im Parkett der Privaträume fort, während in den halbprivaten Bereichen (ebenfalls rötlicher) Travertin verlegt wurde.

Das Gebäude ist als Split-Level organisiert, einerseits natürlich, um den Geländeverlauf aufzunehmen, andererseits aber auch – und das ist sehr gut gelungen –, um durch Blickbeziehungen zwischen den Wohnungen den Bewohnerinnen und Bewohnern das Gefühl von Gemeinschaft zu geben. Diese Haltung manifestiert sich auch anderenorts: Vor der Waschküche bietet ein Freisitz mit Wäschespinne Platz zum Plaudern, vor dem Haus und auf der Dachterrasse stehen Bänke zur Verfügung.

Pro Etage verfügt der Bau über zwei Zweieinhalb- und vier Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen, je drei teilen sich ein großzügiges Podest. Mit der Erschließung durch ein zentrales Treppenhaus reizten die Architekten die zulässige angebundene Gesamtfläche von 700 m² aus. Der Preis dafür sind die eher dunklen Eingangsbereiche der Wohnungen, deren Einbauschränke und Abstell- räume dafür viel Stauraum bieten. Vollends aufgewogen wird der Nachteil durch den breiten Korridor, der an den Privaträumen vorbei zum hellen Wohnbereich mit integrierter Küche und Balkon führt. Die Küchenfronten aus Eiche und der grünliche Ton der Naturstein-Arbeitsplatte sowie die von den Architekten selbst entworfenen brünierten Messinggriffe rufen den Farbkanon des Hauses dezent in Erinnerung.

Die Balkone sind jeweils nach zwei Seiten orientiert, um möglichst viele Bezüge herzustellen. Nach Südosten bietet in der Ferne der Säntis den zumeist aus Wil stammenden Bewohnern einen vertrauten Anblick, nach Norden liegen der Park und die Altstadt. Einen grandiosen Bergblick gewährt v. a. die Dachterrasse, die mit ihren grünen Tischen und Sitzgelegenheiten sowie den mit Wiesenblumen bepflanzten Hochbeeten eine beliebte Freifläche darstellt.

Bergidylle in spe

Eine Wiese mit hohem Gras und Blumen schwebt den Architekten auch für das Gelände um das Haus herum vor, doch es braucht wohl noch einen oder zwei Sommer, bis man auf den Bänken das Bergwiesenflair genießen kann. Einige Sitzgelegenheiten sind in die terrassierenden Betonmauern integriert, die mit grober, herausgekratzter Oberfläche und unregelmäßiger Verteilung über den Hang ebenfalls Anklänge an eine Berglandschaft herstellen werden, sobald sie ordentlich bewittert sind. Sogar eine Art Wasserfall ist vorgesehen. Ob es an dieser differenzierten Ausgestaltung liegt oder an der Lage direkt im Stadtzentrum – die Mieter schätzen sich jedenfalls glücklich, hier zu wohnen.

db, So., 2014.11.02



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db 2014|11 Material wirkt

02. Dezember 2013Dagmar Ruhnau
db

Lichtblick

Unter dem Dach einer ehemaligen Tankstelle platziert, bietet »The Filling Station« Raum für Gastronomie und Kultur mit Blick aufs Wasser. Material und Konstruktion sind preisgünstig und einfach, schaffen aber dennoch einen poetischen Ort inmitten der wüsten Baustellenlandschaft von King's Cross.

Unter dem Dach einer ehemaligen Tankstelle platziert, bietet »The Filling Station« Raum für Gastronomie und Kultur mit Blick aufs Wasser. Material und Konstruktion sind preisgünstig und einfach, schaffen aber dennoch einen poetischen Ort inmitten der wüsten Baustellenlandschaft von King's Cross.

Auf dem Gelände hinter King's Cross, einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Londons, entstehen zurzeit auf 27 ha ehemaliger Gleis- und Schuppenflächen neue Einkaufsstraßen, Bürogebäude und Wohnblocks. Das ehemals verrufene Bahn- und Industrieareal am Kreuzungspunkt von Eisenbahn, Straßen und Wasserwegen (das im 18. Jahrhundert noch ein verträumter Badeort war) wandelt sich zu einem Stück Stadt des 21. Jahrhunderts: sauber, glatt, effizient, mit einem Hauch Nostalgie durch umgebaute Lagerhäuser. Bis 2020 sollen hier 45 000 Menschen leben, arbeiten und studieren. Doch noch steht Kran neben Kran, kaum etwas ist fertig und überall guckt noch das Alte hervor. Am östlichen Rand des Geländes steht ein kleines Gebäude, eingezwängt auf einem dreieckigen Grundstück zwischen zwei breiten Straßen und dem Regent's Canal, der sich erst langsam wieder zu einem Ort mit Aufenthaltsqualität entwickelt.

Das Gebäude ist tagsüber kaum wahrnehmbar und geht auch bei Dunkelheit trotz Beleuchtung neben der lichtüberfluteten Baustelle und anderen schreienden Lichtinstallationen ziemlich unter. Und doch fällt es auf, indem es den zumeist banalen und plumpen Großbauten eine feine Eleganz entgegensetzt. Die Hülle besteht aus geschwungenen Kunststoffelementen, die in Bögen ungefähr die Form des Grundstücks nachzeichnen. Bei bedecktem Himmel wirkt der Bau rätselhaft, grau wie der alte Straßenbelag und wie eine undurchdringliche Wand. Der weiße Schriftzug »The Filling Station« ist kaum zu lesen und hilft auch nicht weiter, denn hier handelt es sich erkennbar nicht um eine Tankstelle. Doch bei Sonne erscheint auf der Fassade ein zauberhaftes Spitzenmuster; und fällt das Licht von hinten gegen die Elemente, zeigt sich ihre Transluzenz: Unterkonstruktion und Teile der Einrichtung werden als abstrakte Muster sichtbar. Nachts sind die Elemente effektvoll illuminiert, der Schriftzug leuchtet grün. Das Gebäude wird noch zarter und durchlässiger – ganz wie die leuchtende Laterne, die die Architekten beim Entwurf vor Augen hatten.

Verkehrsbau wird Idyll

»The Filling Station« steht tatsächlich auf einem ehemaligen Tankstellengrundstück. Für die Zeit, bis hier Wohnungen entstehen, verwandelte es das Architektenduo Carmody Groarke für die Eventgastronomen von Bistrotheque, bekannt für temporäre Restaurants (s. auch db 9/2010, S. 24), in eine »heiße« Adresse für hippe Londoner. Über dem durch das wechselnde Erscheinungsbild nicht ganz fassbaren, 4 m hohen und 200 m langen Baukörper schwebt das alte Tankstellendach, doch statt der üblichen gerundeten, viel zu dicken Verkleidung zeigt sich nun eine klare weiße, wohlproportionierte Scheibe. Das Grün der Leuchtschrift erinnert an die ehemalige Nutzung durch einen britischen Ölkonzern, dessen alte Tanks sich noch im Boden befinden. Auch das Tankstellengebäude blieb erhalten, mitsamt Ver- und Entsorgungsleitungen. Hier wurde die Küche eingerichtet, im ehemaligen Verkaufsraum bieten weiß eingedeckte Tische Platz für 50 Personen. Um dieses und ein weiteres kleines Gebäude am gegenüberliegenden Ende des Grundstücks entwickeln sich die GFK-Elemente und bilden dazwischen einen kleinen Hof aus, der sich zum Kanal öffnet. Hier wird im Sommer auf Bierbänken gesessen, gegrillt und getrunken, auch kulturelle Veranstaltungen gibt es. Sobald man unter den beiden riesigen Nadelbäumen um die Ecke biegt, vergisst man fast, dass man in London ist. Die Großbaustelle von King's Cross leuchtet zwar durch die Kunststoffpaneele hindurch, doch der Blick geht auf den ruhigen Kanal mit seinen Hausbooten und auf »The Granary«, ein ehemaliges Lagerhaus, das für die University of the Arts um- und ausgebaut wurde (Architekten: Stanton Williams).

Einfachheit mit grosser Wirkung

So raffiniert und vielschichtig die Architekten den Ausdruck und die Wirkung der kleinen »Laterne« gestaltet haben, so einfach und zurückhaltend ist die Konstruktion. Zwischen den GFK-Elementen ist jeweils ein Sperrholz-Schwert angeordnet, die Verbindung erfolgt über Bolzen durch jeweils ein Gelenk und die inneren Flansche der Paneele. Diese Kette wiederum wird gehalten von einer einfachen Gerüstkonstruktion, die als Herzstück und Inbegriff des temporären Baus in Szene gesetzt wird: Durch Sonnenlicht am Tag und gezielte Beleuchtung nachts zeichnen sich die Schatten der Rohre auf der geschwungenen Fassade ab.

Der Schriftzug erinnert übrigens nicht zufällig an amerikanische Diner der 50er Jahre. Das gesamte Konzept folgt dieser Richtung, allerdings ohne Polsterbänke und mit einem südlichen Einschlag. Von der Palme bis zur Wandbemalung wird eine dezent »mexikanische« Atmosphäre hergestellt, und die Speisekarte erzählt die Geschichte einer (fiktiven) Dame namens Shrimpy, die von ihren Reisen aus Mexiko die verschiedenen Tortas, Cocktails und v. a. Fischgerichte mitgebracht hat. Und so sitzt man hier und entdeckt im Grauen, Gezackten der Kunststoff-Hülle des Restaurants zu guter Letzt auch noch Ähnlichkeit mit den Schalen von Shrimps und Austern.

Für drei Jahre, bis 2014, hat »The Filling Station« eine Genehmigung, ursprünglich waren nur zwei Jahre geplant. Jetzt im Winter finden nur einzelne Veranstaltungen statt, doch soll das Restaurant ganzjährig für das Publikum offenstehen. So arbeiten die Architekten gegenwärtig an einer Lösung, die den Hof dauerhaft nutzbar macht – ein Vorhang, der vor Kälte schützt, wünschenswerterweise aber die Aussicht nicht verdeckt. Gleichzeitig wird darüber verhandelt, ob sich die Genehmigung um ein weiteres Jahr verlängern ließe.

db, Mo., 2013.12.02



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db 2013|12 Redaktionslieblinge

05. Dezember 2012Dagmar Ruhnau
db

Vielfältiges Ganzes

Aus drei Häusern im Stadtzentrum Kufsteins machten die Architekten eins. Durch beherzte Eingriffe und den Einsatz weniger, aber ausgesuchter Materialien entstand mit großer Selbstverständlichkeit ein zeitgemäßes, offenes Rathaus, das die Bedürfnisse von Verwaltung und Bürgerschaft gleichermaßen ernstnimmt.

