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20. August 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Wo die Jungen daheim sind

Kann gute Architektur soziale Wirksamkeit entfalten? Das Jugendzentrum Echo im Norden von Graz macht deutlich, mit welchen gestaltenden Ideen und welchem Anspruch an Qualität dies möglich wird.

Kann gute Architektur soziale Wirksamkeit entfalten? Das Jugendzentrum Echo im Norden von Graz macht deutlich, mit welchen gestaltenden Ideen und welchem Anspruch an Qualität dies möglich wird.

Architekturkritik scheint aus der Mode gekommen zu sein. Man könnte konstatieren, dass an ihre Stelle die Architekturberichterstattung getreten ist, selbst in einschlägigen Fachmedien, die ihre Beiträge an eine geschulte Leserschaft richten und im Gegensatz zu den Tageszeitungen kaum die Aufgabe der Architekturvermittlung wahrnehmen müssten. Information über das aktuelle Geschehen in Architektur und Stadtentwicklung – ja. Doch könnte oder sollte es nicht genauer und differenzierter, wie durch ein Brennglas, betrachtet werden, um als konstruktive Kritik im Sinne der aus dem Griechischen kommenden Wortbedeutung von Wert sein zu können?

Ich sage es gleich: Mein Ehrgeiz ist nicht, Neuigkeiten mitzuteilen, auch wenn ich mich eher dem Feld der Architekturvermittlung verpflichtet fühle. „Wohlwollende Architekturkritik“ war sie für Walter Zschokke, den viel zu früh verstorbenen Kollegen, der mich vor mehr als 20 Jahren ins Schreiben über Architektur für das „Spectrum“ eingeführt hat. Mein Ansinnen ist, eine Art des Betrachtens zu üben, die eingehender ist, die länger andauert und den Blick auch einmal von der Seite oder aus dem „Off“ auf den Gegenstand der Betrachtung wirft.

Drei Jahre sind vergangen, seit das Jugendzentrum Echo in Graz eröffnet wurde. In der Stadt gibt es ein Dutzend Einrichtungen für offene Jugendarbeit, die ein Beitrag zu gesellschaftlicher Teilhabe und Integration sein soll. Zwei davon wurden in den vergangenen Jahren neu errichtet – durch inhaltliche und budgetäre Vorgaben sorgfältig vorbereitet durch die Abteilung GBG – Grazer Gebäude- und Baumanagement, die dafür einen geladenen Architekturwettbewerb ausgeschrieben hatte. Ihr obliegen alle Bauvorhaben der Stadt Graz.

Bei meinem Erstbesuch traf man viele Fachleute, die jeden Winkel inspizierten, doch kaum Jugendliche. Gut kommuniziert wird, wofür das neue Jugendzentrum als niederschwellige Einrichtung für die Freizeit stehen sollte: als Ort der Begleitung in Selbstständigkeit und Mündigkeit, als Ort für den Erwerb von Bildungsinhalten, die für alltägliche Handlungs- und Sozialkompetenzen wichtig sind. Zur Unterstützung und Anregung, um das eigene Entdecken von Ressourcen und Potenzialen zu fördern. Letztlich steht es auch für ein zweites Zuhause, besonders für bildungs- und sozial benachteiligte Jugendliche, die beengten Wohnverhältnissen entfliehen können.

Ich wollte wiederkommen und das Haus, das mich bei der ersten Begegnung neugierig gemacht hatte, in Betrieb erleben. Ich wollte sehen, ob mein fachliches Sensorium, meine Interpretation von Städtebau und Architektur – von Struktur und Raumangebot, Nutzungsqualität und Atmosphäre – in eine Übereinstimmung gebracht werden kann mit den postulierten Zielen der Arbeit mit Jugendlichen. Ob soziale Themen mit Architektur gelöst werden können, ist eine immer aktuelle Frage. Betrachtet man die Architekturgeschichte, so ist sie zu verneinen – was nicht heißt, dass die Architektur nicht Lösungen anbieten kann. Architektur mit Engagement kann im Einzelfall als „sozialer Raum“ wirksam werden.

Diese Erkenntnis gilt für das Jugendzentrum Echo, ein Entwurf von Pürstl Langmaier Architekten, in erfreulicher Weise. Die beiden haben es meisterlich verstanden, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und gemeinsamem Tun wie nach Rückzug – unter sich sein und Ruhe finden – gleichermaßen gut räumlich zu verorten und verteilen.

Es beginnt mit der Lage des Gebäudes, in der Mitte eines idyllisch gelegenen Wiesenstücks, zwischen einer steilen Böschung und dem kleinen Wasserlauf des Mühlgangs an der Leuzenhofgasse, gerahmt von altem Baumbestand. Schon die Annäherung von der Wienerstraße ist niederschwellig, kann langsam erfolgen. Zwischen dem Hauptbau und einem kleineren, dem Zugang näheren Baukörper, der die Werkstatt und ein Lager birgt, wird ein großer überdachter und befestigter Vorbereich aufgespannt. Hier kann Tischtennis gespielt, Rad gefahren oder gebastelt werden, und von hier geht es auf die freien Wiesenflächen, die als Bewegungs- und Sportplatz oder Pflanzbereich in Hochbeeten genützt werden. Das Haupthaus ist bis auf wenige abschließbare Räume gut zu überblicken. Sein Kern ist ein lang gestreckter, großer Gruppenraum, der durch Theke und Küchenzeile, durch von den Jugendlichen zusammengebaute Sitzmöbel und einen Fußballtisch in Zonen unterschiedlicher Aktivitäten geteilt wird.

An diesen zentralen Aufenthaltsbereich docken die Architekten unregelmäßig drei Kuben mit niedrigerer Raumhöhe an, die nach innen mit Glasfronten abschließbar sind und damit Rückzugsbereiche für Einzelarbeit, Indoorsport oder Lernen bilden. Die Vorgabe der Einsehbarkeit zu Innen- und Außenbereichen wird auch mit großen Fensterelementen zwischen den Kuben erfüllt. Abgeschlossen, auch akustisch, sind ein Musikproberaum und das Büro. Ein Bereich für Mädchen, die hier wie in den meisten Jugendzentren eine Minderheit bilden, ist bei Bedarf abtrennbar. 2019 war der Anteil der Mädchen gegenüber Vorjahren und dem Vorgängerhaus bereits erfreulich gestiegen, wie sich überhaupt die Anzahl der jugendlichen Besucher von zwölf bis 19 und die Summe der Kontakte fast verdoppelt hatten. Der Kontakt zu vielen blieb auch in der Pandemie, bei geschlossenem Zentrum, aufrecht. Das macht deutlich, wie wichtig besonders für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund in engen Wohnungen das Zentrum als Treffpunkt und erweiterter „Wohnraum“ ist.

Wohnatmosphäre, ganz ohne unnötiges Möbelhaus-Chichi, verbreitet auch der Werkstoff Holz, der von den Architekten dominant eingesetzt wurde – konstruktiv als Holzmassivbau und mit den Oberflächen der Brettsperrholzplatten in allen Räumen, die unbehandelt blieben. Dass die Burschen und Mädchen zur Mitgestaltung der Innenräume ermuntert wurden und die Theke ein Gemeinschaftswerk ist, schaffte, wie man an den steigenden Zahlen von aktiv Teilhabenden sehen kann, Identifikation und Verbundenheit mit dem Haus. Mehrmals im Jahr an Samstagnachmittagen ist das Zentrum als Repair-Café für alle geöffnet. Bald wieder! Eine Ermunterung, selbst zu sehen und zu spüren, dass gute Architektur auch soziale Wirksamkeit entfalten kann.

Spectrum, Fr., 2021.08.20



verknüpfte Bauwerke
Jugendzentrum ECHO

04. August 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Geborgen im Kindergarten – so baut man in Zeiten des Klimawandels

Nahe Graz und damit weit entfernt von der eigentlichen Stätte ihres kreativen Wirkens, konnte das Architekturbüro Berktold Weber einen Kindergarten verwirklichen, der viel über Vorarlberger Erfahrung im Umgang mit Holz verrät.

Nahe Graz und damit weit entfernt von der eigentlichen Stätte ihres kreativen Wirkens, konnte das Architekturbüro Berktold Weber einen Kindergarten verwirklichen, der viel über Vorarlberger Erfahrung im Umgang mit Holz verrät.

Stärker und nachhaltiger als alles andere – als die Konjunkturlage oder hohe Preise für Grundstücke und Baukosten – werden der Klimawandel und die Pandemie für künftiges Baugeschehen bestimmend sein. Schon jetzt berichtet die Immobilienbranche, dass ein Trend zum Wohnen im nahen Umfeld der Städte bemerkbar ist, wo man das Ländliche, Landschaft und Grün, noch zu finden hofft. Balkone und Terrassen gelten als Basics, will man Wohnungen gut verkaufen. Für Schulen wird der Einbau von Anlagen zum Luftaustausch diskutiert, und neugebaute Lernorte wie der Schulcampus in Neustift im Stubaital von fasch&fuchs.architekten, die eine enge Verschränkung von Innen- und Außenraum bieten, haben bei allen Qualitätsbewertungen in Fachkreisen „die Nase vorn“. Dass Häuser energieeffizient geplant sein müssen, also Energiekosten und Kosten für den Betrieb über die gesamte Lebensdauer von Gebäuden mitberechnet werden, ist heute „State of the Art“.

Das Erfreuliche: Mehr und mehr österreichische Kommunen machen Themen wie sparsamen Verbrauch von Boden, von Ressourcen aller Art und Nachhaltigkeit zum programmatischen Teil von Entwicklungskonzepten. Die Marktgemeinde Lannach, rund zwanzig Kilometer südwestlich von Graz, zählt dazu. Nach dem gelungenen Neubau eines Gemeindezentrums setzt man den Weg mit Qualitätsarchitektur fort. 2017, als mehr Kindergarten- und erstmals Kinderkrippenplätze nachgefragt wurden, schrieb man einen geladenen Architekturwettbewerb aus, den das in Vorarlberg ansässige Architekturbüro Berktold Weber gewinnen konnte.

Das neue Gebäude liegt am Rand einer sehr großen, leicht abschüssigen Wiese, die als Erholungsbereich der nahe gelegenen Volksschule und eines kleinen Kindergartens dient. Der räumliche Zusammenhang war erwünscht, auch wenn der Zugang zum neuen Kindergarten mit Kinderkrippe über eine andere Straße erfolgen sollte.

Es gibt Räume, in denen man sich von Anfang an gut aufgehoben und geborgen fühlt, ohne dass einem bewusst ist, was diese Empfindung auslöst. Das Material Holz und besonders Oberflächen in Holz tragen dazu bei, eine Atmosphäre des Wohlfühlens zu schaffen. Helena Weber und Philipp Berktold konzipierten den konstruktiven Aufbau mit Holz als Wunschmaterial der Gemeinde unter „Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten“ – so, wie es im Ausschreibungstext verlangt wurde. Massive Veränderungen des Geländes wie Aufschüttungen wurden vermieden. Alle erdberührenden Teile am Hang einschließlich der Bodenplatte sind aus Beton und bilden eine Art Sockel, der von der Zugangsseite als solcher erkennbar ist und die Erschließung und die Nebenräume enthält. Die Hauptebene mit den Aufenthaltsräumen liegt darüber an der großen Wiese. Ihre Außenwände sind hochwärmegedämmte Holzrahmen mit Stahlstützen als Verstärkung, um bei Bedarf später ohne hohe Mehrkosten den Kindergarten durch Aufstocken erweitern zu können. Auf die Gruppenräume des Kindergartens können so in kurzer Zeit, sogar bei laufendem Betrieb, zwei weitere Einheiten aufgesetzt werden. Das ist klug gedacht und geplant, denn die gut erschlossenen Orte südlich von Graz wurden, gerade jetzt, zum stark nachgefragten Lebensmittelpunkt.

In der derzeitigen Ausbaustufe sind die Räumlichkeiten von Kindergarten und Krippe L-förmig um einen Spielhof angegliedert, der wie ein geschützter Innenhof wirkt, weil er seine Grenzen zur großen Wiese durch zarte Stützen und ein umlaufendes Band in Holz andeutet. Als Zwischenzone zum Spielplatz fungiert eine Terrasse, die durch einen weiten Dachüberstand geschützt wird. So kann der Außenraum das ganze Jahr über als Erweiterung genützt werden, als Plein-Air-Lern- und Spielort, der im Sommer mit Tischen bestückt ist und im Winter dem Bewegungsdrang der Kleinen entgegenkommt.

Das Hauptgeschoß wirkt als singulärer Körper, sodass der Kindergarten auch von der Zufahrt her nicht als zweigeschoßig wahrgenommen wird. Es dominiert das Obergeschoß, das zugleich leicht und kompakt auf einem Sockel sitzt, der sich in jeder Hinsicht zurücknimmt. Zum Spielhof hin dominieren raumhohe Glasfronten, die das Innere mit dem Außenraum fast verschmelzen lassen und optimalen Luftaustausch ermöglichen. An drei Außenseiten der Hauptebene schließt ein Balkon an, der durch ein Geländer aus Glas begrenzt wird – Blickfreiheit, abwechselnd mit Holzlamellen, die, gezielt gesetzt, eine Art zweite Haut bilden. Sie erzeugen wechselnde, lebendige Lichtstimmungen. Die abgestuft gegliederte, feine Holzfassade wirkt wie ein Vorhang vor der Fassade. Für die Architekten soll diese „Neststruktur“ Geborgenheit vermitteln.

In den Gruppenräumen sind Gruppendynamik, Zuschauen vom Rand aus oder auch Rückzug individuell möglich. Für die Kleinsten gibt es einen Aufenthaltsraum mit definierten Spielecken und Kletterlandschaft, den Schlafraum und den Bereich mit großem Esstisch und kleiner Küche, der als offen zugängliche Zone für alle mit Blick in den Garten geplant wurde.

Schön, dass die Architektin und der Architekt auch mit ihren Ideen zur Möblierung überzeugen. Das große, multifunktionale Einbaumöbel mit Galerie in den Gruppenräumen, die kleinen dreidimensionalen Landschaften zum Klettern und nahezu alle Möbel tragen ihre Handschrift. Was dadurch entstehen konnte, ist ein atmosphärisches Ganzes, sind freundlich-helle Räume zum Wohlfühlen, eingebettet in Weißtanne an den Wänden, in eine schallabsorbierende Holzakustikdecke und ein dezentes Farbkonzept für Raumteiler und Regalflächen.

Was der Gesamteindruck auch deutlich macht: Es bedarf hoher Kunstfertigkeit, jedes noch so kleine Detail mit großem Können und Wissen um seine Wirkung zu planen und dabei nicht das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Großzügigkeit und spürbare Wertschätzung, nicht nur für das Material Holz, sondern auch für die Arbeit der Pädagoginnen, prägen die Atmosphäre in diesem Gebäude. Das ist besonders beachtenswert, weil hier nicht nur Vorarlberger Sorgfalt und Präzision ihren Ausdruck finden, sondern auch die offensichtlich gelungene Zusammenarbeit mit regionalen Gewerbe- und Handwerksbetrieben vom Zimmerer bis zum Fenster- und Möbelbauer.

Spectrum, Mi., 2021.08.04



verknüpfte Bauwerke
Kindergarten / Kinderkrippe Mühlgasse, Lannach

20. Juli 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Wie viel Grün darf bleiben?

In Graz und Umgebung gewinnt man derzeit den Eindruck, dass schier alles, was an Grund und Boden noch zu haben ist, mit Wohnungen verbaut wird, ohne dass die Stadt regulierend eingreift.

In Graz und Umgebung gewinnt man derzeit den Eindruck, dass schier alles, was an Grund und Boden noch zu haben ist, mit Wohnungen verbaut wird, ohne dass die Stadt regulierend eingreift.

Baukräne, Schwerverkehr und Baustellenlärm – wo immer man derzeit Graz durchquert, ist zu sehen, dass selbst die Pandemie dem Bauboom in der zweitgrößten Stadt Österreichs nichts anhaben konnte. Das ist einfach zu erklären, befanden sich die derzeit überall in die Höhe wachsenden neuen Quartiere, Siedlungen und Wohnblöcke doch schon vor 2020 im Status von Planung und Genehmigungsverfahren. Nicht einleuchtend hingegen ist die Tatsache, dass sich von Jänner 2016 bis Jänner 2021 bei einem Bevölkerungszuwachs von 16.098 Personen eine Steigerung der Wohnungsanzahl um 26.322 feststellen lässt. Rund 331.000 in Graz Gemeldeten stehen derzeit mehr als 202.000 Wohnungen gegenüber. Schon 2017 wurde im Wohnbericht der Stadt Graz der Leerstand von Wohnungen, den man anhand des nicht vorhandenen Stromverbrauchs auch exakt feststellen könnte, mit 6000 bis 7000 geschätzt.

Nun liegt mir ferne, die Leser mit trockenen Zahlen und Statistiken zu langweilen, aber einige geben uns einen Ausblick auf die zu erwartende Entwicklung von Graz – etwa jene, die einer detaillierte Aufstellung eines Vereins zu entnehmen ist, der sich „Unverwechselbares Graz“ nennt. Die zivilgesellschaftliche Initiative, der ein ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamts ebenso angehört wie Soziologen und Lehrende der FH, macht sich stark für eine sensible, restriktivere Steuerung der Stadtplanung, um identitätsstiftende Charakteristika von Straßenzügen und Stadtvierteln erhalten zu können. In ihrer Recherche fand die Gruppe heraus, dass der vorgenannten Zahl von mehr als 200.000 Wohnungen noch rund 15.000 hinzugefügt werden müssen, die derzeit „in der Pipeline sind“. Mit klingenden Bezeichnungen wie „Wohntraum“ werden diese von Bauträgern bereits beworben, scheinen aber in der Statistik, die im vorigen Jahr nur einen Bevölkerungszuwachs von 203 Personen ausweist, noch nicht auf.

Es gibt also keinerlei Korrelation zwischen dem Wohnungsbedarf in Graz und den seit 2016 geplanten Wohnungen. Was überwiegend gebaut wird, ist ein Angebot an Anleger, das aufseiten der Bauträger offen als solches beworben wird. Euphemistisch werden sie „Vorsorgewohnungen“ genannt. Diesen Umstand zeigt auch die Gesamtzahl der geförderten Mietwohnungen, die in den fünf Jahren für die gesamte Steiermark bei 5000 liegt. Man könnte anmerken, dass, wer keine Zinsen erhält für sein Erspartes, doch frei sein muss in der Entscheidung, welche Geldanlage er wählt. Dass der freie Markt regelt, ob das Investment in eine Wohnung gewinnbringend sein wird oder nicht, weil der Markt gesättigt ist.

Das gilt nicht, wenn es um Stadtentwicklung und Stadtraumordnung geht. Stadtplanung hat vorausschauend tätig zu sein und Rahmenbedingungen für eine geregelte Entwicklung vorzugeben, die dem Wohl und den Grundbedürfnissen aller Bürger Rechnung trägt und nicht nur den Partikularinteressen Einzelner, die „naturgemäß“ dort bauen wollen, wo sich mit Grundstückskauf und Baukosten noch satte Gewinne ausgehen. Als Geschäftsmodell ist dies nachvollziehbar, kann jedoch nicht die Basis für weitreichende Entscheidungen sein – für das Wo, Wie, in welchem Ausmaß und welchem Tempo sich eine Stadt entwickelt.

Verdichtung ist die Devise im aktuellen Stadtentwicklungsprogramm. Gebaut werden soll nur dort, wo Infrastruktur, Erschließung und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr gegeben ist. Schaut man sich das jetzige Wohnangebot an, so findet man sowohl Bauträgerwettbewerbe nach dem „Grazer Modell“ für Quartiere am Stadtrand, die ohne öffentliche Anbindung an Bus oder Straßenbahn im Takt genehmigt wurden, wie auch Beispiele von massiver Verdichtung im Villenviertel, das unzureichend erschlossen ist. Die Problematik solch ungezügelten Baubooms liegt jedoch nicht in einzelnen „Ausreißern“, sondern in der Tatsache, dass er generell den großen Herausforderungen einer modernen Stadtplanung nicht genügt. Die müsste durch gezielte Maßnahmen Quartiersbildung fördern. Stichworte: Durchmischung von Arbeit, Wohnen und Dienstleistungen mit öffentlichen Einrichtungen und Stadtäumen sowie eine Vielfalt von Bewohnergruppen in jedem Stadtteil. Bei einem zu großen Anteil an derzeit gefragten Mikrowohnungen sind häufiger Mietwechsel und Leerstand vorprogrammiert. So können Wohnanlagen dieser Art auch zu sozialen Problemfeldern werden. Was dann?

Sollte in einer Zeit von Klimaveränderung und drohenden Klimakatastrophen nicht die bauliche Entwicklung des urbanen Raums dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und so gering wie möglich gehalten werden? Seit Jahren appelliert selbst die Hagelversicherung, die enorme tägliche Versiegelung von Boden in Österreich zu stoppen. In Graz werden hochpreisige Angebote mit zweistelliger Wohnungszahl und entsprechender Menge an Autoabstellflächen an die Stelle von Einfamilienhäusern mit Gartengrund gesetzt. Immer noch ist Kahlschlag von altem Baum- und Strauchbestand zu beobachten, der nur unzureichend durch Neupflanzungen ersetzt wird. Bauträger haben nach wie vor das Recht, den als Maximum festgelegten Wert der im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Bebauungsdichte auszunützen, und tun das auch.

All das trägt dazu bei, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs mit 34,1 Prozent in Graz erschreckend hoch ist und noch zunehmen wird. Konzepte für eine bessere Versorgung mit öffentlichem Verkehr sind also gefragt – auch um die riesige Menge der individuell anreisenden Pendler zu stoppen. Und es gibt sie: mehrere Verkehrskonzepte, präsentiert von den regierenden Stadtparteien, von der Opposition, der zuständigen Verkehrsstadträtin, von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen wie „Move it“, die sich fürs Radfahren einsetzen, und sogar von einzelnen, unbezahlt arbeitenden Architekten und Stadtplanern, denen die Stadt am Herzen liegt.

Problematisch sieht eine Gruppe Architekten um Stoiser Wallmüller, die gerade eine Verkehrsanalyse für Graz vorgestellt hat, die Tatsache, dass die aktuellen Mobilitätskonzepte unabhängig voneinander und nicht auf Basis einheitlicher Grundlagen erstellt wurden. Forcierte Modelle wie die Minimetro der Stadtregierung, S-Bahn oder die Straßenbahn können so kaum vergleichend untersucht und evaluiert werden. Dass ein Gutteil von Modellen und Studien zur Entwicklung der Stadt nicht von Abteilungen der Stadtverwaltung beauftragt wurde, die für die Stadtentwicklung arbeiten, kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Die Bürger wollen ein Mitspracherecht für ihren Lebensmittelpunkt haben. Dieses Grundrecht einer aufgeklärten Gesellschaft entlässt die Stadtregierung und Stadtplanung allerdings nicht aus der Verpflichtung, die Stadt für alle gedeihlich zu entwickeln.

Spectrum, Di., 2021.07.20

28. April 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Bauen um jeden Preis?

Resorts, Chalets, Lodges: Große Bauprojekte als lukrative Investments sollen der Südsteirischen Weinstraße einen touristischen Höhenflug bereiten. Doch der Bauboom in der geschützten Kulturlandschaft ist umstritten.

Resorts, Chalets, Lodges: Große Bauprojekte als lukrative Investments sollen der Südsteirischen Weinstraße einen touristischen Höhenflug bereiten. Doch der Bauboom in der geschützten Kulturlandschaft ist umstritten.

Mitte April im Südsteirischen Weinland. Es ist ein grauer, ungewöhnlich kalter Tag, von den frisch verschneiten Nordhängen des Pachern bläst eisiger Wind. Ich fahre von Ehrenhausen, dem „Tor“ zur Weinstraße, einem historischen Kleinod, auf die Hügel und Höhen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig zur touristischen Destination entwickelten. Ich will mir ein Bild machen von dem, was ich kürzlich mit ungläubigem Staunen der Zeitung entnommen hatte.

Berichtet wurde, dass Dutzende millionenschwerer Projekte in Planung und schon in Bau seien, da im vorigen Jahr die Region bis in den Spätherbst regelrecht gestürmt worden sei von Gästen. Vom Wirtschaftstreuhänder aus Bayern war die Rede, der schon seit Jahren aufkauft, was im „letzten Schlaraffenland Europas“ an Gaststätten, Beherbergungsbetrieben und Rebflächen zu haben ist. Von einer Rebenhof Living GmbH, die ein „Zuhause in der wunderschönen Südsteiermark am höchsten Punkt der Südsteirischen Weinstraße“ in 74 Chalets und Appartements bewirbt – offensichtlich ein Angebot für Zweitwohnsitze. Und vom Grazer Industriellen mit einem Faible für zeitgenössische Architektur, der den bekannten ehemaligen Buschenschank auf dem Jägerberg kaufte, um dort ein feines Seminarhotel mit Feinschmecker-Restaurant zu „entwickeln“.

Seit 1992 trägt das Südsteirische Weinland das Prädikat Naturpark. Es gibt ein überörtliches Entwicklungsprogramm für die Region, in dem als oberste Prämisse die Erhaltung der typischen Kulturlandschaft als Lebensraum für Bewohner und Gäste festgeschrieben ist. Ulrike Elsneg zeigt in ihrer Masterarbeit „Kulturlandschaftsdynamik in der Südsteiermark“ eindrücklich auf, dass schon seit Jahrzehnten strukturelle Kleinteiligkeit und Vielfalt – das Neben- und Miteinander von kleinen Streusiedlungen und einzelnen Hofstellen zwischen Weingärten mit Rainbegrenzungen, Streuobstwiesen, Ackerflächen und Laubwaldstücken – zurückgehen. Die geplanten Investments, eine massive Zunahme an Bauland und Bausubstanz, werden diese Entwicklung rasant beschleunigen. Noch ist die Wirkmächtigkeit des Landschaftsbildes mit seiner charakteristischen Prägung gegeben und vermag jene Anziehungskraft auszuüben, für die man sich mit Großinvestitionen rüsten will.

Fragt man bei kritischen Geistern nach, so fällt immer wieder ein Begriff: Baulandausweisung als „Erholungsgebiet“ – in genauer Definition die Umwidmung von Freiland in Bauland für touristische Zwecke. Eine solche kann im Zuge einer Revision des Flächenwidmungsplans mit Zweidrittelmehrheit durch den Gemeinderat erfolgen. Und sie erfolgt anlassbezogen, so die Kritiker, auf Zuruf und in unterwürfiger Ehrerbietung. Sie müsste viel strenger ausgelegt werden. In der gesetzlichen Verordnung, die 2009 in das Steirische Raumordnungsgesetz eingebracht wurde, finden sich für das Erholungsgebiet höchst unverbindliche Festlegungen wie: „Im Interesse der Erhaltung ihres Charakters können Flächen bezeichnet werden, die nicht bebaut werden dürfen.“ Halt! Können und nicht: müssen? Voraussetzung für von der Gemeinde vorgenommene Baulandausweisungen ist, dass ein Örtliches Entwicklungskonzept vorliegt. Üblicherweise wird damit der Raumplaner der Gemeinde beauftragt. Doch kann dieser seine Aufgabe unabhängig wahrnehmen, will er der örtliche Raumplaner bleiben?

Natürlich wird jedes Konzept auf Basis der Gesetze erstellt und enthält Prämissen wie die „Erhaltung bzw. Verbesserung des regionalspezifischen Landschaftsbildes und der landschaftsraumtypischen Strukturelemente“ und Einschränkungen der Nutzung durch naturräumliche Gegebenheiten, etwa die Topografie. Im ÖEK Gamlitz sind die Beibehaltung der landschaftlichen Gliederung durch das Freihalten von unbebauten Höhenlagen und exponierten Lagen vor weiterer Verbauung sowie die Einbettung von Neubauten in Hanglage festgeschrieben. An Baugenehmigungen für Resorts und Anlagen für Chalets zeigt sich jedoch, dass die Baulandausweisung für touristische Nutzung großen Spielraum für Interpretationen zulässt. Zu großen, finden Kritiker.

Ich fahre weiter, die schmalen Straßen entlang, die an diesem unwirtlichen Tag menschenleer bleiben. Nicht nur einsetzender Eisregen hindert mich daran, ein kleines Gebilde aus Holz und viel Glas näher anzusehen. Es scheint das Musterhäuschen einer Reihe neuer „Lodges“ zu sein, wie ich später auf der Website des Betreibers lese – „Panoramatherapie“ eingeschlossen, Einbettung in die Blumenwiese nur behauptet. Nicht weit danach muss ich einbremsen. Ein Steilhang mit exakt gezogenen Rebzeilen tut sich auf, wie ich ihn im Weinland noch nie gesehen habe. Kein Rain, kein Baum, kein Wiesenstück als Gliederung mildern die Monotonie der hier neu entstandenen Landschaft. Als ich am Eingangstor der ortsfremden Umzäunung „Domaine“ lese, weiß ich, wo ich bin. Hier durfte der Investor, nachdem er aus der Konkursmasse das zu Beginn der Zweitausenderjahre neu entstandene Weingarten- und Weinkellerareal „Terra Gomeliz“ gekauft hatte, kolportierte 30 Hektar Wald zur Rebfläche machen. Weingärten schauen anders aus, auch Chalets, wie sie an dieser Stelle im nunmehrigen touristischen Erholungsgebiet als Erweiterung der bestehenden, „landschaftstypischen Bebauungsstruktur am Grat“ geplant sind.

Noch ist außer einer Großbaustelle nicht viel vom angekündigten Bauboom zu sehen, doch das Bild wird im nächsten Frühling schon ganz anders sein. Die Frage bleibt: Wie lange verträgt die Kulturlandschaft der Weinstraße, dass selbst gegen naturgegebene Beschränkungen gerodet und das Gelände moduliert, dass erweitert, aus- und aufgebaut wird und auf Tausenden Quadratmetern Resorts entstehen? Wann ist der Zeitpunkt gekommen, da das Bild von einzigartiger Schönheit zerstört sein wird?

Zu lange hat man in der Südsteiermark einseitig nur auf Bewusstseinsbildung für Baukultur gesetzt. 2006 wurde in drei Gemeinden ein Gestaltungsbeirat installiert, der heute in dieser Form nicht mehr existiert. Ein Bauherrenbegleiter wurde herausgegeben und 2016 der Region der LandLuft Baukulturpreis zugesprochen. Die Erkenntnis, dass die Kulturlandschaft weniger durch fehlendes Bewusstsein für Baukultur als durch anlassbezogene, zu wenig strenge Auslegung von Schutzbestimmungen und Raumordnung gefährdet wird, ist schmerzhaft. Längst schon müsste die Aufsichtsbehörde mit übergeordneter Verantwortung einschreiten. Erster Widerstand von Ortsansässigen wird laut, und das ist gut so. Für eine breite Einsicht in die Tatsache, dass mit all den geplanten touristischen Großprojekten gerade das „Kapital“ Landschaft mit Wein, das heute für den Wohlstand der Region steht, in seiner Substanz angegriffen wird und zu schwinden droht, braucht es noch viele laute Verbündete.

Spectrum, Mi., 2021.04.28

22. März 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Bad Gastein im Umbruch – ist die Zeit des Klotzens vorbei?

Fest steht: Bad Gastein ist einzigartig. Ob geplante Rieseninvestitionen den Charakter des Kurorts erhalten werden, ist indes fraglich. Liebhaber des Ortes sind skeptisch.

Fest steht: Bad Gastein ist einzigartig. Ob geplante Rieseninvestitionen den Charakter des Kurorts erhalten werden, ist indes fraglich. Liebhaber des Ortes sind skeptisch.

Man muss lange suchen, um jemanden zu finden, der es nicht kennt. Zumindest ein Bild von Bad Gastein, ein ziemlich exaktes, hat jeder im Kopf. Wer schon einmal dort war oder Kindheitserinnerungen an den Ort hat, wer den Kurort also von früher kennt, der hat die Erzählungen über Entwicklungen der vergangenen Jahre mit Freude aufgenommen. Deutsche Wochenmagazine berichteten vom vorsichtigen unternehmerischen Neustart durch Gastein-Liebhaber, von Frischzellenkuren für eine Handvoll Hotels, denen mit kleinem Budget, aber großem Gespür für den Wert des Bestehenden neues Leben eingehaucht wurde. Kreative Köpfe im Ort richteten ein Café im Kraftwerk ein, ein sommerliches Art-Festival wurde ins Leben gerufen, und Yoga-Tage wurden Bestandteil der neuen Angebote.

Bei einem Aufenthalt im Oktober 2020 fiel mein Lokalaugenschein dann doch eher deprimierend aus: Noch waren Leerstand, langsamer Verfall und Abbruchspuren ortsbeherrschend, aber auch ungepflegte Plätze und holprige Wege, nachlässig reparierte Straßen und verlotterte Bushaltestellen.

Zuversicht war da im Wissen, dass die Zukunft für einen in seiner Charakteristik und Einzigartigkeit wiederbelebten, der Zeit angepassten Ort der Erholung schon begonnen hat. 2017 konnte das Land den leer stehenden Straubinger-Komplex, der knapp am Wasserfall liegt, von Investoren zurückkaufen, die ihre Besitztümer jahrzehntelang hatten verfallen lassen. Nach ersten Erhaltungsmaßnahmen wurden das Hotel, das fürsterzbischöfliche Badeschloss und die Alte Post an eine deutsche Investorengruppe weiterverkauft. Dann war Funkstille.

Im Februar 2021 präsentierte der neue Eigentümer in einer Pressekonferenz – ihm zur Seite Landeshauptmann, Bürgermeister sowie Erich Bernard und Markus Kaplan von BWM Architekten – detaillierte Pläne für das unter Schutz stehende Ensemble. Man erfuhr, dass alle Bewilligungen im Behördenverfahren im Einklang mit dem Bundesdenkmalamt und dem Gestaltungsbeirat der BH Sankt Johann im Pongau erteilt worden waren. Das gewaltige Rauschen im Blätterwald mit Titeln wie „Die mondäne Welt in den Alpen kehrt wieder“ und „Neues Hochhaus für das Manhattan der Alpen“ schien die Euphorie zu bestätigen.

Die Kritik, die dennoch aufgepoppt ist, erläutert anhand des geplanten vertikal ausgerichteten Zubaus, der das Ensemble direkt im Anschluss an das Badeschloss bergseitig ergänzen wird, dass das 1997 beschlossene Entwicklungskonzept für Bad Gastein nicht eingehalten wird. In diesem heißt es, dass in Ortsteilen das geschlossene Ortsbild und dessen Charakteristik zu pflegen und zu erhalten sind und bei Neubauten und Renovierungen auf ausgewogene Proportionen zu achten ist. Das „Hochhaus“ wird die höchste Stelle des Badeschlosses, den Dachfirst, um beinahe 30 Meter und den Straubingerplatz, der die Mitte der beiden neuen Hotels bildet, inklusive Zugang zum auf dem Dach geplanten Pool um knapp 54 Meter überragen. Der gar nicht schlanke Neubau hält, selbst wenn eine farblich zurückhaltende Gestaltung seiner Fassaden vor der Naturkulisse des steil aufragenden Talschlusses vorgesehen ist, einem Vergleich mit der gründerzeitlichen Bebauung nicht stand.

Dominante Kubaturen der Belle-Époque-Hotels wie das L'Europe sind nämlich, genau betrachtet, keine in die Höhe wachsenden „Hochhäuser“, auch wenn sie immer wieder als solche bezeichnet werden. Es sind scheibenförmige Bauwerke, die sich von ihrer Eingangsebene „souterrain“, als Substruktionen, annähernd so weit nach unten erstrecken wie nach oben. Diese unvergleichbare Bauweise ist der besonderen Topografie geschuldet, der enormen Steilheit des Geländes um den Wasserfall, von dem aus sich der Badeort entwickelte. Mit dem vertikalen Bauboom in Manhattan hat das historische Bad Gastein, das sich in früheren Zeiten nicht nur am Straubingerplatz fast als geschlossene Bebauung zeigte, also nichts gemein. Nun könnte man einwenden, dass nicht das erste Mal mit der Stadtentwicklung in Bad Gastein gebrochen wird und neue Zeiten neue Formen der Bebauung verlangen. Das stimmt. Nicht alles, was zur Ankurbelung eines neuen Tourismus nach dem Krieg gebaut wurde, fügt sich harmonisch in den steilen Hang. Auch Garstenauer setzte mit der „Horizontalen“ des Kongresszentrums, das mit seiner platzartigen Erweiterung und dem begehbaren Flachdach als Sonnenterrasse das Zentrum bildet, einen markanten Kontrapunkt. Für den Architekten, der in Bad Gastein zudem das Felsenbad und die Parkgarage plante, war das der sichtbare Ausdruck eines Ortes der Begegnung. Friedrich Achleitner bewertete diese Strukturveränderung der 1960er als Bereicherung des Ortsbildes, die Architekturkritikerin wiederum sieht im Kongresszentrum eine Spange, die im Zusammenspiel mit Topografie und Ortsbild das Verbindende verdeutlicht.

Erklärt wurde, dass es den „Turm“ mit zusätzlichen 88 Zimmern brauche, weil die Bestandsfläche von 13.000 Quadratmetern nicht ausreichend sei, um die ökonomisch notwendige Anzahl von Betten zu schaffen. Diese Argumentation ist sattsam bekannt. Doch ist dieses „Immer mehr, immer luxuriöser, immer höher“ noch zeitgemäß? Müssen wir nicht davon ausgehen, dass der Klimawandel uns eine einschneidende Änderung des Lebensstils abverlangt, dass Beschränkung und Wertewandel unser Leben künftig prägen werden? Außerdem: ob sie schlüssig ist in Zeiten einer nach der Pandemie von vielen vorausgesagten Rezession? Bad Gastein sollte auch diesbezüglich aus seiner Geschichte lernen.

Durch Abriss historischer Bauten, wie er mehrfach genehmigt wurde und dem Hotel Mirabell bevorsteht, und unsensibel gesetzte Neubauten sieht der Architekturhistoriker Norbert Mayr „das einzigartige Spannungsverhältnis zwischen den Gründerzeit-Wolkenkratzern, die sich durch einen dominanten Auftritt behaupten, und den Steilhängen des Talkessels, die erfolgreich dagegenhielten“, akut gefährdet. Der das Ortsbild prägende Dialog zwischen Kulturlandschaft und Baukultur sei mit dem Punkthochhaus, das überall stehen könnte, zu Ende. Bekanntheit und besondere Anziehung verdankt Bad Gastein seiner Einzigartigkeit. Pioniere eines Neustarts wie die Hoteliers Olaf Krohne und die Familie Ikrath arbeiten genau damit. Sie sehen den Ort als kulturelle Bühne, in der neben neuen Konzepten auch verstaubter Glanz Platz haben wird, als einen Ort, der gleichermaßen behutsam wie langsam entwickelt werden muss.

Eine Gegenstimme zu erheben, wo nach jahrzehntelanger Agonie nun eine Rieseninvestition lang ersehnten Aufschwung bringen soll, ist schwierig. Gastein-Liebhaber bleiben dabei: Die Zeit des Klotzens ist vorbei. War der Ökonom Leopold Kohr, der mit seiner Philosophie des Kleinen, Überschaubaren die Rückkehr zum menschlichen Maß propagierte, nicht ein Salzburger? Zum Thema: Online-Vortrag „Aufbruch in Bad Gastein“ mit Zoom-Diskussion: Do., 25. März, 18.30 Uhr, initiativearchitektur.at

Spectrum, Mo., 2021.03.22

05. Februar 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Wie aus einem Guss?

Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, Neues zu Bestehendem: So fügt sich eins ans andere im architektonischen Alltag. Manchmal freilich misslingt eine Fügung – etwa wenn ein Gebäude ergänzt, eine Altstadt rekonstruiert werden soll.

Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, Neues zu Bestehendem: So fügt sich eins ans andere im architektonischen Alltag. Manchmal freilich misslingt eine Fügung – etwa wenn ein Gebäude ergänzt, eine Altstadt rekonstruiert werden soll.

Immer schon dachte ich mir, dass dem Fügen in der Architektur mehr Beachtung geschenkt werden sollte, ist doch schon jedes Bauwerk die Summe seiner Einzelteile, auch wenn das fertige Werk „wie aus einem Guss“ wirken kann. Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, oft auch Neues zu Bestehendem – so fügt sich eins ans andere im Bauen. Anfügen, Einfügen und somit Verdichtung entsprechen dem Wesenszug der historisch gewachsenen Stadt und sind sozusagen ihr Alltag, wenngleich das Weiterbauen selten unumstritten erfolgt.

Wir kennen die Rekonstruktion als Anlass des Fügens und die Diskussionen dazu. So wurde etwa in Frankfurts Zentrum von 2012 bis 2018 auf einer Brache, die seit der weitreichenden Zerstörung der historischen Mitte 1944 leer geblieben war, die „Neue Frankfurter Altstadt“ errichtet. 35 Gebäude, mittelalterlichen Stadthäusern nachempfunden, mit Gassen und kleinen Plätzen als neues Altstadt-Wohnquartier, ein ganzer Stadtteil in historisierender Gewandung. Kein Wunder, dass die Initiative des durch die Politik unterstützten Immobilienentwicklers begleitet war vom vielstimmigen Lärm unzähliger Befürworter und Kritiker – meist Stadtbewohner auf der einen und Baufachleute auf der anderen Seite. Das Einfügen der Neu-Altstadt zwischen der Kunsthalle Schirn und dem Dom nach dem Muster von schützenswerten Denkmälern fand breiten Zuspruch.

An die Geschichte erinnern soll auch die Wiedererrichtung des Alten Schlosses auf der Spreeinsel in Berlin, das wohl meistdiskutierte öffentliche Projekt der vergangenen Jahre. Die detailgetreue Rekonstruktion von drei Fassaden des riesigen Schlosses, einst Kaiserresidenz und ein Hauptwerk des norddeutschen Barocks, ist ein symbolischer, wenn nicht ideologischer Akt. Nachdem es im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war, sollte es danach wieder hergestellt werden. Als es Teil des DDR-Territoriums wurde, ließ die neue Führung es 1950 sprengen und errichtete auf dem Areal Jahre später den Palast der Republik, der nach der Wiedervereinigung bis 2008 abgerissen wurde. Ein Neubau, das heutige Humboldt Forum, sollte an die frühere Bedeutung des Hohenzollernsitzes anknüpfen. Der siegreiche Entwurf des Architekten Franco Stella fügt nun also die originalgetreu nachgebauten Barockfassaden an die streng gerasterte Steinfassade des Ostflügels. Neu-Alt trifft um die Ecke auf Neu – aber wie? Selbst ein Laie kann erkennen, dass diese Art der Fügung, dieser Zusammenschluss nicht gelungen ist.

Ideenreich und subtiler stellt sich der Wiederaufbau eines Flügels im Museum für Naturkunde in Berlin dar. Auch dort haben die Schweizer Architekten Diener & Diener auf die Neufassung eines städtischen Ensembles gesetzt. Der Ostflügel des Museums war im Zweiten Weltkrieg bis auf Fassadenreste zerstört worden und bis 2006 als Ruine stehen geblieben. Die Hauptgeschoße des Museums führen die Architekten im neuen Trakt weiter. Die Notwendigkeit, lichtempfindliche Tierpräparate optimal aufzubewahren, nützten sie, um die umgebende Gebäudehülle fensterlos zu gestalten. Dafür nahm man von den originalen Fassaden Abdrücke ab, die mit Beton ausgegossen wurden. Diese Fertigteile wurden in die zerstörte Fassade eingefügt und füllen nun die Leerstellen. Rhythmus und Form der Fassade wurden aufgenommen, der graue Beton setzt sich jedoch deutlich erkennbar von der erhaltenen Bausubstanz mit den Fenstern, die zugemauert wurden, ab. Hier stellt das An- und Einfügen für die Architekten nicht eine Rekonstruktion des Baudenkmals im eigentlichen Sinn dar, sondern eine in Szene gesetzte Bewahrung von Geschichte.

Es lassen sich auch Beispiele von (Ein-)Fügung finden, die erst heute übereinstimmend als vorbildlich gelten. In die Architekturgeschichte eingegangen ist der Gerichtshof in Göteborg von Gunnar Asplund. Bereits im Jahr 1913 hatte der Architekt einen Wettbewerb für den Um- und Zubau des Gerichts gewonnen, der eine völlige Transformation der Hülle nach einer national-romantischen Idee bedeutet hätte. Umplanungen erfolgten, wurden verworfen, und erst 1937 wurde die jetzige Form fertiggestellt. Asplund nahm die horizontale Gliederung des Bestands auf, interpretierte Fensterachsen und Säulengliederung neu, hielt sich präzise an die Traufenhöhe und stimmte den Anbau farblich mit dem Altbau ab. Die Fuge bildet ein schmaler, fensterloser Rücksprung, hinter dem sich eine Nebentreppe befindet.

Vorhandene Charakteristika und Qualitäten einer historischen Architektur aufzunehmen und sie gleichermaßen respektvoll wie abstrahierend in Neues zu transformieren schien mir immer richtiger als ein Kopieren des Vorhandenen. „Man wird begreifen müssen, dass jede Baukunst an ihre Zeit gebunden ist und sich nur an lebendigen Aufgaben und durch die Mittel ihrer Zeit manifestieren lässt. In keiner Zeit ist das anders gewesen“, schreibt Mies van der Rohe in einem Aufsatz. Bauten sieht er als Schöpfungen ganzer Epochen, ihrem Wesen nach unpersönlich, aber „reine Träger eines Zeitwillens“.

Beim Thema des Weiterbauens – dem An- und Einfügen – wird der Historie nur dann mit Wertschätzung begegnet, wenn man sie nicht versteckt, übertüncht oder geistlos kopiert. Genaues Schauen und lustvolle Auseinandersetzung mit diesem Thema wurde zur persönlichen Erkenntnis, die sich mit den Jahren vertieft hat.

Einer, der dieses Wissen mit großer Sorgfalt und Kreativität bei all seinen Bauten angewandt hat, ist Klaus Kada, der im vergangenen Dezember achtzig Jahre alt wurde. Nicht nur als Architekt, sondern auch als Meister des Fügens ist ihm dieser letzte Absatz gewidmet. Kadas Gesamtwerk als Zeitwille zu entdecken lohnt allemal. Glas und neue Glastechnologien sind darin nicht nur Ausdruck ihrer Zeit, vielmehr spannt das Material Räume und Schichten unterschiedlicher Entstehungszeit und Funktionen unter sich auf. Glas bildet eine transparente, Licht bringende Zäsur und zugleich eine feine Verbindung, die sich als Gestaltungselement nicht in den Vordergrund drängt. Diese gekonnte Art des Fügens kann man bei Kada auch an Bauten entdecken, die zur Gänze neue Architekturen sind, wie das Festspielhaus in Sankt Pölten. Am deutlichsten wird sie, wo Alt und Neu zum Ganzen vereint werden soll: dem Glasmuseum in Bärnbach, einem Schlüsselwerk im Œuvre des Architekten. Von allen kann man lernen.

Mehr noch, davon sollten Architekten lernen. In letzter Zeit werden vermehrt Wettbewerbsentwürfe abgegeben, in denen das Erweitern – das Weiterbauen am Bestand von Schulen etwa – zu spannungsloser Scheinharmonie verkommt. Eine Fassade, gleich über Alt und Neu gezogen – und schon ist Geschichte nicht mehr sichtbar. Die Größe von Baukörpern, ihre Proportionen, auch ihr Verhältnis zu Freiraum und Landschaft wirken dann nicht mehr stimmig. Wollen wir das?

Spectrum, Fr., 2021.02.05

12. Dezember 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Mit dem Rücken zum Berg

Unkonventionell und gleichermaßen seriös: So beschreibt die Jury der Geramb-Rose die Herangehensweise an ein neues Stadthotel im Herzen von Graz. Die Herausforderung dabei: die Adaptierung eines mehr als 400 Jahre alten Denkmals am Fuße des Schlossbergs.

Unkonventionell und gleichermaßen seriös: So beschreibt die Jury der Geramb-Rose die Herangehensweise an ein neues Stadthotel im Herzen von Graz. Die Herausforderung dabei: die Adaptierung eines mehr als 400 Jahre alten Denkmals am Fuße des Schlossbergs.

Da war die Welt des Städtetourismus noch in Ordnung. „Hotel-Boom: Zehn neue Hotels in Graz sind gerade im Anflug“, titelte eine Grazer Zeitung im November 2019. Die Nächtigungszahlen in Graz stiegen im Herbst um zehn Prozent, die Aussichten für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends schienen rosig. Selbst der Tourismus-Chef, bekannt als besonnener Manager, war voller Zuversicht, bis 2023 eine halbe Million an Übernachtungen dazugewinnen zu können, und meinte, dass Graz diese Hotelneubauten „vertragen“ könne.

Nun kam es ganz anders, doch da das Planen und Bauen lange Vorlaufzeiten verlangen und einiges zu diesem Zeitpunkt schon „in der Pipeline“ war, wurden 2020 in Graz tatsächlich zwei neue Hotels eröffnet. Das der Hotelkette beim Hauptbahnhof muss nicht extra vorgestellt werden. Das andere jedoch, das sich bescheiden nach seiner Adresse nennt, lohnt näherer Betrachtung. Es vereint in sich mehrere Themen des Bauens im historischen Zentrum von Graz, die eine Herausforderung für das Weltkulturerbe sind. „Kai 36“ liegt in der Verlängerung der Sackstraße, einer der ältesten Straßen von Graz am Fuße des Schlossbergs, die durch ein Tor vom Kai am Ufer der Mur getrennt war. Auch wenn sich der Blick dort weiten kann und die Uferstraße von Bäumen gesäumt ist, stehen die Häuser am Kai dicht aneinandergebaut, mit dem Rücken zum steilen Hang des Schlossbergs. Das Haus mit einem auffallend weit ausladenden Schleppdach über drei Geschoße nimmt eine Sonderrolle ein. Es ist eines der ältesten, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet. Trotzdem stand es lange leer, bis der Grazer Rennsportmanager Helmut Marko es kaufte und beschloss, es auszubauen und seinem Portfolio von drei Hotels hinzuzufügen. Der Umbau wurde in die Hände von Nicole Lam gelegt, die bereits den jüngsten Neubau, das Hotel „Lend“, für den Hotelier geplant hatte.

Mit dem unter Denkmalschutz stehenden Ensemble betrat die Grazer Architektin Neuland. In enger Abstimmung mit dem Denkmalamt und der Altstadtkommission wurde die historische Struktur freigelegt und lediglich ein neuer Treppenaufgang geschaffen, der nun auch innen liegend den Hofflügel erschließt, der früher nur über einen Balkon zugänglich war. Anstelle eines steilen Pultdachs wurden diesem Hoftrakt zwei Ebenen mit Hotelzimmern aufgesetzt. Das Haupthaus blieb in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten, die Fassade wurde denkmalgerecht saniert. Mehrere Achsen im Erdgeschoß schloss die Architektin durch gut gesetzte Durchgänge zu einem Kontinuum mit unterschiedlichen Gewölben zusammen, die jetzt eine Café-Bar mit kleiner, offener Küche, die Rezeption und den Treppenaufgang enthalten. In diesem zur Straße gewandten Bereich, der vermutlich auch in früheren Zeiten unterschiedliche Funktionen hatte und jetzt noch durch Stufen unterbrochen wird, entstanden atmosphärisch differenzierte Orte des Verweilens. Das radikal Neue zeigt sich erst, wenn man mit Lift oder Treppe an Höhe gewinnt und aus dem Hofhaus hinaus auf eine der oberen Hangterrassen tritt. Dem dritten Bestandsgebäude im Hof, einem frei stehenden, dicht am Fels gebauten Stöckl wurde ein Geschoß aufgesetzt, das nun von oben über eine kleine Terrasse mit Wiesenfläche erreicht wird. Noch höher, eine Terrassenstufe weiter, das einzige gänzlich neue Implantat: ein kleines Hofhaus für ein Apartment und die Toiletten für die Nutzer der Freiräume. Ensemblewirkung mit den beiden Dachaufbauten entsteht, weil alle drei Dächer wie eine Plastik bearbeitet und geformt und über die Fassaden hinab mit Kupferblech überzogen wurden. Spürbar ist auch, dass der kleine Neubau in einem guten Verhältnis zum überbauten Bestand steht. Lage und Proportion sind wohlüberlegt. Das erzeugt Spannung.

Mit diesen Einbauten, aber auch mit der Vielfalt der Freiräume unter Einbeziehung vorhandener Geländestufen und der neu genutzten Terrassen, Treppen und Zugangswege entsteht ein lebendiges Ganzes – erkennbar als Zeitschicht von 2020. Dass die Gratwanderung zwischen Bewahrung und Erneuerung im historischen, über die Jahrhunderte unterschiedlich genutzten Denkmal mit diesem Plan gelingen kann, erkannte die Grazer Altstadtkommission offensichtlich und genehmigte ihn trotz der sensiblen Lage am gut einsehbaren Abhang des Schlossbergs. Für den Bauherrn war die Erweiterung unabdingbar, entstand doch auch mit den Aufbauten nur eine Anzahl an Zimmern, die für kühle Rechner noch immer weit unter den üblichen Grenzen der Wirtschaftlichkeit liegt.

Die Gäste erwarten 21 individuell gestaltete Zimmer, die mit dem Lift, im Stiegenaufgang oder über den kleinen Innenhof erst gefunden werden wollen. Wenn auch unter den riesigen Dachflächen das Gebälk sichtbar blieb, so zeigt sich doch überall im Inneren das Bedürfnis der Architektin, dem Haus ohne rechte Winkel eine frische, unkonventionelle Note zu verleihen. Sanitärzellen bleiben als Raum im Raum ersichtlich, und die Treppe ins oberste Geschoß wird als formschönes, kompaktes Möbel gestaltet. Wo nichts im Lot war, wurden Böden so verlegt, dass Puristen vermutlich die Nase rümpfen – schräg, in ungewöhnlichen Formaten und im Materialmix Naturstein und matt belassenes Holz. Nichts wirkt luxuriös. Öffentliche Bereiche wie das Café, das auch der Frühstücksraum für die Hotelgäste sein wird, sollten die Intimität von Wohnräumen spiegeln. Was man aus Lokalen in hippen Stadtquartieren von Berlin oder München kennt, findet sich auch hier – Naturmaterialien und Detailverliebtheit, ein üppiger Mix an Mobiliar und überall Kunst an den Wänden.

Am Kai Nummer 36 wurde auf äußerst schwierigem Terrain ein Mehrwert geschaffen, der zeigt, dass Erhaltung und sensibles Weiterbauen unserer historischen Stadtlandschaften nicht nur notwendig sind, um eine Stadt am Leben zu halten, sondern auch befruchtend schön sein können. Die Jury der Geramb-Rose 2020 sah im Hotel „ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein Bestandsobjekt, das für eine ganz andere Nutzung vorgesehen war, eine neue räumliche Vielfalt entwickeln kann“. Der Gast, der in jeder Stadt das Besondere finden und hinter die Kulissen, die historischen Fassaden, blicken will, wird hier das Gefühl haben, ins Innere vorgedrungen und für die Zeit seines Aufenthalts willkommen zu sein.

Spectrum, Sa., 2020.12.12



verknüpfte Bauwerke
Kai 36

21. August 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Vom Lärm der Dächer

Wer das Flachdach ablehnt, wenn es um landschaftsverträgliches Bauen geht, macht es sich zu leicht. Die Baugeschichte lehrt uns, dass Eingliederung ein komplexes Thema ist – es setzt das Erkennen der Vorzüge einer Landschaft voraus.

Wer das Flachdach ablehnt, wenn es um landschaftsverträgliches Bauen geht, macht es sich zu leicht. Die Baugeschichte lehrt uns, dass Eingliederung ein komplexes Thema ist – es setzt das Erkennen der Vorzüge einer Landschaft voraus.

Die Sache sei spätestens seit den 1990ern „gegessen“, dachte ich, bis ich auf der letzten Seite der Immobilienbeilage einer Tageszeitung auf diesen Artikel stieß. Ich musste gar nicht nachdenken, war vielmehr aus dem Bauch heraus überzeugt davon, dass das, was hier behauptet wurde, kein Thema sei, das man heute noch in Grundsätzlichkeit bespricht.

Mit der Frage als Aufhänger, ob ein „Tiny House“ ins Ortsbild passt, wurde kurzerhand abgehandelt, wodurch, oder besser: womit ein harmonisches Bild in Orten und Landschaften gestört werden kann. Was ein erschöpfendes Thema für eine gründliche wissenschaftliche Abhandlung wäre, wurde da, munter durcheinandergewürfelt, nicht mehr als angerissen: die zunehmende Individualisierung Bauwilliger, das Auffallen, dem entsprechend sich nicht eingliedern wollen, der Wunsch nach dem Bauen auf der grünen Wiese, daraus folgend Zersiedelung und – das Flachdach. Nun sehe man aber langsam, dass bestimmte Bauformen sich tatsächlich „schwerer in ein harmonisches Landschaftsbild eingliedern“, wurde der neue Baukulturkoordinator im Amt der Steiermärkischen Landesregierung zitiert. Das Flachdach gehöre dazu. Der Experte vergleicht es mit Lärm, konnte man lesen. Ähnlich wie laute Musik könne es im Landschafts- oder Stadtbild auch visuelle Reize geben, die eine gewisse Grundharmonie stören.

Einiges von dem, was danach noch an möglicher Störung aufgezählt wurde, konnte ich ohne Einschränkung nachvollziehen: schrille Farben etwa und auffällige Werbemittel, als Werbungen tituliert. In hügeligen Gegenden störten besonders große Baukörper und Flachdächer eine gewisse Grundharmonie, stand da. Ersteres war mir zu pauschal, und die Behauptung, dass sich das Flachdach als Bauform in hügeliger Landschaft schwerer eingliedern oder einpassen lasse, war gar nicht nachvollziehbar. Ich war baff. Hatte meine Mutter mich vergeblich studieren lassen?

Schon in den ersten Semestern des Studiums hatte mich Frank Lloyd Wrights Kaufmann-Haus, das als „Fallingwater“ 1939 in die Architekturgeschichte einging, maßlos beeindruckt. Dieses Ferienhaus, das direkt über einem Wasserfall errichtet worden war, war nicht in der Natur, vielmehr mit der Natur gebaut. Eine einzigartige Synthese – trotz auskragender Terrassen und, ja, Flachdach. Die Eingliederung der Architektur in ihre Umgebung gelang mit präzise gesetzten Kontrasten: die großen Felsblöcke gegen die Linearität der horizontalen Stahlbetonbrüstungen, ihre Glätte gegen das Grobe des aufsteigenden Steinmauerwerks, das mit den Baumstämmen zu verschmelzen scheint. Wright soll von Harmonie gesprochen haben und meinte damit ein Ganzes: das Gebäude und seine Umgebung bis hin zur Pflasterung und Bepflanzung. Voraussetzung war für ihn neben der Berücksichtigung des menschlichen Maßstabs ein ehrfurchtsvolles Verständnis für die „Natur der Natur“. Das schrieb Dietmar Steiner im Aufsatz „Die Natur der Landschaft“, der sich in seinem Buch „Häuser im Alpenraum“ aus 1983 findet.

Bei Steiner finde ich auch ein österreichische Beispiel einer „bedingungslosen Einordnung des Baukörpers in die umgebende Landschaft und die natürliche Formation des Terrains“, das mich just zu einem Zeitpunkt während des Studiums begeisterte, als wir Bauforschung anhand historischer Bauten der landwirtschaftlichen Nutzung betreiben mussten. Es war das Haus Heyrovsky von Lois Welzenbacher, 1932 fertiggestellt. Bei all den Unterschieden, ja Gegensätzen zwischen den bäuerlichen Nutzbauten, für die wir damals präzise Aufmaß und Zeichnung erstellten, und dem Ferienhaus für die Familie eines Wiener Chirurgen auf dem Hang über dem Zeller See gab es auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Klar, die Städter hatten andere Bedürfnisse als die Bauern, die den Tag im Freien, in der Natur verbringen und sich abends in die warme Stube zurückziehen. Welzenbacher konzipierte das Haus auf die Vorstellung hin, Sonne und Natur gleichsam ins Haus zu holen. Es öffnet sich der Landschaft und den Himmelsrichtungen über einen großen Bogen, über Panoramafenster und den stufenlosen Übergang auf eine große, von Balkon beschattete Terrasse, die wiederum eingebettet ist in die sie umgebende Wiese. Das Haus wurde mit einem fast flachen Dach aus Blech gedeckt.

Gemeinsamkeiten mit dem Typus des südsteirischen Bauernhauses auf dem Hang? Doch! Nicht die Baumaterialien, nicht die Form des Baukörpers oder die Fenstergrößen lassen gedankliche Assoziationen entstehen, sondern generell die Haltung zur Landschaft und zum Hang. Das flache, horizontal betonte Haus Welzenbachers duckt sich gleichsam in eine Mulde des Geländes, zeigt talseitig zwei Etagen, bergseitig ein Geschoß weniger und dieses mit Holz verschalt. Bauernhäuser auf dem Hang wurden an windgeschützten Plätzen im Gelände positioniert, orientierten sich immer an den Höhenschichtenlinien und waren demnach schmal und lang. Nie hätte ein Bauer früher gemacht, was heute selbstverständlich scheint, wenn man in hügeligem Gelände baut: den Grund aufschütten, künstlich modulieren, ein für horizontales Terrain geplantes Haus draufsetzen – als wäre ganz Österreich wie die Niederlande.

August Sarnitz, der 1989 in Eigendefinition eine Werkgenealogie zu Welzenbachers Bauten verfasste, spricht beim Haus am Zeller See von organischer Architektur und interpretiert „organisch“ hier als die ideale Verbindung von Bauwerk, Material und Landschaft. Unser Experte würde diese vermutlich mit Grundharmonie bezeichnen. Moment mal, trotz des flachen Dachs? Dessen bin ich mir sicher, denn unser Experte ist in der Lage, Qualität zu erkennen. Er würde mit Sarnitz übereinstimmen, der schreibt: „Im Bereich des landschaftsgebundenen Bauens gelang Welzenbacher mit diesem Haus ein Meisterwerk, das in Europa zu jener Zeit einzigartig war.“

Lassen wir den scharfsichtigen, heuer viel zu früh verstorbenen Dietmar Steiner noch einmal zu Wort kommen, der zum selben Haus 1983 schrieb: „Die architektonische und künstlerische Qualität dieses Entwurfs ist auch nach fünfzig Jahren noch ein bleibender Vorwurf an jene, die das Bauen im Alpenraum an der Dachneigung bestimmt wissen wollen und außerstande sind, eine tatsächlich rücksichtsvoll in die Landschaft eingepasste Architektur zu erkennen.“ Dies sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die den alten Glaubensstreit „Flachdach versus Steildach“ aufwärmen.

Landschaftsgebundenes Bauen setzt das Erkennen der Qualitäten, der Vorzüge und Eigenheiten, aber auch der Herausforderung voraus, die ein Baugrund in der Landschaft ist. Dabei können geschulte Augen helfen. Den Bauwilligen ist eine tiefgehende innere Befragung ihrer eigenen Wohnbedürfnisse zu raten. Was daraus entstehen kann, wird passgenau – nimmt Rücksicht, fügt sich ein, entsteht mit der Natur. Steildach oder Flachdach? Zweitrangig.

Spectrum, Fr., 2020.08.21

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Presseschau 12

20. August 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Wo die Jungen daheim sind

Kann gute Architektur soziale Wirksamkeit entfalten? Das Jugendzentrum Echo im Norden von Graz macht deutlich, mit welchen gestaltenden Ideen und welchem Anspruch an Qualität dies möglich wird.

Kann gute Architektur soziale Wirksamkeit entfalten? Das Jugendzentrum Echo im Norden von Graz macht deutlich, mit welchen gestaltenden Ideen und welchem Anspruch an Qualität dies möglich wird.

Architekturkritik scheint aus der Mode gekommen zu sein. Man könnte konstatieren, dass an ihre Stelle die Architekturberichterstattung getreten ist, selbst in einschlägigen Fachmedien, die ihre Beiträge an eine geschulte Leserschaft richten und im Gegensatz zu den Tageszeitungen kaum die Aufgabe der Architekturvermittlung wahrnehmen müssten. Information über das aktuelle Geschehen in Architektur und Stadtentwicklung – ja. Doch könnte oder sollte es nicht genauer und differenzierter, wie durch ein Brennglas, betrachtet werden, um als konstruktive Kritik im Sinne der aus dem Griechischen kommenden Wortbedeutung von Wert sein zu können?

Ich sage es gleich: Mein Ehrgeiz ist nicht, Neuigkeiten mitzuteilen, auch wenn ich mich eher dem Feld der Architekturvermittlung verpflichtet fühle. „Wohlwollende Architekturkritik“ war sie für Walter Zschokke, den viel zu früh verstorbenen Kollegen, der mich vor mehr als 20 Jahren ins Schreiben über Architektur für das „Spectrum“ eingeführt hat. Mein Ansinnen ist, eine Art des Betrachtens zu üben, die eingehender ist, die länger andauert und den Blick auch einmal von der Seite oder aus dem „Off“ auf den Gegenstand der Betrachtung wirft.

Drei Jahre sind vergangen, seit das Jugendzentrum Echo in Graz eröffnet wurde. In der Stadt gibt es ein Dutzend Einrichtungen für offene Jugendarbeit, die ein Beitrag zu gesellschaftlicher Teilhabe und Integration sein soll. Zwei davon wurden in den vergangenen Jahren neu errichtet – durch inhaltliche und budgetäre Vorgaben sorgfältig vorbereitet durch die Abteilung GBG – Grazer Gebäude- und Baumanagement, die dafür einen geladenen Architekturwettbewerb ausgeschrieben hatte. Ihr obliegen alle Bauvorhaben der Stadt Graz.

Bei meinem Erstbesuch traf man viele Fachleute, die jeden Winkel inspizierten, doch kaum Jugendliche. Gut kommuniziert wird, wofür das neue Jugendzentrum als niederschwellige Einrichtung für die Freizeit stehen sollte: als Ort der Begleitung in Selbstständigkeit und Mündigkeit, als Ort für den Erwerb von Bildungsinhalten, die für alltägliche Handlungs- und Sozialkompetenzen wichtig sind. Zur Unterstützung und Anregung, um das eigene Entdecken von Ressourcen und Potenzialen zu fördern. Letztlich steht es auch für ein zweites Zuhause, besonders für bildungs- und sozial benachteiligte Jugendliche, die beengten Wohnverhältnissen entfliehen können.

Ich wollte wiederkommen und das Haus, das mich bei der ersten Begegnung neugierig gemacht hatte, in Betrieb erleben. Ich wollte sehen, ob mein fachliches Sensorium, meine Interpretation von Städtebau und Architektur – von Struktur und Raumangebot, Nutzungsqualität und Atmosphäre – in eine Übereinstimmung gebracht werden kann mit den postulierten Zielen der Arbeit mit Jugendlichen. Ob soziale Themen mit Architektur gelöst werden können, ist eine immer aktuelle Frage. Betrachtet man die Architekturgeschichte, so ist sie zu verneinen – was nicht heißt, dass die Architektur nicht Lösungen anbieten kann. Architektur mit Engagement kann im Einzelfall als „sozialer Raum“ wirksam werden.

Diese Erkenntnis gilt für das Jugendzentrum Echo, ein Entwurf von Pürstl Langmaier Architekten, in erfreulicher Weise. Die beiden haben es meisterlich verstanden, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und gemeinsamem Tun wie nach Rückzug – unter sich sein und Ruhe finden – gleichermaßen gut räumlich zu verorten und verteilen.

Es beginnt mit der Lage des Gebäudes, in der Mitte eines idyllisch gelegenen Wiesenstücks, zwischen einer steilen Böschung und dem kleinen Wasserlauf des Mühlgangs an der Leuzenhofgasse, gerahmt von altem Baumbestand. Schon die Annäherung von der Wienerstraße ist niederschwellig, kann langsam erfolgen. Zwischen dem Hauptbau und einem kleineren, dem Zugang näheren Baukörper, der die Werkstatt und ein Lager birgt, wird ein großer überdachter und befestigter Vorbereich aufgespannt. Hier kann Tischtennis gespielt, Rad gefahren oder gebastelt werden, und von hier geht es auf die freien Wiesenflächen, die als Bewegungs- und Sportplatz oder Pflanzbereich in Hochbeeten genützt werden. Das Haupthaus ist bis auf wenige abschließbare Räume gut zu überblicken. Sein Kern ist ein lang gestreckter, großer Gruppenraum, der durch Theke und Küchenzeile, durch von den Jugendlichen zusammengebaute Sitzmöbel und einen Fußballtisch in Zonen unterschiedlicher Aktivitäten geteilt wird.

An diesen zentralen Aufenthaltsbereich docken die Architekten unregelmäßig drei Kuben mit niedrigerer Raumhöhe an, die nach innen mit Glasfronten abschließbar sind und damit Rückzugsbereiche für Einzelarbeit, Indoorsport oder Lernen bilden. Die Vorgabe der Einsehbarkeit zu Innen- und Außenbereichen wird auch mit großen Fensterelementen zwischen den Kuben erfüllt. Abgeschlossen, auch akustisch, sind ein Musikproberaum und das Büro. Ein Bereich für Mädchen, die hier wie in den meisten Jugendzentren eine Minderheit bilden, ist bei Bedarf abtrennbar. 2019 war der Anteil der Mädchen gegenüber Vorjahren und dem Vorgängerhaus bereits erfreulich gestiegen, wie sich überhaupt die Anzahl der jugendlichen Besucher von zwölf bis 19 und die Summe der Kontakte fast verdoppelt hatten. Der Kontakt zu vielen blieb auch in der Pandemie, bei geschlossenem Zentrum, aufrecht. Das macht deutlich, wie wichtig besonders für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund in engen Wohnungen das Zentrum als Treffpunkt und erweiterter „Wohnraum“ ist.

Wohnatmosphäre, ganz ohne unnötiges Möbelhaus-Chichi, verbreitet auch der Werkstoff Holz, der von den Architekten dominant eingesetzt wurde – konstruktiv als Holzmassivbau und mit den Oberflächen der Brettsperrholzplatten in allen Räumen, die unbehandelt blieben. Dass die Burschen und Mädchen zur Mitgestaltung der Innenräume ermuntert wurden und die Theke ein Gemeinschaftswerk ist, schaffte, wie man an den steigenden Zahlen von aktiv Teilhabenden sehen kann, Identifikation und Verbundenheit mit dem Haus. Mehrmals im Jahr an Samstagnachmittagen ist das Zentrum als Repair-Café für alle geöffnet. Bald wieder! Eine Ermunterung, selbst zu sehen und zu spüren, dass gute Architektur auch soziale Wirksamkeit entfalten kann.

Spectrum, Fr., 2021.08.20



verknüpfte Bauwerke
Jugendzentrum ECHO

04. August 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Geborgen im Kindergarten – so baut man in Zeiten des Klimawandels

Nahe Graz und damit weit entfernt von der eigentlichen Stätte ihres kreativen Wirkens, konnte das Architekturbüro Berktold Weber einen Kindergarten verwirklichen, der viel über Vorarlberger Erfahrung im Umgang mit Holz verrät.

Nahe Graz und damit weit entfernt von der eigentlichen Stätte ihres kreativen Wirkens, konnte das Architekturbüro Berktold Weber einen Kindergarten verwirklichen, der viel über Vorarlberger Erfahrung im Umgang mit Holz verrät.

Stärker und nachhaltiger als alles andere – als die Konjunkturlage oder hohe Preise für Grundstücke und Baukosten – werden der Klimawandel und die Pandemie für künftiges Baugeschehen bestimmend sein. Schon jetzt berichtet die Immobilienbranche, dass ein Trend zum Wohnen im nahen Umfeld der Städte bemerkbar ist, wo man das Ländliche, Landschaft und Grün, noch zu finden hofft. Balkone und Terrassen gelten als Basics, will man Wohnungen gut verkaufen. Für Schulen wird der Einbau von Anlagen zum Luftaustausch diskutiert, und neugebaute Lernorte wie der Schulcampus in Neustift im Stubaital von fasch&fuchs.architekten, die eine enge Verschränkung von Innen- und Außenraum bieten, haben bei allen Qualitätsbewertungen in Fachkreisen „die Nase vorn“. Dass Häuser energieeffizient geplant sein müssen, also Energiekosten und Kosten für den Betrieb über die gesamte Lebensdauer von Gebäuden mitberechnet werden, ist heute „State of the Art“.

Das Erfreuliche: Mehr und mehr österreichische Kommunen machen Themen wie sparsamen Verbrauch von Boden, von Ressourcen aller Art und Nachhaltigkeit zum programmatischen Teil von Entwicklungskonzepten. Die Marktgemeinde Lannach, rund zwanzig Kilometer südwestlich von Graz, zählt dazu. Nach dem gelungenen Neubau eines Gemeindezentrums setzt man den Weg mit Qualitätsarchitektur fort. 2017, als mehr Kindergarten- und erstmals Kinderkrippenplätze nachgefragt wurden, schrieb man einen geladenen Architekturwettbewerb aus, den das in Vorarlberg ansässige Architekturbüro Berktold Weber gewinnen konnte.

Das neue Gebäude liegt am Rand einer sehr großen, leicht abschüssigen Wiese, die als Erholungsbereich der nahe gelegenen Volksschule und eines kleinen Kindergartens dient. Der räumliche Zusammenhang war erwünscht, auch wenn der Zugang zum neuen Kindergarten mit Kinderkrippe über eine andere Straße erfolgen sollte.

Es gibt Räume, in denen man sich von Anfang an gut aufgehoben und geborgen fühlt, ohne dass einem bewusst ist, was diese Empfindung auslöst. Das Material Holz und besonders Oberflächen in Holz tragen dazu bei, eine Atmosphäre des Wohlfühlens zu schaffen. Helena Weber und Philipp Berktold konzipierten den konstruktiven Aufbau mit Holz als Wunschmaterial der Gemeinde unter „Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten“ – so, wie es im Ausschreibungstext verlangt wurde. Massive Veränderungen des Geländes wie Aufschüttungen wurden vermieden. Alle erdberührenden Teile am Hang einschließlich der Bodenplatte sind aus Beton und bilden eine Art Sockel, der von der Zugangsseite als solcher erkennbar ist und die Erschließung und die Nebenräume enthält. Die Hauptebene mit den Aufenthaltsräumen liegt darüber an der großen Wiese. Ihre Außenwände sind hochwärmegedämmte Holzrahmen mit Stahlstützen als Verstärkung, um bei Bedarf später ohne hohe Mehrkosten den Kindergarten durch Aufstocken erweitern zu können. Auf die Gruppenräume des Kindergartens können so in kurzer Zeit, sogar bei laufendem Betrieb, zwei weitere Einheiten aufgesetzt werden. Das ist klug gedacht und geplant, denn die gut erschlossenen Orte südlich von Graz wurden, gerade jetzt, zum stark nachgefragten Lebensmittelpunkt.

In der derzeitigen Ausbaustufe sind die Räumlichkeiten von Kindergarten und Krippe L-förmig um einen Spielhof angegliedert, der wie ein geschützter Innenhof wirkt, weil er seine Grenzen zur großen Wiese durch zarte Stützen und ein umlaufendes Band in Holz andeutet. Als Zwischenzone zum Spielplatz fungiert eine Terrasse, die durch einen weiten Dachüberstand geschützt wird. So kann der Außenraum das ganze Jahr über als Erweiterung genützt werden, als Plein-Air-Lern- und Spielort, der im Sommer mit Tischen bestückt ist und im Winter dem Bewegungsdrang der Kleinen entgegenkommt.

Das Hauptgeschoß wirkt als singulärer Körper, sodass der Kindergarten auch von der Zufahrt her nicht als zweigeschoßig wahrgenommen wird. Es dominiert das Obergeschoß, das zugleich leicht und kompakt auf einem Sockel sitzt, der sich in jeder Hinsicht zurücknimmt. Zum Spielhof hin dominieren raumhohe Glasfronten, die das Innere mit dem Außenraum fast verschmelzen lassen und optimalen Luftaustausch ermöglichen. An drei Außenseiten der Hauptebene schließt ein Balkon an, der durch ein Geländer aus Glas begrenzt wird – Blickfreiheit, abwechselnd mit Holzlamellen, die, gezielt gesetzt, eine Art zweite Haut bilden. Sie erzeugen wechselnde, lebendige Lichtstimmungen. Die abgestuft gegliederte, feine Holzfassade wirkt wie ein Vorhang vor der Fassade. Für die Architekten soll diese „Neststruktur“ Geborgenheit vermitteln.

In den Gruppenräumen sind Gruppendynamik, Zuschauen vom Rand aus oder auch Rückzug individuell möglich. Für die Kleinsten gibt es einen Aufenthaltsraum mit definierten Spielecken und Kletterlandschaft, den Schlafraum und den Bereich mit großem Esstisch und kleiner Küche, der als offen zugängliche Zone für alle mit Blick in den Garten geplant wurde.

Schön, dass die Architektin und der Architekt auch mit ihren Ideen zur Möblierung überzeugen. Das große, multifunktionale Einbaumöbel mit Galerie in den Gruppenräumen, die kleinen dreidimensionalen Landschaften zum Klettern und nahezu alle Möbel tragen ihre Handschrift. Was dadurch entstehen konnte, ist ein atmosphärisches Ganzes, sind freundlich-helle Räume zum Wohlfühlen, eingebettet in Weißtanne an den Wänden, in eine schallabsorbierende Holzakustikdecke und ein dezentes Farbkonzept für Raumteiler und Regalflächen.

Was der Gesamteindruck auch deutlich macht: Es bedarf hoher Kunstfertigkeit, jedes noch so kleine Detail mit großem Können und Wissen um seine Wirkung zu planen und dabei nicht das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Großzügigkeit und spürbare Wertschätzung, nicht nur für das Material Holz, sondern auch für die Arbeit der Pädagoginnen, prägen die Atmosphäre in diesem Gebäude. Das ist besonders beachtenswert, weil hier nicht nur Vorarlberger Sorgfalt und Präzision ihren Ausdruck finden, sondern auch die offensichtlich gelungene Zusammenarbeit mit regionalen Gewerbe- und Handwerksbetrieben vom Zimmerer bis zum Fenster- und Möbelbauer.

Spectrum, Mi., 2021.08.04



verknüpfte Bauwerke
Kindergarten / Kinderkrippe Mühlgasse, Lannach

20. Juli 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Wie viel Grün darf bleiben?

In Graz und Umgebung gewinnt man derzeit den Eindruck, dass schier alles, was an Grund und Boden noch zu haben ist, mit Wohnungen verbaut wird, ohne dass die Stadt regulierend eingreift.

In Graz und Umgebung gewinnt man derzeit den Eindruck, dass schier alles, was an Grund und Boden noch zu haben ist, mit Wohnungen verbaut wird, ohne dass die Stadt regulierend eingreift.

Baukräne, Schwerverkehr und Baustellenlärm – wo immer man derzeit Graz durchquert, ist zu sehen, dass selbst die Pandemie dem Bauboom in der zweitgrößten Stadt Österreichs nichts anhaben konnte. Das ist einfach zu erklären, befanden sich die derzeit überall in die Höhe wachsenden neuen Quartiere, Siedlungen und Wohnblöcke doch schon vor 2020 im Status von Planung und Genehmigungsverfahren. Nicht einleuchtend hingegen ist die Tatsache, dass sich von Jänner 2016 bis Jänner 2021 bei einem Bevölkerungszuwachs von 16.098 Personen eine Steigerung der Wohnungsanzahl um 26.322 feststellen lässt. Rund 331.000 in Graz Gemeldeten stehen derzeit mehr als 202.000 Wohnungen gegenüber. Schon 2017 wurde im Wohnbericht der Stadt Graz der Leerstand von Wohnungen, den man anhand des nicht vorhandenen Stromverbrauchs auch exakt feststellen könnte, mit 6000 bis 7000 geschätzt.

Nun liegt mir ferne, die Leser mit trockenen Zahlen und Statistiken zu langweilen, aber einige geben uns einen Ausblick auf die zu erwartende Entwicklung von Graz – etwa jene, die einer detaillierte Aufstellung eines Vereins zu entnehmen ist, der sich „Unverwechselbares Graz“ nennt. Die zivilgesellschaftliche Initiative, der ein ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamts ebenso angehört wie Soziologen und Lehrende der FH, macht sich stark für eine sensible, restriktivere Steuerung der Stadtplanung, um identitätsstiftende Charakteristika von Straßenzügen und Stadtvierteln erhalten zu können. In ihrer Recherche fand die Gruppe heraus, dass der vorgenannten Zahl von mehr als 200.000 Wohnungen noch rund 15.000 hinzugefügt werden müssen, die derzeit „in der Pipeline sind“. Mit klingenden Bezeichnungen wie „Wohntraum“ werden diese von Bauträgern bereits beworben, scheinen aber in der Statistik, die im vorigen Jahr nur einen Bevölkerungszuwachs von 203 Personen ausweist, noch nicht auf.

Es gibt also keinerlei Korrelation zwischen dem Wohnungsbedarf in Graz und den seit 2016 geplanten Wohnungen. Was überwiegend gebaut wird, ist ein Angebot an Anleger, das aufseiten der Bauträger offen als solches beworben wird. Euphemistisch werden sie „Vorsorgewohnungen“ genannt. Diesen Umstand zeigt auch die Gesamtzahl der geförderten Mietwohnungen, die in den fünf Jahren für die gesamte Steiermark bei 5000 liegt. Man könnte anmerken, dass, wer keine Zinsen erhält für sein Erspartes, doch frei sein muss in der Entscheidung, welche Geldanlage er wählt. Dass der freie Markt regelt, ob das Investment in eine Wohnung gewinnbringend sein wird oder nicht, weil der Markt gesättigt ist.

Das gilt nicht, wenn es um Stadtentwicklung und Stadtraumordnung geht. Stadtplanung hat vorausschauend tätig zu sein und Rahmenbedingungen für eine geregelte Entwicklung vorzugeben, die dem Wohl und den Grundbedürfnissen aller Bürger Rechnung trägt und nicht nur den Partikularinteressen Einzelner, die „naturgemäß“ dort bauen wollen, wo sich mit Grundstückskauf und Baukosten noch satte Gewinne ausgehen. Als Geschäftsmodell ist dies nachvollziehbar, kann jedoch nicht die Basis für weitreichende Entscheidungen sein – für das Wo, Wie, in welchem Ausmaß und welchem Tempo sich eine Stadt entwickelt.

Verdichtung ist die Devise im aktuellen Stadtentwicklungsprogramm. Gebaut werden soll nur dort, wo Infrastruktur, Erschließung und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr gegeben ist. Schaut man sich das jetzige Wohnangebot an, so findet man sowohl Bauträgerwettbewerbe nach dem „Grazer Modell“ für Quartiere am Stadtrand, die ohne öffentliche Anbindung an Bus oder Straßenbahn im Takt genehmigt wurden, wie auch Beispiele von massiver Verdichtung im Villenviertel, das unzureichend erschlossen ist. Die Problematik solch ungezügelten Baubooms liegt jedoch nicht in einzelnen „Ausreißern“, sondern in der Tatsache, dass er generell den großen Herausforderungen einer modernen Stadtplanung nicht genügt. Die müsste durch gezielte Maßnahmen Quartiersbildung fördern. Stichworte: Durchmischung von Arbeit, Wohnen und Dienstleistungen mit öffentlichen Einrichtungen und Stadtäumen sowie eine Vielfalt von Bewohnergruppen in jedem Stadtteil. Bei einem zu großen Anteil an derzeit gefragten Mikrowohnungen sind häufiger Mietwechsel und Leerstand vorprogrammiert. So können Wohnanlagen dieser Art auch zu sozialen Problemfeldern werden. Was dann?

Sollte in einer Zeit von Klimaveränderung und drohenden Klimakatastrophen nicht die bauliche Entwicklung des urbanen Raums dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und so gering wie möglich gehalten werden? Seit Jahren appelliert selbst die Hagelversicherung, die enorme tägliche Versiegelung von Boden in Österreich zu stoppen. In Graz werden hochpreisige Angebote mit zweistelliger Wohnungszahl und entsprechender Menge an Autoabstellflächen an die Stelle von Einfamilienhäusern mit Gartengrund gesetzt. Immer noch ist Kahlschlag von altem Baum- und Strauchbestand zu beobachten, der nur unzureichend durch Neupflanzungen ersetzt wird. Bauträger haben nach wie vor das Recht, den als Maximum festgelegten Wert der im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Bebauungsdichte auszunützen, und tun das auch.

All das trägt dazu bei, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs mit 34,1 Prozent in Graz erschreckend hoch ist und noch zunehmen wird. Konzepte für eine bessere Versorgung mit öffentlichem Verkehr sind also gefragt – auch um die riesige Menge der individuell anreisenden Pendler zu stoppen. Und es gibt sie: mehrere Verkehrskonzepte, präsentiert von den regierenden Stadtparteien, von der Opposition, der zuständigen Verkehrsstadträtin, von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen wie „Move it“, die sich fürs Radfahren einsetzen, und sogar von einzelnen, unbezahlt arbeitenden Architekten und Stadtplanern, denen die Stadt am Herzen liegt.

Problematisch sieht eine Gruppe Architekten um Stoiser Wallmüller, die gerade eine Verkehrsanalyse für Graz vorgestellt hat, die Tatsache, dass die aktuellen Mobilitätskonzepte unabhängig voneinander und nicht auf Basis einheitlicher Grundlagen erstellt wurden. Forcierte Modelle wie die Minimetro der Stadtregierung, S-Bahn oder die Straßenbahn können so kaum vergleichend untersucht und evaluiert werden. Dass ein Gutteil von Modellen und Studien zur Entwicklung der Stadt nicht von Abteilungen der Stadtverwaltung beauftragt wurde, die für die Stadtentwicklung arbeiten, kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Die Bürger wollen ein Mitspracherecht für ihren Lebensmittelpunkt haben. Dieses Grundrecht einer aufgeklärten Gesellschaft entlässt die Stadtregierung und Stadtplanung allerdings nicht aus der Verpflichtung, die Stadt für alle gedeihlich zu entwickeln.

Spectrum, Di., 2021.07.20

28. April 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Bauen um jeden Preis?

Resorts, Chalets, Lodges: Große Bauprojekte als lukrative Investments sollen der Südsteirischen Weinstraße einen touristischen Höhenflug bereiten. Doch der Bauboom in der geschützten Kulturlandschaft ist umstritten.

Resorts, Chalets, Lodges: Große Bauprojekte als lukrative Investments sollen der Südsteirischen Weinstraße einen touristischen Höhenflug bereiten. Doch der Bauboom in der geschützten Kulturlandschaft ist umstritten.

Mitte April im Südsteirischen Weinland. Es ist ein grauer, ungewöhnlich kalter Tag, von den frisch verschneiten Nordhängen des Pachern bläst eisiger Wind. Ich fahre von Ehrenhausen, dem „Tor“ zur Weinstraße, einem historischen Kleinod, auf die Hügel und Höhen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig zur touristischen Destination entwickelten. Ich will mir ein Bild machen von dem, was ich kürzlich mit ungläubigem Staunen der Zeitung entnommen hatte.

Berichtet wurde, dass Dutzende millionenschwerer Projekte in Planung und schon in Bau seien, da im vorigen Jahr die Region bis in den Spätherbst regelrecht gestürmt worden sei von Gästen. Vom Wirtschaftstreuhänder aus Bayern war die Rede, der schon seit Jahren aufkauft, was im „letzten Schlaraffenland Europas“ an Gaststätten, Beherbergungsbetrieben und Rebflächen zu haben ist. Von einer Rebenhof Living GmbH, die ein „Zuhause in der wunderschönen Südsteiermark am höchsten Punkt der Südsteirischen Weinstraße“ in 74 Chalets und Appartements bewirbt – offensichtlich ein Angebot für Zweitwohnsitze. Und vom Grazer Industriellen mit einem Faible für zeitgenössische Architektur, der den bekannten ehemaligen Buschenschank auf dem Jägerberg kaufte, um dort ein feines Seminarhotel mit Feinschmecker-Restaurant zu „entwickeln“.

Seit 1992 trägt das Südsteirische Weinland das Prädikat Naturpark. Es gibt ein überörtliches Entwicklungsprogramm für die Region, in dem als oberste Prämisse die Erhaltung der typischen Kulturlandschaft als Lebensraum für Bewohner und Gäste festgeschrieben ist. Ulrike Elsneg zeigt in ihrer Masterarbeit „Kulturlandschaftsdynamik in der Südsteiermark“ eindrücklich auf, dass schon seit Jahrzehnten strukturelle Kleinteiligkeit und Vielfalt – das Neben- und Miteinander von kleinen Streusiedlungen und einzelnen Hofstellen zwischen Weingärten mit Rainbegrenzungen, Streuobstwiesen, Ackerflächen und Laubwaldstücken – zurückgehen. Die geplanten Investments, eine massive Zunahme an Bauland und Bausubstanz, werden diese Entwicklung rasant beschleunigen. Noch ist die Wirkmächtigkeit des Landschaftsbildes mit seiner charakteristischen Prägung gegeben und vermag jene Anziehungskraft auszuüben, für die man sich mit Großinvestitionen rüsten will.

Fragt man bei kritischen Geistern nach, so fällt immer wieder ein Begriff: Baulandausweisung als „Erholungsgebiet“ – in genauer Definition die Umwidmung von Freiland in Bauland für touristische Zwecke. Eine solche kann im Zuge einer Revision des Flächenwidmungsplans mit Zweidrittelmehrheit durch den Gemeinderat erfolgen. Und sie erfolgt anlassbezogen, so die Kritiker, auf Zuruf und in unterwürfiger Ehrerbietung. Sie müsste viel strenger ausgelegt werden. In der gesetzlichen Verordnung, die 2009 in das Steirische Raumordnungsgesetz eingebracht wurde, finden sich für das Erholungsgebiet höchst unverbindliche Festlegungen wie: „Im Interesse der Erhaltung ihres Charakters können Flächen bezeichnet werden, die nicht bebaut werden dürfen.“ Halt! Können und nicht: müssen? Voraussetzung für von der Gemeinde vorgenommene Baulandausweisungen ist, dass ein Örtliches Entwicklungskonzept vorliegt. Üblicherweise wird damit der Raumplaner der Gemeinde beauftragt. Doch kann dieser seine Aufgabe unabhängig wahrnehmen, will er der örtliche Raumplaner bleiben?

Natürlich wird jedes Konzept auf Basis der Gesetze erstellt und enthält Prämissen wie die „Erhaltung bzw. Verbesserung des regionalspezifischen Landschaftsbildes und der landschaftsraumtypischen Strukturelemente“ und Einschränkungen der Nutzung durch naturräumliche Gegebenheiten, etwa die Topografie. Im ÖEK Gamlitz sind die Beibehaltung der landschaftlichen Gliederung durch das Freihalten von unbebauten Höhenlagen und exponierten Lagen vor weiterer Verbauung sowie die Einbettung von Neubauten in Hanglage festgeschrieben. An Baugenehmigungen für Resorts und Anlagen für Chalets zeigt sich jedoch, dass die Baulandausweisung für touristische Nutzung großen Spielraum für Interpretationen zulässt. Zu großen, finden Kritiker.

Ich fahre weiter, die schmalen Straßen entlang, die an diesem unwirtlichen Tag menschenleer bleiben. Nicht nur einsetzender Eisregen hindert mich daran, ein kleines Gebilde aus Holz und viel Glas näher anzusehen. Es scheint das Musterhäuschen einer Reihe neuer „Lodges“ zu sein, wie ich später auf der Website des Betreibers lese – „Panoramatherapie“ eingeschlossen, Einbettung in die Blumenwiese nur behauptet. Nicht weit danach muss ich einbremsen. Ein Steilhang mit exakt gezogenen Rebzeilen tut sich auf, wie ich ihn im Weinland noch nie gesehen habe. Kein Rain, kein Baum, kein Wiesenstück als Gliederung mildern die Monotonie der hier neu entstandenen Landschaft. Als ich am Eingangstor der ortsfremden Umzäunung „Domaine“ lese, weiß ich, wo ich bin. Hier durfte der Investor, nachdem er aus der Konkursmasse das zu Beginn der Zweitausenderjahre neu entstandene Weingarten- und Weinkellerareal „Terra Gomeliz“ gekauft hatte, kolportierte 30 Hektar Wald zur Rebfläche machen. Weingärten schauen anders aus, auch Chalets, wie sie an dieser Stelle im nunmehrigen touristischen Erholungsgebiet als Erweiterung der bestehenden, „landschaftstypischen Bebauungsstruktur am Grat“ geplant sind.

Noch ist außer einer Großbaustelle nicht viel vom angekündigten Bauboom zu sehen, doch das Bild wird im nächsten Frühling schon ganz anders sein. Die Frage bleibt: Wie lange verträgt die Kulturlandschaft der Weinstraße, dass selbst gegen naturgegebene Beschränkungen gerodet und das Gelände moduliert, dass erweitert, aus- und aufgebaut wird und auf Tausenden Quadratmetern Resorts entstehen? Wann ist der Zeitpunkt gekommen, da das Bild von einzigartiger Schönheit zerstört sein wird?

