Editorial

Warum erschien es uns wichtig, ein Heft über Hochhäuser zu machen? Man könnte doch sagen, Hochhäuser seien übereinandergestapelte Masse, auf sich selbst bezogene Symbole für Macht und Einfluss, und daher zu dem Schluss kommen, dass es wohl eher unergiebig sei, sich mit diesem Bautypus näher auseinander zu setzen. Man könnte aber auch sagen: Beim Thema Hochhaus geht es eigentlich um das Thema Verdichtung und somit um Flächenverbrauch, Zersiedelung, Energieeffizienz und Ökonomie, genau um die Themen also, die uns verstärkt beschäftigen. Unter gewissen Umständen kann es demnach durchaus sinnvoll sein, in die Höhe zu bauen, was im Umkehrschluss allerdings noch nicht heißt, dass ein Hochhaus tatsächlich immer die beste Form der Nachverdichtung ist. Diese sowie Fragen nach der Fassadentechnik und -konstruktion, der Belüftung und der Besonnung und Verschattung diskutieren wir anhand von fünf Wohn- bzw. Geschäftshochhäusern aus vier europäischen Ländern. Eine wichtige Rolle spielt dabei natürlich auch, wie das jeweilige Gebäude aus städtebaulicher Sicht zu bewerten ist. Schließlich sind Hochhäuser weithin sichtbare Landmarken – und das nicht erst wenn sie, wie das Gebäude in Eindhoven für das Festival »Glow« vom Berliner Büro Mader Stublic Wiermann, mit einer Medienfassade versehen sind (s. Abb.) –, die die Silhouette einer Stadt im positiven wie im negativen Sinne prägen bzw. in einen Landschaftsraum eingreifen können. | uk

Vielfalt unter einem Label

(SUBTITLE) Verlagsgebäude in München

Noch heute blicken manche Mitarbeiter des Süddeutschen Verlags wehmütig aus dem neuen Verlagsturm am östlichen Stadtrand auf die Münchner Innenstadt. Natürlich ist das städtebauliche Umfeld heute nicht annähernd so reizvoll wie vor dem Umzug aus der Sendlinger Straße. Dafür arbeiten die Redakteure des Konzerns nun in einem konsequent durchdachten Gebäude – einem Lebensraum, der auch hinsichtlich seiner Ökobilanz Maßstäbe setzt.

In der ersten Zeit nach Gründung der Süddeutschen Zeitung (SZ) im Oktober 1945 arbeiteten die Redakteure noch im Heizungskeller des Verlagsgebäudes, während in den Nachbarräumen Bleizeilen gegossen, zu Seiten zusammengepuzzelt und zu Papier gebracht wurden. In nur wenigen Jahren etablierte sich das Münchner Blatt zu einer der wichtigsten Tageszeitungen Deutschlands und der aus ihr hervorgegangene Süddeutsche Verlag (SV) expandierte auf dem Markt ebenso schnell wie auf dem Areal in der Nähe des Marienplatzes. Die Grenzen des baulichen Wachstums an diesem inzwischen zu einem veritablen Labyrinth aus Alt- und Neubauten mutierten Standort waren spätestens Mitte der 80er Jahre erreicht, als die Druckerei – im Zuge der Umstellung auf die digitale Zeitungsproduktion – in ein neues Druckzentrum an den östlichen Stadtrand verlagert wurde. Mit vorausschauendem Weitblick hielt der Verlag schon damals zusätzliche Grundstücksflächen vor, um Redaktion und Produktion eines Tages wieder zusammenführen zu können.

Auferstanden aus der Asche

Dass diese Option mit dem nun Ende 2008 bezogenen Verlagshochhaus erst gut 20 Jahre später realisiert wurde, lag zunächst sicherlich daran, dass sich die SZ (als unbestrittenes Flaggschiff des SV) bis zum Schluss gegen einen Umzug in die Peripherie sträubte, weil sie sich in unmittelbarer Nähe zu ihren Lesern und zur Münchner Altstadt fest verankert sah. Auf der anderen Seite standen freilich die Verlagseigentümer, die eine anstehende Sanierung der Altbausubstanz als zu langwierig und betriebswirtschaftlich unsinnig betrachteten und 2001 schließlich einen Wettbewerb für ein neues Verlagsgebäude auslobten. Zielvorgabe war ein Hochhaus für die SZ und sämtliche SV-Tochterunternehmen, welches das »wirtschaftliche und kulturelle Profil des Verlags mit zeitgemäßer Architektur« widerspiegeln sollte. Kaum hatte der 145 m hohe Hochhausentwurf des Berliner Büros GKK+Architekten jedoch die Überarbeitungsphase siegreich verlassen, bahnte sich eine groteske öffentliche Hochhausdebatte an, die Ende 2004 in einem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen alle Münchner Neubauten mündete, die die 99-Meter-Marke der Zwiebelturmspitzen der Frauenkirche überragen. Einen Weg zurück gab es nicht mehr: Das Innenstadtareal war ein halbes Jahr zuvor an einen Investor verkauft worden, der dort ein neues Quartier für Einkaufen, Arbeiten, Wohnen und Freizeit errichten will. Zwischen Bürgerentscheid und Umzug blieben noch knapp vier Jahre Zeit – so lange durfte der SV das alte Areal als Mieter weiternutzen.