Aus drei Häusern im Stadtzentrum Kufsteins machten die Architekten eins. Durch beherzte Eingriffe und den Einsatz weniger, aber ausgesuchter Materialien entstand mit großer Selbstverständlichkeit ein zeitgemäßes, offenes Rathaus, das die Bedürfnisse von Verwaltung und Bürgerschaft gleichermaßen ernstnimmt.

Kufstein erneuert sich: Im Stadtzentrum wachsen die Fachhochschule und die Musikschule, neue Geschosswohnungsbauten und ein Einkaufszentrum wurden gebaut, und die Stadt öffnet sich mit einem neuen Platz zum Inn. Auch der zentrale Untere Stadtplatz ist seit Kurzem in einen gepflasterten »shared space« verwandelt, mit zahlreichen Restaurants und Möglichkeiten, draußen zu sitzen. Am oberen Ende des Platzes am Fuß des Festungsbergs steht seit Jahrhunderten das Rathaus, das nun von der Arge Rainer Köberl mit Giner + Wucherer intelligent erweitert und modernisiert wurde. Durch den Zukauf der Nachbarbauten Bildsteinhaus und Paramentenstöckl konnte der Hauptzugang von seiner eher introvertierten Lage zum Unteren Stadtplatz weg und hin zur Hauptstraße Oberer Stadtplatz verlegt werden. Diese Veränderung war ein Hauptziel des Wettbewerbs, den die stadteigene Immobiliengesellschaft 2008 ausschrieb: Das bisherige Rathaus sollte mit den Nachbarbauten »zu einer architektonisch wertvollen Einheit verschmelzen«, um als multifunktionales und kundenfreundliches Rathaus mit Bürgerservice, Repräsentationsräumlichkeiten und Geschäftsflächen zu funktionieren. Der von der Architektengemeinschaft eingereichte Entwurf fand sofort die Zustimmung der Jury unter dem Vorsitz von Walter Angonese, und selbst die wenigen Elemente, mit denen sich die Bauherrin zunächst nicht anfreunden konnte – etwa die Verlegung des Bürgersaals aus der angestammten spätgotischen Gewölbehalle im EG aufs Dach –, haben mittlerweile überzeugt. ›

Mehr Präsenz

Dieser Saal wird nach außen deutlich durch die »Krone« aus gefalteten weißen Sonnenschutzelementen und stellt gemeinsam mit dem neuen Portal in der Längsfassade des Bildsteinhauses eine der wesentlichen Veränderungen dar. Bislang war die Fassade – in der sich die ehemalige Stadtmauer fortsetzt – im EG geschlossen und mit einem banalen eingeschossigen Vorbau verunziert. Durch Abriss dieses Vorbaus entstand (wieder) ein Platz mit angenehmen Proportionen, für den die Fassade einen klaren Abschluss bildet. Gleichzeitig wuchs das Gebäude durch die »Krone«, die ein eher flaches Grabendach ersetzt, in die Höhe, sodass es sich nun zwischen den umgebenden, vier- bis fünfgeschossigen Häusern und der Festung im Hintergrund besser behauptet. In die geschlossene Straßenfassade setzten die Architekten das neue Portal, hinter dem direkt der Bürgerservice angeordnet ist, ein kurzerhand in den Berg gegrabener Raum mit einem langen Tresen als erste und zentrale Anlaufstelle. Das Portal wirkt, als sei es seit jeher hier gewesen und bildet den Auftakt für die geradlinige Erschließung quer durch das ganze Ensemble.

Licht im Herzen des Bergs

Die Erschließung ist das wesentliche Element für die innere Neuordnung des Rathauses. Horizontal führt sie vom Portal in die »Herzzone« des Ensembles, in der der Aufstieg nach oben beginnt, über die jetzt als Trauzimmer genutzte Gewölbehalle ins alte Rathaus hinein und hindurch, bis zum alten Zugang vom Unteren Stadtplatz. Die vertikale Erschließung mit Treppenhaus und Aufzug wurde zwischen die drei Häuser und in den hinteren Teil des Bildsteinhauses gesetzt und ist durch die Ausführung in Sichtbeton klar als neu erkennbar. Zwischen den Fassaden von altem Rathaus und Paramentenstöckl sitzt das neue Treppenhaus und öffnet sich mit einer Glasfassade zum Pfarrplatz, sodass von hier viel Licht in die Tiefe des Hauses fallen kann. Noch mehr Licht kommt durch das nun geöffnete Dach des Bildsteinhauses. Zentral werden von hier sowohl das alte Rathaus mit seinen eher zurückgezogenen Verwaltungsräumen und dem Stadtratssaal erreicht als auch der öffentliche Bürgersaal auf dem Dach des Bildsteinhauses, außerdem eine externe Kanzlei, die sich im 1. und 2. OG des Bildsteinhauses zwischen den Empfang und den Bürgersaal schiebt. Um der Erschließung ihre helle und großzügige Wirkung zu geben, waren diverse Gespräche mit dem Brandschutzbeauftragten notwendig. Statt das Treppenhaus komplett abzuschließen, bildet es nun mitsamt dem Eingangsbereich einen Brandabschnitt. Der Bürgerservice bekam wie die Fenster aus der Kanzlei ins Treppenhaus einen Brandschutzvorhang, die Brandschutztüren zum alten Rathaus wurden in die Flure hineinversetzt und die Verglasungen an der Tür zum Trauzimmer und am Aufzug bestehen aus Brandschutzglas. Der Aufzug führt über das 3. OG hinaus an der »inneren« Fassade des alten Rathauses in dessen beide Dachgeschosse, von der Straße unsichtbar hinter der »Krone«. Seine Lage ist zwingend, doch im EG schwer zu finden, und so müssen Besucher durch ein nachträglich aufgestelltes Schild und Zurufe geführt werden; das konterkariert etwas das elegante, gegenüber dem Empfang in die Wand eingelassene elektronische Panel. ›

Verbindende Elemente: Gesten, Materialien und Farben

Allerdings ist das ein nur kleines Manko angesichts des fast schon goldschmiedhaften Umgangs, mit dem die Architekten den Umbau durchführten. Z. T. entwickelten sie die Details auf der Baustelle, weil etwa die Wände und Decken des Bildsteinhauses und des Paramentenstöckls in unnachvollziehbarer Weise aufeinandertreffen und ihre Substanz außerdem schlecht war, oder sie stellten sich Diskussionen über verglaste Bürotüren, eine unerhörte Neuerung, kann doch nun die Bürgerin den Beamten beim Arbeiten beobachten. Trotz der vielen einzelnen Eingriffe wirkt das neue Rathaus bemerkenswert einheitlich, was sich der konsequenten Behandlung beispielsweise von neuen Öffnungen verdankt – klar und geradlinig aus dem Bestand herausgeschnitten – und dem durchgängigen Materialeinsatz. So bestehen sämtliche neuen konstruktiven Teile aus Sichtbeton, die Böden in den Erschließungszonen aus weißem bzw. betongrauem Gussterrazzo und die in den Büros inklusive Kanzlei aus Kupfereiche, eine Holzart aus dem niederösterreichischen Waldviertel, die ihre rötliche Färbung einem (unschädlichen) Pilz verdankt. Aus diesem Holz sind auch die Handläufe im Treppenhaus sowie die Brandschutztüren und die Flurwände zum alten Rathaus hinüber gefertigt. Die Farbe Weiß verbindet sämtliche Bereiche – vom Portal über die Wände und Bürotüren bis zum Sonnenschutz der »Krone«. Klar dagegen abgesetzt ist die ehemalige Außenwand des alten Rathauses: mit Rauputz, dessen Ockerton die Farbe der Fassade draußen fortführt. Diese Entscheidung irritiert angesichts der fein austarierten sonstigen Gestaltung. Um etwa passende Leuchten für die Verkehrsbereiche des alten Rathauses zu finden, nahmen die Architekten einige Mühen auf sich. Nun hängt hier ein Sondermodell, das in seinem von den 50er Jahren angehauchten Ausdruck gut zu den verschiedenen Zeitschichten des Baus passt: zum Bewusstsein, sich in einem Gebäude des 15. Jahrhunderts zu befinden, zu den barocken Treppen und zu den dezenten modernen Einbauten wie den verglasten Bürotüren oder den abstrakten Bildern, die der Maler Arthur Salner eigens für diesen Bau anfertigte. ›

Zwei Teile des Ganzen: Verwaltung und Bürger

Eine weitere Zeitebene eröffnet der Stadtratssaal im 3. OG des alten Rathauses. Er wurde in den 20er Jahren mit einer repräsentativen Kassettendecke aus Holz ausgestattet und war seit einem Umbau in den 60er Jahren fast vergessen. Im Zuge der jetzigen Sanierung wurden die damals eingebauten drei Zellenbüros wieder aufgelöst und eine abgehängte Decke auf Höhe der Fensterkämpfer entfernt. Damit erstand der würdevolle Raum wieder, an einer Stirnseite etwas eingekürzt und dadurch intimer – was die einheitliche Gestaltung in Kupfereiche unterstreicht. Das Büro des Bürgermeisters befindet sich unmittelbar nebenan. Gegenüber, im Bildsteinhaus, bildet der Bürgersaal das Gegenstück. Hier tagt der Gemeinderat, doch er dient auch für andere Veranstaltungen. Die Gestaltung ist deutlich moderner: mit Sichtbetonflächen und (preisgünstigen) Pappelsperrholzplatten an der Wand, geradlinigen schwarzen Tischen und Stühlen sowie quadratischen Aluminium-Downlights, die bereits im Vorbereich des Bürgersaals einen diskreten Auftakt bilden. Die zwei offenen Seiten des Saals sind mit raumhohen Elementen verglast, die sich komplett öffnen lassen. Richtung Stadt schützen die faltbaren Sonnenschutzelemente der »Krone« vor Aufheizung, bei zusammengefalteten Läden verleiht die Aussicht in die Berge dem Raum große Luftigkeit. Durch das hohe Gesims, das aus Denkmalschutzgründen zusammen mit dem Giebel erhalten bleiben musste, ist die Atmosphäre hier sehr konzentriert, auch auf der Dachterrasse, die die Architekten zwischen den Saal und die Brandmauer des Paramentenstöckls setzten.

Mehr als Zufall

Dass dieses Rathaus so gelungen ist, so das Resümee des Architekten Erich Wucherer, verdankt sich mehreren »Zufällen«. Dazu gehören die Mitglieder der Jury, der gute Kontakt zum Bundesdenkmalamt und zum Stadtamtsdirektor, und dass aus der Politik nur der Bürgermeister an der wöchentlich tagenden Projektsteuerungsgruppe beteiligt war. Wesentliches Element jedoch war letzlich, dass die Architekten auch mit der Generalplanung und der Bauleitung beauftragt wurden und es somit in der Hand hatten, ihren Entwurf in dieser Konsequenz und Qualität zu realisieren.

db, Mi., 2012.12.05



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db 2012|12 Redaktionslieblinge

01. Februar 2012Dagmar Ruhnau
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Mit dem Krebs leben

Studien legen nahe, dass jene Krebspatienten mit ihrer Situation am besten fertig werden, die sie entweder ignorieren oder sich besonders aktiv damit beschäftigen. Damit sich eine solche Auseinandersetzung als fruchtbar erweist, hat die Stiftung »Maggie Keswick Jencks Cancer Caring Centres Trust« vor 15 Jahren das erste von mittlerweile zehn Beratungszentren eröffnet. Der Schwerpunkt liegt auf gezielter Information und Selbstbestimmung – und auf einer wohltuenden, architektonisch sorgfältig gestalteten Umgebung.