Zu lange hat man in der Südsteiermark einseitig nur auf Bewusstseinsbildung für Baukultur gesetzt. 2006 wurde in drei Gemeinden ein Gestaltungsbeirat installiert, der heute in dieser Form nicht mehr existiert. Ein Bauherrenbegleiter wurde herausgegeben und 2016 der Region der LandLuft Baukulturpreis zugesprochen. Die Erkenntnis, dass die Kulturlandschaft weniger durch fehlendes Bewusstsein für Baukultur als durch anlassbezogene, zu wenig strenge Auslegung von Schutzbestimmungen und Raumordnung gefährdet wird, ist schmerzhaft. Längst schon müsste die Aufsichtsbehörde mit übergeordneter Verantwortung einschreiten. Erster Widerstand von Ortsansässigen wird laut, und das ist gut so. Für eine breite Einsicht in die Tatsache, dass mit all den geplanten touristischen Großprojekten gerade das „Kapital“ Landschaft mit Wein, das heute für den Wohlstand der Region steht, in seiner Substanz angegriffen wird und zu schwinden droht, braucht es noch viele laute Verbündete.

Spectrum, Mi., 2021.04.28

22. März 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Bad Gastein im Umbruch – ist die Zeit des Klotzens vorbei?

Fest steht: Bad Gastein ist einzigartig. Ob geplante Rieseninvestitionen den Charakter des Kurorts erhalten werden, ist indes fraglich. Liebhaber des Ortes sind skeptisch.

Fest steht: Bad Gastein ist einzigartig. Ob geplante Rieseninvestitionen den Charakter des Kurorts erhalten werden, ist indes fraglich. Liebhaber des Ortes sind skeptisch.

Man muss lange suchen, um jemanden zu finden, der es nicht kennt. Zumindest ein Bild von Bad Gastein, ein ziemlich exaktes, hat jeder im Kopf. Wer schon einmal dort war oder Kindheitserinnerungen an den Ort hat, wer den Kurort also von früher kennt, der hat die Erzählungen über Entwicklungen der vergangenen Jahre mit Freude aufgenommen. Deutsche Wochenmagazine berichteten vom vorsichtigen unternehmerischen Neustart durch Gastein-Liebhaber, von Frischzellenkuren für eine Handvoll Hotels, denen mit kleinem Budget, aber großem Gespür für den Wert des Bestehenden neues Leben eingehaucht wurde. Kreative Köpfe im Ort richteten ein Café im Kraftwerk ein, ein sommerliches Art-Festival wurde ins Leben gerufen, und Yoga-Tage wurden Bestandteil der neuen Angebote.

Bei einem Aufenthalt im Oktober 2020 fiel mein Lokalaugenschein dann doch eher deprimierend aus: Noch waren Leerstand, langsamer Verfall und Abbruchspuren ortsbeherrschend, aber auch ungepflegte Plätze und holprige Wege, nachlässig reparierte Straßen und verlotterte Bushaltestellen.

Zuversicht war da im Wissen, dass die Zukunft für einen in seiner Charakteristik und Einzigartigkeit wiederbelebten, der Zeit angepassten Ort der Erholung schon begonnen hat. 2017 konnte das Land den leer stehenden Straubinger-Komplex, der knapp am Wasserfall liegt, von Investoren zurückkaufen, die ihre Besitztümer jahrzehntelang hatten verfallen lassen. Nach ersten Erhaltungsmaßnahmen wurden das Hotel, das fürsterzbischöfliche Badeschloss und die Alte Post an eine deutsche Investorengruppe weiterverkauft. Dann war Funkstille.

Im Februar 2021 präsentierte der neue Eigentümer in einer Pressekonferenz – ihm zur Seite Landeshauptmann, Bürgermeister sowie Erich Bernard und Markus Kaplan von BWM Architekten – detaillierte Pläne für das unter Schutz stehende Ensemble. Man erfuhr, dass alle Bewilligungen im Behördenverfahren im Einklang mit dem Bundesdenkmalamt und dem Gestaltungsbeirat der BH Sankt Johann im Pongau erteilt worden waren. Das gewaltige Rauschen im Blätterwald mit Titeln wie „Die mondäne Welt in den Alpen kehrt wieder“ und „Neues Hochhaus für das Manhattan der Alpen“ schien die Euphorie zu bestätigen.

Die Kritik, die dennoch aufgepoppt ist, erläutert anhand des geplanten vertikal ausgerichteten Zubaus, der das Ensemble direkt im Anschluss an das Badeschloss bergseitig ergänzen wird, dass das 1997 beschlossene Entwicklungskonzept für Bad Gastein nicht eingehalten wird. In diesem heißt es, dass in Ortsteilen das geschlossene Ortsbild und dessen Charakteristik zu pflegen und zu erhalten sind und bei Neubauten und Renovierungen auf ausgewogene Proportionen zu achten ist. Das „Hochhaus“ wird die höchste Stelle des Badeschlosses, den Dachfirst, um beinahe 30 Meter und den Straubingerplatz, der die Mitte der beiden neuen Hotels bildet, inklusive Zugang zum auf dem Dach geplanten Pool um knapp 54 Meter überragen. Der gar nicht schlanke Neubau hält, selbst wenn eine farblich zurückhaltende Gestaltung seiner Fassaden vor der Naturkulisse des steil aufragenden Talschlusses vorgesehen ist, einem Vergleich mit der gründerzeitlichen Bebauung nicht stand.

Dominante Kubaturen der Belle-Époque-Hotels wie das L'Europe sind nämlich, genau betrachtet, keine in die Höhe wachsenden „Hochhäuser“, auch wenn sie immer wieder als solche bezeichnet werden. Es sind scheibenförmige Bauwerke, die sich von ihrer Eingangsebene „souterrain“, als Substruktionen, annähernd so weit nach unten erstrecken wie nach oben. Diese unvergleichbare Bauweise ist der besonderen Topografie geschuldet, der enormen Steilheit des Geländes um den Wasserfall, von dem aus sich der Badeort entwickelte. Mit dem vertikalen Bauboom in Manhattan hat das historische Bad Gastein, das sich in früheren Zeiten nicht nur am Straubingerplatz fast als geschlossene Bebauung zeigte, also nichts gemein. Nun könnte man einwenden, dass nicht das erste Mal mit der Stadtentwicklung in Bad Gastein gebrochen wird und neue Zeiten neue Formen der Bebauung verlangen. Das stimmt. Nicht alles, was zur Ankurbelung eines neuen Tourismus nach dem Krieg gebaut wurde, fügt sich harmonisch in den steilen Hang. Auch Garstenauer setzte mit der „Horizontalen“ des Kongresszentrums, das mit seiner platzartigen Erweiterung und dem begehbaren Flachdach als Sonnenterrasse das Zentrum bildet, einen markanten Kontrapunkt. Für den Architekten, der in Bad Gastein zudem das Felsenbad und die Parkgarage plante, war das der sichtbare Ausdruck eines Ortes der Begegnung. Friedrich Achleitner bewertete diese Strukturveränderung der 1960er als Bereicherung des Ortsbildes, die Architekturkritikerin wiederum sieht im Kongresszentrum eine Spange, die im Zusammenspiel mit Topografie und Ortsbild das Verbindende verdeutlicht.

Erklärt wurde, dass es den „Turm“ mit zusätzlichen 88 Zimmern brauche, weil die Bestandsfläche von 13.000 Quadratmetern nicht ausreichend sei, um die ökonomisch notwendige Anzahl von Betten zu schaffen. Diese Argumentation ist sattsam bekannt. Doch ist dieses „Immer mehr, immer luxuriöser, immer höher“ noch zeitgemäß? Müssen wir nicht davon ausgehen, dass der Klimawandel uns eine einschneidende Änderung des Lebensstils abverlangt, dass Beschränkung und Wertewandel unser Leben künftig prägen werden? Außerdem: ob sie schlüssig ist in Zeiten einer nach der Pandemie von vielen vorausgesagten Rezession? Bad Gastein sollte auch diesbezüglich aus seiner Geschichte lernen.

Durch Abriss historischer Bauten, wie er mehrfach genehmigt wurde und dem Hotel Mirabell bevorsteht, und unsensibel gesetzte Neubauten sieht der Architekturhistoriker Norbert Mayr „das einzigartige Spannungsverhältnis zwischen den Gründerzeit-Wolkenkratzern, die sich durch einen dominanten Auftritt behaupten, und den Steilhängen des Talkessels, die erfolgreich dagegenhielten“, akut gefährdet. Der das Ortsbild prägende Dialog zwischen Kulturlandschaft und Baukultur sei mit dem Punkthochhaus, das überall stehen könnte, zu Ende. Bekanntheit und besondere Anziehung verdankt Bad Gastein seiner Einzigartigkeit. Pioniere eines Neustarts wie die Hoteliers Olaf Krohne und die Familie Ikrath arbeiten genau damit. Sie sehen den Ort als kulturelle Bühne, in der neben neuen Konzepten auch verstaubter Glanz Platz haben wird, als einen Ort, der gleichermaßen behutsam wie langsam entwickelt werden muss.

Eine Gegenstimme zu erheben, wo nach jahrzehntelanger Agonie nun eine Rieseninvestition lang ersehnten Aufschwung bringen soll, ist schwierig. Gastein-Liebhaber bleiben dabei: Die Zeit des Klotzens ist vorbei. War der Ökonom Leopold Kohr, der mit seiner Philosophie des Kleinen, Überschaubaren die Rückkehr zum menschlichen Maß propagierte, nicht ein Salzburger? Zum Thema: Online-Vortrag „Aufbruch in Bad Gastein“ mit Zoom-Diskussion: Do., 25. März, 18.30 Uhr, initiativearchitektur.at

Spectrum, Mo., 2021.03.22

05. Februar 2021Karin Tschavgova
Spectrum

Wie aus einem Guss?

Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, Neues zu Bestehendem: So fügt sich eins ans andere im architektonischen Alltag. Manchmal freilich misslingt eine Fügung – etwa wenn ein Gebäude ergänzt, eine Altstadt rekonstruiert werden soll.

Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, Neues zu Bestehendem: So fügt sich eins ans andere im architektonischen Alltag. Manchmal freilich misslingt eine Fügung – etwa wenn ein Gebäude ergänzt, eine Altstadt rekonstruiert werden soll.

Immer schon dachte ich mir, dass dem Fügen in der Architektur mehr Beachtung geschenkt werden sollte, ist doch schon jedes Bauwerk die Summe seiner Einzelteile, auch wenn das fertige Werk „wie aus einem Guss“ wirken kann. Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, oft auch Neues zu Bestehendem – so fügt sich eins ans andere im Bauen. Anfügen, Einfügen und somit Verdichtung entsprechen dem Wesenszug der historisch gewachsenen Stadt und sind sozusagen ihr Alltag, wenngleich das Weiterbauen selten unumstritten erfolgt.

Wir kennen die Rekonstruktion als Anlass des Fügens und die Diskussionen dazu. So wurde etwa in Frankfurts Zentrum von 2012 bis 2018 auf einer Brache, die seit der weitreichenden Zerstörung der historischen Mitte 1944 leer geblieben war, die „Neue Frankfurter Altstadt“ errichtet. 35 Gebäude, mittelalterlichen Stadthäusern nachempfunden, mit Gassen und kleinen Plätzen als neues Altstadt-Wohnquartier, ein ganzer Stadtteil in historisierender Gewandung. Kein Wunder, dass die Initiative des durch die Politik unterstützten Immobilienentwicklers begleitet war vom vielstimmigen Lärm unzähliger Befürworter und Kritiker – meist Stadtbewohner auf der einen und Baufachleute auf der anderen Seite. Das Einfügen der Neu-Altstadt zwischen der Kunsthalle Schirn und dem Dom nach dem Muster von schützenswerten Denkmälern fand breiten Zuspruch.

An die Geschichte erinnern soll auch die Wiedererrichtung des Alten Schlosses auf der Spreeinsel in Berlin, das wohl meistdiskutierte öffentliche Projekt der vergangenen Jahre. Die detailgetreue Rekonstruktion von drei Fassaden des riesigen Schlosses, einst Kaiserresidenz und ein Hauptwerk des norddeutschen Barocks, ist ein symbolischer, wenn nicht ideologischer Akt. Nachdem es im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war, sollte es danach wieder hergestellt werden. Als es Teil des DDR-Territoriums wurde, ließ die neue Führung es 1950 sprengen und errichtete auf dem Areal Jahre später den Palast der Republik, der nach der Wiedervereinigung bis 2008 abgerissen wurde. Ein Neubau, das heutige Humboldt Forum, sollte an die frühere Bedeutung des Hohenzollernsitzes anknüpfen. Der siegreiche Entwurf des Architekten Franco Stella fügt nun also die originalgetreu nachgebauten Barockfassaden an die streng gerasterte Steinfassade des Ostflügels. Neu-Alt trifft um die Ecke auf Neu – aber wie? Selbst ein Laie kann erkennen, dass diese Art der Fügung, dieser Zusammenschluss nicht gelungen ist.

Ideenreich und subtiler stellt sich der Wiederaufbau eines Flügels im Museum für Naturkunde in Berlin dar. Auch dort haben die Schweizer Architekten Diener & Diener auf die Neufassung eines städtischen Ensembles gesetzt. Der Ostflügel des Museums war im Zweiten Weltkrieg bis auf Fassadenreste zerstört worden und bis 2006 als Ruine stehen geblieben. Die Hauptgeschoße des Museums führen die Architekten im neuen Trakt weiter. Die Notwendigkeit, lichtempfindliche Tierpräparate optimal aufzubewahren, nützten sie, um die umgebende Gebäudehülle fensterlos zu gestalten. Dafür nahm man von den originalen Fassaden Abdrücke ab, die mit Beton ausgegossen wurden. Diese Fertigteile wurden in die zerstörte Fassade eingefügt und füllen nun die Leerstellen. Rhythmus und Form der Fassade wurden aufgenommen, der graue Beton setzt sich jedoch deutlich erkennbar von der erhaltenen Bausubstanz mit den Fenstern, die zugemauert wurden, ab. Hier stellt das An- und Einfügen für die Architekten nicht eine Rekonstruktion des Baudenkmals im eigentlichen Sinn dar, sondern eine in Szene gesetzte Bewahrung von Geschichte.

Es lassen sich auch Beispiele von (Ein-)Fügung finden, die erst heute übereinstimmend als vorbildlich gelten. In die Architekturgeschichte eingegangen ist der Gerichtshof in Göteborg von Gunnar Asplund. Bereits im Jahr 1913 hatte der Architekt einen Wettbewerb für den Um- und Zubau des Gerichts gewonnen, der eine völlige Transformation der Hülle nach einer national-romantischen Idee bedeutet hätte. Umplanungen erfolgten, wurden verworfen, und erst 1937 wurde die jetzige Form fertiggestellt. Asplund nahm die horizontale Gliederung des Bestands auf, interpretierte Fensterachsen und Säulengliederung neu, hielt sich präzise an die Traufenhöhe und stimmte den Anbau farblich mit dem Altbau ab. Die Fuge bildet ein schmaler, fensterloser Rücksprung, hinter dem sich eine Nebentreppe befindet.

Vorhandene Charakteristika und Qualitäten einer historischen Architektur aufzunehmen und sie gleichermaßen respektvoll wie abstrahierend in Neues zu transformieren schien mir immer richtiger als ein Kopieren des Vorhandenen. „Man wird begreifen müssen, dass jede Baukunst an ihre Zeit gebunden ist und sich nur an lebendigen Aufgaben und durch die Mittel ihrer Zeit manifestieren lässt. In keiner Zeit ist das anders gewesen“, schreibt Mies van der Rohe in einem Aufsatz. Bauten sieht er als Schöpfungen ganzer Epochen, ihrem Wesen nach unpersönlich, aber „reine Träger eines Zeitwillens“.

Beim Thema des Weiterbauens – dem An- und Einfügen – wird der Historie nur dann mit Wertschätzung begegnet, wenn man sie nicht versteckt, übertüncht oder geistlos kopiert. Genaues Schauen und lustvolle Auseinandersetzung mit diesem Thema wurde zur persönlichen Erkenntnis, die sich mit den Jahren vertieft hat.

Einer, der dieses Wissen mit großer Sorgfalt und Kreativität bei all seinen Bauten angewandt hat, ist Klaus Kada, der im vergangenen Dezember achtzig Jahre alt wurde. Nicht nur als Architekt, sondern auch als Meister des Fügens ist ihm dieser letzte Absatz gewidmet. Kadas Gesamtwerk als Zeitwille zu entdecken lohnt allemal. Glas und neue Glastechnologien sind darin nicht nur Ausdruck ihrer Zeit, vielmehr spannt das Material Räume und Schichten unterschiedlicher Entstehungszeit und Funktionen unter sich auf. Glas bildet eine transparente, Licht bringende Zäsur und zugleich eine feine Verbindung, die sich als Gestaltungselement nicht in den Vordergrund drängt. Diese gekonnte Art des Fügens kann man bei Kada auch an Bauten entdecken, die zur Gänze neue Architekturen sind, wie das Festspielhaus in Sankt Pölten. Am deutlichsten wird sie, wo Alt und Neu zum Ganzen vereint werden soll: dem Glasmuseum in Bärnbach, einem Schlüsselwerk im Œuvre des Architekten. Von allen kann man lernen.

Mehr noch, davon sollten Architekten lernen. In letzter Zeit werden vermehrt Wettbewerbsentwürfe abgegeben, in denen das Erweitern – das Weiterbauen am Bestand von Schulen etwa – zu spannungsloser Scheinharmonie verkommt. Eine Fassade, gleich über Alt und Neu gezogen – und schon ist Geschichte nicht mehr sichtbar. Die Größe von Baukörpern, ihre Proportionen, auch ihr Verhältnis zu Freiraum und Landschaft wirken dann nicht mehr stimmig. Wollen wir das?

Spectrum, Fr., 2021.02.05

12. Dezember 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Mit dem Rücken zum Berg

Unkonventionell und gleichermaßen seriös: So beschreibt die Jury der Geramb-Rose die Herangehensweise an ein neues Stadthotel im Herzen von Graz. Die Herausforderung dabei: die Adaptierung eines mehr als 400 Jahre alten Denkmals am Fuße des Schlossbergs.

Unkonventionell und gleichermaßen seriös: So beschreibt die Jury der Geramb-Rose die Herangehensweise an ein neues Stadthotel im Herzen von Graz. Die Herausforderung dabei: die Adaptierung eines mehr als 400 Jahre alten Denkmals am Fuße des Schlossbergs.

Da war die Welt des Städtetourismus noch in Ordnung. „Hotel-Boom: Zehn neue Hotels in Graz sind gerade im Anflug“, titelte eine Grazer Zeitung im November 2019. Die Nächtigungszahlen in Graz stiegen im Herbst um zehn Prozent, die Aussichten für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends schienen rosig. Selbst der Tourismus-Chef, bekannt als besonnener Manager, war voller Zuversicht, bis 2023 eine halbe Million an Übernachtungen dazugewinnen zu können, und meinte, dass Graz diese Hotelneubauten „vertragen“ könne.

Nun kam es ganz anders, doch da das Planen und Bauen lange Vorlaufzeiten verlangen und einiges zu diesem Zeitpunkt schon „in der Pipeline“ war, wurden 2020 in Graz tatsächlich zwei neue Hotels eröffnet. Das der Hotelkette beim Hauptbahnhof muss nicht extra vorgestellt werden. Das andere jedoch, das sich bescheiden nach seiner Adresse nennt, lohnt näherer Betrachtung. Es vereint in sich mehrere Themen des Bauens im historischen Zentrum von Graz, die eine Herausforderung für das Weltkulturerbe sind. „Kai 36“ liegt in der Verlängerung der Sackstraße, einer der ältesten Straßen von Graz am Fuße des Schlossbergs, die durch ein Tor vom Kai am Ufer der Mur getrennt war. Auch wenn sich der Blick dort weiten kann und die Uferstraße von Bäumen gesäumt ist, stehen die Häuser am Kai dicht aneinandergebaut, mit dem Rücken zum steilen Hang des Schlossbergs. Das Haus mit einem auffallend weit ausladenden Schleppdach über drei Geschoße nimmt eine Sonderrolle ein. Es ist eines der ältesten, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet. Trotzdem stand es lange leer, bis der Grazer Rennsportmanager Helmut Marko es kaufte und beschloss, es auszubauen und seinem Portfolio von drei Hotels hinzuzufügen. Der Umbau wurde in die Hände von Nicole Lam gelegt, die bereits den jüngsten Neubau, das Hotel „Lend“, für den Hotelier geplant hatte.

Mit dem unter Denkmalschutz stehenden Ensemble betrat die Grazer Architektin Neuland. In enger Abstimmung mit dem Denkmalamt und der Altstadtkommission wurde die historische Struktur freigelegt und lediglich ein neuer Treppenaufgang geschaffen, der nun auch innen liegend den Hofflügel erschließt, der früher nur über einen Balkon zugänglich war. Anstelle eines steilen Pultdachs wurden diesem Hoftrakt zwei Ebenen mit Hotelzimmern aufgesetzt. Das Haupthaus blieb in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten, die Fassade wurde denkmalgerecht saniert. Mehrere Achsen im Erdgeschoß schloss die Architektin durch gut gesetzte Durchgänge zu einem Kontinuum mit unterschiedlichen Gewölben zusammen, die jetzt eine Café-Bar mit kleiner, offener Küche, die Rezeption und den Treppenaufgang enthalten. In diesem zur Straße gewandten Bereich, der vermutlich auch in früheren Zeiten unterschiedliche Funktionen hatte und jetzt noch durch Stufen unterbrochen wird, entstanden atmosphärisch differenzierte Orte des Verweilens. Das radikal Neue zeigt sich erst, wenn man mit Lift oder Treppe an Höhe gewinnt und aus dem Hofhaus hinaus auf eine der oberen Hangterrassen tritt. Dem dritten Bestandsgebäude im Hof, einem frei stehenden, dicht am Fels gebauten Stöckl wurde ein Geschoß aufgesetzt, das nun von oben über eine kleine Terrasse mit Wiesenfläche erreicht wird. Noch höher, eine Terrassenstufe weiter, das einzige gänzlich neue Implantat: ein kleines Hofhaus für ein Apartment und die Toiletten für die Nutzer der Freiräume. Ensemblewirkung mit den beiden Dachaufbauten entsteht, weil alle drei Dächer wie eine Plastik bearbeitet und geformt und über die Fassaden hinab mit Kupferblech überzogen wurden. Spürbar ist auch, dass der kleine Neubau in einem guten Verhältnis zum überbauten Bestand steht. Lage und Proportion sind wohlüberlegt. Das erzeugt Spannung.

Mit diesen Einbauten, aber auch mit der Vielfalt der Freiräume unter Einbeziehung vorhandener Geländestufen und der neu genutzten Terrassen, Treppen und Zugangswege entsteht ein lebendiges Ganzes – erkennbar als Zeitschicht von 2020. Dass die Gratwanderung zwischen Bewahrung und Erneuerung im historischen, über die Jahrhunderte unterschiedlich genutzten Denkmal mit diesem Plan gelingen kann, erkannte die Grazer Altstadtkommission offensichtlich und genehmigte ihn trotz der sensiblen Lage am gut einsehbaren Abhang des Schlossbergs. Für den Bauherrn war die Erweiterung unabdingbar, entstand doch auch mit den Aufbauten nur eine Anzahl an Zimmern, die für kühle Rechner noch immer weit unter den üblichen Grenzen der Wirtschaftlichkeit liegt.

Die Gäste erwarten 21 individuell gestaltete Zimmer, die mit dem Lift, im Stiegenaufgang oder über den kleinen Innenhof erst gefunden werden wollen. Wenn auch unter den riesigen Dachflächen das Gebälk sichtbar blieb, so zeigt sich doch überall im Inneren das Bedürfnis der Architektin, dem Haus ohne rechte Winkel eine frische, unkonventionelle Note zu verleihen. Sanitärzellen bleiben als Raum im Raum ersichtlich, und die Treppe ins oberste Geschoß wird als formschönes, kompaktes Möbel gestaltet. Wo nichts im Lot war, wurden Böden so verlegt, dass Puristen vermutlich die Nase rümpfen – schräg, in ungewöhnlichen Formaten und im Materialmix Naturstein und matt belassenes Holz. Nichts wirkt luxuriös. Öffentliche Bereiche wie das Café, das auch der Frühstücksraum für die Hotelgäste sein wird, sollten die Intimität von Wohnräumen spiegeln. Was man aus Lokalen in hippen Stadtquartieren von Berlin oder München kennt, findet sich auch hier – Naturmaterialien und Detailverliebtheit, ein üppiger Mix an Mobiliar und überall Kunst an den Wänden.

Am Kai Nummer 36 wurde auf äußerst schwierigem Terrain ein Mehrwert geschaffen, der zeigt, dass Erhaltung und sensibles Weiterbauen unserer historischen Stadtlandschaften nicht nur notwendig sind, um eine Stadt am Leben zu halten, sondern auch befruchtend schön sein können. Die Jury der Geramb-Rose 2020 sah im Hotel „ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein Bestandsobjekt, das für eine ganz andere Nutzung vorgesehen war, eine neue räumliche Vielfalt entwickeln kann“. Der Gast, der in jeder Stadt das Besondere finden und hinter die Kulissen, die historischen Fassaden, blicken will, wird hier das Gefühl haben, ins Innere vorgedrungen und für die Zeit seines Aufenthalts willkommen zu sein.

Spectrum, Sa., 2020.12.12



verknüpfte Bauwerke
Kai 36

21. August 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Vom Lärm der Dächer

Wer das Flachdach ablehnt, wenn es um landschaftsverträgliches Bauen geht, macht es sich zu leicht. Die Baugeschichte lehrt uns, dass Eingliederung ein komplexes Thema ist – es setzt das Erkennen der Vorzüge einer Landschaft voraus.

Wer das Flachdach ablehnt, wenn es um landschaftsverträgliches Bauen geht, macht es sich zu leicht. Die Baugeschichte lehrt uns, dass Eingliederung ein komplexes Thema ist – es setzt das Erkennen der Vorzüge einer Landschaft voraus.

Die Sache sei spätestens seit den 1990ern „gegessen“, dachte ich, bis ich auf der letzten Seite der Immobilienbeilage einer Tageszeitung auf diesen Artikel stieß. Ich musste gar nicht nachdenken, war vielmehr aus dem Bauch heraus überzeugt davon, dass das, was hier behauptet wurde, kein Thema sei, das man heute noch in Grundsätzlichkeit bespricht.

Mit der Frage als Aufhänger, ob ein „Tiny House“ ins Ortsbild passt, wurde kurzerhand abgehandelt, wodurch, oder besser: womit ein harmonisches Bild in Orten und Landschaften gestört werden kann. Was ein erschöpfendes Thema für eine gründliche wissenschaftliche Abhandlung wäre, wurde da, munter durcheinandergewürfelt, nicht mehr als angerissen: die zunehmende Individualisierung Bauwilliger, das Auffallen, dem entsprechend sich nicht eingliedern wollen, der Wunsch nach dem Bauen auf der grünen Wiese, daraus folgend Zersiedelung und – das Flachdach. Nun sehe man aber langsam, dass bestimmte Bauformen sich tatsächlich „schwerer in ein harmonisches Landschaftsbild eingliedern“, wurde der neue Baukulturkoordinator im Amt der Steiermärkischen Landesregierung zitiert. Das Flachdach gehöre dazu. Der Experte vergleicht es mit Lärm, konnte man lesen. Ähnlich wie laute Musik könne es im Landschafts- oder Stadtbild auch visuelle Reize geben, die eine gewisse Grundharmonie stören.

Einiges von dem, was danach noch an möglicher Störung aufgezählt wurde, konnte ich ohne Einschränkung nachvollziehen: schrille Farben etwa und auffällige Werbemittel, als Werbungen tituliert. In hügeligen Gegenden störten besonders große Baukörper und Flachdächer eine gewisse Grundharmonie, stand da. Ersteres war mir zu pauschal, und die Behauptung, dass sich das Flachdach als Bauform in hügeliger Landschaft schwerer eingliedern oder einpassen lasse, war gar nicht nachvollziehbar. Ich war baff. Hatte meine Mutter mich vergeblich studieren lassen?

Schon in den ersten Semestern des Studiums hatte mich Frank Lloyd Wrights Kaufmann-Haus, das als „Fallingwater“ 1939 in die Architekturgeschichte einging, maßlos beeindruckt. Dieses Ferienhaus, das direkt über einem Wasserfall errichtet worden war, war nicht in der Natur, vielmehr mit der Natur gebaut. Eine einzigartige Synthese – trotz auskragender Terrassen und, ja, Flachdach. Die Eingliederung der Architektur in ihre Umgebung gelang mit präzise gesetzten Kontrasten: die großen Felsblöcke gegen die Linearität der horizontalen Stahlbetonbrüstungen, ihre Glätte gegen das Grobe des aufsteigenden Steinmauerwerks, das mit den Baumstämmen zu verschmelzen scheint. Wright soll von Harmonie gesprochen haben und meinte damit ein Ganzes: das Gebäude und seine Umgebung bis hin zur Pflasterung und Bepflanzung. Voraussetzung war für ihn neben der Berücksichtigung des menschlichen Maßstabs ein ehrfurchtsvolles Verständnis für die „Natur der Natur“. Das schrieb Dietmar Steiner im Aufsatz „Die Natur der Landschaft“, der sich in seinem Buch „Häuser im Alpenraum“ aus 1983 findet.

Bei Steiner finde ich auch ein österreichische Beispiel einer „bedingungslosen Einordnung des Baukörpers in die umgebende Landschaft und die natürliche Formation des Terrains“, das mich just zu einem Zeitpunkt während des Studiums begeisterte, als wir Bauforschung anhand historischer Bauten der landwirtschaftlichen Nutzung betreiben mussten. Es war das Haus Heyrovsky von Lois Welzenbacher, 1932 fertiggestellt. Bei all den Unterschieden, ja Gegensätzen zwischen den bäuerlichen Nutzbauten, für die wir damals präzise Aufmaß und Zeichnung erstellten, und dem Ferienhaus für die Familie eines Wiener Chirurgen auf dem Hang über dem Zeller See gab es auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Klar, die Städter hatten andere Bedürfnisse als die Bauern, die den Tag im Freien, in der Natur verbringen und sich abends in die warme Stube zurückziehen. Welzenbacher konzipierte das Haus auf die Vorstellung hin, Sonne und Natur gleichsam ins Haus zu holen. Es öffnet sich der Landschaft und den Himmelsrichtungen über einen großen Bogen, über Panoramafenster und den stufenlosen Übergang auf eine große, von Balkon beschattete Terrasse, die wiederum eingebettet ist in die sie umgebende Wiese. Das Haus wurde mit einem fast flachen Dach aus Blech gedeckt.

Gemeinsamkeiten mit dem Typus des südsteirischen Bauernhauses auf dem Hang? Doch! Nicht die Baumaterialien, nicht die Form des Baukörpers oder die Fenstergrößen lassen gedankliche Assoziationen entstehen, sondern generell die Haltung zur Landschaft und zum Hang. Das flache, horizontal betonte Haus Welzenbachers duckt sich gleichsam in eine Mulde des Geländes, zeigt talseitig zwei Etagen, bergseitig ein Geschoß weniger und dieses mit Holz verschalt. Bauernhäuser auf dem Hang wurden an windgeschützten Plätzen im Gelände positioniert, orientierten sich immer an den Höhenschichtenlinien und waren demnach schmal und lang. Nie hätte ein Bauer früher gemacht, was heute selbstverständlich scheint, wenn man in hügeligem Gelände baut: den Grund aufschütten, künstlich modulieren, ein für horizontales Terrain geplantes Haus draufsetzen – als wäre ganz Österreich wie die Niederlande.

August Sarnitz, der 1989 in Eigendefinition eine Werkgenealogie zu Welzenbachers Bauten verfasste, spricht beim Haus am Zeller See von organischer Architektur und interpretiert „organisch“ hier als die ideale Verbindung von Bauwerk, Material und Landschaft. Unser Experte würde diese vermutlich mit Grundharmonie bezeichnen. Moment mal, trotz des flachen Dachs? Dessen bin ich mir sicher, denn unser Experte ist in der Lage, Qualität zu erkennen. Er würde mit Sarnitz übereinstimmen, der schreibt: „Im Bereich des landschaftsgebundenen Bauens gelang Welzenbacher mit diesem Haus ein Meisterwerk, das in Europa zu jener Zeit einzigartig war.“

Lassen wir den scharfsichtigen, heuer viel zu früh verstorbenen Dietmar Steiner noch einmal zu Wort kommen, der zum selben Haus 1983 schrieb: „Die architektonische und künstlerische Qualität dieses Entwurfs ist auch nach fünfzig Jahren noch ein bleibender Vorwurf an jene, die das Bauen im Alpenraum an der Dachneigung bestimmt wissen wollen und außerstande sind, eine tatsächlich rücksichtsvoll in die Landschaft eingepasste Architektur zu erkennen.“ Dies sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die den alten Glaubensstreit „Flachdach versus Steildach“ aufwärmen.

Landschaftsgebundenes Bauen setzt das Erkennen der Qualitäten, der Vorzüge und Eigenheiten, aber auch der Herausforderung voraus, die ein Baugrund in der Landschaft ist. Dabei können geschulte Augen helfen. Den Bauwilligen ist eine tiefgehende innere Befragung ihrer eigenen Wohnbedürfnisse zu raten. Was daraus entstehen kann, wird passgenau – nimmt Rücksicht, fügt sich ein, entsteht mit der Natur. Steildach oder Flachdach? Zweitrangig.

Spectrum, Fr., 2020.08.21

10. Juli 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Die Welt etwas besser bauen

Er galt als „Anwalt des Menschen“ und interessierte sich für die sozialen und politischen Dimensionen des Bauens: der aus Böhmen gebürtige Nachkriegsarchitekt Ferdinand Schuster. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet sich das Haus der Architektur Graz seinem Werk.

Er galt als „Anwalt des Menschen“ und interessierte sich für die sozialen und politischen Dimensionen des Bauens: der aus Böhmen gebürtige Nachkriegsarchitekt Ferdinand Schuster. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet sich das Haus der Architektur Graz seinem Werk.

„Man kann natürlich auf Architektur verzichten und nur ,bauen‘, für die ,Wirtschaftsgesellschaft‘ etwa. Die Welt wird sich weiterdrehen. Aber sie wird dann ärmer, grauer und ,erbarmungslos praktisch‘ (Adorno) sein, wie unsere Sprache, wenn wir darauf verzichten, sie auch poetisch zu gebrauchen. Wer gegen die Verarmung unserer Existenz ist, muss Architektur wollen. Das, meine ich, ist aber ein politischer Akt.“ Wie oft wurde Ferdinand Schuster, der mit diesen Sätzen seinen Vortrag „Architektur als Medium“ schloss, oberflächlich als Funktionalist tituliert. Wer die in der äußerst kurzen Schaffensphase entstandenen, in einer klaren Bildwirkung gehaltenen Industriebauten – drei Kraftwerke und ein Umspannwerk – nur als dem Zweck dienende Gebäude sehen kann, lässt Kenntnis und vertieften Blick vermissen. Beides würde zeigen, dass nur der Ersatz eines traditionellen Brückenkrans durch einen von der Außenwand unabhängig funktionierenden Portalkran die heute noch so modern wirkende, filigrane Glasfassade der Maschinenhalle des Fernheizkraftwerks Graz-Süd (1963) möglich machte.

Schusters Bauten ist stets eine bis ins Kleinste durchdachte Konzeption abzulesen, auch wenn diese wie bei der Siedlung Kapfenberg-Redfeld (1958) in Form und Materialität einfach wirkt. Die für Mitarbeiter der Böhler-Stahlwerke errichteten Reihenhäuser könnte man auf den ersten Blick für Behelfswohnbau der frühen Nachkriegsjahre halten. Ihre sparsam dimensionierten Grundrisse waren jedoch Teil der Entwicklung eines Typs und passen sich ein in seine lebenslange Suche nach einer zeitgemäßen Definition von Architektur. Was Schuster unter „Architektur“ im Gegensatz zum „Bauen“ verstand, würde man heute als Baukultur oder hohe architektonischer Qualität im Sinne eines um Ästhetik und Wirkung erweiterten Begriffs von Funktionalität sehen.

Ab 1953 führte der Architekt ein Büro in Kapfenberg. 1952 hatte er seine Dissertation über die Grundlagen für die Ortsplanung der „Arbeiterstadt Kapfenberg“ fertiggestellt. „Der Architekt, vor eine Aufgabe gestellt, sollte immer zuerst versuchen, diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen“, schrieb er und handelte konsequent danach; nicht erst, als er 1960 zum Baureferenten der Stadt ernannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ferdinand Schuster die Stadt, die in ihrer Entwicklung maßgeblich von den Böhler-Werken beeinflusst wurde, mit Schulbauten, Kindergärten und dem Stadionbad schon sichtbar geprägt. Sein städtebauliches Engagement beeinflusste alle Planungen dieser Zeit. Dabei ging es dem als gänzlich uneitel beschriebenen Menschen sicher nicht darum, als Platzhirsch Aufträge zu ergattern.

Schuster war als Stadtplaner wie als Architekt durch „Anwalt des Menschen“ für eine lebenswerte Stadt. Der Wiederaufbau der Kriegszerstörungen und der Ausbau von Redfeld wurden forciert, es brauchte Wohnungsbau, Kindergärten und Schulen. In der Tradition des sozialistischen Städtebaus sah Schuster in Letzteren wichtige erweiterte Funktionen. Er bedachte dabei die Erwachsenenbildung, Vereinstätigkeiten und außerschulischen Sport und positionierte Schulen als zentrale Kultur- und Begegnungsorte nahe den Wohnsiedlungen. Kirchen und das Pfarrzentrum „Zur Heiligen Familie“ in Kapfenberg-Walfersam entstanden aus Schusters Feder. Achtzig Prozent aller Planungen aus Schusters Büro wurden in Kapfenberg umgesetzt. Solide Qualität und zeitlosen Gebrauchswert beweisen sie durch kontinuierliche Nutzung bis heute.

Schusters theoretisches Interesse galt herauszuarbeiten, was die Architekturform semantisch als Zeichen leisten kann und soll. Es ging ihm nicht allein um konventionelle Symbolkraft oder die ikonische Funktionsweise von Architektur. Er fasste die Kraft der Bedeutung eines Objekts viel komplexer auf und erweiterte sie um die Beziehungen zu den Benützern und Kommunikationsprozesse. Im erwähnten Vortrag über die Zeichenfunktion der Architektur sprach er auch von den Bedeutungen, die der Architektur (er meinte Formen) „zuwachsen“, ob wir wollen oder nicht. Damit bewies Schuster eine Offenheit gegenüber der Zukunft, die er nicht lange leben konnte.

Wenn im Seelsorgezentrum St. Paul in Graz-Waltendorf, das 1974 zur Pfarre erhoben wurde, die semantische Dimension der Kirchenarchitektur nicht existent ist, zumindest was die traditionelle Symbolik betrifft, so ist das nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Schuster setzt hier die Öffnung der Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil in einen Mehrzweckraum um, die für ihn auch die Absenz von Zeichenhaftigkeit bedeutete. Das im Raster errichtete Stahlskelett mit der zart gegliederten Fassade aus liegenden Eternitsandwichplatten und Oberlichtbändern schätzte Achleitner noch 2000 als konsequentesten Bau ein, den eine offene Kirche in Österreich hervorgebracht hat. Dem Pfarrer war der Raum zu wenig sakral, daher setzte er eine Reihe von Veränderungen durch, die das heutige Erscheinungsbild des Kirchenraums prägen, aber seine einstige Originalität vermissen lassen.

1964 wurde Schuster als Institutsvorstand an die Lehrkanzel für Baukunst und Entwerfen an die TH Graz berufen. Seine Antrittsvorlesung lautete „Architektur und Politik“. Beim gleichnamigen Symposion im Jahr 2000 in Kapfenberg erinnerte Achleitner an die Situation in den damaligen Architekturzeichensälen: „Schusters Bemühen um eine mitteilbare, praktikable Architekturtheorie hat in Österreich nichts Vergleichbares, und – das war ihre Tragik – sie blieb im sprichwörtlichen Grazer Vakuum in Wirklichkeit ohne Resonanz.“ Die Studierenden teilten sich angeblich in zwei Gruppen: in die seiner Anhänger und jene, die „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ antrieb. Bei den Rebellen traf die analytischen Strenge des umfassend humanistisch Gebildeten nicht auf fruchtbaren Boden. Am 11. Juli 1972 ging Ferdinand Schuster im Hochschwabgebiet in den Freitod.

Im September jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Aus diesem Anlass spürt eine kleine, feine Ausstellung im Haus der Architektur Graz dem Leben und Werk von Ferdinand Schuster nach, und eine umfangreiche Publikation, erschienen bei Park Books, macht als Ergebnis eines Forschungsprojekts an der TU Graz die Relevanz seiner Schriften und Arbeitsweise für heute deutlich. Die Ausstellung wird danach in Kapfenberg und Wien zu sehen sein.

Spectrum, Fr., 2020.07.10

02. Mai 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Aufstieg in neuen Schuhen

Einst als Straßendorf entstanden, durchlief Premstätten, südlich von Graz, über die Jahre einige Wandlungen. Jüngster Streich, der dem Markt städtischen Charakter verleihen soll: ein Gemeindehaus – im Rang eines Rathauses. Das Streben nach Prestige ist nur allzu offensichtlich.

Einst als Straßendorf entstanden, durchlief Premstätten, südlich von Graz, über die Jahre einige Wandlungen. Jüngster Streich, der dem Markt städtischen Charakter verleihen soll: ein Gemeindehaus – im Rang eines Rathauses. Das Streben nach Prestige ist nur allzu offensichtlich.

Nun, das Dorf ist real, wuchs an zur Marktgemeinde Premstätten, die nach der Gemeindezusammenlegung 2015 mehr als 6000 Bewohner zählt. Seine strategisch gute Lage, fünfzehn Kilometer südlich von Graz, mit Anschlüssen an zwei Autobahnen, dem nahe gelegenen Flughafen und einem Freizeitzentrum am Schottersee führte in drei Jahrzehnten zur Ansiedlung großer Industrien und zu erstaunlicher Prosperität, die sich in reger Bautätigkeit ausdrückt. Im Örtlichen Entwicklungskonzept 2009 wurde daher dem weiteren Ausfransen der Siedlungsgebiete in die Felder eine Absage erteilt und wurden Entwicklungsstränge für Industrie und Gewerbe festgelegt. Von einem Grundsatz zum Gelingen territorialer Umwandlung, die Alfons Dworsky und Judith Leitner in ihren „Überlegungen zum Bauen auf dem Land“, formulieren, ist darin nichts zu finden: „Baulich-räumliche Strukturen zu erfassen heißt, den Zusammenhang zwischen Naturraum, Kulturraum, Siedlungssystem und Haus zu erfassen und bei jeder Veränderung eines Teilsystems das Gesamtsystem im Auge zu behalten.“

Historisch gesehen war das Dorf als Straßendorf entstanden: Wohnhäuser als Einzelbauten zur Hauptstraße hin, meist mit dem First parallel dazu, ein großer Innenhof mit Stall und Scheune als Abschluss, dahinter Gärten und Felder. Die Bauern wurden, wie überall, weniger und konzentrieren sich auf Gemüseanbau. Die Neubauten der Post, des Notars, des Bäckers, der zum Cafetier wechselte, des Gastwirts, der um ein Hotel erweiterte, und der obligatorischen Supermärkte stehen bunt zusammengewürfelt an der Hauptstraße, die noch heute die wichtigste Ortsverbindung ist.

Das jüngste Bauvorhaben der Gemeinde, die seit Jahren eine der drei reichsten in der Steiermark ist, war ein neues Gemeindeamt, das – angesichts der Entwicklung ist man geneigt zu sagen: naturgemäß – den Rang eines Rathauses erhalten sollte. Als solches sollte es auch einen angemessenen zentralen Platz einnehmen. So wurde entschieden, ein frei gewordenes Gewerbeareal am Rand des Parks aufzukaufen, das Amt dorthin umzusiedeln und den umliegenden öffentlichen Raum zum Hauptplatz zu erklären. Der Prozess der Planung wurde vorbildlich durchgeführt. Man hatte von früheren Bauvorhaben gelernt und wollte jeden Anschein von Bevorzugung vermeiden. Mit dem Projektmanagement wurde die Bundesimmobiliengesellschaft BIG beauftragt, ein geladener Architekturwettbewerb mit sieben Teilnehmern ausgeschrieben und der Planungsauftrag an die Erstgereihten, das Grazer Büro Ederer Haghirian vergeben, das mit Bauten für die Universitätsklinik Graz bekannt geworden war.

Das Raumprogramm des sieben Millionen teuren Neubaus spiegelt den Wunsch der Gemeinde, das neue Zentrum zu sein. Er vereint auf einer Länge von fünfundvierzig Metern und zwei Etagen, die räumlich und visuell voneinander getrennt sind, die Ämter aller Fachbereiche, die Verwaltung und die Büros des Bürgermeisters, ein Standesamt mit Trauungssaal, einen Klubraum, ein Tourismusbüro und ein Café. Die Ausgestaltung mit großzügigen Foyers und hochwertigen Materialien wie Stein, Parkett, edlem Holz und Polstermöbeln zeugt von Großzügigkeit, aber schafft eine Atmosphäre, die vielen Ortsbewohnern sicher noch länger fremd bleiben wird. Größe und Wirkung des Rathauses stehen für Aufstieg und Repräsentation. Das wird schon am riesigen überdachten Vorbereich zum Haupteingang ausgedrückt, der als offene Gebäudeecke über beide Geschoße ausgebildet wurde und in Zukunft für unterschiedlichste Aktivitäten genützt werden soll. Auch die Neugestaltung des Parks, in dem einige Bäume der Erstbepflanzung gefällt und andere neu gepflanzt wurden, die Fahnenreihe mit den Bannern von der EU bis zum Marktwappen und die Adresse „Hauptplatz 1“ zeugen vom Bedürfnis nach Prestige. In eine neue Dimension eingetreten ist man auch mit dem Ausmaß an befestigten Flächen vor, neben und hinter dem Gebäude. Fünfzig neue Parkplätze an der Rückseite des Gebäudes neben den bestehenden am Rande des Parks widersprechen zeitgemäßen Geboten geringer Bodenversiegelung.

Mit dem Dorf von einst hat das nichts mehr zu tun, auch wenn in einer Projektbeschreibung festgehalten wird, dass das neu errichtete Gebäude dort steht, wo früher kleine Lebensmittelhändler gemeinsam mit der Kirche den Ortskern bildeten. Offensichtlich waren das Erfassen und Aufnehmen von baulich-räumlichen Strukturen des gewachsenen Orts, wie Dworsky und Leitner sie beschreiben, und Einfügung in das Bestehende keine Themen, die in der Projektvorbereitung diskutiert und ausgelotet wurden. Dann hätte auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden müssen, das Gemeindeamt als straßenbegleitende Bebauung an den östlichen Rand des Parks zu setzen und den dadurch lärmgeschützten Park, von der Hauptstraße abgewandt, um das zugekaufte Grundstück zu erweitern. Doch wer wäre dafür zuständig? Der Ortsplaner, die Raumplanung? Wem einen Vorwurf daraus machen, wenn anzunehmen ist, dass die historische Identität der Gemeinde nur noch von Alten und Nostalgikern erinnert wird?

Das Dorf ist aus sich selbst herausgewachsen. Die Schuhe, in denen es nun auftritt, sind etwas zu groß; ganz so, wie Schuhe in alten Zeiten für die Kinder gekauft wurden. Ob der Ort in sein neues Rathaus hineinwachsen wird? In städtische Identität? Sicher ist, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben und grundlegende Transformation des Landes, wie sie im prosperierenden Bezirk Graz-Umgebung im Gange ist, nicht die einzige Herausforderung bleiben wird.

Spectrum, Sa., 2020.05.02



verknüpfte Bauwerke
Rathaus Premstätten, Neubau

28. Februar 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Gut verhüllt ist halb bewahrt

Renovieren, sanieren, rekonstruieren: wie sich Glasgow und die Schotten für das kulturelle Erbe ihres großen Sohns Charles Rennie Mackintosh ins Zeug legen.

Renovieren, sanieren, rekonstruieren: wie sich Glasgow und die Schotten für das kulturelle Erbe ihres großen Sohns Charles Rennie Mackintosh ins Zeug legen.

Dies sollte ein Artikel über die Transformation einer Stadt werden, die sich nach dem Wegfall lukrativer Handelsbeziehungen und dem Niedergang ihrer Industrie neu erfinden musste. Strukturwandel gelingt in Glasgow seit 1990 erfolgreich, als die Stadt zur sechsten Europäischen Kulturhauptstadt ernannt wurde; 1999 folgte die Adelung als City of Architecture and Design. Während das Feld der Dienstleistung neu ist, knüpft man mit der Kultur an die Zeit an, in der die Stadt am Fluss Clyde durch Schiffsbau, Baumwollindustrie und regen Handel mit den Kolonien zu einer der reichsten Städte der Welt aufstieg. Seit 1845 gab es eine Kunsthochschule, und Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt zum kulturellen Zentrum selbstbewusster Künstler und Intellektueller, die sich zwar der europäischen Avantgarde jener Zeit nahe fühlten, aber einen eigenen Ausdruck fanden.

Einer aus der großen Gruppe von Designern und Künstlern des Glasgow Style war der Architekt Charles Rennie Mackintosh – der gleichermaßen interessiert an der „Arts & Crafts“-Bewegung des viktorianischen England war wie am Wiener Fin de Siècle, dem er auch durch eine Einladung zur Ausstellungsbeteiligung in der Sezession 1900 nahestand. Im heutigen Glasgow wird „Mack“ als großer Bürger der Stadt gesehen, und er ist omnipräsent, obwohl seine öffentlich zugänglichen Bauten hier und in der ländlichen Umgebung der Stadt wenige sind. Seine „Tea Rooms“ und die einzige öffentlich zugängliche Villa, das „Hill House“, eignen sich als touristische Hotspots, und doch wird spätestens, wenn man die dramatisch-tragische Geschichte der zweimal durch Brand verlorenen „Glasgow School of Art“ hört, deutlich, dass seine Bedeutung weit darüber hinausweist.

Heute prägt Mackintosh nationale Identität. Seine Bauwerke, die er fast alle gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Margaret Macdonald, ausstattete, stehen im Mittelpunkt eines lebendig und umfassend geführten Diskurses über das Wie der Erhaltung und Pflege nationalen Kulturerbes. Das wird schon augenscheinlich, wenn man sich dem „Hill House“ nähert. Die ländliche Idylle Helensburgh am Fjord des Clyde wurde zur idealen Sommerfrische für reiche Händler und Industrielle, und auch der Verleger Walter Blackie beauftragte Mackintosh 1902, dort ein geräumiges Domizil für seine siebenköpfige Familie zu planen. Kunstsinnige Nachfolger konnten das Gesamtkunstwerk „Hill House“ wegen der enormen laufenden Kosten nicht halten, sodass es zweimal samt Mobiliar auf den Markt kam.

Heute ist es im Besitz des National Trust for Scotland (NTS), der es wiederum nur mit der großzügigen Unterstützung des National Heritage Memorial Fund kaufen konnte. Macintosh hatte einen neuen Putz auf Basis von Portlandzement, der resistenter gegen Risse und Wasser sein sollte, verwendet, um auf Blechabdeckungen an der flächigen, ornamentlosen Fassade verzichten zu können. Das erwies sich als fatal, weil die Feuchtigkeit, die im Laufe der Zeit doch eindringen konnte, den Sandstein „wie Aspirin im Wasser“ aufzulösen beginnt, so der Präsident des NTS. Es galt also, rasch erste Schutzmaßnahmen zu treffen, um Zeit zu gewinnen für die Entwicklung der besten Lösung für eine nachhaltige Restaurierung. So entstand die „Hill House Box“ als temporäre Einhausung. Über eine riesige Stahlrahmenkonstruktion spannen sich ein Dach und eine transparente Struktur aus Millionen von Metallringen, die zu einer Art Kettenhemd verbunden wurden – eine atmungsaktive Hülle als Regenschutz, die dem Gebäude seine Sichtbarkeit und es langsam austrocknen lässt. Für Besucher, die alle Räume weiterhin betreten können, bleibt der Blick in die Landschaft uneingeschränkt. Darüber hinaus hat man nun auch die Möglichkeit, das „Hill House“ über Treppen, Stege und Brücken bis hoch über seine Dächer hinaus zu erleben und eine völlig neue Perspektive zu erhalten. Haben die Wohnräume nichts Museales und wirken so belebt, als hätten sie seine Bewohner gestern verlassen, so gleicht das Haus nun als Ganzes innerhalb der luftigen Hülle einem besonderen Artefakt, das man im Museum an zentraler Stelle platziert, um es von allen Seiten betrachten zu können.

Das ist ebenso spannend wie einmalig, doch vom offenen Umgang mit der Restaurierung lässt sich einiges ableiten und auch lernen. Die Konservierung des „Hill House“ ist eine nationale Anstrengung und soll ein Prozess sein, bei dem die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen wird. Mehr noch, zum „Wie“ der Erhaltung soll eine Art öffentliches Gespräch geführt werden. Das ist klug, denn Akzeptanz und Identifikation kann nur gelingen, wenn man sich als Teil eines Vorhabens sieht. Und es hält die kollektive Erinnerung lebendig. Fragen danach, wie viel im Original wiederhergestellt und was abgeändert werden kann oder darf, wurden auch bei Mackintoshs „Willow Tea Rooms“ in Glasgow gestellt, wo Umbauten und die Entfernung des Mobiliars das Haus verkommen hatten lassen. Letztendlich entschied man sich, das Objekt nach Plänen, Fotos und Farbstudien so originaltreu wie möglich zu rekonstruieren, was mit unvorstellbar großem handwerklichem Aufwand und finanziellem Einsatz auch gelang. Ein eigener Verein wurde gegründet, und Unterstützung kam von vielen Seiten, selbst von der Nationalen Lotterie. Zum 150. Geburtstag des Architekten wurden 2018 die „Tea Rooms“ als Sozialunternehmen wiedereröffnet. Man serviert wie einst Tee oder Dinner und erklärt in einer Führung, warum die „Willow Tea Rooms“ heute eine Wiederherstellung und keine Replik sind. Eine solche wäre die „Glasgow School of Art“, von der nach den beiden verheerenden Bränden nicht viel mehr als Mauerreste erhalten blieben. Trotzdem entstand der Ruf nach einem erneuten Wiederaufbau.

Befürworter und Gegner befeuern täglich einen Diskurs, bei dem es um das Wie eines solchen Mammut-Unterfangens geht. Sein Ausgang ist noch offen. Was bereits ablesbar ist: Pflege und Erhaltung des gebauten Erbes scheinen viel stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert als hierzulande. Offensichtlich werden sie als nationale Aufgabe gesehen, die den Staat, private Spender und die Mitsprache von Bürgern brauchen. Das fand ich jüngst in Glasgow so außergewöhnlich, dass dies ein Beitrag über Bewahrung wurde und nicht über Veränderung. Oder einer über Transformation durch Bewahrung – oder umgekehrt?

Spectrum, Fr., 2020.02.28

09. Januar 2020Karin Tschavgova
Spectrum

Universität Graz: Vom Lesen auf dem fliegenden Teppich

Dass eine Bibliothek ganz im Zeichen von Wissenserwerb und Forschung steht, wird niemanden überraschen. Mit der neu gefassten Grazer Universitätsbibliothek hat man darüber hinaus einen vibrierender Ort der Begegnung geschaffen.

Dass eine Bibliothek ganz im Zeichen von Wissenserwerb und Forschung steht, wird niemanden überraschen. Mit der neu gefassten Grazer Universitätsbibliothek hat man darüber hinaus einen vibrierender Ort der Begegnung geschaffen.

Wozu vergrößert man das Raumangebot einer Bibliothek in Zeiten digitaler Megalomanie, in der mehr Informationen auf ein Smartphone passen, als man sich aus den gesammelten Bänden einer Kleinstadtbücherei holen kann? Wer heute Bibliotheken baut, will nicht mehr Speicher für noch mehr Bücher, sondern Orte der Begegnung schaffen. Lesen ist nur eine Option. Was gelesen wird, wird immer häufiger digital zur Verfügung gestellt. Diese weltweiten Trends machen auch vor der Universität als Ort des Forschens nicht halt. 2015 wurde für die Sanierung und Erweiterung der Uni-Bibliothek Graz ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem die „Gesamtbetrachtung der städtebaulichen Situation unter Berücksichtigung von qualitätvollen Außen- und Freiräumen“ verlangt wurde. Aus den 35 Beiträgen stach einer heraus: Signifikanz durch klare Formen und Proportionen wurde von der mutigen Jury mit dem ersten Preis bedacht.

Das Atelier Thomas Pucher aus Graz sah vor, die mehrfach durch Zubauten veränderte Bibliothek aus 1890 radikal zu „bereinigen“. Der Anbau aus den 1970ern im Norden wie der Verbindungsgang zum Hauptgebäude wurden entfernt, die historische Fassade wieder freigelegt. Dem Ring mit dem historischen Lesesaal als Kern wurden zwei Geschoße aufgesetzt – mit gläserner Fuge in guter Grazer Architekturtradition. Der als „fliegender Teppich“ bezeichnete neue Baukörper kragt im Norden weit aus und bildet mit dem Hauptgebäude der Universität in luftiger Höhe eine Fluchtlinie. Darunter entstand, etwas abgehoben von der nun deutlich artikulierten Ost-West-Achse, ein großzügig dimensionierter Platz, der punktgenau der Forderung nach einer städtebaulichen Aufwertung der Freiräume auf dem Campus entspricht.

In verblüffender Präzision wird hier nun die Logik der Wegeführung erkennbar. Dem Durchgang vom Geidorfgürtel folgt mit großer Freitreppe der Weg durchs Areal, die Kreuzung der fußläufigen Verbindungsachsen wird einsehbar und der neu konzipierte, erhöhte Platz mit dem Zugang zur Bibliothek als Terrasse schon in der Annäherung erlebbar. Das zentrale Entree ist als lange gläserne Fuge ausgebildet, die alle Bereiche erschließt. Auch hier gelingt den Architekten, Ordnung und Orientierung zu schaffen. Die Zugänge zur Ausleihe, zum historischen Lesesaal, zur Verwaltung, zu den Aufzügen, zu den neuen Leseplätzen im Schwebebalken und der neue, extern der Universität zur Verfügung stehende Hörsaal sind additiv angeordnet. „Open Access“ auch hier.

Als Herzstück können die differenziert ausgestalteten Lese- und Arbeitszonen in den neuen, obersten Geschoßebenen bezeichnet werden. In luftig-heller Arbeitsatmosphäre entscheidet man sich hier entweder für den akustisch getrennten Leiseraum mit Galerie, der mit langen Tischen und Bildschirmen ausgestattet ist, oder für den intimen Platz in einer Koje an der Längsfront gegenüber der Freihandbibliothek. Es gibt Sitzstufen mit Stromanschluss und eine Lounge mit Sofas, in der sich bequem die neuesten News lesen lassen. Das strahlende Weiß der massiven Stahltragkonstruktion und das dominierende, schöne Rot des Teppichbodens, der die Schritte schluckt und eine visuelle Klammer bildet, sind Muntermacher und wirken auch an einem grauen Wintertag einladend. Im Sommer werden die Plätze auf der nach Süden gerichteten Dachterrasse begehrt sein, doch schon jetzt staunt man über die beinahe volle Belegung der Plätze an einem Samstagvormittag. An dieser Stelle scheint eine Beobachtung angebracht. Vergleicht man die Pläne im Wettbewerbsstadium mit jenen, die nun umgesetzt wurden, so wird klar: Des Architekten zündende Idee – den Bestand entrümpeln und aufwerten durch eine rundum verglaste aufgesetzte Großform – blieb ohne Abstriche erhalten. Das ist im Prozess der Realisierung nicht selbstverständlich. Oft verwässern Kosten- oder Zeitdruck, Anforderungen an Sicherheit, Bauphysik oder anderes eine Idee. Hier nicht. Alles, was sich in der Detailbetrachtung an Unterschieden zeigt, stellt eine Entwicklung zum noch Besseren, Praktikablen dar. Hier wanderten die Treppenhäuser auf die Längsseite, ebenso die Regale für die Freihandaufstellung, und machten Durchblicke und Durchlässigkeit von Nord nach Süd und zwischen den beiden Ebenen möglich. Die Entscheidung, das zentral liegende historische, höchst filigrane Glasdach zu entlasten durch ein weiteres in Überkopfhöhe, brachte nochmals Verbesserung. Die Glasfronten an den Gängen konnten entfallen, ein großzügiges Raumkontinuum entstand.

Dass die neue Bibliothek in ihrer signifikant herausragenden Form der Grazer Universität zum Symbol für Fortschritt gereicht und trotzdem keines jener ikonografischen Monster ist, denen man gerade jetzt, zu Beginn des neuen Jahrzehnts, verächtlich das baldige Aussterben voraussagt, liegt wohl am Arbeitsmotto von Thomas Pucher: „Explore the function. Make it simple. Design with style. Get an icon“ ist auf der Website des Ateliers zu lesen. Zurzeit wird mit Hochdruck an der Ausführungsplanung der Sinfonia-Warsovia-Konzerthalle in Warschau, einem mehr als 100-Millionen-Euro-Projekt, gearbeitet. In solchen Prozessen muss auch Platz sein für die Ideen anderer. War Thomas Pucher, wie man hört, anfangs nicht ganz glücklich über das Projekt „Perspectiva Practica“, mit dem Anna Artaker den „Kunst am Bau“-Wettbewerb der Bibliothek gewann und die große Fläche an der Unterseite der Auskragung gestalten wird, so sieht er der noch folgenden Gestaltung nun mit großer Offenheit entgegen.

Es gibt Kritiker, die bedauern, dass die Bücher in Depots in den Tiefgeschoßen verräumt werden und nicht mehr als schöne Erstausgabe im Mittelpunkt stehen; sie werden lernen, den Wert von neuen öffentlichen Räumen, die Kommunikation und Kooperation fördern, hoch einzuschätzen. Die Gegenwart stellt uns vor so große komplexe Aufgaben, die allein zu lösen wir außerstande sind. Dazu braucht es solche Denkräume, nicht Vereinzel(l)ung. Bestenfalls wird in der Bibliothek der Zukunft, meint der Architekt, nicht nur Wissen abgerufen, sondern in fruchtbarer Vernetzung und Zusammenarbeit auch neues Wissen generiert. Wenn gute Architektur wie diese in Graz solche Prozesse unterstützt, sollte es allen, auch den sich der Tradition verpflichtet fühlenden Skeptikern, recht sein. Analog oder digital ist nicht wirklich eine Frage.

Spectrum, Do., 2020.01.09



verknüpfte Bauwerke
Universitätsbibliothek Graz

16. November 2019Karin Tschavgova
Spectrum

Einmal öko reicht nicht

In Eisenerz soll ein Supermarkt mit direktem Zugang von der Bundesstraße errichtet werden. Die Folge: Das Grundstück zwischen zwei Straßen muss meterhoch aufgeschüttet werden. Ortsbildschutz für die historischen Nachbargebäude scheint nebensächlich. Ein Besuch.

In Eisenerz soll ein Supermarkt mit direktem Zugang von der Bundesstraße errichtet werden. Die Folge: Das Grundstück zwischen zwei Straßen muss meterhoch aufgeschüttet werden. Ortsbildschutz für die historischen Nachbargebäude scheint nebensächlich. Ein Besuch.

Dies ist eine Erzählung, die noch kein Ende hat. Es besteht die Chance, sie zu einem guten Abschluss zu bringen – gut für alle Beteiligten und schonend für die Umwelt. Ihr Inhalt ist ein Bauvorhaben, bei dem die Bauherrenschaft von Beginn an Vorgaben machte, die wenig Spielraum für Kreativität ließen. Der Reihe nach.

2016 reichte Billa einen Plan für einen neuen Supermarkt in Eisenerz ein. Dieser sollte knapp an der Bundesstraße stehen und die beiden bestehenden Filialen, eine im Ortskern und eine nahe einer früher bedeutenden Bergarbeitersiedlung, ersetzen. So weit, so gut: Eisenerz setzt auf mehr Tourismus, Billa auch auf den Durchzugsverkehr. Das Grundstück, ursprünglich ein Hang zwischen zwei Straßen mit beträchtlichem Höhenunterschied, ist noch bebaut mit einem Gebäude, das um 1960 eines der ersten Großkaufhäuser der Region war. Es lag nahe der Ortsmitte, von der tiefer gelegenen Zufahrtsstraße aus erschlossen und direkt angebaut an ein jetzt unter Denkmalschutz stehendes Ensemble. Heute liegt das „Forum“ in der Zone des Ortsbildschutzes, der 1980 verordnet wurde, und ist ein Gegenüber von Sgraffito geschmückten Wohnhäusern, die sich die geneigte Straße entlang reihen wie auf einer Perlenkette.

Billa legte den Plan eines Baumeisters vor. Das leer stehende Bauwerk soll zur Gänze abgetragen und der dadurch entstehende Bauplatz bis zu neuneinhalb Meter hoch aufgeschüttet werden, um darüber das neue Gebäude niveaugleich mit der Bundesstraße zu errichten. Ein Billa-Markt auf dem Tablett, die Sichtbarkeit von der Bundesstraße als oberste Maxime – und alles mit weitreichenden Folgen. Zur tiefer liegenden Straße und zu den historischen Nachbarhäusern hin war eine ebenso hohe Stützmauer geplant, zum natürlichen Niveau des Nachbargartens Böschung, Stützmauer und Zaun. Der beigezogene Ortsbildsachverständige lehnte das Vorhaben in dieser Form ab und erteilte Auflagen, was die Höhenlage des Gebäudes, seine ungegliederte Masse und die monströsen Stützmauern betraf. Minimale Änderungen folgten – nichts, was substanziell Verbesserung und avancierte Architekturqualität gebracht hätte. Aus der Stützmauer wurde ein 160 Meter langes, im Zickzack verlaufendes Rampenbauwerk, das nun den Zugang vom Ortszentrum darstellt. Die unnatürliche Höhenlage blieb unverändert. Neu war, dass ein von der Gemeinde beauftragter zweiter Gutachter nunmehr grünes Licht für die um keinen Deut bessere Variante gab. Wie und womit er begründete, dass die Empfehlungen des Erstgutachtens nun erfüllt seien, ist haarsträubend. Es könnte zum Lehrbeispiel für unzureichende Gutachten und Gutachter werden. Wer nun glaubt, dass dagegen von der Baubehörde, der Gemeinde oder der Ortsbildkommission, die informiert war, Einspruch erhoben wurde, der irrt.

Unmut regt sich seit der Bauverhandlung in den sozialen Medien gegen die Einwände der Nachbarin, die, über die ihr zustehenden Rechte hinaus, auf der Unvereinbarkeit der vorgelegten Planung mit den Vorgaben des Ortsbildgesetzes beharrt. Tatsächlich ist viel Porzellan zerbrochen worden in der Geschichte, in der wohl die Hauptbeteiligten – Gemeinde und Billa – nur zu ihrem Eigennutz gehandelt haben. Der Schutz des Ortsbilds wurde offensichtlich als vernachlässigbare Marginalie gesehen. Doch welche Lehre, welcher Erkenntnisgewinn lässt sich ziehen? Waren qualitätvoll gelöste Bauvorhaben immer schon eine Herausforderung, so ist die Komplexität des Bauens heute aufgrund der unumgänglichen Aufforderung zu sparsamem Ressourcen- und Energieverbrauch und umfassendem Schutz der Umwelt noch höher. Billa wäre gut beraten gewesen, das beste maßgeschneiderte Projekt über einen Architekturwettbewerb zu finden oder aus einem Pool aus exzellenten Architekten zu schöpfen, die längst bewiesen haben, dass sie Bauaufgaben in sensibler Lage wie in Eisenerz bewältigen. Unternehmen wie Sutterlüty in Vorarlberg, MPreis in Tirol und Spar mit Beispielen in der Steiermark gehen seit Jahren diesen Weg und zeigen auf, wie erfolgreich gutes Bauen in jeder Hinsicht ist.

Der jetzt eingereichte Entwurf wird nicht nur aus ökologischer, sondern könnte auch aus ökonomischer Sicht für Billa ein Misserfolg werden. Man bedenke: ein Rückbau und die kostenintensive Entsorgung des Abbruchmaterials, die enormen Mengen an Material für die Aufschüttung des Bauplatzes und die Notwendigkeit einer zeitraubenden, temporären Überschüttung mit noch mehr Gewicht, damit sich der Baugrund stabilisiert. Dazu kommt, dass ein Bauwerk mit Rampen und Stützmauern äußerste Präzision in der Konstruktion und ständige Wartung im Eisenerzer Winter verlangt.

Billa hätte für sein Bauvorhaben Hilfe und fachlichen Rat gebraucht. Die Steiermark hat laut Internet einen Baukultur-Beirat, der die Baukultur-Leitlinien zur Umsetzung bringen soll. Seit vielen Jahren gibt es einen Baukultur-Beauftragten. Doch was wird getan, um die Leitlinien zur Baukultur aus der Papierform zu holen und zumindest dort mitzugestalten, wo das Land über Gesetze und Fördermittel Mitsprache und Entscheidungsmacht hat? Eine solche hätte auch die Ortsbildkommission auf Grundlage des Ortsbildgesetzes. Warum gab es kein entschiedeneres „Nein, so nicht“, nachdem der erste Sachverständige eine substanzielle Änderung des Entwurfs empfohlen hatte und diese nicht kam? Warum keine Koordination der Beteiligten, um über Gespräche Überzeugungsarbeit für eine ortsbildverträgliche Lösung zu leisten?

Trotz aller Versäumnisse wäre es für die Einsicht, dass man heute nicht mehr ressourcenverschleudernd bauen kann als Unternehmen, das mit Nachhaltigkeit punkten will, ein Klimaaktiv-Partner ist und mit Greenpeace kooperiert, nicht zu spät. Für eine Umkehr zurück an den Start auch nicht. Ein Gebäude, das intelligent auf dem Bestehenden aufbaut, oder eine neue, qualitativ hochstehende Architektur, die sich besser ins Ortsbild einfügt, wäre ein Gewinn für alle und könnte glaubwürdig für eine notwendige Wende im Bausektor stehen, in der unser Tun den Erfordernissen des Umweltschutzes in seiner ökologischen und ökonomischen Dimension angepasst wird. Mit Stolz bewirbt Billa eine Filiale in Perchtoldsdorf als Blue Building, das für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet wurde. Nur leider macht ein „Öko-Billa“ genauso wenig einen Sommer wie eine einzige Schwalbe.

Spectrum, Sa., 2019.11.16

25. Mai 2019Karin Tschavgova
Spectrum

Wie viel Raum braucht der Mensch?

Goldene Zeiten für Graz-Umgebung als zweitattraktivsten Bezirk Österreichs: Auf Teufel komm raus wird neu gebaut. Die Bodenversiegelung schreitet rasch voran – eine neue Raumordnung scheint notwendig.

Goldene Zeiten für Graz-Umgebung als zweitattraktivsten Bezirk Österreichs: Auf Teufel komm raus wird neu gebaut. Die Bodenversiegelung schreitet rasch voran – eine neue Raumordnung scheint notwendig.

Herrscht da Goldgräberstimmung? Als aufmerksame Beobachterin der massiven Bautätigkeit südlich von Graz konnte man auch ohne das neueste Zukunftsranking schlussfolgern, was nun schwarz auf weiß feststeht: In der Studie, die die Attraktivität und Entwicklungsfähigkeit der österreichischen Regionen untersuchte, nimmt Graz-Umgebung unter den 94 Bezirken den zweiten Platz ein und punktet vor allem in den Kategorien Arbeitsmarkt sowie Wirtschaft und Innovation.

Viel gebaut bedeutet Verbrauch von Boden, der in ländlichen Gemeinden meist hochwertiger, zuvor landwirtschaftlich genutzter Boden ist. Österreich ist europäische Spitze im Bodenverbrauch. Hier wird täglich dreimal so viel Agrarland in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt wie in Deutschland. In der Schweiz gibt es Initiativen zum Flächenschutz von agrarischem Kulturboden. Davon erfahren wir nur, wenn, wie 2015, Österreichs Hagelversicherung einen dramatischen Appell zur Reduktion der Bodenversiegelung veröffentlicht, damit die Auswirkungen des Klimawandels nicht noch durch „toten Boden“ verstärkt werden, in dem kein Wasser versickern und kein Kohlendioxid gebunden werden kann. Bodenverbau soll in der Schweiz direkt an den Erhalt der Ernährungssicherheit durch ausreichende Flächen zur Versorgung der Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln aus der Region gekoppelt werden.

Solche Maßnahmen finden sich nicht in unserer überörtlichen Raumordnung, obwohl der Tenor ihrer Grundsätze Ähnliches enthält: Freihaltung von Gebieten mit der Eignung für eine Nutzung mit besonderen Standortansprüchen, Nutzung von Boden unter Beachtung eines sparsamen Flächenverbrauchs, einer wirtschaftlichen Aufschließung und Vermeidung von Zersiedelung, Entwicklung der Siedlungsstruktur unter Berücksichtigung von Klimaschutzzielen und sparsamer Verwendung von Energie und Ausrichtung an vorhandener Infrastruktur sind nur einige der Ziele, die auf dem Papier gut klingen.

Die örtliche Raumplanung, die den Kommunen obliegt und im Flächenwidmungsplan Bauland und/oder nicht zu bebauendes Freiland ausweist, ist also gefordert, Raum klug und weitsichtig zu ordnen, wie es das Steiermärkische Raumordnungsgesetz aus 2010 vorgibt: „Raumordnung ist die planmäßige, vorausschauende Gestaltung eines Gebietes, um die nachhaltige und bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohles zu gewährleisten.“ Dies umzusetzen fällt wirtschaftlich schwachen Gemeinden nicht leicht, müssen doch etwa zwei Drittel ihres Gemeindebudgets aus Kommunal- und Grundsteuern aufgebracht werden. Das lässt verstehen, dass es in Gemeinden mit Mangel an Arbeitsplätzen und Abwanderung schwerfällt, Begehrlichkeiten zur Umwidmung von Grünland in Bauland abzuweisen. Anders sollte es in boomenden Regionen wie dem Umland von Graz sein. Wann, wenn nicht jetzt wäre es möglich, den Paradigmenwechsel vom sorglosen Bodenverbrauch zu sparsamer, ressourcensparender Bodenverwendung vorzunehmen? Was wie ein Widerspruch klingt, ist keiner, denn in konjunkturell guten Zeiten kann man sich Achtsamkeit und ökologische Überlegungen leisten. Ein Paradigmenwandel wäre jetzt angesagt, denn alles, was wir weiter verschwenderisch verbauen und zubetonieren, formt unumkehrbar den Lebensraum, den wir unseren Kindern hinterlassen.

Nicht nur in Graz-Umgebung scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass an Schotterteichen neuerdings mehrgeschoßige Wohnanlagen für Ganzjahreswohnen hochgezogen werden? In den Gemeinden Kalsdorf und Premstätten, das aufgrund von Betriebsansiedlungen zu einer der finanzstärksten Gemeinden der Steiermark aufstieg, wurden solche Bebauungen genehmigt. Was als wilde Seeverbauung mit Wochenendhütten begann, wurde später durch die Errichtung einer Kanalisation legalisiert und weiter ausgebaut, zuerst nur mit Ferienhaus-Widmung, nun als Ganzjahreswohnsitz. Der Eingriff in das Landschaftsbild ist unschön, doch schwerwiegender ist, dass die Aufschließungs- und Erhaltungskosten der Gemeinden aus öffentlichen Geldern in solch ortsfernen Gebieten wesentlich höher sind als in dichten Siedlungsstrukturen, dass es kaum Anschluss an den öffentlichen Verkehr gibt, im Umfeld weder Kindergärten, Schulen noch Nahversorger zu finden sind – kurz: dass für jede Versorgungsfahrt das Auto eingesetzt wird. Die Notwendigkeit einer Folgen- und Folgekostenabschätzung wird seit Jahren betont, doch wo bleibt sie, wenn sich an den Ortseinfahrten Gewerbezentren ausbreiten und Felder und Wiesen durch Supermärkte, Parkplätze und Hallen versiegelt werden?

Möglicherweise hat ein substanzielles Umdenken des Bürgermeisters der Marktgemeinde begonnen, wenn er im privaten Zwiegespräch betont, dass er vielen Ansuchen von Bürgern um Umwidmung eine Abfuhr erteilen muss, weil er jetzt nur noch im Ortskern und nahe an bestehender Infrastruktur bauen lässt. Wenn es um ressourcenschonendes Bauen geht, stellt sich die Frage des Wo, Wie und Wieviel. Das müsste allen Beteiligten, vom Bürgermeister als oberster Bauinstanz bis zum Ortsplaner, Architekten und Bauwerber, klar werden.

Besserer Bodenschutz, weniger bauen bedingen einen Bewusstseinsprozess, der sich bereits im Raumordnungsbeirat, dem beratenden Gremium in Angelegenheiten der übergeordneten Raumordnung, widerspiegeln müsste. Dort haben bis heute die Umweltanwältin und fallweise herangezogene Sachverständige nur beratende Funktion ohne Stimmrecht, im Gegensatz zu den Vertretern aller Landtagsklubs, der Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer und des Gemeinde- und Städtebunds. Dass das Bewusstsein fehlt oder nicht genügt, um zukünftig Entwicklungen in die falsche Richtung zu verhindern, zeigt das Beispiel der geplanten Betriebserweiterung eines bekannten Industriellen im Bezirk. Die riesige Investition für die erweiterte Produktion geht einher mit einer enormen Versiegelung durch Neubau, Parkplätze, Zufahrten und Vorplätze. Das anlässlich des Spatenstichs publizierte Schaubild macht deutlich, dass minimierte Bodenversiegelung weder dem Architekten noch dem Bauherrn ein Anliegen ist. Was zählt, ist die wirtschaftliche Expansion. Das Lächeln des Landeshauptmanns zeigt Zufriedenheit.

Es braucht also mehr als Ausbildung und Bewusstsein, um die Entwicklung prosperierender ländlicher Regionen vom sorglosen Bodenverschleiß zur sparsamen Bodenverwendung zu steuern. Ohne weiterreichende Gesetze mit strengeren Ge- und Verboten wird es nicht gehen. Anreizsysteme zur Erhaltung von Grünland könnten wirksam sein. Aller Anfang läge in einer Raumordnung, die interdisziplinär eine Strategie erarbeitet, in der Klima- und Artenschutz, regionale Ernährungssicherung und die drastische Einschränkung des Bodenverbrauchs nicht papieren bleiben.

Spectrum, Sa., 2019.05.25

23. Februar 2019Karin Tschavgova
Spectrum

Wandel im ehemaligen Rotlichtviertel: Lend - und wie weiter?

Lange war er als Rotlichtviertel und Substandard-Lebensraum verschrien: der Grazer Bezirk Lend. Mittlerweile ist der Wandel nicht mehr zu übersehen. Ob die Erfolgsgeschichte nördlich des Lendplatzes weitergehen wird, entscheidet sich jetzt. Eine Stadtwanderung.

Lange war er als Rotlichtviertel und Substandard-Lebensraum verschrien: der Grazer Bezirk Lend. Mittlerweile ist der Wandel nicht mehr zu übersehen. Ob die Erfolgsgeschichte nördlich des Lendplatzes weitergehen wird, entscheidet sich jetzt. Eine Stadtwanderung.

Wenn Narrative über die Entwicklung von Stadtquartieren als touristische Attraktion vereinnahmt werden, so ruft das bei mir Skepsis hervor. Gemeinhin wird der Beginn des Aufschwungs im Grazer Lendviertel am Kulturhauptstadtjahr 2003 und der zeitgleichen Eröffnung des Kunsthauses, das genau an der Grenzlinie zwischen den Bezirken Lend und Gries liegt, festgemacht. Als ehemalige Handwerksquartiere am rechten Murufer, in die über lange Zeit nichts investiert worden war, hatten beide ein eher tristes Dasein gefristet. Gleich hinter der repräsentativen Gründerzeitbebauung am Kai hatte sich eine Nachtclub- und Rotlichtszene etabliert, und frei werdender Substandard-Wohnraum war vor der Jahrtausendwende fast nur mehr an Migranten vermietbar.

2003 gab zweifellos den wichtigsten Impuls für die Transformation des Umfelds um den Südtiroler Platz. Im Rücken des Kunsthauses, in der Mariahilferstraße, wurde diese Veränderung schneller sichtbar. Dort standen mehrere Häuser zum Verkauf, wurden saniert, und in die freien Geschäftslokale zogen Mutige aus der Kreativszene und Sozialvereine wie „Tagwerk“ ein. Dass sie von der Stadt unterstützt wurden, um die Mieten für ihre Ladenlokale aufbringen zu können, ist eine der Legenden über den Aufschwung des Lendviertels. Der Wandel hatte schon 1999 mit der gelungenen Neugestaltung des Lendplatzes durch Norbert Müller im Rahmen der Initiative „Platz für Menschen“ des jung verstorbenen Vizebürgermeisters Erich Edegger begonnen. Der dortige Bauernmarkt wurde zum beliebten Treffpunkt, die türkischen Läden trugen zur Attraktivierung bei. Die aktive nachbarschaftliche Aneignung des öffentlichen Raums als Stadtraum, der nicht bloß kommerziellen Interessen vorbehalten ist, ist das Anliegen des „Lendwirbels“, der heuer zum elften Mal im Frühling stattfindet. Seine Initiatoren und sozialen Netzwerker tragen heute mehr zur gedeihlichen Entwicklung des Lendviertels bei als die Stadtplanung – ja, sie bilden mit ihren Anliegen für eine entscheidungsoffene Mitgestaltung des eigenen Lebensraums eine kritische Instanz gegenüber Tendenzen, ihr Viertel als Teil der „City of Design“ für den Tourismus und die sogenannte Kreativwirtschaft zu vermarkten.

Immobilienentwickler, die auf eine Aufwertung des Viertels durch höchste Qualität setzen, sind rar. Megaron, hinter der die Grazer Gruppe Pentaplan in Personalunion als Architekten und Bauträger steht, ist einer. Sie haben risikoreich auf die steigende Attraktivität des Lendviertels gesetzt und waren mit einem markanten urbanen Gebäude mit gemischter Geschäfts-, Büro- und Wohnnutzung im Jahr 2000 Impulsgeber. Zwei Jahre lang verkauften sie nichts, doch ihr Gespür für Orte und Entwicklungen mit Lebensqualität machte das Unterfangen letztlich zum Gewinn. 2004 ersteigerten sie eine Immobilie am Platz und planten mit einer Förderung zur Schaffung von Wohnraum durch umfassende Sanierung anhaltend nachgefragte Mietwohnungen. Der preisgekrönte „Goldene Engel“ führt das Urbane des Platzes mit einer repräsentativen Stadtfassade und mit öffentlich zugänglichen Flächen im Erdgeschoß fort und ist ein gutes Beispiel für die sozialverträgliche Transformation des Bezirks, der zwischen 2006 und 2011 zum am schnellsten wachsenden der Stadt wurde. Das Wohnen am rechten Murufer wurde für die Jungen attraktiv. Alteingesessene, Migranten und Studenten prägen das Stadtbild in einem lebendigen Nebeneinander. In der öffentlichen Wahrnehmung endet das heute nach wie vor mit dem Lendplatz. Das vorstädtisch klein geprägte Gewerbe- und Wohngebiet um die Wiener Straße bis zum Kalvariengürtel bleibt noch ausgeblendet, obwohl sich dorthin bereits die Begehrlichkeiten von Immobilienentwicklern verlagert haben.

Dazu der Versuch einer Charakteristik des Vorgefundenen: AVL, ein international tätiger Motoren- und Prüfsystementwickler, besetzt mit einem stetig wachsendem Konglomerat aus Büro- und Forschungsbauten und einer massigen Hochgarage ein großes Areal am Beginn der Wiener Straße – introvertiert, abgeschlossen und unter Privatisierung einer ehemals durchs Firmenareal führenden Straße. Das Gebiet östlich der Wiener Straße hingegen, entlang von drei parallel geführten Nord-Süd-Verbindungen, ist stark durchmischt. Mehrgeschoßige Wohnbauten, denen man ablesen kann, dass sie an der Stelle von früheren Einfamilienhäusern und Gewerbebetrieben sitzen, wechseln sich ab mit kleinen Vorstadthäusern in großen Obstgärten. Eingeschoßige, teils winzige hundertjährige Wohnhäuser stehen neben neuen Wohnblöcken, die ihre Areale bis auf ein Maximum der erlaubten Bebauungsdichte im Kerngebiet bebaut haben. Das treibt kuriose, teils gar nicht stadtverträgliche Blüten. Ein Beispiel? Austritte oder kleine Terrassen von Wohnungen im Erdgeschoß bis an den Gehsteigrand, abgetrennt durch eine mauerdichte Umzäunung. Zwei neue Bauten stechen wohltuend hervor, der neueste Coup von Pentaplan: die 2018 mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnete „Prinzessin Veranda“. Das Wohngebäude ist ebenso als herausragender urbaner Solitär in einen Zwickel zwischen zwei Straßen gesetzt wie das Hotel Lend, das Nicole Lam ins ehemalige Niemandsland neben Bordell und Hochgarage gesetzt hat.

Gebaut wird hier bald an allen Ecken und Enden. Für das nächste große Investment, kolportierte 300 Wohnungen in einem noch gewerblich genutzten Areal am Beginn der Wiener Straße, hat die Stadt einen Bebauungsplan erstellt. Dieser könnte überall im Stadtgebiet umgesetzt werden, die vorgesehene geschlossene Blockrandbebauung nimmt leider keine der jetzt noch vorhandenen raumbildenden Merkmale des Stadtteils auf – weder Öffnungen noch Durchblicke in die Grundstückstiefe noch Wegeführung durch das Areal. Genau das aber macht für den aufmerksamen Stadtwanderer den Charme der noch rudimentär vorhandenen alten Vorstadt zwischen Lendkai und Wiener Straße aus. Dass das Alte, Kleinteilige bald Vergangenheit sein wird, ist eine Realität. Zu groß sind die Begehrlichkeiten für das zentrumsnahe, gut erschlossene Quartier. Stadtverdichtung als Devise ist in einer Stadt der kurzen, fußläufigen Wege nicht falsch. Doch halt! Einiges an den liebenswerten Besonderheiten könnte in die Transformation des Gebiets aufgenommen werden. Die großen, nur mit Stichstraßen erschlossenen Flächen geben es vor: Durchblicke und bis weit in tiefe, schmale Grundstücke hineinführende Wege, die aufgenommen, öffentlich gemacht und weitergeführt werden könnten, ohne Einzäunungen. Stadt ist nun einmal eine dichte Gemengelage aus öffentlichen, halb öffentlichen und privaten Interessen.

Für das Lendviertel gilt: Seine Heterogenität ist eine feinkörnige Durchmischung, seine Vielfalt eine Ressource und ein Schatz, der nicht durch 08/15-Neuplanung verschwinden darf.

Spectrum, Sa., 2019.02.23

06. Januar 2019Karin Tschavgova
Spectrum

Leistbares Wohnen: So geht's!

In Zeiten von schwindenden Flächen ist leistbares Wohnen eine besondere städtebauliche Herausforderung. Klagenfurt zeigt, wie es gelingen kann – 2018 gab es dafür den Landesbaupreis.

In Zeiten von schwindenden Flächen ist leistbares Wohnen eine besondere städtebauliche Herausforderung. Klagenfurt zeigt, wie es gelingen kann – 2018 gab es dafür den Landesbaupreis.

Im Jahr 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten wohnen, und schon jetzt gibt es in wachsenden Agglomerationen einen enormen Bedarf an Wohnraum. Bei einer internationalen Konferenz über Soziales Wohnen im Dezember 2018 in Wien fielen bemerkenswerte Sätze zum Thema: „Wir können Wohnen nicht dem Markt überlassen.“ Und: „Selten kommen Interessensgegensätze so deutlich zum Vorschein wie in der Wohnbaupolitik.“

Michael Ludwig, der sie formulierte, war einst Wohnbaustadtrat. Wiens Bürgermeister wusste genau, wovon er sprach, als er betonte, dass das Wohnen aus der neoliberalen Entwicklung herausgenommen werden muss, weil die Privatisierung des Wohnungsmarkts den Kommunen die Möglichkeit nimmt, regulierend einzugreifen. Leistbaren Wohnraum zu schaffen ist eine Herausforderung, in der es um weit mehr geht, als geförderte Wohnungen für sozial Schwache bereitzustellen. Ureigenste Charakteristiken der Stadt sind Diversität und Vielfalt. Will man sie steuern, muss Durchmischung jeden neuen Siedlungsraum prägen. Damit Gemeinschaft gelingt und hohe Akzeptanz erhält, braucht es bauliche Voraussetzungen, aber auch programmatische soziokulturelle Unterstützung.

Wohnzufriedenheit kann nur entstehen, wenn neue Siedlungsgebiete infrastrukturell erschlossen und angebunden werden, wenn der Weg zur Arbeit und zur Deckung des täglichen Bedarfs nicht kostbare Tagesfreizeit ,auffrisst‘; wenn schwierige Lagen und Grundstücke – und in vielen dicht bebauten Agglomerationen sind nur mehr solche verfügbar – so bebaut werden, dass in den Wohnungen Emissionen von Verkehr und Lärm geschickt ausgeblendet werden. Wohnbauforschung muss umweltverträgliche Typologien und Wohnungsgrundrisse entwickeln, Bund, Land und Stadt müssten Mittel zur Verfügung stellen, damit diese auch ohne Ausschöpfung maximaler Dichten und höchster Effizienz realisiert werden können. Städte wie Wien, die Baulandbevorratung betreiben, haben die Möglichkeit, Bauland an Bauträger unter dem Marktwert weiterzugeben, an bestimmte Bedingungen geknüpft.

Auch die Klimaveränderung wird urbanes Wohnen sichtbar verändern. Österreich ist unrühmliche europäische Spitze im Bodenverbrauch. Weniger Boden versiegeln, Flachdächer begrünen und nützen, Grünraum mitplanen, gemeinsames „Garteln“ fördern – all das trägt dazu bei, das Mikroklima in Wohnquartieren zu verbessern. Tatsache ist auch, dass ein angemessenes Grünangebot im Nahbereich der Wohnung die Zahl der Stadtbewohner, die sich jedes Wochenende ins Auto setzen und in Kolonnen aufs Land flüchten, reduziert.

Städte sind immer Motor gesellschaftlicher Veränderung gewesen. In Klagenfurt, das nicht zu den wachsenden Hauptstädten zählt, treten einige der genannten Themen noch nicht zugespitzt auf. Lange Wartelisten für erschwingliche Mieten gibt es dennoch. Umso bemerkenswerter ist, dass Klagenfurt den Bau einer Siedlung mit fast 100 Wohnungen an der Glan initiiert hat, bei dem durch gezielte Steuerung Voraussetzungen geschaffen wurden, die leistbares Wohnen gelingen lassen.

Und das kam so: Für ein Grundstück in ihrem Besitz schreibt die Stadt als Ausloberin 2011 einen Architekturwettbewerb aus, in dem sie Voraussetzungen für ein gedeihliches städtisches Miteinander bedacht und präzise formuliert. Stark im Wandel befindliche Lebensformen sollen sich in einem differenzierten Angebot an Wohnraum ausdrücken. Den Wettbewerb für sich entscheiden kann Eva Rubin, die mit ihrem Projektleiter Jürgen Wirnsberger den Entwurf ab 2013 auch umsetzen wird.

Doch bis dahin geht die Stadt einen Weg, der bemerkenswert und vorbildlich ist und gegenüber der städtischen Finanzabteilung sicher nicht einfach durchzusetzen war. Sie verkauft das Grundstück nicht an den Bestbieter, sondern wählt in einem Evaluierungsprozess unter Interessenten jene Wohnungsgenossenschaft aus, die bereit und am besten geeignet ist, das geförderte Projekt so umzusetzen, wie es geplant wurde und von der Stadt gewünscht wird.

Individuellen Bedürfnissen und der Durchmischung im verdichteten Geschoßbau geschuldet ist ein Angebot von vierzehn verschiedenen Grundrissen auch für Startwohnungen, betreutes Wohnen, eine betreute Wohngemeinschaft und Wohnungen für AlleinerzieherInnen, die mit dem Angebot eines zusätzlichen Homeoffices konzipiert wurden (und zum Bedauern der Architektin nicht als solche vergeben wurden).

Eva Rubins grundlegende Faktoren für den Entwurf waren Maßstäblichkeit und eine lebendige Gliederung der Baumassen, um Erkennungswert und Identifikation mit dem Zuhause zu fördern. Zur möglichen Höhenentwicklung im Wohnungsbau vertritt die Tochter von Roland Rainer eine klare Haltung: Die maximale Höhe ist dort gegeben, wo die direkte kommunikative Verständigung zwischen der Wohnung und dem Freibereich vor dem Haus gerade noch möglich ist.