Dass die Bauherren angesichts dieses Scherbenhaufens nicht in Panik gerieten, ist maßgeblich den Architekten zu verdanken. Sie hatten die Zeit der planerischen Ungewissheit auch ohne Planungsauftrag genutzt, um den ursprünglichen Entwurf zu adaptieren und auszuarbeiten. Rückblickend hat sich die verlängerte Entwurfsphase durchaus gelohnt. Zum einen ist es durch eine kompaktere Bauweise gelungen, die oberirdische BGF unter Beibehaltung des Flächenprogramms um ca. 10 000 m² auf heute rund 51 000 m² zu reduzieren. Zum anderen haben Hochhaus wie auch angegliederter Flachbau an architektonischer und städtebaulicher Schärfe gewonnen. Beispielsweise durch eine einfache orthogonale Grundstruktur aus Flachbau, Hochhaus und dazwischen liegender Eingangshalle. Oder die wesentlich präzisere Verknüpfung der nunmehr im 25-Meter-Raster mäandrierenden Gesamtfigur mit dem benachbarten, vielfach preisgekrönten SZ-Druckzentrum der Architekten von Seidlein, Winkler und Effinger. Davon abgesehen fungiert auch das um 45 m gekappte und verschlankte Hochhaus in Stahlbetonskelettbauweise als exzellente Landmarke, die nicht nur dem Süddeutschen Verlag, sondern dem ganzen Areal zwischen Brachflächen, Bahngleisen, Autobahn, Kleintierzüchtervereinen und blutleeren Gewerbebauten erstmals ein ansehnliches Gesicht gibt – gleichsam als Initialzündung der geplanten Stadtentwicklungsachse zwischen Innenstadt und Messe.

Aus einem Guss

Beim Gang über den leicht erhöht liegenden und durch den Freibereich der Cafeteria belebten Vorplatz beginnt sich der noch aus der Ferne gewon- nene erste Eindruck eines nüchtern rationalistischen Hochhauses mit gestapelten Geschossen und Ganzglasfassade zu relativieren. Zwar besteht die Außenhülle aus einer Vielzahl identischer, 7 x 5,40 m großer Alu-Fassadenelemente, wie die Seiten einer Pyramide sind die vier jeweils in ihnen zusammengefassten Glasfelder aber gegeneinander versetzt, so dass eine weitläufige Wellenbewegung entsteht – ein lustvolles Spiel aus Reflexionen, welches sich je nach Blickwinkel, Tageszeit oder Wetter immer wieder anders präsentiert. »Jeder kann etwas anderes darin entdecken – wie in der Zeitung«, erläutert Architekt Oliver Kühn und verweist auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten und vielfältigen Meinungen, die die SZ als Autorenzeitung ausmachen. Als Referenzobjekt diente die Zeitung auch, als es um die Definition des Farbkonzepts ging. So wurden die außen wie innen sämtliche Oberflächen bestimmenden Nichtfarben Graphit, Silber und Weiß unmittelbar abgeleitet von Druckerschwärze, Druckmaschinen und Papier. Resultat ist ein neutraler, bisweilen vielleicht etwas unterkühlter Hintergrund für den aber ohnehin eher bunten Arbeitsalltag der Redakteure. Ein regelrechtes Farbfeuerwerk dagegen liefern die vom Künstler Tobias Rehberger als Hort der Kreativität gestaltete Cafeteria und Kantine im EG bzw. 1. OG des Flachbaus. Hier finden sich neben der auf den Vorplatz ausstrahlenden Leuchtwand aus bunten Acrylglasscheiben auch versetzt hängende Leuchten, unregelmäßig gefügte Deckenverkleidungen, neonfarbene Graffiti und aus unterschiedlichen Hölzern zusammengesetzte Fußböden. Diese überaus gelungene Art, bei den Mitarbeitern für Abwechslung vom Arbeitsplatz zu sorgen, interpretieren die Architekten als weiteres Zeichen für die Vielfalt der nun unter einem Dach sitzenden Verlagszweige.

Egal, ob Metaphern wie diese wahrgenommen werden oder nicht. Sie sind stets Bestandteil einer funktionalen Logik und ohne verwässernde Ausnahmen umgesetzt – die wogenden Fassadenfelder etwa finden sich in Form von geneigten Fluchttüren oder Anlieferungstoren bzw. als Stahlroste auch auf dem Dach des Flachbaus wieder. Außerdem zeugt diese Bildersprache von einer konzeptionellen Stringenz, die ein Bauwerk wie aus einem Guss entstehen lässt, bei dem es kein Detail zu geben scheint, für das es nicht irgendeinen nachvollziehbaren Grund gibt.

Nachhaltige Gebäudeautomation

Die Architekten verstehen die Gebäudehülle durchaus als sinnlich anregendes Ornament. Gleichzeitig ist sie aber auch integraler Baustein eines überaus energieeffizienten Gebäudes. Die Doppelfassade mit äußerer Festverglasung und inneren Öffnungsflügeln fungiert dabei als Wärmepuffer, aus dem durch einfaches Fensteröffnen – zur Unterstützung der energieintensiven mechanischen Belüftung – vortemperierte Außenluft entnommen werden kann. Besonders gut funktioniert diese »Hybridlüftung« in den Übergangsjahreszeiten, wo die Temperaturschwankungen zwischen kalt und heiß am größten sind. Die Grundkonditionierung des ganzen Gebäudes hinsichtlich Wärme und Kälte erfolgt über bauteilaktivierte Betondecken, in denen Wasser zirkuliert, das zuvor an den Bohrpfählen jahreszeitenabhängig entweder gekühlt oder erwärmt wurde.