Studien legen nahe, dass jene Krebspatienten mit ihrer Situation am besten fertig werden, die sie entweder ignorieren oder sich besonders aktiv damit beschäftigen. Damit sich eine solche Auseinandersetzung als fruchtbar erweist, hat die Stiftung »Maggie Keswick Jencks Cancer Caring Centres Trust« vor 15 Jahren das erste von mittlerweile zehn Beratungszentren eröffnet. Der Schwerpunkt liegt auf gezielter Information und Selbstbestimmung – und auf einer wohltuenden, architektonisch sorgfältig gestalteten Umgebung.

Ausschlaggebend für die Gründung der Maggie's Centres waren die Erlebnisse von Maggie Keswick Jencks, Landschaftsarchitektin und Frau des Architekturkritikers und Landschaftsarchitekten Charles Jencks, während ihrer eigenen Krebserkrankung. Statt einer antiseptischen Krankenhausumgebung hätte sie sich einen geschützten Raum gewünscht, um all das verarbeiten zu können, was mit der Diagnose auf einen Patienten zukommt: eine Flut von Informationen, die ausgewertet und beurteilt werden müssen, die Entscheidung über eine Therapie, Fragen nach Kosten und finanzieller Unterstützung. Maggie Keswick starb 1995, doch in den letzten beiden Jahren vor ihrem Tod entwickelte sie mit ihrem Mann und ihrer Krankenschwester das Konzept, nach dem die Zentren bis heute gebaut werden. Im Dezember 2011 wurde der zehnte Bau übergeben.

Maggies Centres bieten genau das, was Krankenhäuser nicht leisten können: persönliche Antworten auf Fragen zu finden, Abstand, die Möglichkeit, immer und immer wieder nachzufragen, Schritt für Schritt den besten Umgang mit der Krankheit zu lernen. In den Zentren, die meist an eine Klinik angegliedert sind, finden Patienten und Angehörige Informationen, Gesprächsmöglichkeiten mit medizinischen und psychologischen Fachleuten sowie Kurse z. B. zu Stressmanagement oder Ernährung. Aber es ist auch möglich, hier nach einem Besuch im Krankenhaus etwa einfach eine halbe Stunde Ruhe zu finden. Nicht nur akut Erkrankte können das regelmäßig evaluierte Angebot kostenfrei in Anspruch nehmen, sondern auch Patienten nach der Therapie, Pflegende oder Trauernde. Finanziert werden die Zentren, deren laufende Kosten mit jährlich je gut 1 Mio. Pfund veranschlagt werden, durch Spenden; von der Familie Jencks selbst über große Institutionen bis hin zu Fundraising-Events, bei denen Privatpersonen zuletzt 700 000 Pfund gesammelt haben.

Schützender Hybrid

Doch Information, Beratung und Kurse sind nicht alles. Ganz besonders die emotionale Situation der Betroffenen muss einen adäquaten Raum bekommen, sie sollen Anerkennung ihres Leidens erfahren. Dem trägt die Aufgabenbeschreibung Rechnung, die die Gestaltung dem jeweiligen Architekten überlässt, doch den Inhalt präzise vorgibt: Größe ca. 280 m², wohnungsähnlicher Maßstab, die Stimmung freundlich und ruhig, viel Licht, Blick nach draußen und direkte Verbindung von innen und außen. Bereits vom Eingangsbereich aus soll sich das Gebäude erfassen lassen, v. a. Wohnzimmer und Küche sichtbar sein. Nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen – auch für sie drückt die Umgebung Wertschätzung aus. Um jeglichen institutionellen Charakter zu vermeiden, gibt es keine Rezeption, doch ein stets besetztes Büro stellt sicher, dass neue Besucher schnell willkommen geheißen werden können. Das Herzstück stellt die Küche mit einem Tisch für 12 Personen dar. Hier finden sich die Besucher in informellen Gesprächen oder können einen Tee für sich selbst kochen; Seminare und Kochkurse sind ebenfalls möglich. Es gibt Gruppenräume für 12-14 Personen, die durch Schiebetüren schallgeschützt abtrennbar sind, ebenso kleine Räume für private Beratungsgespräche und einige Computerarbeitsplätze, eine Bibliothek sowie einen kleinen Ruheraum. Auch für die Toiletten gibt es Vorgaben: Sie sollen groß genug sein, dass ein Stuhl und ein Bücherregal hineinpassen – und so privat, dass man sich in Ruhe ausweinen kann.

Bunte Anfänge

Diese vielschichtigen Anforderungen auf verhältnismäßig kleinem Raum führen zu einer (gewollten) Überlagerung der Funktionen und Bedeutungen. Entsprechend vielfältig sind die Entwürfe der Architekten, sämtlich Freunde des Ehepaars Jencks. Darunter finden sich einige große Namen: Frank Gehry, Zaha Hadid, Richard Rogers, Kisho Kurokawa. Das ist natürlich hilfreich beim Spendensammeln. Jencks selbst kommentiert es so: »Wenn ein Architekturhistoriker älter geworden ist, sind manche seiner Bekannten mittlerweile berühmt. Wäre es nicht so, wäre er kein besonders guter Kritiker.«

Das erste Maggies Centre (s. Abb. 3/4) wurde 1996 in Edinburgh auf dem Gelände des Western General Hospital von Richard Murphy Architects geplant. Es ist ein Umbau, erkennbar aus den 90er Jahren und extrem wohnhausartig. Die dicken Steinmauern wurden geöffnet und mit Glasbausteinen sowie raumhohen Verglasungen ausgefacht, neue Stahlbauteile und Oberflächen in kräftigen Farben gestrichen. Der zweigeschossige Eingangsbereich ist von einem Oberlicht gekrönt und erlaubt den Blick in alle Richtungen: in die Küche, zu den Beratungsräumen im EG und DG und in einen der zwei Anbauten von 2001, eine Stahl-Holz-Konstruktion, in der sich das farbenfrohe »Wohnzimmer« befindet. Durch seine orthogonale Positionierung definiert der Anbau eine Art Hof, der trotz beschränkter Platzverhältnisse einen privaten Raum bietet.

Abweichung oder Weiterentwicklung?

Der Garten der Maggie's Centres stellt eine wichtige Fortsetzung des Innenraums dar. Aus der Küche soll man einfach nach draußen kommen können, um dort Energie zu tanken, die Sinne anregen zu lassen, zu plaudern oder bei Interesse auch zu gärtnern. In der Regel sind an der Gestaltung Landschaftsarchitekten beteiligt. Charles Jencks selbst übernahm sie beim von Page\\Park gebauten Maggies Centre in Inverness (2005), auf Bitte der Architekten. Tochter Lily Jencks, ebenfalls Landschaftsarchitektin, gestaltete das Gelände und den inneren Garten des achten Zentrums, von Rem Koolhaas/OMA, das vergangenen Oktober am Beatson Hospital im Glasgower Stadtteil Gartnavel eröffnet wurde. Bewusst war ein nach Süden geneigtes, dicht mit Bäumen bestandenes Gelände gewählt worden, zwischen denen das eingeschossige Gebäude fast verschwindet und die einen Puffer Richtung Krankenhaus bilden. Der Bau ist als Rundgang organisiert, der dem Geländeverlauf folgt. Mehrere Kerne und massive Wände reihen sich lose rund um einen inneren Garten, verbunden durch große, raumhohe Glasflächen. In vielerlei Hinsicht brechen OMA mit der üblichen Gestaltung: Abgesehen von Holzeinbauten und Birkenbrettern in der Betondecke herrschen Glas, Beton und Edelstahl vor – die wohl durchaus akustische Probleme bereiten. Selbst die Wohnküche steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern wird sanft zur Seite geschoben und so zum Auftakt des Rundgangs – sofern man sich nach links wendet. Und gerade diese Verkehrsfläche, die in den anderen Zentren mit den übrigen Nutzungen verschmilzt, dominiert hier das Gebäude.

Die Lebensfreude nicht verlieren

Der Erfolg der Maggies Centres überraschte selbst die Stiftungsgründer. Dauerte es nach dem Erstling 1996 noch sechs Jahre, bis das zweite Zentrum gebaut wurde, folgten die nächsten 2003, 2005, 2006, 2008, 2010 – und 2011 sogar drei. Die Statistik besagt, dass jeder dritte Brite im Lauf seines Lebens an Krebs erkrankt. Da Krebs auch eine Alterserkrankung ist, wird sich dieser Anteil mit steigender Lebenserwartung voraussichtlich auf 50 % erhöhen, in manchen Teilen Schottlands ist das bereits der Fall. Angesichts dieses Bedarfs wurde 2007 die Kampagne »Joy of Living« ausgerufen, mit der 15 Mio. Pfund für fünf neue Zentren gesammelt wurden. Zusätzlich gibt es seit 2008 ein Online-Zentrum für jene, die zu weit weg wohnen oder zu krank sind. Weitere Zentren sind im Bau oder in Planung, darunter sogar eins in Barcelona und eins in Hongkong (Frank Gehry), wo Maggie Keswick Jencks aufwuchs.

db, Mi., 2012.02.01



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db 2012|02 Gesundheit

05. Dezember 2011Dagmar Ruhnau
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Feinsinnig rau

In fantastischer Landschaft zwei Stunden von London entfernt hat sich seit Langem ein Festival für die Freunde klassischer und moderner Musik etabliert. Das zentrale Konzertgebäude ist berühmt für seine satte Akustik und bildete den Beginn einer sukzessiven Konversion eines alten Industriegeländes. Beim Entwurf für zwei der zuletzt umgebauten Gebäude ließen sich die Architekten von der Atmosphäre und vorgefundenen Matrialien leiten und verwendeten größtenteils recycelte Materialien – mit manchmal kaum wahrnehmbar dezentem Ergebnis, das dem Ort vollkommen entspricht.

In fantastischer Landschaft zwei Stunden von London entfernt hat sich seit Langem ein Festival für die Freunde klassischer und moderner Musik etabliert. Das zentrale Konzertgebäude ist berühmt für seine satte Akustik und bildete den Beginn einer sukzessiven Konversion eines alten Industriegeländes. Beim Entwurf für zwei der zuletzt umgebauten Gebäude ließen sich die Architekten von der Atmosphäre und vorgefundenen Matrialien leiten und verwendeten größtenteils recycelte Materialien – mit manchmal kaum wahrnehmbar dezentem Ergebnis, das dem Ort vollkommen entspricht.