Zehn bis zu vier Geschoße hohe Baukörper sind deutlich in der Höhe abgestuft und sichtbar gegliedert zwecks Optimierung der Sonneneinstrahlung. Was damit auch angestrebt wurde und wie selbstverständlich gelang, ist ein maßvoller Übergang zur im Süden vorgelagerten, öffentlich nutzbaren Wiese, zur schönen Baumpflanzung am Ufer und zum Radweg entlang der Glan. Die Wohnungen im Erdgeschoß haben private Kleingärten. Jene am halb öffentlichen Grün und dem zentralen, teils befestigten Platz sind durch Hecken und halb hohe Lüftungsschächte der Tiefgarage getrennt, die Privatheit garantieren sollen. Der große Gemeinschaftsraum, auch zum Platz hin angelegt, eine gedeckte Spielfläche und die Wegeführung zur Erdgeschoß- und zur Laubengangerschließung signalisieren allerdings urbane Betriebsamkeit.

Alles an baulichen Voraussetzungen für das Entstehen geglückten Zusammenlebens in einer aufeinander Rücksicht nehmenden Gemeinschaft ist in dieser Anlage gegeben – von der Abschottung vom Verkehr der angrenzenden Straße durch einen höheren Querriegel bis hin zu den mietbaren Hochbeeten. Wie die Siedlung mit Leben erfüllt wird, wird sich nach und nach zeigen. Ganz so wie in der dichten Stadt, die auch nicht an einem Tag zu dem wurde, was sie heute ist.

Als Best-Practice-Beispiel kann sie jetzt schon dienen. Sie beweist, dass es möglich ist, guten Wohnraum zu schaffen, wenn nicht Gewinnmaximierung die Prämisse ist, sondern der Wille der Politik, leistbaren Wohnraum zu schaffen; wenn die Länder stärker als Förder- und Geldgeber auftreten, die Städte ihre Aufgabe auch darin sehen, geeignete Flächen aufzukaufen und bereitzustellen. Und wenn alle Beteiligten daran interessiert sind, die hohe Lebensqualität in Städten zu erhalten.

Spectrum, So., 2019.01.06



verknüpfte Bauwerke
Neues Wohnen an der Glan

21. April 2018Karin Tschavgova
Spectrum

Was bleibt den Kindern?

Fachleute fordern, die Bauten der Nachkriegsmoderne systematisch zu erfassen, um Baudenkmäler dieser Zeit schützen zu können. Im Einzelfall zeigt sich, dass Expertise noch fehlt: zum Umbau des Speisesaals der Schulschwestern in Graz.

Fachleute fordern, die Bauten der Nachkriegsmoderne systematisch zu erfassen, um Baudenkmäler dieser Zeit schützen zu können. Im Einzelfall zeigt sich, dass Expertise noch fehlt: zum Umbau des Speisesaals der Schulschwestern in Graz.

Wir befinden uns mitten im Jahr des Europäischen Kulturerbes, das die EU 2018 ausrief. Auch Österreichs Bundesdenkmalamt beteiligt sich daran und stellt seine Veranstaltungen unter das Motto „Der Zukunft eine Vergangenheit geben“. Das klingt auf den ersten Blick rätselhaft, weckt dadurch Interesse und lässt eine deckungsgleiche Interpretation mit dem Anliegen einer Aktionsgruppe zu, die sich vergangenen Herbst formiert hat. „Bauten in Not“ macht auf Baudenkmäler in Österreich aufmerksam, deren Zukunft ganz und gar noch nicht gesichert ist. Den sich vorwiegend zivilgesellschaftlich engagierenden Architekturwissenschaftlern und Architekten geht es um eine breite Bewusstseinsbildung für die Bedeutung der Baukultur des 20. Jahrhunderts – mit starkem Fokus auf die Nachkriegsmoderne.

Die Forderung, sich endlich systematisch und umfassend dieser Periode des Wiederaufbaus zu widmen, richtet sich an das Bundesdenkmalamt, das diese Notwendigkeit selbst schon 2008 angesprochen hat. Was davon ist es wert, in die jüngere österreichische Architekturgeschichte aufgenommen zu werden? Gefordert wird die Erarbeitung von Wissen und Beurteilungskriterien zur Thematik. Analysekompetenz ist die wichtigste Grundlage für den Diskurs zur respektvollen, adäquaten Erhaltung von wichtigen Baudenkmälern, der mit Eigentümern und Nutzern geführt werden muss. Zurzeit scheinen Kompetenz und eine klare Haltung noch nicht vorhanden. Das wird am Umgang mit Bauten in ganz Österreich, die akut gefährdet oder schon zerstört sind, sichtbar. In der Beschreibung des Aufgabenbereichs des BDA Steiermark findet sich ein bemerkenswertes Bekenntnis: „In Graz findet auch die jüngere Architektur in der Denkmalpflege Beachtung, die ,Grazer Schule‘ zählt dabei zu den bekanntesten Phänomenen der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts.“

Der Speisesaal der Schulschwestern (1973–77) von Günther Domenig und Eilfried Huth in Graz-Eggenberg stellt ein Schlüsselwerk jener lokalen Architekturbewegung dar, die der verflachten, nur mehr funktionalistisch geprägten Moderne des Wiederaufbaus eine Abfuhr erteilte. Das Bauwerk im Innenhof des Klostergevierts „mit seiner frei geformten, animalisch anmutenden Struktur aus Spritzbeton“ (Achleitner) symbolisiert den Wertewandel zu einer individualisierten, auf den Ort bezogenen Bearbeitung jeder Bauaufgabe.

Nun wurde dem Speisesaal, der nach Paragraf 2a als Bau im öffentlichen oder kirchlichen Eigentum unter Schutz gestellt worden war, ein neuer Verbindungsgang zum Schultrakt des Klosters hinzugefügt – unter Einbeziehung und Begleitung der Altstadtkommission und des Bundesdenkmalamts in Graz. Die Architekten gingen an das kleine Bauwerk seinerzeit heran wie an eine Skulptur. In die Diagonale gesetzt, sollte es ein Kontrapunkt zur strengen Orthogonalität des Klostergevierts werden. Ein Merkmal solch plastisch-organischer Ausformung von Räumen ist, dass sie als solitäre Form Wirkkraft entfalten, auch dann, wenn wie beim Speisesaal der Baukörper (welch passender Ausdruck!) über einen offenen Gang an den Bestand angebunden wird. Auch eine zweite Verbindung zum Klostertrakt gab es von Anfang an – sorgfältig gewählt, von Besuchern gar nicht wahrgenommen war jene zur Küche, aus der die Speisen in den Saal gebracht wurden.

1988 ließ man die Spritzbetonschale aufwendig mit Rheinzink überziehen, um einer größeren Undichtheit des Daches zuvorzukommen. Veränderungen passierten also, die Solitärwirkung blieb. Vor wenigen Jahren stellten die Schwestern nun die Versorgung über die hauseigene Küche ein. Mit der externen Anlieferung der Speisen wollte man auch die Funktionsabläufe entflechten, weg vom internen Teil des Klosters. Die Lösung dafür sahen die Klosteroberin und die Architektin nur in der nun neu positionierten Essensausgabe, in einer im Schultrakt situierten Abwäsche und einem neuen Verbindungsgang. Die Altstadtkommission als Begutachterin und das Bundesdenkmalamt schlossen sich dieser Meinung an.

Ein großer Fehler, denn diese Maßnahme wirkt sich gravierend aus. Der von den Architekten präzise gesetzte frühere Ausgang in den liebevoll gepflegten Blumengarten mit exotischen Bäumen wurde geschlossen, fungiert nun als Anschluss zum Anbau. Dabei war das kleine Landschaftsstück mit organischer Anordnung von Wegen und Beeten schon in einer Zeichnung von Domenig als integraler Teil des Bauwerks angelegt. Nun wurde es in zwei Teile zerschnitten, von denen einer weitgehend der neuen Zufahrt zum Opfer fiel.

Die Architektin erzählt, dass ihr schlichter Erstentwurf des Verbindungsgangs von der Altstadtkommission abgelehnt und sie aufgefordert wurde, architektonischen Ausdruck und Form an das organische Gebilde anzupassen. Fatal, denn die Solitärwirkung der Architektur des Speisesaals ist massiv beeinträchtigt. Das Ergebnis kann nicht anders als misslungen bewertet werden, auch wenn der finanzielle Aufwand zur gewünschten qualitativen Analogie überproportional hoch war. Der Leiter des steirischen BDA, Christian Brugger, sieht darin keine (Zer-)Störung des Baudenkmals, „weil der Speisesaal so stark ist“, und ergänzt, dass die nunmehrige Hinzufügung „ein Bauwerk ist, das ja wieder einmal rückgebaut werden kann“.

Wer wie die Autorin diese Einschätzung nicht teilt, ist der Meinung, dass bei dem Schlüsselwerk der „Grazer Schule“ die Fachleute beider Institutionen versagt haben. Ihre Aufgabe wäre gewesen, Überzeugungsarbeit zu leisten und die jetzige Leitung der Schulschwestern für die Erkenntnis zu gewinnen, dass dieser Solitär keine zusätzliche Anbindung an das Klostergeviert verträgt. Aufgabe der Architektin des Umbaus wäre gewesen, eine Alternative für die gewünschte Entflechtung zu entwickeln, durch die der Verbindungsbau entfallen wäre. Ich behaupte, dass dies mit einer guten Idee und Überzeugungskraft hätte gelingen können. Erforderlich dafür wäre allerdings Expertise gewesen – sich der Bauaufgabe tiefgehend zu widmen, Charakteristik und Qualität des Denkmals umfassend zu analysieren und es aus dieser Erkenntnis heraus vor Verschandelung zu schützen.

Was an Baukultur dieser wichtigen Zeit des Aufbruchs in Österreich werden wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen, was wird der Zukunft eine identitätsstiftende Vergangenheit geben können?

Spectrum, Sa., 2018.04.21

03. März 2018Karin Tschavgova
Spectrum

Eingang um die Ecke

Kein Stück Baukultur ist sakrosankt – Eingriffe zur Funktionsänderung müssen erlaubt sein. Die Frage ist: Wer plant und autorisiert den Umbau? Zu wessen Vorteil? Ein brisantes Thema, aufgezeigt anhand der neu gestalteten Zugangsebene des Kunsthauses Graz.

Kein Stück Baukultur ist sakrosankt – Eingriffe zur Funktionsänderung müssen erlaubt sein. Die Frage ist: Wer plant und autorisiert den Umbau? Zu wessen Vorteil? Ein brisantes Thema, aufgezeigt anhand der neu gestalteten Zugangsebene des Kunsthauses Graz.

Architekturkritik thematisiert, wenn sie Bauten vorstellt, vorwiegend Objekte im Originalzustand – diese sind neu, erst kurz in Verwendung und noch unverändert. Über ältere Werke der Baukunst wird im historischen Kontext gesprochen, wenn sie etwa unter Schutz gestellt werden sollen oder ihnen Zerstörung droht. Mögen sie noch so bedeutend sein als touristische Attraktion, als Schlüsselwerke in der Entwicklung der Architektur und ihrer Geschichte: Zwischen dem einen und dem anderen Moment ihrer Existenz bleiben selbst bedeutende Bauten unbeachtet vom wertenden Blick, dabei muss Architektur erst ihren Gebrauchswert unter Beweis stellen. Sie muss nicht nur in der geplanten Form „funktionieren“, sondern, wenn nötig, auch angepasstwerden können an neue Anforderungen an die räumliche Organisation, an Arbeitsplätze, technische Ausstattung.

So weit, so gut. Architekten planen nicht als Selbstzweck und haben nicht im Sinn, ihre Arbeit als unantastbares Kunstwerk zu konservieren um den Preis von vitaler Nutzung. Dennoch verlangt schon der Respekt gegenüber der kreativen Leistung eine sorgfältige Abwägung, ob bauliche Eingriffe wirklich notwendig sind. In diese Analyse solltendie Architekten eines Gebäudes einbezogen werden, denn wer ist vertrauter mit einem städtebaulichen, funktionellen und gestalterischen Konzept? Wer kann besser damit umgehen? Die Frage, wen man mit der Aufgabe betraut, stellt sich dann vermutlich nicht mehr. Was bleibt, ist das Wie. Aktuelles Beispiel: das Grazer Kunsthaus.

Teil der Stadtlandschaft

Dieses außergewöhnliche Stück Baukunst passt sich so gut in die Stadtlandschaft ein, dass man es heute nicht mehr missen möchte. Seine Eingangsebene sollte neu gestaltet werden. Barbara Steiner, seit 2016 die Leiterin des Kunsthauses, ortete im Erdgeschoß zahlreiche Probleme, die sie aufgrund der Verlegung des Cafés ein Jahr davor ins Unerträgliche verstärkt sah. Das Lokal war vom Nordteil der Eingangsebene an die Straßenfront ins Eiserne Haus gewandert, auf die Fläche des ehemaligen Medienkunstlabors. Ein attraktiver Gastgarten mit Westsonne trägt zum großen Erfolg des jetzigen Pächters bei.

Die ehemalige Kleinküche, weitab vom neuen Ort der Speisenzubereitung, wurde als Depot mitverpachtet, und genau dies sollte ein Hauptargument für den Umbau werden. Bemängelt wurden der regelmäßige Transport von Lebensmitteln und Abfall durch das Foyer, Küchengerüche in den Ausstellungsräumen, die angeblich zur Beanstandung durch Kreditgeber führten, Leergutstapel im Foyer und Warenanlieferung vor dem Kunsthaus. Dringlich sei die Neuprogrammierung des Erdgeschoßes auch gewesen, weil es bis dahin keine angemessene Verbindung zum murseitigen Vorplatz gegeben habe.

Der Umbau ging unter Einbeziehung des ehemaligen Projektleiters und eines örtlichen Architekturbüros vonstatten. Peter Cook und Colin Fournier, die Architekten des Kunsthauses, wurden darüber anlässlichder Ausstellungseröffnung zum Werden des Kunsthauses informiert – auch über eine Erweiterung der Fläche für das Café. Zum Stein des Anstoßes wird jetzt, wovon laut Fournier nicht die Rede war: dass sich das zum Restaurant ausgebaute Café nun über die gesamte Fläche des Eisernen Hauses erstreckt und den für die Architekten wichtigsten, von ihnen großzügig und frei angelegten Zugang okkupiert.

„Der neue, an das Eiserne Haus angefügte Bau ist angehoben, sodass die Erdgeschoßebene offen, transparent und frei zugänglich bleibt“ heißt es schon 1999 in der Beschreibung des Wettbewerbprojekts. Und weiter: „Der Hauptzugang erfolgt von der stark frequentierten Fußgängerzone bei den Haltestellen.“ Mit dem Konzept des offenen, uneingeschränkt zugänglichen Foyers als Erweiterung des öffentlichen Stadtraums wurde seinerzeit der Wettbewerb gewonnen. Das Eiserne Haus, Brückenkopf mit stark von Passanten frequentierter Schaufront, sollte nicht nur einbezogen werden in die Eingangsebene, sondern den dominanten Zugang bilden – dazu angetan, sich auch spontan für einen Ausstellungsbesuch zu entscheiden.

Diese Durchlässigkeit ist nun gestört, streng genommen zerstört. Der direkte Weg von der Brücke, der Fußgängerzone, den Straßenbahnhaltestellen und dem Südtirolerplatz mutierte zum im Winter einzigen Eingang ins Café-Restaurant. Vorbei an Kaffeetischen und Küchenkräutern kann man sich von hier immer noch den Weg ins Foyerbahnen, das nun jedoch leer geräumt wirkt und nach Wegweisern zum neuen, außer Sicht befindlichen Ticketschalter und Museumsshop verlangte. Dass Letzterer - nun seitlich vor, unter und hinter dem Aufgang in die Bubble – deplatziert und unaufgeräumt wirkt, sei nur am Rande erwähnt.

Ein anderer Aspekt: Nicht nur Kindern erklären wir das Kunsthaus in der Diktion seiner Architekten als „Friendly Alien“, der mitten in Graz gelandet ist. Die mit Licht animierte Haut der Bubble soll Besucher anziehen und das Rollband diese auf geradem Wege vom Ticketkauf in den geheimnisvollen Bauch geleiten. What's now?

Kommerzielle Begehrlichkeiten

Die Probleme, die vorgeblich zum Umbau geführt haben, müssten einerseits weiter bestehen und hätten andererseits ohne Vergrößerung des Cafés gelöst werden können. So gibt es nach wie vor keine Geruch stoppende Abtrennung des Restaurants zum Foyer, und die neue Schauküche rückte sogar näher an die Ausstellungsräume heran. Für das Lebensmitteldepot konnte Raum im Untergeschoß frei gemacht werden, der mit der Küche durch einen bestehenden Lift verbunden ist. Und die Anlieferung erfolgt laut Mitarbeitern nun vor der Öffnung. War die Lösung der Probleme in der Raumorganisation mit dem jetzt vorliegenden Ergebnisnur Vorwand, um die Effizienz vom „Wirtschaftskörper Museum“ zu steigern (Titel einer Veranstaltung im Haus im Jänner)?Geht es in Wirklichkeit um die Erfüllung von privatwirtschaftlichen Begehrlichkeiten? Wir werden es nicht erfahren.

Dabei sollte nicht nur der despektierlicheUmgang mit dem geistigen Erbe der Architekten, sondern vor allem die Konsequenz des Umbaus für die ursprüngliche Absicht, öffentlichen Raum zu schaffen, Thema werden. Selbst Passanten, die ganz nebenbei an Kunst herangeführt werden, könnten die immer noch schwachen Besucherzahlen heben. Auch das spricht gegen jede Barriere durch kommerzielle Interessen.

Spectrum, Sa., 2018.03.03

19. Januar 2018Karin Tschavgova
Spectrum

Grazer Schnauze in Berlin

Einst als Boygroup mit klingendem Namen angetreten, haben die Grazer Architekten „Love“ mit der hoch ausgezeichneten Unternehmenszentrale „50Hertz“ in Berlin internationales Format erreicht.

Einst als Boygroup mit klingendem Namen angetreten, haben die Grazer Architekten „Love“ mit der hoch ausgezeichneten Unternehmenszentrale „50Hertz“ in Berlin internationales Format erreicht.

Meine erste Begegnung mit der Gruppe „Love“ ist mir noch in guter Erinnerung. Es muss um2000 gewesen sein, als ein junger Architekt, als Deutscher rhetorisch gut geschult, in einem Vortrag ein Projekt für den arabischen Raum präsentierte – zur Schau gestellt mit erstaunlichem Selbstbewusstsein und einem Optimismus, was seine Realisierung betrifft, der für ältere Erfahrene an Naivität grenzte. Nun, das in Graz ansässige Architekturbüro Love Architecture and Urbanism gibt es immer noch (Thomas Pucher verließ das Büro 2005), und aus der smarten Boygroup mit vollmundigen Auftritten wurde ein Trio international reüssierender Architekten mit grauen Schläfen und immer noch jugendlich-unverbraucht wirkendem Habitus.

Im Oktober 2017 wurde den Architekten nun in Berlin feierlich der „DGNB Diamant“ verliehen. Es ist dies eine Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, die ins Leben gerufen wurde, um das Thema endlich ganzheitlich zu betrachten. Dabei bewertet die Kommission, in die der Bund Deutscher Architekten und die Bundesarchitektenkammer eingebunden sind, in ihrer Nachhaltigkeitsanalyse die gestalterische und baukulturelle Qualität eines Bauwerks. Ein Kriterium stellt die Angemessenheit der Lösung der Bauaufgabe dar, worunter man sich die Maßstäblichkeit eines Gebäudes, seine Einbindung, aber auch Beständigkeit und Zeitlosigkeit vorstellen kann. Dazu kommt die Frage nach dem städtebaulichen Kontext, der jene nach der Erschließung und dem Umgang mit Freiflächen einschließt.

Keine Scheu hat man davor, die Gestalt eines Bauwerks – Proportion, Komposition, Materialität, Farbgebung und seine Anmutung – zu bewerten. Mark Jenewein, Herwig Kleinhapl und Bernhard Schönherr erhieltendie Würdigung, die weltweit erstmals vergeben wurde, für das 50Hertz Netzquartier.

Die neue Unternehmenszentrale des ehemals ostdeutschen Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz liegt in der Europacity um den Berliner Hauptbahnhof und den historischen Hamburger Bahnhof, der heute das Museum für Gegenwartskunst beherbergt. 2013, als „Love“ als eines von 18 Büros einen Wettbewerbsbeitrag abgab und den Sieg in der ersten Stufe mit dem dänischen Architekturbüro Henning Larsen teilen musste, war dieses Gebiet noch eine städtebauliche Wüste. Die Ära Stimmann, der als Senatsbaudirektor das Antlitz des modernen Berlin mit seinem Diktum nach einem „kontextuellen Städtebau im Sinne kritischer Rekonstruktion, orientiert am historischen Stadtgrundriss und an lokaler Bautypologie“, stark geprägt und auch eingeschränkt hatte, war zwar vorbei, die ersten Bauten am Areal wie der „Tour Total“ von Barkow Leibinger mit seiner monotonen Rasterfassade waren jedoch nicht dazu angetan, eine spannende Wende zu signalisieren.

Im Entwurf von „Love“ sah die Jury Innovation und entschied sich in der zweiten Stufe für ein Projekt und einen Außenauftritt, der an frühere Industrie- und Brückenarchitektur am nahe gelegenen Humboldthafen eher erinnert als an die Berliner Stein- und Lochfassaden. Das markante Tragwerk vor der Fassade bildet eine netzartige Struktur. Sie besteht aus weißen, diagonal gespannten Stahl-Beton-Verbundstützen, die autonom vor der Glasfassade liegen und so größere Gestaltungsfreiheit für Innenräume entlang der Fassade ermöglichen.

Das Transmissionsunternehmen bevorzugte, so erzählen es die Architekten, von Anfang an ihr Projekt, weil seine Erscheinung Offenheit, Transparenz und Dynamik ausdrückt. Auch die Struktur des Fachwerks, das durch Weglassen aller statisch nicht wirksamen Stützen zusätzliche Spannung erhält, wird zur Symbolik. Einzelne Stützenfolgen werden nachts beleuchtet und hervorgehoben, sodass dynamische Linien entstehen, die an Sinuskurven erinnern.

Das bis 13 Geschoße hoch gestapelte Gebäude folgt in Umfang und Volumen den Vorgaben des städtebaulichen Masterplans. Die Architekten sehen es als Regal mit supertiefen Fachebenen, die Platz schaffen für unterschiedliche Vorstellungen von Arbeitswelten. Der Grundtenor des Unternehmens für das Nutzungskonzept war, den erwünschten Wandel zur offenen, teamorientierten Arbeitsweise in Großraumeinheiten umzusetzen. Dennoch wurde ein Partizipationsverfahren eingeleitet, in dem jede Abteilung in Workshops wie bei einem Puzzle die Lage und Gestaltung ihrer Arbeitsplätze, Lounges, Rückzugs- und Besprechungsräume innerhalb der einzelnen Ebenen mit den drei fixen Erschließungskernen festlegen konnte. Aufgelockert wird die Raumstruktur durch kleine Höfe oder Loggien mit unterschiedlichem Zuschnitt, die in die gläserne Außenhaut eingeschnitten wurden.

Diese Freibereiche, die sich als Arbeitsplatz, Ort der Kommunikation oder Kurzerholung eignen, liegen nie übereinander. Jede Etage bietet Bereiche, die nicht direkt mit dem Thema Arbeit am Schreibtisch assoziiert werden. Das Ergebnis ist, dass keine Büroeinheit aussieht wie die andere und eine Atmosphäre entstehen konnte, die den Großraum verschwinden lässt. Eine Befragung der rund 500 Mitarbeiter ergab, dass niemand das Gefühl hat, auf einer 20 mal 20 Meter großen Ebene zu sitzen.

Selbst an typisch grauen Berliner Tagen strahlt das 50Hertz Netzquartier heitere Leichtigkeit aus. Man spürt, als Besucher davorstehend, dass nicht nur die Bereitstellung von Plätzen in der hauseigenen Kindertagesstätte, ein Betriebsrestaurant, Fahrradabstellplätze und Duschen für Mitarbeiter an besten Aussichtsplätzen zum kulturellen Unternehmenswandel beitragen, sondern auch das Gebäude selbst diesen zum Ausdruck bringt. Und es wird nachvollziehbar, was die Kommission des „DGNB Diamant“ unter Anmutung versteht.

Zum Gelingen des Bauvorhabens hat sicher auch das Aachener Büro Kadawittfeld beigetragen, mit dem „Love“ eine Kooperation einging, um die Fährnisse des Bauens in Deutschland ab dem Genehmigungsverfahren gut zu meistern. Der Preis für „Urbanen Wohnraum in Holz“ 2017 für die Aufstockung des Projekts „Wilder Mann“ in Graz zeigt, wo das Büro heute einzuordnen ist.

Kein Zweifel, die Boygroup ist längst erwachsen geworden, vordergründig Modisches in ihren Arbeiten kommt kaum noch vor. Ihre Passion für Architektur ist nicht geschwunden, Erfahrung und Professionalität hingegen sind sichtbar gewachsen. Keine Änderung des Büronamens, bitte!

Spectrum, Fr., 2018.01.19



verknüpfte Bauwerke
50Hertz Netzquartier

09. Dezember 2017Karin Tschavgova
Spectrum

Die Vision des Paters

Zum Abschluss erhielt der langjährige, lange fällige Umbau von Basilika und Geistlichem Haus in Mariazell durch Feyferlik/Fritzer einen würdigen Preis. Die Kirche erneuert damit ihren Ruf als Ermöglicherin von Baukultur.

Zum Abschluss erhielt der langjährige, lange fällige Umbau von Basilika und Geistlichem Haus in Mariazell durch Feyferlik/Fritzer einen würdigen Preis. Die Kirche erneuert damit ihren Ruf als Ermöglicherin von Baukultur.

Bauherrenpreise würdigen ein in hoher Qualität gelungenes Bauvorhaben und seine Auftraggeber unter dem Aspekt, dass es zwischen den Beteiligten, vor allem zwischen Bauherren und Architekten, ein gutes Einvernehmen gab. Der Zeitfaktor, die Dauer des Planungs- und Bauprozesses, spielt für die Verleihung des Preises in der Regel kaum eine Rolle, und doch scheinen Zeit und Kontinuität, die man dem Werden von Bauprojekten gewährt, wesentlich zu sein für ihr Gelingen. Tatsächlich machen es Wettbewerbs- und Vergaberichtlinien für öffentliche Bauten heute fast unmöglich, große Bauvorhaben, die in zeitlicher Distanzund einzelnen Bauabschnitten erfolgen müssen, „aus einer Hand“ und damit „in einem Guss“ umsetzen zu lassen.

Einer der heurigen Bauherrenpreise wurde für die Erneuerung der Basilika Mariazell und des ihr zugeordneten Geistlichen Hauses vergeben – ein Umbau, der ein Vierteljahrhundert in Anspruch nahm. So lange Zeit mit einem Bauherrn an einem Projekt arbeiten zu können sei ein Geschenk im Arbeitsleben eines Architekten, stellten Wolfgang Feyferlik und Susanne Fritzer, die mit ihrem Grazer Büro alle Baumaßnahmen planten, fest. Nun, der Vorteil und Gewinn von gelingender kontinuierlicher Zusammenarbeit liegen, betrachtet man das jetzt abgeschlossene Gesamtwerk, auch aufseiten des Bauherrn. In Mariazell war dies der Superior Pater Karl Schauer, der, wie sich die Architekten erinnern, stets eine Vision für das Gesamtprojekt verfolgt habe.

„Im Anfang war Tatendrang“ nannte ich meinen Bericht über das Mammutvorhaben anlässlich der Fertigstellung des neu geordneten barocken Altarraums der Basilika einst im „Spectrum“ (27. Jänner 2001), dem noch weitere 17 Jahre folgen sollten. Aus der Historie des Bauens kennen wir solch lange währende Auftragsverhältnisse. Sinan, dem Hofarchitekten mehrerer Sultane, haben wir die schönsten Beispiele osmanischer Architektur zu verdanken; Le Nôtre, der Landschafts- und Gartenarchitekt im Dienste von Ludwig XIV, schuf nicht nur die berühmte Gartenanlage von Schloss Versailles, die zumgrößten Vorbild barocker Gartenbaukunst in ganz Europa wurde. Beide arbeiteten einzig für das Ansehen und Prestige ihrer Auftraggeber, reich ausgestattet mit Mitteln und Privilegien. Feyferliks/Fritzers Planungsaufgabe ist weder damit zu vergleichen noch mit der kontinuierlichen Tätigkeit von Architekten in der Bauabteilung von Kirchen im Deutschland und Österreich der kirchlichen Erneuerung der Nachkriegszeit. Sie wurden anfangs zur architektonischen Begleitung von aufwendigen Restaurierungsarbeiten in der Basilika gerufen.

Das Gesamtwerk Mariazell, hält Pater Schauer in einem Resümee anlässlich der Preisverleihung fest, „ist ein gewachsenes, immer wieder neu erdachtes, oftmals korrigiertes, von vielen Sponsoren ermöglichtes und mit Ausdauer und Zähigkeit umgesetztes Projekt“. Dies verweist auf den Ablauf und die Vorgangsweise an diesem Projekt in einem kolportierten Gesamtumfang von 34 Millionen Euro. Es setzt sich aus vielen einzelnen Bau- und Restaurierungsmaßnahmen zusammen. Geld musste aufgetrieben werden, Überlegungen zu Lösungen wurdenoft direkt am Ort getroffen, nicht nur, um auf unvorhersehbar ans Tageslicht getretene Vorgaben des historischen Gemäuers adäquat und rasch zu reagieren, sondern auch um jede Maßnahme bestmöglich in das kulturelle Erbe von Fischer von Erlach und Domenico Sciassia einzubetten.

Damit lässt sich der Architekten langjähriges Engagement am ehesten mit der kontinuierlichen Arbeit von Gion Caminada in einem kleinen, landwirtschaftlich geprägten Ort im Kanton Graubünden vergleichen. Caminada, selbst aus Vrin stammend, war dort nicht nur als Ortsplaner tätig, sondern hat auch über einen Zeitraum von Jahrzehnten viel an Bestand erhalten und behutsam erneuert, erweitert und umfunktioniert. Die Intention des Architekten und der Bewohner war nie, aus Vrin ein Gesamtkunstwerk zu machen. Es ging ganz einfach darum, die Wohnhäuser, Ställe, das Schlachthaus, das Gemeindeamt und damit das Leben im Dorf geänderten Bedingungen anzupassen – respektvoll im Umgang mit dem Vorhandenen, aber ohne Dogma und Angst vor dem Neuen.

Ähnliches lässt sich von den zahlreichen Umbauten in Mariazell sagen: Jede einzelne Baustufe wurde mit Sorgfalt und Detailgenauigkeit den Bedürfnissen angepasst, individuell geplant und ausgeführt. Gleichwohl wurde nie das große Ganze aus den Augen verloren, und so ist am Ergebnis sicher auch für Laien ein stimmiges Gesamtkonzept für die Materialwahl, die Farb- und Raumgestaltung ablesbar oder sinnlich zu erfahren. Letzteres wäre eher im Sinne der Architekten, die es nie darauf anlegen, dass ihre Eingriffe spektakulär hervorstechen, jedoch auch keine Scheu davor haben, Konventionen zu ergründen und Alternativen zu finden, die funktioneller oder kostengünstiger sind oder von ihnen einfach nur als schöner empfunden werden.

Was hier abstrakt klingt, lässt sich an vielem in der Neugestaltung der Basilika, der Turmbereiche, der Außenanlagen und dem Geistlichem Haus anschaulich zeigen. Wer Bauten dieser Architekten kennt, der weiß, dass sie gerne reduzieren, schlanker machen und aus ihrer Sicht Unnötiges weglassen. Das geschieht nie als Selbstzweck. Es soll dort den Eindruck von Leichtigkeit erzeugen, von Transparenz, Helligkeit, ästhetischer Anmutung, wo es angebracht scheint. Und an anderen Orten wiederum archaischeEinfachheit in Material und Form zeigen, wo Wirkung und Würdigung im Zusammenspiel mit dem historischen Baujuwel hervorgehoben werden sollen.

In Pater Schauer fanden die Architekten einen Partner, der diese Haltung verstehen konnte und mittrug. Ein respektvoller Umgang mit dem Kulturerbe prägt das jetzige Gesamtwerk als neue Schicht. Zugleich zeigt sich an allen Stellen des geschichtsträchtigen Ortes, dass auch an neue Eingriffe der Anspruch gestellt wurde, hochwertig, innovativ und nie gewöhnlich oder modisch zu sein. So bekam das Superiorat Mariazell, das zum Stift St. Lambrecht gehört, am Übergang ins 21. Jahrhundert für sein rundum erneuertes Baudenkmal, das der früheren Rolle der Kirche als Auftraggeberin von Außergewöhnlichem und Neuem im höchsten Maß gerecht wird, einen ebenbürtigen Preis.

Spectrum, Sa., 2017.12.09

28. Oktober 2017Karin Tschavgova
Spectrum

Dieses war der erste Streich . . .

Der erste von zwei Bauabschnitten des neuen Med Campus Graz ist fertig: ein Gebäude, das sich als funktions- und verbrauchsoptimierte Maschine präsentiert – verschwenderisch ist hier nichts. Von den Grazer Architekten Riegler Riewe.

Der erste von zwei Bauabschnitten des neuen Med Campus Graz ist fertig: ein Gebäude, das sich als funktions- und verbrauchsoptimierte Maschine präsentiert – verschwenderisch ist hier nichts. Von den Grazer Architekten Riegler Riewe.

Das kommt nicht oft vor. Selbst in einer durch enorme Bautätigkeit gekennzeichneten, stetig wachsenden Stadt wie Graz entsteht ein Bauwerk solcher Größe nur im Abstand von Dezennien. 40.000 Quadratmeter an Bruttogeschoßfläche, etwa 200.000 Kubikmeter umbauter Raum wurden für den ersten von zwei Bauabschnitten des neuen Med Campus der Medizinischen Universität Graz errichtet und im Oktober den Nutzern übergeben. Annähernd gleich groß war nur der Bau für die Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Uni Graz,kurz ReSoWi genannt, der exakt 21 Jahre früher eröffnet wurde und lange als der zweitgrößte Universitätsbau der Nachkriegszeit in Österreich galt.

In dem sogenannten Modul 1 wird ein großer Teil der vorklinischen Institute nun an einem Standort vereint, der in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universitätsklinik liegt. Die Nähe zwischen angewandter Medizin dort, auf dem Areal des 1914 erbauten ehemaligen Landeskrankenhauses, und Lehre und universitärer Forschung auf der anderen Seite der Straße ins Stiftingtal gilt als ideal.

Unter den 57 teilnehmenden Architekturbüros überzeugte im zweistufigen, EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb das Projekt der Grazer Architekten Riegler Riewe die Jury einstimmig. Ihr Konzept interpretiert die Idee der Universität als Campus neu, indem stadträumlich verdichtet und in die Höhe gestapelt wird. Damit gelang es den Architekten auch, der schon im Wettbewerb nachdrücklich geforderten Nachhaltigkeit des Bauens – einer ganzheitlichen Betrachtung von gebauter Ökonomie, Ökologie und Nutzerkomfort – Rechnung zu tragen.

Der traditionellen Vorstellung des Campus als weitläufiges, durchgrüntes Gelände mit thematisch verbundenen Einzelgebäuden, wie sie auf dem WU Campus in Wien umgesetzt wurde, folgen die Architekten in ihrem Projekt nicht. Ihr Campus am Fuß des Rieshangs erscheint als eine mächtige Großform – signifikant und identitätsstiftend. Erst beim Betreten identifiziert der Blick den Campus als dichtes Gefüge aus linear gestaffelten Baukörpern auf einem zweigeschoßigen Sockel. Dieser tritt selbst in der Annäherung kaum in Erscheinung, weil die Fassaden der beiden Sockelgeschoße und jene der Aufbauten so ineinandergreifen, dass keine Fuge sichtbar wird. Beide sind subtil miteinander verwoben und zugleich funktionell feinsäuberlich getrennt – unten Lehrräume und Hörsäle, darüber die Institute für Forschung und Laborarbeit.

Mit dem schon 2014 fertiggestellten Zentrum für Wissens- und Technologietransfer (ZWT) sind es sechs schlanke und deshalb hoch aufragend wirkende Doppelbaukörper (einer fehlt noch), also eigentlich zwölf lang gezogene Strukturen, die in einem reizvollen Spannungsverhältnis zu den präzise dazwischen angelegten Freiräumen stehen. Die abwechslungsreiche Abfolge von kleinenInnenhöfen, unterschiedlich breiten Wegen,Gassen und Plätzen lässt die Anlage, gewachsenem städtischen Raum gleich, zu einem dichten Gewebe aus umbautem Raum und öffentlichem Freiraum werden.

Das kennen wir schon von Riewe Riegler. Diese Struktur verpassten die Architekten in den Jahren 1997 bis 2000 einem landschaftlich öden Baufeld mit heterogener baulicher Nachbarschaft. Ihre Antwort damals für die informationstechnischen Institute der TU Graz auf den Inffeldgründen: ein dichtes orthogonales Netz aus unterschiedlich langen, parallel liegenden Baukörpern, Straßenräumen und kleinen Platzerweiterungen, die über durchlässige Erdgeschoße und Brückenmiteinander verbunden wurden.

Nun also diese gedankliche Fortführung, die sich auch in wesentlich größerem Maßstab umsetzen ließ. Ob sich die Durchwegungen und Begegnungszonen, die Querverbindungen über Brücken zwischen den Instituten wirklich als kommunikationsfördernd erweisen, wird sich zeigen. Baulich angelegt sind sie, und sie werden auch noch erweitert und zum Krankenhaus zu nützen sein, wenn erst der zweite Bauabschnitt des Med Campus auf dem Deck der vor Jahren gebauten Parkgarage für das Krankenhaus realisiert wird. Beide werden dann über eine Fußgänger- und Fahrradbrücke verbunden sein und noch stärker als derzeit die gewünschte Einbindung dieses Ortes in seine Umgebung verdeutlichen.

Primär fungiert die Campusebene als horizontale Verbindung aller Funktionen, auch jenen, die wie die Laborbereiche nicht öffentlich zugänglich sind. Sie sind den Instituten zugeordnet, die in enger Zusammenarbeit mit den Nutzern je nach Funktion in den tieferen und in schmalen, einhüftigen Baukörpern angeordnet wurden. Diese Grundrissfiguration soll optimale Tageslichtverhältnisse garantieren und auch damit Fakten für die Nachhaltigkeit der Bauten liefern.

Generell wurde strikt darauf geachtet, dass bauliche Maßnahmen die Lebenszykluskosten der Gesamtanlage deutlich mindern (errechnet wurden 29 Prozent). Als erster Erfolg gilt, dass der Med Campus als erstes österreichisches Labor- und Forschungsgebäude mit Platin, der höchsten Zertifizierungsstufe der Österreichischen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, ausgezeichnet wurde.

All diese „Hard Facts“ zeigen einen verantwortungsvollen, in die Zukunft gerichteten Umgang mit unseren Ressourcen. Die offenen, verbindenden Strukturen des Campus stehen auch für die Förderung gedanklicher Freiräume.

Klassische architektonische Bewertungskriterien, wie die Einfügung des Baues in seine Umgebung, das Erkennen und Aufgreifen der speziellen Physis des Ortes als Bedingung für seine Form, lassen sich dabei nicht anwenden. Dieses Gebäude präsentiert sich als funktions- und verbrauchsoptimierte Maschine, und ob sie so funktioniert wie geplant, wird sich erst in Jahren zeigen. Anforderungen an einzelne Teile der Maschine, etwa an Laborräume, müssen so hohen funktionellen Auflagen genügen, dass ihre Designqualität nachrangig wird. Großzügig zeigen sich das Entree und die daran anschließende Aula mit Umgang. Schon darüber wird die Intention zur Raumeffizienz an der geringen Höhe der Erschließungsbereiche, die als Lernzonen Doppelfunktionen haben, sichtbar. Verschwenderisch ist an diesem Gebäude nichts.

Umso mehr Bedeutung gewinnt, dass die Grundzüge des städtebaulichen Wettbewerbkonzepts frei von Brüchen und schwachen Kompromissen realisiert werden konnten. Dass Grundsätze wie die Offenheit des Campus gegenüber seiner Umgebung und die gewünschte Verbindung und Kommunikation zwischen den internen Abteilungen auch im geschäftigen Betrieb erkennbar bleiben. Dass die feine Durchgestaltung der Fassaden, ihre subtil-farbige Lebendigkeit und zugleich ganzheitliche Wirkung der Großform ihre Massigkeit nimmt. So wie gutes Design von Maschinen diesen neben höchster Funktionalität auch ästhetische Anmutung und Eleganz verleiht.

Spectrum, Sa., 2017.10.28

24. Juni 2017Karin Tschavgova
Spectrum

Es boomt, aber tut sich etwas?

In der wachsenden Stadt Graz boomt der Wohnungsbau. Zeit, um nachzuschauen, ob das konjunkturelle Hoch dazu führt, größere Vielfalt und höhere Standards des Wohnens zu entwickeln.

In der wachsenden Stadt Graz boomt der Wohnungsbau. Zeit, um nachzuschauen, ob das konjunkturelle Hoch dazu führt, größere Vielfalt und höhere Standards des Wohnens zu entwickeln.

Wer sich je mit der in Österreich singulären Entwicklung der Architektur in Graz und der Steiermark ab den 1980ern beschäftigt hat, der weiß, dass dem Wohnungsbau dabei eine entscheidende Rolle zukam. Das von der damaligen Landesregierung initiierte Modell Steiermark legte in einem dem Wohnen gewidmeten Arbeitskreis besonderes Augenmerk auf eine qualitative Anhebung der Wohnsituation – weg vom reinen Funktionalismus des Wiederaufbaus hin zu einem zukunftstauglichen sozialen Wohnbau, der auf die nun bessere ökonomische Basis der Bewohner und ihre folglich entstehenden Ansprüche eingehen sollte.

Tatsächlich erblühte daraus der sogenannte experimentelle Wohnbau, der sich, typisch für die Steiermark, ganz ohne Wohnbauforschung und theoriegeprägte Herangehensweise entfalten konnte – einzig, wie Heiner Hierzegger in einem Geleitwort zum ersten Wohnbaukatalog schrieb, „im Mut, ausgefahrene Wege zu verlassen und unkonventionelle Lösungen anzubieten“. Strukturelle Veränderung lag in der Einführung von Architekturwettbewerben, die Bauvorhaben optimal vorbereiten sollten, und einem von der Politik geforderten besonderen Engagement. Entstanden ist Vielfalt: von der Großstruktur der Terrassenhaussiedlung zu Baugruppen-Initiativen, von der autofreien, dörflich geprägten Wienerberger Siedlung bis zur kleinen Wohnzeile auf dem Land.

Auch das Ende dieser fast eineinhalb Jahrzehnte dauernden Initiative ist bekannt. Das Wohnbau-Experiment wurde nach einem wahlbedingten Wechsel der politischen Verantwortung 1992 als gescheitert erklärt und ziemlich abrupt beendet. Von eitler Selbstverwirklichung von Architekten war die Rede und davon, dass einiges misslang. Der Gründe dafür könnten viele aufgezählt werden. Manch ein Scheitern war systembedingt, etwa durch das enge Korsett der Förderrichtlinien und ein Business-as-usual-Gebaren von gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften. Danach entzündetesich jede Diskussion über einen zukunftsgerichteten sozialen Wohnungsbau an zu geringen Fördermitteln bei hohen Baukosten und wachsenden bauphysikalischen Vorschriften, die die Umsetzung von architektonischer Qualität und Vielfalt angeblich unmöglich machte.

Seit Jahren steigt die Einwohnerzahl von Graz kontinuierlich, und die Stadt hat offensichtlich immensen Bedarf an neuen Wohnungen. Man muss weder besonders fachkundig sein noch bis in entlegene Stadtrandgebiete wandern, um staunend zu sehen, wiederzeit letzte Baulücken, städtische Brachen und ehemals landwirtschaftlich genützte Flächen verbaut werden. Kein Zweifel, Bauen in Graz hat Hochkonjunktur.

Geändert haben sich Strukturen und Prämissen der Wohnversorgung. Geförderter Wohnbau, der nur von gemeinnützigen Bauvereinigungen und Kommunen errichtet werden kann, ist in den Hintergrund getreten. Ein Großteil der Wohnungen wird heute über Banken finanziert (genaue Zahlen sind nicht abrufbar). Investoren sind Immobilienentwickler, die sich auf die Errichtung von Wohnraum konzentrieren, und Unternehmen, die als selbstständig tätige Zweige aus gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften hervorgegangen sind, um gewinnorientiert bauen zu können. Wohnungsbau ist in Zeiten, in denen Vermögende ihr Geld lukrativer anlegen wollen als auf der Bank, ein gutes Geschäft geworden.

Nachfrage schafft Angebot und vice versa – das war immer schon so. Neu am aktuellen Wohnungsmarkt ist, dass Nutznießer und Verbraucher nicht mehr in einer Person vereint sind. Wer kauft, bewohnt sein Anlageobjekt nicht selbst, und Mieter haben keinerlei Einfluss auf seine Qualität, Größe und Ausstattung. Wohnqualität als wesentliche Grundlage für ein gutes Leben kann oder, besser gesagt, könnte ausschließlich der Käufer einfordern.

Zeit also, um Nachschau zu halten, ob und wie dieser Qualitätsanspruch zurzeit in Graz, der Stadt, die um neue Bürger wirbt, erfüllt wird – heute, da Wohnungspreise in Graz statistisch bei 4000 Euro und mehr pro Quadratmeter liegen.

Fest steht, dass der Wohnungsmarkt in drei Teile zerfällt: in ein Angebot an hochpreisigen Wohnungen, die als Luxus und privates Paradies angeboten werden. In ein Angebot an geförderten Wohnungen in Großanlagen, die in Miete oder Mietkauf vergeben werden. Hier prüft der sogenannte Wohnbautisch die Einhaltung der Förderrichtlinien. Innovation sucht man vergeblich, aber das Bemühen um eine funktionelle Optimierung immer kleiner werdender Wohnungsgrundrisse und die Erhaltung vonStandards wie zweiseitiger Orientierung ist ablesbar. Und dann gibt es noch den frei finanzierten Wohnungsbau, der Rendite versprechende Vorsorge- und Anlegerwohnungen anbietet. In einem solchen Angebot wie dem aktuellen Bauvorhaben „Brauquartier Puntigam“, in dem rund 800 Wohnungen errichtet werden, sinken Qualität, Größe, Ausstattung der Wohnungen auf erschreckend niedrige Mindeststandards.

Das Kritikerherz freut sich, wenn es auf ein einziges Beispiel eines frei finanzierten Geschoßwohnbaus stößt, bei dem Ungewöhnliches ausprobiert wurde. Die sogenannten „Eggenberge“ stellen einen neu gedachten Typus des Wohnblocks mit begrüntem Innenhof dar, wie er die Grazer Gründerzeitquartiere charakterisiert. Der Sockel enthält gewerbliche Nutzung und die Garage, Wohnungen beginnen erst ab dem ersten Obergeschoß. Das Außergewöhnliche sind jene Wohnungstypen in jedem Geschoß, die mit großen, über die gesamte Trakttiefe eingeschnittenen Terrassen eine bewegte Dachlandschaft bilden, die die Wohnanlage markant charakterisiert. Der überwiegende Anteil der anderen Wohnungstypen sind größere Wohnungen, die zweiseitig orientiert sind. Ein Wermutstropfen: ein kleiner Anteil an Wohnungen mit deutlich geringerer Qualität. Pentaplan hat diese erfrischend lebendige Anlage geplant – ein Grazer Architekturbüro, das sich seit vielen Jahren mit Akribie und mittlerweile großer Erfahrung der systematischen Entwicklung finanzierbarer Alternativen zum geförderten Wohnbau verschrieben hat.

Was man daraus ableiten kann? Die Qualität des Wohnungsbaus regelt zurzeit nicht einmal mehr der Markt, und frei finanzierter Wohnungsbau zeigt nur in seltenen Einzelfällen höhere Wohnqualität als der geförderte. Von Experimenten in Graz keine Spur. Und die wichtigste Erkenntnis: Eine breite Entwicklung und Realisierung zeitgemäßer, an gesellschaftliche Veränderungen angepasste Wohnformen findet auch in Zeiten der Wohnbaukonjunktur nicht statt. Ein sozialer Wohnbau bräuchte erneut politische Rückendeckung und eine Steuerung, die durch Anreize und Engagement gekennzeichnet ist, damit Wohnen als Grundrecht besser, schöner und damit lebenswerter werden kann. Der Weg dahin scheint heute nicht kürzer zu sein als in den 1980ern, als in der Steiermark Architekten immerhin zu Experimenten animiert wurden.

Spectrum, Sa., 2017.06.24

29. April 2017Karin Tschavgova
Spectrum

Adelung auf dem Berg

Ein Raum über einfachem Grundriss, eine kleine Bauaufgabe – und doch eindrucksvoll: die Kapelle Salgenreute in Krumbach, Vorarlberg. Verantwortet von Bernardo Bader.

Ein Raum über einfachem Grundriss, eine kleine Bauaufgabe – und doch eindrucksvoll: die Kapelle Salgenreute in Krumbach, Vorarlberg. Verantwortet von Bernardo Bader.

Le Corbusier erdachte eine, die zur Weltarchitektur zählt, und derPritzker-Preisträger Peter Zumthor ihrer gleich zwei: Kapellen als Andachtsräume sind, ungeachtet ihrer geringen Größe und oft nur symbolischen Honorierung, eine geschätzte Bauaufgabe der Architekten. Solche kleinen Andachtsräume – egal, ob zum Totengedenken,als Pilgerstätte, auf dem Berg – adeln jedes Architekten Werk.

Bei der Planung von Kapellen unterliegt der Architekt kaum Zwängen und Normen. Kapellen sind keiner Beschränkung zur strengen, reinen Funktionalität und weder ökonomischen Zwecken noch Gewinnstreben unterworfen. Ihre Funktion beschränkt sich auf Weniges, aber Elementares. Andachtsräume sollen Orte sein, die Besinnung und innere Einkehr ermöglichen. Will man als Kirchengemeinde oder privater Stifter heute eine Kapelle bauen lassen, so sind meist nur geringe oder gar keine Geldmittel vorhanden. Die Bauaufgabe verlangt dem Architekten also die Fähigkeit zur Beschränkung ab – von Größe, Baukosten, aber auch von überbordendem Gestaltungswillen und Selbstdarstellung. Der Planer muss „einfach“arbeiten. Die Chance zum Gelingen? Es gibt eine scheinbar elementare Sehnsucht vieler Menschen nach Einfachheit in unserer an Überfluss und visueller Überflutung orientierten Zeit. Zugleich erwartet man von Sakralbauten, dass sie spirituelle, atmosphärisch aufgeladene Orte sind. Genau darin liegt die Herausforderung.

Das Einfache, das nicht anspruchslos, gewöhnlich und dürftig ist, kann nur das Resultat eines Prozesses sein, von allem nicht zu viel und nicht zu wenig. Das beginnt mit der Positionierung des Baukörpers in der Landschaft, geht weiter in der Wahl von Proportion und Größe. Es ist die Suche nach dem richtigen Lichteinfall, die Auswahl von Materialien und die Ausbildung und Ausarbeitung von Details. Andachtsräume wie die Bruder-Klaus-Kapelle von Peter Zumthor in Wachendorf in der Eifel, die in den erst zehn Jahren ihres Bestehens zu einem Pilgerort wurde, sind in ihrer fast schon archaischen Einfachheit komplex. Sie zeugen von hoher handwerklicher und technischer Kunstfertigkeit.

Naheliegend, dass sich in Vorarlberg eineReihe von kleinen modernen Sakralbauten finden lässt, die besondere sind. Eine davon ist die Kapelle Salgenreute in Krumbach. Bernardo Bader, der in dieser Gemeinde seine Kindheit verbracht hat und die Landschaft des Moores und des Hügelrückens aus Nagelfluh, auf dem sie steht, wie seine Westentasche kennt, hat sie geplant. Schon seit ungefähr 1880 stand an ihrer Stelle eine kleine Lourdeskapelle. Sie ist der Ausgangspunkt einer Erzählung von Möglichkeitsräumen und ihrer Umsetzung durch viele, die ihr Können und ihre Kraft einsetzen wollten. Es ist eine Geschichte des Gelingens, die uns zeigt, was entstehen kann, wenn in einer Gemeinschaft alle an einem Strang ziehen, abseits von Parteienzugehörigkeit und fern von nachbarlicher Missgunst oder Standesdünkeln. Mag sein, dass die besondere Bauaufgabe die Tradition und Kultur des Miteinanders belebt hat, mag sein, dass es für die Krumbacher selbstverständlich ist, Herausforderungen gemeinsam zu meistern,seit unter Bürgermeister Arnold Hirschbühl die Aufgaben in der Gemeinde nach Kompetenz und Engagement und nicht nach Parteistärke verteilt werden.

Jedenfalls war die alte Kapelle so sanierungsbedürftig, dass sich die Gruppe aus interessierten Nachbarn und Ortsbewohnern, die sie ursprünglich erhalten wollte, entschloss, sie doch abzureißen und an derselben Stelle neu aufzubauen. Mit Exkursionen und diskursiven Gesprächen vertiefte man sich in das Thema des Neubaus, selbst nachdem Bernardo Bader sich bereit erklärt hatte, unentgeltlich einen Entwurf vorzulegen. Die Arbeit blieb eine gemeinschaftliche, vom Abbruch bis zur Einweihung des neuen Hauses im Sommer 2016. Für einfachere Arbeiten stellten sich in einem großen Maß ehrenamtliche Mitarbeiter zur Verfügung. Die anspruchsvolle Facharbeit der Zimmerer, Tischler, Maler und der Restauratorin der historischen Marienstatue wurde zu Sonderkonditionen angeboten, und Spenden und eine kleine finanzielle Beteiligung der Gemeinde ließen den Wunsch zur Wirklichkeit werden.

Ohne Turm steht die Kapelle nun auf einem schmalen Plateau, gerahmt im Hintergrund durch eine Reihe von Bäumen. Ihr hoch aufragendes, steiles Dach charakterisiert die Form der Kapelle, die monolithisch wirkt, weil Dach und Wandflächen mit einem Material, Lärchenschindeln, bekleidet sind. Eine Steinstufe führt vom Wiesensaum hoch. Ein nicht alltägliches Bauwerk hat traditionell ein Fundament, auch wenn es in der offenen Landschaft steht. Der langsamen Annäherung über den Pfad entsprichtein offener Vorbereich unter dem Dach, das Westwerk. Auch das schwere zweiflügelige Portal aus Holz, das außen mit Messing in schöner Handarbeit beschlagen ist, verlangsamt die Annäherung. Innere Sammlungbraucht Zeit.

Betritt man die Kapelle, fällt der Blick zuerst auf eine homogen wirkende Raumschaleaus Holz, in der sich hoch aufstrebende Sparren zart abzeichnen und die Wände rhythmisieren. Boden, Wand und die steile Dachuntersicht aus unbehandelter Tanne bilden ein Ganzes, das mit aussteifenden Scheiben so konstruiert wurde, dass weder Zugbänder noch Rahmengurte notwendig wurden. Harte, einfach geformte Bänke aus Tanne strukturieren den Raum unaufdringlich. Bequem muss es nicht sein. Traditionelle Elemente werden beibehalten, jedoch eigenständig und zeitgemäß interpretiert in Material und Ausführung.

Der Altarraum verengt sich schräg zu einem wandhoch verglasten, rahmenlosen Ausblick in die Landschaft. Das lässt ihn länger erscheinen. Als „heiliger Raum“ wird er durch eine niedrige Stufe abgesetzt. Ein Anstrich mit weißer Kalkfarbe vereinheitlicht Wand und Boden. Der Ambo als ebenso weißer Block, ein Kerzenständer und die aus der Mitte gerückte Madonna auf einem zarten Wandbrett sind alles an Ausschmückung. Raum kann bewusst wahrgenommen werden, sich nach und nach zum Ganzen formen und so zu Ruhe und Andacht führen.

Es zeigt sich, dass auch in der Beschränkung unter glückhaften Umständen Baukunst entstehen kann. Was für alle Beteiligten wohl mehr zählt, ist, erlebt zu haben, dass in einer guten Gemeinschaft die Kraft steckt, schier Unmögliches wahr werden zu lassen. Es ist gebaut auf festem Grund.

Spectrum, Sa., 2017.04.29



verknüpfte Bauwerke
Kapelle Salgenreute

04. März 2017Karin Tschavgova
Spectrum

Was ein gutes Bauwerk aushält

Die Geschichte der Erhaltung von historischen Bauwerken ist eine der ständigen Veränderung, meint das Office for Metropolitan Architecture (OMA). Sein Spiritus Rector, Rem Koolhaas, legt im ehemaligen Handelshaus der deutschen Kaufleute in Venedig Schichten frei und fügt Neues sparsam hinzu.

Die Geschichte der Erhaltung von historischen Bauwerken ist eine der ständigen Veränderung, meint das Office for Metropolitan Architecture (OMA). Sein Spiritus Rector, Rem Koolhaas, legt im ehemaligen Handelshaus der deutschen Kaufleute in Venedig Schichten frei und fügt Neues sparsam hinzu.

Wenn Rem Koolhaas dem Fondacodei Tedeschi in Venedig neues Leben einhaucht, so erregt dies Aufsehen weit über die Fachwelt hinaus. Zum einen ist das ehemalige Handelshaus der deutschen Kaufleute an der Rialtobrückeein geschichtsträchtiger Ort, an dem die Geschäftsleute aus dem Norden unter Aufsicht venezianischer Sensale seit dem 13. Jahrhundert ihre Waren handelten, zum anderen hat Koolhaas mit seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Ausstellungen auf der Biennale mehrmals kritisch den Umgang mit historischer Bausubstanz thematisiert. 2008 war das sanierungsbedürftige Gebäude, das noch bis 2011 die Hauptpost beherbergte, von der Stadt an die Benetton-Gruppe verkauft worden, die ihrerseits Rem Koolhaas beauftragte, den denkmalgeschützten Bau mit dem glasüberdeckten Innenhof in ein Einkaufszentrum für gehobene Ansprüche zu verwandeln. Doch weder sein Name noch die Expertise zum Schutz von Baukultur machte es dem Architekten leicht, seine Ideen durchzusetzen. Als die ersten Pläne bekannt wurden, kam es zu massiven Protesten.

OMAs erstes Konzept hatte vorgesehen, den zu erwartenden Besuchermassen ein entsprechendes Spektakel zu bieten, indem auffallende Rolltreppen in Knallrot prominent in den zentralen Innenhof platziert wurden. Schaulustige hätten die Halle Geschoß für Geschoß in luftiger Höhe gequert. Das war selbst der venezianischen Aufsichtsbehörde zu viel, die dem Hauptanliegen des Architekten jedoch wohlwollend gegenüberstand. Die bauhistorische Untersuchung der Bausubstanz hatte gezeigt, dass der Fondaco dei Tedeschi bis in die 1930er-Jahre wiederholt umgebaut worden war. Von den alten Mauern war wenig geblieben, selbst die Arkaden waren mit moderner Technologie und Material renoviert worden. Rem Koolhaas lehnte es ab, mit seinem Eingriff eine der vielen Bauphasen als die authentische und richtige zu rekonstruieren, und plädierte für ein Sichtbarmachen dieser Zeitschichten als „Accumulation of Authenticities“. In der Überarbeitung der Planung wurde die Rolltreppe aus dem Hof in den seitlichen Gebäudetrakt verlegt, die Dachterrasse verkleinert und ein hölzerner Ponton im Canale Grande weggelassen. Der Genehmigung zum Umbaustand nichts mehr im Weg.

Die immer noch rote Rolltreppe, nun auf einen etwas verstaubt wirkenden Retro-Look abgemildert, schneidet scharf in die Geschoßdecken ein. An den Trennwänden zu den Arkaden zeigt OMA seine forensische Methode der Freilegung: Handgeschlagene Ziegel und Ergänzungen neuerer Art, vermauerte Gewölbebögen, Wandverstärkungen und raue Träger aus Beton machen die wechselvolle Geschichte und Nutzung des Baus, der nie ein Palazzo war, sichtbar. Zu den sparsam, aber gezielt gesetzten Interventionen zählen neue Durchblicke und Verbindungen. OMA verewigt sich mit einer großen, über zwei Ebenen geführten Öffnungder Arkadenwand hin zu Rolltreppe und Shopfläche. Die Hofüberdachung wird erneuert. Sie ist immer noch lichtdurchlässig, wirkt nun aber massiver, weil sie ein dezent auf den Bau aufgesetztes fünftes Geschoß trägt, das mit einer Glas-Stahl-Konstruktion abgeschlossen wird.

Der Höhepunkt für all jene Besucher, die sich nicht an Fendi, Gucci und Dior sattsehen, werden dieser über der Halle entstandene Raum und die von dort erreichbare Dachterrasse mit dem grandiosen Rundblick auf Kanal, Markt und die Dachlandschaft Venedigs werden. Zurzeit ist der Raum mit großformatigen Arbeiten von Fabrizio Plessi bestückt. Als Ausstellungsraum scheint er nicht wirklich geeignet. Mit geringer Höhe wirkt er trotz natürlichen Lichts etwas gedrungen, und das perforierte Stahltragwerk wirft Schatten. Die Architekten haben beide als öffentlich zugängliche Orte mitnicht kommerzieller Nutzung konzipiert, unddas soll so bleiben.

Skepsis ist angebracht, denn auch die große Fläche des viergeschoßigen Arkadenhofs sollte frei von Möblierung bleiben und als öffentliche Piazza fungieren – gewidmet den Bürgern der Stadt wie Besuchern und Konsumenten. So kommunizierte es jedenfalls die Stadtverwaltung, als Kritik am zunehmenden Ausverkauf der venezianischen Kulturgüter für Konsumzwecke laut wurde (Benetton hatte schon zuvor nahe dem Markusplatz einen Gebäudekomplex mit Hotel, Kino und einem traditionsreichen Theater erworben und rein kommerziell umgewidmet). Die Piazza, von OMA ursprünglich nurmit einem neuen, auffallend rot-weiß gestreiften Boden in Marmor ausgestattet, gibt es nicht mehr. War es für viele Venezianer schon ein Sakrileg, den historischen Brunnen aus der Mitte zu entfernen und ihn seitlich auf einem Rollpodest abzustellen, so folgte nun eine weitere Verfehlung. Die freie Fläche wurde einem Café zugeschlagen und mit unbeschreibbar kitschigem Design von Philippe Starck möbliert, das laut Eigenbeschreibung inspiriert ist von Gondeln, dem Dekor venezianischer Theater und Fresken, die den berühmten Karneval zeigen.

Das hat Rem Koolhaas, der gerne das gesamte Erdgeschoß als öffentliche Piazza gesehen hätte, nicht verdient. Er, der die Inneneinrichtung der einzelnen Shops-im-Shop als integralen Teil des Umbaus sah, musste diese dem englischen Architekten Jamie Fobert überlassen. Der Mieter des Tempels für Luxuswaren, das in Hongkong ansässige Unternehmen DFS, hat dem Einrichter von Flagship Stores die Aufgabe eher zugetraut als dem nach stringenten Konzepten planenden Theoretiker Koolhaas. Das Ergebnis dieser Verkommerzialisierung ist eine Überfrachtung der Räume mit unterschiedlichen Einrichtungen in Dutzenden Materialien und Formen. Nicht auszudenken, hätte auch OMA dem Gebäude noch stärker seinen gestalterischen Stempel aufgedrückt. Oder die Entscheidung getroffen, alle Unebenheiten und zeitlichen Brüche desBauwerks zu glätten und überdecken.

So wirkt das Raue, Ungeschönte als elementare Kraft des mächtigen Bauwerks und zeigt, dass es durch Aneignung eines entfesselten Marktes nicht zerstört werden kann. Sein kraftvoller Ausdruck bleibt erhalten – zumindest dort, wo man noch frei flanieren kann: in den Arkadengängen, beim Blick über den Innenhof und aus Fenstern und Durchbrüchen, die von OMA mit einfachen, schönen Gittern versehen wurden. Der neueFondaco dei Tedeschi kann somit als Symbolfür die Lebenskraft Venedigs gesehen werden – entwicklungsfähig mit Potenzial zur Transformation.

Spectrum, Sa., 2017.03.04

21. Januar 2017Karin Tschavgova
Spectrum

Lernen vom Lapidaren

Die neue Schule braucht neue Räume. Doch wie sie offen und wandelbar konzipieren, in die Zukunft gedacht, ohne sie neutral und unpersönlich zu gestalten? Eine Nachschau in Graz-Eggenberg.

Die neue Schule braucht neue Räume. Doch wie sie offen und wandelbar konzipieren, in die Zukunft gedacht, ohne sie neutral und unpersönlich zu gestalten? Eine Nachschau in Graz-Eggenberg.

Viel wird gesprochen über die Notwendigkeit einer neuen Schule, die auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. Wie der häufigen Erwerbstätigkeit beider Elternteile, wie der Alleinerzieher und der steigenden Zahl von Schulpflichtigen mit migrantischer Herkunft optimal entsprechen? Während große Lösungsansätze dieser gesellschaftspolitisch relevanten Fragen wie die Ganztagsschule und die Gesamtschule von konservativen Kräften als Gleichschaltung und Einschränkung individueller Entfaltungsmöglichkeit blockiert werden, muss der Schulalltag auch ohne große Reform an die neuen Aufgaben angepasst werden.

All das braucht neu gedachte Räume. Christian Kühn sprach an dieser Stelle (im „Spectrum“ vom 19. November 2016) von einer stillen Revolution im österreichischen Bildungsbau seit einigen Jahren, und tatsächlich gibt es bereits in mehreren Bundesländern sogenannte „Leuchtturmprojekte“ – Schulen mit differenziertem Raumangebot, wo jahrgangsübergreifend und in Kleingruppen auch außerhalb der Klasse gearbeitet werden kann und Arbeitstempo und Lernfortschritt individuell gefördert werden. Solche Schulen sind Orte für den ganztägigen Aufenthalt. Sie entsprechen dem natürlichen Bewegungsdrang von Kindern, erlauben Rückzug für besondere Konzentration und andererseits optimale Entspannung in Lernpausen.

Nicht immer kann ein neues Programm baulich neu umgesetzt werden – Veränderung muss auch in „alten Schläuchen“ möglich sein. Gerade jetzt steht die Sanierung und energetische Aufrüstung von Schulen an,die in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg gebaut wurden. Sie ist häufig mit größerem Platzbedarf und funktioneller Neuordnung verbunden. Für Architekten sind diese Aufgaben Herausforderungen in vergleichbarer Größe: das bauliche Umsetzen neuer Schulkonzepte auf der grünen Wiese ebenso wie die Umgestaltung der in die Jahre gekommenen Klassen-Gang-Schulen in einladende, neu dimensionierte Bildungsräume.

An beiden hat sich der Grazer Architekt Hans Mesnaritsch in 35-jähriger Tätigkeit im eigenen Büro erprobt. Er gilt als Schulbauspezialist. In seiner Werkliste finden sich knapp 20 Schulen und universitäre Bildungseinrichtungen, die vorwiegend in der Steiermark stehen und allesamt aus Architektenwettbewerben hervorgingen. Die genaue Zahl im Kopf zu haben ist nicht die Sache des nie marktschreierisch Auftretenden, der seit einigen Jahren mit Franz-Georg Spannberger als Juniorpartner plant. Die jüngste Realisierung eines gewonnenen Wettbewerbsdes Duos ist die Volksschule Algersdorf im Grazer Bezirk Eggenberg, direkt gegenüber der „Auster“ von Fasch & Fuchs.

Vorgabe war, die Schule, die zuvor gemeinsam mit der Neuen Mittelschule in einem mehr als 100 Jahre alten, Ehrfurcht gebietenden, mächtigen Solitär untergebracht war, als sogenannte Clusterschule zu konzipieren, in der je vier Jahrgangsstufen zu einer großzügigen Einheit zusammengefasst sind. Als Schulerhalter scheint die StadtGraz auf diesen Typus zu setzen, nachdem die 2014 in Betrieb genommene Volksschule Mariagrün (Architekturwerk Kalb Berktold) mit ihrer Gruppierung von Klassen und Lehrerzimmer um einen multifunktionalen „Dorfplatz“ nicht nur positive Resonanz, sondern auch mehrere Auszeichnungen erhalten hat.

Die Volksschule Algersdorf liegt in einemBezirk mit hohem Anteil an migrantischem Zuzug. In ihrem ersten Jahr des Bestehens wird Nachmittagsbetreuung angeboten, jedoch keine Ganztagsschule mit verpflichtendem Unterricht am Nachmittag. Der Direktor begründet dies damit, dass sich finanzschwache Familien die dafür zurzeit von den Eltern zu bezahlenden Kosten nicht leisten könnten und sich anderenfalls einen neuen Bezirk als Wohnort suchen würden.

Auch die Architekten folgten in ihrer Konzeption der Schule weniger ideologischerProgrammatik als vielmehr Grundsätzen für das Bauen, die sie in ihren Schulhäusern seit Langem anwenden und verfeinern. So sind es sorgfältig überlegte Lösungen für klassische Themen der Architektur – Belichtung und Durchblicke, einfache Orientierungsmöglichkeit, flexible Nutzung von Räumen und Möbeln –, die an dem kammartig nach Westen geöffneten Gebäude auffallen.

Der Baukörper wirkt zu den beiden Straßen hin monolithisch kompakt und einfach, wenngleich die Differenzierung der Funktionen sorgfältig vorgenommen wurde. Passivhausqualität war gefordert. Die Antwort: Selbst der Turnsaal ist Teil des großen Ganzen, innerhalb der Baufluchtlinien tiefer gelegt und zum Foyer hin großzügig verglast. Seine Dimension ist stimmig, stellt man sich vor, dass schon jetzt, vor dem möglichen Vollausbau auf 16 Klassen, innerhalb einer kurzen Zeitspanne 219 Kinder morgens das Schulhaus stürmen und ihren Arbeitsbereich in einem der beiden Geschoße ansteuern. Diese Eingangshalle ist zentraler Kreuzungspunkt aller Aktivitäten am Vormittag und Nachmittag. Hell und großzügig gestaltet, lässt sie Raum für schulische Aktivitäten, die heute vielleicht noch gar nicht angeboten werden. Als Rückgrat fungieren, additiv aneinandergereiht und klar getrennt von den Clustern, Sonderräume für Werken, den Englischunterricht und die Bibliothek, dazwischen Sanitärräume und auf der Eingangsebene Direktion und Konferenzraum. Die Gänge davor werden sicher nicht als solche wahrgenommen. Sie sind breit und hell, zu Terrasse und Garten hin belichtet und erlauben axiale Durchblicke über die gesamte Gebäudelänge.

Was sich angeblich kaum eine Lehrerin vor der Fertigstellung als angenehm einladend vorstellen konnte, zeigt nicht nur die hohe Qualität der Planung, sondern trägt maßgeblich zur freundlich-ruhigen Arbeitsatmosphäre bei: Die Wände, in Sichtbeton ausgeführt und roh belassen, werden mit präzise eingesetzten, schön detaillierten Tür- und Fensterelementen in Holz (Rüster) und einem Bodenbelag aus massivem Parkett nobilitiert. Nichts wirkt hier „billig“, keine Detaillösung unbewältigt. Das Lapidare entspricht den Architekten, die in ihrem Entwurf darauf bedacht waren, pädagogische Innovationen zu ermöglichen, nicht jedoch, solche inallzu starrem Rahmen für alle Zukunft festzulegen. Eine Schule mit so vielfältigem Raumangebot lässt Platz für Unterrichtskonzepte, die wir heute noch gar nicht kennen. So gesehen ist sie gerade wegen ihrer räumlichen Großzügigkeit und hohen Ausführungsqualität effizient und nachhaltig konzipiert.

Spectrum, Sa., 2017.01.21

10. Dezember 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Alles im grünen Bereich?

Ein im Stadtgebiet von Graz geplantes Flusskraftwerk würde die wild gewachsene Uferlandschaft der Mur durch Rodungen und Dammbauten weitgehend zerstören. Politik und Betreiber reden das schön. Nun fiel der Beschluss zum Bau.

Ein im Stadtgebiet von Graz geplantes Flusskraftwerk würde die wild gewachsene Uferlandschaft der Mur durch Rodungen und Dammbauten weitgehend zerstören. Politik und Betreiber reden das schön. Nun fiel der Beschluss zum Bau.

Im Juni 2010 reichte die Energie Steiermark AG als Energieversorgerin im Mehrheitsbesitz des Landes Steiermark das Projekt eines Laufwasserkraftwerks zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Als Kooperationspartner wurde der Verbund genannt. Als am besten geeignete Lage des Kraftwerks an der Mur, die Graz von Nord nach Süd durchzieht, wurde das südliche Stadtgebiet festgelegt. Mit der Realisierung des Kraftwerks wurde die gleichzeitige Errichtung eines zentralen Speicherkanals verknüpft, der die Entleerung überlaufender Abwässer in die Mur bei Starkregen kanalisieren soll.

Im August 2012 erteilte das Land Steiermark als erste Instanz im UVP-Verfahren die Genehmigung zum Bau des Murkraftwerks Puntigam. Der Umweltsenat des Bundes als Berufungsinstanz wies die darauf folgenden Eingaben von zahlreichen Umweltschutz- und Naturschutzorganisationen und Bürgern im Wesentlichen ab. Einzig einige weitere Auflagen, beispielsweise zum Schutz der im Uferbereich lebenden, geschützten Würfelnatter, wurden erteilt. So weit, so gut?

Keineswegs, denn schon die UVP zeigte, dass die Staustufe auf einer der letzten freien Fließstrecken von zehn Kilometer Flusslänge nur mit Ausnahmegenehmigungen zu gültigen Gesetzen und Verordnungen und mit aufwendigen Auflagen genehmigt werden kann. Zahlreiche Verstöße gegen das allgemeine Verschlechterungsverbot wurden so legitimiert – etwa die in der Folge notwendige Herabstufung der Wassergüte der Mur von gut auf mäßig –, weil aus dem derzeit frei durchs Stadtgebiet fließenden Gewässer ein Stausee wird, aufgestaut bis zur Höhe des Kunsthauses. Mit dem alles schlagenden Argument des höheren öffentlichen Interesses wurden Naturschutzgesetze und die Baumschutzverordnung außer Kraft gesetzt. Das Sachprogramm „Grünes Netz Graz“, das die Maßnahmen und Ziele für die städtischen Grünraume zusammenfasst, die im Stadtentwicklungskonzept und im Sachprogramm Grünraum per Gemeinderatsbeschluss festgelegt wurden, wurden in die Begutachtung der UVP nicht eingeschlossen, ja nicht einmal erwähnt.

Mit allen behördlichen Genehmigungen ausgestattet, hat der Betreiber nun diese Woche den Beschluss gefasst, das Kraftwerk zu errichten, und den Baubeginn noch im Winter angekündigt. Dies, obwohl nach dem Ausstieg des Verbunds und der verschobenen Beschlüsse der Wien Energie nun kein weiterer 50-Prozent-Investor an Bord ist. Offensichtlich soll das Kraftwerk um jeden Preis errichtet werden, trotz eines negativen Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit und trotz einer von zahlreichen Umwelt- und Naturschutzorganisationen angestrebten Volksbefragung, die von der Stadtregierung im Herbst dieses Jahres mit dem Argument, dass alle Bewilligungen bereits erteilt sind, abgelehnt wurde. Auch die frühzeitige Neuwahl der Stadtregierung im Februar 2017 steht in direktem Zusammenhang mit dem Kraftwerksbau. Die notwendige Mehrheit für den Beschluss des Haushaltsbudgets wurde nicht erreicht, weil die Finanzierung des zentralen Speicherkanals, der fast so viel kosten würde wie das Kraftwerk und rechtlich gar nicht gebaut werden müsste, abgelehnt wurde.

Wer verstehen will, warum die Staustufe im Stadtgebiet von Graz von so vielen Organisationen abgelehnt wird, obwohl man der Wasserkraft doch generell zubilligt, dass sie zur sauberen Energiegewinnung zählt, muss bei den Auswirkungen der Baumaßnahme beginnen. Und er sollte sich persönlich ein Bild machen von jenem grünen Band, das als wildwüchsiger, forsttechnisch nicht genutzter Naturraum die Murufer südlich der Radetzkybrücke noch säumt. Tausende von Radfahrern – nicht nur jene, die den beliebten Radweg vom Mur-Ursprung bis zur slowenischen Grenze jährlich befahren – machen dies. Besonders das linke Murufer ist ein beliebter, vom Augartenpark bis zur Puntigamer Brücke durchgängiger Wanderweg von mehr als vier Kilometer Länge.

„Die räumliche Qualität der Stadt wird von ihren charakteristischen natürlichen undbaulichen Elementen und den daraus gebildeten Strukturen bestimmt“ (STEK 3.0). Was geschieht, wenn Bagger auffahren? 16.500 Bäume aller Größen, die gefällt werden müssten, wurden im November sachverständig gezählt, darunter 824 ökologisch wie stadtklimatisch bedeutende Bäume mit einem Umfang von mehr als 150 Zentimetern und Höhen bis 15 Meter – doppelt so viele, wie im Grazer Stadtpark stehen. Geschützte Tiere verlieren ihren natürlichen Lebensraum. Die dreijährige Bauzeit der Riesenbaustelle wird die Lebensqualität der Anrainer massiv beeinträchtigen. Biker, Läufer und Spaziergänger, die den Grünkorridor jeden Tag als Erholungsraum nützen, verlieren nicht nur während der Bauzeit ihren Naherholungsraum, sondern werden ihn auch danach nie mehr in seiner „unkultivierten“, naturnahen Form wiederfinden.

Experten bekräftigen: Was an mindestens 60 Jahre lang gewachsener Biotopfläche verloren geht, lässt sich auch mit allen angekündigten Maßnahmen zur Renaturierung der Uferbereiche nicht wiederherstellen, auch wenn der Amtssachverständige in seinem Gutachten in der UVP schreibt, dass sich „im Lauf der Jahre größtenteils wieder eine dem heutigen Erscheinungsbild gleichende Vegetation einstellen wird“. Diese auch zeitlich vage Behauptung stimmt schon deshalb nicht, weil in Zukunft auf den Dämmen aus Stabilitätsgründen nur Bäume bis 15 Zentimeter Stammdurchmesser erlaubt sein werden.

All diese Fakten sind in Graz kaum bekannt, auch weil die Stadt bei diesem Projekt ihrer Verpflichtung zur frühzeitigen Information, die in den „Leitlinien zur BürgerInnenbeteiligung bei Vorhaben und Planungen der Stadt Graz“ beschlossen wurden, nicht objektiv nachkommt. Ein Forum zur Meinungsbildung einzurichten war dem Bürgermeister kein Anliegen, war er doch schon vor dem Ergebnis der UVP in einem Werbeinserat der Betreiber an der Seite des damaligen Landeshauptmanns als Befürworter der Staustufe zu sehen. Erstaunlich, denn noch 2009 hatte er sich skeptisch zu vier damals geplanten Kraftwerken an der Mur nördlich und südlich von Graz geäußert. Der jetzt beschlossene massive Eingriff in das Stadtbild ist das Ergebnis politischen und nach Gewinn strebenden Kalküls. Das darf nicht sein.

Was zählt, ist, dass die Stadt mit der dichten Uferbepflanzung einen sie charakterisierenden, erhaltenswerten Landschaftsraum verlieren wird. Dass Graz, 2015 erneut Österreichs Feinstaubhochburg, ökologisch hochwertigen Grünraum innerhalb seiner Stadtgrenzen dringend braucht, um die schlechte Luftgüte auszugleichen und das örtliche Kleinklima zu erhalten. Auch die derzeit massive bauliche Verdichtung der Stadt mit täglich neuem Verlust an innerstädtischem Grünraum kann mit einem klaren Bekenntnis für den Erhalt des unantastbaren Naturraums kompensiert werden. Müsste sein Schutz daher nicht gerade in Graz als gleichwertig hohes öffentliches Interesse gesehen und diskutiert werden?

Spectrum, Sa., 2016.12.10

29. Oktober 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Architekt wie aus dem Buche

Peter Zinganel, Architekt, Mitgestalter der „Grazer Schule“, Leiter des Architekturreferats im Forum Stadtpark in Graz, kunst- und musikinteressiert: Nachruf auf einen Umtriebigen.

Peter Zinganel, Architekt, Mitgestalter der „Grazer Schule“, Leiter des Architekturreferats im Forum Stadtpark in Graz, kunst- und musikinteressiert: Nachruf auf einen Umtriebigen.

Vor wenigen Tagen ist der in Graz tätige Architekt Peter Zinganel gestorben, überraschend im Alter von 57 Jahren. In Graz war er kein Unbekannter. Viele hatten mit ihm studiert in den prägenden Jahren einer Bewegung, die Graz und die Steiermark in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit rückte, weil hier Architektur abseits des damals herrschenden Mainstreams der Postmoderne entstehen konnte. Andere waren einen Teil des Weges mit ihm gegangen, als er über einen Zeitraum von zehn Jahren praktische Erfahrungen im Büro von GüntherDomenig und in der Kooperation von Domenig mit Hermann Eisenköck sammelte. Es gibt zahllose Studierende, die seit 1991 an der Technischen Universität in Graz von Peter Zinganel nicht nur über Prinzipien und Konzepte des Entwerfens aufgeklärt wurden, sondern anschaulichen Unterricht darin erhielten, über die Persönlichkeit ihres Lehrers zu erkennen, dass Architektur als Disziplin neben reinem Fachwissen auch soziale Verantwortung, Empathie und Begeisterung braucht. Peter hatte all das.

Seit 1996 führte er als Architekt ein eigenes Büro. Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter beschreiben ihn als Arbeitgeber, der Teamarbeit und flache Hierarchien bevorzugte und freundschaftlichen Umgang mit seinen Angestellten pflegte. In einem grundsätzlichen Statement auf der Website des Architekturbüros lässt sich seine Überzeugung nachlesen, wonach Meinungsvielfalt im Diskurs, gefolgt von klarer Entscheidungskompetenz, zu besseren Problemlösungen führt. Aus Stückwerk formt sich so ein stimmiges Bild. Um Aufschluss über die Arbeit und den Lebensweg dieses Architekten zu erhalten, braucht es keine schlussfolgernde Interpretation. Allein aus der Zusammenstellung von Einzelheiten in einem zeitlichen Rahmen ergibt sich eine Lebenslinie, in der sich eins ins andere schlüssig fügt.

Peter Zinganel wächst in Zell am See auf und besucht die Höhere Technische Lehranstalt in Saalfelden. 1979 geht er nach Graz, um Architektur zu studieren. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, der auch die Technische Hochschule erreicht, als Günther Domenig 1980 dort das Institut für Gebäudelehre übernimmt. Peter muss dem ungestümen Professor, der seinen Studenten höchsten Einsatz abverlangt, als talentiert aufgefallen sein, denn ab 1985 arbeitet er regelmäßig im Architekturbüro Domenig. Daneben studiert er und übernimmt 1986 als Co-Leiter das Architekturreferat im Forum Stadtpark, das sichzu jener Zeit neben dem eben gegründeten Haus der Architektur erst wieder neu erfinden muss. Er erkennt den Vorteil des Hauses in seiner Mehrspartenstruktur und forciert die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen Referaten.

Auf die noch auf Architektur fokussierte Ausstellung mit dem Titel „Wem nützt schon ambitioniertes Bauen?“ folgt 1989 die disziplinenübergreifende Ausstellung „Trash City“. Im Büro Domenig trägt er 1987 federführend zum Wettbewerbsgewinn für den Neubau des Krankenhauses in Bruck an der Mur bei. Dieser damals beispielgebende Entwurf für eine neue Qualität im Krankenhausbau wird bis heute ihm zugeschrieben. 1990, im Jahr des Baubeginns, beendet er beinahe beiläufigsein Studium und beginnt neben der Bürotätigkeit mit eigenen Arbeiten. Es sind äußerst produktive Jahre. Er leitet das Architekturreferat im Forum allein, konzipiert 1993 die Ausstellung „Kunst als Revolte. Von der Fähigkeit, Nein zu sagen“ und ein Jahr später die zweite Auflage der legendären Architekturausstellung „Standpunkte“. 1996 gründet er sein eigenes Büro. 1997 wird er Vorsitzender und damit Leiter des Forum Stadtpark, das er in der Folge mit Ernst Giselbrecht umbauen und um ein Obergeschoß erweitern kann. 2003 beendet er seine Tätigkeit dort und konzentriert sich fortan auf Büro und Familie, die zu diesem Zeitpunkt auf fünf Mitglieder angewachsen ist. Seit der Internationalen Gartenausstellung IGS 2000 ist er immer wieder Projektpartner von Hermann Eisenköck und der Architektur Consult, in die er 2008 als teilhabender Partner eintritt; vermutlich auch, um sich abzusichern und auftragsschwache Zeiten des eigenen Büros durchzustehen, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen.

Beides läuft, so wird erzählt, parallel und wird aktiv und produktiv vom Chef, der seinen Mitarbeitern kein konventioneller Vorgesetzter sein will, begleitet und bearbeitet. Arbeitsprozesse werden durch gemeinsame Kaffeepausen strukturiert, die allen als Diskussionsrunden oder Erzählungen über architektonische Entdeckungen und favorisierte Architekten in Erinnerung bleiben. Peter Zinganel bevorzugt für sein Büro Leute, die „architektonisch etwas am Hut haben“. Detailwissen ist kein Einstellungskriterium, weil er weiß, dass man sich dieses aneignen kann. Er selbst ist interessiert an zeitgenössischer Kunst und Musik. In Vorstellungsgesprächen testet er Stellenbewerber mit der Frage nach dem Mastermind der Rockband Radiohead.

Der gebauten Architektur aus dem Büro Zinganel kann man ablesen, dass sie mit den Jahren pragmatischer, in ihrer Form unspektakulär und einfach wird. Der Weg der „Grazer Schule“, die er als Student aktiv mitgestaltet, ist nicht seiner geworden. Innovative Aspekte der Architektur treten in der Arbeit des Büros in den Hintergrund, was vielleicht daran liegt, dass das Büro zwar unzählige ambitionierte Projekte für Wettbewerbe entwickelt, aber kaum einen gewinnt. Im Statement zu den Grundsätzen der Büroausrichtung werden veränderte Anforderungen an die Architektur thematisiert und wird die stärkere Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Erfordernisse betont. Im Sozialwohnungsbau „Massive Living“ im Grazer Stadtteil St. Peter setzt Zinganel diese Maxime exemplarisch um und zeigt, was in einem engen Budgetrahmen dennoch möglich sein muss: gut funktionierende Grundrisse anzubieten und durch bedachte Gliederung der Baukörper individuellen Rückzugin halb private Außenräume von Terrassen und Balkonen möglich zu machen.

Jetzt, da die Erinnerung an Begegnungen mit ihm seine starke Präsenz ersetzen muss, wird mir klar, dass er keineswegs unzufrieden darüber gewesen sein kann, in diesen Zeiten nur in kleinen Schritten kleine Erfolge erzielt haben zu können. Immer wirkte er ausgeglichen und fröhlich. Architektur war nur ein Teil seines Lebens – eines mit der Familie, mit gutem Essen und Reisen, mit einer ausgeprägten Liebe zu Italien und Musik. Nun ist es jäh vorbei und lässt uns traurig zurück.

Spectrum, Sa., 2016.10.29



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03. September 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Der ideale Bauherr

Versuch einer Charakterisierung: Was sind die Voraussetzungen, die zu einer geglückten Beziehung zwischen Bauherren und Architekten führen – und zu guten Bauwerken?

Versuch einer Charakterisierung: Was sind die Voraussetzungen, die zu einer geglückten Beziehung zwischen Bauherren und Architekten führen – und zu guten Bauwerken?

Ein Bauherr ist Auftraggeber für die Planung und Errichtung von Bauwerken. Dass der Begriff Bauherr über all die Jahrhunderte männlich geprägt blieb und bis heute so eindimensional verwendet wird, ist historisch vom Status des Bauherrn in der Gesellschaft abzuleiten. Das Bauen war immer Ausdruck von Macht und Planungshoheit, und diese waren männlich dominiert, egal, ob es sich um den Kaiser, um Könige oder die Kirche als Auftraggeber handelte. SchlossVersailles wurde errichtet, um als gebautes Manifest die Macht Ludwigs XIV. darzustellen, und wurde deswegen zum Inbegriff des französischen Barocks. Nach Ludwig XVI. wurde gar ein Stil, der Louis-Seize, benannt, der in ganz Europa Furore machte. Auch die Veränderungen der Welt durch die industrielle Revolution rüttelten nicht am Bedürfnis der neuen Herren, Status und Ansehen in feudal anmutenden Fabrikgebäuden und Handelshäusern auszudrücken. Es ging weiter: Als monumentale, staatstragende Geste ließ Hitler von seinem Architekten Speer die neue Reichskanzlei planen, und kaum anders agierte der Sozialist Mitterrand, als er in absolutistischer Manier selbst jene Architekten beauftragte, die mit den Grand Projets in Paris Ruf und Ruhm festigen sollten.

Die Geschichte ist ein Fundus an unzähligen großen Namen, die mit Aufträgen für monumentale Bauwerke in erster Linie ihre eigene Unsterblichkeit im Auge hatten, ohne Rücksicht auf Etats oder Nutzen. Sie nennt uns aber auch einzelne Persönlichkeiten, die in ihrer Bauherrenfunktion als Vertreter des Staates oder der Institutionen weit über das übliche Maß hinaus Engagement für Baukultur und die Bereitschaft zum Experiment zeigen. Im besten Fall tragen Bauherren solcherart zu Innovation und Fortschritt bei, und es kann Baukunst entstehen, die auf gesellschaftliche Erfordernisse zeitgemäße Antworten gibt. Als Beispiel sei Hannes Swobodagenannt, der als Wiener Planungsstadtrat in den 1990er-Jahren das Schulbauprogramm 2000 initiierte. Nicht nur, dass es über die Landesgrenzen hinaus beachtet wurde. Der Anspruch, Reformen in typologisch neuen Schulhäusern erproben zu können, hätte ein Modell mit internationaler Reputation werden können. Zurzeit sind Experimente im Schulbau schon durch den restriktiven Rahmen der nun in Wien üblichen PPP-Verfahren (Public Private Partnership) extrem gefährdet.

Ist der ideale Bauherr also einer, der alles abnickt, was sich Architekten ausdenken? Mitnichten. Im Leben wie im Bauen gilt, dassein Verhältnis dann nicht fruchtbar ist, wenn einer immer der Bestimmende ist und sein Gegenüber der immer nur Zulassende. Vielleicht erklärt dies auch, warum Architekten so selten für sich selbst bauen (und sich lieber in Altbauwohnungen einrichten). OffenerDialog und die Kenntnis anderer Sichtweisen sind als Reibeflächen wichtig, um aus einem selbst das Beste herauszuholen.

Loos irrte jedoch, wenn er um 1930 behauptete, dass das Geheimnis für gute Architektur ein fachkundiger Bauherr ist. Um einander auf Augenhöhe zu begegnen, muss der Bauherr kein Fachwissen haben. Was es im heute immer komplexeren Prozess des Bauens braucht, sind Offenheit und das Bewusstsein, dass ein gemeinsames Ziel verfolgt wird. Konrad Ott, ein deutscher Philosoph mit einem Forschungsschwerpunkt zur Umweltethik, unterstreicht in einer Betrachtung über das Verhältnis von Bauherr und Architekt die Bedeutung gegenseitigen Vertrauens, die über das rein Fachliche hinausgeht. Es ist ein Gemeinplatz, aber: Was in unseren Beziehungen zu Fachleuten wie Ärzten selbstverständlich scheint, dass wir an ihrer Fachkompetenz nicht zweifeln, scheint für Architekten, die eine ebenso lange Ausbildung hinter sich haben, nicht zu gelten.

Immer wieder erzählen Kollegen, dass ihnen zumindest am Beginn eines Planungsprozesses vonseiten der Auftraggeber ohne Wertschätzung, sogar mit tiefem Misstrauen begegnet wird, und dass man ihnen jegliche Kompetenz abspricht, wenn sie sich nicht schon über frühere Bauaufträge einen guten Ruf als Spezialisten für ein Fachgebiet erworben haben. Es erschwert Arbeitsverhältnisse, besonders für ambitionierte, aber wenig erfahrene Architekten, wenn Bauherren Architekten nicht als gleichberechtigte Partner sehen.