Im Zusammenhang mit den in dieser Branche üblicherweise sehr unregelmäßigen Arbeitszeiten spielt die individuelle und dezentrale Steuerung des Raumklimas jedes einzelnen Büros eine wichtige Rolle – anstelle von offenen Bürolandschaften wurden auf Wunsch der Redakteure überwiegend intimere Standard-Einzelbüros realisiert. Jeder Nutzer verfügt über einen Transponder, eine Art digitalen Schlüssel, mit dem sich neben der Zutrittskontrolle zur Tiefgarage oder dem Büro auch die Raumtemperatur, Beleuchtung oder Belüftung voreinstellen und verändern lässt. Darüber hinaus wird die Beleuchtung je nach Tageslichtsituation automatisch gedimmt, während Präsenzmelder unnütze Raumkonditionierungen verhindern.

Eine Folge dieser computergesteuerten und energiesparenden Automatisierungen sind Jalousien, die sich im Sinne eines optimalen Wärmehaushaltes scheinbar willkürlich auf und ab bewegen. Oder intelligente Aufzüge, die die Warte- bzw. Fahrtzeiten jedes einzelnen Fahrgasts optimal verkürzen und damit Zeit und Strom sparen helfen – Voraussetzung hierfür ist die Vorauswahl des Zielstockwerks bereits am Einsteigeort und die Zuweisung eines bestimmten Aufzugs, der sich in der Kabine dann nicht mehr steuern lässt. Was wahlweise ein Gefühl der Entmündigung oder Belustigung hervorruft, soll zusammen mit vielen anderen Einzelmaßnahmen allerdings zu Energieeinsparungen von bis zu 80 % führen. Klarheit über die Gesamtökobilanz des SV-Hochhauses wird die in Kürze abgeschlossene LEED-Zertifizierung schaffen. Die Architekten erwarten eine Auszeichnung in Gold, möglicherweise sogar in Platin. Egal, wie das Ergebnis ausfällt: Die Zeiten, in denen man sich noch in den Heizungskeller setzen musste, um es warm zu haben, sind jedenfalls vorbei.

db, Di., 2009.11.03

03. November 2009 Roland Pawlitschko

Tannenzapfen im Siedlungsbrei

(SUBTITLE) Apartmenthochhaus in Katschberg

Die alpine Wintersportregion nahe der Tauernautobahn soll nach den Vorstellungen von Touristikern zur Ganzjahresdestination ausgebaut werden. Die Immobiliengruppe Falkensteiner Michaeler ging dazu mit der Erweiterung einer bestehenden Hotelanlage durch zwei 14– bzw. 10-geschossige »Beinahe-Hochhäuser« in Vorleistung und vermarktet diese vollmundig als Tor zwischen den Bundesländern Salzburg und Kärnten und als neues Wahrzeichen des Katschbergs. Neben ästhetischen wirft dieses Vorgehen aber grundsätzliche Fragen zum angemessenen Umgang mit dem Tourismus und den verbleibenden Ressourcen auf.

Gehören die beiden Apartmenttürme, die Matteo Thun an exponierter Stelle auf die Passhöhe des Katschbergs gesetzt hat, dort, wo sie nun hoch über Almwiesen und Baumwipfel herausragen, wirklich hin?

Wer sich die Mühe macht, über eine skeptische Erstreaktion hinaus über die Berechtigung der beiden Türme an diesem Ort und die Intentionen des Architekten nachzudenken, wird erkennen, dass die Motive für das Streben in die Höhe im urbanen, dicht verbauten Raum dieselben sind wie in alpiner Naturlandschaft: Es gilt, flächensparend und landschaftsverträglich zu bauen. Wer die Schönheit und Unberührtheit einer Landschaft als touristisches Kapital einsetzt, muss sich überlegen, wie diese Ressource erhalten und möglichst schonend genutzt werden kann.

Matteo Thun hatte den Bauherrn ursprünglich einen einzelnen, viel höheren Turm vorgeschlagen, den die Kärntner Baubehörde ablehnte – zu ungewöhnlich und gewagt erschien der Bautypus hierzulande (anders als in Davos, wo Herzog & de Meurons Entwurf eines weithin sichtbaren Hochhauses als Erweiterung eines Traditionsbetriebs angenommen wurde). Die nun am Katschberg realisierte Lösung, eine Teilung der Baumasse in zwei Volumina, wurde in Absprache mit den Behörden erarbeitet, die hier bemerkenswerterweise Bauqualität vor Konvention setzten.

Der ausgedehnte Turmsockel schafft auf dem nach Süden abfallenden Gelände am Ortsrand eine begrünte, gleichwohl als künstlich angelegt erkennbare Verbindungsebene zwischen Hotel und Apartments und beherbergt abschließbare Stellplätze, die zugleich Stauraum für Sportgeräte bieten.

Die Grundrisse der beiden zylindrischen Bauten sind identisch – mit einem minimal bemessenen, dennoch konstruktiv wirksamen Kern nach Norden hin mit Eingang, Aufzügen und Treppenhaus und je Geschoss zwei oder drei Apartments, die talwärts ausgerichtet sind. Gründungspfähle in bis zu 30 m Tiefe des felsigen Untergrunds, Stahlbeton im tragenden Kern und Stahlbetondecken mit aussteifenden Fassadenscheiben erlaubten, den Innenausbau in Gipskarton auszuführen. Dadurch lässt sich bei Bedarf die gesamte Geschossfläche zu einer großen, luxuriösen Einheit zusammen- legen. Augenscheinlich sind bei weitem noch nicht alle der insgesamt 64 Wohnungen verkauft.