Weite Flächen prägen die Landschaft von Suffolk: Wälder, Hügel, Felder, die grau glitzernde Nordsee und ausgedehnte Marschflächen, von Ried bewachsen. Winzige Orte aus roten Backsteinhäusern tauchen erst in allerletzter Minute aus der grau-grünen Landschaft auf. Die Küste ist von breiten, gemächlichen Zuflüssen zum Meer eingeschnitten. Einer davon, die Alde, diente vor 100 Jahren als vielgenutzter Verkehrsweg für die Produkte der Mälzerei des Örtchens Snape, nach London und auf den europäischen Kontinent. 1965 musste der Betrieb schließen, er konnte der modernen Konkurrenz nicht mehr standhalten. Geblieben ist ein Ensemble alter Industriebauten, Stück für Stück gewachsen – optisch zusammengehalten durch den allgegenwärtigen roten Backstein. Kurze Zeit nach der Schließung kaufte ein ortsansässiger Landwirt das Gelände und stellte das größte der Gebäude dem Komponisten Benjamin Britten zur Verfügung, der für sein 1948 gegündetes und stetig wachsendes Aldeburgh Festival of Music auf der Suche nach einem festen Veranstaltungsort war. Unter der Federführung von Arup Associates entstand ein Konzertsaal für 830 Besucher, der berühmt ist für seine ausgezeichnete Akustik. Verantwortlich dafür ist das geräumige Dach mit einer Neigung von 45 ° und langer Nachhallzeit – endlich, kommentierte Britten damals, bekämen die Töne seiner Musik das Volumen, das sie verdienten. ›

Jenseits von »schick« oder »rustikal«

Von Arup stammt auch der Masterplan aus dem Jahr 1971, der die Entwicklung eines Kunst-Campus vorsah. Schon hier wurden als wesentlicher Eckpunkt für die weitere Konversion so geringe Eingriffe wie möglich definiert. 1979 und 2000 folgten der Umbau von Probenräumen und einer Bibliothek sowie die Erweiterung der Konzerthalle durch ein Restaurant, doch erst vor sechs Jahren bekam die Entwicklung einen erneuten großen Schub: Die Londoner Architekten Haworth Tompkins gewannen einen Wettbewerb für die Umwandlung weiterer leer stehender Bauten, einerseits in Probenräume und andererseits in 65 Wohneinheiten, die als Ferien- und Eigentumswohnungen vermarktet werden. 500 000 Besucher ziehen die Snape Maltings jedes Jahr mit ihrem kulturellen, gastronomischen und Einzelhandels-Angebot an. »Wir waren uns der Gefahr bewusst, dass jede weitere Veränderung die feine Balance aus Musik, Architektur und Landschaft zum Kippen bringen könnte«, beschreibt Steve Tompkins die Annäherung an das Projekt. Das Büro hat sich seit 1991 einen Namen mit behustsamen und intelligenten Konversionen von »vorgefundenem Raum«, so die Umschreibung der Architekten, gemacht. »Weder Metropolenschick noch hübscher Rustikalstil waren hier angebracht.« Und so entstanden Bauten mit großem Respekt vor der industriellen Geschichte und kargen Atmosphäre des Orts, mit einer bemerkenswerten Mischung aus hoher Zurückhaltung und geschickt entwickelter Individualität.

Kunst ist auch Arbeit

Als Leitgedanke diente die Vorstellung, die frisch umgebauten und neu entstandenen Bauten ihren Platz in der Entwicklung der Snape Maltings finden zu lassen, wie die Ergänzungen in den über 100 Jahren zuvor. Das entsprach dem Wunsch der Bauherrin Aldeburgh Music nach unprätentiösen, aber in der Textur reichen Arbeitsräumen, in denen sich die Künstler eine individuelle Sphäre schaffen können. Zugleich war die Bauherrin bereit, ihre Vorgaben hinsichtlich der Nutzung den vorhandenen Räumen anzupassen. In der farblichen und stofflichen Ausgestaltung orientierten sich die Architekten ebenfalls an Vorgefundenem: von rauchdunklem Holz über in mehreren verschiedenfarbigen Schichten gestrichenen Fensterrahmen bis zu moosigen und verrosteten Wellblechdächern.

So sind die Spuren der industriellen Nutzung überall sichtbar, hier und da wurden Wände mit Dampf gesäubert oder durch neue Ziegel ergänzt. Im größeren der beiden 2009 umgebauten Gebäude, dem nach seinem Sponsor benannten Hoffmann Building, sind die Highlights der neuen Eingangshalle, ursprünglich ein Getreidespeicher, alte Holzläden und eine Tür, die verkehrt herum eingehängt vorgefunden und so belassen wurde. Die Halle erschließt vier weitere angrenzende Bauten und verbindet sie zu einem Ganzen, was durch ein neues Mezzanin betont wird, das in allen fünf Gebäuden ein durchgängiges OG bildet. Der vorhandene Backstein wurde durch angemessen ruppige Sichtbetonelemente ergänzt, etwa die Treppe zum OG oder Stürze über Öffnungen in den Wänden zwischen den Gebäuden. Die Decke der Halle bekleiden unregelmäßige Streifen aus geschältem Kastanienholz, eine moderne Interpretation alter Wandbekleidungen, die die Architekten vorgefunden hatten, außerdem eine gelungene Referenz an das Treibholz der Küste. In erster Linie jedoch, betonen die Architekten, ist dies eine akustische Maßnahme.

Erstklassige Akustik, Essenz der Architektur

Die Anforderungen an die akustischen Bedingungen der beiden Proben- und Konzerträume im Hoffmann Building waren hoch: Nichts weniger als aufnahmetauglich mussten sie sein. Also bekamen sie neue Dächer, die siebenmal schwerer sind als die ursprünglichen. Eine Schale aus 150 mm Spritzbeton auf der Dachkonstruktion und entkoppelte Auflager sorgen für den notwendigen Schutz gegen Außengeräusche. Während das Dach über dem kleineren Raum, dem Jerwood Kiln Studio, in dem bis zu 80 Zuhörer Platz haben, äußerlich die alte charakteristische Dachform beibehalten hat, ist das große Britten Studio mit 350 Sitzplätzen ein Neubau, der anstelle einer laut Architekten »architektonisch weniger wertvollen« Scheune aus den 50er Jahren entstand. Form und Akustik wurden der der (größeren) Konzerthalle nachempfunden, sodass unter realistischen Bedingungen geprobt werden kann. Die Außenwand ist zweischalig aufgebaut: Ziegel, Dämmung, Beton. Die Ziegelwände wurden mit Kalkmörtel gemauert, damit die Steine noch ein weiteres Mal verwendet werden können. Auch die Verglasung der Fenster musste akustisch perfekt sein – der Bezug nach draußen für die Musiker und Tageslicht in den Räumen war den Architekten wichtig (ebenso wie ein reduzierter Energieverbrauch). Beide Räume können den jeweiligen akustischen Anforderungen – Orchester-, Chor- oder Klaviermusik, Oper, Theater, Lesungen, Video- und Crossover-Vorführungen – angepasst werden, wofür sie mit einer speziellen Holzkonstruktion ausgekleidet wurden. Bewegliche Lamellen mit unterschiedlicher Lochung absorbieren tiefe Frequenzen, strukturieren die Wände und verleihen den Räumen eine raue Intimität. Darüber hinaus sorgen Vorhänge und verschiebbare Fahnen für weitere Dämpfung, falls nötig. Für die Lüftung wurde eine extrem geräuscharme Ausführung vorgeschrieben. Der spielerische und dabei differenzierte Umgang mit den Materialien zeigt sich insbesondere im Britten Studio. Hier bedeckt die akustische Vertäfelung nur die obere Hälfte der Betonwand, die zur vielfältigen Schalldiffusion leicht gefaltet ist und deren Oberfläche zum Boden zunehmend grobkörniger wird. Die Körnung des Ortbetons wurde mittels Dampfstrahlen freigelegt und erinnert an die mit grobem Kies bedeckten Strände der Gegend. All diese Details stehen zwar im Dienst der Akustik, erzeugen durch Materialwahl und Komposition aber eine dichte architektonische und atmosphärische Qualität – robust und dabei fein austariert. Doch die widerstandsfähige Anmutung des EG ist auch zu erwartendem Hochwasser geschuldet – der Beton etwa ist wasserundurchlässig. Gedeckt sind die Dächer mit in der Landwirtschaft eingesetzten Bitumenbahnen und handgefertigten grauen Schieferplatten, die umgedreht verlegt wurden, »um eine gar zu polierte Optik zu vermeiden«, wie es die Architekten formulieren.

Zimmer mit Aussicht

Das Hoffmann Building wurde im Mai 2009 eingeweiht. Im August folgte die Eröffnung des Dovecote Studios, das einen vorläufigen Endpunkt zwischen den bereits umgebauten Gebäuden und dem runden Dutzend weiterer Bauten, die langsam zerfallen, bildet. Vom Dovecote Studio, einem ehemaligen Taubenhaus, war noch weniger übrig: nur ein Stumpf aus Ziegeln, mit fehlenden Fenstern und von Pflanzen überwachsen. Die Architekten beließen diese Elemente im vorgefundenen Zustand und setzten eine komplette, vor Ort aus vorgefertigten Dach- und Wandelementen zusammengeschweißte Hülle aus Cortenstahl hinein. Mit ihrer hellroten Färbung wächst sie wie ein abstrahiertes Abbild des ursprünglichen viktorianischen Taubenhauses zwischen den bescheidenen Industriebauten aus ihrem Sockel und verweist damit auf das benachbarte Skulpturengelände am Rand des Rieds. Im Innern des Studios verkleiden helle Sperrholzplatten die gedämmte Stahlhülle. Die Nutzung ist flexibel: Zu den knapp 30 m² Fläche gehören Miniküche und WC sowie eine Galerie, die das 7 m hohe Volumen teilt. Zurückgezogenes Arbeiten ist hier für Komponisten, Autoren oder Musiker ebenso möglich wie temporäre Ausstellungen oder kleine Konzerte – und durch die große Tür zum Hof lässt sich der Raum nach außen erweitern. Ein großes Dachflächenfenster sorgt für gleichmäßiges Nordlicht, und ein Fenster über Eck öffnet den Blick hinaus über das Ried, über die Marschen und ganz weit nach draußen auf die Nordsee.

db, Mo., 2011.12.05



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11. April 2011Dagmar Ruhnau
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Kurhaus Badenweiler

»Heute ist Badenweiler auch für Architekten eine Reise wert«, urteilte die Bauwelt in ihrer Ausgabe 30/31 des Jahres 1972, als das neue Kurhaus in Badenweiler eben eröffnet worden war. 40 Jahre später ist der preisgekrönte Betonbau nahezu unverändert, seine Wirkung ungebrochen, doch die Welt, in der er sich behaupten muss, ist eine andere.