Was aber, wenn Bauherren Immobilienfonds, verschachtelte Bauträgerkonstrukte oder Aktionäre sind, wenn man den Bauherrn als direktes Gegenüber gar nicht zu Gesicht bekommt? Undurchschaubare Eigentümerstrukturen und das Delegierenöffentlicher Bauaufgaben an private Bauträger haben eine ganze Reihe von Nebenbauherren entstehen lassen. Diese übernehmen Aufgaben zur Steuerung, Kontrolle und Kostenminimierung und handeln, immer ihre berufliche Selbsterhaltung im Hinterkopf, als kühle Kalkulierer, die ausschließlich dem Bauherrn verpflichtet sind. Können frühere Kernkompetenzen der Architekten – Innovationsgeist, das Infragestellen herkömmlicher Strukturen und das Erarbeiten neuer, zeitgemäßer Lösungen – so zu Entfaltung und Hochblüte kommen? Es ist fraglich, ob den Architekten unter solchen Umständen die Zuschreibung als Erneuerer, die historisch gesehen immer daran beteiligt waren, die Gesellschaft weiterzuentwickeln, bleiben kann.

Nun, wir wollen nicht schwarzmalen, gabes doch einerseits immer Architekten, die ihr Tun als reine Dienstleistung verstanden haben, und gibt es andererseits offensichtlich auch noch die idealen Bauherren. Die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs lässt diese jährlich durch eine Jury aus Fachleuten im ganzen Land auffinden und ehrt auch heuer wieder die besten mit dem Bauherrenpreis.

Wie und wer ist aber der ideale Bauherr? Es gibt weder Anleitungen noch Rezepte für die Aufgabe als Bauherr. Aber es scheint einige Grundsätze zu geben, die die Beziehung Bauherr/Architekt gut gelingen lassen. Wertschätzung und Vertrauen wurden hier schon angesprochen. Wenn Loos den Bauherren auch zugestand: „Für eure Wohnung habt ihr immer recht“, so kann man ihnen doch raten, auf diesem Recht nicht von Anfang an zu beharren. Das Ergebnis eines solcherart dominierten Planungsprozesses kannselten außergewöhnlich werden.

Seid offen, seid neugierig und ermuntert, ja, fordert eure Partner heraus, möchte man Bauherren zurufen. Was daraus glückhaft entstehen kann, braucht als Voraussetzung weder unbeschränkte Geldmittel noch den Fachmann als Gegenüber. Es kann eine kleine Gemeinde wie Krumbach im Bregenzerwald, deren Bürgermeister Landwirt ist, in den Blickpunkt internationaler Aufmerksamkeit rücken. Oder erfolgreiche Strategie und beste Werbung für ein Unternehmen wie die Tiroler Handelskette M-Preis werden, das seine Bauten nicht ohne Bedacht auf Ökonomie und Effizienz errichten lässt. Kein Zweifel, an ihren preisgekrönten Bauten lässt sich nachvollziehen, was ideale Bauherren ausmacht. Die Verleihung des Bauherrenpreises findet im Übrigen am 4. November in der Anton-Bruckner-Privatuniversität in Linz statt.

Spectrum, Sa., 2016.09.03

06. August 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Wie man sich's mit Geld richtet

Muss Raumordnung mehr sein als die Verortung von Zentren und Räumen? Gedanken zur steirischen Raumplanung anlässlich eines aktuellen Entscheids des Verfassungsgerichtshofs zur Rechtslage der Shopping City Seiersberg.

Muss Raumordnung mehr sein als die Verortung von Zentren und Räumen? Gedanken zur steirischen Raumplanung anlässlich eines aktuellen Entscheids des Verfassungsgerichtshofs zur Rechtslage der Shopping City Seiersberg.

Gemessen an der Zahl seiner Einwohner, weist Österreich EU-weit den höchsten Wert an Verkaufsflächen für den Einzelhandel auf. Einen beträchtlichen Anteil daran machen die Supermarktketten aus, die hierzulande sowohl in den Großstädten als auch im ländlichen Raum deutlich dichter auftreten als etwa in Paris, Mailand und in vergleichbaren Regionen anderer Länder. Einkaufszentren wie die SCS in Vösendorf mit knapp unter 200.000 Quadratmetern oder die Shopping City Seiersberg vor den Toren von Graz sind Teil dieser immer weiter wachsenden Angebotsdichte.
Kein Wunder, dass der Kampf um den größeren Anteil am Kuchen zwischen den einzelnen Zentren in einer Stadt wie Graz groß ist. Wer nun glaubt, dass die derzeit massiven Probleme rund um die Shopping City Seiersberg dem Konkurrenzkampf mit den Kaufleuten der Innenstadt und den Betreibern der anderen Grazer Einkaufszentren geschuldet sind, die ihren mächtigen Konkurrenten in der ehemaligen Schottergrube schon seit Anbeginn im Jahr 2003 immer wieder mit Anzeigen eingedeckt haben, der irrt. Diese Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs durch Verstöße gegen die Bau- und Raumordnung wurden abgewiesen oder laufen noch in der Berufungsinstanz. Dabei ging es um die Errichtung angeblich illegaler Parkplätze, um die Nutzung einer Rampe und um Verbindungsbauten, die aus den in mehreren Baustufen errichteten Einzelbauten eine Mall machte, die mit genannten 85.000 Quadratmetern vermietbarer Flächen die ursprünglich genehmigte Größe weit überschreitet.
Es kam anders. Ein kürzlich auf Antrag der Volksanwaltschaft ergangener Spruch des Verfassungsgerichtshofs hob nun die rechtlichen Grundlagen jener baulichen Bindeglieder auf, die die Gemeinde Seiersberg – vermeintlich schlau – zu öffentlichen Interessenswegen zwischen Einzelzentren erklärt hatte. Damit sollte der Verstoß gegen die Größenbeschränkung verschleiert und die Shopping City in ihrer jetzigen Größe legalisiert werden.

Da die Landesregierung in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben der überörtlichen Raumplanung Kenntnis von dieser Genehmigung durch die Gemeinde gehabt haben müsste, könnte sie sich auch selbst bald in höchst prekärer Lage befinden. Die Drohung der Eigentümer der Shopping City, sich im Falle einer erzwungenen Schließung per Amtshaftungsklage am Land Steiermark schadlos zu halten, kam postwendend.
Verständlich, dass nun alle Beteiligten bestrebt sind, den Schaden möglichst gering zu halten. Flugs wurde ein Absatz im steiermärkischen Raumordnungsgesetz herangezogen, der das Land durch Verordnung ermächtigt, Erweiterungen von Einkaufszentren und deren Größe unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall festzulegen. Die sogenannte Einzelstandortverordnung soll den illegalen Status beenden. Sie wird ihn vermutlich bis zum Ende der genehmigten Sanierungsfrist im Jänner 2017 auch „reparieren“ – und das, obwohl einige der Voraussetzungen, die das Gesetz für die nachträgliche Genehmigung nennt, sicher nicht gegeben sind. Die Shopping City Seiersberg ist absolut autoaffin. Mit leistungsstarker Erreichbarkeit im öffentlichen Nahverkehr und der Vermeidung unzumutbarer Immissionen und großräumiger Überlastung der Verkehrsinfrastruktur kann sie nicht punkten. Wer nicht über die Autobahn, sondern von Osten aus der Stadt kommt, der schlängelt sich über eine schmale Ortsstraße mitten durch kleinteilige Einfamilienhausbebauung, die Abfahrten zu den zahlreichen Parkplätzen erzeugen Verwirrung und Stau. All das hatte schon bei früheren Erweiterungen eine Bürgerinitiative auf den Plan gerufen.

Ausschlaggebend für die Wahl des Standorts und den Ausbau des Zentrums war wohl die Anbindung an die Autobahn und die Möglichkeit, auf Bestand, einen früheren Großmarkt, aufzubauen. Rücksichtnahme auf die Umgebung, auf Immissionsvermeidung und die Auswirkungen auf Verkehr und Nahversorger waren um die Jahrtausendwende kein Thema, und das Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung gab es noch nicht. Doch heute sollte es Gültigkeit haben und auch angewandt werden, wenn es darum geht, nachträglich Legalität herzustellen.
Die Sorge der Gemeinde, ihre wichtigste Einnahmequelle zu verlieren, ist nachvollziehbar. Das immer strapazierte Argument der Gefährdung von mehr als 2000 Arbeitsplätzen im Falle einer durch Höchstrichter angeordneten Schließung zeigt zwar das Dilemma auf, doch heiligt es als Zweck die unlauteren Mittel nicht. Und es stimmt auch nicht, denn längst weiß man, dass immer neue Einkaufszentren nur zu Verdrängungswettbewerb und Verlagerung von Beschäftigung und Gewinnabschöpfung führen. Wer ohne Standort- und Bedarfsanalyse Genehmigungen auf der grünen Wiese erteilt, trägt dazu bei, aus Stadtzentren Kaufkraft abzuziehen und sie mittelfristig veröden zu lassen.

Fachleute fordern daher längst, die Raumordnungspolitik grundlegend zu ändern. Zuständigkeiten wie Flächenwidmungen, die heute noch bei der Gemeinde als Baubehörde erster Instanz liegen, sollten längst auf eine andere, überkommunale Ebene gehoben werden. Nur wenn überregional und bedarfsorientiert Flächen geordnet und beplant werden, kann überbordender Flächenverbrauch mit all seinen ökologischen Nachteilen eingedämmt werden. Bürgermeister müssten froh darüber sein, wenn der Druck, Bauland zu widmen, von ihnen genommen wird. Dazu müsste jedoch dem Wettbewerb unter Nachbargemeinden, Gewerbebetriebe in ihrem Gemeindegebiet anzusiedeln, die Grundlage entzogen werden. Gelingen kann das, wenn Kommunalabgaben überregional eingehoben und nach neuen Kriterien an die Gemeinden verteilt werden.

Nun ist Seiersberg bereits gebaut und daher als Sanierung zu betrachten. Kein Politiker wird riskieren, als Vernichter von Arbeitsplätzen gebrandmarkt zu werden, sollte die verlangte Einhaltung von Rechtsvorgaben dies bewirken. Die Reparatur wird eine Quadratur des Kreises werden und partikulare Interessen weiterhin unberücksichtigt lassen. Gerade deshalb müssten strenge Vorgaben erlassen werden, die bei der ursprünglichen Widmung offensichtlich nicht berücksichtigt wurden, aber heute noch umsetzbar wären. Etwa eine leistungsstarke Anbindung an den öffentlichen Verkehr und an das Radwegenetz, weiterreichende Einschränkungen für den Individualverkehr, auch wenn dies unpopulär ist, oder eine großräumig gedachte neue Anbindung für den Individualverkehr, die umweltverträglicher ist.
Im Sinne der immer lauter geforderten Kostenwahrheit für Infrastruktur und Erhaltung abgelegener Standorte müssten selbstverständlich jene dafür zahlen, die die erhöhten Kosten verursachen – in diesem Fall die Eigentümer der Shopping City Seiersberg. Nur so würde Seiersberg als Reparaturfall nicht ein Exempel dafür werden, wie man sich's mit Geld richten kann, sondern auch eines, wie man es künftig besser machen muss.

Spectrum, Sa., 2016.08.06

02. Juli 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Auf dem Wasser gehen

Drei Kilometer lang, 16 Meter breit, auf dem Wasser schwimmend, bestehend aus Polyethylen-Hohlkörpern, bedeckt mit gelbem Nylonstoff: Christos „Floating Piers“ am oberitalienischen Lago d'Iseo. Rezeptionsversuch eines Kunstwerks.

Drei Kilometer lang, 16 Meter breit, auf dem Wasser schwimmend, bestehend aus Polyethylen-Hohlkörpern, bedeckt mit gelbem Nylonstoff: Christos „Floating Piers“ am oberitalienischen Lago d'Iseo. Rezeptionsversuch eines Kunstwerks.

Kann ein Kunstwerk unbeschadet ein Kunstwerk bleiben, wenn es in den 16 Tagen seiner physischen Existenz von 700.000 oder gar bis zu einer Million Besuchern und Besucherinnen geradezu überrannt wird? Über die „Floating Piers“, die jüngste Land-Art-Installation von Christo, die er einst mit seiner 2009 verstorbenen Partnerin Jeanne-Claude konzipierte, wurde in den letzten Wochen viel berichtet. Was die beiden ursprünglich für den Rio de la Plata erdacht und später für eine Bucht in Tokyo adaptiert hatten, wurde nun von Christo auf dem lombardischen Iseosee Wirklichkeit: ein drei Kilometer langer und 16 Meter breiter, auf dem Wasser schwimmender Steg aus Polyethylen-Hohlkörpern, lose bedeckt mit einem kräftig gelben Nylongewebe.

In drei Teilen verbindet er den Ort Sulzano auf dem Festland mit Peschiera Maraglio auf der Insel Monte Isola, sticht dann von der ebenfalls mit Stoff bedeckten Uferpromenade hin zur winzigen Privatinsel San Paolo, die mit den schwimmenden Pontons eingefasst wurde, um nach präziser Richtungsänderung zurück zur kleinen Ansiedlung Sensole ans Ufer der Insel mit dem höchsten Berg Europas in einem Süßwassersee zu führen. Die Linienführung der Stege, die Christo in höchster Präzision festgelegt hat, zeigt sich selbst auf Satellitenbildern eindrucksvoll. Dieser Anblick ist jedoch nicht des Künstlers Ziel.

Bei all ihren Arbeiten – ob beim Valley Curtain, dem Running Fence, dem verhüllten Berliner Reichstag oder den Gates im New Yorker Central Park – hatten Christo und Jeanne-Claude stets im Sinn, etwas zu schaffen, das die Betrachter berührt und ihnen Freude macht. Menschen aller Couleurs, auch solche, in deren Leben Kunst bis dahin keine Bedeutung hatte, werden als integraler Teil jedes Projekts gesehen – egal, ob sie beteiligt sind am Entstehen eines Projekts, oder Besucher, die das Werk in der kurzen Zeitspanne seiner Präsenz vor Ort erleben wollen. Das unterscheidet Christo von James Turrell, der seine große Vision vom Licht, das Räume magisch verändert, an abgelegenen Orten realisiert und dem Publikum nicht zugänglich macht.

Formvollendete Ästhetik, die alle technisch höchst aufwendig und perfekt realisierten Installationen von Christo kennzeichnet, ist ein Ergebnis dieser lebenslangen Arbeit, ist jedoch, folgt man seinen eigenen Erklärungen, weder Ausgangspunkt noch Ziel seiner Projekte. Hinter dem sinnesfreudigen Erlebnis, das Christo den Besuchern wünscht, steckt ein stringent durchdachtes Konzept. Es geht wohl darum, Orte, Landschaften und das Gewohnte, das uns umgibt, bewusster wahrzunehmen durch eine Irritation des täglich Erlebbaren. Das schafft jener Künstler am unmittelbarsten, der aus der privaten Abgeschiedenheit des Ateliers heraustritt, sich nicht begnügen will mit der Rezeption seines Werks durch eine Minderzahl an Besuchern von Ausstellungen und Museen, und der daher im öffentlichen Raum arbeitet und sein Werk allen zugänglich macht.

Wenn Christo am Iseosee schwimmende Stege von A nach B und nach C legt, so ist dies ein artifizieller Akt, der die natürlichen Orte und ihr Verhältnis zueinander hervorhebt. Die Beziehung vom Festland zur großen und zur kleinen Insel als auch ihre Distanz zueinander werden physisch unmittelbar spürbar im Schwanken der Pontons. Ihr sanftes Schaukeln auf den Wellen bei Wind und durch vorbeifahrende Boote bewirkt, dass man jeden Schritt bewusster setzt. Man geht auf dem Wasser.

Die sinnliche Wahrnehmung macht Erklärungen durch Kunsttheoretiker entbehrlich, wenngleich es natürlich erhellend ist, Zusammenhänge zwischen Christos Anfängen als Künstler des Verhüllens in den 1960er-Jahren und seiner Herkunft herzustellen. Gut möglich, dass er, als Bulgare aus einem Land kommend, in dem in der sozialistischen Nachkriegsära keine andere Dimension der Kunst als die Abbildung des Realen erlaubt war, die Wirklichkeit durch Verhüllen verfremden und zugleich bewusster machen wollte. Vermutlich rührt auch sein Streben nach Unabhängigkeit und autonomer künstlerischer Entscheidung daher und führte den Künstler zum Grundsatz, jedes seiner von langer Hand vorbereiteten und aufwendig umgesetzten Projekte ausschließlich durch den Verkauf seiner Zeichnungen und Collagen zu finanzieren.

Die „Floating Piers“ haben Christo 15 Millionen Euro gekostet. Kritiker meinen dennoch, es sei unseriös, so viel Geld und Energie in ein Projekt fließen zu lassen, das nur 16 Tage als vollendetes Werk besteht. Dass Installationen wie diese zeitlich limitiert sein müssen, um ihre Wirkung zu entfalten, ist klar. Wären sie immer da, so nützte sich der Aspekt der außergewöhnlichen Perspektive und der Irritation des Gewohnten und Normalen ab. Wer nur in ökonomischen Kategorien denkt, wird dieser Begründung für das Vergängliche nicht folgen können. Sucht man jedoch nach Erklärungen für die unfassbar große Anziehungskraft, die die „Floating Piers“ auf Menschen aus allen Teilen der Welt in diesen Tagen ausüben, so kann man sie vielleicht gerade darin finden: im scheinbaren Ungleichgewicht zwischen ökonomischem Aufwand und ökonomischem Effekt. Die wirtschaftliche Gegenüberstellung von Einsatz und Gewinn ist hierbei nicht anwendbar.

In der Warteschlange an der Schiffsanlegestelle in Iseo und auf dem Mäuerchen am Uferweg der Insel sitzend, von dem aus ich zwei Stunden lang die dicht gedrängt vorbeiziehenden Menschen beobachtete, festigte sich meine Vermutung, dass für Alt und Jung auch dies Reiz und Anziehung ausmacht: Christo hat etwas Außergewöhnliches, in jeder Hinsicht Großes geschaffen, das er ohne jegliches kommerzielles Interesse allen zugänglich macht. Ich hörte keine Beschwerden, kein Raunzen, las in den Gesichtern nur fröhliche Erwartung und Freude darüber, dies erleben zu dürfen: das Gehen über das Wasser auf leicht schwankendem Boden, das immer wieder andersfarbige Schimmern des dahliengelben Stoffs, der die Piers und Uferwege verschwenderisch im unregelmäßigen Faltenwurf bedeckt und nachdunkelt, wo das Wasser die abgesenkten Randzonen der Stege umspült (was auf der Schwarz-Weiß-Abbildung hier leider nicht einmal zu erahnen ist). Die „Floating Piers“ sind auf der „Architektur & Design“-Seite dennoch richtig platziert, denn es gilt in der Architektur wie in der Kunst: Das Außergewöhnliche schärft unsere Wahrnehmung der Welt. Es stillt zudem das Bedürfnis, als Individuum Teil von etwas Besonderem zu werden.

Selbst wenn es schön wäre, noch einmal im milden Licht eines Nachmittags im Spätherbst auf den „Floating Piers“ lustwandeln zu können, dann auch vielleicht mit weniger Gleichgesinnten und der Chance zu innerer Einkehr: Es ist nach dem 3. Juli schlicht nicht mehr möglich. Dem flüchtigen Augenblick muss man die nachhaltige Impression und Erinnerung an das Außergewöhnliche, das außergewöhnlich Schöne entgegensetzen.

Spectrum, Sa., 2016.07.02

16. April 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Die neue Vitalität

Nachhaltiges Handeln, wie heute von uns verlangt, wird an Zweckbauten der Nachkriegsmoderne demonstriert. Das ehemalige Chemie-Institut der TU Graz: Beispiel für eine differenzierte Sicht auf Denkmalschutz.

Nachhaltiges Handeln, wie heute von uns verlangt, wird an Zweckbauten der Nachkriegsmoderne demonstriert. Das ehemalige Chemie-Institut der TU Graz: Beispiel für eine differenzierte Sicht auf Denkmalschutz.

Ein repräsentatives Bauwerk der in den 1960er-Jahren entstandenen Erweiterungsbauten der Technischen Universität in Graz wirdfunktionslos, da seit 2010 ein neu errichtetes Ersatzgebäude alle labortechnischen Standards bietet, die wissenschaftliches Arbeiten auf hohem Niveau einfordert. Das nun leer stehende Gebäude stammt von Professor Karl Raimund Lorenz, dem Graz markante Bauwerke wie das Elisabethhochhaus verdankt. Nach Friedrich Achleitner zeigen der enge, in die steinverkleidete Wandeingebundene Raster des Chemischen Instituts und die Behandlung von Sockel- und Dachgeschoß „jenen Verschnitt von Traditionalismus und Modernismus, der für die repräsentative Architektur der Fünfzigerjahre so charakteristisch war“.

Als Denkmal im Eigentum des Bundes gilt das öffentliche Interesse an seiner Erhaltung als gegeben und steht der markante Bau in einem Ensemble von unterschiedlichsten Institutsbauten der TU Graz unter Schutz, solange ihm nicht über einen Antrag auf Feststellung per Bescheid Gegenteiliges zugestanden wird. Dies geschieht nicht. Offensichtlich stehen architekturhistorischer Wert und der Standortvorteil auch für die Bundesimmobiliengesellschaft außer Zweifel, denn schon 2008 wurde ein Architektenwettbewerb zur Adaptierung des Gebäudes in ein Institut für Biomedizinische Technik ausgeschrieben. Für dieses junge Studium, in dem Methoden der medizinischen Bildgebung erforscht werden, werden keine Labors gebraucht, wohl aber Büros, Seminarräume und Hörsäle wie jener, der im Lorenz-Bau, angedockt als eigener Baukörper an der Geländekante, vorhanden ist. Die Umwandlung erfolgt seit 2014 nach den Plänen der Arbeitsgemeinschaft der BürosIngenos und Gangoly &Kristiner. Die Herausforderungen für den Umbau sind nicht anders als bei den meisten Bauten der Nachkriegsmoderne. Entstanden ganz imGeist des unerwartet raschen Wirtschaftswachstums und geformt durch ein schier unbegrenztes Fortschrittsdenken, das sich auch in der Wahl von wenig erprobten, damals neuen Fassadenmaterialien wie Sichtbeton, Zement- oder Polyester-Faserplatten zeigte, wurden Rathäuser, Schulen, Verwaltungsbauten errichtet.

Die Fassade am Gegenstand der heutigen Betrachtung – ein Raster aus schlanken Sichtbetonstützen – war solide und überstand mehr als 50 Jahre unbeschadet. Themen wie die Ökonomie im Umbau und im späteren Betrieb des Gebäudes, eine deutliche Verbesserung der Energiebilanz und die Abwägung von Forderungen nach Funktionalität einerseits und Erhaltung im Sinne des Denkmalschutzes andererseits waren prägend für das Gestaltungskonzept. Interessant ist, wie in steter Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt vorgegangen wurde. Die Fassade musste in ihrer Außenwirkung unangetastet bleiben, zu ihrer thermischen Verbesserung entwickelte man einen innen liegenden Schichtaufbau aus Dämmplatten mit Vormauerung und Lehmputz. Sie beweist, dass es Alternativen gibt zu der angeblich unumgänglichen Maßnahme der energetischen Sanierung von Altbauten, bei der durch eine monströs dicke Verpackung mit Dämmplatten und -putz und den Einbau von neuen Fenstern mit massiven Rahmen die fein gestaltete Gliederung und Proportionalität dieser Bauten verloren geht.

Hier wurden die Fenster sorgfältig saniert und mit einer neu eingefrästen Isolierglasscheibe thermisch aufgerüstet, was auch günstiger gewesen sein soll, als neue Fenster einzubauen. Anderes musste hingegen rigoros weichen. Wo neue Funktionen es notwendig machten, wurden weitgehend Trennwände, Installationen und Einrichtungen entfernt und wurde nur die Tragstruktur belassen. Ein prägendesQualitätsmerkmal des Lorenz'schen Baus wurde jedoch erhalten: die zentrale Eingangshalle, die sich nach oben in ein einladend helles Stiegenhaus erweitert. NeueZugänge zu den Instituten verstärken den Eindruck der räumlichen Großzügigkeit zusätzlich. Dass jeweils am Kopf des Gebäudes Fluchtstiegenhäuser vorhanden waren, kam dem Bestreben nach einer Beschränkung der Eingriffe in die Gebäudehülle auf das Notwendigste zugute. Nichts musste angebaut werden.

Das gilt auch für die neu eingerichtete Mensa im obersten Geschoß. Wo heute mit traumhafter Aussicht auf den Schlossberg die Mittagspause verbracht werden kann, war früher die aufwendige Technik untergebracht; der Rücksprung gegenüber den Regelgeschoßen wurde zur attraktiven Dachterrasse. Eine kleine Hinzufügung erlaubten sich die Architekten mit einem Vordach über der Terrasse für das neue Café im Erdgeschoß, das die Adaptierung des Gebäudes von außen dezent andeutet.

Das bestimmende Kriterium des Erhalts solch guter Zweckbauten der Nachkriegsmoderne ist nicht die Einzigartigkeit des Objekts, wenngleich Fortschrittsglaube und Prosperität darin zeittypisch ausgedrückt sind. Eher ist ihre Erhaltungswürdigkeit darin zu sehen, dass sie unverzichtbar eingebettet sind in ein städtisches Ensemble. Der größte Vorzug dieser Gebäude aber liegt in der strukturellen Ordnung und der Großzügigkeit ihrer Raumkonzepte – ein enormes Potenzial für eine Transformation in etwas Neues, anders Funktionierendes. Das spielt unserer Zeit in die Hände, in der wir mehr denn je gefordert sind, Mittel ressourcenschonend und ökonomisch einzusetzen. Ann Lacaton und Pierre Vassal wurden bekannt dafür, dass ihre architektonischen Interventionen immer diesen Prinzipien folgen. Wenn sie in Bordeaux in drei Hochhäusern einer riesigen Wohnsiedlung aus den 1960er-Jahren mehr als 500 Apartments aus schlecht erhaltenem Mittelmaß in moderne, lichtdurchflutete Heime mit Wintergarten verwandeln, so kommt noch ein anderer Aspekt dazu: Die in diesen Quartieren alt gewordenen Menschen können in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.

Erhaltung statt Abriss setzt einen neuen Blick auf die Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre voraus. Was bis vor Kurzem als hässlich, monströs und inhuman empfunden wurde, wird heute als der humanere Gesellschaftsentwurf gesehen. Dazu zähle ich auch Siedlungsstrukturen und die Gestaltungvon Gemeinschafts- und Freiräumen, die es zu erhalten gilt. Das braucht eine Sichtweise und Bewertung von Gebäudeschutz, wie sie bei der Umwandlung des Chemiegebäudes in das Institut für Biomedizinische Technik angewandt wurden. Weder die architekturhistorische Bedeutung noch die Forderung nach Erhaltung des Originals steht im Vordergrund, sondern das Potenzial für eine maßvolle Veränderung, die sich aus den Qualitäten des Bestehenden entwickelt und dabeiseine Eigenheiten schätzt und schützt.

Spectrum, Sa., 2016.04.16

05. März 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Heiter und leicht

Volker Gienckes „Great Amber“: ein Haus für Proben und Aufführungen des städtischen Symphonieorchesters, das zudem durch Musikschüler, Gastspiele, Konferenzen und sogar Hochzeiten belebt wird. Zu Besuch nach der ersten und wichtigsten Bauphase des Kulturdistrikts in Liepaja, Lettland.

Volker Gienckes „Great Amber“: ein Haus für Proben und Aufführungen des städtischen Symphonieorchesters, das zudem durch Musikschüler, Gastspiele, Konferenzen und sogar Hochzeiten belebt wird. Zu Besuch nach der ersten und wichtigsten Bauphase des Kulturdistrikts in Liepaja, Lettland.

Lässt man sich darauf ein, zu einem Zeitpunkt über die räumlichen Qualitäten eines Gebäudes zu schreiben, da dieses erst als Entwurf und räumliches Modell existiert (wenn es auch als solches einen großen internationalen Architekturwettbewerb für sich gewinnen konnte), so gebietet nicht vordergründig der Wunsch, als seriöse Fachjournalistin und Kritikerin wahrgenommen zu werden, es sich nach seiner Fertigstellung anzuschauen, sondern sind es Neugier und die Lust, zu sehen, was aus der Planung mit präziser Raumvision entstanden ist.

2004 schrieb ich an dieser Stelle, dass sich an der Konzerthalle in Liepaja, Lettlands drittgrößter Stadt, zeigen wird, ob Leidenschaftlichkeit, Verve und das sprichwörtliche Beharrungsvermögen ihres Architekten, des Grazers Volker Giencke, ausreichend groß sind, um das schier Unmögliche möglich zu machen. Lettland war eben erst in die EU aufgenommen worden, das Land war arm, die große Zeit der Stadt und ihres Hafens vorbei.

Nun ist der „Great Amber“, der großeBernstein, als erste, wichtigste Baustufe eines Kulturdistrikts seit November des letzten Jahres in Betrieb. Das Symphonieorchester von Liepaja, das älteste des Landes, hat endlich ein Haus für Proben und Aufführungen. Musikschüler beleben das Haus am Nachmittag, es gibt Gastspiele, Konferenzen finden statt, und es werden Hochzeiten gefeiert im Saal hoch oben, wo der Zauber der Lichtwirkung durch die orange bis rot changierende Glashülle sich mit dem grandiosen Ausblick über den Hafen, das Meer und die russische Vorstadt paart.

Nähert man sich der Altstadt über die Brücke, erscheint der mächtige, alle Speicher und Wohnbauten seiner Umgebung überragende Baukörper (noch) mit solitärer Dominanz – je nach Lichtverhältnissen und Tageszeiten verschieden in Farbton und Durchlässigkeit der doppelschaligen Fassade. Bei Sonne: ein Strahlen, schwer zuordenbare Reflexionen auf der schräg geneigten äußeren Glashaut mit vier fein abgestimmten, übereinander geklebten Folien in Orange- und Rottönen – ein betörender Gesamteindruck. Bei Tagesgrau: ein ruhiges Warmrot, das als abschließende Hülle wirkt. Nächtens bei Betriebsamkeit: differente Transparenz zwischen beleuchteten und dunklen Ebenen und ein Durchblick zum innen liegenden Volumen, das Funktionen wie den großen und denkleinen Saal, eine Experimentierbühne, die Fluchttreppen und Nebenräume über- und nebeneinander schichtet.

Ein kompakter, aus Stahlbeton gebauter und nach außen weitgehend verschlossener Körper – organartig, aber präzise skulptural geformt – wird umgeben von einer transluzenten schiefzylindrischen Hülle, die atemberaubende Zwischenräume schafft. Diese Lufträume über mehrere Geschoße sind Foyers. Von den Treppen, Brücken und Galerien aus, die das Parkett, die Ränge und Seitenbalkone des großen Saals erschließen, ist das Hauptfoyer von wechselnden Blickpunkten aus immer wieder neu und überraschend zu entdecken. Diese Grundidee vom Raumerlebnis im Durch- und Umwandern von fließend geformten Räumen, von unten nach oben, von innen nach außen, von hell zu dunkel, die Giencke in den Grazer Gewächshäusern als „promenade rural“ umgesetzt hat, gelang dem Architekten und seiner Projektleiterin Petra Friedl ohne Abstriche auch in Liepaja. Dabei musste der Wettbewerbsentwurf in der Finanzkrise deutlich verkleinert und mit der Musikschule eine neue, raumfüllende Funktion untergebracht werden. Einzig die Vorstellung, von den Foyers aus auch den Himmel betrachten zu können, konnte nicht realisiert werden. Noch nicht, denn vom Auftraggeber gab es das Versprechen, als folgerichtige Konsequenz des Konzepts später den Hüllkörper auch auf dem Dach hin bis zum kompakten Kern zu verglasen.

„Gienckes Raummodell ist fließend, aber reflexiv, diszipliniert, aber ungezwungen“, schrieb der englische Literat und Theoretiker Roger Connah einst in einem Essay über Haltung und Arbeit des Architekten. Dem sind Attribute wie Heiterkeit und Leichtigkeit hinzuzufügen. Beides kann man auch in der Civita Nova, dem großen offenen Raum auf Straßenniveau, empfinden, der nach Gienckes Intention von den Stadtbewohnern wie jeder öffentliche Raum genützt werden kann. Heitere Leichtigkeit schafft die schräg gestellte Fassade, eine frei stehende, geknickte Wand und eine gekurvte Rückwand, dann der Blick nach oben über eine große Deckenöffnung, Blickkontakte – und das, obwohl dieser Raum die Basis für alles bildet, was sich darüber auftürmt. Und die Lichtstimmung durchdas orangerote Glas? Das Zauberhafte zu beschreiben ist schwierig. An jenen Tagen zwischen Nebel und spärlichem Sonnenschein schien zuerst alles irreal entrückt vom Geschehen auf den Straßen, später das Gemüt aufhellend und fröhlich machend.

Ähnlich heiter wirkte der große Saal auf mich. Seine Schwere sieht man ihm nicht an, eher noch die enorme Höhe von etwa 20 Metern für die Tribüne im Parkett und zwei Ränge darüber, die sich als Balkone auch über die geknickten Seitenwände ziehen. Hier versagt die Beschreibung ebenso, denn die Raumform, in produktiver Zusammenarbeit mit dem Akustiker optimiert, ist von großer Komplexität. Ein riesiger variabler Schallreflektor unter der Decke und akustisch wirksame Wandelemente tragen dazu bei, auf jedem Platz ein besonderes Hörerlebnis zu haben. Wer erfährt, dass das gesamte, in den ersten Reihen sanft in Stufen ansteigende Parkett mit ausgeklügelter Bühnentechnik auf die Höhe der Bühnenfläche gehoben werden kann und damit als Tanzpodium genauso wie für Tagungen oder Präsentationen Verwendung findet, staunt nur kurz. Waagner-Biro, heute weltweit Marktführer in dieser Sparte, zeichnet für die Technik unter und über der Bühne, die den Saal zum Mehrzwecksaal macht, verantwortlich. Kein Zweifel – Giencke glückte, was er anstrebte: einen vielgestaltigen, dabei präzise plastisch geformten Raum zu schaffen, der – überwiegend in Weiß mit sparsamer Farbigkeit – heiter und einladend und dabei frei von jedem Pathos wirkt.

Hans Scharoun, den vielleicht wichtigsten Vertreter einer organischen Architektur, und seine Berliner Philharmonie nennt der Architekt als Vorbild. Dass die Gabe und das Talent, ein Gebäude aus dem Wesen der Bauaufgabe heraus zu entwickeln, auch ihm gegeben ist, hat er uns schon in Aigen im Ennstal mit einer wundervollen Kirche und im Stift Seckau mit dem bezaubernden Choralraum bei der Landesausstellung bewiesen –und es zeigt sich nun erneut am „Great Amber“ in Liepaja

Spectrum, Sa., 2016.03.05

02. Januar 2016Karin Tschavgova
Spectrum

Stufen der Intimität

Architektur und Atmosphäre – was man sich untrennbar vereint wünscht, scheint in der Realität ein Glücksfall. Was aber schafft eigentlich Atmosphäre? Eine Nachforschung.

Architektur und Atmosphäre – was man sich untrennbar vereint wünscht, scheint in der Realität ein Glücksfall. Was aber schafft eigentlich Atmosphäre? Eine Nachforschung.

Zugegeben, es gäbe Themen mit größerer Aktualität und Brisanz, die am Anfang dieses Jahres die Architekturseite füllen könnten. Allenfalls spricht für die Wahl, über Atmosphäre in der Architektur zu schreiben, ihre zeitlos große Bedeutung, lohnend, immer wieder von Neuem ergründet und überdacht zu werden – ganz so wie die guten Vorsätze zum Jahresbeginn.

Spricht man das Thema an, ganz gleich, ob im Freundeskreis, unter Architekten oder mit Studierenden, und fragt, was unter Atmosphäre oder als atmosphärisch verstanden wird, so kommen meist Antworten aus dem Bauch heraus. Gefühl wird ins Spiel gebracht, argumentiert wird mit Emotionen, mit einem Berührt- und Bewegtsein, das hervorgerufen wird (oder einen überkommt) in atmosphärisch dichten Räumen. Manch einer behilft sich mit der Benennung von realen Beispielen solch atmosphärisch aufgeladener Räume, in der Hoffnung, dass die anderen diese Orte auch kennen, ihre Wirkkraft in ähnlicher Weise erlebt haben und verstehen, was man selbst unter Atmosphäre versteht.

Denn das ist auch erstaunlich: Ein Raum mit Atmosphäre wird häufig positiv assoziiert und mit Attributen wie Schönheit, Harmonie und sogar mit dem Erhabenen gleichgesetzt, obwohl der Begriff an sich gänzlich wertfrei ist. Es gibt auch sie: atmosphärische Kälte, Unbeseeltheit oder öde Langeweile. Es scheint schwierig, architektonische Atmosphären, die einen emotional anrühren, präzise mit Worten zu fassen, und schier unmöglich, ihre Genese analytisch nachzuvollziehen und bis ins Letzte zu erkennen, was sie ausmacht und uns im besten Fall verzaubert. In seinem 2006 erschienenen Buch „Architektur und Atmosphäre“ kommt der deutsche Philosoph Gernot Böhme nicht darum herum, etwas unscharf Atmosphären als „gestimmte Räume“ zu definieren, in die „man sich hineinbegibt und ihren Charakter an der Weise erfährt, wie sie unsere Befindlichkeit modifizieren oder uns zumindest anmuten“.

Als Großmeister des Atmosphärischen habe ich Peter Zumthor tituliert, lange bevor der Schweizer Architekt 2013 mit dem „Nike-Preis für Atmosphäre“ des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet wurde – für das von ihm gestaltete Diözesanmuseum Kolumba in Köln (siehe „Spectrum“, 23. November 2007). Auch seine Annäherung an das Thema ist hoch persönlich, wie er im Band „Atmosphären“ (Birkhäuser, 2006) ausführt. Seine Antworten bezeichnet er als persönliche Empfindlichkeiten. Er schreibt von „Stimmigkeit, die auch mehr ein Gefühl ist“, und empfindet es als tröstlich, wenn er aus dem Zitat eines russischen Musikwissenschaftlers über die musikalische Grammatik bei Igor Strawinsky ableiten kann, dass es auch eine handwerkliche Seite gibt in der Aufgabe, (architektonische) Atmosphären zu erzeugen. „Es muss Verfahren, Interessen, Instrumente und Werkzeuge geben in meiner Arbeit“, notiert er auf seiner Suche. Antworten findet er in Zuschreibungen wie „Zusammenklang der Materialien“, „Spannung zwischen innen und außen“ und „Stufen der Intimität“.

Wenn Atmosphäre also nicht etwas glückhaft Entstandenes ist, etwas, das man gar nicht rational planen kann, so müsste man im Umkehrschluss, kennt man die richtigen Ingredienzien, auch relativ einfach atmosphärisch aufgeladene Räume schaffen können. Aber solche Räume, die unsere emotionale Wahrnehmung im Bruchteil von Sekunden ansprechen, weil sie etwas ausstrahlen, das uns fern von jeder analytischen Ursachenforschung berührt und all unsere Aufmerksamkeit fordert, sind seltener, als ich es mir wünschen würde. Unddoch hat der Architekt objektive Hilfsmittel zur Verfügung, um Atmosphären dieser Art zu erzeugen. Sie zu kennen ist Voraussetzung; sie im rechten Maß und im richtigen Verhältnis für einen jeweils spezifischen Ort zusammenzufügen ist Kunst. Schon die Definition der Werkzeuge bedeutet, sich auf glattes Parkett zu begeben.

Hier ein Versuch, dem die Behauptung zugrunde liegt, dass Atmosphäre aus dem In-Szene-Setzen einzelner Elemente entsteht. Dinghafte und auch nicht gegenständliche Mittel werden in einen kompositorischen Zusammenhang gestellt. Inszenatorische Wirkung entsteht aus der im Entwurf gefundenen Raumform oder Gestalt, die geprägt ist von Geometrie und Proportion, einst Ebenmaß genannt. Dann durch Raumfolgen, die Abwechslung und Überraschung in sich bergen. Wichtig scheint mir die Materialität oder Stofflichkeit von Räumen – was für Innenräume wie für Stadträume gleichermaßen gilt. Maßgebend ist auch hier nicht der einzelne Werkstoff, sondern sind die Gegenüberstellung und das harmonische Zusammenspiel der gewählten Materialien – ihre Textur. Zu den nicht stofflichen Erzeugenden zählen Licht und Schatten, Farben und Töne. Was hier prosaisch Licht oder Lichtführung genannt wird, kann im besten Fall in seiner Wirkung beglückend sein. Immer wieder tauchen vor meinem Auge Le Corbusiers Spiel mit dem in den Sakralraum der Kirche von Ronchamp einfallenden Licht auf und die daraus entstehende heiter-festliche Atmosphäre.

Töne oder bestimmte wiederkehrendeGeräusche formen bei Zumthor den spezifischen Klang eines Raumes. Hier greift er auf Erinnerungen an Räume der Kindheit zurück. Auch Zeichen und Symbole können eine Atmosphäre prägen, wenn sie kulturell konnotiert sind und Assoziationen hervorrufen – ebenso Materialien, die dadurch Symbolkraft erhalten. Denken wir an die Verarbeitung und den Einsatz von Holz im alpinen Bauen, das von den meisten Menschen als stimmig empfunden und gleichgesetzt wird mit Gemütlichkeit. Selbst Loos hat, das Ornament als überflüssig verdammend, Marmor mit kraftvoller Zeichnung und stark gemasertes Wurzelfurnier eingesetzt, um sinnliche Eleganz auszudrücken.

Durch individuelle Inbesitznahme entsteht Atmosphäre, nachdem die Arbeit des Architekten abgeschlossen ist. Zumthor nennt dies „die Dinge um mich herum“. Die Planer von Räumen, Häusern und ihrer Umgebung können dafür nur die Basis schaffen, die Aneignung erlaubt, ohne die Qualität ihrer Arbeit zu überdecken. Natur ist eines der sich zeitlich verändernden Elemente, die durch ihre inszenatorische Wirkung eine Atmosphäre stark prägen können. Es beginnt damit, ein Gebäude gut in seine Umgebung einzubetten, das vorhandene und das hinzugefügte Grün zum gestaltgebenden Element zu machen, das unmittelbar erlebt werden kann. Alles weitere formt die Zeit.

Einen verbindlichen Leitfaden für die Erzeugung von Atmosphären, die in allen Menschen ein Wohlgefühl hervorrufen, gibt es nicht, weil Menschen unterschiedlich empfinden. Ihre Emotionen sind geprägt von ihrer Kultur und Herkunft, von ihren Erfahrungen und Erinnerungen. Der Versuch, Atmosphären zu erzeugen, bleibt trotz objektiver Werkzeuge ein subjektiver Akt. Voraussetzungen zum Gelingen sind vermutlich nicht nur kreatives Talent, sondern auch emotionale Einfühlungskraft und Lebenserfahrung.

Spectrum, Sa., 2016.01.02

30. Oktober 2015Karin Tschavgova
Spectrum

Auf dem Weg zum Klassiker

Mit einfachen, feinen Bauten im kleinen Vorarlberg heimst der Architekt Bernardo Bader Preise ein, die ihm internationale Anerkennung bringen. Zuletzt die Auszeichnung „Haus des Jahres 2015“ für ein Objekt namens „Behauste Scheune“. Brief an einen Vielgeehrten.

Mit einfachen, feinen Bauten im kleinen Vorarlberg heimst der Architekt Bernardo Bader Preise ein, die ihm internationale Anerkennung bringen. Zuletzt die Auszeichnung „Haus des Jahres 2015“ für ein Objekt namens „Behauste Scheune“. Brief an einen Vielgeehrten.

Geschätzter Bernardo Bader, Ihre Arbeit als Architekt stößt auf mein ungebrochenes Interesse, seit ich in einer für den Anlass erstaunlich kleinen Zeitungsnotiz las, dass einem gewissen Bernardo Bader den „Aga Khan Award for Architecture“ zugesprochen wurde, und zwar für den Entwurf des islamischen Friedhofs in Altach. Das war 2013, und ich muss gestehen, dass ich bis dahin weder etwas gehört hatte von einem Architekten namens Bernardo Bader noch von der Gestaltung eines Friedhofs in Vorarlberg, die für einen so hochrangigen Preis der islamischen Welt – vergleichbar mit dem amerikanischen Pritzker-Preis – in Betracht gekommen wäre. Seitdem weiß ich, dass Sie aus Vorarlberg kommen, dass Sie in Innsbruck Architektur studierten, dass Ihre Lehr- und Wanderjahre Sie auch nach Paris ins Büro von Dietmar Feichtinger geführt haben und dass Sie ein eigenes Büro in Dornbirn leiten.

Ihr Œuvre, Ergebnis der Arbeit von nicht viel mehr als einem Jahrzehnt, erstaunt sowohl in seinem Umfang wie auch in seiner durchgängigen Qualität, soweit Bildmaterial diese wiedergeben kann, und die Anzahl renommierter nationaler und internationaler Preise, die Sie für Ihre Einfamilienhäuser, Kindergärten, Schulen und eben auch Friedhofsgestaltungen bis jetzt erhalten haben, ist beeindruckend.

Nun wurde Ihr Wohnhaus für eine junge Familie, das Sie „Behauste Scheune“ nennen, auch zum „Haus des Jahres 2015“ gekürt – eine Auszeichnung, die vom Callwey Verlag in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Architekturmuseum zum fünften Mal vergeben wurde und, ja, die zum ersten Mal nach Österreich ging.

Anlässlich einer kurzen Fachreise zu Holzbauten in Vorarlberg wollte ich nun Ihre Arbeit an Ort und Stelle besser kennenlernen und Ihr jüngst ausgezeichnetes Werk hier, auf dieser wöchentlich der Baukultur gewidmeten Seite, präsentieren. Meine Anfrage in Ihrem Büro zur Besichtigung des Wohnhauses wurde mit einer Begründung abgewiesen, die nachvollziehbar ist: Die Bewohner seien vor Kurzem Eltern geworden und bräuchten ihre Privatsphäre. Doch was tun, wenn man als Architekturkritikerin aus Prinzip nicht über Bauten schreibt, die man nicht eingehend besichtigen konnte? Ihr Bürohatte mich mit umfangreichem Bild- und Textmaterial versorgt, und auf unserem Reiseplan stand die Besichtigung von drei anderen, von Ihnen geplanten Bauten.

Doch unumgänglich für eine fundierte Auseinandersetzung schien mir die Möglichkeit, Ihnen gezielt Fragen über die Motive und Umstände Ihrer Arbeit stellen zu können. Ich wollte Hintergründe erfahren, um dieses preisgekrönte Haus in einen Kontext zu betten, um seine Qualität zu verstehen und beurteilen zu können. Die Veröffentlichungen zur Preisvergabe, die mir von Ihrem Büro überlassen wurden, schienen mir allesamt Auszüge aus einer Presseaussendung zu sein. Die Wiederholung des immer Gleichen wollte ich keinesfalls, unmöglich aber auch, von Ihnen einen Gesprächstermin oder auch nur ein Telefoninterview zu bekommen.

Jenen, die mit dem Brustton der Überzeugung behaupten, dass jedes Gebäude innerhalb zeitlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Diskurse einem Qualitätsurteil standhalten muss, ohne dass man konkrete Anforderungen an Bauaufgabe und Bau kennt und vom Bauprozess und seinen Widrigkeiten Kenntnis hat, kann ich nur bedingt zustimmen. Es ist erhellender und spannender, Geschichten um die Genese eines Hauses zu erfahren und es dann unter unterschiedlichsten Aspekten zu betrachten.

Nun also doch der Versuch, die Qualität der „Behausten Scheune“ in Doren fassen zu können: Wir sehen ein breit und satt auf eine Wiese gesetztes Bauvolumen mit wenigen Öffnungen, die in ihrer Höhe und Proportion wohl aufeinander abgestimmt sind. Äußerste Reduktion in der Gestaltung – kein Dachvorsprung, keinerlei Zierrat – lässt auf ein Gebäude mit landwirtschaftlichem Nutzen schließen. Aber es ist, wie vorangestellt, ein Wohnhaus für eine noch kleine Familie. Hat man die Möglichkeit, eine Serie von Bildern anzuschauen, die auch die beiden vom Betrachter abgewandten Seiten des Hauses und Innenräume zeigen, so kann man erkennen, dass die vom Dorf abgewandte Seite, mit Blick ins freie Feld, große verglaste Öffnungen zu einer ins Volumen eingeschnittenen gedeckten Terrasse hat. Kein Vorsprung, keine Nebenbauten, etwa für eine Garage. Diese ist ein integrierter Teil des Erdgeschoßes, in dem zurzeit gekocht, gewohnt und geschlafen wird.

Hätte ich die Möglichkeit gehabt, Sie als Architekt zu befragen, die Frage lautete: War die Entscheidung, die Garage ins Haus zu integrieren, eine formale, um den Baukörper kompakt und stringent zu formen? Ihre mögliche Antwort finde ich in einer Beschreibung, die Sie selbst unter „Sehnsucht nach poetischer Normalität“ zu diesem Haus verfassten. Es schien Ihnen wichtig, sich der sparsamen und funktionellen Tugenden des traditionellen Bregenzerwälder Hauses zu bedienen. Das alte Bauernhaus in familiärem Besitz, an dessen Stelle Sie das neue setzten, vereinte Wohnen und landwirtschaftliche Funktionen unter einem Dach.

Sie schreiben auch, dass ein mit dem Geist des alten Hauses und dem Ort verwachsener Bau das erklärte Ziel war. Damit und nicht nur mit geringeren Kosten ist zu erklären, dass das Holz im eigenen Wald ausgesucht und beim „richtigen“ Mond geschlägert, gesägt und verbaut wurde. Dass der Holzboden, der überall im Haus verlegt ist, aus den Balken und Dielen des abgetragenen Hauses gesägt wurde.

Jener aus der früheren bäuerlichen Lebensweise und Bautradition kommenden Einstellung zu Einfachheit, Zurückhaltung und Angemessenheit ist wohl auch der Umstand geschuldet, dass es in diesem Haus zwischen dem jetzt bewohnten Erdgeschoß und dem später noch auszubauenden Dachraum keine visuelle Verbindung gibt. Unten ist unten, und oben ist davon ganz getrennt, verbunden nur durch eine schmale, einläufige Treppe zwischen Wänden. Befragen kann ich Sie dazu nicht, aber ich glaube zu erkennen, dass auch dies ganz auf die Bedürfnisse der Bauherren zugeschnitten ist.

Selbstverwirklichung als Architekt ist Ihre Sache nicht. Was Sie vorgeben und offensichtlich auch von Ihren Bauherren verlangen, ist, einen Weg mit Ihnen zu gehen, der zu einer Klarheit und Modernität führt, die sich zwar an Traditionen orientiert, diese Grundgedanken aber mit heutigen Materialien wie Sichtbeton und heutigen Mitteln der Bearbeitung transformiert. Was daraus entsteht und an diesem einfachen Haus gut ablesbar ist, drückt eine überraschende Dualität aus: Kritischer Regionalismus in Holz paart sich mit Innenräumen, die moderner nicht sein könnten. Diesen Eindruck hautnah zu erleben, blieb mir vorenthalten. Mit Gruß auf ein Später, wenn Jahre ins Land gezogen sind und Ihre Häuser Klassiker geworden sind!

Spectrum, Fr., 2015.10.30

15. August 2015Karin Tschavgova
Spectrum

Reden wider die Wand?

Für die einen ist sie Schutz und Verbesserung der Lebensqualität, für andere ein Ärgernis, das die freie Sicht einschränkt. Kaum ein anderes Bauwerk wird so unterschiedlich aufgenommen wie die Lärmschutzwand.

Für die einen ist sie Schutz und Verbesserung der Lebensqualität, für andere ein Ärgernis, das die freie Sicht einschränkt. Kaum ein anderes Bauwerk wird so unterschiedlich aufgenommen wie die Lärmschutzwand.

Die Lärmschutzwand – für die einen ist sie Schutz und eineVerbesserung ihrer Lebensqualität, für die auf der anderen Seite eine ärgerliche Einschränkung der Wahrnehmbarkeit von Landschaft und der Teilhabe am Geschehen jenseits der Wand. Kein anderes Bauwerk wird so divergierend aufgenommen, abhängig davon, auf welcher Seite man steht (oder fährt). So ist sie – im wahrsten Sinne des Wortes – einerseits ein Segen, andererseits ein Ärgernis, das die individuelle Freiheit des Schauens reduziert und das uneingeschränkte Umherschweifen-lassen des Blicks unmöglich macht.

Mauern werden immer gebaut, um das Unerwünschte dauerhaft auszublenden und fernzuhalten. Damit ist die Errichtung von Lärmschutzwänden legitimiert. Die Einschränkung der im Auto oder im Zug an ihr entlang Fahrenden (und Gehenden), die zugegebenermaßen von kurzer Dauer ist, wird als das kleinere Übel gesehen, das hingenommen werden muss.

Nicht ein Hügelzug als natürlicher Horizont von Siedlungsraum und freier Landschaft oder ein Waldsaum bilden die Grenze unseres Blicks, sondern alles verdeckende Aluminiumelemente mit dem überdimensionierten Schriftzug „Laaer Wald“, „Böhmischer Prater“ oder „Alte Donau“ – das der Geschwindigkeit der Autofahrer geschuldete Angebot der Hersteller an ortsgebundener, „individueller“ Gestaltung. Die Bezeichnung steht für das Eigentliche, das nur erleben kann, wer die nächste Ausfahrt nimmt.

Interessante Frage, was für uns Dauermotorisierte heute das Exterritoriale, Fremde ist. Sind es die Autobahnen und Schnellstraßen, die über weite Strecken zum Zwecke von Lärmschutz eingehaust sind und das Land als eine Art Endloswanne oder Halbtunnel durchziehen – oder das, was hinter den Wänden liegt? Als abgesonderte, geradezu auf das Auto süchtig machende Welt hat der österreichische Maler Max Peintner die Autobahn bereits in einem 1984 verfassten Text beschrieben.

Er, der in seinen Zeichnungen früher als jeder andere die Veränderung unserer Wahrnehmung in einer übertechnisierten, mehr und mehr verbauten Umwelt aufmerksam gemacht hat, schreibt: „Bei den neuen Fernverbindungen quer durch die Alpen ist in engen Tälern die Straße völlig vom Gelände abgesetzt auf Betongalerien den Hang entlanggeführt, vier- bis sechsspurig und komplett mit Pannenstreifen. Man ist auf der dem Boden näheren Seite noch immer in Höhe der Baumwipfel und fährt also durch eine Landschaft, die in einem neuen Sinn unberührt ist. Im Autobahntal ist in blanker Bedeutungslosigkeit versunken, was unterhalb des Fahrbahnniveaus liegt. Es gehört zu den Aufgaben der großen Straße, einem jede Anteilnahme an Leben und Tätigkeit der Menschen zu ersparen, durch deren Land man fährt. Ein Gefühl von beschwingter Verantwortungslosigkeit, von Überlegenheit kommt auf, wie im Schnellzug, wenn er ganze Siedlungen wegzaubert, indem er in ihren Bahnhöfen dieselbe Geschwindigkeit hält wie im freien Feld.“

Wie würde Max Peintner – gut 30 Jahre und eine verbaute Länge von 1300 Kilometern an Lärmschutzmaßnahmen später – dieses nun noch umfassender von seiner Umgebung isolierte Terrain sehen? Als Möglichkeitsraum für das hemmungslose Ausleben von Überlegenheit und Verantwortungslosigkeit? Beobachtet man, wie Geschwindigkeitsbeschränkungen von Dauerrasern gnadenlos ignoriert werden, so ist man geneigt, im Tunnelblick einen Mechanismus zur Distanzierung von allem zu sehen. Was schert mich hier die Welt „draußen“?

Mag sein, dass es diesen psychologischen Effekt gibt; häufiger fühlen sich Menschen beim Fahren zwischen Wänden wohl eingeschränkt in ihrem Freiheitsbedürfnis oder stören sich an ihrem Anblick. „Schreiben Sie doch über die Verschandelung von ganzen Landschaften durch Lärmschutzwände“, regte ein Leser an und belegte diese mit Bildern von Lärmschutzvorkehrungen anlässlich der Verlegung der Bahn in Spital am Pyhrn. „Die Trassenführung auf einem teils mit groben Flussbausteinen aufgeschichteten Damm. Darüber, zwischen hohe Steher eingeschoben, Metallelemente in Rot, Grau und Grüntönen – grelle Farben, bunt und zufällig zusammengesetzt. Dahinter am Hang sattes Wiesengrün und Wohnhäuser in traditioneller Bauweise, Holzgiebel, eingewachsen und halb verdeckt von altem Baumbestand. Dieses entsetzliche Bauwerk verschandelt die Gegend für immer“, schreibt Peter K., dabei hätte es sicher schönere Lösungen gegeben – Einfarbigkeit, landschaftsgerechte Materialien oder Verzicht.

Der Verzicht auf einen gebauten Lärmschutz müsste ein gemeinschaftlich entschiedener Akt der Ablehnung sein, um eine besonders schöne Landschaft unversehrt zu erhalten. Sie wird dort kaum zustande kommen, wo die Lärmbelästigung von Anwohnern am Tag mehr als 65 Dezibel beträgt, denn jeder, der in der Nähe einer Lärmquelle wie der Autobahn oder Schnellstraße wohnt, kann einen Lärmschutz beantragen. Der österreichische Autobahnbetreiber fördert diesen und greift auf im Handel erhältliche, geprüfte Systeme zurück, auch wenn ein Gestaltungswettbewerb für ganze Streckenabschnitte durchgeführt wird.

Zweifellos sind Lärmschutzbauten auch eine ästhetische Herausforderung. Die vielen neuen Massivwände aus Holzbeton auf den österreichischen Strecken vermitteln nicht den Eindruck, dass diese befriedigend bewältigt ist, auch wenn die Asfinag sich das Ziel gesetzt hat, „das Erscheinungsbild der heimischen Autobahnen und Schnellstraßen in Bezug auf architektonische Qualität und Einbindung in die Landschaft zu verbessern“ und seit 2010 einen Gestaltungsbeirat hat. Auf der Autofahrt von Köln zur Museumsinsel Hombroich fiel mir einmal ein außergewöhnlich dezenter Lärmschutz mit Glaswänden auf Erdwällen und bewusst davor gestreuten Baumgruppen und Büschen auf. Glas, das auch den Blick weitet – ein zweifacher Gewinn! Vom österreichischen Autobahnbetreiber erfahre ich, dass Glas aufgrund der zwei- bis dreimal so hohen Kosten und der reflektierenden Eigenschaft nur in geringem Ausmaß eingesetzt wird.

Und hier haben wir es wieder, das alles schlagende Argument: Wirkung und Kosten müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen; dazu wird die Asfinag vom Staat verpflichtet. Als Maß für die Zweckmäßigkeit des gebauten Lärmschutzes werden immer noch vorrangig Lärmverminderung und Kosten gelten, und kaum landschaftsverträgliche Lösungen, wenn sie mehr Aufwand und Mehrkosten bedeuten. Genau das sollte sie uns aber wert sein:

Denn wer mit Tunnelblick zwischen Lärmschutzwänden fährt, der kann die Schönheit von Landschaften gar nicht erkennen und wird keinesfalls animiert, das Schild Ausfahrt als Einladung zu sehen, tiefer ins Land vorzudringen und zu verweilen. Das gilt für Fremde wie für Heimische gleichermaßen und sollte selbst Touristiker auf den Plan rufen, die Gestaltung von Lärmschutz, der wirklich im Einklang mit der Landschaft ist, zu fordern und zu fördern.

Spectrum, Sa., 2015.08.15

11. Juli 2015Karin Tschavgova
Spectrum

Worüber man doch schreiben muss

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann schmerzhaft sein – besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich. Über Architekturkritik zwischen Beschönigung und Applaus von der falschen Seite.

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann schmerzhaft sein – besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich. Über Architekturkritik zwischen Beschönigung und Applaus von der falschen Seite.

Friedrich Achleitner, der große Chronist und Archivar der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts, hat in einem der zahlreichen Gespräche anlässlich seines 85. Geburtstags die Architekturkritik als unlustiges Geschäft bezeichnet. Unter anderem hat er auch damit begründet, warum er nach mehr als zehn Jahren der Architekturkritik in der „Presse“, von 1962 bis 1972, die Erkundung und Aufzeichnung österreichischer Bauqualitäten vorzog. Kritik werde verletzend wahrgenommen, und Applaus bekomme man immer von der falschen Seite, etwa von den „Feinden“ desjenigen, dessen Arbeit man kritisch beurteile.

Dass Sachkritik oft auf eine persönliche Ebene herabgestuft wird, mag daran liegen, dass Diskurs und Diskursfähigkeit hierzulande nicht auf hohem Niveau ausgebildet werden. Wir sind nicht geübt darin, Kritik erst einmal als konstruktiven Akt der Auseinandersetzung mit Fakten zu betrachten, und vergessen, dass sein Wortstamm, das altgriechische „krinein“, (unter-)scheiden, trennen, entscheiden heißt und „kritiké téchnē“ die Kunst des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung und der Beurteilung ist.

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann fallweise unangenehm sein – schmerzhaft für jene, deren Bauwerke kritisch im Sinne von nicht positiv gesehen werden, aber auch für diejenigen, die diese Einschätzung (publik) machen. Das gilt besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich, in der man einander kennt und als Architekturkritiker und Architekturkritikerin auch über Gebäude von Freunden oder Kollegen schreiben muss, wenn sie von öffentlichem Interesse sind.

Nun könnte man sich als Architekturkritiker mit dem Argument behelfen, dass man es in der Tageszeitung mit einer Leserschaft zu tun hat, deren Interesse für das zeitgenössische Bauen erst geweckt werden sollte oder deren Begeisterung dafür vertieft werden kann, wenn sie regelmäßig mit interessanten Bauten oder Begebenheiten bekannt gemacht wird. Den Aspekt des Vermittelns in den Vordergrund stellen? Ja, doch. Und kritische Anmerkungen dann weglassen? Die weit verbreitete Distanz und Ablehnung gegenüber dem, was Fachleute als schöne und interessante Bauwerke ansehen, unter Umständen noch verstärken durch eine Betrachtung, die auch das thematisiert, was das fachlich geschulte Auge als misslungen empfindet?

Damit sind wir bei einer weiteren Schwierigkeit. Wir müssen uns eingestehen, dass unser Urteil über Qualität trotz der Gesetzmäßigkeiten und Regelwerke, denen das Bauen unterworfen ist, immer auch subjektive Empfindung bleiben wird, weil wir heute, gottlob, keinen allgemein gültigen Bewertungskanon zur Ästhetik haben.

Kritisch berichtet wird über Kostenüberschreitungen, Baumängel, Kniefälle vor Investoren und andere unsaubere Machenschaften. Seltener jedoch thematisieren wir das Misslingen eines architektonischen Konzepts, eine ungekonnte Ausführung oder ästhetische Zumutung. Was in der Theater-, Film- oder Literaturkritik gang und gäbe ist, wird in den Berichten über Architektur oft vermieden. Verrisse, die einen Diskurs anheizen könnten, finden sich kaum einmal in Fachmagazinen. Offene kritische Auseinandersetzung in der Tagespresse wird schnell als Nestbeschmutzung abgetan und gilt vielen als kontraproduktiv.

Sicher: Was kein Architekturkritiker wollte (Konjunktiv!), ist, dass seine kritische Haltung dazu verwendet wird, einen ganzen Berufsstand zu verunglimpfen. Andererseits halte ich auch nichts vom Schönschreiben durch Auslassungen oder Umschreibungen mit bedeutungsschweren Metaphern. Menschen mit Interesse am zeitgenössischen Baugeschehen lernen durch Teilhabe selbst, Stärken und Schwächen von Bauten zu erkennen. Ihnen sei ein kurzes Schlaglicht auf die Arbeitswoche einer Architekturkritikerin gewidmet, in der alles anders kommt als geplant.

Ein Beitrag für das „Spectrum“ ist zu schreiben. Lange schon als Thema reserviert ist die Erweiterung des Museums Liaunig im Kärntner Neuhaus durch Querkraft Architekten. Sie haben auch das erste Gebäude mit einer markanten, durch den Hügel gelegten Röhre geplant. Mein erster Eindruck des neuen Raums für Sonderausstellungen: eine bis ins Detail sorgfältig gestaltete Erweiterung mit stark eigenständigem Charakter, als dreieckiger Raum eine in sich geschlossene Form und dennoch, funktionell gut gelöst, gleich vom Foyer aus zu betreten. Die Raumfiguration mit dem leicht schräg gestellten Zutritt ungewöhnlich und überraschend, großzügig und unverstellt, was die Wirksamkeit der Objekte verstärkt.

Licht scheint gleichmäßig verteilt von oben einzufallen, auch wenn man die Lichtöffnungen auf den ersten Blick nicht sehen kann, weil ein den Raum beherrschender Trägerrost aus schlanken Stahlbetonrippen ihn dominiert. Er ist der Blickfang, der zum genauen Hinsehen zwingt. Worin liegt seine Systematik? Ist er den konstruktiven Anforderungen geschuldet, oder treiben die Architekten ein Spiel mit der Geometrie des Dreiecks, aus der sie die Verteilung der Oberlichten ableiten? Querkraft hat hier einen spannenden, schönen Raum gestaltet.

Warum dieser Architekturbeitrag dann doch nicht ausschließlich das sehenswerte erweiterte Museum thematisiert? Etwas kam der Architekturkritikerin, die sich auch als Chronistin dem aktuellen Baugeschehen ihrer Heimatstadt Graz verpflichtet fühlt, dazwischen, ein öffentliches Gebäude, das kurz vor seiner Fertigstellung besichtigt werden konnte – das zentrale Werkstätten- und Laborgebäude der Landesberufsschule Graz-St. Peter von Architekt Michael Wallraff.

Wie hier eine durchaus nachvollziehbare Idee der stadträumlichen Aufwertung einer heterogenen Ansammlung an Bestandsbauten durch einen markanten Solitärbau umgesetzt wurde, hat mich nachhaltig geschockt. Das Konzept, noch ablesbar: ein Laborgebäude, hoch und schmal, wird durch eine Dachlandschaft mit einem liegenden, flachen Baukörper verbunden, der Großwerkstätten enthält. Die Verbindung soll sichtbarer und damit sinnfälliger werden durch den Übergang der artifiziellen Landschaft in die Vertikale der Fassade. So weit, so gut.

Aber mit welchem Aufwand – grob im Materialeinsatz und ungekonnt in der Detailausbildung – hier Aufenthaltsqualität und ästhetische Wirkung erzielt werden sollte! Angesichts einer äußerst komplizierten Tragkonstruktion der Fassade, die zwar das Treppenhaus als zentralen Innenraum dominiert, jedoch keinerlei zusätzliche Innenraumqualität schafft, stellt sich mir sofort die Frage nach der Angemessenheit der Mittel, um eine Idee umzusetzen. Ich stelle mir Fragen, die allesamt den Prozess der Entstehung von Architektur betreffen. Und ich stelle mir die Frage, ob man darüber schreiben darf, schreiben muss.

Es ist das Dilemma der Architekturkritik, die hierzulande so unterentwickelt ist, dass jedes kritische Urteil eine Verurteilung zu sein scheint, die ich mir nie anmaßte.

Spectrum, Sa., 2015.07.11

18. April 2015Karin Tschavgova
Spectrum

Narzissen sind nicht alles

Gut gemeint heißt nicht gut gelungen, wieder einmal: das neue Wellnesshotel Vivamayr von Hohensinn Architektur im steirischen Salzkammergut.

Gut gemeint heißt nicht gut gelungen, wieder einmal: das neue Wellnesshotel Vivamayr von Hohensinn Architektur im steirischen Salzkammergut.

Ein erfolgreicher Industrieller, der einst als jüngster österreichischer Finanzminister Bekanntheit erlangte, errichtet in Altaussee ein Gesundheitszentrum als Ganzjahresbetrieb. Auch wenn sich der Tourismus im steirischen Salzkammergut bis heute kaum zweisaisonal etablieren konnte, könnte dieses Projekt erfolgreich werden. Seine Gäste konzentrieren sich auf innere Einkehr, Entschlackung und Ernährungsumstellung. Ungünstige äußere Bedingungen – im Ausseer Becken liegt an 100 bis 120 Tagen im Jahr Schnee – und kurze Zeiten der Sommerfrische sollten Gäste von dieser Form der Erholung nicht abhalten. Investments wie dieses braucht ein Ort, in dem das jährliche Narzissenfest das größte touristische Ereignis darstellt.

Der Investor plant gründlich. Er setzt ein beratendes Projektteam ein, lässt gut aufbereitete Projektunterlagen zusammenstellen und lädt fünf renommierte Architekturbüros ein – zur Erstellung eines Gesamtkonzepts (Giselbrecht, Hohensinn, Jabornegg und Pálffy, Johannes Kaufmann, Wissounig). Übliche Regeln des Architektenwettbewerbs kommen ebenso wenig zum Einsatz wie eine Fachjury. Entscheidungen behält man sich selbst vor. Das erworbene Grundstück in Ufernähe des Sees, unmittelbar an die naturbelassene Uferpromenade angrenzend, enthält Teile, die als allgemeines Wohngebiet und Erholungsgebiet ausgewiesen sind, darf also bebaut werden.

Als Intellektueller und Ortsansässiger weiß der Investor, dass Bauen in einer Kulturlandschaft, die zum UNESCO-Welterbe zählt, an einem Ort, der seine Bedeutung aus dem mehr als 800 Jahre währenden Salzbergbau erlangte und schon im 15. Jahrhundert als Luft- und Salzkurort genannt wurde, nach hoher Sensibilität verlangt. Die Erstellung eines Bebauungsplans und zahlreiche Verordnungen der Gemeinde und der Landesregierung, die den Altausseer See 2002 zum Naturschutzgebiet erklärt hat, waren die rechtliche Grundlage des Projekts. „Die Baukörper sind in Proportion, Situierung und äußerer Gestaltung dem Ortscharakter beziehungsweise dem Landschaftsbild entsprechend auszubilden“ lautet der Kernsatz der Bebauungsrichtlinien der Gemeinde, was für Altaussee hieße, Gebäudehöhen auf zwei Etagen und ein ausgebautes Dachgeschoß zu beschränken. Dementsprechend hielt man in den Ausschreibungsunterlagen fest, dass davon ausgegangen werden könne, bei Ausnutzung der größtmöglichen Bebauungsdichte eine Hotelanlage in drei Geschoßen zu errichten.

Mit diesen Vorgaben und einem detaillierten Raumprogramm ausgestattet, machten sich die fünf Geladenen an die Arbeit. Zum Zeitpunkt der Projektvorstellung scheint die Gemeinde mit an Bord geholt worden zu sein, denn vom Bürgermeister ist der Ausspruch überliefert, dass ein Gebäude mit einer mehrfach geknickten Dachform, wie es das Projekt des Büros Hohensinn aus Graz vorsah, überall, aber sicher nicht in der Gemeinde Altaussee errichtet werden kann. Vier der fünf Teilnehmer unterwarfen sich dem Wunsch nach Überarbeitung ihres Entwurfs, Jabornegg und Pálffy stiegen aus, obwohl ihr Vorschlag die Vorgabe von Dreigeschoßigkeit und Satteldach erfüllt hatte.

Letztendlich wurde das Projekt von Hohensinn Architektur zur Realisierung ausgewählt. Seine Grundfigur war in der Dachform, der Fassadengliederung und der Fassadengestalt so lange abgeändert worden, bis die Vorstellungen aller Beteiligten von einer gelungenen Einfügung in das Orts- und Landschaftsbild befriedigt waren. Über die zu erwartende Höhenbeschränkung hatte sich der Architekt schon in seinem Erstentwurf hinweggesetzt. Wie Gesamtnutzflächen von rund 8.000 Quadratmetern in funktionell zusammenhängende Baukörper bringen, die den Charakter der historischen Bauten im Ort wiedergeben? Der Architekt hatte dreigeschoßige Zimmertrakte – aufgeteilt auf drei Baukörper, die durch eine innen liegende Y-förmige Erschließung zu einem Ganzen verbunden sind, auf einen Sockel gesetzt. Diese horizontale Schichtung unterbrach ein Zwischengeschoß für die medizinischen Einrichtungen des Hotels. Mit seiner verglasten Fassade, die zurückspringt, sollte es eine horizontale Zäsur sein und zu einem Ausdruck von Kleinteiligkeit beitragen. Die Gesamthöhe der fünf Geschoße konnte nicht geleugnet werden, ihre Wirkung sollte durch die gliedernde Gestaltung jedoch gebrochen und gemildert werden. Auch die Teilung der Dächer in kleinere, unterschiedlich flach geneigte Flächen im Erstentwurf war ein Beitrag dazu.

Überraschenderweise stieß sich niemand an der Höhenentwicklung des Projekts. Mag sein, dass man schon bei der Präsentation des Erstentwurfs eingesehen hat, dass sich ein derartiges Volumen nicht in der Typologie eines Ausseer Hauses unterbringen lässt. Dennoch wird zu diesem Zeitpunkt die Forderung nach dem ortstypischen Satteldach in Steilform zur unabänderlichen Macht des Faktischen, wie es der Architekt ausdrückt. Und so macht er seinen Entwurf „ortsverträglich“. Die Chance auf den Auftrag, der in greifbarer Nähe ist, will er nicht verlieren. Kann man ihm das verübeln? Der Kanon an Formen und Materialien, den er entwickelt, orientiert sich nun stärker an traditionellen Elementen.

Geschnitzte Holzsteher werden neu interpretiert und das Bild von ornamentierten Holzbrüstungen in gepixelte Holzschalungen transformiert. In vermeintlicher Analogie zum massiven Sockel aus rosafarbigem ortsüblichem Bruchstein an einem historischen Nachbargebäude, dem Parkcafé, wird das Sockelgeschoß des Neubaus als „Steinsockel“ tituliert, obwohl nur ein Rahmen, der mit Marmorplatten im gleichen Farbton verkleidet ist, um den weitgehend verglasten Sockel gezogen wird. Zitate ruraler Gebäudeausstattung finden sich auch zahlreich an der Innenraumgestaltung, für die das Architekturbüro BWM verantwortlich zeichnet.

Am gebauten Ergebnis lässt sich exemplarisch ablesen, dass sich die Orientierung an regionalen Eigentümlichkeiten nicht auf jede Bauaufgabe übertragen lässt. Ein Projekt in der Größenordnung des Anfang April eröffneten Hotels kann schon wegen der großen zusammenhängenden Flächen, die das Ergebnis funktioneller Vorgaben sind, und aufgrund seines daraus entstehenden Volumens nicht nach Maßstäben und Richtlinien beurteilt werden, die von den Baumassen traditioneller Ein- und Zweifamilienhäuser abgeleitet werden. Vorgaben zur traditionellen lokalen Formensprache führten zu einem Ergebnis, das nun in Höhe und Volumen – subjektiv empfunden – massiver wirkt als der Erstentwurf. Der Architekt hat guten Willen gezeigt und den Begehrlichkeiten der Gemeinde und der Auftraggeber entsprochen. Sein Bestes konnte er nicht geben.

Man muss den Diskurs über die Zukunft des touristischen Bauens nicht über ein Extremvorhaben wie den 381 Meter hohen Turm, der ins Schweizer Bergdorf Vals gesetzt werden soll, führen. Diskurs ist auch anhand von gebauten Beispielen möglich, die anschaulich demonstrieren, dass strikte Bebauungsrichtlinien für landschaftsverträgliches Bauen zur Farce werden, wenn sie maßstabslos angewandt werden. Neue Tourismuskonzeptionen brauchen die Möglichkeit, neue Typologien und Gestaltformen zu entwickeln. Fragen nach der Angemessenheit eines Bauvorhabens dieser Größe an einem besonderen Ort wie dem Altausseer Seeufer müssten am Anfang stehen.

Spectrum, Sa., 2015.04.18

07. März 2015Karin Tschavgova
Spectrum

Natur pur mit Stahl und Beton

Der Osttiroler Architekt Gerhard Mitterberger entwirft seit einem Vierteljahrhundert in der Steiermark seine Bauten. Einfachheit und Robustheit zeigen die Dinge, wie sie sind.

Der Osttiroler Architekt Gerhard Mitterberger entwirft seit einem Vierteljahrhundert in der Steiermark seine Bauten. Einfachheit und Robustheit zeigen die Dinge, wie sie sind.

Weder der Bauboom in fernöstlichen Metropolen noch einzelne medial gehypte Leuchtturmprojekte in Europa können darüber hinwegtäuschen, dass die Tätigkeit der Architekten krisengeschüttelt ist, auch wenn, wer mit offenen Augen durch die Lande fährt und durch unsere Städte geht, den Eindruck gewinnt, dass die Auftragsbücher der Bauwirtschaft prall gefüllt sein müssten. Zweifelsohne wird viel gebaut, und es wird auch mehr denn je über das „Gute Bauen“ geschrieben. Das Marx'sche Theorem, wonach das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt, scheint jedoch in Bezug auf die Forderung nach gutem Bauen und Baukultur nicht anwendbar. Das Bewusstsein für hohe Bauqualität durch Fachleute – die Architekten – scheint, anders als bei Chirurgen oder Haustechnikern, nicht sehr ausgeprägt. Wie sonst ist zu erklären, dass der Anteil an Planungsleistungen von Architekten in Österreich immer noch so gering ist und sie nur bei geschätzten fünf Prozent der gesamten Bauvorhaben hinzugezogen werden?

Vor allem für frisch vereidigte Architekten wird es immer schwieriger, zu Aufträgen zu kommen und an Architekturwettbewerben teilzunehmen. Das liegt sicher nicht am fehlenden Engagement der Jungen – nein, es gibt einfach kaum Verfahren, die offen sind und nicht so hohe Zugangshürden vorgeben, dass Büros ohne große Referenzbauten sie erfüllen könnten. Nachdem Architekten, nicht anders als andere fachlich Qualifizierte, ihr Wissen durch Studium und erforderliche Praxis erworben haben, zeigt sich nicht zuletzt darin mangelndes Vertrauen in das Können dieser Berufsgruppe. Auch deshalb ist es interessant und aufschlussreich, die Berufsbiografie eines Architekten im Zusammenhang mit der Zeit seiner Tätigkeit und ihren soziokulturellen Gegebenheiten zu betrachten. Prägen individuelle Erkenntnisse und Biografien oder gesellschaftliche Diskurse ein Architektenleben stärker, oder wirkt beides gleichermaßen?

Gerhard Mitterberger betreibt seit einem Vierteljahrhundert in Graz als selbstständiger Architekt ein Büro mit zwei bis drei Mitarbeitern. Was er planen und bauen konnte, steht vorwiegend im ländlichen Raum der Steiermark, manches in seiner Heimat Osttirol. Mitterbergers architektonische Sozialisation fand zweifelsohne in den Zeichensälen, den Diskutierstuben der Grazer Technischen Universität in den 1980ern statt. Peter Blundell Jones führt ihn 1998 in der ersten theoretischen Aufarbeitung von „New Graz Architecture“ als Vertreter einer kommenden Generation an, die darauf hinweise, dass die Geschichte der Neuen Grazer Architektur noch nicht zu Ende geschrieben ist. Als Vertreter der Grazer Schule wird man ihn, dessen Bauten durch Einfachheit und werkstattartigen Charakter gekennzeichnet sind, kaum einordnen, selbst wenn man diese Zuschreibung wie der Autor weit fasst und die Heterogenität der Arbeiten dieser Gruppe berücksichtigt.

Gerhard Mitterbergers Zugang zum Bauen ist direkt, er bleibt im thematisch Grundsätzlichen einer Bauaufgabe. Diese Haltung ist vermutlich weniger der Opposition als Reaktion auf die Künstlerattitüden mancher „Väter“ der Grazer Architektur geschuldet als der biographischen Herkunft des Architekten. In der Natur und den Bergen Osttirols aufgewachsen, ist er Bergsteiger, der den Weg zum optimalen Ziel exakt bemisst und alles Überflüssige vermeidet. In seiner Arbeit scheint ihm nicht das Erklimmen höchster Gipfel wichtig zu sein. Das Ergebnis seiner kreativen Anstrengung soll eine einfache, robuste und gut funktionierende Form der Behausung sein, die viele Möglichkeiten ihrer Aneignung und Benutzung offen hält. Dass der „Naturbursch“ Mitterberger dabei mit Vorliebe die Leichtigkeit einer knappen, ephemer wirkenden Hülle anstrebt,die vor Wind und Wetter schützt, dabei den direkten Zugang zur Natur, zu Licht und Sonne hervorhebt, ist aus dieser Sicht verständlich. Dass Auftraggeber im ländlichen Raum seine unkonventionellen Vorstellungen und sein Materialverständnis akzeptieren können, ist hingegen erstaunlich.

Mitterberger verwendet Materialien mit Vorliebe pur – unbehandelt, unveredelt, unverkleidet. Er arbeitet mit konstruktiv wirksamen Massivholzelementen, die als Tafeln mit fertiger Sichtholzoberfläche auf die Baustelle kommen, er verwendet rauen Beton nicht nur als Sockel und baut Stahlträger auch unlackiert ein. Sieht er im Außenbereich Holzschalungen vor, so dürfen diese natürlich verwittern, grau und auch mal fleckig werden. Dennoch ist Holzbau für ihn keine Frage der Ideologie, sondern eine der Erzeugung atmosphärischer Räume, und so hat er auch keinerlei Scheu davor, als Außenhaut seiner Holzkonstruktionen witterungsbeständige, kunststoffbeschichtete Fassadenplatten zu verwenden – neuerdings sogar mit Blattdekor.

Auch wenn der Architekt, wie er selbst betont, die vier Sportanlagen, die er bis jetzt in Landgemeinden realisieren konnte, auf materialtechnischem Low-Level geplant hat („Sportplätze können Würstelbudenatmosphäre haben“), darf man nicht daraus schlussfolgern, dass seine Arbeit grob ist. Ein transparentes Dach aus gewelltem Polycarbonat wirkt zwar lapidar, wird aber fein detailliert und solide montiert, genauso wie Innenwände aus Massivholz, die in abgewinkelter Zusammensetzung fein auf Gehrung geschnitten werden oder die gut durchdachten Möbel aus Dreischichtplatten in Holz, die er für den Kindergarten in Stallhofen bauen lässt, um nicht Spanplatten verwenden zu müssen.

Design, meint der Architekt, habe in seiner Auffassung von Architektur keinen Platz. Das Bedürfnis, ein Funktionsprogramm auf seine wesentlichen Anforderungen hin zu optimieren und dabei zugleich einfach und zweckorientiert zu bleiben, verlange nach intelligenten Konzepten, die keine Behübschung brauchen. Das ist vielleicht das Geheimnis des Erfolges des Architekten: In seinen Bauten zeigt er die Dinge, wie sie sind. Seine Sprache kann offensichtlich verstanden werden. Dass er dabei, wie im Musikheim in Stallhofen, außergewöhnliche Räume schafft, reiht ihn doch als Nachfolger der Grazer Schule ein. Im Gegensatz zu jenen, die heute lossprinten wollen, hatte Jungarchitekt Mitterberger seinerzeit die Gelegenheit, sich über Wettbewerbe zu profilieren und Vertrauensvorschuss zu bekommen. So ist steirische Baukultur entstanden.

Spectrum, Sa., 2015.03.07



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Mitterberger Gerhard

31. Januar 2015Karin Tschavgova
Spectrum

Dicke Mauern für alte Schätze

Die kunsthistorischen Schätze des Kärntner Diözesanmuseums haben in der Propstei Gurk eine neue Heimat gefunden. Winkler + Ruck gelang eine restauratorische Neufassung der gotischen Räume.

Die kunsthistorischen Schätze des Kärntner Diözesanmuseums haben in der Propstei Gurk eine neue Heimat gefunden. Winkler + Ruck gelang eine restauratorische Neufassung der gotischen Räume.

Wovon hier berichtet wird, erreicht uns nicht über den elektronischen Newsroom der architektonischen Superlative, die uns täglich mit den Bildern gebauter und geplanter Landmarks in unglaublich machtvollen Dimensionen überschwemmen – trotz Krise und Sparbudgets. Was hier gewürdigt werden soll, schafft es nicht auf die Titelseiten, selbst wenn es 2014 mit dem Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten ausgezeichnet wurde. Es ist schlicht (und) unspektakulär. Für ein Diözesanmuseum, von dem die Rede sein wird, wäre das Spektakuläre auch gar nicht geeignet.

Seit April 2014 haben die kunsthistorischen Schätze des Kärntner Diözesanmuseums in der im 15. Jahrhundert errichteten Propstei Gurk, die einen Hof weit entfernt vom berühmten romanischen Dom steht, eine neue Heimat – die Schatzkammer Gurk. Die Einrichtung eines Museums in den vorwiegend gotischen Wirtschaftsräumen verlangte nach besonnener Herangehensweise, kreativer Gestaltungsqualität und die Fähigkeit, auf das Vorhandene einzugehen und dabei die Eigenheit und Qualitäten der historisch aufgeladenen Räume zu nützen. Außerdem die Gabe, konzeptionell zu denken und das Ganze im Blickfeld zu behalten. Weiters die Gratwanderung zwischen der Zurücknahme des eigenen Gestaltungsdrangs und der Eigenständigkeit und Wirkkraft eines Entwurfs für eine so „starke“ Hülle. Und schließlich die genaue Kenntnis der eingesetzten Materialien und das Vertrauen auf handwerkliches Können, das im Umfeld des Gurktales noch zu finden ist.

Im Adaptierungs- und Ausstellungskonzept der Klagenfurter Architekten Roland Winkler und Klaudia Ruck sah die Jury des geladenen Wettbewerbs diese Anforderungen bestens bearbeitet. Die Architekten legten einen neuen Eingang in den Museumbereich fest, der Durchgang zum Hof des Gevierts wurde geschlossen und so zum Teil des Ausstellungsrundgangs. Besucher betreten die einzelnen Räume nun über die Arkaden, die dem Hof im Barock hinzugefügt wurden, auf einem Weg, der sie in Schleifen von einem Raum zum nächsten führt. So konnten die Gewölberäume, die immer schon von außen betreten wurden, ohne neue Durchbrüche erhalten bleiben. Was dem Denkmalschutz geschuldet ist, bekam auch eine zweite sinnfällige Bedeutung, die den Besuch der Schatzkammer einzigartig macht: Jede dieser zehn unterschiedlich geformten Raumschalen wird nach dem kurzen Außenweg bewusster wahrgenommen. Das kommt auch den ausgestellten Objekten zugute, die nach unterschiedlichen Kriterien geordnet präsentiert werden.

Die gotischen und barocken Gewölbe über teils mächtigen Säulen wurden restauratorisch behandelt, aber weder für die Präsentation noch für die erforderliche technische Infrastruktur angetastet. Der Unschärfe des historischen Bestands – es scheint keinen einzigen rechten Winkel in Wand und Decke zu geben – begegneten die Architekten mit der Stringenz ihres Ausstellungskonzepts. Das zeigt sich in einem Fußbodenaufbau, der sich in allen Räumen ohne aufwendige Anpassungsarbeiten installieren ließ. Neue Holzböden aus Lärchenbohlen wurden wie massive Flöße in die Lehmböden verankert – mit Abstand zu den Wänden und in denselben Brettmaßen. Zwischenräume wurden mit dunklem Kies gefüllt, alle Kabelstränge in den geschütteten Randzonen versteckt. Konsequent in Ortbeton wurden hingegen die wenigen fixen Adaptierungen wie Übergänge, der Ausgleich von Höhenunterschieden und Geländerbrüstungen ausgeführt. In den Möbeln setzt sich das Konzept der Einschränkung auf wenige hochwertig verarbeitete Materialien fort: Sockel und Vitrinen als Präsentationsflächen, Rahmen und Pulte sind aus den gleichen Lärchenbohlen gefertigt – nur diesmal gestapelt und mit Zinken zusammengesteckt. Was nur auf den ersten Blick einfach, vielleicht etwas massiv wirkt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als subtil und fein ausgearbeitetes Baukastensystem, das vielfache Abwandlung erlaubt, ohne dabei Charakteristik und Wiedererkennungswert zu verlieren.

Bis ins kleinste Detail gut gelöst: Die Lichtführung konnte unsichtbar durchgebohrt werden, in den Vitrinen ist die Beleuchtung blendfrei in den massiven Holzdeckel versenkt, fallweise wurden Pulte zu Schatztruhen mit Glasabdeckung, indem sie präzise ausgehöhlt wurden. Für die Besucher wird beim Abschreiten der Raumfolge der Ausstellung spürbar, wie respektvoll mit Material und Raum umgegangen wurde. Material wurde nicht zu Tode konserviert. Metall wird pur verwendet, Holz darf atmen und altern und bleibt daher auch am Boden ohne Oberflächenbehandlung. Mit sichtbarer Kenntnis einer materialgerechten Verarbeitung wurden die Bohlen nur gegen Verdrehen gesichert.

Ja, hier dürfen Spuren des Gebrauchs entstehen, hier kümmerte man sich nicht in erster Linie um Normen, auch nicht um die trickreiche Abwendung von jeglicher Verantwortung gegenüber dem, was nur mit gemeinsamer Anstrengung entstehen kann (heute leider übliche Praxis). Wer so arbeitet und arbeiten lässt wie in Gurk, der bringt auch dem Besucher Respekt und Vertrauen entgegen, indem er ihm Eigenverantwortung beim sorgsamen Durchgang durch das Museum zutraut. Eine große Anzahl von Exponaten – Statuen, Christuskreuze, Altarflügel, Fastentücher – ist nicht durch Glas gesichert und dennoch so nahe und wirkungsvoll positioniert, wie man sie selbst in Kirchen nicht betrachten kann. Zu vielen bildet der Rand der Flöße eine natürliche Grenze. Nur wer diese nicht respektiert, wird durch eine Stimme aus dem Off, die über Kameras auf einer Sicherheitssäule die Ausstellung überblicken kann, daran erinnert.

Winkler + Ruck – seit zwanzig Jahren in Kärnten tätig – konnte auch einen Seiteneingang zum Dom und den Hof neu gestalten. In der Folge wurden sie ebenfalls mit der Adaptierung eines Gästetrakts betraut. Dass die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten im höchsten Maß geglückt ist, muss nicht extra betont werden. Es ist auf allen Ebenen zu sehen. „All das und mehr“, schreibt Otto Kapfinger im Jurytext zum Bauherrenpreis, „wurde im Vertrauen zu einem gemeinsamen Gang ins Neuland bewältigt und zu einem Resultat gebracht, das hier nicht beschreibbar ist, doch an Ort und Stelle vollkommen stimmig wirkt.“ Dem kann man sich nur anschließen. Gurk ist mindestens eine Reise wert.

Spectrum, Sa., 2015.01.31



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Schatzkammer Gurk

13. Dezember 2014Karin Tschavgova
Spectrum

Große Geste für lange Zeiten

Das Grazer Architektenteam Balloon unterzog das Theater im Palais, eine Ausbildungsstätte der Kunstuniversität in Graz, einer Rundumerneuerung. Ein Gewinn.

Das Grazer Architektenteam Balloon unterzog das Theater im Palais, eine Ausbildungsstätte der Kunstuniversität in Graz, einer Rundumerneuerung. Ein Gewinn.

Wie oft ist es die große Geste, das Extravagante und schrill Auffallende, das der Wanderzirkus der international tätigen Architekturpreisrichter als preiswürdig empfindet und auszeichnet. Auch wenn die Rezeption der ebenso aufwändigen wie kostspieligen Masterpieces einer Zaha Hadid, eines Frank O. Gehry oder von Coop Himmelb(l)au kritischer wird und ihr Bedeutungs-Zenit zumindest in Europa überschritten sein dürfte, so werden doch meist Bauwerke gekürt, die spektakuläre Bilder liefern, die selbstbewusst, aber auch völlig auf sich selbst bezogen, ihre Umgebung überragen. Ein Beispiel, damit meine Rede nicht zu abstrakt bleibt: 2013 wurde das Konzert- und Konferenzzentrum Harpa in Reykjavík von Henning Larsen Architects mit dem renommierten Mies-van-der-Rohe-Preisder Europäischen Union ausgezeichnet – ohne Zweifel ein interessantes Bauwerk, das allerdings das ganze Hafenviertel und den alten Hafen dominant überstrahlt.

Extravaganzen, große Gesten – warum auch nicht? Die Architekturgeschichte zeigt uns, dass es fast ausschließlich außergewöhnliche Bauwerke sind, die Moden und Zeiten überdauert haben und uns Staunen und Ehrfurcht abringen. Was sie uns auch lehrt, ist, dass es ausschließlich Bauten sind, die der geistlichen und weltlichen Macht ihrer Zeit Ausdruck verleihen sollten. Das Harpa in Reykjavík wurde als privates Investmentbegonnen und musste in der Finanzkrise durch ein Konsortium von Stadt und Staat aufgefangen, fertiggestellt und für die Dauer von 35 Jahren finanziert werden. Und die Elbphilharmonie in Hamburg, die als Public-Private-Partnership-Modell entwickelt wird? Vermutlich wird sie nicht nur als Jahrhundertbauwerk, sondern auch als Symbol für Hyperthrophie und Unverhältnismäßigkeit in die Geschichte eingehen.