Jedem OG ist ein durchlaufender Balkon vorgesetzt, der auch als Fluchtweg dient. Die Balkone, die nur durch einfache Abschottungen voneinander getrennt sind, durften aus Brandschutzgründen nicht mit dem obligaten Belag aus Holz ausgestattet werden. Thun hat das Holz dennoch eingebracht: als Abguss einer rauen Holzschalung im Beton der Balkonplatte. Die Fassade hat an derartigen gestalterischen »Aperçus« nichts zu bieten. Sie ist als konventionelle zweischalige Außenhaut mit Vollwärmeschutz ausgeführt. Der Putz in einem bräunlich-fahlen Farbton wirkt trist und verfehlt jedenfalls an Tagen mit bedecktem Himmel die gewünschte Wirkung distinguierter Zurückhaltung. Zur Nobilitierung der Apartments, deren Kosten immerhin im obersten Preissegment angesiedelt sind, tragen auch die einfachen verzinkten Geländer nichts bei. Immerhin sind sie beinahe unsichtbar, weil sie hinter der äußersten Hüllebene der Türme, einer rhombenförmigen, leicht gebauchten Gitterstruktur aus Lärchenkanthölzern, zurücktreten.

Dieses »Hüllgewebe« – inzwischen schon zum Markenzeichen des südtiroler Architekten geworden – verwendet Matteo Thun einerseits, um die Horizontalbetonung der Geschossebenen zurückzudrängen und die Türme monolithisch erscheinen zu lassen, andererseits vermittelt die Struktur zwischen der harten Oberfläche der Fassaden und dem sie umgebenden »weichen« Landschaftsraum – der Almwiese und dem Nadelgehölz. An den beiden Türmen ist dies sinnfällig geglückt. Erst die Hülle macht sie zu den kompakten Körpern, die schon jetzt Signets der Katschberghöhe geworden sind. Der niederländische Großanbieter von Ferienwohnungen Landal betreibt am Katschberg ein ganzes Feriendorf aus »Retorten-Chalets«, die einen vermeintlich landestypischen Stil bemühen. Die 82 Wohnungen, mit denen ein ganzer Hang am Dorfrand verbaut wurde, verbrauchen mehr Land, haben einen höheren Anteil an Erschließung und Infrastruktur und eine geringere Energieeffizienz als die beiden kompakten Apartmenttürme. Nachhaltige haustechnische Alternativen sind allerdings auch hier dem Rechenstift zum Opfer gefallen – man heizt mit der bestehenden Hackschnitzelanlage und hat weder eine Solaranlage für Warmwasser noch die von Thun vorgeschlagenen Windräder auf dem Dach realisiert.

Alpines Bauen – eine Frage der architektonischen Qualität?

Ob die beiden, schon von weitem sichtbaren Türme weniger landschaftsverträglich sind als vergleichbar große liegende Baukörper? Wer traut sich zu, solche Fragen anders als mit seiner subjektiven Überzeugung zu beantworten? Die wesentliche Frage ist, ob ein weiterer Ausbau der Alpen, ob Resorts überhaupt die Rettung schwächelnder touristischer Alpenregionen sein können.

Touristiker sagen, das Schlimmste sei, wenn in den mit Strukturproblemen kämpfenden Ferienorten gar nichts passiert. Und so werden Investoren von Ferienresorts nicht nur am Katschberg herbeigesehnt, streben doch alle im Dreiländereck Salzburg, Steiermark und Kärnten gelegenen Tourismusgebiete für ihre Bergbahnen, Liftanlagen, Gasthäuser und Beherbergungsbetriebe eine höhere, übers Jahr verteilte Auslastung an.

Die Turmapartments, deren Besitzer Dienstleistungen des angeschlossenen Hotels in Anspruch nehmen können, werden unter der Bezeichnung »Residences edel:weiss« als luxuriöser Ferienwohnsitz und Kapitalanlage vermarket. Einem »Buy to use and let«-Konzept, wie es Investoren von Ferienanlagen heute in der Schweiz auferlegt wird, um sogenannte kalte Betten und überwiegend dunkle Fensterlöcher zu vermeiden, unterliegen sie nicht, so dass positive Effekte für die lokale Beschäftigung und die regionale Wirtschaft verschwindend gering sein werden. Zweitwohnungen, die nicht vermietet werden, bringen schließlich nur den Verkäufern von Grundstücken und Apartments Gewinne.