»Heute ist Badenweiler auch für Architekten eine Reise wert«, urteilte die Bauwelt in ihrer Ausgabe 30/31 des Jahres 1972, als das neue Kurhaus in Badenweiler eben eröffnet worden war. 40 Jahre später ist der preisgekrönte Betonbau nahezu unverändert, seine Wirkung ungebrochen, doch die Welt, in der er sich behaupten muss, ist eine andere.

Die klassische mehrwöchige Kur mit ihrem Bedarf an Unterhaltung gibt es heute in Badenweiler kaum noch, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt 3,5 Tage. Dafür kommen die Gäste das ganze Jahr: zum Wellnesstag in der benachbarten Therme, zum Wandern oder zur Tagung in besonders schöner Landschaft. Insbesondere der letzte Aspekt hat in dem Ort, der von Freiburg, Basel oder Straßburg schnell zu erreichen ist, deutlich zugenommen. Doch ist u. a. die technische Ausstattung des Kurhauses für diese Nutzungen nicht mehr zufriedenstellend. Das soll sich nun durch eine umfangreiche Sanierung ändern. Im 1. Bauabschnitt, der Mitte Februar begonnen wurde, stehen erst einmal Betonsanierung, energetische Ertüchtigung und Abdichtung der Flachdächer an. Im 2. Bauabschnitt, über dessen Finanzierung voraussichtlich Ende des Jahres entschieden wird, sind die organisatorischen und betrieblichen Veränderungen an der Reihe.

Flanieren und Ruhen in drei Dimensionen

In dem gediegenen Kurort ist die Entdeckung des Betonbaus in der Architektursprache der 60er Jahre noch heute eine Überraschung. Im Vorbeifahren ist er kaum zu sehen, weil die Ruine der Burg Baden auf einem Bergkegel (und dazu die eigenwillige Straßenführung) alle Aufmerksamkeit beansprucht. Wo der Berg in den Kurpark übergeht, sind hinter einigen Bäumen die Bänder der Betonbrüstungen des Kurhauses auszumachen, die weitläufige Terrassen auf drei Ebenen begrenzen. Tief unter den Terrassen liegt im Schatten die Fassade, bestehend aus raumhohen Holz-Glas-Elementen, die mäandernd Innen- und Außenräume definieren. Beim Näherkommen und beim Betreten des lichten dreigeschossigen Foyers beginnt man die Dimensionen des Gebäudes erst zu ahnen, ganz erschließen sie sich erst im Durchwandern: Über unzählige Treppen geht es (wie im Ort selbst auch) ständig auf und ab, jede Geschossdecke hat ihre eigene Form, hinter jeder Kurve erschließt sich unerwartet ein neuer Raum. Letztlich ist es möglich, vom Kurpark kommend durch das ganze Gebäude bis nach oben zu flanieren – womit der Aufstieg zur Burg schon halb geschafft wäre. »Wie ein Baumpilz« – so der Kommentar des Entwerfers Klaus Humpert, der damals Mitarbeiter des Stadtplanungsamts Freiburg war – saß das Gebäude schon in einem frühen Planungsstadium am Fuß des Bergs und »war [von dort] ... nicht mehr zu verdrängen.« Es entwickelte sich während der Planungszeit von sieben Jahren und unter den Händen vieler verschiedener Mitarbeiter zu einem organischen Gebilde. Wie damals erfüllt es auch heute noch den Anspruch, eine städtebauliche Klammer für die Kureinrichtungen, das Ortszentrum, den Kurpark sowie die historischen Bauten – Burg, römische Therme, Großherzogliches Palais, Grandhotel aus der Gründerzeit – zu schaffen. Die Grundrisse der drei Geschosse fächern sich untereinander auf, mit dem zylindrischen Theaterraum als Drehpunkt. Die größte Fläche umfasst das unterste, das sogenannte Wiesengeschoss. Hier befinden sich ein großes Foyer, in dem ursprünglich ein Trinkbrunnen stand, das Theaterparkett und ein großes Tanzcafé mit Zugang zur Konzertmuschel draußen. 1972 befand sich der Kurbetrieb auf seinem Höhepunkt; deshalb wurde der Konzertplatz so angelegt, dass nicht nur die unmittelbar dazugehörenden Sitzplätze, sondern auch sämtliche darüberliegende Terrassen den Zuhörern dienen konnten und können. So flexibel ist das Café leider nicht zu bespielen, und so werden gerade hier die (stilistisch schon in die 70er Jahre weisenden) geschwungenen Sitznischen mitsamt ihren Podesten entfernt und die mit Marmor ausgelegte Fläche in einen Bankettsaal für 160 Personen verwandelt – schwierig genug bei den recht eng stehenden Pilzstützen im 60°-Raster.

Einen großen Teil der jeweiligen Geschosse nimmt das offene Treppenhaus mit seinen Natursteinwandungen und Bodenbelägen aus Travertin ein. Durch einen unregelmäßigen verglasten Aufsatz ist bereits aus der untersten Ebene der dramatische Blick zur Burg freigegeben, der sich im Höherkommen stetig weitet. Im Promenadengeschoss, der weitläufigen Haupt-Eingangsebene, liegen der Zugang zum Logenbereich des Theaters und zum Restaurant. Letzteres wird samt seiner riesigen Küche zu einem Bistro verkleinert. Die frei werdenden Flächen bezieht die Touristeninformation, wodurch sie optisch im Ort endlich präsent sein wird.

Zurückgezogen sitzt das kleinste, das Musengeschoss auf den beiden Repräsentationsgeschossen. Es bietet einen offenen Bereich zum Zeitunglesen, einen Lese- und Fernsehraum mit umschlossener Terrasse sowie einen Vortragsraum. Teppiche und dicke sechseckige Polstersessel sorgen für eine intime Atmosphäre. Seit 1972 nahezu unverändert, wird hier die Sanierung auch nur den Vortragsraum umfassen. Er wird sich von einem reinen »Hörsaal« mit 12 cm hohen Stufen zu einem Seminarraum wandeln, mit einheitlicher Fußbodenhöhe für flexible Möblierung und zeitgemäßen technischen Installationen. Dafür erhält er eine Innendämmung, die zugleich akustisch wirksam ist.

Die Gestalt geht vor

»Das Kurhaus ist noch kein Baudenkmal, aber wir handeln es sehr hoch«, sagt Peter Kirch, Abteilungsleiter Hochbau der Besitzerin Vermögen und Bau Baden-Württemberg. Entsprechend behutsam geht man die Sanierung an. Die Konstruktion ist insgesamt in bemerkenswert gutem Zustand, deshalb ist die energetische Sanierung am wichtigsten. Ursprünglich fand im Winter kein Kurbetrieb statt, die Verglasung war somit nur Witterungsschutz für den Sommer. Hier werden nun dreifach verglaste Holz-Aluminium-Elemente mit einem Ug-Wert von 0,7 W/m²K und zweifach verglaste Oberlichter eingesetzt. Die Dächer und Terrassen werden abgedichtet und auf der Oberseite komplett neu gedämmt, ihr Belag aus sechseckigen Waschbetonplatten gegenwärtig gesäubert. Die charakteristischen Betonbrüstungen werden selbstverständlich nicht eingepackt, auch nicht gestrichen oder gar – wie auf einer Bürgerversammlung gefordert – verputzt, sondern rein mineralisch überarbeitet und repariert. Trotz solcher »Lecks« wird sich der Energiebedarf des Kurhauses von derzeit 175 kWh/m²a auf 113 kWh/m²a reduzieren, deutlich näher am aktuellen Durchschnittswert für Stadthallen von 93 kWh/m²a also. Klaus Humpert übrigens gab den Planern im Vorfeld der Sanierung freie Hand, den (schon damals mehr oder weniger zufällig entstandenen) Verlauf der Fassade nach Bedarf zu verändern, er sei da nicht ehrenkäsig. Doch, sagt Projektleiter Frank Tegeler, »wir sind ehrenkäsig.« Diese Bedachtheit aufs Original geht so weit, dass auch in der Innenausstattung einmal »aufgeräumt« werden soll. Mit der Zeit haben die Nutzer »den Bezug zur Gestalt verloren«, so beschreibt es Peter Kirch – das Ergebnis sind Lichterketten mit bunten Glühlampen im Außenbereich, während innen die Kugelstehleuchten von 1972, die die Terrassen- und Parkbeleuchtung reflektieren, fast komplett verschwunden sind. Die Reste sollen nun wieder aufgestockt werden, und auch für die sogar in den Augen der Behörde ausgedienten weil ineffizienten Downlights von damals wird es einen zeitgemäßen Ersatz geben.

db, Mo., 2011.04.11



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01. Dezember 2010Dagmar Ruhnau
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Ein Zuhause für eine Stadt

Unter großem Engagement aller Beteiligten vom Bauherrn bis zum Generalunternehmer entstand das neue Kultur- und Bürgerzentrum, das ganz selbstverständlich seinen Platz im Herzen von Goole einnimmt. Es überfordert die Einwohner nicht mit aufsehenerregenden Gesten. Dennoch ist es nicht stumm, im Gegenteil: Die Bürger fühlen sich von dem Bau angezogen und haben ihn in ihr tägliches Leben integriert.

Unter großem Engagement aller Beteiligten vom Bauherrn bis zum Generalunternehmer entstand das neue Kultur- und Bürgerzentrum, das ganz selbstverständlich seinen Platz im Herzen von Goole einnimmt. Es überfordert die Einwohner nicht mit aufsehenerregenden Gesten. Dennoch ist es nicht stumm, im Gegenteil: Die Bürger fühlen sich von dem Bau angezogen und haben ihn in ihr tägliches Leben integriert.

Goole ist ein Binnenhafen mit etwa 18 000 Einwohnern im Osten Yorkshires. Von einem wohlhabenden Umschlagplatz für Kohle entwickelte es sich zu einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Das im November 2009 eingeweihte Kultur- und Bürgerzentrum gibt der Stadt sowohl architektonisch und städtebaulich als auch sozial eine neue Mitte und hat dem kaum noch vorhandenen Bürgerstolz neues Leben eingehaucht. Ein multifunktionaler Veranstaltungssaal mit 170 Plätzen und auf höchstem technischen Niveau bietet das erste Kino seit einer Generation und eine Bühne für Theater, Rockkonzerte und Kindershows. Darüber hinaus werden Kurse zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie Theater- und Musikworkshops für alle Altersgruppen angeboten. Gleichzeitig ist das Gebäude neuer Sitz der Stadtverwaltung und damit zentrale Anlaufstelle für alle Bürger.