Auseinandersetzungen, die wegen solcher Beispiele entstehen, sind immer auch ein Aufruf zu maß- und verantwortungsvollem Umgang mit Ressourcen und zeigen eineverstärkte Hinwendung zu Themen wie dem sozialen Bauen, Bauen für die dritte Welt oder auch einem ortsgebundenen Bauen. Österreich ist in diesem Diskurs vorne dabei, weniger mit wissenschaftlichen Abhandlungen als durch eine Vielzahl an konkreten Konzepten und modellhaften Umsetzungen. Herausragende Qualität, das zeigen viele dieser Beispiele, ist keine Frage von Größe oder spektakulärem Auftritt, wohl aber eine nach der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zu ihrer Wirkung.

Zur Angemessenheit der Mittel, die nicht verwechselt werden sollte mit der Forderung nach billigem Bauen, gesellen sich Begriffe wie Einbindung, Einfügung oder Zurücknahme. Für Walter Zschokke, unserem früh verstorbenen Kollegen als Mitgestalter dieser Seite im „Spectrum“, war solch fokussiertes Planen ein „dienendes Integrieren“. Nun wird Einfügung mehr denn je für das Bauen in besonders schöner Landschaft oder für traditionsgebundenes Weiterbauen an gewachsenen Dorfstrukturen gefordert – in städtischen Strukturen hat sich eine offenere, grundsätzlichere Betrachtung durchgesetzt. Historisierende Nachahmung gilt glücklicherweise als überwunden. Sie ist nur dort akzeptiert, wo es um die abstrahierte Nachbildung von zerstörten Bauteilen geht, wie am Naturhistorischen Museum in Berlin, und wird schon dann als unangebracht diskutiert, wenn der Pariser Architekt Edouard François die Außenwirkung einer Hotel-Erweiterung auf den Champs-Élysées mit einer originalgetreu in Beton gegossenen Nachbildung einer Haussmann'schen Fassade erreichen will. Selbst der Denkmalschutz öffnet sich einer Auffassung, die behauptet, dass gut eingefügt in den Organismus der Stadt jedes neue Objekt ist, das hohe Qualitätskriterien an Baukunst erfüllt – weil diese schon das sensible Eingehen auf Bestehendes, die Berücksichtigung des umgebenden Stadtgefüges beinhalten.

Nun gilt es, zur Sache zu kommen und von einem kürzlich abgeschlossenen Bauvorhaben zu berichten, das dieser Kategorie entspricht – und mehr. Es ist der Umbau des Theater im Palais, eine der Ausbildungsstätten der Kunstuniversität KUG in Graz. Die veraltete Ausstattung von Bühnen- und Probenräumen und ein Foyer, das in den 1980ern als erste Ausbaustufe im ehemaligen, zum Stadtpalais des Erzherzog Johann gehörenden Pferdestall eingerichtet wurden, riefen förmlich nach einer Runderneuerung.

Aus dem geladenen Wettbewerbsverfahren ging das Grazer Architektenteam Balloonsiegreich hervor. Ihr Konzept: eine neue Raumschicht als adäquates Gegenüber des Palais Meran über die gesamte Breite des historischen Nebengebäudes und darüber hinaus bis zur die Leonhardstraße begrenzenden Mauer. Die Abstandsfläche dahinter wurde mit Nebenräumen aufgefüllt, so, wie es schon im Erstausbau mit dem schmalen Zwischenraum an der rückseitigen Breitseite des Gebäudes geschehen war. Die alte Umfassungsmauer aus kleinen, grob behauenen Steinen wurde an zwei Seiten zur Fassade, und so war es folgerichtig, eine Dachverkleidung in der Art einer Attika um das neu entstandene Volumen zu spannen. Als Klammer fasst sie die ehemals heterogenen Gebäudeteile zu einem Ganzen. Dort, wo das Band aus goldfarbigem perforiertem Aluminiumblech auf die neue Glasfassade des Foyers trifft, übernimmt es die Funktion des Sonnenschutzes im Foyer. Dieses linear wirksame, Gestalt gebende Element bewirkt im Außenraum des Platzes, der sich zwischen dem Palais und dem Umbau aufspannt, Erstaunliches: Es holt das Mumuth, das von Ben van Berkel als selbstreferenzieller, auf sein Inneres fokussierter Bau seitlich neben den Bestand gestellt wurde, in den gemeinsamen Raum und fügt drei Einzelbauten zu einem harmonischen, städtebaulich wirksamen Platzensemble.

Bemerkenswert, wie souverän die Architekten die an sie gestellte Bauaufgabe gelöst haben: Wiewohl sie sich ordnend zurücknehmen und ihren Umbau in Form, Farbwahl und Materialität auf seine Wirkung im Ganzen abstimmen und einfügen, bleibt das Theater im Palais eigenständig prägnant. Erstaunlich: Selbst das Mumuth, dessen äußere Metallnetzstruktur an trüben Tagen trist und eintönig erscheint, wird stadträumlich aufgewertet. Und ihr größter Verdienst: ein zuvor von der Straße abgewandter, auch intern wenig genutzter Platzraum wurde ganz geöffnet, möbliert und nicht nur den Studierenden, sondern den Passanten und Bewohnern des Viertels zur Inbesitznahme angeboten.

Spectrum, Sa., 2014.12.13



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Theater im Palais an der Kunstuniversität Graz

31. Oktober 2014Karin Tschavgova
Spectrum

Wen soll wohnen glücklich machen?

Wohnangebote in Ballungszentren werden zunehmend durch die Interessen von Anlegervertretern bestimmt und nach deren Vorstellungen geplant. Über die Tendenz, Wohnraum für reine Profitmaximierung zu schaffen: eine Widerrede.

Wohnangebote in Ballungszentren werden zunehmend durch die Interessen von Anlegervertretern bestimmt und nach deren Vorstellungen geplant. Über die Tendenz, Wohnraum für reine Profitmaximierung zu schaffen: eine Widerrede.

Als interessierter Beobachter der Stadtentwicklung und Stadtplanung in Graz könnte man derzeit den Eindruck gewinnen, eine neue Gründerzeit sei angebrochen. Baukräne, Lückenfüllungen, mehrere Wettbewerbe zur Planung neuer großer Quartiere beherrschen das Bild. Tatsächlich ist Graz in den letzten zehn Jahren prozentuell stärker gewachsen als Wien und zählt heute 32.000 Bewohner mehr als 2003. Für die kommenden Jahre prognostiziert man weitere Zuwanderung, sodass Graz um 2030 knapp unter der 300.000er-Marke liegen soll.

Schön für Graz, das sich dafür nun rüstet. Eine reine Innenentwicklung, sagt der Stadtplanungschef, er verweist auf das große Potenzial an möglicher Verdichtung in kernnahen Bereichen der Stadt. Verdichten macht Sinn, meinen Fachleute in großer Einhelligkeit und nicken dem Bestreben der Grazer, als Stadt „smart“ zu werden, und damit im europäischen Trend zu sein, anerkennend zu. Smart ist, wer Stadtentwicklung energieeffizient, ressourcen- und umweltschonend betreibt und Emissionen reduziert. Wer könnte etwas dagegen haben, dass man Stadtquartiere dort entwickelt, wo es schon Anschluss an Straßen, Energieversorgung, Kanal und im besten Fall an den öffentlichen Verkehr gibt?

Verdichtung also heißt das Zauberwort, mit dem Industriebrachen, letzte landwirtschaftliche Flächen und freie Grundstücke bebaut werden sollen. Und die lassen sich finden: im Norden der Stadt jenseits der Mur genauso wie im Südwesten, auch über das riesige Entwicklungsfeld der Reininghausgründe hinaus. So wurden in den letzten beiden Jahren große Grundstücke verkauft, geteilt und wieder angekauft und zahlreiche Wettbewerbe zu ihrer Bebauung durchgeführt. Bei genauerer Betrachtung verlieren aktuelle Projekte der Innenentwicklung und Nachverdichtung durch Bauträger, auch wenn sie das Ergebnis städtebaulicher und baukünstlerischer Wettbewerbe sind, schon auf den ersten Blick den Zauber der Leitsätze, mit denen sie gepriesen werden.

In Eggenberg etwa, wo der Wegfall von stahlverarbeitender Industrie dem Bezirk große brachliegende Flächen bescherte, soll ein Stadtquartier für 3.500 Bewohner und Bewohnerinnen, sollen tausend neue Arbeitsplätze und ein Quartierspark entstehen: eine Smart City mit ehrgeizigen Zielen. Auch Investoren wurden dafür gefunden. Alles bestens also? Leider nein, denn unter Optimierung verstehen Bauträger, die Wohnungen gewinnbringend veräußern, und Anleger, die sie kaufen und mit maximalem Profit vermieten wollen, etwas anderes als jene, denen die Entwicklung von Stadtquartieren am Herzen liegt, in denen Menschen unterschiedlicher sozialer Gruppen und Lebensphasen gut miteinander leben und sich entfalten können. Verdichten heißt für so Kalkulierende, dass Bebauungsdichten, die in räumlichen Leitbildern und Flächenwidmungsplänen immer als Wert von ... bis angegeben werden, maximal ausgeschöpft werden müssen. Neben den schön formulierten Schlagwörtern von Erwartungen an hohe gestalterische Qualität, Einfügung und Freiraumqualität wird Effizienz rasch zur alles bestimmenden Kenngröße.

Und so wird es im Baufeld Süd der Smart City Graz eine ungeheuer dichte Packung an Wohnungen in einer sieben Geschoße hohen Bebauung geben, mit der Notwendigkeit ebenso cleverer wie aufwendiger Schutzmaßnahmen gegen die Lärmemission der unmittelbar vorbeiführenden Bahn. Es wird, wenn das im Wettbewerb vorgelegte Bebauungskonzept realisiert wird, einen Gutteil an Wohnungen geben, die nur einseitig orientiert sind und über innen liegende Gänge erschlossen werden, sodass keine Querbelüftung möglich ist. Und es wird, wenn es nach dem Wunsch des Bauträgers geht, der sich als Vermögensverwaltung tituliert, zu mehr als zwei Dritteln Ein- und Zweizimmerwohnungen (bis 50 Quadratmeter) im Kleinformat geben. Solch Optimierungsdenken wird in einer städtebaulichen Entwicklung an einer Grazer Ausfallsstraße mit enormer Lärmentwicklung weiter auf die Spitze getrieben und damit pervertiert.

An der täglich mit 27.000 Fahrzeugen belasteten Triesterstraße wird in einem als dichtes Kerngebiet gewidmeten Areal ein Quartier entstehen, in dem drei Viertel der Flächen Wohnungsbau sein sollen. Der gewünschte und im Wettbewerb von den siegreichen Architekten beflissen erfüllte Wohnungsschlüssel sieht 50 Prozent an Zweizimmerwohnungen mit einer maximalen Größe von 35 Quadratmetern und den überwiegenden Rest an Dreizimmerwohnungen mit 55 Quadratmetern vor. Das ist noch nicht das Ende einer Zielvorgabe, für die intelligente Wohntypologie, hohe Wohn- und Freiraumqualität und Wohnzufriedenheit Fremdwörter sind. Ein nicht geringer Anteil dieser im Endausbau 800 Wohnungen wird unmittelbar an der lauten Straße liegen, über einem langgezogenen Sockel mit Gewerbeflächen und natürlich auch hier als höchst effizienter Bebauungstyp mit Mittelgang und Wohnungen, die einseitig zur Straße hin orientiert und zu belüften sind.

Sie meinen, dass Bedarf und Nachfrage das Angebot regeln und dass schlechte Wohnungen nicht verkauft werden könnten? Sie irren. Wenn Bauträger werben mit „Ihr Partner für Anlegerwohnungen“, dann rechnen sie damit, dass sie Anleger finden werden. Der Anleger rechnet mit alleinstehendem Mittelstand, kinderlosen Doppelverdienern oder Studenten, die Wohnungen im Mehrfachpack nutzen. Mindestlohnbezieher, die sich so eine Wohnung nicht leisten können, aber dringend eine brauchen, müssen sich um Wohnbeihilfe bemühen, und das Land, und damit wir alle, finanzieren mit. So schließt sich der Kreis zur maximalen Ausschöpfung aller Ressourcen, aber sicher nicht zu einem für alle befriedigenden Ergebnis.

Das Problem beginnt dort, wo Stadtentwicklungskonzepte Wohnen in schlechten Lagen vorsehen. Stimmt, aber Städte können sich, wenn sie sich aus ökologischen und finanziellen Gründen zur städtischen Verdichtung entschlossen haben, nicht leisten, schwierig zu bebauende Grundstücke brachliegen zu lassen. Sind nicht gerade dann jene gefordert, für die maximale Rendite nicht einziges Interesse ist? Städte müssten selbst wieder mehr Wohnungsbau entwickeln und baukünstlerische Wettbewerbe ausschreiben. Solche, die nicht einseitig bestimmt sind von Vorgaben wie maximale Dichteausschöpfung und optimale Verwertung, sondern es Architekten ermöglichen, intelligente Antworten zu schwierigen Bauaufgaben zu finden, die Ergebnisse bringen können, welche die soziale Dimension des Wohnungsbaus nicht außer Acht lassen.

Spectrum, Fr., 2014.10.31

06. September 2014Karin Tschavgova
Spectrum

Open House hautnah

70 Bauten aus unterschiedlichen Epochen sind am 13. und 14. September in Wien geöffnet: 70 Bauten, zu erleben in ihrer Alltagsnutzung. Inklusive Dialog mit Bauherren, Architekten und Nutzern.

70 Bauten aus unterschiedlichen Epochen sind am 13. und 14. September in Wien geöffnet: 70 Bauten, zu erleben in ihrer Alltagsnutzung. Inklusive Dialog mit Bauherren, Architekten und Nutzern.

Open House kommt nach Wien – als erste deutschsprachige Stadt im Reigen von 23 Großstädten zwischen Melbourne und New York, die an einem Wochenende eine Vielzahl an Gebäuden öffnen, um den Bewohnern der Stadt Architektur näherzubringen und ihnen verborgene Schätze ihrer Umgebung zugänglich zu machen. Gegründet wurde die Bewegung vor mehr als 20 Jahren in London. Dort findet sich jährlich Ende September die schier unglaubliche Zahl von bis zu 250.000 Besuchern ein, die geduldig Schlange stehen, um auf das Aussichtsdeck von The Gherkin, dem berühmten Wolkenkratzer von Norman Foster, zu gelangen oder einmal einen Blick hinter die geheimnisvoll-schwarze Fassade des Ateliers eines bekannten Künstlers zu werfen.

Traditionsreiche Siedlungen und liebevoll gestaltete Wohnungen, Schulen und andere Bildungsbauten, Bürohäuser, Dachausbauten und revitalisierte Fabrikanlagen aus Backstein – all das wird es auch in Wien zu sehen geben, wenn am 13. und 14. September erstmals 70 Gebäude für Besucher geöffnet werden. In London, wo Stadtverwaltung, TV und Tageszeitungen begeisterte Kooperationspartner sind, werden heuer 845 Bauten aufgelistet, die mit Hilfe von mehr als 3000 Volonteers präsentiert werden.

Auch dem kleinen Team um Iris Kaltenegger, einer in Wien tätigen Architektin, die Open House von ihrem langjährigen Aufenthalt in London kannte, ist es gelungen, beinahe 200 Freiwillige für die Idee zu gewinnen, Besucher und Besucherinnen vor den offenen Häusern zu empfangen und zu leiten. Unvorstellbar viel Arbeit, tausende Stunden unbezahlten Engagements für Lobbying und Sponsorensuche, für Einschulungen, Recherche und die logistische Organisation der Öffnung von Gebäuden stecken in der zweijährigen Vorbereitung. Offenheit und Kooperationsbereitschaft, ja, sogar Begeisterung für das ehrgeizige Vorhaben, kam von Anfang an von der Stadt Wien und den beteiligten Ämtern. Man hatte rasch erkannt, dass es auch ein Angebot an die Wiener ist, ihre nächste Umgebung, ihr Grätzel, ihre Stadt mit ihren modernen Bauten besser kennenzulernen. Breit angelegte Initiativen wie Open House mit einem Angebot, das niederschwellig – individuell wählbar, kostenlos und ohne Anmeldung – zugänglich ist, sind geeignet, Verständnis und Akzeptanz für das zeitgenössische Weiterbauen einer Stadt zu vergrößern.

Wer Bauten 1:1 in ihrer Alltagsnutzung und im Dialog mit Bauherrn, Architekten und Nutzern erleben kann, geht nicht nur auf Tuchfühlung mit Architektur, sondern auch auf eine mitunter lustvolle Entdeckungsreise. Der Wert eines gut gestalteten gebauten Environments ist dem Nicht-Geschulten damit leichter vermittelbar als durch jede Ausstellung, Abbildung oder Architekturseite in den Medien. Mit geführten, realen Raumerlebnissen peilt die Open-House-Bewegung ihr langfristiges Ziel an, eine breite Öffentlichkeit zu ermächtigen, selbst urteilsfähig zu werden. Architektur, die etwas vermitteln soll, benötigt ihrerseits Vermittlung, meint der unumstrittene Fachmann der Architekturkommunikation, Riklef Rambow, und ist damit nicht allein. Dennoch wurde die Idee eines jährlich stattfindenden Open-House-Weekends in Wien gerade dort ziemlich distanziert aufgenommen, wo man sich über ein breiter werdendes Angebot an Architekturvermittlung freuen müsste.

Die oft gestellte Frage von Architekten wie von Vertretern von Architekturinstitutionen, ob Open House nicht das gleiche Format der Vermittlung sei wie die biennal stattfindenden Architekturtage, die es ja schon gäbe, verblüffte. Riklef Rambow zur Thematik: „Der größte Erfolg besteht darin, wenn es gelingt, die Hemmschwelle gegenüber dem Thema Architektur zu senken und zu zeigen, dass es sich individuell lohnen kann, sich damit zu beschäftigen. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, nicht bei Einzelmaßnahmen stehen zu bleiben, sondern Angebotsnetze zu schaffen, die es dem Nutzer (Anm.: von Architekturvermittlung) erlauben, sich niederschwellig und ohne großen Aufwand eigenständig weiterzuinformieren.“ Dass dabei Fördergeber mitmachen und jede erfolgreiche Vermittlungsinitiative unterstützen müssten, versteht sich von selbst.

Städte können heute nicht mehr unter Ausschluss ihrer Bürger entwickelt werden. Qualitativ hochwertige Architektur undStadtentwicklung können in einer demokratischen Gesellschaft überhaupt nur dann entstehen, wenn es einen hinreichend breiten Konsens über die Kriterien für Qualität gibt, schreibt Rambow. Es gehe nicht darum, dass alle Beteiligten einer Meinung sind oder gar zu denselben ästhetischen Werturteilen kommen, sondern eher um einen Konsens bezüglich grundlegender Fragen der Bedeutung von Architektur und Baukultur. Erst dieser ermögliche es, in einen gesellschaftlichen Diskurs über die Gestaltung unserer gebauten Umwelt einzutreten.

Open House Wien lockt seine Besucher – ganz ohne theoretische Überfrachtung oder fachliches Esperanto – mit einem Appell an ihre Neugier und dem Versprechen erlebnisreicher Begegnungen in einer ansehnlichen Zahl von geöffneten Häusern mit großer Nutzung- und Gestaltungsvielfalt. Besichtigt werden kann der eben erst bezogene Bildungscampus Sonnwendviertel in der Nähe des neuen Hauptbahnhofes (PPAG Architekten) ebenso wie ein erstaunlich großzügiges Minihaus in der Kleingartensiedlung Neu Brasilien (Bernd Leopold & Markus Taxer), ein Bürohaus in Passivhausstandard wie Energy Base (pos architekten) oder das Frauenwohnprojekt [ro*sa] (Köb & Pollak) im 22. Bezirk. Wer will, genießt vom ersten Hochhaus der Stadt in der Herrengasse den Rundblick oder nimmt die Einladung an, im Bootshaus des Rudervereins Pirat (erbaut 1926) an der Alten Donau eine Pause einzulegen. Freunde historischer Bausubstanz überzeugen sich selbst, ob es einer Entwicklungsgesellschaft gelungen ist, die Ankerbrotfabrik schonend zu revitalisieren oder ob der erste Stahlbetonbau aus dem Jahr 1910 am Fleischmarkt 1 denkmalschutzgerecht wiederbelebt wurde. Open House lädt ein zu entdecken, wie man auch anders wohnen und arbeiten kann, und will damit anregen, sein eigenes Wohn- und Arbeitsumfeld bewusster wahrzunehmen.

Jede dieser auf direktes Erleben zielenden Initiativen der Architekturvermittlung trägt dazu bei, dass Architektur und Design zum selbstverständlichen Teil der Alltagskultur einer „wissenden“ Gesellschaft werden kann, die Gestaltungsqualitäten zu erkennen lernt. Was in skandinavischen Ländern eine lange Tradition hat und deshalb heute im öffentlichen Raum genauso wie in Wohnungen sichtbar wird, ist nicht oder zumindest nicht immer eine Frage der Kosten, sondern eine des Bewusstseins. Und das sollte ab dem Kindesalter geschult werden.

Spectrum, Sa., 2014.09.06

21. Juni 2014Karin Tschavgova
Spectrum

Das Neue im Alten

Dass die Streckhöfe, traditionell im pannonischen Raum zu finden, in den vergangenen Jahrzehnten vielfach vernachlässigt und verlassen wurden, hat viele Gründe. Manche Neuinterpretationen zeigen, wie viel an Qualität und Potenzial sie in sich bergen. Aktuelles aus dem Burgenland.

Dass die Streckhöfe, traditionell im pannonischen Raum zu finden, in den vergangenen Jahrzehnten vielfach vernachlässigt und verlassen wurden, hat viele Gründe. Manche Neuinterpretationen zeigen, wie viel an Qualität und Potenzial sie in sich bergen. Aktuelles aus dem Burgenland.

Auf der Landkarte der zeitgenössischen Baukultur Österreichs ist das Burgenland selbst für Architekturbegeisterte ein weißer Fleck. Ja doch, einiges kennt man. Etwa die frühen Bauten von Rainer, Spalt und Hiesmayr, allesamt Versuche, die ganz spezifische Schönheit der pannonischen Landschaft, ihre Frugalität und Leere in die Wirkung eines Hauses zu übertragen. Man weiß von Rückkehrern und stadtflüchtigen Künstlern, die sich in Dörfern wie St.Martin und Neumarkt an der Raab in ehemaligen Bauernhöfen ein Refugium des Rückzugs geschaffen haben – Zeichen der Wertschätzunggegenüber einer traditionellen Bauform, die offensichtlich für zeitgemäße Aneignung taugt. Gehört hat jeder auch vom Trend, die hohe Qualität burgenländischer Weine durch die bauliche Aufrüstung der Weingüter zu unterstreichen. Was anfangs, in den 1990ern, eine direkte Folge der Ostöffnung und großzügiger Förderungen war, ließ eine ganze Reihe anspruchsvoller Gebäude für Produktion und Verkauf entstehen, die heute zu den Vorzeigebetrieben des Landes zählen. Dasselbe gilt für die sogenannte gehobene Gastronomie.

Ein deutliches Anwachsen qualitativ hochstehender Bauten hatte sich bereits 2002 gezeigt, als zur ersten Vergabe des biennal ausgeschriebenen Architekturpreises des Landes 58 Objekte eingereicht wurden. Nach Jahren, in denen sich die Teilnahme meist auf rund 30 eingependelt hatte, musste die Jury ihre Auswahl heuer aus nur 16 Einreichungen treffen, was Otto Kapfinger als Juror und profunder Kenner neuer Architektur im Burgenland dazu bewog, sich mehr Breite an hoher Qualität zu wünschen. Tatsächlich stehen auch 2014 vier öffentliche Bauten (unter anderem das Kultur- und Kongresszentrum Eisenstadt von Pichler & Traupmann, besprochen im „Spectrum“ vom 31. August 2013) einer Mehrzahl privater Bauinitiativen gegenüber. Gute Beispiele verdichteten Wohnungsbaus fehlen gänzlich.

Drei der vier vergebenen Preise spiegeln Themen, die unabhängig von Ort und spezifischer baulicher Tradition überall aktuell sind: Umbau und Adaption eines kleinen frei stehenden Wohnhauses aus dem Jahr 1960, das durch Erbschaft neue Nutzer fand, für die der Ort Teil ihrer persönlichen Geschichte und Erinnerung ist (m2architekten). Neubau eines Wohnstudios von Irmgard Frank als Rückzugsort für zwei Kreative, deren Wirkungsstätte die Stadt ist. Und ein erfrischend unkonventionelles Bürogebäude im Niemandsland einer Gewerbezone an der Bundesstraße vom immer wieder überraschenden Duo Heri & Salli.

Ausgezeichnet wurde auch ein Projekt, das eine seiner Besonderheiten schon im Namen trägt: „Patchwork – Haus und Garten“, geplant von Claudia Wimberger und Christian Schremmer als Architekten und dem Büro 3:0 Landschaftsarchitektur. Viele Einzelteile, die als Qualität für sich stehen könnten, fügen sich hier, harmonisch aufeinander abgestimmt, zu einem Ganzen. Bestand und Neubau, Hof und Garten und bebaute Flächen, Wiese und befestigtes Terrain, Geschlossenheit zur Dorfstraße und Offenheit zum geschützten Hofraum bedingen einander. Feingliedrig differenziert gestaltete Grünflächen, Ecken und Übergänge lassen den von Mauern geschützten Hof zu einem Lebensraum werden, der den witterungsgeschützten Räumen ebenbürtig ist und Kinder und Erwachsene gleichermaßen ihren Platz finden lässt.

Das Grundstück, das ein so geglücktes Ergebnis bewirkte, ist eines mit tausend Einschränkungen – ein ehemaliger Streckhof, jene historische Zeilenbauform des Dorfes, die extrem schmale und lange Flächen mit einer Abfolge von Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Stall, Kleingarten und Heustadel bebaut hat. In unseren Köpfen formen sie immer noch das Straßenbild eines typisch burgenländischen Dorfes, auch wenn die Realität vielerorts die eines Zerrbilds ist. Dem entgegenzuwirken scheint höchst an der Zeit, auch wenn der seltene Burgenland-Besucher zu bemerken glaubt, dass mancherorts zarte Anfänge von Bewusstseinsbildung schon zu einem sensibleren, bewahrenden Umgang mit dem kulturellen Erbe führen. Vereinzelt sieht man Häuser und Höfe, die bei der Renovierung in ihre alte Form zurückgeführt werden. Um lebendige Lebensräume zu bleiben und nicht nur als temporär belebte Gästehäuser zu dienen, müssten die Streckhöfe jedoch für heutige Ansprüche des Wohnens oder Arbeitens weiterentwickelt und adaptiert werden.

Setzt man sich näher auseinander mit diesem einst überall im pannonischen Raum zu findenden bäuerlichen Bautypus, so zeigt sich, wie viel an Qualitäten und an Potenzial für eine zeitgemäße, benutzerfreundliche Adaptierung und Nachnutzung er in sich birgt. Die geschlossene Bauweise lässt Rückzug und Intimität zu, zugleich kann enge Nachbarschaft entstehen, die Sicherheit und Gemeinschaftsgefühl geben kann. Auch innerhalb einer Familie macht die kleinteilige additive Bebauung differenzierte Nutzung möglich. Am voran genannten Beispiel in Deutschkreutz ist das exemplarisch ablesbar. Das Wirtschaftsgebäude wurde erhalten und ist heute Gästehaus, später vielleicht Raum für die den Kinderschuhen entwachsenen Söhne.

In jedem Fall ist das kleine Haus die zweite raumbildende Begrenzung der befestigten Terrasse, die auch dadurch zum wunderbar geschützten Sommerraum wurde. So kann jeder der alten Hofbauten neue Funktionen übernehmen und auch künftig an veränderte Bedürfnisse angepasst werden. Wer allein zurückbleibt, kann sich in einen kleinen Teilbereich zurückziehen – wer berücksichtigt im so beliebten Typus des frei stehenden Einfamilienhauses schon spätere Bedürfnisse nach Reduktion von Raumnutzung und Mitteln? Selbst die zu pflegenden Gartenflächen sind im Streckhoftypus bewältigbar.

Dass diese Häuser mit dem Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte vernachlässigt und verlassen wurden, hat mannigfache Gründe, gegen die jene nicht anschreiben konnten, die Wert und Qualität dieser baukulturellen Besonderheit schon früh erkannt hatten: Roland Rainer mit seinem Buch über das anonyme Bauen im Nordburgenland, der Kunsthistoriker Alfred Schmeller, der in den 1960er-Jahren Landeskonservator für das Burgenland war, oder Ernst Hiesmayr. Rufer und Mahner gibt es heute mehr denn je. Klaus-Jürgen Bauer hat als unermüdlicher Erforscher und Liebhaber des pannonischen Raums im Architekturraum Burgenland eine Ausstellung über Streckhöfe zusammengestellt und zeigt in einigen schönen Beispielen von Nachnutzung ihr Potenzial. Sie ist eine Besinnung auf eine nur noch marginal vorhandene regionale Kultur, doch könnte sie mit Fantasie nicht auch ein Ausblick auf eine neu zu schaffende landesspezifische Baukultur sein?

Spectrum, Sa., 2014.06.21

03. Mai 2014Karin Tschavgova
Spectrum

„Einmal was Gscheites bauen“

Junge Architekten sind heutzutage mit anderem beschäftigt als mit der Frage, ob sie Baukünstler sind. Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen, selbst zu kleinen, ist schwierig geworden. Vielseitigkeit und Offenheit der Profession sind bedroht. „Berufsfeld Architektur 2.0“: Anmerkungen zu einer Studie der TU Wien.

Junge Architekten sind heutzutage mit anderem beschäftigt als mit der Frage, ob sie Baukünstler sind. Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen, selbst zu kleinen, ist schwierig geworden. Vielseitigkeit und Offenheit der Profession sind bedroht. „Berufsfeld Architektur 2.0“: Anmerkungen zu einer Studie der TU Wien.

Demnächst ist es wieder so weit. In wenigen Tagen findet in ganz Österreich die siebente Ausgabe der Architekturtage statt. Was als Angebot zur Beschäftigung mit dem Entstehungsprozess von Architektur an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft begann (O-Ton 2002), hat sich mittlerweile – etwas „handfester“ formuliert – als Angebot zur Bewusstseinsschärfung für Architektur im Alltag etabliert, das vielfältige Möglichkeiten bietet, Architektur hautnah zu erleben, Neues zu entdecken und Ungewöhnliches zu verstehen (O-Ton 2014). Atelierbesuche, die die Rolle der Architekten und Architektinnen in diesem Prozess transparent machen und generell Einsicht in ihre Arbeitswelt geben sollen, sind nach wie vor fixer Bestandteil der Architekturtage.

Der selbst auferlegte Auftrag der Architekturtage heute ist mehr denn je Öffentlichkeitsarbeit – ist, Vermittlungsarbeit zu leisten, indem man Qualität und Mehrwert der Arbeit dieses Berufsstands in den Mittelpunkt rückt, an Beispielen zeigt und erklärt. Ein Diskurs darüber, ob Architektur Kunst ist oder sein kann, scheint unter Architekturschaffenden knapp 100 Jahre, nachdem Adolf Loos apodiktisch festgehalten hat, dass Architektur mit Ausnahme des Grabmals und des Denkmals nicht unter die Künste gehört, kein Thema zu sein. Heute taucht der Terminus Baukunst beinahe ausschließlich in der Rückschau auf die Architekturhistorie auf. Architekten wollen die Welt mitgestalten, zum Besseren ändern, ja, aber Baukunst . . . Über die freut sich Hanno Rauterberg in der „Zeit“, wenn erfallweise jugendlich schwärmerisch über ein neues, geglücktes Stück Architekturberichtet. Architekten, vor allem junge Berufseinsteiger,sind 2014 mit anderem beschäftigt als mit der Frage, ob sie Baukünstler sind. Für viele ist die Berufswahl zur Überlebensfrage geworden. Das ist hierorts nicht anders als inDeutschland, das eine weit höhere Architektendichte aufweist als Österreich. Dabei unterscheiden sich die Motive für die Berufswahl, die Studierende zu Beginn ihres Studiums anführen, nicht wesentlich von jenen Architekturschaffender, wenn sie bereits im Beruf stehen.

Der zweite Teil einer Studie zum Berufsfeld Architektur, an der seit mehr als zehn Jahren federführend unter dem an der Technischen Universität Wien tätigen Assistenten Oliver Schürer interdisziplinär gearbeitet wurde, liegt nun vor. Erstmals wurden systematisch Gegebenheiten wie Arbeitsbedingungen, Betätigungsfelder, Lebenslinien und Karrierechancen erfragt und analysiert – und eben Motive und Grad der Erfüllung in einer Szene, die unsere Umwelt entscheidend mitprägt. Die Studienautoren sprechen genügsamer von Zufriedenheit mit der Tätigkeit, und sie unterscheiden auch zwischen Architekturschaffenden, also im engeren Sinn Architekturproduzierenden, und Architekturinvolvierten, die in vielen Feldern von Lehrtätigkeit über Publizistik bis zur Visualisierung von Projekten tätig sind. Immerhin ist der Anteil der selbstständigen Architekten und Freiberufler laut dieser Studie gemeinsam mit 65 Prozent schon im ersten Jahrzehnt nach dem Studium beinahe doppelt so hoch wie der von Angestellten.

Schließt man daraus, dass dieser größere Anteil der Selbstständigen auch selbstbestimmt ein eigenes Wertesystem und Arbeitsschwerpunkte nach Neigung festlegen und verwirklichen kann, so irrt man wohl, denn die Arbeitsbedingungen für Architekturabsolventen und Jungarchitekten werden laut Aussagen der Involvierten immer härter (circa 700 Absolventen österreichweit durchschnittlich, heuer wegen des Auslaufens der alten Studienordnung vermutlich noch mehr, und circa200 Absolventen der Ziviltechnikerkurse jährlich). Viele der Selbstständigen sind wohl –mit durchschnittlich wesentlich niedriger Honorierung als in vergleichbaren Kreativberufen und kaum abgesichert – projektbezogen für Architekturbüros tätig, die es sich kaum leisten können, alle Mitarbeiter fix anzustellen.

Um ihre Situation gemeinsam und mit strategischer Ausrichtung zu verbessern und sich gegenseitig mit Wissen zu unterstützen, haben sich in Wien vor Jahren junge Architekten und Absolventen in der IG Architektur zusammengeschlossen. In Graz hat sich kürzlich mit Unterstützung der Zentralvereinigung der Architekten ein „Sitzkreis“ formiert, in dem junge Architekten ihre teils prekäre Lage thematisieren und Möglichkeiten zur Verbesserung diskutieren. Aufbruchstimmung herrscht dabei nicht, aber es gibt einen Konsens darüber, dass das Bündeln von Energie und Ideen mehr Chancen birgt, etwas auf die Beine zu stellen und auf die junge Architekturpotenz aufmerksam zu machen, als das einsame Grübeln vor dem Computer im improvisierten Einmannbüro.

Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen, selbst zu kleinen, ist schwierig geworden für jene, die noch keine Referenzen vorweisen können. Auch Wohnbaugenossenschaftengreifen lieber, obwohl sie mit öffentlichen Fördergeldern arbeiten, auf bewährte Partneraus der Architektenschaft zurück, als sich in der Rolle von Ermöglichern zu sehen, die den Jungen eine Chance geben. Für offene Wettbewerbe, die mehrstufig angelegt sind, um in der ersten Phase innovative, neue Lösungsansätze für eine bestimmte Bauaufgabe zu finden, findet man heute kaum Partner, weder bei der öffentlichen Hand noch in der Wirtschaft – zu lange dauernd, zu teuer, zu risikoreich. Anstelle von Ideenwettbewerben treten Bewerbungsverfahren, für die Referenzen und Nachweise von Umsatz- und Bürogrößen verlangt werden. Wie sollen die Jungen da mithalten können? Sie müssen sich wieder neue Betätigungsfelder und Nischen suchen – schwierig in einem Umfeld immer größerer Konkurrenz und knapper werdender Resourcen.

Was bislang auf der Habenseite des Berufsfeldes verzeichnet wurde – seine Vielseitigkeit und Offenheit –, ist in Gefahr, auch wenn der Grad der Zufriedenheit mit der Berufswahl immer noch hoch ist. Katharina Tielsch, eine Mitautorin der Studie Berufsfeld Architektur 2.0, führt dies auf den hohen Anteil an der möglichen Selbstverwirklichungim kreativen Gestalten und Umsetzen zurück,das zur Freude am Tun führt. Wie Arbeitsforscher in vielen Untersuchungen bestätigen, sind das größere Motive für Zufriedenheit und eine positive Einstellung zur Arbeit als Einkommen und Status.

Solche Zuversicht strahlen die jungenArchitekten im Grazer Sitzkreis derzeit nicht aus. Aber noch sind sie engagiert, wollen „einmal was Gscheites bauen“, wollen gemeinsam neue Aufgaben suchen. Doch was, wenn das Engagement für gutes Bauen einer ganzen Architektengeneration aus Mangel an Entfaltungsmöglichkeiten verkümmert? Damit es nicht so weit kommt, wird die Arbeit von Architekten und der Mehrwert von ambitionierter Architektur während der kommenden Architekturtage und erstmals beim Open Haus Wien am 13. und 14.September 2014 anschaulich am Objekt gezeigt. Möge die Übung gelingen.

Spectrum, Sa., 2014.05.03

22. März 2014Karin Tschavgova
Spectrum

Bauen für eine bessere Welt

Mit „Build Social“ ruft das Architekturzentrum Wien zu einer alternativen Architektur auf, die Antworten auf die sozialen Fragen der globalen Gesellschaft gibt. Können die gezeigten Beispiele mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein?

Mit „Build Social“ ruft das Architekturzentrum Wien zu einer alternativen Architektur auf, die Antworten auf die sozialen Fragen der globalen Gesellschaft gibt. Können die gezeigten Beispiele mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein?

Think Global. Build Social!“, ruftdas Architekturzentrum Wien den Architekturschaffenden zu undpocht mit dem erklärenden Untertitel seiner aktuellen Ausstellung „Bauen für eine bessere Welt“ auf die gesellschaftliche Verantwortung und soziale Funktion von Architektur. Folgerichtig setzt die Ausstellung nicht vordergründig auf diePräsentation einzelner Herzeigebauten, sondern zeigt anhand gebauter Beispiele Haltungen auf. Doch halt! Das Wort, das heute wegen seines angeblichen Beigeschmacks von ideologischer Starrheit leider kaum mehr verwendet wird, taucht gar nicht auf in der Schau, die Kurator Andres Lepik für das AzW in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum DAM konzipiert hat. Er spricht von einer Auswahl an Positionen, in denen die lange geforderte Verbindung von Ethik und Ästhetik beispielhaft eingelöst wird. Die Absicht scheint klar: Ein Großteil dieser Positionen findet sich in Dritte-Welt-Ländern realisiert, und es wäre naheliegend, sie mit umstrittener Entwicklungshilfe, einseitigem Technologietransfer oder Neokolonialismus in Verbindung zu bringen. All das weisen die Veranstalter von sich, auch wenn viele der Bauten nur durch die tatkräftige unentgeltliche Unterstützung von Studierenden an österreichischen und deutschen Architekturfakultäten entstehen konnten und fast alle Fördermittel brauchten.

Selbst wenn Beispiele nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit präsentiert werden, geht es vor allem darum, die gesellschaftliche Relevanz der Architektur in einer durch die Globalisierung nur scheinbar näher zusammengerückten Welt zu hinterfragen. In einer Welt, in der immer mehr Arme sich weder Grundbedürfnisse erfüllen können, noch Zugang haben zu einer besser gestalteten Umwelt, wird der Abstand zwischen uns, denen die Welt offensteht durch das Glück ihrer Herkunft, und jenen, die für uns unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit Billigstware produzieren und sich doch nichts leisten können, immer größer. Bezogen auf Architektur und Gestaltung von Lebenswelten sieht Dietmar Steiner heute einerseits die sogenannte Stararchitektur – edle Preziosen, die über den Erdball verstreutwerden, dabei ausschließlich dem Image global tätiger Unternehmen und einiger Superreicher dienen –, andererseits aber Anzeichen für einen Paradigmenwechsel im zeitgenössischen Architekturschaffen in einem aktiven, tätigen Bekenntnis zur sozialen Dimension des Bauens.

So zielen fast alle Projekte der Ausstellung auf Selbstermächtigung ab: auf die Stärkung von Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Kreativität. Sie wollen Impulse sein, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, Alltag und fehlende Infrastruktur zu gestalten – mit einfachen Mitteln, Fantasie und in der Erneuerung von Traditionen, wie dies Anna Heringer und Martin Rauch vorschlagen, die in Bangladesch und Marokko in Zusammenarbeit mit Ortsbewohnern Lehmbauten als Schulen errichteten. Einiges kennt man, wennman die drei Vorgängerausstellungen zum Thema im AzW gesehen hat. Die aktuelle Ausstellung erhält eine andere Dimension durch engagierte Projekte, die in den vergangenen Jahren in Frankreich, Deutschland und Österreich entstanden sind. Mit ihnen werden die Fragen nach den Werten und Inhalten der Architektur, nach ihrem sozialen Charakter vor unsere Türen getragen. Die Forderung nach ressourcenschonender und demnach sozial verantwortlicher Gestaltung von lokalen Lebenswelten ist auch hierorts berechtigt. Den Anspruch, vor allem die Idee von gesellschaftlicher Veränderung mithilfe eines sozialen Wohnungs- und Siedlungsbaues, kennen wir aus dem Projekt der Moderne. Zyniker werden sogleich auf sein Scheitern verweisen.

Doch in dem, was die Aufforderung zu einem Bauen in ethischer und sozialer Verantwortung vom Projekt der architektonischen Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts unterscheidet, liegt vielleicht die Chancefür ein Gelingen. Erstens: Naiver Fortschrittsglaube und Technizismus sind heute nicht mehr angebracht. Wir können ihn uns nicht mehr leisten. Zweitens: Viele dieser neuen Initiativen sind Bottom-up-Bewegungen. Architektur und Lebensraum entstehen dabei nicht mehr zentral in den Hirnen einzelner Planer, sondern als Initiative und Ergebnis eines sozialen partizipativen Prozesses. Dafür steht in der Ausstellung das 2006 ins Leben gerufene Projekt Passage 56. Bewohner des 20. Pariser Arrondissement okkupierten eine städtische Brache und verwandelten diese unter Mithilfe eines sich als interdisziplinäres Netzwerk verstehenden Architekturbüros in einen kollektiv bewirtschafteten Garten mit Veranstaltungsraum. Ein Beispiel, das zeigt, wie sehr sich Rolle und Selbstverständnis der Architekten wandeln.

Das Thema des Beitrags von Druot, Lacaton & Vassal ist die Sanierung und nicht nur energiesparende Aufwertung von Massenwohnbau aus den 1970ern durch Umgestaltung anstelle von Abriss und Neubau – erprobt an mehreren Siedlungsbauten in Frankreich. Wer die Arbeitsweise dieser Architekten kennt, weiß, dass sie sich den Belegungsplänen während der Bauphase und der Berücksichtigung veränderter Wohnbedürfnisse und einem daraus resultierenden Wohnungstausch mit gleich großem Engagement widmen wie dem ästhetischen Ausdruck ihrer Arbeit.

Build Social! Kann der Architekt diesem Ruf überhaupt folgen, kann er den neoliberalen Bedingungen des Marktes entkommen und sich nur solchen Aufgaben widmen, die ihm Reputation als sozial Handelndem bringen? Ökonomisch sicher nicht, denn dafür braucht er viele Auftraggeber, die Mitstreiter und Vorreiter sein wollen im „Bauen für eine bessere Welt“. Aber er kann sich den Slogan zur Arbeitsmaxime machen und selbstreflexiv kritisch ergründen, wie nahe daran seine Arbeit bleibt.

Raumerfindung, Ästhetik und Schönheit müssen immer möglich sein, weil Gestaltung dazu beiträgt, sich zu Hause zu fühlen. Das ist in Indonesien nicht anders als in der VinziRast-mittendrin in Wien, wo Alexander Hagner von Gaupenraub mit dem geplant und gebaut hat, was er vorfand und was als Sachspende einging, und damit einen architektonischen Rahmen schaffen konnte für ein Experiment, das, gelänge es, ein Zuhause für eine kleine Gruppe von Außenseitern werden könnte – mittendrin in Wien.

Spectrum, Sa., 2014.03.22

18. Januar 2014Karin Tschavgova
Spectrum

Die eine und die andere Seite

Selten wird Architektur so ideologisch verhandelt. Über das neue Schubhaftzentrum in Vordernberg, Obersteiermark, die Möglichkeiten der Architekten, zum würdevollen Umgang mit Schubhäftlingen beizutragen, und die Frage, ob die Erfüllung solcher Bauaufgaben statthaft ist.

Selten wird Architektur so ideologisch verhandelt. Über das neue Schubhaftzentrum in Vordernberg, Obersteiermark, die Möglichkeiten der Architekten, zum würdevollen Umgang mit Schubhäftlingen beizutragen, und die Frage, ob die Erfüllung solcher Bauaufgaben statthaft ist.

Mein erster Gedanke – impulsiv, bar jeder Reflexion: Das ist kein Thema für die Architekturseite eines Feuilletons. Der Bau eines Schubhaftzentrums könne kein Anlass für eine Auseinandersetzung mit architektonischer Qualität und Baukunst sein, möge sie noch so kritisch ausfallen, ist keine Frage von baulicher Funktionalität, Ästhetik und gestalterischem Können. Freunde und Architektenkollegen äußerten Bedenken und stellten die Integrität von Architekten, die sich an Wettbewerben für eine derartige Bauaufgabe beteiligen, infrage. Darf man das überhaupt, wird man damit nicht zum Handlanger eines Systems, das man vielleicht gar nicht gutheißt?

Aber natürlich darf man – ja, muss man, sagt dann Ute zwischen zwei Gängen bei einer Einladung zum Abendessen, oder haben diese bedauernswerten Menschen kein Recht auf bestmögliche Unterbringung, auf gute Häuser? Ute, die mit Architektur sonst nichts am Hut hat, erzählt, dass manche in der Bevölkerung ihrer Heimatstadt Leoben den Häftlingen dort das neue Gefangenenhaus neiden. Und Ute, die beileibe keine abgeklärte Pragmatikerin ist, hat recht. Solange in unserem Land auf der Basis von gültigen Gesetzen die Errichtung von Schubhaftzentren vorgesehen ist, dürfen Architekten und Architektinnen sich dafür engagieren, dass solche Unterkünfte menschenwürdige Aufenthaltsbedingungen bieten und in hoher architektonischer Qualität gebaut werden.

Das mögen sich auch jene 42 Teilnehmer des international ausgeschriebenen Wettbewerbs gedacht haben, die 2010 ein Projekt für Vordernberg abgaben. Zum Sieger gekürt und zur Realisierung vorgeschlagen wurde der Entwurf von Sue Architekten, einer jungen Wiener Architektengruppe, die mit einem mit dem Bauherrenpreis ausgezeichneten Amtshaus für das oberösterreichische Ottensheim bekannt wurde. Es ist glaubhaft, wenn die Architekten betonen, mit dem Bundesministerium für Inneres als Auslober und der Bundesimmobiliengesellschaft als Bauherr bauliche Standards der Verwahrung und Sicherung immer wieder diskursiv hinterfragt und sich nach Kräften bemüht zu haben, starre Bilder aufzubrechen und in eine menschenwürdigere Form zu bringen. So ist es ihnen gelungen, die Gitter vor den Fenstern wegzulassen, die noch in der Ausschreibung zum Wettbewerb vorgesehen waren. Anstelle von herkömmlichen Fensterflügeln gibt es nun raumhohe, aber handrückenschmale Lüftungsflügel aus Holz, die zwischen fix verglasten Scheiben sitzen.

Die Aufenthaltsräume – immer zwei, durch eine Glaswand getrennt – und selbst die Schlafräume der neun Wohngruppen, die sich jeweils um einen Hof gruppieren, sind durch raumhohe Verglasung taghell und teilweise besonnt. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Von Würde ist die Rede, von der Schaffung eines angenehm wohnlichen, würdevollen Ambientes als oberste Prämisse eines architektonischen Konzepts, das dazu beitragen soll, den Aufenthalt der Menschen, die auf ihre „Außerlandesbringung“ warten, erträglich zu machen. Abgehängte Decken, wie sie in Büros üblich sind, wurden daher vermieden. In der Teeküche und im gemeinsamen Wohnraum ist helles Sperrholz als Wandvertäfelung eingesetzt. Jede Wohneinheit hat als Rückzugsorte ein Raucherzimmer und Sitznischen. Teppichböden in allen Räumen und die Farbigkeit von Polstermöbeln und Bestuhlung sollen für Wohnatmosphäre sorgen.

Doch selbst der Ausblick auf Bach und bewaldeten Hang durch den doppelten Gitterzaun hindurch, der anstelle der – fast ist man versucht zu sagen, obligatorischen – Mauer im ortsabgewandten Bereich der Wohngruppen installiert werden durfte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies eine Haftanstalt ist. Es wird darin Schubhäftlinge geben, die hierzulande zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden, diese jedoch unter der Zusage,dass sie sich außer Landes bringen lassen, nicht antreten müssen. Aber hier erleiden auch Menschen – Jugendliche, Ehepaare, Familien mit Kindern – Freiheitsentzug und eine weitreichende Einschränkung ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen.

Ihre Haft hat als Grund nur die Sicherung eines Verfahrens oder einer Abschiebung. Und so klingt die in Presseaussendungen des BMI behauptete „Autonomie über den Tagesablauf“ der Schubhäftlinge in den Wohngruppen zynisch, sind diese doch versperrt und jeder Weg nach außen, ob in den Fitnessraum, in die Bibliothek, den Meditationsraum, in den Shop oder auf den Basketballplatz, muss vom Aufsichtspersonal erlaubt und begleitet werden. Selbstbestimmung und Intimität sind kaum möglich. Warum gab es am Tag der Pressebegehung keine Vorhänge in den Schlafräumen, die alle zum nahen Gegenüber orientiert sind? Die Architekten hatten sie vorgesehen. Ein anderes Beispiel: Jedes der Zwei- und Vierbettzimmer, die mit Toilette und Waschbecken ausgestattet sind, hat ein Türschloss und kann abgesperrt werden – nur von außen. Das Wachpersonal entscheidet, ob einzelne Zimmer, der Schlaftrakt oder kein Raum abgeschlossen werden.

Das Schubhaftzentrum Vordernberg ist, will man uns glaubhaft machen, kein Gefängnis. Soll es sich wirklich von solchen unterscheiden und tatsächlich, wie gewünscht, zum europaweiten Vorzeigeprojekt werden, so muss sich dies durch den institutionellen Umgang mit den Schubhäftlingen erst beweisen. Die baulichen Voraussetzungen für mehr Vertrauen und Offenheit, für eine würdevolle Behandlung zugunsten größerer persönlicher Freiheit sind gegeben.

Eine Einrichtung müsste rückgebaut werden: die Kommunikation über eine Reihe von Glasscheiben mit Telefonhörern als eine von drei gebauten Varianten des Besucherkontakts. Sie widerspricht der Beteuerung, man sei kein Gefängnis, ist schlicht entwürdigend und wurde dennoch installiert. Akzeptable Besucherräume sind ein kleiner für Einzelgespräche und ein größerer mit mehreren Tischen und Kaffeeautomat.

All das zeigt, wie begrenzt die Möglichkeiten der Architekten selbst bei der sorgfältigsten, mit Engagement und Können angegangenen Planung waren. Die Verbesserung der Schubhaft über bauliche Maßnahmen gelang graduell, zur Änderung des herrschenden Systems der Abschiebepraxis jedoch konnten sie nichts beitragen.

Kann das ein Grund sein, eine solche Bauaufgabe abzulehnen? Ist nicht eine der Kernfragen der Architektur die nach ihrer sozialen Funktion? Müssten sich demnach nicht auch Architekten in ihrer Aufgabe, Mitgestalter der Gesellschaft zu sein, einmischen, den Diskurs um humane Quartiere laut führen – auch im Asyl- und Fremdenrecht?

Man kann auf die Straße gehen, um herrschende Verhältnisse anzuprangern und grundlegende Änderungen zu fordern. Ein langfristiges Ziel. Kurzfristig sind, ganz pragmatisch, Lösungen gefragt, die aus der gegebenen Situation das Beste machen. Auch steter Tropfen höhlt den Stein.

Spectrum, Sa., 2014.01.18



verknüpfte Bauwerke
Schubhaftzentrum Vordernberg

21. Dezember 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Vom Preisen und Lobsingen

Es gibt mehr als 30 Architekturpreise im Land. Die sollen Kunde geben von der aktuellen Baukultur, vom Innovationspotenzial, von Pionierleistungen, von kommenden Persönlichkeiten. Doch: Wen ehren, wem dienen sie?

Es gibt mehr als 30 Architekturpreise im Land. Die sollen Kunde geben von der aktuellen Baukultur, vom Innovationspotenzial, von Pionierleistungen, von kommenden Persönlichkeiten. Doch: Wen ehren, wem dienen sie?

Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Berufslebens widmen Architekten unbezahlter Tätigkeit – dann, wenn sie an Wettbewerbsverfahren teilnehmen. Anders als Handwerker, die sich in der Erwartung von Aufträgen an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen und sich dafür eines maßgeschneiderten Computerprogramms bedienen können, muss der Architekt nicht nur jedes Mal von Neuem seine Kreativität einsetzen, um einen originellen Wettbewerbsbeitrag zu erfinden, sondern auch Mitarbeiterkraft. Das kostet Geld – viel Geld, das nicht wieder zurück in die Kasse fließt, wenn man nicht zum Sieger gekürt wird.

Es ist also gerechtfertigt und gut, Können von Architekten und Ingenieuren und ihr Engagement für eine bessere Umwelt und Gesellschaft mit Preisen zu belohnen. Auszeichnungen wie der diesjährige Aga-Khan-Architektur-Preis an Bernardo Bader für den islamischen Friedhof in Altach können nachhaltige PR für Architekten sein. Erstaunlich nur, dass die öffentliche Wahrnehmung selbst bei prominenten Preisen für Architektur weitaus geringer ist als beispielsweise jene für das Film- und Literaturschaffen, deren Preisverleihungen mit Spannung erwartet werden. Daher sollte es das Ziel jedes Auslobers von Baukulturpreisen sein, ein breites Publikum anzusprechen. So könnten Preise dazu beizutragen, dass Interesse an Baukultur – Architektur und Ingenieursbaukunst, Städtebau und Landschaftsplanung – Breitenwirkung entwickelt.

Der im Bundeskanzleramt angesiedelte Beirat für Baukultur listet allein für Österreich 30 Preise auf, die in unterschiedlichen Intervallen und Modalitäten vergeben werden. Dass es mehr sind und immer mehr werden, ist anzunehmen. Erst jüngst flatterte die Information über einen neuen Preis ins Haus. „Superscape 2014“, als Architekturpreis für innovative und visionäre Architekturkonzepte tituliert, wurde vor Kurzem in einem aufwendig inszenierten Auftaktevent in Wien vorgestellt.
Das führt sogleich zu einer Kernfrage: Wem dienen Architekturpreise wirklich? Den Architekten und ihren Teams, an die sie in der Regel verliehen werden, oder den Institutionen und Unternehmen, die sie verleihen? Das erklärte Ziel der meisten Auslober ist, allgemeines Interesse an Baukultur zu wecken und Verständnis für zeitgenössische Architektur zu fördern. Konkrete Absichten wie die Forcierung bestimmter Bauweisen oder Produkte zur Absatzförderung kommen seltener zum Ausdruck. Aber erreichen Architekturpreise überhaupt diese Ziele?

Allein in der Steiermark wurden in diesem Jahr schon mehrere Auszeichnungen verliehen: der Holzbaupreis, die Geramb Rose und jüngst der Architekturpreis des Landes Steiermark.
Architekturpreise sollten also auch ein Spiegel der aktuellen Baukultur eines Landes sein, sie könnten Kunde geben vom Innovationspotenzial, von Pionierleistungen und kommenden Persönlichkeiten. Architekturpreise werden von Jurys oder einzelnen Kuratoren ausgewählt. Ihnen kommt die Aufgabe zu, ihre Auswahl verantwortungsvoll und überlegt zu treffen, mit gleichermaßen fundierter Kenntnis von globalen Entwicklungen wie lokalen Diskursen und Bedingungen des Bauens. – Will man die beiden Vorgänger des diesjährigen Steirischen Landesarchitekturpreises Revue passieren lassen, so muss man sie tief aus der Versenkung holen, wo sie zu Recht ruhen. 2008 und 2010 wurde der große Preis der Steiermark jeweils an ein Einfamilienhaus vergeben – das erste nicht mehr als Mittelmaß, das zweite zwar originell und witzig, aber nicht als Prototyp geeignet. Als „Best of . . . “ für die Baukultur eines Bundeslandes, das von Jahr zu Jahr stärker durch Zersiedelung geprägt wird, waren sie eindeutig Fehlentscheidungen – getroffen jeweils von eigens eingeflogenen, in Fachkreisen hoch geschätzten Experten, dem deutschen Architekturkritiker Andreas Ruby und dem in der Schweiz tätigen Redakteur Hubertus Adam.

Zum raschen Vergessen der Ruby'schen Gewinner und Nominierten beigetragen hat wohl auch der Umstand, dass mediale Aufmerksamkeit für den Preis mit dafür ungeeigneter Bildgestaltung erreicht werden sollte. Die überhöht inszenierte Kunstfotografie von Livia Corona erwies der Vermittlung von Baukunst keinen guten Dienst, weil es der Fotografin augenscheinlich kein Anliegen war, Qualitäten des Gebauten herauszuarbeiten, die für Laien erkennbar sein können.
Die Art der Fotografie war kein Thema beim diesjährigen Landesarchitekturpreis, mit dem TMP Architekten für die Volksschule Hausmannstätten ausgezeichnet wurden. Erstmals wurde seine Überreichung im größeren Rahmen der Verleihung aller Kunstpreise des Landes zelebriert, was ein Weg zu breiterer öffentlicher Wahrnehmung sein könnte, wo bis dahin oft Fachleute unter sich blieben. Allerdings traf die diesmal bestellte Kuratorin Nathalie de Vries, als Architektin Partnerin bei MVRDV in Rotterdam, eine Wahl, die zeigt, dass sie vom österreichweit lange und heftig geführten Diskurs um eine grundlegende Reform der Schule wenig oder gar nichts weiß. Sie wählte unter zwei nominierten Schulen jene aus, die schon allein aufgrund ihrer Großform – einem in sich geschlossen wirkenden, dreigeschoßigen Kubus – künftige Erweiterungen und Anpassungen an die „Neue Schule“ erschweren wird. Einiges von dem, womit die Kuratorin ihre Entscheidung begründet, etwa die „enge Verbindung zur umgebenden Landschaft, nahtlose Übergänge zwischen Umgebung und Innenraum, der Unterricht im Freien und Räume, die ineinandergehen“, und „die bauliche Umsetzung eines zeitgemäßen pädagogischen Konzepts“ ist in der Volksschule von Feyferlik & Fritzer in Bad Blumau (siehe „Spectrum“-Artikel vom 15. September 2012), die bei dieser Prämierung leer ausging, konsequenter, radikaler und kindgerechter ausgeführt.
Halt!, schreien jene, die die Freiheit und Autonomie derartiger Entscheidungen auf ihre Fahnen heften, und Halt! jene, die einwenden, dass eine Jury es nie allen recht machen kann. Müde winken jene Abgeklärten ab, die überzeugt davon sind, dass hinter vielen Jury- oder Kuratorenentscheidungen der Einfluss von Seilschaften steht, gegen die man nicht ankomme. Und sie alle haben recht mit ihren Einwänden – aber sollte man nicht erwarten dürfen, dass in der Wahl des Architekturpreises für das Land Steiermark neben Gestaltqualitäten eines einzelnen Objekts auch der hierorts oft beschworene Wille zu Innovation und Erneuerung zum Ausdruck gebracht wird, der „State of the Art“? Architekturpreise sind immer auch ein Abbild des aktuellen Baugeschehens einer Region oder eines Landes und könnten darüber hinaus eine Spiegelung zeittypischer gesellschaftlicher Fragestellungen und Bauaufgaben sein.
Der Blick von außen kann hilfreich sein, wenn es darum geht, regionale Baukultur im Kontext internationaler Entwicklungen zu verorten. Innensicht und intime Kenntnis örtlicher Baugeschichte, der Rahmenbedingungen des Bauens und des aktuellen Diskurses sind hingegen notwendig, um Eigenheiten, Besonderheiten oder Schwächen der Bautätigkeit in einer Region erkennen und verstehen zu können.

Kein Zweifel, Architekturpreise sind, wenn sie das Werk in den Mittelpunkt stellen, wichtig und unverzichtbar. Sie bringen dem Gewinner Anerkennung und würdigen die Arbeit der Architekten und das Engagement von Bauherren dann angemessen und öffentlichkeitswirksam, wenn zum Beispiel alle eingereichten Projekte in einer Ausstellung gezeigt werden. Das ist beim steirischen Landesarchitekturpreis erstaunlicherweise genauso wenig selbstverständlich wie die Auflistung aller Teilnehmer in der dazu erscheinenden Publikation.
Anerkennung kann sich auch darin ausdrücken, dass Preisgeld bezahlt, ein Auftrag in Aussicht gestellt wird oder zumindest Reisekosten zur Teilnahme an der Preisverleihung refundiert werden. Die nachhaltigste Würdigung wäre wohl, wenn mit Preisen das allgemeine Interesse an Architektur steigen würde. So, wie es dem Film gelingt.

Spectrum, Sa., 2013.12.21

02. November 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Ende gut, alles gut?

Die neue Thalia in Graz. Von Hotelplänen zum Fitnessclub. Eine Verbesserung oder nur das kleinere Übel eines innerstädtischen Umbaus?

Die neue Thalia in Graz. Von Hotelplänen zum Fitnessclub. Eine Verbesserung oder nur das kleinere Übel eines innerstädtischen Umbaus?

Die Stadt „fortschreiben“ – was so poetisch umschrieben wird, findet nun allgemein Zustimmung. Gerade historische Stadtkerne müssen sich entwickeln können, um nicht zum Museum oder toten Gewebe der Stadt zu werden. Raum als Potenzial für Veränderung ist vorhanden, Stadtverdichtung ist angesagt. Neues dort zu bauen, wo die städtische Infrastruktur seit Langem vorhanden, wo der Umstieg auf den öffentlichen Verkehr möglich ist, scheint sinnvoll.

Ungewöhnlich viele Kräne, Gerüste und Baugruben signalisieren derzeit im Zentrum von Graz rege Bautätigkeit. Daraus lässt sich schließen, dass Dachausbauten, Aufstockungen, Umbauten von innerstädtischen Immobilien und der Neubau als Lückenschluss als attraktives Investment gesehen werden.

Ende September wurde die Neue Thalia fertiggestellt, genau genommen die Überbauung einer Ansammlung mehrerer Bauten, die zwischen der Oper und der Girardigasse auf einer Liegenschaft der Stadt Graz in unterschiedlichen Epochen errichtet wurden. 1956 transformierte der Wiener Architekt Rudolf Vorderegger als Spezialist für Lichtspieltheater-Umbauten Reste des ehemaligen Thalia-Theaters in ein Kino und fügte ihm ein Tanzcafé mit Gastgarten hinzu, das an Eleganz und großstädtischem Flair in Graz nichts Vergleichbares fand. Mit einem Bestandsvertrag über 60 Jahre und einem Baurecht hatte der damalige Betreiber die Thalia privat finanziert, und als er 1997 Konkurs anmeldete, drohte das Etablissement zu verfallen. Etwa zeitgleich wurde der Ruf nach einer Probebühne für die benachbarte Oper laut, und so entstand der Plan, diese anstelle des ehemaligen Kinosaals, in Nachbarschaft zu einem Erweiterungsbau der Oper von Gunther Wawrik, zu errichten.

Die Stadt war zwar bereit, die Probebühne gemeinsam mit dem Land Steiermark zu finanzieren, vergab jedoch 2001 erneut ein Baurecht mit der Auflage, das Bühnengebäude zu bauen. Bauträger Acoton wollte naturgemäß mehr und lud erst einmal drei Architekten zu einem von der Kammer nicht unterstützten Gutachterverfahren, das Heiner Hirzegger mit einem Projekt für sich entschied, das für Entsetzen unter der Grazer Architektenschaft sorgte. Über das 1991 unter Denkmalschutz gestellte Tanzcafé sollte ein vier Geschoße hoher, massiver Block für ein Hotel gesetzt werden, dahinter der ebenso voluminöse Aufbau für die Probebühne und davor, anstelle des stadträumlich ideal situierten, charmanten Gastgartens, eine Geschäftspassage als Sockel.

Proteste von mehreren Seiten, Unterschriften von 2000 erbosten Grazer Bürgern und das negative Gutachten der Altstadtsachverständigenkommission halfen nicht. Die Stadt gab ein klares Bekenntnis zum Ausbau eines multifunktionellen Zentrums mit Hotel, Büros und Probebühne ab und erteilte eine rechtsgültige Baugenehmigung. Offensichtlich konnte man sich keine andere Lösung vorstellen, um den Verfall dieses Baujuwels in äußerst sensibler innerstädtischer Lage zu stoppen. Die Probebühne wurde, als Betonbunker hochgezogen, nun zum eigentlichen Schandfleck. Die Ausbaupläne des Bauträgers wurden erst durch eine Anzeige zu den Vergabemodalitäten der Stadt als Miteigentümerin gestoppt, die von Altstadtschützern in Brüssel eingebracht wurde, möglicherweise aber auch, weil sich für ein Luxushotel kein Betreiber fand. Was folgte, war jahrelanger Stillstand, bis Acoton, vermutlich auf Druck der Stadt, 2009 erneut einen Wettbewerb zum Ausbau der Thalia ausschrieb – diesmal für ein Fitnesscenter, dessen Mieter man schon an der Hand hatte. Gewinner dieser Neuauflage der gewerblichen Nutzung, die neben Räumlichkeiten zur umfassenden Körperertüchtigung samt Pool auch weitere 600 Quadratmeter für die Vereinigten Bühnen vorsah, waren Franz Sam und Irene Ott-Reinisch aus Wien, die den Planungsauftrag bis zur Baueinreichung erhielten (Ausführungsplanung Guido Stohecker, Graz). Ihr Konzept sah vor, den heterogenen Bestand durch ein Volumen zusammenzufassen, das sich wie ein Kragen über die Traufkanten der aneinandergereihten Bauten aus unterschiedlichen Bauphasen legt und den Bühnenturm einrahmt.

Die Außenhaut der Tragstruktur aus Stahlträgern, türkisfarbiges Lochblech, wird nur an einer Stelle bis auf Gehsteigniveau gezogen – zur Betonung des neuen Eingangs. Einen eigenständigen Baukörper zu entwickeln, der sich in Farbe und Materialität auffällig vom Bestand abhebt und diesen dennoch zusammenfasst, war wohl die einzig richtige Antwort auf die Aufgabenstellung. Dass der Innenausbau des Fitnessstudios, das durch offen geführte Leitungen und Klimakanäle ziemlich billig wirkt, kann nicht den Entwurfsarchitekten angelastet werden. Man könnte über sehr geringe Raumhöhen in einigen Bereichen des Dachaufbaus diskutieren, die vermutlich der Auflage geschuldet sind, die neue Kubatur so niedrig wie möglich zu halten, oder über die abweichend vom Wettbewerb realisierte, an manchen Stellen doch eher willkürlich wirkende Anordnung und Form der Lichtschlitze und Fensteröffnungen.

Doch halt! Ist es überhaupt angemessen, bei einem Objekt in so prominenter innerstädtischer Lage die Detailqualität der Architektur zu thematisieren? Sind es nicht ganz andere Fragen, die sich die Stadt als Initiatorin dieses Bauvorhabens nach der jahrzehntelangen unrühmlichen Planungs- und Baugeschichte stellen müsste? Erhebliche Kosten für die Miteigentumsanteile sind zu verbuchen, Einnahmen werden aufgrund einer 2010 beschlossenen Verlängerung des Baurechtsvertrags um zehn Jahre entfallen, und eine Haftungsübernahme von 18 Millionen Euro birgt ein nicht unerhebliches Risiko für die Stadt in sich. Ab einem bestimmten Punkt gab es offensichtlich kein Zurück mehr.

Zur Klarstellung: Dies ist keine Kritik am neu aufgesetzten Bauwerk, sondern eine an der Art der Nutzung bester innerstädtischer Lage. Die Räumlichkeiten des ehemaligen Tanzcafés stehen fast immer leer. Wo früher Urbanität und städtisches Ambiente herrschten, macht sich heute auf Straßen- und Flanierniveau ein massives Unding für einen „Discostadl“ breit, und in bester Aussichtslage findet sich ein Fitnessclub, der in seiner angesagten Exklusivität kein Dienst am Gemeinwohl der Stadtbewohner sein kann.

Am Beispiel Thalia ist Stadtumbau als Unfall passiert: ohne Programmatik, ohnesolides Entwicklungskonzept und Steuerung nicht im Interesse einer gedeihlichen Stadtentwicklung. Bestenfalls könnte daraus etwasgelernt werden – oder nicht?

Spectrum, Sa., 2013.11.02

07. September 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Die Schönheit des Rauen

Lina Bo Bardis primäres Interesse galt dem Prozess der Entstehung eines Gebäudes und der Aneignung und Bespielung durch die Menschen. Am schönsten zeigt sich das am Sozial- und Kulturzentrum SESC Pompéia. Ein Besuch in São Paulo.

Lina Bo Bardis primäres Interesse galt dem Prozess der Entstehung eines Gebäudes und der Aneignung und Bespielung durch die Menschen. Am schönsten zeigt sich das am Sozial- und Kulturzentrum SESC Pompéia. Ein Besuch in São Paulo.

Brasilien! Sehnsuchtsland aller, die in Brasilia die am Reißbrett entworfene Vision einer modernen Stadt und eine Architektur der Moderne erkunden wollen, die von Zwängen aller Art frei zu sein scheint. Ihr alles überstrahlender, aber auch alles dominierender Mittelpunkt: die vielen öffentlichen Bauten, die Oscar Niemeyer in mehr als sieben Jahrzehnten unter wechselnden Regierungen, selbst während der Militärdiktatur, realisieren konnte. Brasilianische Architekten wie Paulo Mendes da Rocha, Alfonso Reidy oder Roberto Burle Marx standen lange Zeit im Schatten der Architektur Niemeyers mit ihrem Reichtum an plastischer Formenschönheit. Heute ist ihr Beitrag zur brasilianischen Moderne international bekannt.

Und dann ist da noch Lina Bo Bardi. Für die 1946 aus Italien nach São Paulo eingewanderte Architektin wurde Brasilien rasch zur ersten Heimat, in der sie bis zu ihrem Tod 1992 Häuser und Möbel entwarf, Ausstellungen kuratierte und sogar Museumsdirektorin war. Ihr wunderbar facettenreiches, wenn auch relativ schmales Werk erhält erst jetzt langsam Aufmerksamkeit und den internationalen Stellenwert, der ihm angemessen ist (das AZW zeigte ab Mai 2013, nach der British Council Gallery in London, die Ausstellung „Lina Bo Bardi: Together“). Dass ihre Bekanntheit geringer ist als die ihrer männlichen Kollegen im Land hat wohl mehrere Gründe. Mag sein, wie Publizisten meinen, weil man sie nicht als reine Vertreterin der Moderne einordnen kann. In ihre Arbeit fließt immer wieder ihre Passion für traditionelle brasilianische Kulturen ein, und der Kontext zu Ort und lokaler Geschichte bleibt wichtig. Dem Anspruch des internationalen Stils, ein weltumspannendes gesellschaftliches Modell des Bauens zu sein, kann sie nichts abgewinnen. Andererseits hat Lina Bo Bardi zu ihrer Bekanntheit selbst nicht viel beigetragen. Sie war nicht interessiert an der Publikation ihrer Werke. Ihr primäres Interesse galt dem Prozess der Entstehung eines Gebäudes und der Aneignung und Bespielung durch die Menschen, die es nützen.

Am schönsten zeigt sich das am Sozial- und Kulturzentrum SESC Pompéia in São Paulo, das neben dem MASP, dem Museu de Arte de São Paulo, das wohl wichtigste Bauwerk der Architektin ist. Im Arbeiterviertel Palmeira sollte Bo Bardi 1977 auf dem Gelände einer geschlossenen Fassfabrik, die zum Abriss bestimmt war, ein Sport- und Freizeitzentrum entwerfen. Mit dem Auftrag betraut, ist ihre erste Tat, sich vehement dafür einzusetzen, die Fabriksgebäude als Zeichen einer bei den Bewohnern noch präsenten Vergangenheit zu erhalten. Was heute gang und gäbe ist, war damals unbekannt und ungewöhnlich – ein Experiment. Es gelingt ihr zu überzeugen.

Bo Bardis Eingriffe sind sparsam: Sie stellt die Hallenkonstruktionen frei, öffnet Dächer mit Glas, baut, wenn nötig, einfache Galerien und Podien oder Kojen in Beton einund lässt einen Steinboden verlegen, wie man ihn von städtischen Plätzen kennt. Sie bereichert die Hallen mit kompakter Möblierung, einer großen Feuerstelle und einem mäandernden Wasserlauf, der die funktionelle Strenge der Hallenbauten ebenso heiterbricht wie das Rot, das sich an unterschiedlichsten Gebäudeteilen überall auf dem Areal wiederfindet. Alle Hallen sind offen undfrei zugänglich. Es werden Kurse zur kreativen Gestaltung abgehalten, es gibt ein Theater, Werkstätten, Ausstellungsräume, eine gutbesuchte Bibliothek und eine konkurrenzlos günstige Kantine.

In einem zweiten Bauabschnitt setzt die Architektin, neben überdachten und offenen Platzräumen und einer alles verbindenden Gasse, am Rande des dorfartigen Ensembles aus Backstein ein starkes Zeichen. Sie lässt drei Türme aus rauem Beton bauen – einen Wasserturm und zwei zueinander verdrehte hohe Bauten für sportliche Aktivitäten. In einem stapelt sie eine Schwimmhalle und vier Sportfelder übereinander und verbindet sie über Brücken mit dem anderen, der die Erschließung und Umkleiden enthält. Steht man davor, beeindruckt die Monumentalität des Komplexes. Er ist einfach und rau, wie Industriebau; dabei gut proportioniert und mit sparsam gesetzten, amöbenartigen Fensteröffnungen aufgelockert, aber so massiv und trutzig gebaut, so als wollte die Architektin verhindern, dass man ihn später abreißen kann.

Schönheit und Ästhetik waren für Bo Bardi kein Selbstzweck. Selbst der Moment der architektonischen Perfektion eines Bauwerks im Augenblick seiner Fertigstellung, jungfräulich, wie Architektur immer noch meist fotografiert wird, interessierte sie angeblich kaum. Es ist verbrieft, dass sie nicht nur in der Bauzeit vor Ort arbeitete, sondern auch danach Kunstschauen initiierte und gestaltete. Die Ausstellung im AZW, die das programmatische „together“ im Titel trägt, zeigte in filmischen Sequenzen das SESC Pompéia im Gebrauch und verdeutlichte,worum es der Frau, die als stark, brillant und streitbar beschrieben wird, ging. Sie sah die Menschen im Mittelpunkt ihrer Architektur und wollte ihnen etwas zur Verfügung stellen, das ihr Leben bereichert. Was oft nur Phrase oder nicht eingelöster Anspruch ist, kann in diesem Zentrum, das von der brasilianischen Organiation SESC, dem sozialen Dienst des Handels, über eine obligatorischeHandelsabgabe finanziert wird, in der Alltagsrealität erlebt werden.

Samstag mittags, Scharen von Besuchern, alle Türen stehen offen. Männer spielen Schach, Jugendliche Basketball oder Fußball, man sonnt sich auf dem „Beach“ genannten Holzsteg oder meldet sich mit einem symbolischen Betrag für Kurse an, liest oder kauft Essensmarken. Kunst wird nicht nur ausgestellt (Olafur Eliasson war 2011 dort), sondern auch produziert – ganz im Sinne der Kunst liebenden Bo Bardi.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Bedeutung ihrer kraftvollen Architektur gerade jetzt erkannt wird. Ihre Bauten sind nicht nur von konzeptuellem Denken, sondern auch von sozialen Überzeugungen geprägt. Sie schaffen Raum, der offen ist für Überraschendes, nicht Vorhersehbares. Raum, der sich allen Nutzern öffnet, unabhängig von Alter, Stand und Einkommen. Im SESC Pompéia ist es Raum für die seltene Koexistenz von Kunst und Kunstgewerbe, Sport und Hochkultur, Wissensdurst und Nichtstun. Öffentlicher Raum.

Spectrum, Sa., 2013.09.07

17. August 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Wem gehört die Stadt?

Es beginnt im Kleinen – doch was passiert, wenn der Trend zur Privatisierung des städtischen Raums weitergeht? Am Beispiel von Graz.

Es beginnt im Kleinen – doch was passiert, wenn der Trend zur Privatisierung des städtischen Raums weitergeht? Am Beispiel von Graz.

Soll die Rede sein von der Stadt, so stellt sich vorweg die Frage, was Stadt eigentlich ist und was sie ausmacht. Reden wir alle vom selben, wenn wir von „der Stadt“ sprechen? Eine allgemein gültige Definition von Stadt gibt es nicht. Wie auch, wird der komplexe Organismus Stadt doch einem steten Transformationsprozess unterzogen und außerdem von den verschiedenen Akteuren der Stadt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln wahrgenommen. Als kleinster gemeinsamer Nenner für den Begriff können Dichte, Diversität und gemeinsamer Raum stehen.

Für den Soziologen Richard Sennett ist die Stadt „eine Siedlungsform, die die Begegnung einander fremder Menschen wahrscheinlich macht“. Diese ist demnach der Ort der Sozialisation, an dem Menschen das Fremde und andere kennen und tolerieren lernen. Auf lange Sicht gesehen gelingt dies allerdings nur, wenn jeder Raum bekommt, und Segregation nicht stattfindet. Was in Urlaubsdestinationen unser Interesse findet, sollten wir auch zu Hause in Kauf nehmen, denn wir wissen: Öffentliche Räume erzeugen nicht per se Urbanität, sondern sind nur dann vitale Orte der Begegnung, wenn sie von allen Gruppen einer Stadtgesellschaft in Gebrauch genommen werden können. Klar, dass damit Konfliktpotenzial gegeben ist.

Städte, die sich im Vergleich zu anderen profilieren und ihren Werbewert steigern wollen, die teures Stadtmarketing betreiben, um „marktgerecht“ zu agieren und Investoren anzuziehen, scheuen solche Konflikte jedoch wie der Teufel das Weihwasser. Der umfassenden ökonomischen Verwertung, Kommerzialisierung und Privatisierung des städtischen Raums sind demnach sowohl Randgruppen im Weg wie auch „Leerstellen“ im Stadtraum, die keiner Verwertungslogik folgen.

Graz, die schöne Südliche, die von Jahr zu Jahr mehr Touristen anzieht und seit geraumer Zeit auch wieder wächst, ist ein Beispiel solcher Bestrebungen und unterscheidet sich damit nicht von Entwicklungen anderer europäischer Städte mit ähnlicher Attraktivität. Die Stadt wird „herausgeputzt“ – zentrale Gebiete werden saniert, umgebaut und im Sinne städtischer Verdichtung mit Neuem aufgefüllt und überbaut. Nicht immer geschieht dies im Interesse der Stadt und ihrer Bewohner, wenn man darin alle, deren Lebensraum die Stadt ist, einschließt.

An Beispielen mangelt es nicht. Wenn sich ein renommiertes Schuhgeschäft in der Herrengasse ein neues Outfit gibt und der umgebaute Laden den zuvor intensiv öffentlich genützten Durchgang zum dahinter liegenden Färberplatz als Geschäftsfläche inhaliert, so stellt dies eine Einschränkung freier Bewegung dar, auch wenn der Durchgang als private Fläche nur eine jahrzehntelang ersessene Dienstbarkeit war. Dasselbe gilt für das größte Warenhaus der Innenstadt. Wo früher eine öffentliche Passage eine verkehrsberuhigte Abkürzung von der Sackstraße in die Murgasse ermöglichte, müsste sich der Flaneur heute zwischen Pulten und Regalen mit Waren durchschlängeln, wollte er diesen Weg weiterhin nehmen. Die Absicht ist deutlich. Nur der Konsument ist als Passant erwünscht. Genau dieser ökonomischen Handlungslogik entspricht eine absurde, inzwischen wieder zurückgenommene Maßnahme des Grazer Bürgermeisters, der das zentrale Brunnendenkmal auf dem Grazer Hauptplatz mit Büschen in Töpfen umzäunen ließ, damit sich Trinker und Obdachlose nicht niederlassen können. Der Konsum von Alkohol ist auf diesem Platz per Verordnung verboten, allerdings nur, solange nicht Megaevents wieder jährliche Adventmarkt und das „Aufsteirern“-Fest stattfinden, das die Innenstadt für ein Wochenende im September für viele ohnehin lärmgeplagte Bewohner zur exterritorialen Zone werden lässt.

Konsumfreie öffentliche Räume hingegen sind rar und werden weiter beschnitten. Zurzeit denkt der Bürgermeister laut über eine „bessere“ Nutzung des Forum Stadtpark nach, dem er im Erdgeschoß ein Café verordnen will. Mag sein, dass die Aktivitäten und der kreative Output dieser international renommierten Institution derzeit (wie übrigens auch in früheren Zeiten) weder mehrheitsfähig noch für die Masse anziehend sind. Dies mit der Beschneidung des Freiraums zur künstlerischen Entfaltung zu beantworten ist unakzeptabel und einer Stadt nicht würdig, die sich rühmt, Brennpunkt einer kreativen Szene zu sein.

Will eine Stadt lebenswert für viele bleiben und soziale Konflikte im Zaum halten, so ist sie nicht nur gut beraten, öffentlichen Raum nicht nach ökonomischen Kriterien zu bewerten und ausreichend, ja, verschwenderisch viel davon bereitzustellen, sie tut auch gut daran, diesen sorgfältig zu planen und bewohnbar zu machen. Öffentliche Räume und Allgemeinflächen sind oft nicht mehr als Restflächen mit undifferenzierter Textur. Sensibel ausgelotete Abstände und Übergänge zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen lassen sie ebenso vermissen wie Aufenthaltsqualität.

Direkt am Grazer Stadtpark, wird seit Kurzem auf einem der letzten größeren Areale der Altstadt ein Wohnprojekt realisiert. Ein erheblicher Teil der Wohnungen, die mit ruhiger Lage und der Attraktion des angrenzenden Parks beworben werden, ist im Luxussegment angesiedelt. Teil der Wettbewerbsvorgaben war, einen Übergang vom Karmeliterplatz in den Stadtpark vorzusehen. Dieser wird auch gebaut werden, nur wie! Drei Baukörper erheben sich über einem bauplatzgroßen Sockel, der über der schon jetzt bestehenden öffentlichen Tiefgarage eine Garage für die Bewohner enthalten wird. Mit dieser Maßnahme wird eine geschoßhohe Barriere zum Platz errichtet. Wer künftig, etwa vom Hauptplatz kommend, den kurzen Weg über das „Pfauengartenareal“ in den Park wählt, muss erst einmal dieses Plateau erklimmen, um dann auf der anderen Seite nicht nur die Höhe der historischen Stadtmauer hinabzusteigen, sondern auch ein zusätzliches Geschoß. Nach derzeitigem Stand wird der Weg des Flaneurs an Büros und geschlossenen Fassaden entlangführen, da öffentliche Erdgeschoßzonen in den drei Baukörpern nicht vorgesehen sind. Ist das attraktiver, öffentlich genutzter Raum? Zukünftige Szenarien der Durchquerung lassen sich schon jetzt erahnen, denn wer so teuren Wohnraum kauft, glaubt, damit auch das Recht auf die in der Bewerbung versprochene Ruhe zu kaufen.

Öffentliche Räume tragen erheblich zu einem funktionierenden Gemeinwesen bei. Ihre umsichtige, sorgfältige Gestaltung und Pflege ist daher nicht nur eine städtebauliche, sondern auch eine politische Aufgabe, die immer im Sinne des Gemeinwohls bewältigt werden muss. Am genannten Beispiel kann dies gar nicht gelingen, und die Schwächeren werden zurückgedrängt werden. Dabei ist nicht den Investoren ein Vorwurf zu machen, sondern jenen, die den politischen Kraftakt zu entsprechenden, die Totalvermarktung der Stadt verhindernden Prinzipien und Vorgaben in der Stadtplanung als nicht notwendig erachten.

Spectrum, Sa., 2013.08.17

13. Juli 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Das Rad– ein Haus

Sie sind unter uns!“ – Nein, das neue Kulturzentrum im slowenischen Dorf Vitanje beherbergt keine Aliens, sondern hat die „Kulturisation“ des Weltraums im Sinn. Ein architektonisches Erlebnis der anderen Art.

Sie sind unter uns!“ – Nein, das neue Kulturzentrum im slowenischen Dorf Vitanje beherbergt keine Aliens, sondern hat die „Kulturisation“ des Weltraums im Sinn. Ein architektonisches Erlebnis der anderen Art.

Zugegeben, es gäbe Dringlicheres zu beschreiben. Selbst die Krise konnte das Baugeschehen nicht in ein Sommerloch stürzen. Berichte stünden an: von geplanten Investorenprojekten an höchst sensiblen innerstädtischen Plätzen in Graz, die dem öffentlichen Raum die kalte Schulter zeigen werden – geschlossene Fassaden, privatisierte Erdgeschoßzonen, vom Boom der baulichen Verdichtung zentraler Flächen mit Mittelmaß und Wenigem, das darüber hinaus ragt. Zu erzählen wäre vom zarten Sprießen kleiner, feiner Beherbergungsbetriebe im südsteirischen Weinland. Doch davon ein andermal.

Wovon heute berichtet wird, verlangt dem Leser Ausflugslaune ab, will er diesen Ort und seine neue Attraktion erkunden. Wir fahren in das slowenische Dorf Vitanje, südwestlich von Maribor am Fuß des Bacherngebirges. Dort ist neben Kuhweiden und Streuobstwiesen, zwischen Bach, Fußballplatz und Dorfstraße ein Fremdkörper gelandet – Landnahme eines Raumschiffs oder eines Unbekannten-Flug-Objekts?

Selbst wenn man von dem außergewöhnlichen Bauwerk, das sich „Cultural Center of European Space Technologies“ nennt, schon gehört oder gelesen hat, ist man vor Ort erstaunt ob seiner Größe, die sich gar nicht einfügen will in die kleinteilige dörfliche Bebauung, sondern sich selbstbewusst und singulär positioniert wie die Kirche oben auf dem Hügel und die gotische Peter und Paul-Kirche – drei Orte, die ein unsichtbares Dreieck aufspannen.

Tatsächlich ist es die gebaute Vision zweier kreativer Köpfe, des Designers Miha Turšič, der heute Direktor des Zentrums, ist und des slowenischen Theatermachers Dragan Živadinov, der sich seit 20 Jahren intensiv mit dem heimatlich mit Vitanje verbundenen, 1892 in Pula geborenen Raumfahrtpionier Herman Potočnik und seinen Visionen von der bemannten Fahrt ins All beschäftigt. Seine überraschend umfassend und konkret durchdachten und illustrierten Vorstellungen fasste dieser im Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums“ zusammen, das 1928 unter dem Pseudonym Hermann Noordung veröffentlicht wurde. In Jahr darauf starb der Wissenschaftler verarmt in Wien, seine Ideen wirken jedoch bis heute nach. Das Prinzip heute üblicher geostationärer Satelliten baut darauf auf. Wernher von Braun hat sich in seiner Arbeit auf ihn berufen. Der erste Satellit auf einer geostationären Umlaufbahn wurde 1964 exakt in jene Position gebracht, die Potočnik errechnet hatte. Die Raumstation in Stanley Kubricks Film „2001 – A Space Odyssee“, der auf einem Roman des technisch versierten Science-Fiction-Autors Arthur C. Clarke beruht, ähnelt eindeutig dem „Bewohnbaren Rad“, der ringförmigen Noordung'schen Raumstation mit einem Durchmesser von 30 Metern, die der friedlichen Erforschung des Weltraums dienen sollte.

Potočnik macht sich über die möglichen Seelenzustände von Raumfahrern in der Schwerelosigkeit Gedanken und warnt vor der Gefahr, dass Raumfahrt und Raketentechnologie für militärische Zwecke missbraucht werden. In diesem Wertebild sieht Živadinov, die treibende Kraft der Realisierung, ein geeignetes Vorbild für die Einrichtung einer Institution, die Forschung und Kunst verbinden, Wissenschaftler und Künstler zusammenbringen will – ein Programm zur „Kulturisation“ des Weltraums. In jahrelanger Überzeugungsarbeit gelang es den beiden, für das Vorhaben die Gemeinde und ihre Bewohner, die Republik Slowenien sowie die EU, die das 2,8 Millionen teure Gebäude maßgeblich mitfinanzierte, zu gewinnen. Das Kulturzentrum, in der slowenischen Kurzform KSEVT, will ein Generator von sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten sein. Es soll permanente und wechselnde Ausstellungen beherbergen, Ort für Symposien und Forschungsort für Studierende sein.

Auch die architektonische Entstehungsgeschichte des Gebäudes ist ungewöhnlich. Bevk Perovic, Dekleva Gregoric, OFIS und Sadar Vuga wurden ursprünglich zu einem Wettbewerb eingeladen, doch die vier international bekanntesten slowenischen Architekturbüros verweigerten zu konkurrieren und schlugen stattdessen vor zu kooperieren. Und tatsächlich wurde das Bauwerk in zahlreichen Workshops und Sitzungen vom Entwurfskonzept bis zur Ausführungsplanung gemeinsam entwickelt. Seiner Erscheinungsform ist unschwer abzulesen, dass sie von Potočniks Wohnrad der geostationären Raumstation inspiriert wurde. In einem kreisrunden Grundriss formt eine sich im Anstieg aufweitende Rampe die Ausstellungsfläche und zugleich den äußeren Ring um eine ebenfalls ringförmige, schmale Funktionseinheit, in der die Treppen, der Lift und Nebenräume zwischen zylindrischen Sichtbetonwänden verschwinden. Diese wiederum umfassen eine zentrale Halle, in der die Musikschule auftritt und Bälle und Konferenzen stattfinden.

Ins Dreidimensionale eines Gebäudes übersetzt, wird die Entwurfsidee zum komplexen räumlichen Gebilde aus zwei Zylindern, deren äußerer schräg über den inneren gestülpt ist. Steht man auf dem Vorplatz, entsteht im Kopf des Betrachters eine Rotationsdynamik, die durch einen äußersten, gegengleich geführten Ring verstärkt wird. Hinter einer aluminiumblechverkleideten Brüstung verbirgt sich der Abgang von der begehbaren Dachlandschaft, die als Ausstellungsfläche einbezogen werden kann.

In seiner ersten Ausstellung „100 monumentale Einflüsse“ stellt das KSEVT derzeit das visionäre Werk des vergessenen Visionärs Herman Potočnik Noordung in den Rahmen der Entstehungsgeschichte der Raumfahrttechnik bis heute – vom Direktor Miha Turšič als Designer sehr anschaulich und ästhetisch in Szene gesetzt. Ein weiteres Ergebnis der Suche nach Identität des jungen Staates wird eine Präsentation von großen slowenischen Köpfen sein.

Eine Veranstaltungsstruktur findet sich in dem im September 2012 eröffneten Haus noch nicht. Man würde sich wünschen, dass es sich tatsächlich zum Dampfkessel für neue Ideen einer fruchtbaren Verbindung von Wissenschaft und künstlerischer Tätigkeit entwickelt, dass es von den Bewohnern von Vitanje intensiv genützt wird und dass es zwar grenzenlos produktiv, im ökonomischen Sinn jedoch herrlich uneffizient existieren darf, ohne Schielen auf Besucherzahlen, Quote und Amortisation. Ein Gegenpol zu all der Investorenarchitektur, die uns glauben macht, dass das Ergebnis visionären Denkens Profitmaximierung ist.

Spectrum, Sa., 2013.07.13

27. April 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Oslo goes global

Norwegen ist mehr als unberührte Landschaft – vor allem die Ölindustrie floriert. Um sich international besser zu positionieren, wurde 2008 ein Umbau von Oslo gestartet. Das kann einmal gut und einmal weniger gut aussehen.

Norwegen ist mehr als unberührte Landschaft – vor allem die Ölindustrie floriert. Um sich international besser zu positionieren, wurde 2008 ein Umbau von Oslo gestartet. Das kann einmal gut und einmal weniger gut aussehen.