Auch die Türme am Katschberg provozieren daher nicht in erster Linie Fragen zur Baukultur, sondern zu grundlegenden Problemstellungen der alpinen touristischen Entwicklung. Begegnet man ihnen mit offenem Blick, so lässt sich feststellen, dass sie die Landschaft weniger stören oder zerstören als andere, in Größe und Bettenanzahl vergleichbare touristische Projekte.

db, Di., 2009.11.03

03. November 2009 Karin Tschavgova



verknüpfte Bauwerke
Edelweiss Residences Katschberg

Stoischer Stapel

(SUBTITLE) Verwaltungs- und Geschäftsgebäude »Torre Burgo« in Porto

Hochhäuser sind starke Zeichen. Lange bevor Konstruktion und Details entwickelt werden, haben Marketing und Machtpolitik heutzutage ein Image, ein Bild parat, das ein Gebäude kommunizieren soll. Nicht so in diesem Fall: Der Architekt dieses Turms verweigerte sich den Bildern. Sein Minimalismus wirkt, gemessen an aktuellen Highrise-Kreationen, spröde, als Großform fast plump. Bei der Gestaltung der Fassade spielt er dagegen ein delikates tektonisches Spiel, das als Sonnenschutz sinnvoll ist, konstruktiv aber keineswegs ehrlich.

»Sie ist falsch«, sagt der Architekt, auf die viel bewunderte Fassade angesprochen. »Sie ist interessant, aber falsch. »Ich glaube immer noch (ich bin ein Dinosaurier), dass es eine enge Beziehung zwischen Material, Sprache und Gebäudesystem gibt. Diese Beziehung kann verändert werden, versteckt oder umgekehrt, aber sie ist ein Ausgangspunkt. Ohne sie gilt: Anything goes …«

Als Eduardo Souto de Moura Ende der 80er Jahre von einer portugiesischen Großbank den Auftrag für das Hochhaus an der Avenida de Boavista in seiner Heimatstadt erhielt, hatte er bis dahin fast nur Einfamilienhäuser geplant. Sein Respekt vor der neuen Bauaufgabe war entsprechend groß: »Ich wich zurück vor dem ›Skyscraper‹ wie der Stierkämpfer vor dem Bullen. Als ich ihn schließlich bei den Hörnern gepackt hatte, war von den ›Fachleuten‹ bereits alles Wesentliche entschieden: Die Feuerwehrleute hatten die Höhe festgelegt (70 m), die englischen Berater den Stützenabstand (drei Autos), die Ingenieure die Dimension der Träger.« Ein zentraler Kern mit zwei Treppen und vier Liften musste sein, und bei 24 m Seitenlänge endete die maximale Belastbarkeit des Fundaments. »Was übrig blieb, war die Architektur der Außenhaut. Die Besitzer zierten sich, schlugen ein ›prêt-à-porter‹ vor: »Kein Holz oder Stahl (der Architekt, damals gerade Gastprofessor in der Schweiz, hatte als abstraktes Bild einen Stapel Holzpaletten ins Spiel gebracht, später, als Mies-Fan, rostigen Corten-Stahl vorgeschlagen), vorgefertigter Beton ist vulgär. Granit, ja. Wir sind schließlich in Porto, der Stadt aus Granit!« Also schlug Souto de Moura eine tragende, 8 cm dicke Granitfassade vor. Antwort der Ingenieure: »Das Tragwerk steht nicht zur Diskussion, das Gebäude stürzt sonst ein. Das Ingenieurwesen ist im Gegensatz zur Architektur eine Wissenschaft. Lassen Sie uns arbeiten.« So viel zu den bitteren Erfahrungen des Architekten im Hochhaus-Business, die er mit Ironie verarbeitet hat. Das Projekt wurde in den 90er Jahren als Corporate Headquarter ad acta gelegt, erlebte dann aber 2003 mit einem spanischen Investor einen Neuanfang. Dieser erwog für das genehmigte Volumen verschiedene Nutzungen, darunter auch Apartments, entschied sich dann aber für vermietbare Büroflächen mit Ladennutzungen im EG des flachen Riegels, der die Turm-Plattform flankiert.

Learning from Mies

Als Bewunderer des Mies'schen Minimalismus nimmt Souto de Moura mit seinem Ensemble explizit Bezug auf dessen Federal Center in Chicago von 1959-74: Der Hochhausquader ist von der Straße zurückgesetzt und bildet mit einem niedrigen zweiten Quader einen Platz. In Porto ist alles etwas kleiner, der Turm nur halb so hoch wie jener in Chicago, doch das Prinzip der eigenständigen Setzung eines Orts wirkt auch hier: Vom disparaten Umfeld, halb Brache, halb zerbröckelnde Straßenrandbebauung, gewinnt der Torre Burgo durch die erhöhte Plaza eine hehre Distanz. Selbst das Kunstobjekt paraphrasiert Mies: Was in Chicago Alexander Calders Flamingo, ist in Porto Angelo de Sousas Stahlobjekt – ein farbig-frei geformter Kontrast zum monochrom-orthogonalen Umfeld. Allerdings verzichtet Souto de Moura auf die Gliederung des Turms. Kein Sockel, kein oberer Abschluss zieren den »Palettenstapel«, angeblich hat der Architekt die Fassadengliederung aus einem Schrank-Entwurf übernommen …