Obwohl die Initiative zu diesem Bürgerzentrum von der Stadt ausging – in Person des heutigen Leiters von Junction, Charlie Studdy –, dominiert in der Außenwirkung und vom Volumen her das Theater. In seiner Blütezeit hatte Goole zahlreiche Kinos und Theater, von denen das letzte 1980 schloss. Erst 1992 eröffnete wieder eine Bühne, die sich rasch überregional einen Namen machte, deren Räume in einer ehemaligen Kirche jedoch völlig unzulänglich waren. Der Arts Council England sagte 2004 Unterstützung in Höhe von 300 000 Pfund (etwa 375 000 Euro) zu, die Suche nach einem geeigneten Gebäude dauerte jedoch noch bis 2005, als eine Markthalle aus den 80er Jahren im Stadtzentrum frei wurde. Die Stadt wollte die wenigen verbliebenen qualitätvollen Standpächter in die benachbarte, ebenfalls nicht ausgelastete »Viktorianische Markthalle« umquartieren und außerdem ihre eigenen unzureichenden Räume in einem Reihenwohnhaus aufgeben. Damit entstand die Idee, Stadtverwaltung und Theater in einem Bau zu vereinen. Charlie Studdy schaffte es mit Hartnäckigkeit und Fantasie, die nötigen finanziellen Mittel aufzutreiben und die Bürger in den Entstehungsprozess einzubeziehen. Mit 3,2 Mio. Pfund betragen die Kosten von Junction das Dreifache des städtischen Haushalts, und so begab sich der Bauherr mit Marktstudien und Businessplänen auf die Suche nach Geldgebern.

Neben dem Arts Council gehören dazu die nächste Verwaltungsebene, das East Riding of Yorkshire, und die regionale Entwicklungsgesellschaft Yorkshire Forward. Einen Teil trug die Stadt durch den Verkauf von zwei Gebäuden selbst bei. Über eine kleine Anzeige in der Zeitschrift Building Design und nach einem Auswahlverfahren mit sechs Büros fand man die Architekten: das Büro Henley Halebrown Rorrison, dessen Gründer erst Mitte 40 sind und das bereits mehrfach vom RIBA ausgezeichnet wurde. Nachhaltigkeit ist mehr als Solarthermie

Die sogenannte »New Hall« steht an einer Fußgängerstraße, die von einem wenige Jahre alten Einkaufszentrum mit großem Parkplatz zur eigentlichen Fußgängerzone führt. Diese verlor durch die Mall zunehmend an Bedeutung, und das unattraktive Äußere der Markthalle trug auch nicht dazu bei, Kunden von dort wegzulocken: ein 2 m hoher Klinkersockel und eine fensterlose Wellblechverkleidung auf einer einfachen Stahlrahmenkonstruktion. Der Sponsor Yorkshire Forward knüpfte an seinen Beitrag von 1,7 Mio. Pfund die Bedingung, den neuen Bau nachhaltig und entsprechend dem britischen Energiestandard BREEAM (s. db 3/2008, S. 68) zu planen. Doch weder Solar- oder Windenergie noch Grauwassernutzung konnten genügend Energie liefern und ausreichend flexibel auf die unterschiedlichen Nutzungen reagieren.

Deshalb entschieden die Architekten, so viel Bausubstanz wie möglich zu erhalten und eine dicke Wärmedämmung zu ergänzen, um die geforderte Energiebilanz zu erreichen. Für Simon Henley umfasst Nachhaltigkeit allerdings noch mehr: »Die Erinnerung der Menschen an ein Gebäude aufzugreifen, ist auch eine Form der Nachhaltigkeit.« Deshalb lehnten sich die Architekten in der Außengestaltung an die vertraute Form und Farbgebung der bestehenden Halle an. Wie diese zeichnet der Baukörper das unregelmäßige Grundstück nach, doch wurden die zwei Tore im sich aufweitenden Teil durch einen großzügigen Freibereich und einen breiten Durchgang ersetzt, der von der Straße zum rückwärtigen Hof und zur Viktorianischen Markthalle führt. Ebenfalls vom Vorgänger übernommen ist die horizontale Teilung, die dreidimensional verstärkt wurde. Statt schwarz gestrichenem Wellblech verkleiden jetzt anthrazitfarbene Faserzementplatten das OG. Der erhöhte mittlere Gebäudeteil markiert den Übergang zum Freibereich und Durchgang. Gleichzeitig setzt hier das goldfarbene Vordach an, das parallel zum Gebäude einen weiteren neuen, über einige Stufen bzw. eine Rampe erreichbaren Vorbereich ausbildet. Unterhalb des Vordachs wurde die abweisende Klinkerverblendung durch eine helle Holzständerkonstruktion aus Fichte in Kombination mit Fichte-Sperrholzplatten, Glas und rot gestrichenen Stahltüren ersetzt.

Die vorhandene Stahlkonstruktion blieb bestehen, ebenso die Bodenplatte und sogar die Grundleitungen, die durch ihre Anschlüsse letztlich den Grundriss bestimmen. Dieser ist als »enfilade« organisiert: Vom Eingang geht es rechts durchs Café in den Workshop-Raum und von diesem wieder hinaus in den Durchgang, der die Fläche des Workshops gezielt erweitert. Links des Eingangs befindet sich der Empfang, erste Anlaufstelle sowohl für Theaterbesucher als auch für Bürger. Für letztere schließt sich direkt ein privates, durch eine Glastür aber einsehbares Sprechzimmer an.

Eine schmale Treppe führt zu den Büros der Stadtverwaltung und zum Sitzungszimmer, zum Projektor- und Regieraum. Trotz der diversen konstruktiven Zwänge entwickeln sich die Raumfolgen in allen drei Dimensionen bemerkenswert elegant und dabei pragmatisch, bisweilen sogar nonchalant. Doch ist diese Selbstverständlichkeit hart erarbeitet: Für den Umbau entwickelte das ohnehin sehr gründlich arbeitende Büro noch mehr Details als sonst. Die städtischen Räume wirken bis auf das Sitzungszimmer allerdings ein wenig wie auf Restflächen untergebracht; andererseits spiegelt diese betonte Zurückhaltung wider, dass hier die Nutzer und die Kultur im Vordergrund stehen und nicht die Repräsentation einer Stadt.

Geglückte Integration

Keine Schwellenangst entstehen zu lassen, ist ein erklärtes Ziel der Architekten – Gebäude sollen berührbar sein. Das ist auch gelungen: Passanten nutzen im Vorbeigehen den erhöhten Weg entlang der hölzernen Fassade und die Abkürzung von der Straße zur Markthalle, und ständig kommt jemand ins Café. Zu dieser »Volksnähe« tragen auch die Materialien bei: Fichtenholz, gestrichene Gipskartonwände, Linoleum. Repräsentativ ist das Gebäude dennoch. Die satten, kräftigen – dem viktorianischen Theater entlehnten – Farben strahlen Solidität aus, die dunkle Faserzement-Fassade Diskretion, und das goldfarbene Vordach aus poliertem Edelstahl (s. S. 59) verbindet Gediegenheit mit einem weiteren Verweis auf das Theater.

Dieses Vordach ist zentrales Element des Baus. Es bringt zusammen mit der hölzernen Fassade das Gebäude zum Leuchten. Gleichzeitig bildet es eine Übergangszone: Hier werden bei schönem Wetter Stühle und Tische aufgestellt, im Durchgang vermischen sich Workshop-Publikum und Passanten.

Der Innenausbau ist als Holzkonstruktion realisiert – nicht nur wegen der guten CO2-Bilanz von Holz, sondern auch, weil so keine neuen Fundamente nötig waren. Lediglich der Projektor für die Filmvorführungen bekam ein eigenes, erschütterungsfreies Betonpodest (das im EG als Schleuse in den Saal dient); und wegen der notwendigen Projektionshöhe wurde das Dach teilweise angehoben, wodurch der Platz für die Verwaltungsräume und das Sitzungszimmer entstand. Anspruchsvoll ist der Schallschutz, der den Theatersaal einerseits gegen den Lärm der nahe vorbeifahrenden Züge schützt und andererseits die Passanten auf der Straße gegen die Klänge von drinnen. Vor die Primärkonstruktion wurde eine Ständerwand mit 200 mm Mineralwolle und sehr dichten Gipsplatten gestellt; eine zweite Schale, ebenfalls mit Gipsplatten verkleidet, sitzt innen zwischen den alten Stützen. Wesentlich sind die schallentkoppelten Doppeltüren, die nur durch Schienen miteinander verbunden sind und 60 dB Schalldämpfung bieten. Nebeneffekt der dicken Dämmung: Der geforderte Wärmeschutz wird gleich mit erfüllt, und im vergangenen Winter musste nicht ein Mal geheizt werden.

db, Mi., 2010.12.01



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09. Dezember 2009Dagmar Ruhnau
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Wissens-Werft

In einem geglückten Zusammenspiel von Hochschule, Kultusministerium und Reederei wurde im niedersächsischen Elsfleth ein neuartiges Zentrum quasi aus dem Boden gestampft, um die Aus- und Weiterbildung des maritimen Nachwuchses sicherzustellen. Darüber hinaus wird hier zu Zukunftsfragen der Seefahrt geforscht, die sich durch Klimawandel, Rohstoffknappheit und Umweltschutz stellen. Für diesen dynamischen Ort entwickelte eins der beteiligten Architektbüros nahezu »aus dem Handgelenk« einen tragfähigen Rahmenplan, der dafür sorgt, dass die ersten drei Bauten nun schon wahrnehmbar einen Campus bilden.

In einem geglückten Zusammenspiel von Hochschule, Kultusministerium und Reederei wurde im niedersächsischen Elsfleth ein neuartiges Zentrum quasi aus dem Boden gestampft, um die Aus- und Weiterbildung des maritimen Nachwuchses sicherzustellen. Darüber hinaus wird hier zu Zukunftsfragen der Seefahrt geforscht, die sich durch Klimawandel, Rohstoffknappheit und Umweltschutz stellen. Für diesen dynamischen Ort entwickelte eins der beteiligten Architektbüros nahezu »aus dem Handgelenk« einen tragfähigen Rahmenplan, der dafür sorgt, dass die ersten drei Bauten nun schon wahrnehmbar einen Campus bilden.