Der Kandidat der Millionenshow zögert keine Sekunde. Seinen Gewinn würde er in ein Ferienhaus in Norwegen investieren, in der unberührten Landschaft der Hochebene zwischen Oslo und Bergen. Hierzulande wird Norwegen erst mal mit Natur assoziiert: mit glasklarem Wasser, tief eingeschnittenen Fjorden und Gebirgsketten, die das Land von Nord nach Süd durchziehen. Weder die Ölförderung noch der Walfang kann an Norwegens Image rütteln. Tatsächlich ist das Land dünn besiedelt, und 75% der Bevölkerung konzentrieren sich in städtischen Zentren im Südteil des Landes. Oslo hat rund 610.000 Einwohner. Die weitreichend grüne Küstenlinie des Oslofjords, unzählige Seen im bewaldeten Hochland, das die City landwärts einrahmt, machen sie zur grünsten Hauptstadt Europas.

Auch nach der ersten enormen Wachstumsphase mit der einsetzenden Industrialisierung ab 1855, in der die damals Christiania genannte Hauptstadt von 35.000 auf 230.000 Bewohner anschwoll, ist die 1925 wieder in Oslo umbenannte Stadt bis 1960 kontinuierlich gewachsen. Dass die Stadt derzeit, trotz des Niedergangs der Schiffsbauindustrie, jährlich wieder um mehr als zwei Prozent wächst, ist Norwegens Reichtum durch das Öl geschuldet, der den Dienstleistungssektor stetig wachsen lässt. Auch deshalb startete die Kommune vor zehn Jahren die Planung für einen riesigen Stadtumbau. Mit „Fjordjbyen“, der Fjordstadt, wurde 2008 ein Regulierungsplan abgesegnet, der Oslos Wasserfront total umstrukturieren wird. Im Westteil wie im Osten der Stadt entstehen aufeiner Gesamtfläche von 225 Hektar derzeit neue Quartiere, wo bis vor Kurzem Containerhäfen, Lagerhallen und Werften den Zugang vom angrenzenden Stadtzentrum zum Hafengebiet und damit zum Wasser noch nahezu völlig abgeriegelt haben.

Jedes einzelne der dreizehn Projekte, die sich über eine Uferlänge von mehr als zehn Kilometern aneinanderreihen, soll als gemischtes Quartier mit Wohn- und Büronutzung, Geschäften und Freizeiteinrichtungen entwickelt werden, aufgelockert durch Gebäude mit kultureller Nutzung und verbunden durch eine attraktive, autofreie Uferpromenade. Ghettoisierung will man vermeiden. Am ersten, gerade fertiggestellten Projekt Tjuvholmen, früher ein Sperrgebiet, lässt sich dieser Anspruch überprüfen. Die immer wieder künstlich vergrößerte Halbinsel vor dem Viertel Aker Brygge, in den 1990ern im Stil der Londoner Docklands transformiert, wurde von der Stadt nach dem Konzept eines übergeordneten Investorenwettbewerbs parzelliert und verkauft. Heute flaniert man entlang einer Magistrale mit bis zu achtgeschoßiger Bebauung, die in den Erdgeschoßzonen Urbanität mit Cafés, Geschäften und Restaurants herzustellen versucht und auf Vielfalt durch die Addition von Einzelentwürfen setzt. Ein Kanal durchzieht das Quartier, man passiert ein Hotel und Wohnbauten, in denen möglichst viele der Wohnungen verkaufsfördernd mit Meerblick ausgestattet sind, ehe man an die offene Wasserfront gelangt.

Dort bilden ein marmorverkleideter Luxuswohnbau und Renzo Pianos Kunstmuseum für die bedeutende private Astrup Fearnley Collection den grün umrahmten Abschluss einer durchaus ambitionierten Investorenarchitektur, die selbst das Museum in einen kommerziellen Trakt mit Büroflächen und zwei museal genützte Gebäude teilt. Ensemblewirkung soll durch die riesigen, miteinander verbundenen gläsernen Dachsegel entstehen. Das große Plus: Autos bleiben im gesamten Areal weitgehend ausgesperrt, Straßen und Kais sind in der warmen Jahreszeit attraktive Freiräume. Eine gezielte Aufwertung braucht der einst vernachlässigte, von Industrieanlagen stark kontaminierte östliche Stadtteil Bjørvika nach dem Bau der Norwegischen Nationaloper von Snøhetta nicht mehr. Sie, die mit ihrer horizontalen Ausrichtung einen demokratischen Zugang zur Kultur für alle symbolisieren will, steht heute in jedem touristischen Prospekt an erster Stelle, ist jetzt schon der größte Anziehungspunkt des Viertels und wird das sicher auch nach dem gesamten Stadtumbau bleiben. Das riesige, mit weißem Carrara-Marmor belegte Bauwerk ist viel mehr als ein Produktions- und Aufführungsort von Oper und Ballett geworden – es ist eine von Besuchern belebte künstliche Landschaft, die bis ans Wasser reicht, Aussichtsplattform, Laufparcours, Treffpunkt und Rastplatz. Nur eines ist sie nicht: monumental.

Auch dieser Teil der Fjordcity, in dem Kulturbauten das Ufer dominieren sollen, ist weitgehend autofrei geplant. Für eine schwellenlose Verbindung mit der City hat man mit unvorstellbar großem technischem Aufwand eine Hauptverkehrsachse in einen Unterwassertunnel im Hafenbecken verlegt. Derzeit wird die alte Straße lärmend rückgebaut und eine Brückenabfahrt verlegt. Der dahinter liegende Zentralbahnhof soll bei laufendem Betrieb in den nächsten zehn Jahren nach einem siegreichen Entwurf des international besetzten norwegischen Architekturbüros Space Group fast zur Gänze erneuert werden. Mit verdoppeltem Volumen wird er Büroflächen, ein Konferenzhotel und eine Shoppingmall enthalten.

Zwischen den Bahngleisen und der Wasserfront, schräg hinter der Oper, wird gerade ein Projekt fertiggestellt, das dem per Zug Ankommenden sogleich ins Auge sticht: Barcode nennt sich der Büro- und Wohnkomplex aus mehreren tiefen, dicht nebeneinander stehenden Hochhäusern nach einem Masterplan, den MVRDV mit dem norwegischen Büro a-lab und Dark Architekten entwickelt hat. Finanzdienstleister und Unternehmensberater wie PricewaterhouseCoopers sind dort in den ersten acht Etagen vertreten, darüber wird die Mischstruktur von Wohngeschoßen mit Terrassen und großzügigen, begrünten Einschnitten abgelöst. Auch Snøhetta hat hier ein Objekt geplant.

Mit Barcode wird Oslo endgültig global. Es könnte überall in der Welt stehen – nur hier, knapp hinter der Wasserfront, scheint es fehl am Platz. Trotz linearer Anordnung, die laut Baubeschreibung die Verbindung zwischen Fjord und Stadt unterstreichen soll, nimmt die dichte Bebauung nämlich dem dahinter liegenden, leicht ansteigenden Ostteil des Viertels Grünerløkka, das flach bebaut ist, den Blick zum Wasser. Selbst von den die Stadt einrahmenden Hügeln ist der Blick nun eingeschränkt, und so verwundert es nicht, dass sich gegen dieses Projekt riesige Proteste formierten, die augenscheinlich nicht gefruchtet haben. Es mag konservativ scheinen, diesem Beispiel einer auch in Oslo notwendigen Stadtverdichtung ablehnend gegenüberzustehen. Doch die Stadt ist weitgehend flach bebaut. Was Snøhetta bei der Oper bewusst berücksichtigt hatte, wird durch Barcode nun für viele ausgeblendet: der Horizont am Wasser. Die Bewohner der Luxuswohnungen, erste Reihe fußfrei, wird das kaum stören.

Spectrum, Sa., 2013.04.27

28. Februar 2013Karin Tschavgova
db

Wohlbefinden für alle

Statt ein im Quartier beliebtes Hallen- und Freibad von Grund auf zu sanieren, entschied sich die Stadt Graz für die wirtschaftlichere Variante eines Neubaus. Entstanden ist ein Sportbad mit Wellnessbereich, das sich sowohl durch ein komplexes Raumprogramm als auch durch seine leichte und lichtdurchflutete Atmosphäre auszeichnet. Die Besucher strömen aus allen Stadtteilen.

Statt ein im Quartier beliebtes Hallen- und Freibad von Grund auf zu sanieren, entschied sich die Stadt Graz für die wirtschaftlichere Variante eines Neubaus. Entstanden ist ein Sportbad mit Wellnessbereich, das sich sowohl durch ein komplexes Raumprogramm als auch durch seine leichte und lichtdurchflutete Atmosphäre auszeichnet. Die Besucher strömen aus allen Stadtteilen.

Es war lange bekannt: Hallenbad und Sauna der Badeanlage aus den 70er Jahren waren desolat, ihr Betrieb nur mit extrem hohen Kosten aufrechtzuerhalten. Ein umfassendes Sanierungskonzept erwies sich als zu teuer und nicht in allen Punkten umsetzbar. Die Verwirklichung eines Orts modernster Badefreuden im einst bedeutenden Arbeiterbezirk Eggenberg im Grazer Westen scheint uns heute folgerichtig, ist aber dennoch bemerkenswert, weil sie auch als Bekenntnis der Stadt gelesen werden kann, sich das kommunale Angebot an Freizeitgestaltung viel Geld kosten zu lassen. Von Anfang an wurden bei diesem Projekt »Nägel mit Köpfen« gemacht – die Stadt als Bauherr und die Freizeitbetriebe der Stadtwerke als Auftraggeber erarbeiteten gemeinsam ein ambitioniertes Programm, Kosten wurden annähernd richtig geschätzt (was heute nicht immer selbstverständlich ist) und ein zweistufiger, EU-weit offener Wettbewerb wurde ausgeschrieben. Wassersportverbände, Schulen und sportliche Einzelkämpfer sollten mit einem wettkampftauglichen 50-m-Becken im Hallenbad angezogen werden, Freunde von Dampfbad und Saunakultur mit einem »Update« des Angebots von der einfachen Sauna bis hin zum bestausgestatteten Wellnessbereich.

fasch&fuchs.architekten konnten den Wettbewerb für sich entscheiden. Hemma Fasch, Gründerin und Miteigentümerin des heute in Wien ansässigen Büros, ist selbst im Grazer Bezirk Eggenberg aufgewachsen. Ihr stadträumliches Konzept sah als eines von wenigen Projekten vor, das geforderte Bauvolumen an die straßenseitigen Grundstücksränder im Norden und Osten zu rücken, um den Becken und Liegewiesen des Freibereichs damit Abschluss und Intimität zu geben. Der langgestreckte, mehrfach sanft geknickte Baukörper formt eine Geste ausgebreiteter Arme und gibt sich damit einladend oder bergend – je nachdem, von welchem Standort aus man ihn betrachtet. Seine zum Straßenraum hin weitgehend geschlossene Fassade aus geschuppten Metallpaneelen in unterschiedlichen Blautönen unterstreicht die Schutzfunktion. In der Diktion der Architekten gleicht das Gebäude der geöffneten Schale einer Muschel: von einer Seite uneinsehbar und verschlossen, zur anderen – nach Süden und Westen hin – weit geöffnet, seinen Inhalt ins beste Licht gerückt. Und tatsächlich war die Metapher der Auster namensgebend.

Entkoppelt und verbunden zugleich

Die horizontale und vertikale Organisation der Grundrisse spiegelt die Zweigeteiltheit der Funktionen deutlich wider: Die beiden divergierenden Raumprogramme von Hallenbad und Spa sind kreuzungsfrei voneinander getrennt, aber so angeordnet, dass der Zugang zu beiden im Zentrum liegt und der Übergang von einem zum anderen möglich ist. So kann auch, wer den Wellnessbereich bucht, von dort über die Schwimmbad-Garderobe im UG direkt in die Schwimmhalle gelangen.

Zum Haupteingang an der Schnittstelle der beiden Funktionsbereiche führt ein deutlich ansteigender Vorplatz mit Wartebänken. Vor dem Besucher liegen die Kasse, dahinter das Selbstbedienungs-Restaurant mit dem direkten Durchgang zum Freibad für den Sommerbetrieb, seitlich der Zugang zum Wellnessbereich und der Abgang in die Garderoben für Individualschwimmer. Sportler erreichen ihre Umkleiden unter der Tribüne über einen gesonderten Zugang. Die Garderoben geben dem Besucher bereits eine treffliche Vorschau auf das, was ihn danach in der Schwimmhalle erwartet. Sie sind hell, fröhlich, übersichtlich und bis ins Detail mit erstaunlicher Sorgfalt gestaltet. Schließfächer wurden zu farbig fein nuancierten Blöcken mit siebbedruckten Glasflächen als Hülle zusammengefasst.

Eine Glaswand ermöglicht schon vom Foyer aus einen ersten Überblick über die beeindruckend große, bis zu 11 m hohe Schwimmhalle, die, als Volumen sanft ins Gelände modelliert, ein Geschoss tiefer erschlossen wird. Der Logik der klaren Trennung unterschiedlicher Bereiche folgt auch die vertikale Schichtung der Funktionen. Über dem Foyer wurde die Verwaltung positioniert – getrennt vom öffentlichen Bereich, jedoch über ein Atrium im Blickkontakt zum Geschehen am Eingang. Das Gesundheitszentrum für Massagen und Anwendungen wiederum bildet eine Funktionseinheit für sich, die zwar über dem Wellnessbereich liegt und von dessen Ruhezone aus zugänglich ist, jedoch auch einen eigenen Zugang von außen hat, der es vom Bade- und Saunabetrieb entkoppelt.

In der Grundrisskonzeption der einzelnen Bereiche folgen die Architekten einem Gestaltungsprinzip, das jede ihrer Arbeiten kennzeichnet: Offenheit, Transluzenz und Transparenz. Sie legen Raumfolgen mit visueller Durchlässigkeit an oder verbinden Bereiche zu einem fließenden Raumkontinuum und schaffen es, selbst die Grenze zwischen Innen- und Außenraum in eine kaum merkliche Trennlinie zu verwandeln.

Modelliertes Raumvolumen

Eine Spezialität von fasch&fuchs.architekten ist die Entwicklung der Gebäudequerschnitte, die man nicht besser als in den Worten des renommierten österreichischen Architekturpublizisten Otto Kapfinger beschreiben kann: »Sie entwerfen Gebäude wie Karosserien, wie kompakte Chassis für leichte Cabriolets, die ihre Sehnen und ihren Knochenbau spüren lassen, die sichtbar auf Sonne und Wetter, auf Stadt und Gelände reagieren können.«

Für ihre kompakten Gehäuse, die zugleich leicht und filigran wirken, entwickeln die Architekten mit Vorliebe Stahltragwerke – in langjähriger befruchtender Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern von werkraum wien. Das Primärtragwerk der Schwimmhalle besteht aus ebenen, geknickten Stahlfachwerkträgern im Abstand von etwas mehr als 10 m, das Dach über der Verteilerzone und dem Wellnesstrakt ist mit Formrohrträgern überspannt. Dem Grundriss des Gebäudes folgend variieren die Trägerspannweiten zwischen 40 m in der großen Halle und 10 m an seinem schmalen Ende, das mit einer Außensauna und dem Zugang zu den Tauchbecken im Saunagarten markiert ist. Straßenseitig lagern die Fachwerkträger auf stählernen Zweibeinen auf, während das Dach an der Gartenfassade, die sich nach Süden hin weit aufspreizt, von Pendelstützen getragen wird, die in ihrer Neigung dem Verlauf der Glasfront folgen. Die große Auskragung des Dachs ist nicht nur Schutz vor der hochstehenden Sommersonne, sie wirkt auch günstig auf das Verformungsverhalten der Struktur. Gedämmte Sandwichelemente zwischen den Trägern mit innen liegenden Rippen als Verstärkung und der für den Transport optimierten Breite von 290 cm bilden nicht nur die innere Schicht der Gebäudehülle, sondern wirken als konstruktiv aussteifende Scheiben.

Leichtigkeit und Farbe

In der Schwimmhalle und im Spa ist die weiß lasierte Dachuntersicht der modularen Elemente je nach Standort durch untergehängte Membranpaneele verdeckt, die – rautenförmig geknickt und mikroperforiert – nicht nur akustisch wirksam sind, sondern auch ein plastisches Bild ergeben. Über variantenreiche farbige Hinterleuchtung können so abends in der Halle abseits der Askese des Wettkampfs stimmungsvolle Szenarien erzeugt werden, die den sportlichen Aspekt des Schwimmens in den Hintergrund treten lassen. Darüber hinaus ist Farbe in der Möblierung der Schwimmhalle nur akzentuierend eingesetzt: bunte Sitzpolster auf der dunklen Tribüne, ein eigens entworfenes, gegossenes Sitz- und Liegemöbel und der Ton des Wassers im Stahlbecken sind Farbtupfer im sonst dominierenden strahlenden Weiß. Kleine Eingriffe wie die Beheizbarkeit der Tribünenstufen, die dadurch als Liegeflächen genutzt werden können, steigern den Komfort.

Der Wellnessbereich ist als organisch geformte offene Raumsequenz für 180 Personen ausgelegt. Trotz seiner beeindruckenden Größe sorgt die differenzierte Gestaltung der verschiedenen Bereiche von Aktivität
und Ruhe, von der Garderobe bis zur Außensauna, für die jeweils angemessene Atmosphäre und erweist sich tagsüber als ungewöhnlich lichtdurchflutet. Er wird beidseitig und von oben belichtet: partiell von der Straßenseite, wo stabförmig gedämmte Glaspaneele Einblicke verhindern, und von der verglasten Parkseite, wo der gut angenommenen Saunagarten durch eine Hecke und ein Höhensprung im Gelände vor Blicken aus dem Freibad geschützt ist. An dieser Wohlfühloase mit ihrer Abfolge von unterschiedlichen Becken, Saunen, Tepidarien, Liegeflächen und der ins Raumvolumen eingehängten Ruhezone zeigt sich die Leidenschaft der Architekten besonders gut, spannenden, vielgestaltig und abwechslungsreich modellierten Raum zu schaffen. Das Anthrazitgrau des Steinzeugbodens ist eine kluge, unverzichtbare Wahl. Es findet auch Verwendung an der Deckenuntersicht der niedrigeren Zone und der Oberfläche der Feuergrotte, die vom Innenbecken aus erkundet werden kann, und bildet die Klammer, die den überbordenden Farb-, Form- und Materialeindruck des ersten Blicks bändigt und Ruhe und Einheit zu vermitteln vermag.

Es wäre ein Missverständnis, aus den ungewöhnlichen Raumfiguren von fasch&fuchs.architekten abzuleiten, dass es ihre Intention ist, einen unverwechselbaren Personalstil zu kreieren oder in jedem Fall originell sein zu wollen. Wer ihre Bauten näherer Betrachtung unterzieht, wird erkennen, dass jedem Konzept die genaue Kenntnis und Analyse des Orts vorangeht. Dass geforderte Funktionen zwar streng hinterfragt und unorthodox interpretiert werden, aber Funktionalität immer ein wichtiger Parameter des Entwurfs bleibt. Mit dem erfreulichen Effekt, dass Bauherr und Auftraggeber des Grazer Bads mit sichtbarem Stolz und ohne Einschränkung von einem rundum gelungenen Bauwerk mit sehr guten Besucherzahlen sprechen, das mittels effizientem Haustechnik- und Energiekonzept im Betrieb kostensparender als das alte, kleinere Bad sein kann.

db, Do., 2013.02.28



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db 2013|03 Im Bade

09. Februar 2013Karin Tschavgova
Spectrum

Raus aus dem Korsett!

In puncto Baumaterialien hat sich viel getan: Der Holzbau befreit sich von seinem Nischendasein und ist in der Stadt angekommen. Blick auf einen prototypischen Büroturm in Dornbirn.

In puncto Baumaterialien hat sich viel getan: Der Holzbau befreit sich von seinem Nischendasein und ist in der Stadt angekommen. Blick auf einen prototypischen Büroturm in Dornbirn.

Die gute Nachricht: aus Zuschreibungen, die ihn früher wie ein Korsett einschränkten, hat der Holzbau sich endgültig selbst befreit. Nicht länger haftet dem Material Holz das Image an, exklusiv den alpinen Baustil zu vertreten, womit meist die auf sinnentleerte, platte Bilder reduzierte Tradition des bäuerlichen Bauens gemeint war, noch wird der Holzbau heute mit dem Behelfsmäßigen, Temporären und Billigen der Baracke aus der Nachkriegszeit assoziiert. Dass sich das Bauen mit Holz im letzten Jahrzehnt vom Zimmermannshandwerk hin zu einer systematisierten, mit industrieller Fertigung vergleichbaren Methode des Bauens entwickelt hat, ist auch außerhalb von Vorarlberg, das die Vorreiterstellung im modernen österreichischen Holzbau innehat, allgemein bekannt. Technische Innovation basiert im Wesentlichen auf drei Neuerungen: der Entwicklung von belastbaren, leicht zu bearbeitenden Holzwerkstoffen und Fertigungstechniken, die Produktionsabläufe rationalisieren, und dem Einsatz von EDV-gesteuerten Maschinen, die auch komplexe Konstruktionen wirtschaftlich fertigen können.

Es hat sich viel bewegt. Der Holzbau ist in der Stadt angekommen, und das ist nicht einmal überraschend, wenn man bedenkt, wie gut sich die Vorzüge des Materials für urbane Nachverdichtung, also für Aufstockung, Dachausbau und Sanierung, eignen. Zudem wurde in einem Forschungsprojekt an der Entwicklung eines bis zu 20-geschoßigen, energieeffizienten Hochhauses im Baukastensystem gearbeitet, um der Konkurrenz des Massivbaus etwas entgegensetzen zu können. Problemfelder wie Steifigkeit, Schallschutz oder Schallentkoppelung und der Brandschutz addieren sich dabei proportional zur Anzahl der Geschoße. Die Brandschutzbestimmungen der Länder limitieren die Höhe der Bauten, und so sind gebaute Beispiele von Hochhäusern noch so rar, dass jedes einzelne wie ein Star in den Medien präsentiert wird – der Murray Grove Tower in London, ein neun Geschoße hoher Wohnblock mit in Österreich vorgefertigten Elementen; das siebengeschoßige Wohnhaus einer Baugruppe am Berliner Prenzlauer Berg oder der acht Etagen hohe LifeCycle Tower (LCT) One, ein Büroturm in Dornbirn, der mit 27 Meter Höhe knapp unter der Hochhausgrenze blieb. Streng genommen sind sie alle Mischbauten, wenn auch mit hohem Anteil an konstruktiv eingesetzten Holzwerkstoffen. Sockelgeschoße, Haustechnikschächte und Erschließungskerne aus Stahlbeton als brandsichere Fluchtwege übernehmen dabei jene Aufgaben, die der reine Holzbau nicht oder nur mit großem Aufwand leisten kann.

Der Anspruch der Entwickler des LCT One, Architekt Hermann Kaufmann als Holzbauspezialist und der Vorarlberger Bauunternehmer Hubert Rhomberg als Investor, ging noch einen Schritt weiter. Das „One“ im Namen des Bauwerks verrät es: Dieses Gebäude, in das Forschungs- und Fördermittel geflossen sind, ist der Prototyp einer Holzfertigteil-Systembauweise, die in Zukunft erfolgreich vermarktet werden soll. Dabei produziert die eigens dafür gegründete Firma nicht selbst, sondern berät mit ihrem Know-how, übernimmt die Planung oder tritt als Generalplaner auf. Die Module des Systems, etwa die Hybriddeckenelemente im Holz-Betonverbund, sollen von regionalen Unternehmen vorgefertigt werden.

Die Industrialisierung der Fertigungsprozesse, die darauf abzielt, das Bauen mit Holz auf eine vergleichbare Kostenebene mit Massivbauweisen zu bringen, könnte ein Schritt zur Durchsetzung des Holzbaus im urbanen Raum sein, wo sein Anteil am gesamten Bauvolumen derzeit noch verschwindend gering ist. Während einige Fachleute der Meinung sind, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich Holz im Hochbau der Stadt durchsetzen kann, verweisen andere wie der Architekt Wolfgang Pöschl auf die Gefahr, um jeden Preis an die Grenzen der Anwendung zu gehen. Er plädiert dafür, sich bei jeder Verwendung von Holz die Frage zu stellen, was das Material in diesem Zusammenhang besser kann als andere. Natürliche Stärken von Holz wie seine sinnlichen, atmosphärischen Qualitäten sieht Pöschl gefährdet, wenn etwa extreme Anforderungen verlangen, dass konstruktive Teile in Holz geschützt und damit unsichtbar gemacht werden. Zur Reproduktion eignen sich auch jene spektakulären Bauwerke in Holz nicht, die immer wieder im Hallenbau erprobt werden. Extrem weit gespannte Gitterschalen, Kuppeln oder Schirme wie jene, die das riesige Expo-Dach in Hannover bilden, sprengen konstruktive Grenzen – mit Riesenaufwand. Der Wert des Experimentellen liegt darin, die Leistungsfähigkeit des Materials neu einzuschätzen und etablierte Bauvorschriften zu hinterfragen.

Die derzeit im Künstlerhaus Wien gezeigte Ausstellung „Bauen mit Holz. Wege in die Zukunft“ will uns die Qualität und Alltagstauglichkeit des Holzbaus über die Effizienz der Ressource Holz vermitteln. Holz als nachwachsender und vielfältig einsetzbarer Rohstoff, der Kohlendioxid bindet, wird anhand von fünf realisierten Bauwerken, deren Primärkonstruktion aus Holz besteht, einer vergleichenden Betrachtung von Lebenszyklus und Ökobilanz unterzogen. Zu jedem Gebäude wurde ein identisches Modell der Standardausführung mit einem alternativen Bauprodukt entwickelt. Wer die Bilanz näher betrachtet, Primärenergieverbrauch und Klimaentlastung im Vergleich studiert und sich dazu noch den immensen Holzvorrat in österreichischen Wäldern vorstellt, der fragt sich angesichts der analytischen Bewertung, die der Ressource Holz die größte ökologische Nachhaltigkeit bescheinigt, wieso der Holzbau nicht schon längst sein Nischendasein überwunden hat.

Dass Rohstoffverknappung noch kein schlagendes Argument für ein Umdenken ist, lehrt uns unser zwanghaftes Festhalten am Luxus individueller Mobilität. Der Mensch denkt in kurzen Zeiträumen. Im Kostenvergleich wird sich die überwiegende Mehrheit Bauwilliger für jenen Baustoff entscheiden, der niedrigere Anschaffungskosten verspricht. Vergleichende Energiebilanzen von Gebäuden über die Methode der Lebenszyklusbetrachtung sind selbst im öffentlichen Bau noch nicht obligatorisch.

Sollte es auf dem Weg in eine Holzbauzukunft eine „To do“-Liste geben, so wäre das Ablegen von ideologischen „Reinheitsgeboten“ anzuraten. Materialübergreifend planen: wo Holz gut einsetzbar ist, es verwenden, wo nicht, ein für diesen Zweck besser geeignetes Material wählen. Solcherart entspanntes Denken trägt dazu bei, die Qualitäten des Holzbaus hervorzuheben.

Spectrum, Sa., 2013.02.09



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Life Cycle Tower

01. Dezember 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Die Zeit, die keiner sieht

Viel medialer Wind wurde und wird um die neue Grazer Nahverkehrsdrehscheibe gemacht. Haben sich Aufwand und Einsatz von 90 Millionen Euro gelohnt?

Viel medialer Wind wurde und wird um die neue Grazer Nahverkehrsdrehscheibe gemacht. Haben sich Aufwand und Einsatz von 90 Millionen Euro gelohnt?

Akustisch hatte sich der Bau der neuen Nahverkehrsdrehscheibe am Vorplatz des Grazer Hauptbahnhofs schon im März vergangenen Jahres ins Gedächtnis der meisten Grazer eingeschrieben. Damals erschütterte der dumpfe Knall der Sprengung einer bei den Bauarbeiten entdeckten, 250 Kilogramm schweren Fliegerbombe das Stadtgebiet. Dass die Bürger wussten, wo der Ort des Geschehens war, als im Radio der Europaplatz genannt wurde, darf bezweifelt werden. Für die Grazer ist der Bahnhofsvorplatz namenlos, reine Funktion, nichts anderem dienend als der Annäherung zur Abreise, der Entfernung und Weiterfahrt nach der Ankunft. Hieß es doch immer: Wir treffen uns am Bahnhof.

Nun hat der Platz eine Aufwertung erhalten, die nicht in erster Linie der Verschönerung zugedacht ist, sondern der funktionalen Optimierung der An- und Abfahrt von 30.000 täglich Reisenden. Nach dem Gesamtumbau des Bahnhofs, in den die ÖBB für den Ausbau und Umbau der Bahnsteige und Personentunnel noch 170 Millionen Euro investieren wird, und vor allem nach dem weiteren Ausbau der Schnellbahn rechnet man mit einem Drittel mehr an Fahrgästen pro Tag.

Bessere und raschere Anbindung an den Bahnhof und witterungsgeschützte Erreichbarkeit der Züge hieß die Devise, mit der Stadt und Land Steiermark das Bauvorhaben Nahverkehrsdrehscheibe finanzierten und in einer Arbeitsgemeinschaft mit der ÖBB-Infrastrukturabteilung planten. Dazu wurde die Trasse der Straßenbahn ab der viel befahrenen Kreuzung der Annenstraße mit dem Bahnhofsgürtel tiefer gelegt, sodass vier Linien der Straßenbahn nun störungsfrei den Bahnhof erreichen – auf einer Ebene unter Vorplatz und Halle, ehe sie in einer großen Schleife ihre Fahrt in den Westen der Stadt fortsetzen. Wer jetzt an der großzügig angelegten, mit Tageslicht klar und übersichtlich gestalteten Haltestelle ankommt, muss erst einmal zum Platzniveau hinauffahren, um von dort, nun immerhin unter einem neuen Dach, einigermaßen witterungsgeschützt in die Halle zu gelangen. Von hier aus musste der Reisende schon bisher per Rolltreppe oder Lift in den Personentunnel abtauchen, um von dort zu den Bahnsteigen noch einmal hinaufzufahren, weil in Graz im Unterschied zu Salzburg die Bahngeleise nicht als Damm geführt werden und deshalb die Bahnsteige nur durch eine Unterführung erreicht werden können. Die neue Haltestelle der Straßenbahn und der alte Personentunnel der ÖBB sind zwar annähernd niveaugleich, eine direkte Verbindung, wie sie sich der zum oder vom Zug Eilende wünschte, ist jedoch technisch nicht möglich, weil dabei immer die Schienentrasse der Straßenbahn gequert werden müsste, um zu jener Haltestelle zu gelangen, von der Ankommende ins Stadtzentrum fahren. Nur für die Abreisenden eine direkte Verbindung zu errichten hat man offensichtlich nicht in Erwägung gezogen. Vielleicht auch, weil dies nicht im Interesse der Bahn läge, die ihre neuen Bahnhöfe mehr und mehr als Einkaufszentren bewirbt.

Die architektonische Gestaltung der Baumaßnahme lag in den Händen des Architekturbüros Zechner & Zechner, das zahlreiche österreichische Bahnhöfe umbauen und erweitern durfte und in Graz aus einem Verhandlungsverfahren als Gewinner hervorging. Das stadträumlich relevante Vordach ihres Projekts wandelte sich im Planungsprozess, in dem das Team einen Gestaltungsbeirat zur Seite gestellt bekam, von einem rechteckigen Dach in eine ovale Scheibe mit einer Aufweitung an der Stelle, wo darunter Bushaltestellen eingerichtet wurden. Dieses Dach mit der goldenen Oberfläche dominiert nun den Europaplatz und rückt, um anzuschließen, an die Bahnhofshalle so nahe heran, dass deren bestehendes Vordach nun vom neuen überlappt wird. Eine Komplettüberdachung für den Ort des Übergangs wurde nach Auskunft der Stadtplanung nie überlegt, der nun nur bedingt erreichbare Witterungsschutz aufgrund der großen Höhe des Daches und der offenen Flanken „wie überall im öffentlichen Raum“ in Kauf genommen. Nur so ist zu erklären, dass auch jetzt nicht von allen Bushaltestellen bei Regen das „trockene“ Einsteigen in die Busse ermöglicht wird und die Taxistandplätze außerhalb des Vordaches liegen, nicht anders als vor der baulichen Aufrüstung. Immerhin scheinen die Fahrradabstellplätze ausreichend dimensioniert und haben ein Dach erhalten. Die fußläufige Verbindung vom Süden her wurde massiv ausgebaut, obwohl sich nun, nach der direkten Anbindung von zwei Linien, die den Bahnhof früher nur tangierten, weniger Reisende zu Fuß dem Bahnhof von der Annenstraße her nähern werden.

Vom Büro 3:0 stammt die Freiraumgestaltung. Grünflächen wurden in geometrisch prägnante Staudenbeete und Rasenflächen mit neu gepflanzten Bäumen unterteilt, in denen die riesige skulpturale Arbeit von Gerhardt Moswitzer, sein Mahnmal zur Erinnerung an die Ereignisse im Jahre 1934, am neuen Standplatz zwischen Beeten, den Platz erhellenden Leuchten und Aufbauten für Rolltreppen und Lifte immer noch wie beiläufig abgestellt wirkt.

Viel medialer Wind wurde und wird um die Nahverkehrsdrehscheibe gemacht. Anlässlich ihrer Eröffnung Anfang dieser Woche sprach der Projektleiter der ÖBB-Infrastruktur gar von einer neuen Epoche, die durch diesen Bau für Graz als wichtige Station an der künftigen baltisch-adriatischen Achse anbricht. Das darf angesichts der nur mit einigen wesentlichen Abstrichen erreichten Optimierung der städtischen Anbindung an den Zugsverkehr unter von Stolz erfüllter Übertreibung abgelegt werden.

Ob sich Aufwand und Einsatz von 90 Millionen Euro gelohnt haben? Ja doch, Zeitgewinn für Reisende ist schon allein dadurch gegeben, dass nun vier Linien den Bahnhof anfahren. Eine stadträumliche Verbesserung wird die Anbindung an die Waagner-Biro-Straße über die geplante Verlängerung des Personentunnels Nord sein, durch die Arbeitsplätze von Pendlern im ehemaligen Industriebezirk Eggenberg, ein von vielen auswärtigen Schülern besuchtes Oberstufengymnasium und die Helmut-List-Halle in fußläufige Reichweite rücken. Ein städtebaulicher Gewinn ist der neue Bahnhofsvorplatz oder präziser, sind seine den Platz füllenden Aufbauten nicht. Das Bedauern über den Verlust der freien Sicht auf die Bahnhofsuhr am riesigen Glasfenster der Bahnhofshalle mag nostalgische Verklärung sein. Die verlorene freie Sicht auf das Bahnhofsgebäude als Gesamtes, auf den repräsentativ überhöhten Mittelbau der Halle aus den 1950ern und ihre beiden niedrigeren, langgestreckten Seitenflügel, die von zwei Hotels eingerahmt werden, schmerzt ein wenig. Ein bautypologisches Symbol des Verreisens hat an städtebaulicher Signifikanz verloren.

Spectrum, Sa., 2012.12.01

15. September 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Lust macht Schule

Konzentration und Bewegung: Rückzugsorte, Klassen mit Freiraum und eine Agora. Eine kleine Schule im steirischen Bad Blumau als Einladung zum freigeistigen Denken und Arbeiten.

Konzentration und Bewegung: Rückzugsorte, Klassen mit Freiraum und eine Agora. Eine kleine Schule im steirischen Bad Blumau als Einladung zum freigeistigen Denken und Arbeiten.

Die Schulreform – ein Reizwort, vermutlich demnächst zum Unwort des Jahres verkommen. Dabei schreien alle Untersuchungs- und Umfrageergebnisse auf europäischer Vergleichsebene förmlich nach einer Änderung von Unterricht und Schule in Österreich. Aber anstatt endlich daraus Konsequenzen zu ziehen und mit Blick auf gelingende Vorbilder in anderen Ländern die Ärmel hochzukrempeln, lässt man zu, dass Parteien und Bünde jeden umfassenden Reformansatz blockieren, weil sie ihre ideologischen und arbeitsrechtlichen „Besitzstände“ gefährdet sehen.

Solange die flächendeckende Einführung einer Neuen Schule mit radikal anderen pädagogischen Konzepten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird, bestimmen Stammklassen und Frontalunterricht den Schulbau. Jedes Jahr werden in Österreich Schulen neu gebaut, wird Bestand renoviert und erweitert – geplant nach Richtlinien, die neue pädagogisch-räumliche Konzepte ebenso vermissen lassen wie etwa die Weitsicht, für die naheliegende Einführung der Ganztagsschule gerüstet zu sein. Eine rare Ausnahme war 2011 der Ideenwettbewerb für den Bildungscampus auf dem Gelände des künftigen Wiener Hauptbahnhofs. Die Ausschreibung enthielt nicht viel mehr an Vorgaben als gewünschte Qualitäten und ein Größenlimit. Das siegreiche Projekt des Architekturbüros PPAG ist ein aufwendiges, liebevoll gestaltetes Arbeits- und Lebensumfeld, das zwar eine ideale Schule, aber kein Prototyp einer künftigen Schule werden könnte.

Was aber machen engagierte Architekten, die „Business as usual“ akzeptieren sollten – ein Raumprogramm mit Normklassengrößen und Mindestgangbreiten als Regelwerk, mit Schwerpunkt auf Sicherheits- und Hygienevorschriften und der Einhaltung des Kostenrahmens?

Im steirischen Bad Blumau steht eine neue Volksschule, die zeigt, wie es mit Ambition und großem Einsatz trotzdem gehen kann. Sie ist das Ergebnis eines geladenen Wettbewerbs, den die Grazer Architekten Feyferlik/Fritzer für sich entscheiden konnten. Die nüchternen Fakten: fünf Stammklassen, ein Werkraum, ein Turnsaal, ein Raum für die Nachmittagsbetreuung. Darüber hinaus: Potenzial für vielfältige Inbesitznahme, für ein anderes, lustvolleres Lernen. Die Schule auf einem Plateau über dem Safenbach ist Teil einer Ortserweiterung östlich des Dorfkerns. Sportplätze und ein Tribünengebäude für den Fußballplatz, das die Architekten der Schule gegenüberstellten, ergänzen das neue kleine Schul- und Sportzentrum der Gemeinde.

Bei der Annäherung könnte man das Schulgebäude glatt übersehen. Der lang gezogene, straßenbegleitende Baukörper liegt flach in der Wiese, nur ein Geschoß hoch und von der Einmündung in den Zufahrtsweg her fast nicht zu sehen, weil der Schüttwall des teilweise eingegrabenen Turnsaals den südlichen Abschluss bildet. Kein mächtiges Dach krönt das Haus, kein Ehrfurcht einflößender Zugang mit Stufen oder Schwellen ist sein Entree. Ein schräg geneigter Vorbau, gepolstert und tapeziert mit der dunklen Folie, die auch für das flach geneigte Dach verwendet wurde und sich im schmalen Dachsaum des Vordachs fortsetzt. Darunter Massivholzfassaden und dort, wo keine Öffnungsflügel sind, große Glasflächen mit einfacher rahmenloser Verglasung. Dazu die Verkleidung der Außenwände an den Schmalseiten und an der langen Klassenfront mit vorvergrauten Brettern. Anstelle eines teuren Windfangs, dessen Türen zu Unterrichtsbeginn und –ende sowieso immer offen stünden, installierten die Architekten einen einfachen Industrievorhang aus reißfesten Gummistreifen, wie er in der Landwirtschaft verwendet wird.

Nein, diese Schule will kein Autorität ausstrahlendes Bauwerk sein, das sich von der Lebensrealität der Menschen im Ort abhebt. Sie hat Werkstattcharakter und unterscheidet sich vielleicht gar nicht vom Betrieb, im den Vater oder Mutter täglich zur Arbeit gehen. Betritt man die Schule, so wechseln Atmosphäre und Anmutung. Holz auf dem Boden, an den Wänden von Werkraum und Lehrerzimmern und an der Decke, die diesen straßenseitigen Bauteil überspannt, prägt den ersten Eindruck. In so viel Materialwärme fügt sich die lange Sichtbetonwand, die das Rückgrat der Klassen bildet, harmonisch ein. Zwischen den lose verteilten Raumgruppen auf der einen und dem Klassentrakt auf der anderen Seite spannen die Architekten über die gesamte Gebäudelänge einen weit mehr als hundert Quadratmeter großen Raum auf, der sich vom Flur über die Eingangshalle zur großzügigen Pausen- und Mehrzweckfläche aufweitet.

Es ist ein offener Bereich, der der Erkenntnis Rechnung trägt, dass Kinder Laufen, Springen und Toben brauchen, um dann wieder konzentriert und kreativ arbeiten zu können. Rampe, Sitzstufen und Bücherinseln gliedern diesen offenen Raum, eine tiefe Lesenische ist intimer Rückzugsraum auf zwei Ebenen. Jedes Detail ist sorgfältig geplant und erfüllt mehr als eine Funktion: die Verglasung vom Klassen- zum Pausenraum ist Durchblick und zugleich Sitzbank, die niedrigen Parapete der Klassen sind Sitz- und Arbeitsfläche, Ablage und Stauraum. Klassentrennwand und Fassade sind jeweils polygonal geknickt. Immer wieder, an vielen Stellen, brechen Feyferlik und Fritzer die Strenge der Orthogonalität, die für sie Symbol einer antiquierten Schulform mit Frontalunterricht ist. Ihre Klassen können über Verbindungstüren zusammengeschaltet werden, und jeder ist eine Freiluftklasse vorgelagert. Eine wind- und teils regengeschützte Terrasse, über Glas und ein breites Schiebeelement mit dem Innenraum verbunden, soll zum Unterricht im Grünen motivieren.

Man hofft, dass solche Freiräume nicht nur den physischen Aktionsraum vergrößern, sondern auch den geistigen Spielraum und Horizont – den der Lehrer und der Schüler. Das große Potenzial an vielfältigen Aneignungsmöglichkeiten dieser Schule kann nur dann ganz entfaltet werden, wenn ihre Nutzer es erkennen, schätzen und ausschöpfen. Wolfgang Feyferlik und Susi Fritzer animieren dazu mit ungewöhnlicher Gestaltung und kleinen unkonventionellen Details, die in vielen Gesprächen mit Betreibern und Nutzern ausgehandelt wurden. Was kann uns ein fröhlich-bewegter roter Industrievorhang als Windfang sagen? Lehrer, lasst Fantasie walten in euren Köpfen, auf dass euch ein lustvoller, abwechslungsreicher Unterricht gelingt. Eure Schule unterstützt euch dabei.

Spectrum, Sa., 2012.09.15



verknüpfte Bauwerke
Volksschule Bad Blumau

10. September 2012Karin Tschavgova
db

Höchste Ambitionen

Das Kaufhaus Kastner & Öhler ist bekannt für Expansion auf höchstem Niveau – momentan auf Augenhöhe mit den historischen Ziegeldächern von Graz. Der neue Dachaufbau des Stammhauses wird zwar von den UNESCO-Hütern der Altstadt kritisiert, fügt sich aber dennoch ganz selbstverständlich in die Grazer Dachlandschaft.

Das Kaufhaus Kastner & Öhler ist bekannt für Expansion auf höchstem Niveau – momentan auf Augenhöhe mit den historischen Ziegeldächern von Graz. Der neue Dachaufbau des Stammhauses wird zwar von den UNESCO-Hütern der Altstadt kritisiert, fügt sich aber dennoch ganz selbstverständlich in die Grazer Dachlandschaft.

Die Geschichte dieses Warenhauses, das seit 1883 in der Altstadt von Graz sein Stammhaus hat, zeigt, dass Innovation in diesem Unternehmen nicht nur für den Handel, sondern immer wieder auch für bauliche Erweiterungen angestrebt wurde. Nicht lange nach der Gründung der Grazer Filiale wurde der Kauf von weiteren Bürgerhäusern in der Sackstraße beschlossen, die dem Neubau eines Warenhauses (1912-14, Architekten Fellner und Helmer) weichen mussten, das zu den prunkvollsten und innovativsten dieser Zeit zählte.

Prosperierender Verkauf und Versand führten zu mehreren Aus- und Umbauten des Stammhauses, dem in den 60er Jahren die Glaskuppel der Halle und bald darauf die offenen Galerien zum Opfer fielen. Geschickte Expansionspolitik führte zum Ankauf von Häusern im Karree und auch auf der anderen Seite des Flusses, wann immer sich eine günstige Gelegenheit bot. 1990 war das Unternehmen im Besitz von Gebäuden aus vier Jahrhunderten – heterogene Bausubstanz, die ohne umfassende Planung nicht mehr in ein gut funktionierendes räumliches Kontinuum zu bringen war. Dringender Handlungsbedarf war gegeben. Die Grazer Architekten Szyszkowitz und Kowalski erhielten den Auftrag, ein Konzept der »Corporate Identity« zu entwickeln, das den Zusammenschluss der Häuser in den Gassen rund um das Stammhaus vorsah, ohne ihnen ihre Charakteristik zu nehmen – eine Aufgabe, die gekonnt bewältigt wurde. 2003, im Jahr, als Graz Europas Kulturhauptstadt war, fanden die Um- und Ausbauphasen mit einer konstruktiv aufwendigen Tiefgarage für 650 Autos ihren Abschluss, die fünf Geschosse tief, großteils unter historischem Bestand errichtet wurde.

Mehr als ein neues Dach

2005 war das Unternehmen auf 1500 Mitarbeiter angewachsen und zwei junge Vertreter der fünften Generation hatten die Geschäftsführung übernommen. Im Zuge eines weiteren geplanten Ausbaus der Verkaufsflächen wurden 2005 in einem geladenen, international ausgerichteten Wettbewerbsverfahren Ideen zur Neugestaltung der Dachzonen gefordert. Ein Konglomerat aus unansehnlichen Industriedächern, das den Blick auf die pittoreske Dachlandschaft der Grazer Altstadt, die seit 1999 Kulturerbestätte ist, empfindlich störte, sollte ersetzt werden. In einer ursprünglich nicht vorgesehenen Überarbeitungsstufe von drei Projekten konnten Nieto y Sobejano aus Madrid den Wettbewerb für sich entscheiden.

Ihr Projekt ist eine variantenreiche Sequenz scharfkantig geschnittener, unterschiedlich breiter, hoher und langer Aufbauten in Zeilenform, die in Form und Farbe eine Assoziation mit den historischen Steildächern mit Ziegeleindeckung hervorrufen soll. Bald nach der Wettbewerbsentscheidung, die in der Stadt breite Zustimmung fand, meldete ICOMOS, der internationale Rat für Denkmalpflege, Vorbehalte gegen die radikal moderne Dachlandschaft an und drohte Graz mit der Aberkennung des Status' als Weltkulturerbe, sollte das Projekt unverändert realisiert werden. Schließlich konnte über die Reduktion der Höhen eine Zustimmung erreicht werden, wohl auch deshalb, weil Konsens darüber bestand, dass der Standort des traditionsreichen Warenhauses (im Zuge des Ausbaus wurden 10 000 m² an zusätzlicher Verkaufsfläche geplant) in der Innenstadt erhalten bleiben muss.

Am 20.10.2010 wurden Dach und Kaufhaus, das bei laufendem Betrieb umgebaut wurde, feierlich eröffnet. Der Dachaufbau: Ein Ensemble von dicht aufeinander folgenden, schräg aufragenden Oberlichtbändern, die von Terrassen unterbrochen sind, die in Größe und Lage vom Wettbewerbsprojekt differieren. Zwei der Aufbauten mit den horizontal gekappten Gratabschlüssen ragen deutlich über die anderen hinaus – eine Akzentuierung der Dachlandschaft, die den Architekten aus stadträumlicher Sicht wichtig schien. Der Hochpunkt im Süden überdeckt die darunterliegende Halle im Stammhaus mit den stuckverkleideten Stützen und Galerien, in der die Rolltreppen nun alle Verkaufsebenen und das neue Café im DG erschließen. Jener im Norden verweist auf den Übergang zum zweiten, vormals unabhängigen historischen Gebäude, das nun, nach dem Umbau, mit ersterem zu einem Haus verschmolzen ist.

Das leichte Tragwerk

Als Tragwerk kam ein Stahlfachwerk zum Einsatz. Es wurde auf eine neu errichtete Geschossdecke aufgesetzt, da der vormalige Dachabschluss nicht tauglich war. Die Lasten werden teils über Wandscheiben, teils direkt über die neue Decke auf die bestehenden Stützen verteilt, die sich als sehr tragfähig erwiesen und nur z. T. ertüchtigt werden mussten. Der Dachaufbau ist konventionell: innen Gipskartonplatten, dann eine mineralische Dämmung, darüber ein Aluminiumblech mit Stehfalzen mit Trapezblech als Unterkonstruktion. Die Dachhaut spart im Bereich des Cafés große Bandfenster aus, die im Zusammenspiel mit dem strahlenden Weiß der Wand- und Deckenoberfläche und der Belichtung durch die Sheds für eine wunderbar helle, freundliche Atmosphäre des Raums sorgen. Die Shedverglasung ist überwiegend nach Norden ausgerichtet. Wo Licht von Süden einfällt, ist es durch feststehende Verschattungselemente gedämpft.

Cafélounge und Bar im DG stehen über den Luftraum der zentralen Halle in direkter räumlicher Verbindung mit den Verkaufsebenen und können deshalb nur im Zusammenhang mit den fünf Geschossen des Warenhauses klimatisiert werden.

Innere Stimmigkeit, Äussere Fehlinterpretation?

Glücklicherweise wirkt dieser Dachaufbau aus keinem Blickwinkel wie ein Dachausbau klassischer Prägung. Ihm fehlt die Gedrungenheit »stürzender« Wände, jeglicher Anflug von Rustikalität. Das Dachvolumen ist einladend hell. Seine Qualität liegt in der Bewegtheit der gefalteten Decke mit ihrer stark differenzierten Höhenentwicklung und in der Steilheit der Schrägen. Die weißen Wände, der Einsatz dezenter Grautöne und das satte Braun der Möblierung aus edlem Nussholz unterstützen die großzügige Raumwirkung.

Ein wesentliches Qualitätselement ist die Terrasse, die einen atemberaubenden Ausblick zum Schlossberg und auf die umliegenden Ziegeldächer bietet. Vom weit auskragenden Balkon lassen sich, tief unten, die belebte Straße vor dem Warenhaus, Hauptplatz und Rathaus überblicken. Kein Wunder, dass das Café selbst an regnerischen Tagen gestürmt wird.

Vermutlich wird kaum einem Besucher, der die Aussichtsterrasse betritt, auffallen, dass die Dachlandschaft des Kaufhauses noch nicht fertiggestellt ist. Vielleicht wird man feststellen, dass zur Freifläche im Norden des Cafés kein Ausgang führt, dass sie noch ihren Unterboden zeigt. Nur wenige Eingeweihte, die sich an die einst kursierenden Renderings erinnern, werden erkennen, dass im nördlichen Teil des Dachs noch drei Sheds fehlen und hier eine Lücke klafft. Dies lässt sich nur in der Übersicht vom nahen Schlossberg her entdecken. Vielleicht erinnert sich manch ein Stadtbewohner jedoch an das riesige Transparent außen am Dach des damals noch nicht lange eröffneten Cafés, auf dem zu lesen war, dass die derzeitige Dachfarbe Grau noch nicht die endgültige sei, sondern durch einen Bronzeton ersetzt werden wird. Die farbliche Anpassung und Eingliederung der neuen Dächer in die historische Dachlandschaft war ein wesentliches Kriterium für die Jury, das Projekt von Nieto y Sobejano zur Realisierung zu empfehlen, die ungewöhnliche Form der Information ist als Reaktion des Unternehmens auf die immer wieder auch in den Medien aufgeworfene Thematik des Ist-Zustands zu sehen. Auf Nachfrage bei den Architekten erfährt man, dass die Aufbringung der farbgebenden Paneele, die auf die jetzige Oberfläche aufgesetzt werden soll, erst nach der endgültigen Fertigstellung des Dachausbaus Sinn mache, weil sie andernfalls unterschiedlich verwittern würden. Nachdem der Eindruck einer geschlossenen Dachhaut entstehen soll, ist geplant, auch die Fensteröffnungen zu überziehen, allerdings perforiert.

Ob diese Information die gestrengen Hüter des Weltkulturerbes besänftigen würde, darf bezweifelt werden. Im ICOMOS Band der Reihe »Heritage at Risk«, dem Weltreport 2006/2007 über Denkmäler und historische Stätten in Gefahr, der nach der Einigung auf die Reduktion der Dachhöhen erschien, wird von einem Disaster, einer total inadäquaten und missverstandenen Interpretation einer mittelalterlichen Dachlandschaft ohne Verbindung zur Gebäudetypologie gesprochen. Letzteres mag zutreffen, aber eines ist gewiss: Die Wiederherstellung des historischen Dachs als einzige Möglichkeit, die offensichtlich für ICOMOS vorstellbar gewesen wäre, hätte sicher nicht diese räumliche Qualität des Dachausbaus gebracht, die den Besuch des Kaufhauses heute auszeichnet. Sie wäre mittelmäßig und unzeitgemäß gewesen. Und letztlich ebenso täuschend wie der mit der erhaltenen historischen Fassade getarnte Neubau des nördlichen Hauses, das völlig entkernt wurde, um den Ansprüchen an ein heute erwartetes Einkaufserlebnis zu entsprechen. Viele der Grazer, die vom Schlossberg aus die Dachlandschaft der Altstadt ins Visier nehmen, und auch Besucher, die die Geschichte dieses Dachaufbaus nicht im Detail kennen, glauben, das fertige Dach vor sich zu haben. Der Vorwurf von mangelnder Integration in die Dachlandschaft ist kaum zu hören. Vielleicht können sich die gestrengen Kulturbewahrer damit trösten, dass vom Straßenraum aus nichts vom neuen Dachaufbau zu sehen ist – nur der Balkon mit dem gläsernen Geländer ragt schwindelerregend auf Firsthöhe über die erhaltene Dachhälfte mit Ziegeldeckung hinaus.

db, Mo., 2012.09.10



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db 2012|09 Dachlandschaften

21. Juli 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Das Spiel um Graz

Die Bewohner sagen Nein zum Kauf des Reininghaus-Areals. Die Abstimmung zeigt, dass die gedeihliche Stadtentwicklung kaum über Bürgerentscheid gesteuert werden kann. Nachrichten aus Graz.

Die Bewohner sagen Nein zum Kauf des Reininghaus-Areals. Die Abstimmung zeigt, dass die gedeihliche Stadtentwicklung kaum über Bürgerentscheid gesteuert werden kann. Nachrichten aus Graz.

Volkes Stimme hat in Graz gesprochen und entschieden, dass weder eine Umweltzone eingeführt noch das Reininghaus-Areal von der Stadt gekauft werden soll. Bei einer für Bürgerbefragungen recht hohen Beteiligung von mehr als 30 Prozent der stimmberechtigten Grazer stimmten knapp 68 Prozent, das sind rund 48.000 Grazer, gegen den Ankauf. Ihre Motive dürften sich mit jener der SPÖ decken, die sich in einer aufwendigen Kampagne dagegen aussprach, weil die Stadt schon ohne die für einen Kauf notwendige Kreditaufnahme und die daraus erwachsende jährliche Zinsenlast hoch verschuldet sei. Das Nein aus Angst vor den Folgekosten, einer drastischen Beschneidung kommender Jahresbudgets, war vorauszusehen.

Was steckte also hinter der Bürgerbefragung, die der Bürgermeister im Alleingang zu diesem Zeitpunkt initiiert hatte? War es die Angst vor Stimmenverlust bei der baldigen Wahl, wenn eine derart weitreichende Entscheidung im Gemeinderat gefällt worden wäre, oder musste gar eine Ablehnung legitimiert werden gegenüber mächtigen, zum Kauf drängenden Kräften dieser Stadt? Immerhin mussten die derzeitigen Gesellschafter von Asset One in der Nachfolge des Eigentümers Scholdan von der Steiermärkischen Bank die 85 Millionen Schulden übernehmen, die dieser angehäuft hatte, und zehn Millionen Euro investieren. Wer hätte mehr Interesse an einer raschen, sicheren Darlehensabdeckung gehabt als jene beiden Interessengruppen?

Nicht jedes der Argumente, die für den Ankauf der Reininghausgründe ins Treffen geführt wurden, war nachvollziehbar. Das erste: Die Stadt wächst und braucht zusätzliche Wohnungen und Arbeitsplätze. Wenn dem so ist, wird der Markt auf die Nachfrage reagieren, zumindest was den Wohnungsbau betrifft. Die Ansiedelung von Betrieben ist nicht davon abhängig, ob die Stadt das Areal besitzt. Zweites Argument: Mit Reininghaus wird dringend benötigter leistbarer Wohnraum geschaffen, ohne bestehende Wohngebiete im Stadtgebiet zu verdichten. Ob und wo leistbarer Wohnraum geschaffen wird, bestimmen gesetzliche Voraussetzungen und die Grundstückspreise. Auch die Stadt, die das Areal ja nicht selbst entwickeln, sondern weiterverkaufen wollte, hätte unternehmerisch handeln und aus dem Verkauf der Quartiere Gewinne erzielen müssen, um Abtretungsflächen und Infrastruktur finanzieren zu können. Der schon relativ hohe Kaufpreis, Zinslasten für den Kredit und zu erwartende Unwegsamkeiten wie minderwertige Teilbereiche des Areals, vermutete Bodenkontamination oder Einschränkungen durch Denkmalschutz hätten berücksichtigt werden müssen. Ob unter Einberechnung all dieser Unwegsamkeiten Verkaufspreise erzielbar gewesen wären, die gefördertes, leistbares Wohnen möglich machen? Der Faktor Zeit wäre für die Stadt, nicht anders als für den jetzigen Eigentümer, zum Verwertungsrisiko geworden – der Druck zu verkaufen enorm.

Selbst das einzig schlüssige der vorgebrachten Argumente für den Kauf der 52 Hektar großen Fläche hätte das unternehmerische Risiko nicht ausgeschaltet: Als Eigentümerin die Gewinne aus Grundstücksaufwertungen durch Umwidmung zu lukrieren hätte vorausgesetzt, dass die Verwertung in Hinsicht auf den Zeitrahmen, etwaige Altlasten und erreichbare Verkaufserlöse optimal verlaufen wäre. Aus den Ingredienzien für den Verkaufserfolg – Wachstum, gute Konjunkturdaten, eine geschickt kaufmännisch operierende Verwertungsgesellschaft, etwas Glück – wäre nur die Schaffung einer professionellen Organisationsstruktur lenkbar gewesen. Skepsis ist hier angebracht. Wie meinte ein innovationsfreudiger Grazer Unternehmer? Die Stadt könne er sich als Unternehmerin nicht vorstellen.

Ein Argument der Abstimmung für den Kauf war, dass die Stadt als Eigentümerin ihre Vorstellungen von einem ökologischen, lebenswerten und verkehrstechnisch ideal erschlossenen Stadtteil optimal umsetzen könne, dass also eine durch Investoren bestimmte, auf Profit fokussierte Entwicklung hintan gehalten werden könne. Dazu müsste die Stadt das Profil des künftigen Stadtteils noch schärfen und diese Vorstellungen so weit wie möglich in den ihr zur Verfügung stehenden Planungsinstrumenten festlegen. Das Dilemma: Der Flächenwidmungsplan alleine taugt dazu nicht, weil er nicht aussagekräftig genug ist. Bebauungspläne, die auf diesem basieren, schränken in der Regel zu sehr ein und stehen einer Lösung, die Investoren und Stadt befriedigt, im Wege, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt erstellt und nicht im konkreten Prozess in einem Bebauungsplanverfahren entwickelt werden.

Stadtteilentwicklung ist heute ein prozessualer Akt, bei dem einige Rahmenbedingungen als Grundsätze vorgegeben sein müssen. Das erfordert Mut, Rückgrat und die Zuversicht, dass sich dennoch Investoren einfinden. Als Eigentümerin von Grund und Boden hätte die Stadt zweifelsohne bessere Voraussetzungen zur Umsetzung vorgegebener Standards gehabt. Sie hätte Optionen auf Grundstücke oder Teilquartiere ausschreiben können, die an bestimmte Bedingungen geknüpft sind. Interessenten können sich in einem Bieterverfahren bewerben, und wer die Kriterien an ehesten erfüllt, erhält in einer zweiten Phase den Zuschlag für das Grundstück.

Nun, dieses Abstimmungsergebnis macht andere Handlungsstrategien zur Entwicklung von Reininghaus notwendig. Derzeit herrscht eine Art Pattstellung: Asset One muss, um mit der Bank eine Darlehensverlängerung auszuhandeln, bis Ende des Jahres Verkaufserfolge vorweisen. Der noch gültige Flächenwidmungsplan sieht jedoch vorwiegend Gewerbeflächen vor. Die Filetierung und ungeordnete Ansiedlung von Gewerbe deckt sich nicht mit dem Entwicklungsplan der Stadt, und eine befristete Bausperre, wie die Grünen sie fordern, steht rechtlich auf unsicheren Beinen. Die Stadt muss also raschest handeln und verhandeln. An die Umwidmung des Areals auf Basis des bestehenden Rahmenplans müsste im Verhandlungsweg die Bereitschaft des Verkäufers Asset One geknüpft werden, einen Großteil des Aufwertungsgewinns an die Stadt abzutreten. Damit könnte ein Teil jener infrastrukturellen Voraussetzungen finanziert werden, die Investoren als Garantie für den Erfolg ihres Engagements voraussetzen. Der Stadt wird ein tiefer Griff in ihre Budgets zur Abdeckung der kolportierten 130 Millionen für die Infrastruktur nicht erspart bleiben. Vermutlich wird sie die Ablehnung des Kaufs durch die Bürger nicht weniger kosten, auch wenn das Verkaufsrisiko wegfällt. Dies abzusehen fiel sogar dem Stadtrechnungshof und Finanzexperten schwer – zu komplex sind offene Themen und Fragen, zu unsicher Prognosen der Entwicklung. Den Bürgern die Entscheidung zu übertragen war schlicht eine Zumutung.

Spectrum, Sa., 2012.07.21

15. Juni 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Wie ins Grün gestreut

Exakt wie eine japanische Pinselzeichnung: Feyferlik und Fritzer versehen ihre Häuser mit Freiräumen, die das sinnliche Erleben der Jahreszeiten ermöglichen.

Exakt wie eine japanische Pinselzeichnung: Feyferlik und Fritzer versehen ihre Häuser mit Freiräumen, die das sinnliche Erleben der Jahreszeiten ermöglichen.

Die Individualisierung der Gesell schaft führt zu veränderten Le bensformen. Die Splittung des Wohnens nach Generationen bedeutet, zumindest im urbanen Raum, eine starke Zunahme von Single- und Kleinhaushalten, dazu kommen immer mehr Alleinerzieher (in Wien sind es 28 Prozent) und eine steigende Zahl von Altersheimen.

Glaubt man den demoskopischen Werten, so ändert dies nichts daran, dass das Wohnen im Einfamilienhaus die begehrteste Wohnform der Österreicher ist. Das eigene Heim ist Goldes wert, es wird mit Naturnähe gleichgesetzt und bedeutet Prestige und Tradition; es suggeriert Sicherheit und Stabilität und verheißt Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Außerdem ist der Hausbau gemeinschaftsfördernd, denn die Familie hat ein kollektives Ziel.

Dem gegenüber stehen enormer Landverbrauch und Zersiedelung, hohe Kommunalkosten für Aufschließung und Infrastruktur und die Erhöhung des Verkehrsaufkommens durch Zweitautos und lange Wegstrecken. Dennoch wird dem Wunsch nach dem frei stehenden Eigenheim von Seiten der Regierungen kein Regulativ entgegengesetzt. Im Gegenteil: Zuschüsse für Jungfamilien oder energiesparende Maßnahmen geben Anreize zum Bauen und tragen zur Erweiterung der Siedlungsgürtel an Stadträndern und in Umlandgemeinden erheblich bei. Für einen großen Anteil der Bauwilligen bedeutet der Hausbau trotz dieser Unterstützungen, jahrelange finanzielle Verpflichtungen einzugehen, die Notwendigkeit eines Zweiteinkommens und den Verzicht auf freie Wochenenden und Urlaube. Und wofür das alles?

Die Bau- und die Fertighausindustrie bieten dem Häuselbauer ein Haus von der Stange - in der Regel zweigeschoßig mit ausgebautem Dachgeschoß im Satteldach und angehobener Terrasse - und behaupten Individualität durch die Wahlmöglichkeit von Erkern, Haustürfabrikat und Fensterfarben. Mit der Verwendung von Holz als Dekor wird Bodenständigkeit suggeriert und eine solide Bauweise, indem die Leichtbauelemente des Fertighauses mit Putz kaschiert werden, um einen Massivbau vorzutäuschen. Nicht etwa, dass die Leichtbauweise gegenüber dem Ziegelbau Nachteile aufzuweisen hätte, nein, aber man weiß ja, was der Kunde will. Ein solches Haus ist für eine Normfamilie, für Normverhalten und für ein fiktives Normgrundstück geplant. Es geht weder auf die Gewohnheiten seiner Bewohner noch auf die Besonderheiten des Grundstücks und der Umgebung ein und nicht auf die Topografie. Wie wäre sonst zu erklären, dass sich trotz genauer Recherche kein Fertighaushersteller finden lässt, der ein Modell für die Hanglage anbietet?

Liegt also das Heil beim vom Architekten geplanten Haus? Nur rund sechs Prozent der Einfamilienhäuser werden unter Beiziehung von Architekten realisiert. Die Gründe dafür kennt man, sie sind mannigfaltig. Zum Beispiel keine oder falsche Vorstellungen zu haben von der Arbeit des Architekten, der ja „nur einen Plan zeichnet“. Oder zu glauben, dass Architektur nur eine Geschmacksfrage sei. Es sind Vorurteile und Ängste, etwa, dass das Architektenhonorar unleistbar ist und dass der Architekt einem seine Vorstellungen aufzwingen will. Nichts davon trifft auf einen guten Architekten zu. Nur: Was oder wer ist ein guter Architekt? Und: Sind nicht alle Architekten gut?

Auch wenn man sich in erster Linie als Vermittler zwischen Architekt und Gesellschaft sieht, muss man doch zugeben, dass es eine Menge schlechter Architekten und Bauwerke gibt. Viele, die zwar ambitioniert, aber nicht gekonnt arbeiten, und einige, die ihr Handwerk beherrschen, sich jedoch in Verkennung der Aufgaben des Architekten in Selbstdarstellung erschöpfen. Anderes wird, mit der Häufigkeit seines Auftauchens in der Architekturlandschaft, trotz Engagement und Können mit der Zeit schlichtweg langweilig. Man denke an die Mehrzahl der „Schweizer Kisten“, einfache orthogonale Baukörper, deren Varianten doch nur kleine Abweichungen des immer Gleichen sind. Der Kritiker in mir wünscht sich weniger kühle Intellektualität oder Konformität, dafür mehr Fantasie und Überraschung, ein spielerisches Element und größeren Formenreichtum. Nicht das Spektakel, aber die eigenständige Ausformung einer Idee. Ein Wohnhaus sollte immer der gebaute Ausdruck der Bedürfnisse seiner Bewohner sein, eine adäquate Antwort auf ihre Vorlieben und ihre finanziellen Möglichkeiten und eine poetische auf den konkreten Ort.

Das Haus R. der Architekten Wolfgang Feyferlik und Susi Fritzer in Grazer Randlage erfüllt all das und mehr. Bescheiden in den Dimensionen, schmiegt es sich ins Terrain, ein baumbestandenes Grundstück in sanfter Hanglage, das nach Südost ausgerichtet ist. Nach den Wohnfunktionen getrennt, sind unterschiedliche solitäre Baukörper ausgeformt, die wie Glieder einer Kette auf einer Erschließungsachse aufgefädelt sind. Der Wohnbereich als flaches Volumen wirkt leicht und lichtdurchflutet, weil er zweiseitig mit raumhohen Glasfronten versehen wurde, die ihn weniger abschließen als schwellenlos mit der Natur verbinden. Eine Gruppe von Birken und anderen Laubgehölzen spendet sommers Schatten, während im Winter die Sonne durch das schräge Oberlicht an der Fassade weit in den Wohnraum geholt werden kann.

Das „Schlafhaus“ der Eltern, holzverkleidet und kompakt, ist Inbegriff von Privatheit und lässt doch durch das rundum laufende Bandfenster den Blick in Baumkronen und auf den Himmel frei. Es schiebt sich in den Hang, macht damit der Verbindungsachse Platz und formuliert den Eingang. Dem Bedürfnis nach getrennten Bereichen entspricht auch der Kindertrakt, ein „Baumhaus“, das als aufgeständerte Box in die Krone eines Nussbaums ragt und das Ensemble aus gekonnt arrangierten Körpern, die wie ins Grün gestreut wirken, leichtfüßig abschließt.

Die Sorgfalt, mit der die Vorzüge des Grundstücks ausgelotet und mit den Wünschen der Bauherrn verschränkt wurden, zeigt sich bis ins Detail. Entstanden ist ein ins Grün fließendes harmonisches Gefüge aus teils luziden, teils kompakten Körpern mit vielfältigen Freiräumen, die das hautnahe Erleben der Natur und der Jahreszeiten möglich macht. Feyferlik und Fritzer konzipieren ihre Häuser mit leichter Geste und setzen sie exakt wie eine japanische Pinselzeichnung. Dieses Haus erreicht ohne großen Aufwand Niedrigenergie-Standard. Mit und in ihm lässt sich sowohl Energie sparen wie Energie tanken.

Spectrum, Fr., 2012.06.15

27. April 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Das Leid mit der Leitlinie

Der aktuelle Baukulturreport streut der Steiermark Rosen, nicht zuletzt ihren „Baupolitischen Leitsätzen“, die 2009 durch die Landesregierung beschlossen wurden. So weit, so gut. Aber wie steht es um die Umsetzung der hehren Vorgaben in die Realität?

Der aktuelle Baukulturreport streut der Steiermark Rosen, nicht zuletzt ihren „Baupolitischen Leitsätzen“, die 2009 durch die Landesregierung beschlossen wurden. So weit, so gut. Aber wie steht es um die Umsetzung der hehren Vorgaben in die Realität?

Wenn die Steiermark am Rathausplatz Wien grüßt, so präsentiert sie sich bei Blasmusik und Bieranstich. Bodenständiges ist im „Steiermarkdorf“ Programm. Dabei hätte das Land viel mehr vorzuzeigen – zum Beispiel seine Baukultur. War die Steiermark nicht einst ein Pionierland im Bemühen um gutes Bauen, vergleichbar nur mit dem Qualitätsweg der Vorarlberger Baukünstler? Tempi passati, wie viel hat sich seitdem geändert! Baukunst ist längst kein Außenseiterthema, selbst das traditionsgebundene Tirol scheint sich in aufregender Weise einer Qualitätsoffensive verschrieben zu haben. In Salzburg und Oberösterreich wächst baukulturelles Bewusstsein, das bemerkenswerte Früchte zeitigt. Selbst in Regierungserklärungen der Bundesregierung werden, wie 2007, Maßnahmen zur Verankerung qualitativ hochstehender Baukultur festgeschrieben.

Vor Kurzem wurde der zweite österreichische Baukulturreport präsentiert. Der Bericht fokussiert unter anderem auf die Verankerung der Baukultur auf kommunaler Ebene und empfiehlt Innovation als Vergabekriterium bei Wettbewerben. Der Steiermark werden Rosen gestreut, weil sie mit ihren „Baupolitischen Leitsätzen“, die 2009 einstimmig durch die steirische Landesregierung beschlossen wurden, „bisher am umfassendsten“ – von allen Bundesländern – „Baukultur als Querschnittsmaterie und gesellschaftlichen Anspruch erfasst und als Leitbild und Handlungsmaxime für die steirische Politik und Verwaltung vorgegeben hat“. Zeit also für eine Umschau, ob und wie das Pflänzchen Baukultur in der Steiermark gepflegt wird und wo es sprießen kann.

Die Bundesimmobiliengesellschaft, von der Regierung beauftragt, öffentliche Bauten nach marktwirtschaftlichen Kriterien effizient zu entwickeln, realisiert aktuell das Schubhaftzentrum in Vordernberg und das Produktionstechnikzentrum (PTZ) der TU Graz auf den Inffeldgründen. Ein EU-weit offener Architektenwettbewerb „zur Erlangung baukünstlerischer Vorentwürfe“ geht beinahe allen größeren Bauvorhaben der BIG als qualitätssichernde Maßnahme voran. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass bei dem bis zum Herbst dieses Jahres fertiggestellten PTZ von Hans Mesnaritsch Pragmatik über Baukunst gestellt wurde. Die drei neuen Forschungs- und Institutsgebäude, deren größtes Volumen ein Würfel mit 33 Meter Seitenlänge ist, sind genauso wie die vom selben Architekten stammenden beiden Module des Kompetenzzentrums aus 2004, sein im Vorjahr eröffnetes Kinderhaus und das von Thomas Zinterl geplante Gebäude für die Frank-Stronach-Institute aus 2006 durchaus alltagstaugliche Zweckbauten. Sie sind funktionell, bis ins Detail sauber gelöst und mit Nutzung von Geothermie technisch innovativ. Was ihnen fehlt, ist bauliche Innovation, ist Wagnis und Grenzgang des Neuen, neu Gedachten – und ist Esprit und Eleganz, die ein Bauwerk zu Baukunst erhöhen können.

Zugegeben, solche Glücksfälle sind nicht nur in der Steiermark selten. Das neue Besucherzentrum des Joanneums von Nieto Sobejano Arquitectos mit Eep Architekten könnte man dazuzählen. Unter den über die Landesimmobiliengesellschaft abgewickelten Realisierungen der vergangenen Jahre, zu denen auch der noch nicht abgeschlossene Ausbau des Joanneumviertels zählt, findet sich einiges, was als Referenzobjekt landeseigener Hochbauten geeignet wäre. Im kommunalen Hochbau der jüngeren Vergangenheit hingegen lässt sich Vorzeigbares, das über Mittelmaß hinausgeht, an einer Hand abzählen. Ein Beispiel: Beim massiv von Land und Bund geförderten Kindergartenausbau (siehe „Spectrum“ vom 4.Juni 2011) wurde versäumt, durch qualitätssichernde Maßnahmen zu steuern, was die Autoren des neuen Baukulturreports mit Spannung erwarten: erste Umsetzungserfolge der „Baupolitischen Leitsätze“ der Steiermark. Eine vertane Chance.

Das führt uns zum Wohnbau, der dem Land vor einem Vierteljahrhundert internationale Beachtung als Architektur–Eldorado einbrachte. Für den geförderten Wohnbau in der Steiermark konstatiert der aufmerksame Beobachter betrübt, dass er bedeutungslos geworden ist. Was über die Qualität eines „business as usual“ hinausgeht, entsteht mit wenigen engagierten Bauträgern, die Qualität fordern und fördern, weil sie wissen, dass sie die auch verkaufen können, wenn es keine Fördermittel dafür gibt. Was so entstehen kann, sind gelungene Einzelbeispiele. Was fehlt, ist ein politisches Bekenntnis für einen neuen sozialen Wohnungsbau, der nicht nur niedrigen Energieverbrauch zum Thema hat, sondern auch Spielraum lässt, auf geänderte gesellschaftliche Anforderungen freier und fantasievoller reagieren zu können.

Wo die Architektur aus der Steiermark schwächelt, sind die Ursachen nicht auf einen Nenner zu bringen. Im mehrgeschoßigen Holzwohnbau, bei dem mit zwei Beispielen von Hubert Rieß Pionierleistungen erbracht wurden, wurde der gute Anfang nicht konsequent weitergeführt. Heute wird in Wien Wohnbau in Holz umgesetzt, in Vorarlberg entsteht ein erstes Hochhaus, während im Holzland Steiermark Schweigen im Walde herrscht.

Bei anderen Themen wie den Bauten für die alpine Skiweltmeisterschaft 2013 in Schladming gewinnt man den Eindruck (mit Ausnahme des Mediencenters von Riepl Riepl Architekten), dass es den Auftraggebern schlicht an Qualitätsbewusstsein fehlt. Erstaunlich nur, dass die dort entstandenen Bauwerke wie das schon in Kritik geratene Zielstadion von Fachjurien in Wettbewerben ermittelt wurden.

Höchste Qualität, die als Baukunst in die Architekturgeschichte eingehen könnte, ist eben auch dann noch nicht garantiert, wenn man sie über Baukulturreports einfordert und über Leitsätze zur Baukultur verordnet. Dennoch: Allen Bemühungen vorangehen muss, ein breites Bewusstsein für gutes, über brave Alltagstauglichkeit hinausgehendes Bauen zu schaffen – als nachhaltiger Gewinn für jede Gesellschaft. Leitlinien, die sich Bund und Länder als größte Bauherren auferlegen, sind dabei hilfreich unter der Voraussetzung, dass sie nicht papieren bleiben, sondern mit Engagement und Fantasie umgesetzt werden.

Spectrum, Fr., 2012.04.27

24. März 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Das Bild der Sprache

Dieser Tage als schönstes Buch Österreichs geehrt, kürzlich in Leipzig gar als schönstes Buch der Welt: „Raum, verschraubt mit der Zeit“, das Architekturjahrbuch der Steiermark, gestaltet von Gabriele Lenz.

Dieser Tage als schönstes Buch Österreichs geehrt, kürzlich in Leipzig gar als schönstes Buch der Welt: „Raum, verschraubt mit der Zeit“, das Architekturjahrbuch der Steiermark, gestaltet von Gabriele Lenz.

Bücher transportieren Inhalte. Gedachtes wird in Schrift, das Bild der Sprache, übertragen. Illustrationen haben die Aufgabe, Inhalte „hell zu machen, zu beleuchten“(lat. lustrare) und ihre Verständlichkeit zu fördern. So weit, so klar.

Zweifellos sind Bücher für Menschen, die sie lieben, aber mehr als Transporteure von Inhalt und Wissen. Sie spenden Trost, können ein Wir-Gefühl schaffen, sind purer Genuss und Leselust. Wer ins Lesen vertieft ist, scheint von seiner Umwelt abgeschnitten. Bücher können imaginäre Räume aufspannen. Und manchmal verwandelt sich die Flachware Buch ganz real in ein ansehnliches Gebilde plastischer Wirkung.

Ein solches Buch ist „Raum, verschraubt mit der Zeit“, das aktuelle Architekturjahrbuch der Steiermark, das den Architekturpreis des Landes 2010 und neun nominierte Bauwerke präsentiert. Wo der Schweizer Kurator Hubertus Adam zum besseren Verständnis die Qualitäten der von ihm ausgewählten Bauten in einen sehr persönlich gehaltenen Reisebericht fasst und diesen assoziativ mit einer zeitgeschichtlichen Analyse der Grazer Architekturbewegung, mit architekturhistorischen Verweisen, einer Sage und einem den Grazer Treppen gewidmeten Gedicht von Erich Fried verknüpft, und wo die Fotografin Herta Hurnaus eine in sich geschlossene Serie von Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Objekte liefert, tritt als kongeniale Partnerin die Wiener Grafikerin und Gestalterin Gabriele Lenz (mit Mitarbeiterin Elena Henrich) auf den Plan.

Die Aufgabe ist komplex. Unterschiedliche Textgattungen in Deutsch und in englischer Übersetzung, Planzeichnungen, Datenblöcke und Bildmaterial sollen miteinander verschränkt werden. Lenz trennt die Schwarz-Weiß-Fotografien von Herta Hurnaus vom Textteil und macht daraus ein eigenes Buch – einen Fotoessay mit dem Vorzug großer Bildformate. Die Texte werden in einer klaren Struktur ineinander verzahnter Textblöcke angeordnet, dezent farblich und in Schriftgröße und Schriftart voneinander abgesetzt und durch feinstrichige Pläne und Zeichnungen aufgelockert. So entstehen zwei Bücher, die mit ihren offenen Buchseiten nach innen nebeneinander angeordnet und in einem gemeinsamen Leineneinband gefasst sind. Der Leser hat die Freiheit, sich nach Lust und Laune in die Texte oder Bilder als eigene Lesestrecken zu vertiefen. Öffnet man beide Bücher bei am Seitenrand höhengleich angelegten feinen Linien, so stellt sich die Kongruenz von Objekttext und Bild ein, ist ein Ganzes.

Der Buchtitel, eine Zeile aus dem Gedicht von Erich Fried, bezieht sich viel eher auf das Kuratorenkonzept der inhaltlichen Verschränkung und die gestalterische Idee, die ihr die Form gegeben hat, die Inhalt und Form „verschraubt“ hat, als auf den Inhalt selbst. Aber er macht im gleichen Maß neugierig auf den Inhalt wie der blaugraue Leinenumschlag mit der Tiefprägung, die sich in eine Andeutung von Schrift auflöst, und die doppelten Buchrücken in Fadenheftung.

Gabriele Lenz orientiert ihre kreative Arbeit in erster Linie an der Frage, wie Typografie den jeweiligen Inhalt am besten transportieren kann. Gute Lesbarkeit, die Übersichtlichkeit von Schrift und Layout, Materialgüte, handwerkliche Qualität und Präzision auch in der Verarbeitung sind ihre Kriterien. An rein formalen Lösungen, an l'art pour l'art, ist die Grafikerin nicht interessiert. Ihr Wahlspruch „Gute Typografie macht keine Geräusche“ stammt von Otl Aicher, dem genialen deutschen Typografen, der die visuelle Gestaltung in den Nachkriegsjahren revolutioniert und immer behauptet hat, dass es schwieriger sei, einen Text gut lesbar anzubieten, als daraus eine schöne Struktur, ein Kunstwerk zu machen.

Mit der Buchgestaltung von „Raum, verschraubt mit der Zeit“ ist der Grafikerin beides gelungen, und so scheint es nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass dieses Buch unter 540 Büchern aus 31 Ländern ausgewählt wurde, sich mit dem Titel „Schönstes Buch der Welt“ und einer Goldmedaille schmücken zu dürfen. Letzte Woche wurde diese Auszeichnung, die seit 1965 von der deutschen Stiftung Buchkunst verliehen wird, an Gabriele Lenz im Rahmen der Leipziger Buchmesse überreicht. Die Auswahl kommt traditionell vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels, der dieses Buch zuvor mit 14 weiteren Publikationen als „Schönstes Buch Österreichs 2011“ nominiert hat. In dieser Woche wurde nun auch der daraus ausgewählte Österreichische Staatspreis – monatelang ein gut gehütetes Geheimnis – in einem feierlichen Akt für dieses einzigartige Buch vergeben.

Gabriele Lenz' „Büro für visuelle Gestaltung“ zeigt vermutlich nicht zufällig eine auffallende Ähnlichkeit in der Namensgebung mit Otl Aichers „Büro für visuelle Kommunikation“, das dieser nach der politisch motivierten Schließung der von ihm mitbegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm bis zu seinem Tod 1991 geführt hat. Wie für Aicher ist für die Gestalterin Lenz die Typografie, unter der man längst nicht mehr nur Schriftgestaltung und -layout versteht, Mittel und Form zur Erleichterung der Kommunikation – sie ist Kommunikation, die sich in Plakaten, Beschriftungen, in Leitsystemen und in Buchgestaltung ausdrückt. Aichers Piktogramme, Bildsymbole wie jene für die Sportarten bei den Olympischen Spielen 1972, sind weltweit in Verwendung, seine Zeichen für Abflug und Ankunft auf Flughäfen kennt jeder, sein Corporate Design für Braun, Lufthansa oder Erco Leuchten hat Designgeschichte geschrieben.

Gute Lesbarkeit ist bei der typografischen Arbeit, die auf dem Tisch von Gabriele Lenz landet, immer zugleich Motto und Herausforderung. Und so hat sie sich auch mit Leseforschung beschäftigt und im Rahmen einer Studie über das Leseverhalten von 13- bis 19-Jährigen im Team mit Daniela Kraus und Andy Kaltenbrunner 2008 eine Schriftenfamilie für Jugendliche entwickelt. „Typografie ist nichts anderes als die Kunst, jeweils herauszufinden, was das Auge mag, und Informationen so schmackhaft anzubieten, dass es ihnen nicht widerstehen kann“, sagt Otl Aicher. Möge Gabriele Lenz uns noch oft mit ihrer Kunst der Typografie Genuss bereiten.

Spectrum, Sa., 2012.03.24

11. Februar 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Wirklichkeit nach Tagsatz

Architektur im Kontext: zu den Fotografien Paul Otts.

Architektur im Kontext: zu den Fotografien Paul Otts.

Wer die Arbeitsweise des Architekturfotografen Paul Ott kennt, versteht, warum Fotografen Honorare nach Tagsätzen verrechnen. Man trifft ihn am Morgen bei einem abzulichtenden Objekt und kann ihn spätnachmittags noch an derselben Stelle sitzen sehen, wartend auf den Moment, der sein Sujet ins beste Licht rückt. Hell-gleißend ist dieses in Otts Bildern nie, denn es geht ihm nicht um das kontrastreiche, singuläre Hervorheben von Gebautem, sondern im Gegenteil um seine Einbettung in einen Rahmen – den der Stadt, der Landschaft, des Ganzen. Das Grün der Blätter und Halme wird zum Filter. Solche Aufnahmen gleichen Vexierbildern und kommen den Intentionen der Architekten, denen Kontextualität wichtig ist, ganz nahe.

Den Bildern in seinem Band „Fotografie über Architektur“ ist der erkennende Blick des Fotografen anzusehen, aber auch Eigenschaften wie Geduld, Konzentrationsvermögen und Bescheidenheit sind ablesbar. Otts Arbeit als Architekturfotograf ist dokumentarisch; sie bildet Wirklichkeit ab und will zum Verstehen eines architektonischen Konzepts, einer Absicht beitragen. Die Entscheidung, den Aufnahmen weder Titel noch Objektdaten hinzuzufügen, konzentriert den Blick auf Bildgehalt und Bildcharakter, die Wahl von nicht hochglänzendem Papier verschönert ihn. Am Buchende sind Bildsujets und Architekten gelistet.

Spectrum, Sa., 2012.02.11

28. Januar 2012Karin Tschavgova
Spectrum

Die neue Ordnung

Ein buntes Nebeneinander: Belgrad im Winter 2012 zeigt sich als Stadt mit reicher Baugeschichte im Zustand des Verharrens. Die Menschen versuchen dennoch guten Mutes zu sein.

Ein buntes Nebeneinander: Belgrad im Winter 2012 zeigt sich als Stadt mit reicher Baugeschichte im Zustand des Verharrens. Die Menschen versuchen dennoch guten Mutes zu sein.

Belgrad im Jänner 2012. Wer wohlwollenden Rat in den Wind schlägt und zur Fahrt ins Hotel den öffentlichen Bus nimmt, betritt am Slavija Platz die Stadt und erhält gleich eine eindrucksvolle Lektion Belgrader Stadtplanung. Fünf große Straßen münden in den Kreisverkehr um die Grünfläche, auf der nicht nur die überdimensionierte Büste eines sozialistischen Schriftstellers steht, sondern auch seine Gebeine liegen. Mit der Bauruine eines Vorstadthauses, Parkplätzen in Baulücken neben dem Hotel Slavija, der ersten osteuropäischen McDonald's-Filiale und einer längst grün überwachsenen Baugrube, über der 1940 (!) ein Warenhaus errichtet werden sollte, bleibt der Platz eine offene Wunde im Gewebe der Kernstadt am rechten Ufer der Save.

Auch hiefür soll Nikola Dobrovic als vielleicht wichtigster Urbanist und Theoretiker Belgrads ein Vorschlag entwickelt haben. Der wurde, wie alle seine Ideen zur städtischen Entwicklung, nie umgesetzt. Immerhin kann man sein siegreiches Projekt beim internationalen Wettbewerb 1929 für die Terazije über Planunterlagen mit dem Istzustand vergleichen. Für das lang gezogene Oval – nicht Platz und nicht Straße – an einer der nicht nur topografisch spannendsten Stellen auf dem Hügel hatte der Architekt eine großstädtische Geste aus kaskadenartig abgestuften Baukomplexen, die einen stattlichen öffentlichen Platz rahmen, vorgesehen. Heute ist dort, mit großartigem Ausblick auf die Ufer der Save und das dahinter aufsteigende Gewirr der Wohnblöcke von Novi Beograd, noch immer eine Brache. Sie wird an einer Seite von einem gerade fertiggestellten, mittelmäßigen Bürohaus gesäumt, auf der anderen von Feuermauer, Hinterhof und Nichts.

Es sind das Nebeneinander und die sich darin ausdrückende Vielfalt, die diese Stadt interessant machen. Sie liegt an zwei Flüssen, an Save und Donau. Ausgedehnte grüne Uferzonen, die von Hausbooten und Radwegen gesäumt sind, geben eine Ahnung von der Lebensqualität der Stadt in der warmen Jahreszeit. Vielfalt liegt schon in der Geschichte der Stadt begründet, die jahrhundertelang als strategisch wichtiger Ort heiß umkämpft war. Vom Barock der Habsburger, die die mittelalterliche, ummauerte Stadt einebneten, um im heutigen Stadtteil Dorcol ein deutsches Viertel für Einwanderer zu errichten, blieb, als die Türken die Stadt eroberten, nur das orthogonale Straßennetz. Selbst an ihre Herrschaft erinnern nur wenige bauliche Spuren.

Was der Stadt an gebauter Substanz erhalten blieb, ist ein buntes Nebeneinander, das den Schritt um jede Ecke zum neuen Erlebnis macht. Neben der eher geringen Zahl an Häusern im serbisch-byzantinischen Stil und einigen sezessionistischen Beispielen fällt der eklektizistische Stilmix an öffentlichen Repräsentationsbauten auf, die bis in die 30er-Jahre errichtet wurden. Zeitgleich, im Widerstreit mit dem monarchischen Zeitgeist, formierte sich eine „Gruppe der Architekten der modernen Bewegung“, der Belgrad Bauten zu verdanken hat, die der europäischen Moderne ebenbürtig sind.

Was der Zweite Weltkrieg auch hier gestoppt hatte, konnte im Nachkriegsbelgrad fruchtbar fortgesetzt werden. Der Weg Titos – die Gründung der Bewegung der blockfreien Staaten und seine Annäherung an den Westen – brachten nicht nur Entwicklungsgelder ins Land, sondern auch die Liberalisierung der jugoslawischen Gesellschaft mit sich. Aus dieser Zeit der Rekonstruktion stammen viele Wohnhäuser im Geist von Moderne und le Corbusier. Einige öffentliche Bauten dieser Ära, in der sich Belgrad zu einer Metropole internationalen Zuschnitts entwickelte, wie die Nationalbibliothek oder die Fakultät für Philosophie, zeigen eine eigenständige regionale Ausformung des Modern Style, in dem unter anderem die facettenreiche Anwendung von Stein Bedeutung erlangte. Preziosen jugoslawischer Baukunst sind auch das Sportzentrum des 25. Mai von Ivan Antic oder sein Museum für Zeitgenössische Kunst in Neu-Belgrad – kraftvoll in Form und Ausdruck.

Novi Beograd, die Stadt aus unzähligen, nicht enden wollenden Wohnquartieren am linken Ufer der Save, in der heute etwa 300.000 Menschen leben, hat seine Existenz nicht nur dem enormen Zuzug nach 1945 zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass die kommunistische Nomenklatura alles Bestehende und damit das alte Belgrad geringschätzte. Novi Beograd war das Symbol der neuen Ordnung – erbaut ab 1960 nach einem Generalplan, mit Einteilung in Blöcke und viel gepriesener Weitläufigkeit.

In der Kälte des zugigen Wintertags ist es hier nur trist. Punkthochhäuser, die lange Schatten auf ihre Nachbarn werfen, und endlos lange, bis zu vierzehn Geschoße hohe Häuserzeilen lassen einen froh sein, dass man diesen Stadtteil nicht zu Fuß durchmessen muss. Durchgrünung ist vom Auto aus kaum zu sehen, hingegen weisen Supermärkte, Behelfshallen und Kioske auf eine Nachverdichtung hin. Weitgehend frei von Bebauung zeigt sich nur die nordöstliche Uferzone des Stadtteils. Hier liegen Symbole der Privatisierungen seit 2001: das berühmte Hotel Jugoslavija und das Einkaufszentrum Usce mit dem Hochhaus, das einst der Sitz des ZK-Komitees war und das heute, nach der Bombardierung 1999 und Renovierung, den Schriftzug „Hypo“ auf dem Dach trägt.

Hier wie dort hat man den Eindruck, dass vieles auf Wiederbelebung wartet. Alle großen Museen sind gesperrt, nur das Nationalmuseum am Platz der Republik ist eingerüstet. Einzig die Kneza Mihaila, die als Fußgängerzone alle internationalen Modeketten aufbietet, zeigt sich herausgeputzt. Viele Bauten sind heruntergekommen und renovierungsbedürftig, was nicht nur mit Krise und politischer Isolierung, sondern wohl auch mit der noch nicht erfolgten Restitution zu erklären ist.