Palettenstapel, Kartenhaus, Sonnenschutz – die »falsche« Fassade

Wer sich dem Torre Burgo entlang der Avenida de Boavista von Westen oder Osten nähert – die häufigste Wahrnehmung des Gebäudes auf dem Weg von der Stadt zum Meer oder umgekehrt –, der nimmt ein fast geschlossenes, maßstabsloses hellgraues Volumen wahr, eine Kiste. »Noch so eine Bausünde der 60er, wie es sie in der Umgebung einige gibt«, ist man schon geneigt zu denken. Erst auf der Höhe der Plaza, wenn die Brache bzw. das Drive-in-Restaurant passiert sind, werden Feinstruktur und Sinn der Fassade deutlicher: Die Schlitzfassade aus dünnen Steinplatten, getrennt durch »Abstandhalter« aus Aluminium, schützt vor der tiefstehenden Sonne am Morgen und Abend. An der Nordfront zur Plaza sowie auf der Südseite zum Douro-Ufer geben sich die Abstandhalter scheinbar als lagernde Querträger zu erkennen, welche als brise-soleil die Glasvorhangfassade vor der hoch stehenden Mittagssonne schützen. Beides ist hochwirksam für die Innenräume, als konstruktives Bild jedoch falsch: Weder sind die metallenen Abstandhalter Stirnseiten durchlaufender Träger in einem Stapel aus Stäben, noch sind die die Glasfassade flankierenden Granitscheiben die Stirnseiten solider Steinplatten; selbst die Alu-Querträger der Glasfassaden wären ab der vierten Etage statisch nicht notwendig. Der ganze Turm ist als Ortbetonskelett im 3 x 3 x 3 m-Raster errichtet. Die Hülle ist ein plastisch reizvolles, aber tektonisch falsches Spiel. Daraus macht der Architekt auch keinen Hehl: So verschraubt er die keine zwei Zentimeter dünnen Granitplatten sichtbar, klappt ein ganzes Feld der Steinhaut auf, um den Eingang ins Gebäude freizulegen – hier gibt sich der Schwindel klar zu erkennen. Ganz ähnlich verfährt Souto de Moura beim liegenden Quader nebenan. Der soll als Ausschnitt eines räumlichen Bandes wirken. Folgerichtig sind seine Stirnseiten einfach mitten in der Konstruktion abgeschnitten. Das darf man wohl Manierismus nennen.

Zweierlei Anonymität

Gefragt, was er angehende Architekten heute lehren würde, antwortet Souto de Moura, ganz Vertreter der »Schule von Porto«: Zeichnen, Konstruieren und Geschichte. Er plädiert für eine »anonyme« Architektur, die nicht ihren Schöpfer in Szene setzt, sondern zu einem Teil des Gemeinwesens wird. Beim Torre Burgo ist dies schwierig. Die Anonymität ist eher die eines neutralen »spec office building«, das eigenen Regeln folgt, die der Architekt nicht zu bestimmen hat. Die offene Plaza wirkt unbelebt, ohne ausreichenden Schutz, wenn auch der helle Siebzehngeschosser sie keineswegs erdrückt. Fallwinde, hochhaustypische Zugerscheinungen, sind zumindest sommers nicht das Problem. Die Gebäude wirken wie Möbel darauf abgestellt, es fehlen die Übergangsräume zwischen drinnen und draußen – und die Passanten. Denn betreten wird das Anwesen in der Regel von der zweistöckigen Tiefgarage im Sockel – der teure rote Gummiboden spricht hier für sich. Auch weil es im Torre keine öffentlichen Nutzungen gibt (wie etwa eine Dachterrasse, die spektakuläre Blicke bis zum Atlantik bieten könnte, aber mit Klimageräten vollgestellt ist), liegt die Plaza meist verwaist da. Die Aufwertung des Straßenraumes der Avenida, einst eine Prachtstraße nach Pariser Vorbild, kommt nicht in Gang, die geplante Metro-Linie ist nicht in Sicht.

Noch ist unklar, was auf den Brachflächen westlich und nördlich des Torre entstehen wird. Glaubt man seinem Betreiber, markiert der Torre Burgo das Herz des neuen »Central Business District«. Die Finanzkrise hat indes auch Portugal hart getroffen, und so steht der Torre Burgo, vor bald zwei Jahren eröffnet, zu drei Vierteln leer. Gut möglich, dass daran auch die zu wenig repräsentative Gestaltung Mitschuld trägt, der »ehrliche« Eingang etwa, der ungeübten Augen auch wie eine Dauerbaustelle erscheinen mag. Ironie kam in der Geschäftswelt noch nie gut an, Blendwerk dagegen schon.

Leerstand trotz praktischer Grundrisse

Rein praktisch sind beide Gebäude gut nutzbar. Die siebzehn Etagen des Turms lassen sich vielfältig unterteilen. Zielgruppe sind Finanzdienstleister, Anwaltskanzleien und dergleichen. Kehrseite der Flexibilität ist die Erschließung über den finsteren innenliegenden Kern, der – möglicherweise von Rem Koolhaas' nahegelegener Casa da Música angeregt – ganz in Edelstahl gekleidet wurde. In die Büros fällt ausreichend Tageslicht, um ohne oder mit nur wenig zusätzlichem Kunstlicht auszukommen. Der Betreiber garantiert den Nutzern eine Raumtemperatur zwischen 19 und 23 °C, was ihm dank der Fassadengliederung auch mit vergleichsweise wenig Klimatisierung gelingt. Auch hier in Südeuropa reagiert man inzwischen sensibler auf gestiegene Unterhaltskosten und rechnet die Verbräuche nicht mehr pauschal pro Fläche, sondern individuell ab. Direktes Sonnenlicht fällt kaum in die Büros, innenliegende Rollos regulieren den Lichteinfall. Einige Fenster lassen sich ausklappen.

So effizient und nutzerfreundlich könnte das Hochhaus eine Zukunft haben. Traurig nur, dass gleichzeitig wenige Kilometer weiter die großartige Altstadt dem Zerfall überlassen wird. Hat da wieder jemand Hochhaus mit Fortschritt gleichgesetzt und falsche Prioritäten gesetzt? Schon das direkte Umfeld des Torre zeugt von einer wenig weitsichtigen Stadtplanung.