Während Binnenlandbewohner wie wir Redakteure Elsfleth erst im Atlas suchen müssen, bevor wir es westlich der Weser zwischen Bremen und Bremerhaven lokalisieren können, ist der 9 000-Einwohner-Ort für Seeleute eine feste Größe. Seit 1832 werden dort Schiffsjungen, -kapitäne und -ingenieure ausgebildet. Die renommierte Navigationsschule wandelte sich über die Jahre zum Fachbereich Seefahrt der FH Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth (FH OOW), der hier vier Standorte hat. Während es früher zahlreiche Reedereien, Werften und einen großen Hafen gab, sind heute noch ein Schiffbauunternehmen und einige Reedereien übrig – und eben die Ausbildungsstätten für Seeleute. Seit Herbst 2007 wächst am Ende des Ortes, auf dem Gelände einer ehemaligen Schnapsbrennerei, der Maritime Campus. Der Seeverkehr gilt trotz Finanzkrise als Zukunftsmarkt, der bis 2008 sogar regelrecht boomte. Nach Änderungen im Steuerrecht fahren wieder mehr Schiffe unter deutscher Flagge, aber viele deutsche Kapitäne gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand, und die Dominanz rein filipinischer Besatzungen auf Containerschiffen ist keineswegs nur ein Klischee. Darüber hinaus wachsen die Anforderungen an die Abwicklung der Transporte enorm. In Elsfleth ist es nun möglich, an einem Ort vom Hauptschüler bis zum Doktoranden alle Ausbildungsgrade angemessen aus- und weiterzubilden und zu vernetzen. Bis jetzt sind vier Bauten entstanden: eine studentische Wohnanlage, eine Berufsschule, ein Bau für die FH Oldenburg und ein Forschungszentrum. Nördlich und südlich sind noch Baufelder frei, aber das Ensemble funktioniert bereits jetzt als Einheit: durch seine Lage auf einer Landspitze, die nah beieinander stehenden Bauten und die alltäglichen Verbindungen untereinander.

Am Anfang: Handgestrickte Unterlagen

Anfang 2005 entschied die niedersächsische Landesregierung in Hannover, den Hochschulstandort Leer, an dem man ebenfalls Nautik studieren kann, auszubauen und dafür ihr Engagement in Elsfleth herunterzufahren. »Heilung eines Kranken auf Kosten eines Gesunden« nannte dies in einem Brief an das niedersächsische Kultusministerium der geschäftsführende Gesellschafter der erfolgreichen Reederei Beluga Shipping und Absolvent der FH in Elsfleth, auf dessen Initiative die Entstehung des Maritimen Campus größtenteils zurückzuführen ist. Gemeinsam mit dem Dekan des Fachbereichs Seefahrt entwickelte er die Grundidee für den Campus als Public-Private-Partnership und kümmerte sich um Unterstützung von Unternehmen, Banken und wissenschaftlichen Institutionen. Ab Oktober 2005 begannen regelmäßige Beratungen über die konkrete Ausgestaltung unter anderem mit dem Kultusministerium, der Stadt und dem Oldenburger Architekten Alexis Angelis. Dessen Büro hatte bereits mehrere Bauten für das Land realisiert. Nun steuerte er den Entwurf für einen Rahmenplan zur Diskussion bei, der die Prinzipien des später per Wettbewerb ermittelten Masterplans vorwegnahm: eine zentrale Erschließung, die das Grundstück in drei Bereiche teilt, einen großen zentralen Platz und Durchlässigkeit, um allen Baukörpern die Orientierung zum Wasser zu ermöglichen. »So konnten wir unsere Vorstellung qualitätvoller Architektur einbauen«, äußert sich Angelis zufrieden zu diesem eher ungewöhnlichen, dabei aber effektiven – und in diesem Fall sehr gelungenen – Ablauf. Seine Ideen für den Rahmenplan konnte Angelis später beim Entwurf für den FH-Bau vertiefen .

Studentisches Wohnen

Den Anfang der Bebauung bildete die studentische Wohnanlage zusammen mit der Berufsschule. Sie wurde von HS-Architekten aus Hamburg geplant – die auch mit dem Maritimen Forschungszentrum beauftragt wurden – und befindet sich außerhalb des eigentlichen Campus. Gegenwärtig umfasst der Fachbereich 700 Studenten, das Studentenwerk bietet aber nur 32 Wohnplätze an. Viele Studenten wohnen in Privatzimmern oder kommen täglich von außerhalb. Die 86 Wohnheimplätze teilen sich in 1-, 2– und 4-Zimmer-Wohnungen auf, die in drei dreigeschossigen Baukörpern untergebracht sind. Sie bilden ein Ensemble, das Privatheit und Offenheit zugleich entstehen lässt, und sind so positioniert, dass jedes Zimmer viel Tageslicht bekommt. Ein kleiner Platz und ein hölzernes Aussichtspodest öffnen das Ensemble zum Liene-Kanal. Gegenwärtig geht der Platz in eine baumbestandene Rasenfläche über, auf der ein vierter Baukörper vorgesehen ist.

Berufsschule

Das Schiffsmechanikerzentrum bietet Platz für 100 Berufsschüler, die hier ihren dreimonatigen Blockunterricht absolvieren, außerdem können sich im Beruf stehende Schiffsmechaniker hier weiterbilden. Nach einer öffentlichen Ausschreibung erhielt das Lübecker Büro petersen pörksen partner, das auch den Masterplan entwickelte, den Auftrag für den Neubau.

Das EG der Berufsschule besteht aus klinkerverkleidetem Stahlbeton und beinhaltet im einen Trakt die Unterrichtsräume für die theoretischen Fächer, im anderen die Werkstätten. Es bildet ein U um einen nach Westen offenen Innenhof. Die Erschließung für einen dritten Trakt ist bereits angelegt. Über dem flachen, soliden Rumpf liegen containerartig zwei Geschosse mit insgesamt 40 Internatszimmern für jeweils zwei Schüler. Die rote Aluminiumverkleidung auf einer Holzrahmenkonstruktion, von einer horizontalen Weißaluminiumblende unterbrochen, unterstreicht das Bild des Containers. Diese dreigeschossige Kante bildet einen städtebaulichen Rücken für die zentrale Straße.

Durchlässigkeit bietet das introvertierte Gebäude durch den komplett auf beiden Seiten verglasten Speisesaal. Auch im Ausbau unterscheiden sich Schule und Internat deutlich voneinander: Während im EG Stein, Metall, Fliesen und Klinker dominieren – mit einzelnen Farbtupfern –, ist der Wohnbereich bunt und freundlich mit farbigem Linoleum und Putz sowie Einrichtungsgegenständen aus Multiplex-Platten ausgestattet. Der ehemalige Geschäftsführer der Berufsschule, der den Bau begleitet hat, stellt zufrieden fest, dass sein schönes neues Gebäude hohen Zulauf verzeichnet. Momentan sind 96 Schüler vor Ort – und einige davon mussten in die studentische Wohnanlage gegenüber einziehen.

Forschen

Das Maritime Forschungszentrum entstand als Public-Private-Partnership zwischen Beluga Shipping (51 %) und der FH OOW (49 %). Mittlerweile haben sich dort verschiedene Firmen und Institutionen, u. a. das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, eingemietet.

Ziel ist es, Forschungen und Entwicklungen voranzutreiben, die die Schifffahrt im 21. Jahrhundert benötigt, z. B. neuartig geformte Schiffe, Oberflächen mit weniger Wasserwiderstand oder IT-Entwicklungen für genauere Vorhersagen über die beste Fahrtroute. In diese Kooperationen sollen auch die FH-Studenten ab ihrem Vordiplom mit einbezogen werden. HS-Architekten planten das Gebäude als »Mini-Campus«. In die gläserne Spange als wettergeschützte Straße sind fünf Einzelbauten eingestellt: ein anderthalbgeschossiger, metallverkleideter »Briefing Room«, zwei verputzte Kuben – Vortrags- bzw. Ausstellungsraum und Mehrzweckbau – sowie zwei liegende Quader mit den Büroräumen der Kooperationspartner. Aus dem Materialkanon des Bebauungsplans, der ausdrücklich regionaltypische Materialien wie Stein bzw. Klinker, Glas und Metall festschrieb, wählten die Architekten als prägendes Material Glas, gefolgt von hellem Aluminium, was die optische Abwechslung auf dem kleinen Campus dankenswerterweise erhöht. Der Raum, der durch die Kuben und die Glashülle gebildet wird, wirkt sehr tief, aber dennoch transparent und einladend. Die nach Süden zurückgestaffelte Ostfassade ermöglicht viel Sonneneinfall und einen guten Blick aus der Cafeteria auf die Hunte, horizontale Siebdruckstreifen dienen als Sonnenschutz. »Ein ausgeklügeltes Energiekonzept gibt es nicht«, meint Projektleiter Axel Helberg. Wie bescheiden: Immerhin gibt es eine Luftwärmepumpe, in der Halle wurde ein Klimaboden eingebaut, der die Temperatur um 3-4 °C absenkt, die Oberlichter sorgen für Wärmeabzug, und in den Büros gibt es eine Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung.

Wie bewertet der Architekt die Arbeit für ein Public-Private-Partnership? »Unkompliziert. Wir konnten auch mal zwei Varianten parallel verfolgen. Besonders angenehm war es, dass der Bauherr nicht die absolute Minimallösung wollte, sondern großzügige, repräsentative Räume für seine Mieter.«

Körper und Geist

Wie man für einen Bauherrn mit fixen und durchaus auch einschränkenden Vorgaben ein ebenfalls attraktives Gebäude entwickelt, zeigen die Oldenburger Architekten Angelis + Partner. Das Büro plante den Mensa- und Bibliotheksbau der FH. Bei der Bibliothek stellten die Architekten die städtebauliche Funktion des Baus an den Anfang der Überlegungen zur Grundrissgestaltung. Als »das öffentliche Gebäude«, das später einmal den (von arbos Landschaftsarchitekten geplanten) Campus-Platz beleben soll, öffnet es sich mit den großen Glasflächen von Mensa, Bibliothek und Vorlesungsräumen nach Süden. Und es funktioniert jetzt schon: Hier sammeln sich die Studenten, die Nordseite nutzen sie nur zum Erreichen ihrer geparkten Autos. Dennoch wurde diese »Rückseite« bei der Entwicklung der Kubaturen sorgfältig mit berücksichtigt, so dass der Bau wirkt wie gleichmäßig aus einem Block herausgeschnitzt. Damit setzt er, obwohl er wie die dicht daneben stehende Berufsschule dunkel verklinkert ist, dieser etwas völlig anderes entgegen.