Dennoch ist Belgrad eine Stadt mit pulsierendem Leben, vollen Kaffeehäusern und geschäftigem Treiben. Das Warten auf bessere Zeiten wollen sich die Belgrader trotz prekärer Arbeitsverhältnisse nicht vermiesen lassen. Und so schwärmt Miodrag, der junge Architekt, in einer der Kneipen der provisorisch revitalisierten Beton Hala am Hafen vom dort erlebbaren Wintersonnenuntergang – notfalls auch ohne Kaffeegenuss.

Spectrum, Sa., 2012.01.28

02. Dezember 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Licht durch den Trichter

Das Besucherzentrum für das neue Grazer Museumsquartier unter die Erde zu verlegen ist eine Königsidee. Aber sie hat ihren Preis. Joanneumsviertel: eine erste Visite.

Das Besucherzentrum für das neue Grazer Museumsquartier unter die Erde zu verlegen ist eine Königsidee. Aber sie hat ihren Preis. Joanneumsviertel: eine erste Visite.

Alles Neue ist gewöhnungsbedürftig. Die Bezeichnung Joanneumsviertel für das, was am vergangenen Wochenende in Graz mit großer Zeremonie eröffnet wurde, ist dem einen (dem Uneingeweihten) Verwirrung, dem anderen (den Initiatoren) Programmatik. Das neue Joanneumsviertel – ein Stadtbezirk, ein Museumsquartier oder ein um einen neuen Eingang erweitertes, modernisiertes Museum? Die Absicht hinter der Titelgebung ist nachvollziehbar. Mehrere museale Institutionen unter der Obhut und Verwaltung des „Universalmuseums Joanneum“ wurden neu strukturiert und werden bis 2013 umgebaut und erweitert. Sie alle liegen in einem Straßenkarree „hinter“ dem Hauptplatz, wie Grazer das Quartier um das bis 1886 bestehende Neutor der ehemaligen Befestigung lokalisieren.

Eröffnet wurden nun das sanierte Museum Joanneum und ein neues Besucherzentrum als zentrales Verbindungsglied zwischen dem neobarocken Museumsbau aus dem Jahr 1894, der nach der Übersiedelung der Gemäldesammlung ins Schloss Eggenberg nach Neunutzung rief, und dem Lesliehof, einem als Kloster im 17. Jahrhundert erbauten Geviert, das bis 2009 als veraltetes Museum für Naturkunde diente, sowie der zeitgleich mit dem Joanneum errichteten Landesbibliothek. Drei historische Sammlungs- und Ausstellungsbauten, die bis dahin nur ihre geringe Besucherzahl einte, sollten nicht nur saniert und erweitert werden, sondern durch ein repräsentatives Eingangszentrum eine die große Investition rechtfertigende Belebung erfahren.

Daraus erklärt sich auch die Verlegung der Neuen Galerie von der zentral gelegenen Sackstraße in das sanierte Joanneum. Sich die international renommierte Abteilung für die Sammlung und Präsentation zeitgenössischer Kunst einzuverleiben, die, obschon auch zuvor formal dem Landesmuseum unterstellt, von Peter Weibel und Christa Steinle bis zur nicht friktionsfreien Übersiedlung in weitgehender Autonomie der Programmgestaltung geführt werden konnte, war wohl ein Muss für Peter Pakesch, den Museumsdirektor, um sein neues Museumsviertel zu attraktivieren.

Der Entwurf des spanischen Architekturbüros Nieto Sobejano in Arbeitsgemeinschaft mit „eep architekten“ aus Graz, die das EU-weit ausgeschriebene Bewerbungsverfahren für sich entscheiden konnten, sah vor, die geforderte Kubatur für die Erweiterung der Bibliothek und das neue Besucherzentrum unter die Erde zu legen. Auf trapezförmigem Zuschnitt sind nun Kasse und Garderoben, Entlehnstelle und Freihandbibliothek, die multimedialen Sammlungen, ein Auditorium und der Museumsshop situiert, darunter ein Tiefspeicher für die Bücher. Die auf Straßenebene entstandene freie Fläche ist nicht mehr wie früher als umzäunter Museumsgarten angelegt, sondern als befestigter Platz und öffentlicher Raum, der schwellenlos benützt werden kann – und soll. Fünf große, kegelförmige Trichter aus Glas strukturieren die Piazza und bringen großzügig Tageslicht in die Räume darunter, sodass der Besucher, hat er erst die Rolltreppe, die ihn vom Platz auf die Verteilungsebene führt, verlassen, nie das Gefühl hat, sich unter Terrain zu befinden. An der höchst komplexen Form der verschieden großen Kegelstümpfe, die das Besucherzentrum aus jeder Perspektive und jedem Winkel dominieren, zeigt sich auch die Qualität seiner Detailausbildung am deutlichsten. Die riesigen, unterschiedlich gebogenen und geneigten Gläser mit Punktraster stoßen mit beeindruckender Präzision aneinander. Sie müssen selbst für den Glashersteller eine Herausforderung gewesen sein. Darüber hinaus zeigt die räumliche Gestaltung fein nuancierte Zurückhaltung: Sichtbeton an den Wänden, geschliffener Gussasphalt als Boden, bündig eingelegte Türelemente und frei stehende Möbel im gleichen Holz; Grau, Schwarz und helles Braun als Materialfarben und Weiß als Aufhellung bilden ein stimmiges Ganzes.

Die Königsidee des Entwurfs ist zweifelsfrei die Absenkung des Besucherzentrums um ein Geschoß. Die historischen Bauten, die einander den Rücken zukehren, werden in ihrer Dimension und autonomen Stellung nicht angetastet, die Fläche dazwischen bleibt frei von Hochbauten und könnte so als Platzangebot, in Kürze ergänzt durch ein Café, über den Museumsbetrieb hinaus wirksam werden.

Was stadträumlich schlüssig ist, hat allerdings seinen Preis. Das barocken Grundrissprinzipien folgende Museum Joanneum wurde ursprünglich von der Neutorgasse aus erschlossen und war durch die Raumfolge Vestibül, Prunkstiege und Kuppelsaal geprägt. Nun betritt man das Palais über die neue, zweiläufige Treppe vom Besucherzentrum aus, die in eine Hintertreppe mündet, ehe man, auf dem Treppenabsatz der Prunkstiege angekommen, sieben Stufen ins Vestibül absteigen muss, um von dort nach sieben Stufen Aufstieg die beiden Ausstellungseinheiten des ersten Hauptgeschoßes zu erklimmen. Will man also ins neue Museum der Arbeiten von Günter Brus oder in die Sammlungsausstellung der Neuen Galerie, so hat man 61 Stufen zu bewältigen, und will man gar ins zweite Hauptgeschoß, das mit einer großen Hollein-Retrospektive eröffnet wurde, so folgen weitere 35 Stück.
Man kann auch den neuen Lift nehmen, die repräsentative historische Raumfolge erlebt man dann allerdings nicht. Auch die Enfilade der beiden Ausstellungsebenen ist nur mehr eingeschränkt erlebbar. Der Wunsch nach zusätzlichen Hängeflächen machte es offensichtlich unabdingbar, dass die meisten der größeren Räume ihre natürliche Belichtung verloren. Der Fensterfront wurde eine geschlossene Wand vorgesetzt, die zusammen mit der neuen abgehängten Decke eine Vorsatzschale bildet: Sie enthält die technische Infrastruktur.

Die Absicht ist klar. Dass die Gartenfassade als nun zum Platz gerichtete Hauptfassade vorwiegend Blindfenster zeigt, scheint zweitrangig. Ob nicht auch eine funktionstüchtige Fassade mit Fenstern, die vom Straßenraum aus Bewegung und Leben zeigen und von welchen der Besucher den neu geschaffenen Platz aus überblicken könnte, zur gewünschten Belebung des neuen Viertels beigetragen hätte, zumindest dann, wenn tageslichtverträgliche Werke ausgestellt werden?

Spectrum, Fr., 2011.12.02

05. November 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Zwischen hier und dort

Aufbahrungshallen sind Orte des Übergangs, die besondere Achtsamkeit in der Gestaltung verlangen. Drei Beispiele – in Linz, Graz und Slowenien – zeigen, wie unterschiedlich Symbolkraft und Metapher ihren Ausdruck finden.

Aufbahrungshallen sind Orte des Übergangs, die besondere Achtsamkeit in der Gestaltung verlangen. Drei Beispiele – in Linz, Graz und Slowenien – zeigen, wie unterschiedlich Symbolkraft und Metapher ihren Ausdruck finden.

Wenn Architektur die Fähigkeit hat, an etwas zu erinnern, so ist es kein Zufall, dass die frühesten und wichtigsten Bauwerke in vielen Kulturen Begräbnisbauten waren. Ihnen wurde eine Bedeutung zugeschrieben, die weltliche Architektur lange nicht erreichen sollte. Von Sakralarchitektur erwarten wir uns auch heute, dass sie Stille und Besinnung ermöglicht und sich von der Architektur des Alltags absetzt. Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp nimmt in seinem Werk deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie eine andere Moderne darstellt, eine, die mit Bedeutung und suggestiver Stimmung aufgeladen ist und daher mit der Neuen Sachlichkeit nichts gemein hatte.

Friedhöfe und ihre Einsegnungs- und Aufbahrungshallen sind Orte des Gedenkens und des Abschiednehmens. Solche Orte sind nie als rein funktionalistische Architekturen konzipiert, sie wollen als Raumkunst und Metapher für religiöse Werte verstanden werden.

Für Ernst A. Plischke, den bedeutenden Vorreiter der Moderne im Österreich der Zwischenkriegszeit, liegt die wesentliche Qualität jeder „voll entwickelten modernen Architektur in der Spannung zwischen Raumkonzept und Funktion einerseits und zwischen der Vision einer Bauplastik und der Konstruktion andererseits“. Ohne diese Spannung gäbe es entweder reinen Utilitarismus oder eine abstrakte Bauplastik.

Diese Kriterien für gute Architektur erfüllt der heurige Preisträger des nach Plischke benannten Preises, der slowenische Architekt und Universitätslehrer Aleš Vodopivec, im Waldfriedhof Srebrnice bei Novo Mesto aufs Beste. Die Friedhofsanlage im südlichen Slowenien mit Einsegnungshalle, vier abgeschlossenen Aufbahrungskapellen und präzise gesetzter Wegeführung vereint funktionale und symbolische Qualitäten in würdevoller Harmonie. Vodopivec bezieht vorhandene natürliche Landschaftselemente, Nadelwald und Waldlichtung, in seinen Entwurf mit ein und gibt ihm damit Richtung. Der monumental überhöhten, offenen Säulenhalle mit 25 Säulen in quadratischer Anordnung stellt er die Stämme einer Baumgruppe vor der Waldgrenze gegenüber. Er gibt der Annäherung an den eigentlichen Ort der Verabschiedung Raum und damit Zeit und inszeniert den Übergang von den Außenräumen zum Innenraum bis hin zur Lichtführung achtsam und präzise. Drinnen und Draußen folgen nicht der Dialektik des Entweder-oder, des Seins und Nichtseins, sondern bilden fließende Übergänge. Auch die Einsegnungshalle ist dreiseitig verglast – Naturraum und gebauter Raum verschmelzen ineinander. Gekonnt ist die Anlage bis ins Detail gelöst: mit Betonscheiben, die den Eingängen zu den intimen Aufbahrungskapellen vorgesetzt sind, um Einsehbarkeit zu verhindern, mit exakt bündig angeschlagenen Türen, deren Material Holz stimmiger Kontrast zur Oberfläche des Sichtbetons ist, und mit schräg gestellten Wandelementen, die Seitenlicht in Nebenräume bringen und damit die durch Gleichmaß bestimmte Ausstrahlung des Bauwerks nicht mit der Banalität von Klofensterformaten konterkarieren.

Die neue Aufbahrungshalle auf dem Steinfeldfriedhof in Graz entspricht dem Anspruch nach Übereinstimmung von Funktion, adäquater Raumerfindung und Baustruktur leider nicht. Hofrichter-Ritter Architekten setzen das „Friedhofscenter“, wie die Anlage von der Stadtpfarre Graz, der Bauherrin, genannt wird, durch seine Form spektakulär in Szene, lassen jedoch grundlegende Voraussetzungen für innere Einkehr außer Acht. Die Annäherung an den oval gekurvten Einsegnungsraum ist unschön asphaltiert und die Einfriedung der Anlage nicht mehr als die formal begründete Fortführung der ebenso schräg gestellten Wand des angebauten Nebentrakts. Der geschützte Vorbereich, der aus der weiterführenden Überdeckung der beiden raumbegrenzenden Wandscheiben des Hauptraums entsteht, ist wiederum zu knapp, um als Ort der Versammlung dienen zu können. Vieles an diesem Bau scheint nicht zu Ende gedacht: die Anlieferung des Sargs in unmittelbarer Nähe zur Urnenwand, die undifferenzierte Deckenführung der Halle über das im Fußboden hervorgehobene Oval der Grundrissfigur hinaus, fantasielose Einschnitte von Tür und Fenstern in schräg gestellte Wände. Auch die Metaphorik des Bauwerks ist vordergründig – das Ovalrund als Zeichen der Endlosigkeit, die sich an einem Ende von der Erde lösenden, „schwebenden“ Wandscheiben oder das billig gepinselte Deckenfirmament bieten kaum Interpretationsspielraum. Es erfordert große Achtsamkeit, für Metaphern, die solch bedeutungsvollen Orten unterlegt werden, den passenden Ausdruck jenseits von Geschwätzigkeit und blasser Andeutung zu finden und sie nicht Kitsch oder Klischee werden zu lassen.

Diesen Ton trifft der Architekt Andreas Heidl – zu Unrecht erst durch seinen Entwurf für den Umbau des Nationalratssaals bekannt geworden – bei Sakralbauten immer. An der Neugestaltung der Aufbahrungshallen und Servicebereiche beim Linzer Stadtfriedhof St. Martin zeigt sich nicht nur Heidls Fähigkeit, funktionelle Ordnung in räumlich-differenzierter Gliederung herzustellen, sondern auch, dass er in der Beschränkung auf wenige, genau gewählte Elemente, Materialien und Farben große atmosphärische Dichte erzeugen kann. Der Architekt macht über Schwellen deutlich, dass man einen Ort der Stille betritt, und lässt dem Besucher Zeit, sich beim Durchschreiten eines Birkenhains darauf einzustellen. Er schafft unterschiedliche Zonen und Stimmungen, indem er dem Zeremoniensaal eine offene Halle für das Versammeln vor dem Begräbnis vorsetzt, die er durch Abstand vom gewachsenen Terrain und vom Hauptbau leichter erscheinen lässt. Ruhe und Gelassenheit des Innenraums erzeugt Heidl mit einheitlichen Oberflächen und Licht- und Farbstimmung. Sollte dahinter eine Symbolik stehen, so lässt sie unterschiedliche Deutungen zu – für mich die Assoziation mit dem Bild des gleichmäßig strahlenden Lichts am Ende eines Tunnels, das eine immer wiederkehrende Nahtoderfahrung beschreibt.

Spectrum, Sa., 2011.11.05



verknüpfte Bauwerke
Stadtfriedhof Linz / St.Martin Aufbahrungshalle

24. September 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Über den Wipfeln ist Ruh

Er will kein klassischer Aussichtsturm sein, ist vielmehr eine Raumskulptur mit außergewöhnlicher Wegeführung. Der Murturm im steirischen Gosdorf bietet die verfeinerte Wahrnehmung einer Aulandschaft: ökologische Wald-Etagen statt spektakulärer Rundsicht.

Er will kein klassischer Aussichtsturm sein, ist vielmehr eine Raumskulptur mit außergewöhnlicher Wegeführung. Der Murturm im steirischen Gosdorf bietet die verfeinerte Wahrnehmung einer Aulandschaft: ökologische Wald-Etagen statt spektakulärer Rundsicht.

Flüsse bilden Grenzen und sind zugleich verbindend. Mit der Ostöffnung wurden ehemals befestigte Grenzen von Finnland bis ans Schwarze Meer zu einer Kette unberührter Landschaften – Biotope, deren Schutz und Erforschung die EU unterstützt, ist das doch ein Beitrag zur Erhaltung von Biodiversität. Im Süden der Steiermark bildet die Mur knapp 40 Kilometer lang die Grenze zu Slowenien, ehe sie Österreich verlässt. Früher war die Aulandschaft an dieser Stelle eine Terra incognita. Genau das erwiessich als Vorteil für das Überleben von Tieren und Pflanzen, die anderswo längst als bedroht galten. Der Mündungsbereich des Saßbachs in die Mur – eine flache, lose bewaldete Landschaft mit Schotterinseln, die die Strömungsgeschwindigkeit der Mur verlangsamen und damit nicht nur ideale Voraussetzungen zur Renaturierung, sondern auch zur Beobachtung von Vögeln bieten – ist Teil des Programms „Grünes Band Europa“. Mit der sanften touristischen Erschließung dieser Landschaft wurde das Münchner Büro terrain:loenhart&mayr beauftragt. Mit der Steiermark verbunden ist Klaus Loenhart als Leiter des Instituts für Architektur und Landschaft an der TU Graz.

Folgt man im 1000-Seelen-Ort Gosdorf dem leicht zu übersehenden Hinweis auf einen „Murturm“, so passiert man vorerst ländliche Banalität. Rustikale Allerweltsarchitektur als Schenke für Radfahrer des Murradwegs, bescheidenes Ferienglück im längst fix installierten Campingmobil am Ufer des winzigen Sees, ein kleiner Parkplatz am Zugang zur Au, die für den motorisierten Verkehr gesperrt ist. Erlenwald und Feuchtwiesen, befestigte Waldwege, Wanderers Rast beim Insektenhotel, eine neu geschaffene Furt. Doch dann, durchs silbrig glänzende Blattwerk erspäht, ein hoch aufragendes Bauwerk, das es in sich hat, ein stählerner Turm, der sich polygonal in die Höhe schraubt. In seiner komplexen räumlichen Geometrie ist er auf den ersten Blick wenig fassbar, wirkt, als wäre er instabil. Mit Aussichtstürmen, die man landläufig kennt, jenen massiven, wehrhaft wirkenden Holzkonstruktionen, die reine Funktionsgebilde sind und nichts anderes wollen, als den Besucher sicher und rasch zum höchsten Punkt und freien Rundblick zu bringen, hat der Murturm nichts zu tun. Dieser Turm setzt sich auffallend in Szene – wie eine Diva auf dem roten Teppich, die als singulärer Höhepunkt gesehen werden will.

Aufstieg und Abstieg sind in Form einer Doppelhelix. Eine lineare Wegeführung mit zwei gegenläufigen Treppen, die ineinander verdreht nach oben streben und am höchsten Punkt über eine Plattform miteinander verbunden sind, hatten die Architekten von Anfang an im Kopf. Die Geometriefindung der räumlichen Struktur, die die beiden Treppenläufe tragen sollte, erwies sich dennoch als langwieriger und aufwendiger Prozess der Optimierung von Form und Material, als ein stetes Hin und Her zwischen Tragwerksplanern und Architekten. Erste einfache Papiermodelle, die wieder verworfen wurden, zeigen räumlich gekrümmte Rohre in der Figur von Zylindern oder steilen Kegelstumpfen. Formvorstellungen wurden gebaut, von den Tragwerksplanern im digitalen 3-D-Modell gerechnet, und das Ergebnis wurde wieder in ein physisches Modell „übersetzt“. Ein Feilen, so lange, bis Bewegungsablauf und Form optimiert schienen und das Tragwerk in Hinblick auf von außen einwirkende Kräfte, Lastenverteilung und fertigungstechnische Überlegungen dimensioniert war.

Entstanden ist eine Tragkonstruktion aus massiven Formrohren im Rechteckquerschnitt, die sich als doppelter Polygonzug nach oben schrauben. Körperhafte Präsenz, die die Dynamik der Gehspirale erst zur Wirkung bringt, verdanken die Treppenläufe den geschlossenen Brüstungen aus Aluminiumpaneelen und der Verkleidung ihrer Unterseite mit gekanteten Blechen. Statisch betrachtet, handelt es sich um ein Hybridtragwerk aus räumlichen, biegesteifen Knotenverbindungen, die durch eine Kombination aus Druckstäben und Seilen unterstützt werden. Die vorgespannten Seile im inneren Hohlraum der Raumstruktur haben dabei die Aufgabe, Schwingungen und die horizontale Schwankungsbewegung am Turmkopf zu minimieren. Knotenverbindungen, Anschlussdetails für Treppenträger und Seilanschlüsse wurden systematisiert, sodass sie trotz unterschiedlicher Rohrdimensionen und Anschlusswinkel einer geometrischen Logik folgen, die ihre Produktion erleichtern sollte. Knoten wurden im Werk produziert und Rohranschlüsse vor Ort geschweißt und geschlossen. Wer gleich neugierig losstürmt, ohne den Versuch, die Komplexität von Tragkonstruktion und Aufstieg vom Boden aus zu begreifen, der erkennt erst oben, auf der Plattform in 27 Meter Höhe, dass es sich um eine lineare Wegstrecke in einer gleichmäßigen Drehbewegung handelt, die Aufstieg und Abstieg trennt. Der Murturm will zum Erleben des Naturraums in den unterschiedlichen Höhen des Auwaldes animieren – nicht allein die Aussicht oben, vielmehr die differenzierte Wahrnehmung von Landschaft und Vegetation auf dem Weg ist das Ziel.

„... verschraubt den Raum mit der Zeit“, Erich Frieds Metapher über die berühmte spätgotische Doppelwendeltreppe in der Grazer Burg (zu finden im Gedicht „Grazer Treppen“) wird für die Beschreibung des Murturms immer wieder herangezogen. Und sie passt, denn von Beginn des Aufstiegs an sind Raum und Zeit als Dimension präsent.

Der Auftraggeberin, der kleinen Gemeinde Gosdorf, sollte der Turm im Bemühen um die touristische Aufrüstung der südsteirischen Grenzlandschaft ein Alleinstellungsmerkmal sichern. Zur maximalen touristischen Ganzjahresverwertung, für den Bilbao-Effekt, sind Ort und Objekt jedoch nicht geeignet, und Besucherströme in die unberührte Au wären auch nicht im Sinn der sanften Erschließung des Biotops. Der Bürgermeister hält an der Richtigkeit seines Tuns unbeirrt fest, auch wenn es Streit um die Kosten gibt. Dass der Kostenrahmen nicht eingehalten werden konnte und die Stahlbaufirma als Generalunternehmerin nun ein Mehrfaches ihres Anbots auf dem Prozessweg einfordert, ist ärgerlich, denn alle Beteiligten hätten wissen müssen, dass innovative Entwürfe Experimente sind, die aufwendigere Entstehungsprozesse und erheblichen Mehraufwand verlangen. „Nonstandard Structures“ sind im Rahmen heute üblicher enger Kostenkorsette kaum mehr zu realisieren. Und doch sind es aus allen Epochen der Kunst- und Baugeschichte genau jene außergewöhnlichen, zu ihrer Zeit innovativen Bauwerke, die unser besonderes Interesse, unsere Aufmerksamkeit und Bewunderung finden. Auch der Murturm mag, obwohl in struktureller und funktioneller Logik konzipiert, das Gegenteil von gebauter Ökonomie sein. Aber er ist ein Erlebnis, ein singuläres Hoch – erhebend für jeden Einzelnen, der sich auf den Weg macht.

Spectrum, Sa., 2011.09.24

02. Juli 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Loge im See

Erlebnisräume sollen den Tourismus am Millstätter See ankurbeln. Die Urlauber wollen indes zurück zur Natur. Über Auswüchse des Erfolgsdrucks im Fremdenverkehr.

Erlebnisräume sollen den Tourismus am Millstätter See ankurbeln. Die Urlauber wollen indes zurück zur Natur. Über Auswüchse des Erfolgsdrucks im Fremdenverkehr.

Ein Dilemma des österreichischen Tourismus liegt in der Unvereinbarkeit der Zukunftsbilder, die die Werbung als Leitszenarien für die touristische Entwicklung ausgibt. Dem Slogan „Echt Österreich“, in dem sich der angeblich steigende Wunsch des Gastes nach dem unverfälschten Naturerlebnis ausdrückt, folgt sogleich die Empfehlung an die Tourismusbranchen, den Berg zum ultimativen Erlebniscenter auszubauen, zum Erlebnis Berg mit Entertainment rund um die Uhr. Der plakativen Feststellung, dass „die intakte Umwelt Österreichs gefragt“ ist, folgt die Forderung „nach dem Ausbau der Erlebniskultur rund um Seen“. Entweder fallen die Widersprüche niemandem auf, oder man glaubt wirklich, die Gegensätze ließen sich unter einen alles aufs Natürlichste harmonisierenden Hut bringen.

Es wäre naiv, nicht zu sehen und zu erkennen, dass Natur, die touristischer Wirtschaftsfaktor ist, heute mehr denn je eine inszenierte Natur ist, zurechtgestutzt und herausgeputzt zur bequem konsumierbaren Attraktion. Glaubt man den vielen Fachleuten im Tourismus, den Trendforschern und Marketingexperten, so muss Urlaub heute ein Erlebnis auf allen Ebenen sein. Nur keine Langeweile aufkommen lassen! Um dem Gast einen besonderen Kick zu ermöglichen, muss ihm laut Touristiker ein Angebot für ultimative Erlebnisse gemacht werden, und dazu gehört auch die Inszenierung dessen, was als authentisch, als „echt“ angepriesen wird: Natur und Naturlandschaft.

Globale Konkurrenz führt zu einem Profilierungsdruck, der im Ruf nach Markenbildung und strategischen Allianzen gipfelt. Man könnte also durchaus Verständnis aufbringen für den Drang von regionalen Verbänden, örtlichen Tourismusvereinen und Hoteliers, ihr Urlaubsangebot immer wieder zu erweitern und erneuern. Erstaunlich ist allerdings, mit welch abstrusen Ideen es findigen Beratern immer wieder gelingt, den unter Erfolgsdruck Stehenden weiszumachen, ihre Rezepte seien ein Allheilmittel und Garant für künftigen Gästesegen.

Auch am Kärntner Millstätter See hofft man, durch eine Neuausrichtung das als verstaubt geltende Image der Familienurlaubsdestination, die nicht viel mehr als intakte Natur, Wanderwege und einfache Unterkünfte anbietet, loszuwerden und neue, zahlungskräftigere Gäste gewinnen zu können. Wie man das macht? Drei der acht Gemeinden, die seit Jahren im regionalen Tourismusverband zwecks Kooperation zusammengefasst sind, engagieren den als Entertainment-Experte auftretenden ehemaligen Fernsehdramaturgen Christian Mikunda als Berater und das Kärntner Architekturbüro Trecolore, um Ideen zu entwickeln und auf Papier zu bringen. Gemeinsam operieren sie mit blumigen Begriffen und präsentieren Schaubilder für Bauten am und im See, die trendiges Design sein sollen („emotional, aber trotzdem erwachsen“). Eine riesige Holzplattform als künstliche Hügellandschaft im See soll Logenplätze schaffen und die Beziehung zwischen Berg und See im Ort Seeboden in Szene setzen. In Millstatt ist ein 160 Meter langer, wellig geformter Steg mit übereinanderliegenden, auf- und absteigenden Gehflächen vom Stift zu einer neuen Schiffsanlegestelle geplant, in Döbriach ein zwölf Meter hohes Bauwerk in Form eines ungeordneten Bücherstapels, in dem die Geschichte des Sees erzählt werden soll. Als Gewinnversprechen für die Investitionen, die mit acht Millionen Euro beziffert sind, reicht die Behauptung, dass diese die Strahlkraft der Kristallwelten in Wattens erreichen werden. Erstaunlich, dass selbst jene, die ganz nahe dran sind am Thema und an den Problemfeldern des Tourismus, nicht erkennen, dass solche künstlichen Erlebnisräume bestenfalls kurzen Erlebniswert haben, dass ihnen Infrastruktur und die Einbettung in das örtliche Leben fehlen und sie daher weder als Orte von Begegnung und Kommunikation funktionieren noch geeignet sind, den Gast durch mehr Nächtigungen an Seeboden, Millstatt oder Döbriach zu binden.

Eine Erklärung dafür, warum selbst ernannte Erlebnisdramaturgen und Stadtmarketingexperten wie Gurus auftreten können, deren Heilsversprechen diskussions- und kritiklos geglaubt wird, die jedoch für die Folgen ihrer Versprechen nie persönlich haften, liegt im vermeintlich großen Druck in der Tourismuswirtschaft, sich als Marke durchzusetzen und von seinen Mitbewerbern abzuheben. „In der Wiese liegen, mit der Seele baumeln“ – der immer noch erstaunlich bekannte Slogan der österreichischen Fremdenverkehrswerbung ist längst passé. Er galt den Verantwortlichen rasch als zu einfaches, eindimensionales Angebot an den Gast und wurde deshalb schon Mitte der 1990er-Jahre als unzeitgemäß eingemottet. Es muss eine große Angst davor geben, potenzielle Gäste abzuschrecken, wenn man ihnen zumutet, ihre Ferien selbst zu gestalten und sich mit dem zu begnügen, was sie doch angeblich vermehrt suchen: die Authentizität eines Ortes, einer Landschaft und ihrer Bewohner.

Es ist ein Erfolgsdruck, der kritische Reflexion und grundsätzliche Fragen zu Sinn und nachhaltigem Nutzen immer neuer Trends und Projekte ausschließt. Nur so ist zu erklären, dass selbst Investoren mit offenen Armen empfangen werden, die außergewöhnlich schönen, naturbelassenen Ufergrund mit einer drei- bis viergeschoßigen Apartmentwohnanlage bebauen wollen. Auf einem von der Gemeinde zur wirtschaftlichen Verwertung angebotenen Campingplatz in Millstatt wird damit angeblich ein in zweiter Reihe geplantes überdimensioniertes „Kuschelhotel“ finanziert, das als banaler Verschnitt aus Panhans und Tirolerhaus ganzjährig gewinnbringend Gäste anziehen soll.

Der Architektur kommt in der Entwicklung des Tourismus tatsächlich eine immer größere Rolle zu. Als Reisender würde man sich ein Zukunftsszenario wünschen, in dem sich gebaute Qualität zu einer Baukultur verdichtet, die alle Bereiche des Bauens in touristischen Regionen erfasst. Und dass dem Gast endlich zugemutet und zugestanden wird, unecht von echt, billig von qualitätvoll und inszeniert von gelebt unterscheiden zu können. Investitionen in vordergründige Metaphorik und trendiges Design haben darin keinen Platz.

Spectrum, Sa., 2011.07.02

04. Juni 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Platz da!

Steirische Kindergartenoffensive: Das heißt wenig durchdachte Konzepte neben geglückten baulichen Umsetzungen. Eine Bestandsaufnahme.

Steirische Kindergartenoffensive: Das heißt wenig durchdachte Konzepte neben geglückten baulichen Umsetzungen. Eine Bestandsaufnahme.

Artig aufgestellt in Reih und Glied verkündete die Bundesregierung bei ihrer Klausur am Semmering zu Beginn dieser Woche eine erste Vereinbarung: Für den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, vorwiegend für unter Dreijährige, werden in den nächsten vier Jahren 55 Millionen Euro frei gemacht. Diesen Fördermitteln wird, wie bei der 2008 initiierten ersten Kindergartenoffensive, eine Kofinanzierung der Länder und Gemeinden folgen müssen. Es soll also weiter kräftig in Einrichtungen für die Jüngsten der Gesellschaft investiert werden, die in diesen „Schutzräumen“ ihre frühe Sozialisierung erfahren.

In der Steiermark hat man 2008 den Kindergarten nicht nur für Fünfjährige, wie in der 15a-Vereinbarung mit der Bundesregierung festgelegt, kostenlos gemacht, sondern für alle Drei- bis Sechsjährigen: ein Angebot, das die steirische Landesregierung im März dieses Jahres allerdings wieder zurückgenommen hat. Eine Vollversorgung mit Kindergartenplätzen bis 2011 wurde angestrebt, und tatsächlich ging man eilig ans Werk. Nach Auskunft der zuständigen Verwaltungsabteilung des Landes sind bis zum von der Bundesregierung vorgegebenen Stichtag im Herbst 2010 mehr als 200 Umbauten, Erweiterungen und Neubauprojekte errichtet worden, die ein Bauvolumen von fast 62 Millionen Euro erreichen. Derzeit werden die Projekte abgerechnet. Evaluierung? Ja, geprüft werden die Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen, die Erfüllung des Raumprogramms und der geforderten Größe von Freiflächen und die Kosten.

Kinderkrippen sind die ersten Aufenthaltsorte, in denen sich die Kleinsten ohne familiäre Nestwärme zurechtfinden müssen und Geborgenheit spüren sollen; Räume, in denen Interaktion und Lernen, Kommunikation und auch Rückzug und Ruhe optimal möglich sein sollten – kurz: wo sich Kompetenzen und die Persönlichkeit des Kindes bestens entfalten können. Solche Räume müssen viel können, und ihre Planung muss daher mit jener Sorgfalt erfolgen, deren Basis die Zeit ist und die auf Engagement, Wissen und Erfahrung der Planer aufbaut. Die Zeit war knapp, und man nahm sie sich kaum, weder für vorbereitende inhaltliche Diskussionen noch für die Ausschreibung von Architekturwettbewerben. Ach, höre ich die Pragmatiker sagen, schafft mir diese unverbesserlichen Idealisten vom Hals, wenn alles schnell gehen muss, kann man sich nicht mit Ideologiefragen und Festlegungen von Qualitätskriterien aufhalten. Die Bürgermeister werden das mit ihren Hausplanern schon schaffen. Was, sagt der Zyniker, soll ein Wettbewerb außer zusätzlichen Aufwand, Mehrkosten und Zeitverzögerung bringen?

Immerhin hat es die Stadt Graz geschafft, für die beiden Kinderkrippen am Rosenhain und im Bezirk Andritz geladene Wettbewerbe durchzuführen und beide in einer äußerst kurzen Zeitspanne vorbildlich zu realisieren. Auch aus einigen wenigen steirischen Gemeinden sind Ladungen bekannt. Standortsuche, Förderansuchen, Gemeinderatsbeschlüsse, die Durchführung eines Wettbewerbs und seine bauliche Umsetzung waren also auch trotz knapper Fristen möglich – Bewusstsein und guter Wille vorausgesetzt. Hier wäre die Möglichkeitsform angebracht, denn die Mehrheit der Gemeinden wählte die einfacher scheinende Lösung der Direktbeauftragung.

Die Ergebnisse in Straß, Mellach, Unterpremstätten, Irdning, Ratsch und anderswo geben im besten Fall Anlass, sie kritisch zu hinterfragen, und sind im schlechtesten ein Skandal. Beim Kindergarten in Ratsch an der Weinstraße von Albertoni & Winterstein wurde von der Standortwahl abseits des Ortes am einsamen Waldrand neben dem Bauhof bis zur Situierung des Baukörpers am geneigten Grundstück, von der Wegeführung und räumlichen Funktionsgliederung bis zur Außenraumgestaltung alles falsch gemacht: ein Gruppenraum, der nur vom Norden und Westen belichtet ist, obwohl der Kindergarten zu Mittag schließt, keine Terrasse, die als sommerliche Erweiterung des Gruppenraums dienen könnte, keine Öffnung des Bewegungsraums zum Garten, keine Erweiterungsmöglichkeit. Vergeblich sucht man behindertengerechtes Bauen, denn der einzige Weg in den Garten und zu dem als Spielfläche genützten Bereich unter dem aufgeständerten Bauteil führt über eine lange Freitreppe. Sitzgelegenheiten und Bewegungsflächen, ein Hügel als stilisierter Weinberg mit Klapotetz – so lieblos wurde selten ein Freiraum für Kinder gestaltet.

Dass es auch anders geht, zeigen die beiden aus Holz errichteten Kinderkrippen von Martin Strobl in der Grazer Schönbrunngasse und von Hubert Wolfschwenger in der Prochaskagasse. Letztere ist besonders dazu angetan, das räumliche Erleben und Wohlbefinden von Kindern nachhaltig zu prägen. Die Kleinen werden in einem großen, hellen Zentralraum empfangen, der Orientierung und erste Durchblicke in den Garten bietet, sich aber auch vorzüglich fürs gemeinsame Feiern von Festen eignet. Sie erleben differenziert gestaltete Räume als Spiel- und Ruhezone, einen kaum merklichen Übergang vom Innen- zum Außenraum der geschützten Terrasse und einen Garten mit Rampen und Mulden, mit Verstecken und schützenden Bäumen. Die Entdeckung der Welt ist bei den hier aufgenommenen unter Dreijährigen auch ein räumliches Erlebnis. Wolfschwenger gelang ein Beispiel von großer Nachhaltigkeit – nicht nur, weil das Gebäude Passivhausstandard erreicht, sondern ebenso, weil seine atmosphärische Ausstrahlung zeitlos sein wird.

In solcher Güte hätte man sich alle neuen Kinderbetreuungseinrichtungen gewünscht. Eine substanzielle Kindergartenoffensive müsste das Bewusstsein dafür stärken, dass nicht nur die Qualität der Betreuung, sondern auch die des Raums den Sozialisierungsprozess von Kindern prägt. Die Durchsetzung von höchster Qualität bräuchte jedoch politischen Willen, Steuerung und Koordinierung. Baupolitische Leitsätze für das gute Bauen hat die Steiermark 2009 festgeschrieben. Die bisherige Bauoffensive hätte die Möglichkeit geboten, sie in Baukultur real werden zu lassen. Sie hätte der Steiermark außerdem die Chance geboten, sich im nationalen Architekturgeschehen neu zu positionieren. Das wurde versäumt. Nun winkt eine neue Chance: Das Land möge sie mit Weitblick nützen.

Spectrum, Sa., 2011.06.04

07. Mai 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Die Twins am Bosporus

Istanbul erlebt einen Bauboom. Die Vorarlberger Architektin Brigitte Weber hat ihn genutzt. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet sie in der Bosporus-Metropole. Ihr jüngster Wurf: die Trump-Towers. Perfektion bis ins kleinste Detail.

Istanbul erlebt einen Bauboom. Die Vorarlberger Architektin Brigitte Weber hat ihn genutzt. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet sie in der Bosporus-Metropole. Ihr jüngster Wurf: die Trump-Towers. Perfektion bis ins kleinste Detail.

Sie zählt zu den derzeit erfolgreichsten österreichischen Architektinnen, und doch ist sie hierzulande kaum bekannt: Brigitte Weber, TU-Wien-Absolventin und ehemalige Mitarbeiterin von Wilhelm Holzbauer, ist Architektur-Export. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet die Vorarlbergerin in Istanbul. Dabei wollte sie anfangs gar nicht bleiben, zu widrig erschienen ihr Klima und Arbeitsbedingungen, zu fern ein Erfolg des Büros, das sie mit einem Freund eröffnete. Es sagt viel über den Fleiß, die Zielstrebigkeit und das Durchsetzungsvermögen der Architektin aus, dass sie schließlich blieb, heute als Alleinverantwortliche ein Büro mit zehn Mitarbeitern leitet und als erste und bislang einzige Ausländerin in die türkische Architektenkammer aufgenommen wurde. Ihre Bauherren sind reich und einflussreich, ihre Aufträge inzwischen vom Messestand zum Hochhaus angewachsen.

2005 erhielt Brigitte Weber die Chance, im Stadtteil Mecidiyeköy am Kamm des Hügels zwischen dem Goldenen Horn und dem Bosporus für ein abschüssiges Grundstück, das als schwierig zu bebauen galt, ein städtebauliches Projekt für kommerzielle Nutzungen zu entwickeln. Dem Investor gefiel es, mit der Stadtverwaltung wurde ein Bebauungsplan ausgehandelt, und nun stehen die beiden Trump-Towers vor ihrer Fertigstellung – ein Turm mit 39 und einer mit 37 Geschoßen auf einem lang gestreckten Sockel, der auf fünf Ebenen ein Einkaufszentrum und darunter weitere sechs in den Hang gebaute Ebenen zum Parken enthalten wird. Donald Trump gab als Verwertungsberater das Ausstattungsniveau vor und soll als Lizenzgeber seines Namens für höchste Qualität bürgen. Webers Konzept sah vor, dass Form und Farbgebung der beiden fein gegliederten, schlanken Hochhäuser die Dynamik der Vorbeifahrenden am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Verkehrsachsen visuell betonen, und tatsächlich scheinen sich die Türme in der Annäherung des Betrachters um ihre eigene vertikale Achse, den Erschließungskern, zu bewegen. Ein Turm für Büros und einer für rund 200 Wohnungen, die in beeindruckender Perfektion bis ins kleinste Detail designt wurden. Größe und luxuriöse Ausstattung der Wohnungen sind maßgeschneidert für die wachsende, finanzkräftige Mittelschicht Istanbuls, die Eingangskontrollen ebenso selbstverständlich erwartet wie Serviceleistungen und ein großzügiges Angebot an privaten Gemeinschaftseinrichtungen.
Brigitte Webers Wohn- und Bürotürme gliedern sich damit ein in eine ganze Reihe von Prestigebauten, in die reich gewordene Unternehmerfamilien investieren, weil sie erkannt haben, dass sich auch außergewöhnliche Architekturqualität verkaufen lässt.

Im Businessviertel Levent, wo sich seit der Fertigstellung der zweiten Bosporusbrücke 1988 Immobilienspekulanten breitmachten und Industriebetriebe absiedelten, wurden bis zur Finanzkrise etwa 60 Hochhäuser errichtet. – Istanbul als Finanzplatz und Sitz großer, internationaler Unternehmen erlebt derzeit einen Bauboom, der sich von jenem der seit etwa 1985 anhaltenden „Post-Gecekondu-Ära“ gravierend unterscheidet. Damit meint der Stadthistoriker Orhan Esen das unaufhaltsame Verschwinden der Gecekondus, der von den ländlichen Zuwanderern „über Nacht errichteten Hütten“ und informellen Siedlungen aus der Zeit nach 1950. Wo die Gecekondus nicht dem rigorosen Umsiedlungsprogramm der staatlichen Wohnbaubehörde zum Opfer fallen, die an ihre Stelle uniforme Wohnblöcke setzt, werden sie durch bis zu achtgeschoßige Überbauungen in kleinkapitalistische Unternehmen verwandelt. Den Gewinn aus Verkauf oder Vermietung der neuen Immobilie teilen sich die legalisierten Besitzer von solcherart verdichteten Grundstücken und der Investor, der meist auch Projektentwickler und Bauunternehmer ist.
Der andere, hier angesprochene Bauboom bedeutet das Ende der Tradition einer steten, sich wiederholenden Überbauung dieser Stadt – noch höher geht es nicht. Auch die Einschätzung von Lebensdauer und Wert eines Bauwerks ändert sich. Großinvestoren schaffen Inseln exquisiten Wohnens und Arbeitens und orientieren sich dabei an den Wünschen der neuen Upperclass, die einen westlichen Lebensstil pflegt und unter sich bleiben will. Sie errichten Shoppingmalls, Bürotürme und Wohnhochhäuser in zentralen Lagen der 13-Millionen-Stadt und „Gated Communities“ an der Peripherie im grünen Umfeld. Bislang sollen mehr als 650 dieser umzäunten, bewachten Einfamilienhaus- und Geschoßbausiedlungen errichtet worden sein. Ärmere Bevölkerungsschichten treten nur noch als Dienstleister in Erscheinung. Superlative werden geplant. So besitzt Istanbul mit dem eben fertig gestellten, 261 Meter hohen Sapphire-Tower das höchste Wohngebäude.

Brigitte Webers Megaprojekt mit einer Gesamtfläche von 260.000 Quadratmetern wird international nicht weniger Aufmerksamkeit bekommen als der Sapphire. Empfehlungen zum nächsten Auftraggeber durch den Eigentümer der Trump-Towers, den türkischen Unternehmens- und Medienmogul Aydin Doğan, scheinen ihr sicher. Schon jetzt könnte sie aufgrund der Nachfrage ihr Büro auf bis zu 40 Mitarbeiter erweitern. Weil sie die Kontrolle über jedes Projekt behalten will, gern selbst entwirft und die Entwicklung jedes Details begleitet, hat sie nicht vor, zu groß zu werden. Eines betont die Architektin mit Nachdruck, und Türkeikenner pflichten ihr bei: Ihr Erfolg in der Türkei beruht sicher nicht auf einem Exotenbonus der selbstbewussten und attraktiven Ausländerin mit blonder Mähne. Frauen sind in der Technik und im Feld der Architektur in diesem Land traditionell stark vertreten und werden als absolut gleichberechtigt wahr- und ernst genommen. Nicht nur darin erscheint Istanbul fortschrittlicher und weltstädtischer als Wien.

Spectrum, Sa., 2011.05.07

15. April 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Design muss sein

Graz als Pensionopolis ist längst Geschichte. Die Stadt war 2003 EU-Kulturhauptstadt, ist Weltkulturerbe und nun laut Unesco eine „City of Design“. Ein Titel, der verpflichtet.

Graz als Pensionopolis ist längst Geschichte. Die Stadt war 2003 EU-Kulturhauptstadt, ist Weltkulturerbe und nun laut Unesco eine „City of Design“. Ein Titel, der verpflichtet.

Zweifelsohne: Graz hat, was andere Städte nicht haben. Um von der Unesco den Titel City of Design zu erhalten, müssen Städte besondere Merkmale nachweisen: eine lebendige Designbranche, starke kulturelle Impulse im Bereich des Designs und der modernen Architektur, herausragende Designschulen, international bekannte Kreative und Gestalter und – last, not least – ein unverwechselbares „urban design“. Zehn Städte weltweit haben diesen Titel seit 2004 verliehen bekommen, darunter Buenos Aires, Shanghai, Berlin und Kobe. Design Cities veranstalten Messen, Events und Ausstellungen, die Design fokussieren und ihren „Creative Industries“ zu Bekanntheit und Wachstum verhelfen sollen.

Der Begriff Industrie in einem Atemzug mit Kreativität mag immer noch irritierend sein, und tatsächlich zielen viele Aktivitäten darauf, das wirtschaftliche Potenzial von Kreativität und Design zu maximieren. Folgerichtig stehen hinter den „Creative Industries Styria“, die seit Jahren unter Einsatz erheblicher Geldmittel die Nominierung zur City of Design betrieben haben, die steirische Wirtschaftsförderung, die Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer und – mit zehn Prozent Beteiligung – die Stadt Graz. Motor und Schutzpatron dieser Initiative ist der Wirtschafts- und zugleich Kulturlandesrat, der als Ziel angibt, viele neue Arbeitsplätze schaffen zu wollen.

Die Beteuerung, dass der Titel nicht der Imagepolitur diene, sondern eine „gelebte Haltung und Ausdruck einer urbanen Kultur ist, die die bewusste, intelligente Gestaltung von Lebensraum als zentralen Wert ansieht“, mutet etwas unbedarft an. Nimmt man diese Aussage dennoch ernst, so stellt sich die Frage, was die Auszeichnung für die Stadt Graz bewirken kann – und vor allem wie ein Gestaltungsprozess strukturiert sein könnte und ablaufen müsste, um sichtbare Auswirkungen auf den urbanen Lebensraum der Grazer zu zeitigen. Zum „Wie“ trifft Eberhard Schrempf, der Geschäftsführer der seit 2007 bestehenden „Creative Industries Styria“, keine Aussage, wenn er auch erkennt, dass ein derartiger Prozess langfristig ausgerichtet sein muss. Richtig: Auch die Verankerung des skandinavischen Designs in den gelebten Alltag der Schweden und Finnen gelang nicht mit einem Handstreich.

Mit kontinuierlich hoher Bauqualität und durch Festivals und hochkarätige Ausstellungen profiliert Graz sich im Reigen der österreichischen Landeshauptstädte schon seit vielen Jahren und versucht damit, Anreize für den Städtetourismus zu schaffen. Der Anspruch von Stadt und Wirtschaft, sich nun als Designhauptstadt zu positionieren und dafür beträchtliche Mittel zur Verfügung zu stellen, berechtigt zur Erwartung, dass Stadtdesign umfassend neu definiert und behandelt wird. Was die „Creative Industries Styria“ in Hinblick auf die Titelverleihung bis jetzt „geliefert“ haben (in Anlehnung an die eigene, auf Wirtschaft zielende Begriffsfestlegung), sind punktuelle Interventionen im Stadtraum, die mehr mit oberflächlichen Bildern der Werbung operieren, als durchdachte, nachhaltige Gestaltungsprozesse zu manifestieren. Dazu zählt ein roter Straßenbelag, der der Belebung einer zentralen Gasse dienen soll, die seit Jahren als Einkaufsstraße kränkelt – Oberflächendesign, das weder originell noch ansehnlich ist. Auch die Möblierung des Vorfelds am Kunsthaus mit Sitzgelegenheiten in Buchstabenform, die den Satz „Graz ist ein Hotspot“ formen, stellt bestenfalls das dar, was Werner Sewing in einem Aufsatz über die Versuchung des Populismus als allgemeine Geschäftsgrundlage heutiger gestalterischer Praxis bezeichnet – die Synthese aus Pop, Subkultur und Kommerz.

Während auf Plakatwänden an zentralen Gebäuden vollmundige Aussagen zur Bedeutung von Design für Graz getroffen werden (die unbeabsichtigt auch die Unschärfe des Begriffs bloßlegen), wird zeitgleich auf dem Schlossberg ein Stück Stadtdesign realisiert, das Graz nicht zur Ehre gereichen wird. In den Kasematten, die bis jetzt zu den schönsten Freiluftbühnen zählten, wurde nach einem Beschluss, der in erster Linie wirtschaftlichen Interessen folgt, die Bühne neu situiert, um einen Durchgang zum Restaurant zu schaffen. Waren die Kasematten früher nicht mehr als eine zarte Rahmung, so verstellt nun ein massiv betoniertes Bauwerk, das jegliche Gestaltungsqualität vermissen lässt, den einst unmerklichen Übergang ins üppige Grün – grob in den Details, unproportioniert und ungekonnt. An einer höchst markanten, exponierten Stelle, in denkmalgeschütztem Ambiente, wurde hier ausschließlich vom Zweck bestimmt geplant und dabei unbeachtet gelassen, was Produktgestaltung und Formgebung ausmacht. Gutes Design ist nach dem Designtheoretiker Jochen Gros das Ergebnis eines erweiterten Funktionalismus, der die formal-ästhetische und die semantische Funktion von Design gleichwertig neben die praktische setzt.

Zweifelsohne impliziert der Anspruch, Designhauptstadt zu sein, auch den Auftrag zu umfassender Gestaltungsqualität. Das würde allerdings bedeuten, dass die Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums koordiniert abläuft und dauerhafte ebenso wie temporäre Planungen einem punktuell festzulegenden hohen Gestaltungsanspruch folgen und von einem Gremium geprüft werden. Darunter fiele dann der Zaun für die Rabatte, die der Stadtgärtner zum Schutz der Blumen am Tummelplatz montieren lässt, oder der weihnachtliche Schmuck der Herrengasse genauso wie eine Bühne, die die Grazer Spielstätten als Bauherr im Auftrag der Stadt Graz bauen lässt. Eine Vision in weiter Ferne, die aber zumindest schon angedacht sein sollte, seit die Stadt sich um den Titel „City of Design“ beworben hat.

Spectrum, Fr., 2011.04.15

08. Januar 2011Karin Tschavgova
Spectrum

Was bleibt von der Grazer Schule?

War sie eine Gruppe oder eine Szene, eine Bewegung oder eine Strömung? Fest steht, dass die „Grazer Schule“ einige außergewöhnliche Bauwerke hinterlassen hat. Fest steht auch, dass mit ihren Schlüsselbauten höchst nachlässig umgegangen wird.

War sie eine Gruppe oder eine Szene, eine Bewegung oder eine Strömung? Fest steht, dass die „Grazer Schule“ einige außergewöhnliche Bauwerke hinterlassen hat. Fest steht auch, dass mit ihren Schlüsselbauten höchst nachlässig umgegangen wird.

Wie eine geschichtliche Epoche definiert wird, worin sie sich manifestiert und wer ihr zugezählt wird, entscheiden immer Nachkommende. Historiker treffen in wissenschaftlichen ArbeitenFeststellungen über ihren Anfang, ihr Ende und ihre Vertreter, in der Kunst wird eine Ära oft über den Weg einer Retrospektive wissenschaftlich „aufgearbeitet“. Gab es keineInitialzündung, etwa die Bildung einer Vereinigung oder eine kollektive Manifestation, und war einer Bewegung ein unauffälliges Verlöschen bestimmt, so lassen sich Anfang und Ende kaum exakt festmachen.

Fragen bleiben oft, doch äußerst selten lässt sich, wie im Fall der „Grazer Schule“, nicht einmal ein Konsens darüber erzielen, ob sie eine Strömung und Gruppe war oder nicht. Charakteristika einer Gruppenbildung wie eine Lehrerpersönlichkeit, ein präzise zu bestimmender Anlass, eine gemeinsame Theorie oder Stilmerkmale kennzeichnen sie nicht. Friedrich Achleitner stellte fest: „Welche Arbeiten oder Architekten auch immer unter diesem Begriff subsumiert werden, das Phänomen ist in seinen Merkmalen so charakteristisch wie eigenständig, dass es in der Geschichte der Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen unangreifbaren Platz einnimmt.“ Der Einzige, der sich umfassend der Entschlüsselung des lokalen Phänomens gewidmet hat, ist Peter Blundell Jones, ein englischer Kritiker und Architekturtheoretiker, der über sein Interesse an Scharoun und an Mitbestimmungsmodellen im Wohnbau den Grazern mit Empathie verbunden ist. Wie Achleitner, der die „Schule“ eher als Szene bezeichnet, nimmt sie auch für ihn ihren Anfang in den Zeichensälen der damaligen Technischen Hochschule in den frühen 1960er-Jahren. Anders als für Achleitner war für Blundell Jones ihr Ende 1998 im Erscheinungsjahr seines Buches „New Graz Architecture“ noch nicht gegeben. Heute muss sie zweifellos als historisch abgeschlossene Phase betrachtet werden.

In einem zweitägigen, international besetzten Symposion versuchte im November 2010 das Institut für Architekturtheorie, Kunst-und Kulturwissenschaften der Technischen Universität Graz eine Annäherung an die Frage, was die „Grazer Schule“ ausgemacht hat und – vor allem – was von ihr bleibt. Die Bedeutung von Architektur-Utopien wurde ebenso diskutiert wie der Einfluss des Strukturalismus, die Rolle der Lehrenden und der autonomen Zeichensäle. Das Ergebnis war mit Sicherheit für die Studenten, die bis dahin über Stillschweigen der Professoren zu dem für Graz ureigensten Thema klagten, erhellend – eine letztgültige Klärung des Phänomens und seiner heutigen Relevanz brachte die Tagung nicht.

Muss das überhaupt sein? Es würde schon genügen, die Bedeutung der „Grazer Schule“ als eine in ihrer Zeit einzigartige Bewegung anzuerkennen. Viele der Arbeiten waren rebellische, ungezähmte, jegliche Tradition verweigernde Antworten auf den gesellschaftlichen Konsens der nur ökonomisch orientierten Jahre des Wiederaufbaus – dramatisch überartikuliert, wie Achleitner es nannte – und, ja, auch rücksichtslos herausgeschrien, auf Selbstverwirklichung bedacht.

Es sind außergewöhnliche Werke, die die Grazer überregional bekannt gemacht haben: Günther Domenigs Mehrzwecksaal der Schulschwestern in Graz (mit Eilfried Huth) und seine Z-Bank in Wien-Favoriten, die ersten Arbeiten von Szyszkowitz & Kowalski und auch das Restaurant Kiang in Wien von Helmut Richter. Es ist Außergewöhnliches, das ihren Ruf festigte: die Mitbestimmungsmodelle von Eilfried Huth, die Gewächshäuser des Botanischen Gartens von Volker Giencke, seine Kirche in Aigen oder auch die Bauten, mit denen Klaus Kadavon der Bezirksstadt Leibnitz aus auf sich aufmerksam machte. Sie alle brachten internationale Reputation und die Berufung zahlreicher Grazer Architekten an österreichische und deutsche Universitäten. Nicht zuletzt ist auch im internationalen Vergleich herausragend, was Vertreter der Grazer Schule auch nach dem Ende dieser Ära hervorgebracht haben, man denke an Domenigs Dokumentationszentrum am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg oder das T-Mobile Center St. Marx.

Wie aber wird mit dem Erbe der „Grazer Schule“ in Graz, dem Geburtsort, umgegangen? Ein paar Cafés, Läden, Entrees und Überdachungen sind wieder verschwunden. Skizzenhaft, mit Leichtigkeit und Heiterkeit, fallweise auch mit sich abnützendem Witz geplant, war manches von Anfang an nicht anders als temporär gedacht und sein Verschwinden daher nachvollziehbar. Anderes hingegen zeigt einen sträflich nachlässigen Umgang mit Schlüsselbauten. So wurde unmittelbar unter die von Klaus Kada sorgsam in den historischen Botanischen Garten platzierte, auch konstruktiv viel beachtete Brücke, die seine Erweiterung der Pflanzenphysiologie mit dem Laborneubau verbindet, ein banales Industriegewächshaus gesetzt. Der Architekt erfuhr davon aus den Medien.

Schlimmer noch zeigt sich der Umgang mit Domenigs Erweiterungsbau (1994) für die Technische Universität Graz, die 2011 ihr 200-jähriges Bestehen feiern wird. Dort, wo mit Hans Gangoly ein ehemaliger Student die Nachfolge am Institut angetreten hat, das Domenig von 1980 bis 1992 geleitet hat, wurde eine weit in den Park ausgreifende Rampe des Institutsgebäudes, die ohne Zweifel ein integraler, Gestalt gebender Teil des wettbewerbsgekürten Entwurfs war, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entfernt. Dies ohne Rücksprache mit den Architekten und ohne Genehmigung der Altstadtsachverständigenkommission. Die Entfernung ist Teil einer Umgestaltung des Parks, deren Planung pikanterweise weder dem fakultätseigenen Institut für Architektur und Landschaft übertragen noch über einen Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Als Paten des Gestaltungskonzepts, das die Rampe als Spur (!) in Form einer langen Sitzbank am Boden in Erinnerung behalten will, bezeichnet der Gebäudeverwalter Studiendekan Gangoly.

Die historische Bewertung der „Grazer Schule“ sollte offen, emotions- und schonungslos geschehen. Manches, nicht nur vom Wohnungsbau dieser Zeit, würde dann in Bedeutungslosigkeit versinken. Die Qualität einiger Schlüsselbauten wäre als zeitlos gültig bestätigt. Anderes könnte als Markstein seiner Zeit, als engagiertes Experiment und Reaktion auf die damals herrschende Baugesinnung anerkannt werden. Den Architekten Szyszkowitz & Kowalski könnte man raten, lieber in den Ruhestand zu gehen, als ein Gebäude zu verantworten, das, wie die jüngst errichtete Erweiterung der Steiermärkischen Sparkasse am Grazer Andreas-Hofer-Platz, einen innovationslosen, peinlichen Rückschritt darstellt.

Ein mit akademischem Anspruch, ohne persönliche Animositäten geführter Diskurs würde dazu beitragen, die Bedeutung der „Grazer Schule“ in das ihr angemessene Licht zu rücken. Ehre, wem Ehre gebührt.

Spectrum, Sa., 2011.01.08

18. Dezember 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Kein frommer Anstrich

15 neue Kirchenfenster, von Künstlern gestaltet, und eine Außenhaut mit einer ganzen Flut von Worten und Ausrufen: ein hintergründiger Kirchenumbau im Grazer Griesviertel.

15 neue Kirchenfenster, von Künstlern gestaltet, und eine Außenhaut mit einer ganzen Flut von Worten und Ausrufen: ein hintergründiger Kirchenumbau im Grazer Griesviertel.

Umbau ist ein Wort mit hohem Symbolwert. Seit zwei Wochen zeigt sich die Kirche St. Andrä imGrazer Griesviertel im neuen Kleid. Es ist das äußere Zeichen einer vor rund zehn Jahren initiierten Öffnung, eines mit Beharrlichkeit und Konsequenz in Gang gesetzten Umbaus des Gotteshauses in einem Bezirk, dessen Ausländeranteil mit 30 Prozent der höchste der Stadt ist.

Zu jener Zeit, als die Vorstadtkirche zur Pfarrkirche wurde, nachdem das dazugehörige Dominikanerkloster durch Josef II. aufgelöst worden war, bildete der Stadtteil eine vitale Mischung aus Gewerbe- und Gastbetrieben, Fuhrunternehmen und Zinshäusern für Arbeiter der neuen, nahen Industriebetriebe. Heute ist das Handwerk fast ausgestorben, und viele der Häuser und Werkstätten sind desolat. Geblieben und neu hinzugekommen sind sozial Schwache: Arbeiter, Alte und Ausländer.

Der Pfarrer der Kirche St. Andrä beschloss, darauf zu reagieren. Hermann Glettler begann, die Kirche zu öffnen – für die afrikanische Gemeinde, die seither jeden Sonntag um zwölf Uhr ihre farbenfrohe, sangesfreudige Messe abhält, für lateinamerikanische Christen und Messen in Spanisch, für Ratsuchende, ehrenamtliche Helfer, die sich in kleinen Gruppen zusammenfanden und für ein Lerncafè, in dem Kinder und Jugendliche – meist mit Migrationshintergrund – Hilfe und Stütze erfahren.

Und der Pfarrer begann umzubauen. Das Besondere: Nicht etwa mehr Raum oder mehr Komfort waren sein Ziel, sondern die Transformation des Kirchenraums in einen spirituell aufgeladenen Ort durch Kunst. Dem Theologen, der auch Kunsthistoriker ist, ist gelungen, namhafte Künstler dafür zu gewinnen, den 15 nach dem Krieg aus ökonomischen Gründen billig verglasten hohen Rundbogenfenstern neue Gestalt zu geben.

Aus einigen der Arbeiten lässt sich der Versuch einer Neuinterpretation des farbigen Kirchenfensters, das in der Gotik als integraler Teil des künstlerischen Gesamtkonzepts galt und immer großen Einfluss auf die Raumwirkung ausübt, ablesen.

In den Fenstern von Johanna Kandl, Gustav Troger, Michael Kienzer und Flora Neuwirth dominiert Farbe. Michael Kienzer lässt eine Folge von sieben Farben im Monitor von übereinander angeordneten, in die Laibung montierten Flachbildschirmen entstehen. Tageslicht fällt, kontrastierend, nur durch Ritzen und Abstände zwischen den Geräten ein, die zudem einen deutlichen Verweis auf die uns beherrschende Bilderzeugung des 21. Jahrhunderts geben. Flora Neuwirth arbeitet mit nur einer Farbe. Magenta als eine der vier Druckfarben ist für sie die konzentrierte Bedeutungsessenz einer farben- und reizüberfluteten (Werbe-)Welt. Ihr Fenster nach Westen – mit Glas, Rahmen und Laibung total in Farbe – strahlt eine staunenmachende ästhetische Wirkung aus, ist reine Poesie. Andere lösen ihre Fensterarbeit aus der ursprünglichen Bedeutung, farbig leuchtende, Licht dämpfende Membrane zwischen kirchlicher und profaner Welt zu sein.

Lois Weinbergers Fenster mit schwarzer Schrift in glasklarem Grund bringt uns den zwar tagtäglich, aber meist nicht worttreu verwendeten Ausspruch „Oh mein Gott“ in seiner Sinndeutung ins Bewusstsein. Manfred Erjautz „A short break in time“ ist ein in seiner Wirkung ungemein starkes und zugleich sympathisch lapidares Ergebnis von gedanklicher und handwerklicher Präzisionsarbeit. Schön auch, wie diese Arbeit in der Taufkapelle auf die dominierende Vertikalausrichtung des dort stehenden kunstvollen Dreifaltigkeitsaltars von 1770 eingeht. Zwei in wenigen Metern Abstand einander gegenüberliegende Fenster sind in gegenläufigen Krümmungen ausgebuchtet, das linke konkav nach innen, das rechte konvex nach außen. Beide sind wie die ursprünglichen Fenster mit schmiedeeisernen Gittern versehen, die exakt den Krümmungen entsprechend nachgebaut wurden. Das daraus entstandene Bild gleicht der Momentaufnahme einer dynamischen Horizontalbewegung. Eines Windsogs? Wer weiß? Sicher ist, hier hat sich etwas bewegt.

Markus Wilfings Fenster und jenes der Gruppe G.R.A.M. haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit in Wirkung, Material und Technik etwas gemeinsam: Ihr Symbolwert thematisiert auch die radikal konsequente Öffnung der Kirche an diesem Ort. Markus Wilfing, dessen Uhrturmschatten als eindrucksvollste Arbeit im öffentlichen Raum der Kulturhauptstadt Graz 2003 in Erinnerung blieb, montiert in die transparente Fixverglasung einen Aluminiumrahmen mit Glastüre – eine Türe im Fenster, hoch oben, scheinbar schwebend. Damit öffnet er den sakralen Raum nach außen, in profane Alltagswelten, aber auch nach oben, ins Geistige und schafft ein starkes Bild, das viele Interpretationen zulässt. Günther Holler-Schuster und Martin Behr von G.R.A.M. verwandeln einen in Afrika auf der Straße gefundenen Negativstreifen mit den Portraits festlich gekleideter schwarzer Frauen in transluzente Symbolkraft.

„Seid alle willkommen“ – in der Ausstattung der Kirche durch und mit Kunst will der im besten Sinne eigensinnige Pfarrer Glettler ein Zeichen der Offenheit setzen und ist überzeugt davon, dass dieses von vielen der Kirchenbesucher so empfunden wird. Kunst ist Gastgeschenk, denn „die Kirche ist der Ort, an dem Gastfreundschaft gelebt werden muss“. Akzeptanz und Verstehen der einzelnen Werke sind ihm dabei weniger wichtig als der Dialog, der in der Auseinandersetzung mit Kunst entstehen kann. Der Seelsorger will Reibung, Diskussion provozieren, weil sie im besten Fall in ein Gespräch über die großen existenziellen Fragen des Menschseins münden kann.

Genau aus dem Grund wurde die Außenhaut gezielt so gestaltet, wie sie sich nun allen, auch den bislang nur Vorübergehenden, präsentiert. Der Künstler Gustav Troger, von dem auch Interventionen im Kirchenraum stammen, hat die Fassade mit einer ganzen Flut von Worten und Ausrufungen versehen, die der „Illustration“ einzelner Farben der Adler-Farbkarte entnommen sind. Jedem Farbton ist farbgleich ein Wort in einer bestimmten Schriftart zugeordnet. „Skepsis, Rosine, Bald! Musterknabe und Maikäfer flieg!“ in Arial, Times New Roman und anderen stellen nur einen Augenblick lang die Frage nach dem Warum, erzeugen zugleich Neugier und ein Bedürfnis nach mehr Erfassen, um gleich darauf zu Assoziationen und Fragen anzuregen und zur Rückkoppelung an die Welt rundum.

Der funktionelle Nutzen dieses Kirchenumbaus ist hintergründig, der Anstrich dieserKirchenfassade kein frommer – aber beides ist ein spannungsgeladener und dadurch aktueller Beitrag zu Fragen und Problemen, die in einem Quartier entstehen, in dem so viele fremd sind. Es ist eine legitime Antwort auf die Notwendigkeit interkultureller Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Anderen, Gewöhnungsbedürftigen.

Spectrum, Sa., 2010.12.18

23. Oktober 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Neubau, Ausbau, Umbau?

Was ist heute zeitgemäßes Bauen im Bestand? Wie zurechtkommen mit einem städtebaulichen Kontext? Ein Bürobau im heterogenen Gefüge des Grazer Nikolaiplatzes zeigt, wie es geht.

Was ist heute zeitgemäßes Bauen im Bestand? Wie zurechtkommen mit einem städtebaulichen Kontext? Ein Bürobau im heterogenen Gefüge des Grazer Nikolaiplatzes zeigt, wie es geht.

Die Zeiten, in denen ganze Stadtviertel auf der grünen Wiese neu errichtet wurden, sind passé. Stadtentwicklung bedeutet heute vor allem die Transformation der bestehenden Stadt. Stadtumbau ist demnach Abriss und Neubau, ist Umnutzung, Umbau und Ausbau vorhandener Bausubstanz. Stadterweiterung heißt Verdichtung, Lückenschluss. Große Bedeutung kommt dabei dem „Wie“ im Umgang mit Baugeschichte und Baubestand als wesentliches, die Stadt prägendes Merkmal und identitätsstiftende Kraft zu.

Auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig thematisiert Rem Koolhaas mit seinem als Denkwerkstatt eingesetzten Bürozweig AMO den Erhalt und Schutz von baukulturellem Erbe – angeregt durch immense, nun renovierungsbedürftige Baumassen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber weit darüber hinausgehend. Fragen der Bewahrung und des Denkmalschutzes werden in dieser brisanten Schau so gestellt, dass sie Anregung und Aufforderung zu intelligenten Analysen und Konzepten jenseits von Traditionalismus, Schwarz-Weiß-Denken und Schematisierung sind. Derart ideologiefreies, „wildes“ Nachdenken kann nicht in Lösungen gipfeln, die die historische Rekonstruktion von Gebäuden vorsieht, wie sie mit der Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses geplant ist. Es lässt hingegen zu, die Sinnhaftigkeit von Unterschutzstellungen zu hinterfragen, die Ikonen der Architektur wie Koolhaas' berühmtes Haus für einen Rollstuhlfahrer in Bordeaux wenig mehr als eine Dekade nach seiner Errichtung zu einem musealen Objekt macht, das man nicht mehr verändern darf, während gebaute Meilensteine gesellschaftlicher Entwicklung aus den Sechziger- und Siebzigerjahren zerstört werden.

Jedenfalls lässt sich aus Rem Koolhaas' wort- und bildgewaltigem Manifest ableiten, dass das Thema der Bewahrung zu vielschichtig ist, um es als Entweder–Oder zwischen oftmals ökonomisch begründetem Abriss oder musealer Konservierung und nostalgischer Erneuerung abzuhandeln.

Für Graz lässt sich feststellen, dass diese Erkenntnis spätestens um 1990, mit der allgemeinen Akzeptanz des ersten Neubaus in der Altstadt, dem Büro- und Geschäftshauses „M1“ am Färberplatz, zur Handlungsmaxime der Altstadterhalter wurde. Die historische, von der Unesco 1999 zum Weltkulturerbe gemachte Kernzone mit ihrer schützenswerten Substanz wird als funktionierender Organismus gesehen, der immer wieder belebender Injektionen in Form von zeitgemäßer Adaptierung und Erneuerung bedarf, um ihn vital zu erhalten.

Stadtentwicklung inkludiert in Graz auch die Entwicklung der geschützten Altstadt und darüber hinaus der Kernstadt: die Transformation des Bestehenden, die in der Hinzufügung und Überlagerung mit einer zeitgemäßen neuen Schicht resultieren darf. Dies nennt sich wie andernorts Bauen im Kontext oder Bauen im Bestand. Im Amtsdeutsch heißt es dann: „Bauliche Maßnahmen, die schutzwürdige Bauwerke oder Ensembles verändern, sollen auch nach dem Gesichtspunkt der baukünstlerischen Qualität im Sinn einer Legaldefinition des Einfügegebots beurteilt werden.“ Eine allgemeingültige Definition des Einfügegebots kann allerdings heute genauso wenig per Dekret verordnet werden wie allgemein verbindliche Qualitätskriterien für Baukultur. Das ist gut so, denn es erlaubt, von Fall zu Fall spezifische Kriterien der baulichen und stadträumlichen Eingliederung zu definieren, einzufordern – und zu beurteilen.

Der Fischer-von-Erlach-Preis des VereinsGrazer Altstadt, der in diesem Monat zum zweiten Mal seit 2006 vergeben wurde, soll für den sorgsamen Umgang mit alter Bausubstanz und im weiteren Sinn für die Fortschreibung der Geschichte der Baukultur der Stadt Graz stehen. Bemerkenswert ist, dass dieser Preis, der durch die Vereinsvorsitzende in enger Verbindung mit der Altstadt-Sachverständigenkommission steht, das Ergebnis der Entscheidung einer externen Fachjury ist.

Nicht jede der vier aktuellen Prämierungen ist verständlich im zu beurteilenden Kontext – zumindest auf den ersten Blick. Ben van Berkels Konzept für das Haus für Musik und Musiktheater der Kunstuniversität Graz geht weder auf seine benachbarten Bestandsbauten noch auf die landschaftlichen Qualitäten des angrenzenden Parks ein. Die Jury argumentiert mit dem bedeutenden städtebaulichen und sozialen Impuls durch kulturelle Interventionen.

Der Neubau eines Bürogebäudes der Grazer Arbeitsgemeinschaft Bramberger architects mit dem Atelier Thomas Pucher scheint, oberflächlich betrachtet, ein sich selbst genügender Solitär zu sein. Er steht mitten am Nikolaiplatz, einem kleinen, zur Mur hin offenen Platz etwa einen Kilometer südlich des Kunsthauses. Dass er eine präzise Setzung ist – ein prozesshaft immer weiter optimiertes Ergebnis äußerst strikter Vorgaben und Rahmenbedingungen –, lässt sich erst vor Ort und im Wissen um den Kontext erkennen. Vor etlichen Jahren wurde auf dem dreieckigen Platz, der nach dem Patron der Schiffer benannt ist, weil er lange Zeit Anlege- und Verladestelle für Flößer auf der Mur war, eine Tiefgarage gebaut. Das Baurecht auf einer kleinen rechteckigen Parzelle auf der Garage blieb nach dem Abriss eines Lagers erhalten. In herkömmlicher, massiver Bauweise wären maximale Belastung der Tiefgarage und die Ausreizung der erlaubten Dichte schon mit einem zweigeschoßigen Gebäude erreicht gewesen, was weder Anreiz für eine private Investition noch städtebaulich angemessen gewesen wäre.

Die Architekten erarbeiteten mit dem Statiker eine leichtere Stahltragstruktur, die möglich machte, einen Kubus mit fünf oder genau genommen viereinhalb Geschoßen zu errichten. Die Fassaden spiegeln die Notwendigkeit, Gewicht zu sparen, wider. Raumhohe, aluminiumverkleidete Elemente im Leichtbau gehen mit gleich hohen Fixverglasungen ein Wechselspiel ein, das dem Haus Prägnanz und ikonenartige Bedeutung verleiht. Das Bauwerk wird zum visuellen Haltepunkt, gibt dem Platz eine neue Identität, schließt ihn jedoch zur Kaistraße und dem offenen Uferraum nicht ab. Einfügung ist nur in Bezug auf die Proportion des Bauwerks gegeben, seine Längsausdehnung und Höhe, die dem Bestand an der Längsfront des Platzes und dem Neubau an der gekurvten Straßeneinmündung angepasst ist.

Integration und Harmonie im stadträumlichen Kontext ergeben sich aus der richtigen Positionierung und der hohen baukünstlerischen Qualität des Gebäudes.

In Zeiten, in denen das Bauen keinem verbindlichen Regel- und Wertekanon mehr folgt, ist dieses im Prozess gefundene Beispiel eines kontextgebundenen Bauens ein gelungener Beitrag zur Transformation der Stadt Graz. Es zeigt eine Haltung zur Stadtentwicklung auf, die im Umgang mit dem Bestand eine Herausforderung sieht, der man sich nicht nur mit bewahrendem Geist, sondern auch mit Blick in die Zukunft, Mut und Selbstbewusstsein zu stellen hat.

Spectrum, Sa., 2010.10.23

11. September 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Wie ein solitäres Möbel

Ein Zusammenspiel von architektonischer Qualität, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit sollte es werden, das neue Chemiegebäude der Universität Graz. Von der Schwierigkeit, dabei die Balance zu halten.

Ein Zusammenspiel von architektonischer Qualität, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit sollte es werden, das neue Chemiegebäude der Universität Graz. Von der Schwierigkeit, dabei die Balance zu halten.

Seit rund 20 Jahren baut die Technische Universität Graz kräftig an ihrer Zukunft. Waren es anfangs städtische Verdichtungen am Areal des Stammhauses in der Rechbauerstraße, die sich in Hörsaaleinbauten im Innenhof und einem Neubau eines Institutsgebäudes von Günther Domenig manifestierten, so verlagert sich der Schwerpunkt der baulichen Aktivitäten für Institutsneubauten seit einem Jahrzehnt zunehmend auf die Inffeldgründe im Süden der Stadt.

Eine andere, schon in den 1950er-Jahren genützte Erweiterungsmöglichkeit boten die Gründe an der Petersgasse. Raimund Lorenz realisierte dort bis 1960, in Nachbarschaft zur „Neuen Technik“ für Elektrotechnik und Maschinenbau, die nach dem Ersten Weltkrieg errichtet worden war, das Chemische Institut der Technischen Universität (TU) als typischen Repräsentationsbau jener Jahre mit einer monumentalen Freitreppe, die den natürlichen Geländesprung verdeutlicht. Szyszkowitz und Kowalski setzten 1991 diesem Funktionalismus eine Betonskulptur für die Biochemie und Biotechnologie entgegen, die in ihrem formal überbordenden Gestus eine typische Zeitmarke einer Architektur der „Grazer Schule“ darstellt. Ernst Giselbrecht schließlich verdeutlichte mit der Biokatalyse von 2004, dass die fetten Jahre vorbei sind und eine auf wenige Aperçus reduzierte Funktionsarchitektur gefragt war.

Weil jede einst noch so moderne Architektur einmal zeitgemäßen Funktions- und Technologieansprüchen nicht mehr genügt, entschied man vor sechs Jahren, das Chemische Institut mit seinen Labors neu zu bauen und die Bundesimmobiliengesellschaft BIG zu beauftragen, dafür einen zweistufigen Wettbewerb auszuschreiben. Das Lorenz'sche Gebäude soll später zu einem gemeinsamen Zentrum der TU und der Medizinischen Universität werden, das Disziplinen an der Schnittstelle von Medizin und Technik vereint.

Am 7. Oktober wird nun die „Neue Chemie“ feierlich übergeben. Sie wurde von Zinterl Architekten geplant, einem Büro, das in Graz und Lissabon seinen Sitz hat und hierorts nicht nur für die Campusbauten der Fachhochschule verantwortlich zeichnet, sondern auch für ein von Frank Stronach gesponsertes Institut der TU auf den Inffeldgründen.

Aufgefallen ist das neue Chemiegebäude den Passanten der Münzgrabenstraße lange vor seiner Fertigstellung schon deshalb, weil es die städtebauliche Charakteristik der Ausfallstraße radikal durchbricht, die von der Linearität straßenbegleitender Gründerzeitbauten und Vorstadthäuser aus dem Biedermeier geprägt ist. Sein fast 100 Meter langer und sechs Geschoße hoher Hauptbau steht nicht an der Straße, sondern weit dahinter in einer Zone, die sonst den von der Straße aus uneinsehbaren Höfen und ihren Einbauten vorbehalten ist. Zur Straße hin öffnet sich die „Neue Chemie“ auf einen in die Tiefe gezogenen Platz, der einen ebenso offenen wie großzügigen Zugang von der Straße und dem Straßenbahnhalt darstellt. Dieses seiner Bedeutung als öffentlicher Bau entsprechende Zurückweichen lässt das Gebäude als Solitär erscheinen, obwohl es nach der Ausschreibungsvorgabe an die offene Seite der U-förmigen „Neuen Technik“ so andockt, dass es diese räumlich zu einem Ring schließt. In der Annäherung über den Vorplatz lässt sich die Anbindung allerdings nur über die Schmalfront erkennen, die zwar hinter den Bestand zurücktritt, ihm jedoch sonst, in der gestalterischen Durchbildung seiner Fassade, keine Referenz erweist. Das erstaunt, geht die Seitenfront doch auch keinen Dialog mit der langen, nach Süden orientierten Hauptfassade ein. Erklärt wird die Divergenz damit, dass sich an den beiden Enden des Baukörpers Büros für die Institute befinden, die eine geringere Raumhöhe als die Studierenden- und Forschungslabors aufweisen und daher – durch Stiegenhäuser beidseits getrennt vom flächenmäßig dominierenden Laborbereich – höhenversetzt angeordnet wurden.

Rund 600 Studierende und lehrende Forscher werden hier Platz finden. Parallel zum langen Trakt haben die Architekten ein zweites, niedrigeres Gebäude in den Innenhof der „Neuen Technik“ gestellt, das an eine bestehende Turbinenhalle angrenzt und mit dem Haupthaus über eine Achse verbunden ist, die im rechten Winkel seitlich an das zweigeschoßige Foyer anschließt.
sDieses Hofhaus, das sich dem eilig Vorübergehenden nur durch einen schmalen Durchgang im Bestand andeutet, enthält einen ansteigenden Hörsaal im düsteren Retrodesign über zwei Geschoße, der wie ein solitäres verschlossenes Möbel inmitten des verglasten Körpers gestellt wurde. Seine Vorplätze auf der Galerie und auf Hofebene sind großzügige Warte- und Kommunikationszonen, die dem Zustrom von maximal 170 Hörern gerecht werden, während die Erschließungszonen zu den Labors mit je zwei langen, schmalen Kunstlichtgängen aufs Äußerste reduziert sind.

Hier wie an den schon durch ihre geringe Raumhöhe beengt erscheinenden Büro- und Besprechungsräumen der einzelnen Institute an den Köpfen zeigt sich das Credo der BIG – „ein perfektes Zusammenspiel zwischen architektonischer Qualität, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit“ anzustreben – in Schieflage zugunsten des Letzteren. Nachhaltig scheint der verständliche Sparwille zumindest in diesem Bereich nicht, wenn man bedenkt, dass derart durch ihre Höhe determinierte Räume im Lebenss-10;0zyklus eines solchen Bauwerks kaum Flexibi-slität zulassen. Was, wenn in 50 Jahren Bürotätigkeiten zentralisiert, hingegen mehr Unterrichtsräume gefragt sein werden?

Als gestalterisch dominierendes Element und Aufputz leistet man sich die in zwei vertikalen Ebenen installierte Glasfassade. Der raumabschließenden Glashülle haben die Architekten schmale, durch Siebdruck punktbeschichtete Glasscheiben in horizontal gegliederter Bänderung vorgesetzt, die sich im Bereich der Fenster schuppenartig öffnen lassen und für den notwendigen Sonnenschutz sorgen sollen. Dass dabei das Kriterium äußerster Ökonomie nicht im Vordergrund stand, zeigt die Tatsache, dass auch die nur geringfügig von der Nordausrichtung abweichende zweite Längsfassade, die keine Sonneneinstrahlung erfährt, denselben konstruktiven Aufbau zeigt.

Wird die Qualität eines Entwurf schon im Wettbewerb vorwiegend nach funktionellen und wirtschaftlichen Kriterien gewertet, so ist die Gefahr groß, dass in der Realisierungsphase der naturgemäß einsetzende Prozess der „Abschleifung“ zu Kompromissen führt, die ein Projekt in den Grenzbereich zu reiner Gebrauchsarchitektur stellen. Funktionell gekonnt – aber nicht mehr.

Spectrum, Sa., 2010.09.11

03. Juli 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Wie Finger am Rückgrat

Kann man einem Krankenhaus baulich Atmosphäre geben und Schwere nehmen? Das neue Klinikum Klagenfurt und das Landeskrankenhaus Gmunden. Ein Vergleich.

Kann man einem Krankenhaus baulich Atmosphäre geben und Schwere nehmen? Das neue Klinikum Klagenfurt und das Landeskrankenhaus Gmunden. Ein Vergleich.

Klagenfurt hat ein neues Krankenhaus. Es ist kein Umbau, Zubau oder weiterer Pavillon im heterogenen Ensemble der Stationsbauten im Norden der Stadt – nein, hier ist (fast) alles neu seit Mai 2010.

Die Bezeichnung „Klinikum Klagenfurt am Wörthersee“ soll für sich sprechen, mit Rekonvaleszenz im Grünen oder Erholung am Wasser assoziiert werden und nicht mit „Spitalsgeruch“. Für das Land Kärnten und die Kärntner Krankenanstaltengesellschaft KABEG ist das neue Landeskrankenhaus ein Jahrhundert-Projekt. Es sollte Hotelcharakter haben und folgt damit einem generellen Trend im modernen europäischen Spitalsbau. Zugleich ist das neue chirurgisch-medizinische Zentrum ein hoch technisierter Großbetrieb, der mit 627 Betten beinahe die Hälfte der Klagenfurter Gesamtbettenzahl in einer funktionellen und baulichen Einheit konzentriert. Sein Standort bildet den nördlichen Abschluss des weitläufigen Krankenhausgeländes, das im letzten Jahrhundert auf 35 Pavillons und ein Wegenetz von zehn Kilometern angewachsen ist.

Eine mit drei Ebenen relativ niedrige kammartige Bebauung für Behandlung und Pflege bildet mit dem ebenfalls neu errichteten Wirtschaftstrakt eine lineare Einheit. Seiner Bedeutung entsprechend ist das neue Krankenhaus am Nordrand nun nicht der Ausgang, sondern das neue Entree in den Krankenhausbezirk. Über die neue Brücke der Glan kommend, die für den Neubau des CMZ an die Grundgrenze verlegt wurde, fährt nun der städtische Bus vor, entschwindet der im Auto anreisende Besucher in der Tiefgarage und betreten ambulante Patienten und Besucher über die Piazza unter einem riesigen Vordach das neue Haus.

Kärnten hat sich, anders als Wien beim aktuellen Projekt des Krankenhauses Nord in Wien Floridsdorf, für ein Finanzierungsmodell ohne private Partner und damit gegen ein PPP-Modell entschieden, wodurch die Entscheidungsgewalt über Bau und Betrieb beim Errichter bleibt. Den europaweiten Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren konnte eine Arbeitsgemeinschaft von Feichtinger Architectes aus Paris mit den Wiener Büros Priebernig, Müller-Klinger Architekten und Fritsch, Chiari & Partner für sich entscheiden. In ihrem Konzept sah die Jury die Forderung nach höchster Wirtschaftlichkeit bei zugleich hoher Aufenthaltsqualität erfüllt.

Tatsächlich gleicht das Klinikum einem in die Fläche ausgreifenden und dennoch kompakten Apparat, der in seinem auf den ersten Blick ablesbaren Ordnungsmuster Funktionslogik, Effizienz und störungsfreie Abläufe ausdrückt. Jeder Grundriss kann ohne Schritt zur Vereinfachung als Funktionsschema gelesen werden: Untersuchungs- und Behandlungsräume in den im Erdgeschoß gelegenen Ambulanzen bilden gemeinsam mit der zentralen Notaufnahme ein starkes Rückgrat, das durch eingeschlossene kleine Höfe aufgelockert und belichtungsoptimiert wird. Begleitet wird das von einer schnurgeraden Erschließung der teils über Galerien mehrgeschoßig verbundenen Magistrale, die im Erdgeschoß Wartezone, Orientierung und Verteiler in die Fachzentren ist und darüber im Südtrakt den Operationsbereich und gegenüber die Pflegestationen umfasst, die wie Finger an das Rückgrat andocken. Dazwischen öffnen sich Höfe – Themengärten genannt – die, um sie eindeutig zu charakterisieren und Orientierungshilfe zu sein, in ihrer Bodengestaltung und Flora auf je eine Farbe beschränkt wurden. Jedes der einheitlich nur mehr mit zwei Betten bestückten Krankenzimmer in den Pflegestationen orientiert sich zu einem dieser Höfe. Die „Finger“ der Pflegestationen sind als zweihüftige Baukörper ausgebildet, wodurch die Zimmer entweder Ost- oder Westsonne erhalten und durchgehend mit Sonnenschutz-Screens ausgestattet werden mussten.

Alle Funktionen sind sinnfällig gestapelt und zugeordnet, logisch verknüpft und kollisionsfrei gehalten. Neben der Magistrale für ambulante Patienten und internen Transport erschließt ein zweiter, leicht geschwungener Weg, der unmittelbar vom Eingang in die mehrgeschoßige Empfangshalle zu den Trakten zwischen den Höfen führt, die einzelnen Pflegestationen für Besucher und das Pflegepersonal. Die Qualität beider Erschließungen liegt in der Querung der Höfe, die beste natürliche Belichtung von Norden her ermöglicht.

Die Beschränkung auf wenige robuste Materialien im Inneren – Glas in massiver Stahlkonstruktion, Linoleum, Geländer aus dunklem Stahl und eine wandbündige Täfelung als Prallschutz –, auf die dominierende Farbe Weiß und äußerst sparsamen Farbeinsatz betont den Funktionscharakter des Gebäudes. Es wirkt elegant, aber zugleich etwas kühl. Auch die dunkelgraue Metallhaut, die konsequent alle Trakte überzieht, ist ungewöhnlich für ein Krankenhaus. Im hellen Licht eines Sommertages, als Hintergrund für Blüten und das Pflanzengrün der Höfe und als Gegenüber der Uferbepflanzung der Glan, gibt sie dem Krankenhaus eine ruhige Fassung. Ob sie auch ein stimmiger Hintergrund für graue Wintertage sein wird, muss bezweifelt werden.

Derart große Bauwerke mit so komplexen Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Funktionalität, an reibungslose Ver- und Entsorgung, Hygiene und Sterilität ähneln perfektionierten Maschinen, und es stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, sie atmosphärisch aufzuladen und ihnen Bedeutungsschwere zu nehmen.

Mit der Erweiterung des Landeskrankenhauses Gmunden ist dem Büro fasch@fuchs. dieser Trapezakt gelungen. Ihre neue Akutgeriatrie mit Tagesklinik strahlt jene gelassene Heiterkeit aus, die vergessen lässt, wo man gelandet ist. Erreicht wurde das durch gar nicht sparsamen, aber sorgfältig differenzierten Einsatz von Licht, Farben und Holz und die unmittelbare Nähe und Aussicht aller Krankenzimmer auf den Therapiegarten auf dem sanft schrägen Dach der Tiefgarage. Die Architekten schaffen Aufenthaltzonen mit Wohnzimmercharakter und konnten durchsetzen, dass den großzügig verglasten Krankenzimmern ein gedeckter Balkon mit Sitzbank und Terrassendielen aus Holz vorgelagert ist – ein traditionelles regionales Bauelement.

Gemeinsame Qualität beider Krankenhäuser ist, dass sie lichtdurchflutet und offen wirken, dass sie reichlich Bewegungsflächen und differenzierte Aufenthalte bieten, Kontakt zum Landschaftsgrün ermöglichen und mit wunderbar gestalteten Gärten eine Bereicherung des Aufenthalts schaffen.

Spectrum, Sa., 2010.07.03



verknüpfte Bauwerke
LKH Gmunden

05. Juni 2010Karin Tschavgova
Spectrum

„Häuser schauen“

Architekturvermittlung boomt, das Interesse an gebauter Alltagskultur ist ungebrochen, die heurigen Architekturtage haben es wieder gezeigt. Bewirken solche Veranstaltungen wirklich ein tieferes Verständnis für die Baukunst?

Architekturvermittlung boomt, das Interesse an gebauter Alltagskultur ist ungebrochen, die heurigen Architekturtage haben es wieder gezeigt. Bewirken solche Veranstaltungen wirklich ein tieferes Verständnis für die Baukunst?

Geschafft! Der große Run auf die heuer zum fünften Mal österreichweit inszenierten Architekturtage gibt dem Bemühen um Vermittlung von Kenntnissen über Architektur und Stadtentwicklung recht. Diese Tage an einem Wochenende im Mai sind mit den Jahren zu einem Fixpunkt für an Architektur Interessierte geworden. Menschen, die sich für das Bauen, den Bauprozess und für die sogenannte moderne Architektur interessieren, haben ganz unterschiedliche Motive für ihr Wissensbedürfnis. Sie suchen Inspiration und Entscheidungshilfen für eigene Bauvorhaben oder sind über Bauwerke in ihrem Lebensumfeld, die die Fachwelt positiv rezipiert oder kontroversiell diskutiert, der Thematik nähergekommen. Viele sind aber einfach neugierig, zu sehen, wie andere Menschen wohnen, und nicht wenige sind durch eine stets wachsende Zahl an Beiträgen in den Medien (wie auch wöchentlich auf dieser „Spectrum“-Seite) motiviert, dem Qualitätsbegriff für zeitgenössische Architektur selbst nachzuspüren.

Kein Wunder, dass die größte Nachfrage bei den diesjährigen Architekturtagen jene nach den geführten, vielfach thematisch aufgefächerten Touren war. So konnte man in Oberösterreich Bauten der Arbeit für Bildung, Medizin, Gewerbe und der Landwirtschaft in Augenschein nehmen, in Salzburg Einblick in die Vielfalt von Religionen über ihren baulichen Ausdruck erhalten und Bauten und Landschaftsräume besichtigen, die Vorarlbergs Kommunen kulturell bereichern sollen. Die Steiermark bot Gelegenheit, Orte städtischer Infrastruktur zu besuchen, die sich der allgemeinen Sichtbarkeit entziehen oder von den höchsten Plattformen der Stadt den Blick auf Baustellen, Stadtteiltransformationen und Stadtentwicklungsgebiete zu werfen.