»Kleine Länder produzieren immer kleine Architektur«, sinniert Eduardo Souto de Moura noch. »Und als wir groß waren (waren wir das jemals?), wurden ›große Werke‹ an ausländische Architekten vergeben.« Auch unter diesem Aspekt ist der Torre Burgo ein formal bemerkenswert eigenständiger Beitrag des EU-Nachzüglers Portugal zum Thema Hochhaus, selbst wenn er die Grenzen einer »angemessenen Gestaltung« dieser Bauform abermals aufzeigt.

db, Di., 2009.11.03

03. November 2009 Christoph Gunßer

Gedrungener Kristall

(SUBTITLE) Wohn- und Bürogebäude in Basel

Der »St. Jakob-Turm«, eine Art neues Stadttor für Basel, ist nur eines der vielen Steinchen, aus denen sich die »Begegnungsstätte St. Jakob« zusammensetzt – einem eigentümlichen Konglomerat aus Stadion, Altenheim, Veranstaltungshalle, Einkaufszentrum und Autohaus an der Schmalseite eines Sportareals. Doch der Hochhaus-Kristall ist mit Abstand der außergewöhnlichste dieser Steine: ein in Anlehnung an die Urhüttenform gestalteter Turm, der sein Äußeres je nach Blickrichtung den Gegebenheiten des Ortes »anpasst«.

Als 2001 in Basel das von Herzog & de Meuron errichtete Stadion St. Jakob-Park eröffnet wurde, war längst nicht sicher, ob sich die ungewöhnliche Kombination von Sportarena, Shopping Center und Seniorenresidenz bewähren würde. Denn das Areal befindet sich städtebaulich in einer problematischen Situation. Im Norden grenzt es an Eisenbahntrasse und Autobahn, im Süden an die vielbefahrene St. Jakob-Straße; im Osten definiert das Flüsschen Birs die Grenze zwischen den Halbkantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Sportanlagen und Gewerbeflächen prägen die nähere Umgebung. Tatsächlich aber ist der St. Jakob-Park zum Erfolgsprojekt avanciert. Nicht nur für den FC Basel, der im neuen Stadion einige Triumphe feiern konnte und in der Stadt Kultstatus besitzt. Auch das Einkaufszentrum boomt, und für das Altenwohnheim besteht eine lange Warteliste. Die Strategie, eine städtische Randlage in einen dezidiert urbanen Ort umzuwandeln, hat sich als richtig erwiesen. Die Nachteile der Lage werden durch die Vorteile guter verkehrstechnischer Anbindung und der Nähe zu Grünflächen wie dem Botanischen Garten kompensiert; auch der kanalisierte Lauf der Birs wurde inzwischen renaturiert und fungiert als Naherholungsgebiet.

2004 begann die Planung für eine weitere Verdichtung des St. Jakob-Parks. Ausgangspunkt war der Streifen zwischen der Ostseite des Stadions und der die Birs flankierenden, exakt nord-südlich verlaufenden Birsstraße – ein Gelände, das bislang lediglich von einem Autohaus genutzt wurde. Zur Entwicklung und Bebauung des Gebiets fanden drei Partner zusammen: die Kestenholz AG als bisheriger Eigentümer des Grundstücks, die Miteigentümergesellschaft des Stadions und – als Hauptinvestor – der von der UBS aufgelegte Immobilienfonds »Sima«. Zu realisieren war ein komplexes Programm, nämlich der Neubau des Autohauses samt Werkstatt und Präsentationsflächen, die unterirdische Erweiterung des Einkaufszentrums sowie Erschließungs- und Eventflächen für das Stadion. Vor allem aber ein Hochhaus, das auf dem nördlichen Teil des zur Verfügung stehenden Areals entstehen sollte.

Zuschnitt nach Schattenwurf

Form, Proportion und Höhe dieses Bauwerks waren Gegenstand langwieriger Untersuchungen. Da an dieser Stelle keine Höhenbeschränkungen bestehen, entwickelten Herzog & de Meuron Konzepte für Höhen von bis zu 160 m. Auf Wunsch des Investors beschränkte man sich indes am Ende auf 71 m. Dies hat zur Folge, dass sich der St. Jakob-Turm trotz seiner markanten, kristallinen Gestalt in das Gefüge von Hochhäusern der 60er- und 70er Jahre einschreibt, die sich als ein Ring von Fixpunkten rings um das traditionsreiche Zentrum der Stadt aufspannen: der Turm der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich am Bahnhof SBB, das nahe gelegene Bürohaus Lonza der Architekturfirma Suter & Suter oder – entworfen vom selben Büro – das heutige Novartis-Hochhaus am Unteren Rheinweg. Dank der Lage direkt an den Verkehrsmagistralen, welche Basel mit Zürich und der übrigen Schweiz verbinden, kommt dem St. Jakob-Turm überdies die Funktion eines zeitgenössischen Stadttors zu.