Das kopfartige Volumen am Ende des Baus weist zum Wasserlauf der Hunte hin, was die großen Fenster unterstreichen. Diese versorgen die beiden Innenräume – Mensa und Bibliothek – auch an grauen Tagen mit viel Licht und bieten einen weiten Blick auf den Fluss. Insgesamt wirken die Innenräume durch klare Zonierung, gut dimensionierte Raumgrößen und gezielt gesetzte leuchtende Farben sehr großzügig und licht – abgesehen vom Flur im Verwaltungsbereich im 1. OG. Schmal und dunkel bildet er einen auffälligen Kontrast, was den Einschränkungen durch Budget und Vorgaben des Bauherrn geschuldet ist. Besonders kreativ gingen die Architekten mit diesen Beschränkungen bei der Entwicklung der Bibliothek und der Fassade um. Die Raumhöhe der Bibliothek war ursprünglich auf 3 m begrenzt, doch durch Bildung eines »rechnerischen Durchschnitts« beträgt die Höhe in dem Bereich, der unter dem Technikraum liegt (außen als hellgraues Volumen kaum wahrnehmbar), nun 2,60 m, dafür konnten sie entlang der Fenster auf 4 m angehoben werden. Gern hätten die Architekten die Fassade der Verwaltungsräume mehr geöffnet, doch auch dem standen staatliche Vorgaben entgegen. So entwickelten sie eine doppelt lesbare Fassade: einmal als massive Lochfassade mit tief eingeschnittenen Fensteröffnungen und einmal als durchgehendes Fensterband, in dem die farbigen vorgeblendeten Glasscheiben die Fensteröffnungen optisch fortsetzen. Diese verhindern auch, dass der dunkle Bau gar zu spröde wirkt. »Hinterleuchtet sind sie nicht«, sagt die Bibliothekarin, »aber irgendwie leuchten sie im Dunkeln trotzdem.«

Gute Aussichten

Knapp fünf Jahre nach dem ersten Gedanken an ein maritimes Bildungsnetzwerk ist durch Beharrlichkeit und viel spontanes und informelles Engagement aller Beteiligten in verhältnismäßig kurzer Zeit ein lebendiger Campus entstanden. Er bündelt zahlreiche Funktionen und bildet mit seiner relativ dichten Struktur einen gelungenen Schlusspunkt am Ende des mit vereinzelten Großbauten besetzten Hunteufers. Die unterschiedlich gestalteten Einzelgebäude reflektieren in ihrer Vielfalt die Haltung des jeweiligen Bauherrn: zweckmäßig bzw. bunt die Berufsschule mit dem aufgesetzten Internat, schlicht und dabei liebevoll detailliert die Bibliothek, spielerisch und gleichzeitig repräsentativ das Forschungszentrum. Am 16. November war Elsfleth »Ort des Tages« der Bundesinitiative »Land der Ideen«. Und auch wenn 2009 die deutschen Schiffbauer einen Auftragsrückgang von 90 % hinnehmen mussten, zeigen sich die Nutzer des Campus überzeugt, dass er in den nächsten fünf Jahren vollständig sein wird.

db, Mi., 2009.12.09



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02. April 2007Dagmar Ruhnau
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Starthilfe

Unterstützung auf dem Weg ins Ausland

Unterstützung auf dem Weg ins Ausland

Nur einen Auftrag im Ausland zu akquirieren oder eine Stelle bei einem ausländischen Büro zu finden, ist nicht die einzige Hürde, die abenteuerlustige und auswanderwillige Architektinnen und Architekten nehmen müssen. Auch Kultur, Akquisepraxis, Sozialversicherung oder Kinderbetreuung im Wunschland sind wichtige Details, die zu klären sind, bevor man sich – womöglich mit der ganzen Familie – auf den Weg macht. Mittlerweile haben sich Institutionen wie Architektenkammern oder Ingenieurverbände auf den Wandertrieb einheimischer Planer eingestellt und bieten breit gefächerte Hilfestellungen, die wir hier, gegliedert nach selbstständigen und angestellten Planern, zusammengestellt haben. Jede Institution setzt dabei den Schwerpunkt ihrer Information unterschiedlich. Was jedoch allen gemein ist: Sie beschwören die große Nachfrage nach den hoch qualifizierten deutschen Planern im Ausland, sei es nun Dänemark oder Dubai.

Selbstständige

Beruf
Informationen für die Auftragsakquise geben unter anderem die Bundesarchitektenkammer (BAK), der Verband Beratender Ingenieure (VBI) und die Bundesingenieurkammer (BIK). Sie betreiben gemeinsam mehrere Websites, auf denen sich Planer dem internationalen, darunter speziell dem arabischen und chinesischen Markt präsentieren können. Daneben bieten sie eine Website mit internationalen Ausschreibungen an.
Generell sieht der VBI für die Akquise vier Strategien: Neben der Teilnahme an Wettbewerben sei es am wenigsten aufwändig, für einen deutschen Bauherrn, etwa für ein Unternehmen, eine Niederlassung im Ausland zu planen und zu bauen. Bei dieser Variante kommt der Planer als Partner des Investors ins Land und muss sich nicht selbst um Aufenthalts- und Tätigkeitsgenehmigung bemühen. Ähnlich unkompliziert ist es als Ausführender so genannter drittmittelfinanzierter Projekte, etwa von internationalen Institutionen wie Weltbank oder UN. Informationen über solche Ausschreibungen bietet die Bundesarchitektenkammer über ihr Netzwerk Architekturexport NAX.
Ganz wichtig sind die Kontakte vor Ort. Häufig können deutsche Architekten erst dann tätig werden, wenn sie einen Partner oder einen so genannten Agenten aus dem jeweiligen Land vorweisen können. Damit soll in erster Linie Kommunikationsproblemen mit Behörden, anderen Planern oder auf der Baustelle vorgebeugt werden. Unterstützung bei der Partnersuche bieten Architektenkammer und VBI durch Delegationsreisen, bei denen deutsche Kammerangehörige und solche aus dem Wunschland sich gegenseitig kennen lernen können. Die Voraussetzungen für die Zulassung als Planer lassen sich ebenfalls über die NAX-Seite in Erfahrung bringen.

Sozialversicherung
Generell gilt für die Sozialversicherung das so genannte Beschäftigungslandprinzip: Versicherungen sind – ebenso wie Steuern – in dem Land zu zahlen, in dem die Tätigkeit ausgeführt wird. Ist man gleichzeitig in Deutschland und in einem weiteren Staat tätig, ist der Wohnort maßgeblich. Um vorübergehende Aufenthalte bis etwa fünf Jahre in versicherungstechnischer Hinsicht zu vereinfachen, gibt es zahlreiche Ausnahmen. Zwischen allen Ländern im Europäischen Wirtschaftsraum und vielen weiteren Staaten existieren Sozialversicherungsabkommen, so dass die Versicherten nicht in mehreren Ländern Prämien zahlen müssen. Welche Staaten mit Deutschland ein solches Abkommen getroffen haben, ist auf der Website der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) zu erfahren.
Bei Aufenthalten unter zwölf Monaten kann man sich von der Versicherungspflicht im Ausland befreien lassen. Anträge hierzu bearbeitet die deutsche Krankenkasse, eine Verlängerung um weitere zwölf Monate ist möglich. Für Selbstständige nennt sich der Vorgang »Selbstentsendung«. Wer zwischen zwölf Monaten und mehreren Jahren (die Frist ist von Land zu Land unterschiedlich) außerhalb Deutschlands arbeitet, kann sich von der Sozialversicherung des Wunschlandes in einem etwas komplizierten Verfahren befreien lassen. Anträge dazu sind bei der DVKA zu stellen. Bei einem noch längeren Aufenthalt muss man sich von der deutschen Sozialversicherung verabschieden.
Auch bei der Rentenberechnung arbeiten die am Sozialversicherungsabkommen beteiligten Länder zusammen. In diese Struktur sind die Versorgungswerke seit dem 1.1.2005 einbezogen. Der Antrag wird im Land gestellt, in dem man sich befindet, und die Versicherer rechnen alle erworbenen Ansprüche nach Landesrecht aus, inklusive der Einzahlungen im jeweils anderen Land. Wer sich in einem außereuropäischen Land bei der dortigen Rentenversicherung anmelden will, kann sich die Beiträge vom deutschen Versorgungswerk wieder auszahlen lassen, allerdings bekommt man nach aktueller Rechtslage und entsprechend der Satzung des jeweiligen Versorgungswerks maximal 60 Prozent der Einlagen für höchstens 60 Beitragsmonate zurück.

Angestellte

Beruf
Hier bieten sich ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten, den Traumjob zu finden. Die klassische Variante ist natürlich, sich direkt bei Büros im Wunschland zu bewerben. Große Tageszeitungen sind mit ihrem Anzeigenteil im Internet vertreten. Darüber hinaus gibt es Jobbörsen auf einigen Internetseiten, etwa des NAX oder der Deutschen Handwerkervermittlung. Die Stellensuchseite der Bundesagentur für Arbeit ist wie immer keine große Hilfe. Dafür erweist sich der so genannte Europaservice der Arbeitsagentur als wahre Goldgrube. Er übernimmt zwar keine Stellenvermittlung, bietet aber von Hinweisen zu arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen, Informationen zu den Arbeitsmärkten der EU und Bewerbungstipps, die landesspezifische Eigenheiten und Anforderungen an Bewerbungen berücksichtigen, über einen Zeugnis-Übersetzungsservice bis hin zu einem Sprachtest-Link alles, was für einen erfolgreichen Start nötig ist.

Sozialversicherung
Auch für angestellte Architekten, die für einen befristeten Zeitraum im Ausland tätig sind, gelten in der Sozialversicherung die für Selbstständige genannten Fristen. Bis 24 Monate können aus Deutschland Angestellte »entsandt« werden und hier versichert bleiben. Bei längeren Auslandsaufenthalten greifen die Prozeduren für die Ausnahmevereinbarung bis etwa fünf Jahre. Wer sich auf eigene Faust im Wunschland auf Stellensuche begibt, bleibt über eine Auslandsversicherung weiter versichert – wie auf Urlaubsreisen. Sobald man angestellt ist, wird man durch den Arbeitgeber bei der Sozialversicherung des jeweiligen Landes angemeldet. Erworbene Rentenansprüche werden beim Rentenantrag mit bereits vorhandenen zusammengerechnet, sofern Sozialversicherungsabkommen existieren. Die Deutsche Rentenversicherung Bund veranstaltet in regelmäßigen (großen) Abständen Beratungstage.

Allgemeines
Ein oft unterschätzter Faktor beim Arbeiten im Ausland sind die kulturellen Unterschiede. Ganz offensichtlich ist das in Asien oder arabischen Ländern, aber schon in Belgien oder Polen kann man schnell ins Fettnäpfchen treten, wenn man die Gepflogenheiten beim Umgang mit Behörden oder potenziellen Auftraggebern nicht kennt. Dagegen möchte das NAX mit Erfahrungsberichten und eigenen Dossiers zur länderspezifischen Mentalität angehen. Da dafür die Unterstützung von Architekten mit Erfahrungen in den jeweiligen Ländern notwendig ist, wächst gerade dieser Bereich leider nur langsam. Für Informationen aus erster Hand sind auf der NAX-Seite so genannte Kontaktarchitekten aufgeführt.
Allgemeine Informationen über Themen wie Auswandern, Einreise- und Aufenthaltsbedingungen, Bildung, Gesundheit und so weiter bietet das Auswärtige Amt gebündelt auf seiner Seite. Einen Sprachtest für europäische Sprachen findet sich auf der Website »Fit for Europe«.

db, Mo., 2007.04.02



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