Die Form des Turms, die ihm je nach Perspektive eine andere Gestalt verleiht, erklärt sich aus dem Interesse an polygonalen Baustrukturen, das Herzog & de Meuron zur Zeit der Planung hegten und dessen prominentestes Beispiel Prada Aoyama in Tokio darstellt. Darüber hinaus ist die Form aber auch das Resultat von Optimierungen der Nutzflächen – und von Auflagen, die sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft zum Stadion ergaben. Zum einen sollte der Schattenwurf des Turms zu keiner Zeit Teile des Spielfelds tangieren, zum anderen durfte laut Uefa-Richtlinien von keinem Standort aus das Spielfeld als Ganzes einsehbar sein. Wo auch immer man im Hochhaus steht: Der Strafraum der Muttenzer Seite lässt sich nicht überblicken.

Die polygonale Form lässt das Gebäude mal nadelartig, mal eher gedrungen erscheinen; außerdem wechselt es seine Erscheinung mit dem sich verändernden Licht, wirkt also mal gleißend und hell, dann wieder stumpf. Tritt man nahe an den Turm heran, so gerät der zurückfliehende obere Teil aus dem Gesichtsfeld – der Turm wirkt niedriger als er eigentlich ist. Etwas mehr Höhe hätte ihm sicherlich gut getan und seine Selbstständigkeit gegenüber dem Stadion verstärkt. Ein konsequentes Zusammenspiel von Innen und Außen, wie es Prada Aoyama aufweist, ließ sich hier nicht erzielen.

Der Turm umfasst 22 Geschosse – davon zwei Untergeschosse –, die teils Büro-, teils Wohnnutzungen aufweisen. Die Aufteilung erfolgte indes nicht durch einen horizontalen, sondern durch einen vertikalen Schnitt. Die Nähe zur Autobahn und zur Eisenbahntrasse, auf der auch Gefahrgütertransporte verkehren, erlaubte keine Öffnungen zur Nordseite. Daher beanspruchen in den Obergeschossen 5 bis 13 frei einteilbare Bürozonen diesen Teil des Gebäudes, während sich die Wohnungen Richtung Süden orientieren. Nur die Geschosse in der Spitze bleiben rein dem Wohnen vorbehalten.

Die großzügigen und gut geschnittenen Wohnungen variieren zwischen zweieinhalb und sechs Zimmern und sind sämtlich mit Loggien oder Freisitzen versehen. Abgestimmt auf das avisierte Mietersegment ist der Ausbaustandard hoch: versiegeltes Eichenparkett, Chromstahl-Küche, Glasmosaik in hellblau und weiß in den Bädern. Beeindruckend sind die großzügigen, sich aus einem fließenden Raumkontinuum aufbauenden Maisonettewohnungen in den Geschossen 16 und 17, die dank kreuzweiser Verschränkung Ausblicke in sämtliche Richtungen zulassen und somit ein fantastisches Panorama über das zwischen Jura und Schwarzwald sich erstreckende, das Rheinknie umfassende Siedlungsgebiet von Basel bieten.

Separate Eingänge (von der Birsstraße sowie vom Podium aus) und separate Liftanlagen erlauben es, Büro- und Wohnbereiche zu erschließen, ohne deren Publikumsverkehr zu vermischen. Sozusagen als Haus im Haus funktioniert ein autonomer Bereich im Südteil der unteren Geschosse. Ursprünglich als Klinik oder kleines Hotel geplant, wird dieser heute vom FC Basel genutzt.

Von der Spitze aus sich verbreiternd, zieht sich der Turm zum Sockel hin wieder zusammen; die Kräfte werden über Stützen hinter der Fassade zum Kern hin gebündelt und abgetragen. Ein spezieller Aufbau wurde für die Geschossdecken gewählt: Über der unteren Schicht mit der Armierung befindet sich eine zweite, in welche zwecks Gewichtsreduktion kugelförmige Lufteinschlüsse (Cobiax-Hohlkörpersystem) integriert sind. Eine Hülle aus 1 360 in Aluminiumrahmen eingefassten Glaselementen bildet die äußere Fassade des Gebäudes, das wie ein geschliffener Kristall erscheinen will. In den der Sonne ausgesetzten Bereichen sind die Scheiben mit einer Sonnen-/Wärmeschutzbeschichtung versehen, die Decken der Loggien fungieren als Schattenspender. Bei den Wohnungsfassaden kamen geschosshohe Holzfenster zum Einsatz. Unterflurkonvektoren dienen zur Heizung der Räume. Die Energie wird vom Fernwärmenetz Industrielle Werke Basel bezogen, außerdem gibt es eine Wärmerückgewinnungsanlage der Haustechnikinstallationen.

Der Turm wächst aus einem Sockel heraus, der zweierlei Funktionen übernimmt. Zum einen ist er das Dach für die Erweiterung des Shopping Centers im UG. Zum anderen dient er als östlicher Vorplatz für das Stadion – vor und nach dem Spiel kann er als Event- und Partylocation verwendet werden. Große Freitreppen verbinden die Platzfläche mit der St. Jakob- und der Birsstraße. Die Ecke zwischen beiden Straßen schließlich besetzt der Neubau des Autohauses. Das Gebäude entwickelt sich aus einer dreiteiligen, um eine zentrale Stütze gewickelten Rampe und knüpft mit der Faltung seiner Dachlandschaft an den Sockelbereich des bestehenden Stadions an. An der Schnittstelle befinden sich ein Fanshop für den FC Basel – und auch endlich ein attraktiver Abgang in die Unterwelt des um die Hälfte der bestehenden Fläche erweiterten Shopping Centers.

db, Di., 2009.11.03

03. November 2009 Hubertus Adam



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