„Häuser schauen“ ist nicht nur hierorts ein Hit, sondern zeigt sich als weltweiter Trend in all jenen Metropolen und Regionen, die rege Bautätigkeit und ein sichtbares Bemühen um Baukultur aufweisen können. Die Architektenkammern Deutschlands rufen jährlich bundesweit einen Tag der Architektur aus und geben 150.000 Besucher für die 2009 angebotenen Aktivitäten und Programme an. In London und New York werden die Angebote zur Besichtigung von Bauten und Environments zu den „Open-House“-Tagen regelrecht gestürmt, und in den vielen europäischen Großstädten gibt es Architekturzentren, die Touren anbieten. Unternehmen und Hochschulen, aber auch kulturinteressierte Städtereisende bedienen sich für Touren auf hohem fachlichem Niveau des Netzwerks von „Guiding Architects“, die von Lissabon bis Moskau, in Shanghai, Dubai und New York Architekturexkursionen organisieren.

Jedes Reiseunternehmen mit Kulturangebot hat heute Gehry's Museum in Bilbao im Pflichtprogramm und sicher bald Zaha Hadids Museum MAXXI in Rom. Daraus lässt sich schließen, dass das Interesse an Architektur kontinuierlich zunimmt, nicht aber, dass dies zu einem tieferen Verständnis für Baukultur – oder richtig: Baukunst – führt. Streng genommen muss der Begriff der Baukultur wertfrei verwendet werden, denn er definiert nicht mehr als die Summe der Bautätigkeit einer Gesellschaft, einer Region oder einer Epoche. Baukunst macht demnach nur einen Teil jeder Baukultur aus. Dazu stellt Friedrich Achleitner in seiner humorvoll-trockenen Art kurz und bündig fest: „Lange nicht alles, was von Architekten entworfen wird, ist Architektur.“ Dass es in der Kunst wie in der Architektur auch auf höchstem Niveau divergierende Meinungen gibt, liege in der Natur der Sache. Fischer von Erlach, meint er, mag einmal eine Geschmacksfrage gewesen sein, aber sicher keine Frage der künstlerischen Qualität. Hollein oder Hundertwasser hingegen sei keine Geschmacksfrage, sondern eine des künstlerischen Niveaus.

Was kompliziert klingt, fordert dem Architekturvermittler viele Fähigkeiten ab. Etwa jene, ein Objekt in seinem (stadt-)räumlichen, gesellschaftlichen und zeitlichen Kontext verorten zu können, Hintergründe seines Entstehens zu beleuchten und Vorgaben zu erläutern. Es gilt, Ideen und Konzepte, die jedem Bauwerk mit baukünstlerischem Anspruch zugrunde liegen, mit kritischer Distanz zu vermitteln, zugleich jedoch auf räumliche und atmosphärische Qualitäten, auf gute Licht- und Wegeführung, funktionelle Optimierungen, auf gelungene Materialauswahl und Detailausbildung mit Empathie hinzuweisen. Es gilt, blitzschnell zu erspüren, wie viel an Informationen dem jeweiligen Publikum zuzumuten ist und wie detailliert man Wissen weitergeben kann. Es gilt zu differenzieren. Oberflächliche Werturteile nach dem Motto „gut oder schlecht, richtig oder falsch“ sind keinesfalls angebracht. Es gilt, seine Zuhörer nicht zu überreden, sondern selbst schauen zu lehren.

Auch wenn sich Vermittler darauf einigen könnten, dass Architektur eine Frage des künstlerischen Niveaus ist, ist es schwierig, dies zu näherzubringen, weil alles Innovative, nie Gesehene und damit Ungewohnte Zeit braucht, um akzeptiert und bestenfalls verstanden werden zu können. Riklef Rambow, der als Erster Rezeption und Architekturverständnis von Laien aus der Sicht des Psychologen untersucht hat, behauptet eine Ungleichzeitigkeit von etwa zehn Jahren.

Daraus könnte man schließen, dass Architekturvermittlung gar nicht sinnvoll sein kann. Nun denn: Baukunst besteht nicht nur aus schwer verständlichen, sperrigen Spitzenleistungen der Architektur und aus jenen Knallbonbons, die zum Lockmittel für Touristiker taugen. Sie speist sich aus vielen Beispielen einer gebauten Alltagskultur, die unter günstigen Voraussetzungen mit guten Partnern entstehen können. Ihre Vorzüge zu vermitteln hat Sinn, weil à la longue ein breiteres Verständnis für Qualität dazu führen wird, besser gestaltete Lebensräume einzufordern und zu fördern.

Gerade deshalb scheint der diesbezüglich unerschütterlich zuversichtlichen Schreiberin wichtig, in der Vermittlungsarbeit von Baukultur (landläufig) oder dem, was Achleitner unter Architektur versteht, Kontinuität zu erzeugen und Leidenschaft für das Thema wecken zu können, damit die Teilnahme an Architekturtagen, an Busreisen für Bürgermeister oder das Vermittlungsprojekt in der Schule nicht nur eine einmalige Auseinandersetzung mit der baulichen Gestaltung von Räumen bleibt, die unser Leben in einer Unmittelbarkeit beeinflussen, die wir noch gar nicht endgültig erforscht haben.

Spectrum, Sa., 2010.06.05

24. April 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Der steirische Panther

Ein liegender Monolith, der Anspannung, Bewegung und Tempo ausdrückt. Exzellent detailliert, mit Sorgfalt und Perfektionismus. Ein Büro- und Geschäftshaus mit dem Zeug zum Wahrzeichen von Graz.

Ein liegender Monolith, der Anspannung, Bewegung und Tempo ausdrückt. Exzellent detailliert, mit Sorgfalt und Perfektionismus. Ein Büro- und Geschäftshaus mit dem Zeug zum Wahrzeichen von Graz.

Es zu übersehen, ist unmöglich, denn es ist das auffälligste Bauwerk, das in Graz in letzter Zeit entstanden ist. Tausende, die in die Stadt kommen, darunter viele Pendler, fahren jeden Tag daran vorbei und ebenso viele Abreisende, die den Weg zur Autobahn nach Wien, Italien oder Slowenien über die Ausfahrt im Südosten der Stadt nehmen. Für die, die sich von auswärts nähern, zeigt es sich besonders spektakulär: als bis zu sechs Geschoße hoher, liegender Monolith mit glänzend schwarzer, glatter Hülle, der sich – wie man erst im Vorbeifahren sehen kann – auflöst in massive Strebepfeiler und eine mächtige, auskragende Geste.

Dieser Bau dient zweifelsohne der Repräsentation. Seine Funktion lässt sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Rückschlüsse aufgrund seines Standorts sind schwierig, denn der Bezirk ist, nicht anders als andere Randzonen in Graz, gekennzeichnet durch Heterogenität und Dimensionssprünge – Gewerbebauten liegen verstreut zwischen kleinteiligen vorstädtischen Siedlungsstrukturen, dazu Wohnblöcke, Glashäuser, Felder und ein Einkaufszentrum. Identität schafft das Fußballstadion, das jeder mit dem Bezirk Liebenau assoziiert.

Auf seine unmittelbaren Nachbarn, eine Reihe von kleinen Einfamilienhäusern, schaut unser Gebäude herab. In Höhe und Größe orientiert es sich an der nahe gelegenen Eckbebauung, die Teil des Stadion-Ensembles ist. Mit diesem bildet es die ersten einer Reihe von monumentalen „Solisten“, die die Tangente künftig säumen sollen, geht es nach dem räumlichen Leitbild, in dem hierorts für eine Verdichtung durch vertikale Akzente plädiert wird.

Des Rätsels Lösung? Unser Bau ist ein Büro- und Geschäftshaus und vorrangig die Firmenzentrale eines Grazer Unternehmens, das Brillen und Schmuck designt und weltweit vertreibt. Die monumentale, weit ausladende Form mit schräg gekappten Enden, ansteigenden Trauflinien und messerscharf gesetzten Einschnitten ist geeignet, Logo und Wahrzeichen zu sein. Bauherr und Architekten sehen in ihm einen schwarzen Panther, der zum Sprung ansetzt. Der gewollte Ausdruck von Anspannung, Bewegung und Tempo, der durch die lang gezogene Fensterbänderung noch verstärkt wird, entspricht der Firmenphilosophie, die aus einem kleinen Betrieb der Nachkriegsjahre ein global agierendes Unternehmen hat werden lassen.

GSarchitects haben diese Gebäudeskulptur erdacht. Hinter dem Kürzel stehen Danijela Gojic und Brigitte Spurej, die Insidern schon lange, bevor sie ihr eigenes Büro gründeten und 2005 mit Michael Gattermeyer eine Partnerschaft eingingen, bekannt waren. Die beiden Frauen hatten jahrelang für steirische Architekten Wettbewerbsprojekte entworfen – ziemlich erfolgreich und schon immer in der Architektursprache, die nun auch ihren ersten in Eigenverantwortung realisierten Großbau kennzeichnet. Dass sie „schnittige“ Entwürfe machen können, haben sie oft bewiesen. Unter anderem stammt der Wettbewerbsentwurf zur zweiten Ausbaustufe des Flughafens Graz-Thalerhof von ihnen. Nun galt es zu demonstrieren, dass sie auch in der Lage sind, ihre Ideen ohne Qualitätsverlust umzusetzen.

Tatsächlich blieben Gestalt und Ausdruck im Wesentlichen wie im Wettbewerb erhalten. Der straßenseitig monolithisch wirkende Baukörper entpuppt sich – welch Überraschung – auf seiner Kehrseite als Zusammenschluss zweier lang gestreckter, trapezförmiger Arme, die in einem weit geöffneten Winkel zueinander stehen und sich in ihrem Schnittpunkt in eine Halle, die über alle Geschoße reicht, auflösen. Einer der Arme beherbergt die Firmenzentrale mit allen Funktionen, die Geschäftsabwicklung und Verwaltung brauchen. Der andere Trakt enthält, getrennt erschlossen, vermietbare Büroflächen, die im nun angebotenen Zustand große ungeteilte Einheiten mit zentralem Versorgungskern sind, die optimale Lichtverhältnisse aufweisen, weil sie großteils durchgehend beidseitig belichtet sind. Jene Flächen, die einseitig Fensterbänder nach Osten aufweisen, erhalten zusätzliche Belichtung aus dem Oberlicht der Halle. Die Öffnung der Büros beider Trakte hin zum Luftraum der gemeinsamen Halle schafft nicht nur Transparenz und Durchlässigkeit, sondern erzeugt auch eine Atmosphäre der konzentrierten Betriebsamkeit, die auf den Besucher angenehm wirkt. Hier wird gearbeitet, und das darf jeder sehen (wer will, kann sich mit Screens gegen ungewollte Einblicke schützen). Brücken, die über eine offene Treppe erschlossen werden, queren den Luftraum.

Der Treppenturm, den die Architekten frei ans nördliche Ende der Halle gestellt haben, zeigt exemplarisch die hohe Qualität der Bauausführung. Anschlüsse und Übergänge sind exzellent detailliert und bewältigt, Materialien wie Stahlblech für die Geländer, Glas oder an anderer Stelle Leder für Wandverkleidungen sind so verwendet, dass sie am besten zur Geltung kommen. Der gesamte Bau – von der Fassade aus schwarzem Glas bis zum Pflanztrog auf der Dachterrasse der Chefetage – wurde bis ins Detail nicht nur mit großer Sorgfalt geplant, sondern auch mit Können. Stellt man dies fest, so erinnert man sich, dass der Dritte im Bunde der Architekten, Michael Gattermeyer,Detailentwicklung im Büro von Klaus Kadagelernt hat. Perfektionismus wird auch dem Bauherren zugeschrieben und zeigt sich in der repräsentativen Ausgestaltung der beiden Chefetagen – edelste Materialien, eigens entworfene Möbel und verschwendend viel Raum.

Großzügiger Umgang mit Flächen, Luftraum und Raumhöhen ist ein Luxus, der den Architekten zugestanden wurde und ihnen erlaubte, das Bauwerk zur Stadt hin aufzulösen in ein durchlässiges strukturelles Gebilde aus Stützen, Decken und Rahmenwerk, das die gewünschte Dynamik der Bewegung widerspiegelt.

Zweifellos lässt sich eine Wesensverwandtschaft mit der Architektur von Zaha Hadid, Thome Mayne oder Coop Himmelb(l)au ausmachen. Dieses erste große Werk von GSarchitects steht aber auch deutlich in der Tradition der Architektur der „Grazer Schule“, die jede noch so banale Bauaufgabe in ein einzigartiges Monument der kreativen Potenz verwandeln wollte.

Ein wenig einsam und verloren steht es noch da mit seiner Prachttreppe, die direkt in die Stromzählerkästen führt. Die Umgebung muss erst noch anpasst werden.

Spectrum, Sa., 2010.04.24

06. März 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Lustig – und sonst?

Muss Architektur witzig, humorvoll, ironisch sein? Ein Beispiel als Antwort: das Hospiz des Geriatrischen Zentrums der Stadt Graz.

Muss Architektur witzig, humorvoll, ironisch sein? Ein Beispiel als Antwort: das Hospiz des Geriatrischen Zentrums der Stadt Graz.

Humorvoll, lustig, witzig, mit einem Anflug von Ironie: Mit solchen Attributen werden in letzter Zeit vermehrt neue Objekte der Architektur versehen, die man mir auf den Architekturseiten von Qualitätszeitungen näher bringen will. Aus den Zeilen der Autoren spricht wohlwollende, ja, begeisterte Rezeption. Ich aber, immer schon insistierend, frage mich: Warum sollte Architektur überhaupt lustig, humorvoll, witzig oder ironisch sein? Einer der Autoren liefert seine Antwort gleich mit, wenn er meint, dass das Leben schon ernst genug sei. Kann das ernst gemeint sein?

MVRDV, niederländische Großmeister auf dem internationalen Parkett der Architektur, entwarfen für Brad Pitts Hilfsprogramm „Make it right“, das robuste Haustypologien für den Wiederaufbau von New Orleans entwickeln ließ und diese auch realisiert, das „Bent House“. Es ist ein lang gestrecktes Haus mit Satteldach, das die Architekten kurzerhand in der Mitte knickten, damit nicht mehr als die Knickstelle im Wasser steht, sollte die große Flut noch einmal kommen. Sarkasmus, ein makabrer Witz? MVRDV meinten ihren Vorschlag ernst und arbeiteten ihn bis ins Detail aus. In Basel wiederum fügten Herzog & de Meuron der Gebäudesammlung des Möbelherstellers Vitra ein neues Gebäude hinzu, das viele Häuser in einem vereint. Wie Bauklötze wurden die archetypischen Hausformen übereinander gestapelt, verdreht und miteinander verschränkt, bis sie ein viergeschoßiges Ganzes ergaben. Das war ob seiner komplizierten Lastabtragung eine Herausforderung für die Statiker – aber sonst?

Lustig wird mit originell gleichgesetzt, und originell ist alles, was noch nie da war und exaltierter ist als das bisher Gesehene. Architektur wird zum Hype, zu einem Produkt, das einen Medienrummel hervorruft, – das Medienrummel ist. „If architecture is a form of media, it is a weak one“, schreibt Peter Eisenman und fügt hinzu, dass die Architektur, um die Hegemonie der Medien zu brechen, selbst mehr und mehr zurückgreift auf spektakuläre Bilder und Hüllen, die über digitale Prozesse erzeugt werden und keine andere Bedeutung mehr haben als selbstreferenziell auf ihre Entstehung zu verweisen.

Eines ist diese Art von Originalität nicht: ein Ergebnis schöpferischer Tätigkeit, um ein Problem intelligent neu zu lösen. Und so fehlt dieser Architektur die Kraft der Erneuerung, und sie kann nicht mehr werden als ein Hingucker, eine kurzlebige Aufregung.

Wenn wir behaupten, dass die Architektur ein von Menschen geschaffenes Produkt sei, das unsere Beziehungen zur Umwelt ordnen und verbessern soll, sagt Christian Norberg-Schulz in seiner „Logik der Baukunst“, so erweisen sich Untersuchungen über das Entstehen menschlicher Produkte als notwendig. Wir müssen fragen, was der Zweck der Architektur ist.

Mit Zweck ist in diesem Zusammenhang nicht wörtlich die Funktion von Architektur gemeint, wohl aber ihre soziale Dimension. Sie war das wesentlichste Anliegen der Moderne, ehe diese verflachte zu ästhetisiertem Formalismus. Behalten Architekten die soziale Dimension einer Bauaufgabe im Auge, so wird diese weder Spektakel noch eitle Selbstverwirklichung. Dann kann weniger sogar mehr werden. Eines meiner Lieblingsbeispiele: Anne Lacaton & Jean Phillipe Vassallösten den Auftrag zur Umgestaltung eines Platzes in Bordeaux damit, dass sie vorschlugen, nichts Wesentliches zu verändern, weil sie aus sorgfältiger Beobachtung und Analyse den Schluss zogen, dass Gefüge und Atmosphäre des Platzes intakt waren und weder durch neue Lampen noch durch andere Gestaltungsmaßnahmen verbessert werden konnten. Lediglich einige winzige ordnende Eingriffe wurden vorgenommen.

Wenn Architektur die Beziehungen zwischen Mensch und Umgebung ordnen und verbessern soll, so trägt der Architekt dafür Verantwortung. Er ist nicht nur gefordert, physische Sicherheit und einen funktionellen Rahmen zu schaffen, sondern darüber hinaus ein soziales und kulturelles Milieu zu erzeugen, das der Mensch sich aneignen kann für individuelles und interaktives Handeln. Im Sinnbild des Hauses sind unsere Träume, unsere Erinnerungen und unsere Sehnsucht nach Geborgenheit verortet.

Die Bauaufgabe, ein Hospiz einzurichten, verlangt, sich diesen Themen besonders achtsam zu widmen. Wolfgang Feyferlik und Susi Fritzer haben ein Gebäude im Geriatrischen Zentrum der Stadt Graz zu einem Hospiz umgebaut. Sie haben daraus einen Ort gemacht, der Erinnern, Träumen und Geborgensein ermöglicht. Vom robusten Charakter der Bausubstanz von 1929 am Rand eines parkähnlichen Areals ist einiges erhalten geblieben. Seine Schwere konnten die Architekten dem Baukörper jedoch mit wenigen, klug gesetzten Eingriffen nehmen. Sonne und Lichteinfall, um wohnliche Atmosphäre zu erzeugen, Gefühle der Ausweglosigkeit zu mildern und klaustrophobische Ängste zu vermeiden, sind zentrale Themen dieser Arbeit. So wurden die Gebäudeecken an der Westfront mit Verglasungen, die außenbündig liegen, geöffnet. Die Aufenthaltsbereiche, die dadurch entstehen, erinnern – mit freiem Ausblick auf Himmel und Geäst – an Veranden.

In die individuellen Rückzugsräume, zwölf Einzelzimmer mit Ostorientierung, fällt die Morgensonne durch große Schiebefenster, die als Balkone ausgebildet sind. Ihr Parapet ist eine tiefe Sitzbank, die auch als Liegefläche dienen kann und so, durch einen Vorhang abtrennbar, zum temporären Rückzugsort für die oft lange wachenden Angehörigen werden kann.

Die Architekten setzen mit jedem noch so kleinen, gestaltenden Element atmosphärische Gesten von Ruhe und Würde. Mit dezenten, alten Rollmustern an den Wänden, wie man sie heute kaum noch findet. Mit der Auflösung von geometrischer Strenge durch Knicke in den Trennwänden und Decken der privaten Räume. Mit Wandablagen und Regalen für persönliche Erinnerungsstücke. Mit der Aufweitung des Mittelgangs durch einen zentral gelegenen, verglasten Zubau für den Schwesternstützpunkt, der wie ein Rucksack über dem Zugang hängt. Mit hellen, freundlichen Möbeln, mit Trennwänden aus Milchglas, die das bunte Dahinter der Serviceräume durchschimmern lassen. Mit einem verschwenderisch großen, von Licht durchflutetem Badezimmer, in dem man sich wie ein König in der Wanne fühlen kann. Mit der sorgfältig zusammengestellten Auswahl an Leuchten, die eigens angefertigt wurden. Und mit raumhohen Bildtapeten der Fotografin Zita Oberwalder – Motive von Landschaften und Orten, die Erinnerungen an ein erfülltes Leben sein können oder Inspiration für Träume von künftigen Orten, für die wir keine Bilder haben.

Spectrum, Sa., 2010.03.06



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Albert-Schweitzer-Hospiz

09. Januar 2010Karin Tschavgova
Spectrum

Die Mur, die Mark, das Bauen

Unkonventionell präsentiert: die neue steirische Architektur. Eine lang angekündigte Ausstellung zeigt sie in Filmsequenzen, ein Jahrbuch streng subjektiv. Und wo bleiben Vermittlung und Analyse?

Unkonventionell präsentiert: die neue steirische Architektur. Eine lang angekündigte Ausstellung zeigt sie in Filmsequenzen, ein Jahrbuch streng subjektiv. Und wo bleiben Vermittlung und Analyse?

Lange musste man auf eine Gesamtschau aktueller steirischer Architektur warten. In der Nachfolge jener denkwürdigen Ausstellung des Forums Stadtpark im Jahr 1984, die die „Grazer Schule“ positionierte und die Steiermark als interessantes Architekturland mit einem Schlag über Österreich hinaus bekannt machte, geschah lange, mit Ausnahme verstärkter Aufmerksamkeit für neue Tendenzen im Wohnbau der Steiermark in zwei Publikationen, nichts. 1998 brachte das Grazer Haus der Architektur (HDA) in englischer Sprache ein Buch des Londoner Architekturtheoretikers und Journalisten Peter Blundell Jones heraus, der seine Vorliebe für die ausgeprägten Individualisten aus der Steiermark schon zuvor in der „Architectural Review“ zum Ausdruck gebracht hatte. Seine theoretische Aufarbeitung blieb bis heute die einzige umfassende Analyse der bemerkenswerten Architekturproduktion einer Region, die damals noch am südöstlichsten Rand Europas lag.

Sieht man von einer kartografischen Bestandsaufnahme der neuen Architektur in Graz und in der Steiermark nach 1990 ab, die in zwei Architekturführern Platz fand, folgte dann wieder lange nichts. Ab 2005 versuchte das HDA, das Beste der steirischen Architektur in Jahrbüchern auszustellen. Allein, Auswahlkriterien und Erscheinungsform dieser Publikationen waren nicht dazu angetan, den gewünschten Diskurs über Qualität, politische Verantwortung und gesellschaftliche Akzeptanz des Bauens hierzulande in Gang zu bringen. – Die Zeit war also reif dafür, die Architektur aus der Steiermark neu zu positionieren und ins Licht zu rücken. Innovationen wurden alsbald angekündigt. Charlotte Pöchhacker, die Leiterin der Medien und Architektur Biennale Graz, hatte noch von Landeshauptfrau Klasnic die Zusage für ein stattliches Budget zur internationalen Präsentation steirischer Architektur erhalten. Sie präsentierte das Konzept einer unkonventionellen Ausstellung, die auf ihrer Tour durch Europas Metropolen von Diskussionen mit örtlichen Architekturschaffenden begleitet und darüber hinaus mit Ideen und Entwürfen angereichert werden sollte, die als Echo auf das Gezeigte die Schau in jeder Stadt erweitert hätte. Als letzte, bereicherte Station war Graz vorgesehen.

Bald darauf kündete das Land Steiermark die Neustrukturierung seines Architekturpreises an und übertrug die Auswahl erstmals nicht einer Jury, sondern einem Kurator. Andreas Ruby aus Berlin wählte nicht nur den Preisträger 2008 aus, sondern konzipierte auch das Jahrbuch neu, das im Spätherbst 2009 vorlag. Die Auswahl der darin enthaltenen Objekte wurde auf die von Ruby für den Preis nominierten zwölf Projekte beschränkt, die den Hauptpreis einschließen. Die Präsentation der 70 nicht prämierten Projekte in der an die Preisverleihung gekoppelten Ausstellung entfiel.

Selbstbewusst setzt Ruby ganz auf die subjektive Entscheidung des Kurators. Zugleich entzieht er sich jedoch der Begründung seiner Auswahl, indem er Projekttexte mit der Begründung, dass diese kaum gelesen werden und dass Architekten als „notorische Gelegenheitsleser“ bekannt sind, weglässt. Dessen ungeachtet kommen – stets mehrere Seiten lang – Bewohner, andere Nutzer, Anrainer, zufällig Vorbeigehende und die Architekten zu Wort, deren Aussagen und Urteile zeigen sollen, wie unterschiedlich Architektur in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Ruby zielt auf vielstimmige Präsentation ab, auf Authentizität durch Volkes Stimme, die er für kurzweilig hält. Um Erkenntnisvermittlung, indem Qualität explizit aufgezeigt und erklärt wird, kann es ihm nicht gehen, ist doch die Analyse seiner Auswahl in ein 15-seitiges Nachwort verpackt. Auch die Fotografien der mexikanischen Fotokünstlerin Livia Corona vermitteln nur bedingt, was die Besonderheit der für den Architekturpreis nominierten Bauwerke und Plätze ausmacht. So zeigt das Buchcover die Schönheit und Aufenthaltsqualität üppiger grüner Wiesen, nicht aber die des Einfamilienhauses, das hier im Bildhintergrund versinkt, obwohl der Kurator es geradezu emporstemmt, indem er ihm den Steirischen Architekturpreis 2008 zuerkannt hat. Die von ihr bevorzugte Form der inszenierten Fotografie hat die Künstlerin auch für einen Teil der im Jahrbuch präsentierten Objekte gewählt. Ob die Inszenierungen mit ausgesuchten Statisten und Requisiten weniger artifiziell und distanziert wirken als die übliche, auch von Ruby kritisierte Architekturfotografie, darüber ließe sich streiten.

Als Standbildfolgen nimmt man auch die Filme von Heinz Emigholz wahr. Der Professor für Experimentelle Filmgestaltung an der Universität der Künste in Berlin hat die von einem Gremium ausgewählten Beispiele abgelichtet, die Charlotte Pöchhacker nun in ihrer mit hohen Erwartungen begleiteten Ausstellung über aktuelle Baukultur aus der Steiermark zeigt. Die Schau mit dem Titel „Sense of Architecture“ ist nach Stationen, die sie in reduziertem Umfang unter anderem nach Berlin, New York, Venedig und Belgrad gebracht hat, als Gesamtprojekt mit 46 Kurzfilmen im Grazer Künstlerhaus zu sehen.

Sechs Screens auf fünf frei im Raum platzierten „architektonischen Displays“, die Alexander Kada mit transparenten und opaken Flächen gestaltet hat, die eine Vielfalt an Durchblicken und Sichtbezügen eröffnen sollen, zeigen bis 10. Jänner ein höchst eigenwilliges Bild der Architekturproduktionaus der Steiermark. Emigholz filmt statisch – kein schneller Schnitt, nie ein Kameraschwenk. Dabei kippt er das Bildobjekt mit Vorliebe aus der Vertikalen, was nicht nur wegen der vielen Schrägen in den gezeigten Bauten irritierend ist. Räume werden ausnahmslos partiell ins Bild gerückt. Der Zuschauer soll animiert werden, sich den Raum aus einer Bildfolge zu imaginieren, was selbst für in Raumgestalt und Proportion Geschulte schwierig ist. Raumwirkung vermisst man denn auch.

Die Gedankenstruktur zu den beiden unterschiedlichen Präsentationen rezenter steirischer Architektur scheint geradezu deckungsgleich. Der künstlerische Aspekt steht im Vordergrund. Nicht die Intention des Architekten wird herausgeholt und ins Bild gebracht, sondern die Handschrift des Filmemachers und der Fotografin.

Charlotte Pöchhackers Verdienst ist es, nach 25 Jahren wieder eine Gesamtschau der steirischen Architektur zu zeigen. Es ist ein Bilderbogen ohne Analyse, Kritik und theoretische Aufarbeitung. Kontext und Hintergründe des derzeit geringen Engagements der Politik für die Architektur der Steiermark zeigen beide Präsentationen nicht auf. Dies wäre gerade in jenem Bundesland von besonderem Interesse, das einst so vieles hervorbrachte, weil es sich der Förderung von Baukultur verpflichtet hatte.

Spectrum, Sa., 2010.01.09



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14. November 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Sehnen, Knochen, Cabrios

Die Lust am Normbruch zeichnet sie aus, das Bedürfnis nach unorthodoxen Ansätzen: die Architekten Fasch & Fuchs. Jetzt bekommen sie den Preis für Architektur der Stadt Wien. Zu Recht.

Die Lust am Normbruch zeichnet sie aus, das Bedürfnis nach unorthodoxen Ansätzen: die Architekten Fasch & Fuchs. Jetzt bekommen sie den Preis für Architektur der Stadt Wien. Zu Recht.

Den Arbeiten von Fasch & Fuchs wird hohe räumliche Qualität und gekonnte skulpturale Durchbildung zugeschrieben, ihre Entwürfe gelten als elegant und spannend. Tatsächlich gelingt es den beiden Architekten Hemma Fasch und Jakob Fuchs, die mit Büros in Wien und dem steirischen Hausmannstätten für das lapidare Kürzel stehen, immer wieder, uns zu überraschen.

Ihre Gebäude sind das Ergebnis einer fundierten Beschäftigung mit jeder Bauaufgabe. Dabei lässt sich ein generelles Interesse, ja geradezu eine Lust am Aufbrechen normierter Vorstellungen und ein Bedürfnis nach unorthodoxen Ansätzen und ungewöhnlichen Raumlösungen erkennen. Die Öffnung des Blickfelds erlaubt neue Interpretationen von Funktionalität und führt zu Ideen, die erfrischend unverbraucht sind, etwa wenn Raumeinheiten mit unterschiedlichsten Anforderungen miteinander verwoben und als offene, ineinanderfließende Bereiche erlebbar werden. An der Sonderschulein Schwechat bildet der Turnsaal das mehrgeschoßige, vom Pausenfoyer aus einsehbare Zentrum des Hauses und wird zur erlebnisreichen Erweiterung des Bewegungsraums Behinderter.

Vergleicht man die Bauten und Projekte von Fasch & Fuchs, gewinnt man den Eindruck, dass die Architekten sich die Freiheit im Entwerfen weder durch starre theoretische Ansätze noch durch selbst auferlegte Entwurfsprinzipien einschränken lassen wollen. Dennoch – und das ist erstaunlich – zeigen alle Arbeiten in ihrer Vielgesichtigkeit eine starke, eigenwillige Handschrift. Das Originäre, Unverwechselbare, formt sich auswenigen Grundsätzen: aus dem Anspruch, jedes Gebäude in einen landschafts- oder stadträumlichen Kontext einzubetten. Alle ihre Entwürfe gehen einen Dialog mit dem Vorgefundenen ein. Das Gelände kann auf verschiedenste Weise zum integrierten Bestandteil des Entwurfs werden. Wenn das Dach einer bestehenden Parkgarage zum „urbanen Feld im Sinne eines Platzes“ gemacht wird, wie beim Wettbewerbsprojekt des Zentral-medizinischen Forschungsgebäudes am Gelände des Grazer Landeskrankenhauses. Wenn es unter dem aufgeständerten Bau der Österreichischen Botschaft in Berlin durchfließt und zur Bedeutungsebene fürden Anspruch auf Offenheit und Grenzenlosigkeit wird. Oder als „Bett“, wenn, wie beim Kindermuseum in Graz, das Terrain abgegraben und neu moduliert wird, um ein Gebäude in Höhe und Volumen zurückzunehmen, damit es Sichtbarriere im Park ist.

Grundsätzlich scheinen sie leicht anmutende Gebäude entwerfen zu wollen. Hemma Fasch und Jakob Fuchs, die sich als Assistenten auf Helmut Richters Lehrstuhl für Hochbau an der Technischen Universität Wien kennengelernt haben, stehen für eine strukturelle Architektur, die Tragkonstruktion und Hülle trennt und ihr auf ein ökonomisch vertretbares Minimum reduziertes, schlankes Skelett nicht versteckt. Typisch für ihre Entwürfe ist das Bestreben, Lösungen zu finden, die natürliches Licht und Sonne bis in innenliegende Kernzonen bringen. Um den Lichteinfall zu optimieren, werden Fassaden schräg gestellt, Oberlichtbänder eingezogen und kleine Höfe eingezogen. All das formt jenes dynamische, windschlüpfrigeSchnittprofil, das bereits zu ihrem Markenzeichen geworden ist. „Sie entwerfen Gebäude wie Karosserien, wie kompakte Chassis für leichte Cabriolets, die ihre Sehnen und ihren Knochenbau spüren lassen, die sichtbar auf Sonne und Wetter, auf Stadt und Gelände reagieren können“, beschreibt Otto Kapfinger die Arbeit von Fasch & Fuchs. Treffender kann man sich ihrer „Lust an der ingeniösen Konstruktion“ nicht nähern. Ihre feingliedrigen Konstruktionen, die immer in enger Zusammenarbeit mit dem Tragwerker Peter Bauer von „Werkraum Wien“ entwickeltwerden, sind nie überzogen, nie Selbstzweck und schon deshalb nicht seelenlos technoid.

Zwei ihrer anspruchsvollsten Bauten sind in Wien situiert – vermutlich auch ein Grund,warum ihnen am Montag von der Stadt Wien der Preis für Architektur 2009 zuerkannt wird. Fasch & Fuchs. haben die zentrale Busgarage in der Leopoldau gebaut. Bei einem derartigen Entwurf leiten sich wesentliche Parameter aus der Forderung nach höchster Funktionalität ab: dem reibungslosen Ablauf von Ein- und Ausfahrten, der Reinigungsmöglichkeit der Busse und der regelmäßigen Kontroll- und Wartungsarbeiten. Das Verkehrskonzept, also die Wegeführung, bestimmte ganz wesentlich die Positionierung und Ausformung der Baukörper, Sicherheitsanforderungen im Umgang mit Flüssiggas kamen hinzu.

Die Architekten fokussieren den Entwurf auf zwei ihrer Generalthemen, die in allen Bereichen der Garage mit Konsequenz und Sorgfalt bearbeitet werden. Die Tragkonstruktion der Dächer wird, ihrer Bedeutung entsprechend, zu etwas Besonderem: Schlank und fragil scheint sie durch Faltung, durch Knicke und die ökonomisch begründete Schrägstellung der Trennwände dynamisch bewegt – der die Garage determinierende, sich täglich wiederholende Bewegungsfluss ist umgesetzt in eine aufs Notwendigste reduzierte, aber konstruktiv anspruchsvolle Hülle. Das zweite Thema ist die Lichtführung, die in der Verwaltung wie in den Werkstätten die Raumwirkung und damit dasArbeitsklima merkbar positiv beeinflusst. Es ist genau diese, dem Gebäude ablesbare Freude am konstruktiven Gestalten, die der Busgarage einen architektonischen Mehrwertverschafft und den Wiener Linien die Möglichkeit gibt, die Identität, die über die Bautender U-Bahn geschaffen wurde, auf den Bereich der Busse zu übertragen.

Ein zweiter Bau in Wien entsteht gerade an prominenter Stelle – die Schiffsanlegestelle für die Linienschiffsverbindung nach Bratislava. Die Anlegestelle am Kai des Donaukanals ist vom Schwedenplatz aus erreichbar. Sie verbindet die Randzone des Platzes, den Kai, mit dem Vorkai auf der Höhe des Ein- und Ausstiegs mit einer lang gestreckten Stahlkonstruktion. Sanft abfallende Rampen und Zwischenniveaus bilden den Weg zum Bauwerk. Alle Bereiche – Ticketverkauf, Shops, Café, Lounge und Restaurant – werden an einer Bewegungsachse liegen, die ganz sicher attraktive Fensterplätze für die Wartenden bieten wird. Noch liegt oder präziser: schwebt dieses Rampenbauwerk alsnackter Torso über dem Vorkai, und manch einer wird sich erst an diesen „Parasiten“ gewöhnen müssen, ehe verstanden werden wird, dass er ein respektvoller Gast ist, der weder den Platz dominiert noch die historische Uferbebauung zum Verschwinden bringt. Die Bauten von Fasch & Fuchs. sind nie selbstbezogene, hermetische Objekte, sondern „selbstbewusste Raumgestalten“ (Otto Kapfinger), die aus der Umgebung, auf die sie sensibel reagieren, entstehen.

Spectrum, Sa., 2009.11.14



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03. November 2009Karin Tschavgova
db

Tannenzapfen im Siedlungsbrei

Die alpine Wintersportregion nahe der Tauernautobahn soll nach den Vorstellungen von Touristikern zur Ganzjahresdestination ausgebaut werden. Die Immobiliengruppe Falkensteiner Michaeler ging dazu mit der Erweiterung einer bestehenden Hotelanlage durch zwei 14– bzw. 10-geschossige »Beinahe-Hochhäuser« in Vorleistung und vermarktet diese vollmundig als Tor zwischen den Bundesländern Salzburg und Kärnten und als neues Wahrzeichen des Katschbergs. Neben ästhetischen wirft dieses Vorgehen aber grundsätzliche Fragen zum angemessenen Umgang mit dem Tourismus und den verbleibenden Ressourcen auf.

Die alpine Wintersportregion nahe der Tauernautobahn soll nach den Vorstellungen von Touristikern zur Ganzjahresdestination ausgebaut werden. Die Immobiliengruppe Falkensteiner Michaeler ging dazu mit der Erweiterung einer bestehenden Hotelanlage durch zwei 14– bzw. 10-geschossige »Beinahe-Hochhäuser« in Vorleistung und vermarktet diese vollmundig als Tor zwischen den Bundesländern Salzburg und Kärnten und als neues Wahrzeichen des Katschbergs. Neben ästhetischen wirft dieses Vorgehen aber grundsätzliche Fragen zum angemessenen Umgang mit dem Tourismus und den verbleibenden Ressourcen auf.

Gehören die beiden Apartmenttürme, die Matteo Thun an exponierter Stelle auf die Passhöhe des Katschbergs gesetzt hat, dort, wo sie nun hoch über Almwiesen und Baumwipfel herausragen, wirklich hin?

Wer sich die Mühe macht, über eine skeptische Erstreaktion hinaus über die Berechtigung der beiden Türme an diesem Ort und die Intentionen des Architekten nachzudenken, wird erkennen, dass die Motive für das Streben in die Höhe im urbanen, dicht verbauten Raum dieselben sind wie in alpiner Naturlandschaft: Es gilt, flächensparend und landschaftsverträglich zu bauen. Wer die Schönheit und Unberührtheit einer Landschaft als touristisches Kapital einsetzt, muss sich überlegen, wie diese Ressource erhalten und möglichst schonend genutzt werden kann.

Matteo Thun hatte den Bauherrn ursprünglich einen einzelnen, viel höheren Turm vorgeschlagen, den die Kärntner Baubehörde ablehnte – zu ungewöhnlich und gewagt erschien der Bautypus hierzulande (anders als in Davos, wo Herzog & de Meurons Entwurf eines weithin sichtbaren Hochhauses als Erweiterung eines Traditionsbetriebs angenommen wurde). Die nun am Katschberg realisierte Lösung, eine Teilung der Baumasse in zwei Volumina, wurde in Absprache mit den Behörden erarbeitet, die hier bemerkenswerterweise Bauqualität vor Konvention setzten.

Der ausgedehnte Turmsockel schafft auf dem nach Süden abfallenden Gelände am Ortsrand eine begrünte, gleichwohl als künstlich angelegt erkennbare Verbindungsebene zwischen Hotel und Apartments und beherbergt abschließbare Stellplätze, die zugleich Stauraum für Sportgeräte bieten.

Die Grundrisse der beiden zylindrischen Bauten sind identisch – mit einem minimal bemessenen, dennoch konstruktiv wirksamen Kern nach Norden hin mit Eingang, Aufzügen und Treppenhaus und je Geschoss zwei oder drei Apartments, die talwärts ausgerichtet sind. Gründungspfähle in bis zu 30 m Tiefe des felsigen Untergrunds, Stahlbeton im tragenden Kern und Stahlbetondecken mit aussteifenden Fassadenscheiben erlaubten, den Innenausbau in Gipskarton auszuführen. Dadurch lässt sich bei Bedarf die gesamte Geschossfläche zu einer großen, luxuriösen Einheit zusammen- legen. Augenscheinlich sind bei weitem noch nicht alle der insgesamt 64 Wohnungen verkauft.

Jedem OG ist ein durchlaufender Balkon vorgesetzt, der auch als Fluchtweg dient. Die Balkone, die nur durch einfache Abschottungen voneinander getrennt sind, durften aus Brandschutzgründen nicht mit dem obligaten Belag aus Holz ausgestattet werden. Thun hat das Holz dennoch eingebracht: als Abguss einer rauen Holzschalung im Beton der Balkonplatte. Die Fassade hat an derartigen gestalterischen »Aperçus« nichts zu bieten. Sie ist als konventionelle zweischalige Außenhaut mit Vollwärmeschutz ausgeführt. Der Putz in einem bräunlich-fahlen Farbton wirkt trist und verfehlt jedenfalls an Tagen mit bedecktem Himmel die gewünschte Wirkung distinguierter Zurückhaltung. Zur Nobilitierung der Apartments, deren Kosten immerhin im obersten Preissegment angesiedelt sind, tragen auch die einfachen verzinkten Geländer nichts bei. Immerhin sind sie beinahe unsichtbar, weil sie hinter der äußersten Hüllebene der Türme, einer rhombenförmigen, leicht gebauchten Gitterstruktur aus Lärchenkanthölzern, zurücktreten.

Dieses »Hüllgewebe« – inzwischen schon zum Markenzeichen des südtiroler Architekten geworden – verwendet Matteo Thun einerseits, um die Horizontalbetonung der Geschossebenen zurückzudrängen und die Türme monolithisch erscheinen zu lassen, andererseits vermittelt die Struktur zwischen der harten Oberfläche der Fassaden und dem sie umgebenden »weichen« Landschaftsraum – der Almwiese und dem Nadelgehölz. An den beiden Türmen ist dies sinnfällig geglückt. Erst die Hülle macht sie zu den kompakten Körpern, die schon jetzt Signets der Katschberghöhe geworden sind. Der niederländische Großanbieter von Ferienwohnungen Landal betreibt am Katschberg ein ganzes Feriendorf aus »Retorten-Chalets«, die einen vermeintlich landestypischen Stil bemühen. Die 82 Wohnungen, mit denen ein ganzer Hang am Dorfrand verbaut wurde, verbrauchen mehr Land, haben einen höheren Anteil an Erschließung und Infrastruktur und eine geringere Energieeffizienz als die beiden kompakten Apartmenttürme. Nachhaltige haustechnische Alternativen sind allerdings auch hier dem Rechenstift zum Opfer gefallen – man heizt mit der bestehenden Hackschnitzelanlage und hat weder eine Solaranlage für Warmwasser noch die von Thun vorgeschlagenen Windräder auf dem Dach realisiert.

Alpines Bauen – eine Frage der architektonischen Qualität?

Ob die beiden, schon von weitem sichtbaren Türme weniger landschaftsverträglich sind als vergleichbar große liegende Baukörper? Wer traut sich zu, solche Fragen anders als mit seiner subjektiven Überzeugung zu beantworten? Die wesentliche Frage ist, ob ein weiterer Ausbau der Alpen, ob Resorts überhaupt die Rettung schwächelnder touristischer Alpenregionen sein können.

Touristiker sagen, das Schlimmste sei, wenn in den mit Strukturproblemen kämpfenden Ferienorten gar nichts passiert. Und so werden Investoren von Ferienresorts nicht nur am Katschberg herbeigesehnt, streben doch alle im Dreiländereck Salzburg, Steiermark und Kärnten gelegenen Tourismusgebiete für ihre Bergbahnen, Liftanlagen, Gasthäuser und Beherbergungsbetriebe eine höhere, übers Jahr verteilte Auslastung an.

Die Turmapartments, deren Besitzer Dienstleistungen des angeschlossenen Hotels in Anspruch nehmen können, werden unter der Bezeichnung »Residences edel:weiss« als luxuriöser Ferienwohnsitz und Kapitalanlage vermarket. Einem »Buy to use and let«-Konzept, wie es Investoren von Ferienanlagen heute in der Schweiz auferlegt wird, um sogenannte kalte Betten und überwiegend dunkle Fensterlöcher zu vermeiden, unterliegen sie nicht, so dass positive Effekte für die lokale Beschäftigung und die regionale Wirtschaft verschwindend gering sein werden. Zweitwohnungen, die nicht vermietet werden, bringen schließlich nur den Verkäufern von Grundstücken und Apartments Gewinne.

Auch die Türme am Katschberg provozieren daher nicht in erster Linie Fragen zur Baukultur, sondern zu grundlegenden Problemstellungen der alpinen touristischen Entwicklung. Begegnet man ihnen mit offenem Blick, so lässt sich feststellen, dass sie die Landschaft weniger stören oder zerstören als andere, in Größe und Bettenanzahl vergleichbare touristische Projekte.

db, Di., 2009.11.03



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db 2009|11 Hochhäuser

19. September 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Resort? Pah – Chalet!

Die beliebte Alternative zum Urlaub im Hotel: die Ferienresorts. Wem nützen sie? Wie nachhaltig sind sie? Was zerstören sie? Über Türme am Katschberg und nicht realisierte Chalets auf der Turrach.

Die beliebte Alternative zum Urlaub im Hotel: die Ferienresorts. Wem nützen sie? Wie nachhaltig sind sie? Was zerstören sie? Über Türme am Katschberg und nicht realisierte Chalets auf der Turrach.

Keine Zeit ohne Modewörter. Der Begriff Resort ruft in uns Assoziationen mit fernen Urlaubsdestinationen hervor. Generell versteht man unter einem Resort eine weitläufige Wohn-, Hotel- oder Apartmentanlage mit Freizeiteinrichtungen, die abgeschlossen und bewacht ist. Übernachtung und Service, auch Gastronomie und Freizeitangebot liegen in der Hand einer Firma. Der alpine Raum kennt unterschiedliche Typen von Resorts: Hotelresorts im gehobenen Bereich, die über Wellness-Angebote oder Kongresseinrichtungen verfügen, dann solche, die aus Hotels und bewirtschafteten Apartments bestehen, ferner jene mit Apartments und hotelähnlichem Service und nicht zuletzt reine Zweitwohnungs-Anlagen.

Resorts scheinen die Rettung der Alpen zu sein! Eine aktuelle Studie des Bundesamts für Raumentwicklung in Bern listet für die Schweiz rund 50 mehr oder weniger konkrete touristische Projekte für alpine Ferienresorts auf, die Investoren um geschätzte sechs Milliarden Franken errichten wollen.

Eine auch in Österreich wachsende Gruppe an Resorts sind Ferienparks mit professioneller Vermietung von Ferienwohnungen in größeren oder kleineren Häusern. Doch Halt! – Als Banause gilt, wer diese nicht als Chalet bezeichnet. Ferienparks werden als Anlagen mit Dorfcharakter inmitten von Natur angepriesen. Sie bestehen meist aus Reihen dicht zusammengerückter Einzelhäuser in einer als Heimatstil verkauften Erscheinungsform, die eineviel beschworene Authentizität und Struktur eines gewachsenen Dorfes nie erreichen kann.

In nicht wenigen der von den lokalen Kommunalbehörden für die wirtschaftliche Gesundung erträumten Ferienresorts in Andermatt, Laax, Davos oder St. Moritz setzt man daher auf eine zeitgemäße Architektursprache und eine Erneuerung des alpinen Baustils. Bekannte Architekten wie Herzog & de Meuron, Meili und Peter, Mario Botta und Matteo Thun haben Vorschläge geliefert.

In Österreich hat Thun am Katschberg für die Falkensteiner Michaeler Gruppe ein nicht nur für Kärnten ungewöhnliches touristisches Projekt realisiert. Zwei Türme mit 14 und zehn Geschoßen, die in ihrer Form an Tannenzapfen erinnern sollten, ragen – von der Kärntner Anfahrt von Weitem zu sehen – in den Himmel. Ihre Apartments, für die Käufer Dienstleistungen des angeschlossenen Hotels in Anspruch nehmen können, werden als luxuriöser Ferienwohnsitz und Kapitalanlage angeboten.

Einem „Buy to use and let“-Konzept unterliegen die „Edel&Weiß Residences“ offensichtlich nicht. Vermietungszwang? Ein solcher wird Investoren in Ferienanlagen von Behörden oder Gemeinden heute in der Schweiz auferlegt, um sogenannte „kalte Betten“ und überwiegend dunkle Fensterlöcher zu vermeiden. Eigentum, das nicht oder nur sporadisch vermietet wird, bringt nur dem Verkäufer des Grundstücks und dem der Apartments Gewinne. Längst ist bekannt, dass bei einem solchen Investitionsmodell positive Effekte für die Beschäftigung der lokalen Bevölkerung und für die regionale Wirtschaft ausbleiben.

In knapper Nachbarschaft der beiden Türme steht einer der weltweit mehr als 60 Ferienparks des niederländischen Ferienanbieters Landal, der seine „Chalets aus der Retorte“ mit 82 Ferienwohnungen locker aufgereiht in die grüne Wiese am Dorfrand gestellt hat. Die Werbebotschaft von Natur und ruraler Ursprünglichkeit verspricht auch den mit Strukturproblemen kämpfenden Ferienorten mehr – zumindest eine höhere, übers Jahr verteilte Auslastung. Naturgemäßstreben die alle imDreiländereck Salzburg,Steiermark und Kärnten gelegenen Tourismusgebiete für ihre Bergbahnen, Liftanlagen, Gasthäuser und Beherbergungsbetriebe an.

Auch den örtlich Verantwortlichen auf der Turrach wäre die Errichtung eines Resorts willkommen gewesen, das auf einem bewaldeten Gelände von fast 25 Hektar Größe die Erweiterung des touristischen Angebots um 600 bis 900 vermietbare Gästebetten vorgesehen hätte. Hätte, denn es ist mehr als fraglich, ob das Resort mit annähernd 170 locker zwischen die Bäume gesetzten Ferienhäusern je als Gesamtes gebaut werden wird. Das Projekt des Alpenparks Turrach, für den das Grazer Architekturbüro Team A seit 2002 einen Masterplan erarbeitete, liegt derzeit auf Eis. Nach einer durch das Land Steiermark im Sommer 2008 positiv bewerteten Umweltverträglichkeitsprüfung wurde in Wien dem Einspruch von Nachbarn und dem der steirischen Umweltanwältin stattgegeben und dem Investor geraten, das gesamte Projekt einzureichen. Der hatte aber vor, mit einem Teilprojekt erst einmal die Marktchancen auszuloten. Risiko und Kosten für den Fall einer neuerlichen Ablehnung waren ihm zu hoch.

Land, das im Flächenwidmungsplan als Erholungsgebiet ausgewiesen ist, sieht ein Verbot von Zweitwohnsitzen, nicht aber von Beherbergungsbetrieben vor. Für die Verwertung des Alpenparks Turrach entwickelte man ein Modell, in dem Interessenten Resortanteile kaufen können, die Vermietung in die Hand eines professionellen Betreibers gelegt wird und ein Teil des Gewinns an die Anteilsbesitzer zurückfließt. Was aber, wenn die ganzjährige Auslastung zu gering ist, als dass sich die aufwendige Bewirtschaftung rentiert? Einige würden aussteigen, die Objekte entweder ganzjährig vermietet oder verkauft – die Folgen wären: kalte Betten und kein nachhaltiger Nutzen für den Ort, der zu diesem Zeitpunkt seinerseits auch investiert hätte, um Infrastruktur und Freizeitangebote bereitzustellen.

Beide Projekte, das realisierte am Katschberg und das projektierte auf der Turrach, provozieren demnach nicht in erster Linie Fragen zu Baukultur und Architektur, sondern zu grundlegenden Problemstellungen der alpinen touristischen Entwicklung durch Resorts. Wem nützen sie? Wie nachhaltig sind sie? Was zerstören sie? Tourismusresorts sind für ihren wirtschaftlichen Erfolg auf billiges Land angewiesen, das an Ortsrändern und in wenig erschlossenen Gebieten zu finden ist. Das birgt das Risiko von Zersiedelung mit allen negativen Folgen in sich. Feriendörfer wie der Landal-Park verbrauchen mehr Land, haben einen höheren Anteil an Erschließung und Infrastruktur und eine geringere Energieeffizienz als die beiden kompakten Falkensteiner Türme, die auf einem zentralen, die Infrastruktur bergenden Sockel stehen.

Ob die beiden Türme weniger landschaftsverträglich sind als vergleichbar große liegende Baukörper? Wer kann solche Fragen anders als mit seiner subjektiven Überzeugung beantworten? Die wesentliche Frage ist doch: Kann ein weiterer Ausbau der Alpen, können Resorts überhaupt die Rettung schwächelnder touristischer Alpinregionen sein?

Spectrum, Sa., 2009.09.19

14. August 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Form follows fiction

Was bestimmt beim Bauen die Form? Funktion, Goldener Schnitt, Genius loci? Oder doch anything goes? Nichts von allem, meinen die Grazer Architekten Weichlbauer und Ortis. Sie schaffen Neues durch digitales Mixen von Daten und Bauteilen.

Was bestimmt beim Bauen die Form? Funktion, Goldener Schnitt, Genius loci? Oder doch anything goes? Nichts von allem, meinen die Grazer Architekten Weichlbauer und Ortis. Sie schaffen Neues durch digitales Mixen von Daten und Bauteilen.

Formfindung ist ein komplexer Prozess, der kein universell einsetzbares Rezept kennt. Es gibt unterschiedlichste Ansätze und Methoden und unendlich viele Möglichkeiten zu gestalten. Was dem einen das Einmalige, Besondere des Ortes als Ausgangspunkt jeder Planung, ist dem anderen die Funktion, die den Entwurf bestimmt. Legt der Architekt seiner Aufgabenstellung das Motto „form follows function“ zugrunde, das die Moderne prägte, so wird diese vorwiegend von innen nach außen gelöst, die Baugestalt wird auf den Grundriss aufgebaut. Hingegen entstehen jene Ikonen genannte Bauten eines Gehry, einer Hadid oder anderer im globalen Architekturwanderzirkus wohl meist als fertige Bilder im Kopf, als von persönlichen Vorlieben geprägte Vorstellung eines Objekts, in das die notwendigen Funktionen eingeschrieben werden.

Andere Denkansätze liegen der Postmoderne zugrunde. Ausgehend vom Zerfall gesellschaftlicher Werte und Utopien, entwickelten ihre Vertreter, ohne die Geschichte abzulehnen, eine Theorie des „anything goes“, in der sie reinen Funktionalismus ablehnten und sich hemmungslos einzelner Stilelemente der Vergangenheit bedienten, die sie aus ihrer Zweckgebundenheit lösten. Genau deshalb wird die Architektur der Postmoderne heute fälschlicherweise auf einen Baustil und eine begrenzte Zeitspanne reduziert.

Albert Ortis und Reinhold Weichlbauer bauen zwar nicht postmodern, oder – genauer gesagt – das, was viele eindimensional verengt mit der Postmoderne assoziieren, aber sie teilen die Haltung postmodernen Denkens. Objektive Kriterien, die festlegen, was gut ist und was nicht, gibt es ihrer Meinung nach nicht. Die Harmonielehre des Goldenen Schnitts, den „Genius loci“, Kontextgebundenheit oder das Postulat, wonach nur schön sei, was auch funktionell ist, erklären sie für obsolet. Die beiden Architekten, die seit nunmehr 15 Jahren nördlich von Graz gemeinsam ein Büro führen und in jedem ihrer bislang realisierten Projekte eine radikale Position vertraten, sprechen allen großen klassischen Prinzipien des Entwerfens die Allgemeingültigkeit ab. Andererseits haben sie auch keine Lust, sich dem Postulat von eigenen, nach subjektiven Neigungen erstellten Regelwerken zu unterwerfen, weil sie davon überzeugt sind, dass „die konstante Anwendung von immer gleichen Entwurfsregeln immer gleiche Ergebnisse bedingt, unabhängig von Anforderungen und Zielen“. Nur keine eigene Handschrift, kein persönlicher Stil! Lediglich die stete Änderung von Regeln und Vorgangsweise führe zu neuen Ergebnissen.

Neues, Unbekanntes zu kreieren, um damit tradierte Wahrnehmungsmuster zu irritieren und immer ums Gleiche kreisende Denkschemata aufzubrechen, ist die Absicht. Die Architektur von Weichlbauer und Ortis soll anregend sein für den Geist und dazu verleiten, Klischees, Traditionen und Gewohntes zu hinterfragen. Irritation und Verstörung ist dabei durchaus beabsichtigt. Damit befinden sich die beiden in einer künstlerischen Übereinstimmung mit Marcel Duchamp und seiner sich dem gewohnten Sehen verweigernden Konzept- und Objektkunst.

Den Formfindungsprozess steuern die beiden mit Regeln, die sie als einzig objektiv bewerten. Sie arbeiten am Computer mit algorithmischen Codes, mit komplexen Programmabläufen, die vorhandene digitale Datensätze mit willkürlich gewählten Parametern mischen, sie vervielfältigen und überlagern und ordnen in mehreren Schritten neu. Als Datensätze können vorhandene Bauteile oder Elemente aus früheren Projekten oder auch Baugrenzlinien Verwendung finden, als Zahlenwerte zur gründlichen Durchmischung dienen physikalische Kennzahlen, Testergebnisse für Waschpulver oder auch mal der eigene Cholesterinwert. Das dabei entstehende zwei- oder dreidimensionale Ergebnis, ein Entwurf, der bis dahin einen hohen Abstraktionsgrad hat, weil die Regeln die Form bestimmt haben, wird erst ab diesem Zeitpunkt individuell interpretiert. Die Ausgangsposition ist vom persönlichen Empfinden, aber auch noch vom Ort und von den funktionellen Anforderungen losgelöst.

Nun wird gezoomt, gestaucht, weggenommen, positioniert. Diese selektive Manipulation, um in einem Näherungsverfahren einen realisierbaren Entwurf zu entwickeln, ist nicht zu vergleichen mit anderen Methoden des Gestaltens, weil das zufällige Produkt des maschinengesteuerten Prozesses Elemente enthält, die ihrer ursprünglichen Bedeutung und Funktion entrissen wurden und im neuen Gestaltganzen akzeptiert werden müssen. Sie bilden eine der Herausforderungen dieser Methode.

Am Bauernhaus im kleinen Weiler Laufnitzdorf nahe Frohnleiten sind die auffälligsten dieser Elemente die Stiegen, die sich als zufällig verteiltes Mixgut an allen Ecken und Enden des Entwurfs festgesetzt hatten. Die Architekten funktionieren sie ohne Skrupel um, machen sie zu Stützen, zum Sichtschutz gegen das Nachbarhaus und zur Aufstiegshilfe für den Rauchfangkehrer. Das hat durchaus Witz und fordert dem Betrachter, ebenso wie die Fensterelemente, die als Geländer vor die Eckverglasungen montiert wurden, einen wachen Blick ab. Alles funktioniert, aber nichts ist, was es scheint, bemerkt Otto Kapfinger treffend in der Beschreibung des Gratkorner Wohnbaus von Weichlbauer und Ortis. Das gilt auch für die GKK-Filiale in Leoben, wo sich der Pavillon in Einzelelemente aufzulösen scheint, die am Vorplatz abgestellt wurden. Wer bereit ist, das Ergebnis dieses digitalen Spiels mit seinen bis ins Surreale gehenden Effekten unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen, kann entdecken, dass die Verfremdungen gar atmosphärische Wirkkraft, ja, Poesie entwickeln. Dass das Bauernhaus aus einigen Blickwinkeln im üppigen Grün der umgebenden Wälder und Wiesen aufzugehen scheint, war nicht intendiert, als sich die Architekten für einen sechs Zentimeter langen Kunstrasen als Fassadenmaterial entschieden. Was sie wollten, war eine Fassade, die sich weich anfühlt, die man streicheln kann – aber jede Interpretation ist willkommen.

Die Bauherren, Bauern mit drei Kindern, sind schnell in das Haus hineingewachsen. Ungewöhnlich schien anfangs der Kontrast zur Enge des alten Hauses mit den kleinen Fenstern. Das neue Haus ist hell und offen. Den Architekten ist gelungen, die funktionellen Anforderungen klar und fließend in ihr Konzept einzufügen. Die ungewöhnlichenAttribute werden gemocht, weil sie Fantasie und Nutzungsvielfalt anregen. Die theoretischen Grundsätze, die zur Formfindung ihres Zuhauses führten, kümmern die Bäuerin wenig. Ihr Verständnis für das Haus ist in der Bereitschaft zu vorurteilsfreiem Denken begründet. Das manifestiert sich auch dann,wenn auf das Lamento eines Ortsbildschützers, der meint, dass das ja gar kein Bauernhaus sei, die lapidare Antwort folgt: „Was ist ein Bauernhaus? Ein Haus, in dem die Bauern wohnen – und wir wohnen hier.“

Spectrum, Fr., 2009.08.14

22. Juli 2009Karin Tschavgova
zuschnitt

Dichte Packung

Würde man schon jetzt Wetten auf das Wort des Jahres abschließen, dann hätte man mit dem Begriff „thermische Sanierung“ sicherlich gute Chancen auf Erfolg....

Würde man schon jetzt Wetten auf das Wort des Jahres abschließen, dann hätte man mit dem Begriff „thermische Sanierung“ sicherlich gute Chancen auf Erfolg....

Würde man schon jetzt Wetten auf das Wort des Jahres abschließen, dann hätte man mit dem Begriff „thermische Sanierung“ sicherlich gute Chancen auf Erfolg. Alle Welt spricht davon, denn thermische Sanierung bedeutet nicht nur die Verringerung des Energieverbrauchs und der Energiekosten, sondern auch, den CO2-Ausstoß zu senken, Bauindustrie und Bauwirtschaft zu fördern und die Geschäfte der Banken wieder anzukurbeln. Formale Qualität und funktionale Schönheit – kurz gesagt: Architektur – werden dabei selten thematisiert. Dabei würden mit dem Anspruch auf architektonische Qualität thermischer Sanierungen viele gesichtslose Wohnblöcke in Quartieren aus den 1960er und 1970er Jahren nicht nur verbessert, sondern auch verschönert werden. Ein Sanierungskonzept, das ökologisch und ästhetisch wirksam wird, ist das Fassadensystem „gap solution“. 2006 wurde es mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

Die Umwandlung von schlecht isolierten Sozialbauten in Wohnbauten mit Passivhausniveau mittels gap-solution-Fassade kann an der Siedlung am Dieselweg in Graz-Liebenau prototypisch studiert werden. Eine um 1950 errichtete Zeile im Stil der Wiener Zwischenkriegswohnhöfe und fünf Blöcke aus den 1970er Jahren gruppieren sich mit großzügigem Abstand voneinander in einem mittlerweile zum Park angewachsenen Grünareal.

Das System setzt sich aus zur Gänze in der Werkstatt vorgefertigten Elementen in Pfosten-Riegel-Bauweise zusammen, die geschossweise auf die bestehenden Fassaden montiert werden. Die bis zur Sanierung in jeder Wohnung individuell gelöste, unzeitgemäße Wärmeversorgung mit Einzelöfen wurde durch eine zentrale Anlage ersetzt. Über ein Verteilungsnetz von Rohren, die an der bestehenden Fassade montiert sind und über eine Solaranlage in Kombination mit einem Pufferspeicher gespeist werden, wird die Wand als Bauteil, ähnlich einer Fußbodenheizung, aktiviert, die Wohnungen werden mit Strahlungswärme und Warmwasser versorgt. Stemmarbeiten in den Wohnungen sind so vermeidbar und Radiatoren obsolet. Der Aufbau der Wandelemente ist mehrschalig. Zwischen der Rahmenkonstruktion mit der Dämmung in berechneter Stärke und den Glasplatten, die die äußerste, regenabweisende Hülle bilden, ist hinter der Hinterlüftungsebene eine Wabenkonstruktion aus Karton angebracht, die je nach Jahreszeit unterschiedlich als klimaregelnde Zone fungieren soll. Die Sonnenstrahlen der niedrig stehenden Wintersonne sollen tief in die Wabe eindringen und sie erwärmen, während nach Kalkül des Erfinders im Sommer ein großer Teil der Einstrahlung reflektiert wird und die Wabe sich selbst verschattet. Die Wabe soll also in der warmen Jahreszeit als Puffer dienen und in der kalten einen zusätzlichen Dämmeffekt bewirken.

Die fotogrammetrische Vermessung der Fassaden ermöglicht es, die Elemente passgenau herzustellen und sie komplett mit Dämmung, außenbündigen Fenstern und der wartungsarmen Außenhaut aus farbigem Glas zu versetzen. Die Mieter können während der ganzen Umbauzeit mit nur minimaler Beeinträchtigung in der Anlage wohnen bleiben. Erst nach der Montage betreten Handwerker ihre Wohnungen – die alten Fenster müssen entfernt, die Leibungen neu verkleidet werden.

Das vom Land Steiermark und von der eu geförderte Musterprojekt muss Passivhausstandard erreichen. Daher wurden dreifach verglaste Fenster eingebaut und eine Wohnraumbelüftung über dezentrale Lüftungsgeräte gewählt, die den Wärmeverlust durch Lüften vermeiden sollen. Frischluft wird über Lüftungsschlitze in den neuen Wandelementen angesaugt. Das bauphysikalische Problem der Kälteübertragung über die Deckenplatten der Balkone, die bei der Beschränkung auf eine Fassadendämmung nicht verhindert werden könnte, wird gelöst, indem alle offenen Balkone und Loggien in ganzjährig nutzbare, rundum gedämmte Veranden in Riegelbauweise verwandelt werden. Diese erweitern die Nutzbarkeit der Wohnungen, was zur Erhöhung der Wohnqualität beiträgt.

Alle Maßnahmen gemeinsam sollen nach Berechnungen den Heizenergiebedarf um 90 Prozent und die Warmwasserkosten auf ein Viertel der früheren Kosten senken. Verringert wird naturgemäß auch der CO2-Ausstoß (um 89 %), was wiederum dazu beiträgt, der Österreich bis 2014 auferlegten Energieeinschränkung näherzukommen. Die Kosten dieses Systems sind höher als die herkömmlicher Außenwanddämmungen mit Dämmplatten und Vollwärmeschutz. Trotzdem wird das Beispiel wohl Schule machen, denn es hat alle Vorteile witterungsunabhängiger Vorfertigung, ist wartungsarm und veredelt die gesichtslosen Bauten einer auf Utilität beschränkten Nachkriegsmoderne.

zuschnitt, Mi., 2009.07.22



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03. Juli 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Ein Eden aus Zink, Beton und Kupfer

100 Sozialwohnungen in den Pariser Banlieus, jede mit einem anderen Gesicht: Intime Oasen sollen sie sein – und ihre Bewohner nichts weniger als glücklich machen.

100 Sozialwohnungen in den Pariser Banlieus, jede mit einem anderen Gesicht: Intime Oasen sollen sie sein – und ihre Bewohner nichts weniger als glücklich machen.

Die „Grands Projets“ von Paris – seit Haussmann sind sie ruhmreicher Bestandteil nahezu jeder politischen Ära. Das aktuelle Megaprojekt mit dem Anspruch, den Rang der Metropole unter den europäischen Arbeits- und Wissensstandorten zu festigen, hat die Integration des Großraums von Paris in die Entwicklungsdynamik der Stadt zum Ziel. Dazu bedarf es einer Sanierung und Aufwertung der Quartiere in den Banlieus und der Öffnung der Ringautobahn, die als achtspurige Barriere Paris derzeit von den Umlandgemeinden trennt. Folgerichtig liegen die Entwicklungsschwerpunkte auf beiden Seiten des Boulevard Périphérique und müssen – „naturellement“ mit großen Namen wie Herzog & de Meuron architektonisch akzentuiert werden.

Der Pariser Architekt Édouard François ist mit einem Wohnungsbau im Auftrag der staatlichen Genossenschaft für sozialen Wohnbau dabei. Er hat es geschafft, sich international einen Namen zu machen, auch wenn er außerhalb Frankreichs bis jetzt nur einmal gebaut hat und sein OEuvre im Land nicht mehr als ein gutes Duzend Realisierungen aufweist. Schlagartig bekannt gemacht haben ihn sein Flower Tower, ein massiger Wohnblock mit einer sich dem Wind beugenden Umhüllung aus Bambus in riesigen Blumentöpfen, und das Facelifting des altehrwürdigen Hotels Le Fouquet's unweit der Champs Élysées.

Auch wenn der Architekt darauf besteht, dass das Spektakuläre keine Kategorie ist, die ihn interessiert, sind seine Entwürfe und Gebäude auffällige, mitunter artifiziell wirkende Gebilde, die ein beredtes Bild einer tendenziell skulptural geprägten Konzeption abgeben. Kein Wunder, dass das Centre Pompidou Édouard François' farbenfrohe Modelle als künstlerische Arbeiten sammelt.

Seine Bauten sind Einzelstücke, die wie jede gute Architektur immer wieder aus der Funktion und dem Ort heraus entwickelt werden. Unkonventionelles Neues entsteht, weil er sich jeder Bauaufgabe in der unabhängigen, unbeschwerten Art eines Künstlers nähert, zu der sich Humor und Provokation gesellen. Würze erhalten seine Häuser auch aus der spürbaren Lust ihres Autors, sich „Rohstoffe“ als Baumaterial anzueignen, die im Kontext des Bauens überraschend sind.

Was die meisten seiner Bauten eint, hat ihm, nicht wirklich zutreffend, den Ruf eines ökologisch bauenden Architekten eingebracht: Sie sind „grün“ – eingebettet in eine künstlich geschaffene Landschaft, eng umhüllt von Stauden, Sträuchern und Bäumen, die im Laufe der Zeit eine zweite, lebende Haut bilden und, bestückt mit Samen, die Mauerritzen und Vorgärten besetzen sollen.

Einiges davon findet man auch am Ende 2008 fertig gestellten Wohnbau, den der Architekt mehr als selbstbewusst „Bio Eden“ nennt. Es sind 100 Sozialwohnungen, die François dicht gedrängt hinter die Vorstadthäuser zweier paralleler Straßen im 20. Pariser Arrondissement setzt, wo früher Obstgärten waren. Er füllt die Hinterhöfe auf, schließt die vorhandene fragmentarische Bebauung und setzt Zeilen Rücken an Rücken an Bestand und Neues. Das ist nicht ungewöhnlich im Bezirk Ménilmontant; viele Straßen sind dort noch geprägt von der kleinteiligen vorstädtischen Bebauung, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts Juden aus Osteuropa beherbergt hat und heute von Asiaten und Maghrebinern bewohnt wird. Zwischen den Straßenfronten öffnen sich immer wieder schmale Gassen – Fußwege, nicht breiter als ein Mensch mit ausgestreckten Armen –, die zu kleinen grünen Oasen und gepflasterten Höfen mit Eingängen in abgewohnte Zinshäuser führen.

Hier, an einem Ort mit schäbigem Charme, der nie designt wurde, hat der Architekt Anleihen für die Bebauungsstruktur von Bio Eden genommen.

An den beiden Straßen ist nicht mehr als ein kleines Industrieglashaus zu sehen, in dem zwischen Weinranken Postkästen stehen. Durch das Gartentor und schmale Wege erschließt sich das Areal als intime Oase, in der die Autos ausgeblendet sind, weil die Einfahrt in die Tiefgarage von der Straße aus erfolgt. Schlanke, unterschiedlich hohe Häuser mit winzigen Vorgärten hinter dem losen Lattenzaun bilden die beiden Randzeilen. Haben sie drei Geschoße, so enthalten sie eine Wohnung; sind es vier, so befindet sich im Erdgeschoß ein minimales Studio und darüber eine Maisonette, die über eine Freitreppe betreten wird. Kupfer, Zink, Beton – jedes Haus hat eine andere Außenhaut, um unterscheidbar zu sein. Ein Band aus roten Ziegeln, das sich über die Dächer legt, soll das Ensemble zusammenhalten.

Ins Zentrum, vielleicht zehn Meter entfernt, setzt der Architekt einen langen, dem Geländeverlauf folgenden Block mit Flachdach und erschließt dessen Wohnungen, die alle beidseitig belichtet sind, über offene, parallel zur Fassade angeordnete Treppen von außen. Keine Eingangshalle, keine Gänge, kein Lift – warum auch, wenn man die Stimmung kleiner vorstädtischer Nachbarschaften anstrebt. Atmosphärisch wirksam soll auch der Pflanzenvorhang aus Glyzinien werden, den der Architekt für das zentrale Gebäude in Bio Eden konzipierte und der in einigen Jahren die Fassaden und Stiegenläufe verhüllen und den Bewohnern der kleinen Häuschen ein grünes Gegenüber schenken wird. Das dichte, jetzt noch nackte Stangengewirr, das die Assoziation mit einem primitiven Baustellengerüst hervorruft, soll in den nächsten Jahren von der Schlingpflanze überformt werden.

Das Harmoniebedürfnis des Architekten ist ausgeprägt. Er meint, dass die Bewohner seiner Häuser ein Recht darauf haben, glücklich zu sein, und ist überzeugt davon, seinen Anteil daran zu leisten. Die Moderne, in der er einen Ewigkeitsanspruch schon darin sieht, dass Glas, Stahl und Bronze bevorzugte Materialien waren, konnte dies in seinen Augen nicht erfüllen.

Der Wohnbau ist, bei aller Komplexität der Strukturen, eine Assemblage mit einfachen Mitteln und „armen“ Materialien, ganz so, wie sie in der Nachbarschaft Verwendung finden. Für Édouard François ist Bio Eden die angemessene Reaktion auf den Ort und den sozialen Wohnungsbau.

Aus Bio Eden spricht aber auch ein grundsätzlicher Entwurfsansatz des Architekten: Er macht lebende Gebäude. Die Tatsache, dass sie altern, Patina ansetzen und sich mit den Jahreszeiten verändern, nimmt er zum Anlass, die Veränderung schon in die „Gene“ eines Bauwerks einzuschreiben und so bewusst die Dimension der Zeit in seine Architektur einzubauen.

Spectrum, Fr., 2009.07.03

23. Mai 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Wie man ein Zentrum belebt

Wie selbstverständlich schafft es sich Raum – auf Augenhöhe mit dem historischen Bestand: das neue Veranstaltungszentrum in Bad Radkersburg.

Wie selbstverständlich schafft es sich Raum – auf Augenhöhe mit dem historischen Bestand: das neue Veranstaltungszentrum in Bad Radkersburg.

Die einstige Bedeutung der südost- steirischen Stadt Bad Radkersburglässt sich an ihrem weitgehend intakten historischen Kern, der mittelalterliche Ursprünge hat, ablesen. Bis ins späte 17. Jahrhundert sollte sie ein Bollwerk gegen mögliche Feinde aus dem Südosten sein und verhindern, dass über das südliche Murtal Graz erobert werden kann. Die Grenzziehung als Ergebnis des Friedensvertrags vonSt.Germain brachte die Bezirksstadt nicht nur in eine geografische, sondern auch in eine wirtschaftliche Randlage, aus der sie sich erst befreien konnte, nachdem 1978 die gezielte Suche nach einer Mineralquelle erfolgreich war und die mittlerweile auf etwa 1500 Einwohner geschrumpfte Bezirksstadt zu einem Thermalkurort mutierte.

Jeder Aufschwung hat seinen Preis. Hotels und Pensionen wurden in unmittelbarer Nähe zum Thermalbad errichtet, und die mittlerweile für jede Kleinstadt obligatorische Gewerbezone zog nach. Bauliche Investitionen konzentrieren sich heute am Ortseingang, und weder die übers Jahr gut besuchte Therme noch rund 500.000 Nächtigungen konnten verhindern, dass das historische Zentrum um den Hauptplatz mit seiner geschlossenen Bebauung verödete, dass Geschäfte und Gasthöfe ihre Pforten schlossen und historische Bauten leer stehen.

Genau gegen diese Abwanderung trat die Stadtgemeinde auf, als sie 2003 einen geladenen Wettbewerb für ein Veranstaltungszentrum ausschrieb, das am Hauptplatz liegen und drei denkmalgeschützte Gebäude einbeziehen sollte. Der sorgfältige Umgang mit historischer Bausubstanz – das Hauptgebäude stammt aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts – ist selbstverständliche Basis jeder qualitativen Bewertung. Konsens herrscht heute auch weitgehend darüber, dass die Qualität der Einfügung des Neuen nicht in totaler Anpassung an den historische Bestand besteht, sondern in der Fähigkeit, demNeuen einen eigenständigen, als Zeitschicht ablesbaren Akzent zu geben und den Dialog mit der Umgebung aufzunehmen.

Hans Gangoly, seit 2008 auch Vorstand des Instituts für Gebäudelehre an der Technischen Universität, konnte diesen Wettbewerb für sich entscheiden. Sein Projekt überzeugt, weil es wie selbstverständlich auf dem Vorhandenen aufbaut und sich Raum schafft, bis es gleichberechtigt auf Augenhöhe mit dem Bestand steht. Gleich einer Blume, die spät im Jahr zu wachsen beginnt und doch den Ehrgeiz entwickelt, den anderen in Höhe und Pracht nachzukommen, um gemeinsam eine fein nuancierte, in Farben und Höhen abgestimmte Gesamtschau zu bilden.

Gangoly greift die vorhandenen Kanten eines Veranstaltungsraums, den Riegler Riewefür die Landesausstellung 1998 in den Hof des Renaissancebaus gesetzt hatten, als Rahmen auf und entwickelt um diesen und den Hof, der sich zwischen Altbau und Saal aufspannt, ein mehrgeschoßiges Volumen, das die hofseitigen Arkadengänge einschließt. Der Architekt arbeitet dabei von außen nachinnen, er gliedert den Baukörper nach einer ersten groben Funktionsaufteilung, indem er die Volumina der Nachbargebäude und die Grenzmauern der Parzellen genauer studiert und sein Bauwerk darauf abstimmt. So entsteht ein durch Vor- und Rücksprünge gegliederter Baukörper mit Dachaufbauten und Lichtgaden und einer Zäsur aus Glas im Übergang zwischen Alt und Neu.

Plastische Differenzierung dient der Angleichung – nicht dem Bedürfnis, sich abzuheben oder gar aufzufallen. Das zeigt am besten die Wahl des Hüllmaterials, das mit Ausnahme des Sockels Fassaden und Flachdächer einheitlich überzieht. Es sind Platten aus Cortenstahl, einem Stahl, der durch Luft und Regen einem Rostvorgang ausgesetzt wird, bis seine Oberfläche eine patinierte, samtig matte Oberfläche aufweist, die vor weiterem Rosten schützt. Gangoly beabsichtigt mit diesem Material einerseits, eine Analogie zu den Ziegeldächern herzustellen, die die Altstadt einheitlich überdecken – Farbe und Patina der Oberflächen sind ähnlich –, andererseits kann vermuten, wer den Architekten und seine Arbeiten kennt, dass die Dominanz dieses Materials sogleich jeglichen falschen Eindruck plastischen Gestaltens zurücknehmen soll.

Gangoly übt sich immer in Zurückhaltung. Auch Licht scheint nicht als inszenatorischer Faktor eingesetzt, um ein Detail herauszuheben, den Blick auf etwas Bestimmtes zu lenken oder gar zu dramatisieren. Im Radkersburger Veranstaltungszentrum bremst der Architekt die Wirkung von gezielt gesetztem Licht immer wieder, indem er das einfallende Licht – etwa der Glasüberdachung des neu entstandenen Innenhofs und der Lichtgaden im großen weißen Saal – durch das Anbringen von dichten Reihen vertikaler weißer Stoffbahnen diffus zerstreut. Diese Tücher sind im großen Saal so gesetzt, dass sie sein eigentliches, streng orthogonales Volumen nachzeichnen und die laternenartig aufgesetzten indirekten Belichtungskörper aus dem Blickfeld rücken. Nicht ausblendet wird hingegen der Blick in die Weite. Ein über Eck gesetztes Fensterband erlaubt, den Blick über die Dächer der Altstadt nach Südwesten bis ins nahe Slowenien schweifen zu lassen, eine Bereicherung, die in ihrer Einfachheit höchstanziehend wirkt.

Die zentrale Halle fungiert als Knotenpunkt und Verteiler für sechs kleinere Seminarräume im Altbau und die beiden großen, übereinanderliegenden Säle – den „Schwarzen Saal“ für elektronische Musik, Theater und Kino und den „Weißen“ für Kammermusik und Ballveranstaltungen der Vereine. Beide sollen getrennt bespielt werden können.

Die Farbgestaltung der Halle entstand in Zusammenarbeit mit dem Grafiker Walter Bohatsch, und der Architekt beschreibt sie als eine der Altstadt angepasste. Das die Arkaden des Altbaus ebenso wie Umgänge, Stützen und Wände des Neubaues gleichförmig überziehende Grau und das charakterlose Mittelbraun des unmittelbar daran anschließenden Hallenbodens sind zumindest gewöhnungsbedürftig. Die Farbe nivelliert hier Vor- und Rücksprünge und nimmt dem Raum Tiefe im Bereich der Arkadengänge. Allzu dominant und visuell beengend wirkt leider auch die Verkleidung der Stiegen- und Galeriebrüstungen – eine blickdichte textile Membran, deren wellenartiger Aufdruck in Blau- und Brautönen wohl das grenzüberschreitende Wasser der Mur symbolisieren soll. Hier, hat man den Eindruck, wäre weniger mehr gewesen. Insgesamt stellt dieses Zentrum eine Bereicherung des historischen Zentrums dar, dem man eine Vitalität wünscht, die auf Kurgäste wie auf Einheimische anziehend wirken muss.

Spectrum, Sa., 2009.05.23



verknüpfte Bauwerke
Veranstaltungszentrum Bad Radkersburg

11. April 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Ausbau, Umbau und Charakter

Gebäude aus vier Jahrhunderten umfasste das Grazer Kaufhaus Kastner & Öhler nach steter Expansion. Zeit für eine umfassende Neuordnung. Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski haben sie bewältigt.

Gebäude aus vier Jahrhunderten umfasste das Grazer Kaufhaus Kastner & Öhler nach steter Expansion. Zeit für eine umfassende Neuordnung. Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski haben sie bewältigt.

Der Trend zur Konzentration des Einzelhandels in Einkaufszentren ist unübersehbar. Gleich David gegen Goliath kann der kleine, angestammte Einzelhändler dem wenig entgegensetzen. So wäre der Verdrängungswettbewerb wohl auch in Zeiten der Finanzkrise nur aufhaltbar, würde sich die Politik nicht scheuen, über die Flächenwidmung restriktive Maßnahmen zu ergreifen.

Graz hat mit der Shopping City Seiersberg das zweitgrößte Einkaufszentrum Österreichs,wobei dieses nicht innerhalb der Stadtgrenzen steht, sondern in einer Umlandgemeinde,für die das ehemalige Areal einer Schottergrube zur Goldgrube wurde. Die Verlockung des erlebnisreichen Shoppens unter einem Dach mit uneingeschränkter Parkmöglichkeit zieht, wie der für 2008 angepeilte Jahresumsatz von 300 Millionen Euro zeigt, und macht es selbst traditionsreichen Betrieben in der Grazer Innenstadt schwer, konkurrenzfähig zu bleiben.

Die Geschichte der Firma Kastner & Öhler, die seit 125 Jahren in der Sackstraße, mitten im historischen Zentrum ihr Stammhaus betreibt, zeigt, dass dieses Familienunternehmen von Anfang an bestrebt war zu expandieren und dazu Strategien entwickelte, mit denen es der Konkurrenz voraus war. Wichtigster Grundsatz war lange Zeit, ein Kaufhaus mit umfassendem Angebot an Waren und Dienstleistungen zu sein. Schon bald nach der Grazer Filialgründung 1883 wurde daher der Kauf von zwei Häusern in der Sackstraße und fünf weiteren Bürgerhäusern beschlossen, die den ersten großen Neubau eines viergeschoßigen Warenhauses nach den Plänen von Fellner und Helmer ermöglichten, der 1914 fertiggestellt war. Anhaltende Prosperität, die durch den Postversand noch gefestigt wurde, führte zu stetem Ausbau, dem in den 1960ern die glasüberdeckten Halle mit offenen Galerien zum Opfer fiel. Die Expansionspolitik des Unternehmens führte dazu, dass jede Gelegenheit genützt wurde, Bauten am Kai, in der angrenzenden Murgasse und sogar auf der anderen Seite des Flusses anzukaufen, wenn sie am Markt angeboten wurden. Um 1990 war das Familienunternehmen Eigentümer von Gebäuden aus vier Jahrhunderten mit unterschiedlichsten Typologien. Ohne umfassendePlanung war die heterogene Bausubstanz nicht mehr sinnfällig in ein räumliches und funktionelles Kontinuum zu bringen.

Zu diesem Zeitpunkt wurden die Grazer Architekten Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski, die damals wohl international bekanntesten Vertreter der „Grazer Schule“, gebeten, ein Konzept zu entwickeln, das zu einem Zusammenschluss der Häuser führen, ohne ihnen ihre Charakteristik zu nehmen, und zugleich einen Wiedererkennungseffekt des Unternehmens in den Gassen rund um das Stammhaus leisten sollte. Keine leichte Aufgabe, die die Architekten in sechs Projekterweiterungsphasen bis 2003 durch Umbau, Renovierung, Neuordnung und die Zuweisung eigenständiger Funktionen für einzelne Häuser gekonnt bewältigten. In der ihnen eigenen Architektursprache entwickelten sie zugleich funktionelle und formale Bindeglieder, die einen den Einzelbauten individuell angepassten und dennoch Identität stiftenden Zusammenhalt erzeugten – Elemente wie Hofüberdachungen, transparente verglaste Brücken in leichter Stahlkonstruktion, die die engen Gassen überspannen, Schaufenster und Vitrinen in rahmenloser Verglasung, die aus der Fassade hervortreten und detailverliebteVordachkonstruktionen in Niro mit kleinteilig differenzierten Glasflächen.

Es war die Zeit, als in Graz bestehende Einkaufszentren ausgebaut, das Shopping Center Seiersberg eröffnet und weitere Einkaufszentren im Südosten und Nordwesten der Stadt konzipiert wurden. Die jungen Vorstände der fünften Generation des Familienbetriebs reagierten und stemmten sich mit aller Kraft dagegen. Sie stießen 1999 den Versandhandel ab und verkauften das Areal des ehemaligen Kaufhauses der Brüder Lechner am Südtirolerplatz an die Stadt Graz, die darauf das Kunsthaus errichten ließ. Der Kaufvertrag garantierte dem Unternehmen die Errichtung und Nutzung der Tiefgarage unter dem Kunsthaus für die Kunden des Großkaufhauses. Zeitgleich mit der Bautätigkeit für das Kunsthaus errichtete Kastner & Öhler eine Tiefgarage, deren Bau höchst spektakulär war, weil mehr als zwei Drittel der fünf Parkebenen unter dem 400 Jahre alten Admonterhof liegen, der dafür temporär auf 33 Ortbetonpfähle mit einer Höhe von bis zu 27 Metern gestellt werden musste. Die Planung der Garage, die außerordentlich positiv angenommen wird, weil sie hell ist, über angenehme Raumhöhen und Lichtführung verfügt und abgeschottete Gänge und Treppen vermeidet, war ebenfalls dem Architektenteam Szyszkowitz-Kowalski übertragen worden.

2005 war das Unternehmen mit Filialen in Tschechien und Slowenien auf 1500 Mitarbeiter angewachsen. In einem vorerst letzten Coup, einem geladenen Wettbewerbsverfahren, wurden in- und ausländische Architekturbüros gefordert, Ideen zu Erweiterung und Umbau des Stammhauses und zur Neugestaltung der nicht erhaltungswürdigen Dächer zu liefern. Das siegreiche Projekt der spanischen Architekten Nieto und Sobejano sieht eine markante Aufstockung der Dachfläche durch zeilenartige Aufbauten vor, die in Form und Farbe eine Assoziation mit der historischen Dachlandschaft am Fuße des Schlossbergs hervorrufen sollen. Bald nach der Wettbewerbsentscheidung, die in Graz auf breite Zustimmung traf, meldete Icomos, der internationale Rat für Denkmalpflege, Vorbehalte wegen des Erhalts der historischen Dachlandschaft an und drohte Graz mit der Aberkennung des Status als Weltkulturerbe, sollte das Projekt unverändert realisiert werden. 2006 konnte über eine Reduktion der Höhen Einigung über das Projekt erzielt werden, das wohl auch deshalb von allen Seiten unterstützt wird, weil Konsens darüber besteht, dass der Standort des traditionsreichen Warenhauses in der Innenstadt erhalten bleiben muss. Niemand, der in Graz aufgewachsen ist, mag sich eine Innenstadt ohne „Kastner“ vorstellen, die Höfe und Durchwegungen über Passagen und enge Gassen werden als öffentlicher Raum im historischen Stadtgefüge empfunden.

Das Unternehmen Kastner & Öhler weiß, dass Investition in architektonische Qualität den Standort sichert und einen Konkurrenzvorteil gegenüber gesichts- und geschichtslosen Kisten am Stadtrand bringt. Die Tradition der Gründungsväter des Unternehmens, auf Renommee durch international gefragte Architekten zu setzen, wird damit weitergeführt.

Spectrum, Sa., 2009.04.11

21. März 2009Karin Tschavgova
Konrad Merz
zuschnitt

Statische Herausforderungen beim Hochhausbau in Holz

Karin Tschavgova: Im Holzgeschossbau stehen Themen der Bauphysik – Schallschutz und Schwingungsverhalten – oder auch der Brandschutz im Vordergrund. Will...

Karin Tschavgova: Im Holzgeschossbau stehen Themen der Bauphysik – Schallschutz und Schwingungsverhalten – oder auch der Brandschutz im Vordergrund. Will...

Karin Tschavgova: Im Holzgeschossbau stehen Themen der Bauphysik – Schallschutz und Schwingungsverhalten – oder auch der Brandschutz im Vordergrund. Will man im Holzbau hoch hinaus, so rücken Fragen nach dem geeigneten Tragwerk in den Mittelpunkt. Worin besteht für den Statiker die Herausforderung beim Hochhausbau in Holz?

Konrad Merz: Bei den Decken sind nicht nur die bauphysikalischen, sondern auch die statischen Anforderungen gleich – egal, ob eine Decke im dritten oder im zwölften Geschoss eingebaut ist. Bei vertikalen Bauteilen, den Stützen oder den lastabtragenden Wänden, nimmt die Beanspruchung linear mit der Anzahl der Geschosse zu. Auch das ist einfach in den Griff zu bekommen. Die eigentliche Herausforderung liegt in der Abtragung der horizontalen Einwirkungen durch Wind und Erdbeben. Hier nimmt die Beanspruchung exponenziell mit der Gebäudehöhe zu.

Intelligenz rein, Material raus

Karin Tschavgova: Spielt die schon beinahe ideologisch determinierte Frage nach Holzmassiv- oder Holzleichtbauweise noch eine Rolle, wenn man hoch hinaus will?

Konrad Merz: Also, für mich als Tragwerksplaner ist das keine Frage der Ideologie, sondern eine, die bei jedem Projekt von neuem nach den spezifischen Randbedingungen entschieden wird. Eine pauschale Aussage gibt es nicht. Tendenziell setzen wir Holzmassivbau in erster Linie bei lastabtragenden Innenwänden und Decken mit einer Spannweite bis zu ungefähr sechs Metern ein. Bei Außenwänden, vor allem wenn sie nichttragend sind, steht eher die Holzrahmenbauweise im Vordergrund.

Karin Tschavgova: Ein Ergebnis des Forschungsprojekts 8+ (zum Holzhochhausbau) ist, dass 20 Geschosse aus technischer Sicht möglich sind, die Grenze nach oben jedoch eine Frage der Wirtschaftlichkeit ist. Kann man eindeutig sagen, bis zu welcher Höhe ein konstruktiver Holzbau noch ökonomisch ist?

Konrad Merz: Die Frage der Wirtschaftlichkeit hängt von vielen Parametern ab und ist relativ schwer zu beantworten. Eine fixe Höhe, bis zu welcher ein konstruktiver Holzbau sinnvoll ist, kann ich schon gar nicht nennen. Betrachtet man nur die Herstellungskosten, ist es mit einem qualitativ guten, reinen Holzgeschossbau derzeit schwierig, ein vergleichbares Gebäude in Massivbauweise zu unterbieten. Ein Mittelweg, bei dem die jeweiligen Stärken der Baustoffe Holz und Beton zum Tragen kommen, könnten Mischbauten sein, bei denen die Tragstruktur aus Stahlbeton und die Außenwände aus vorgefertigten Holzelementen bestehen. Das gilt vor allem bei Gebäuden mit hohen Anforderungen an die Gebäudehülle.

Karin Tschavgova: Warum wird in anderen Ländern höher gebaut? Liegt’s nur an den gesetzlichen Vorgaben?

Konrad Merz: Unter anderem, doch es gibt auch in Österreich Spielraum nach oben. In der Schweiz kann man bis zu sechsgeschossige Wohnbauten erstellen. In Österreich, zumindest in den Bundesländern, in denen die OIB-Richtlinien [zielorientierte bautechnische Anforderungen] gelten, liegt die Grenze bei vier Geschossen. Allerdings kann von den Richtlinien abgewichen werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Schutzziele der Richtlinie auf andere Art erreicht werden. Dazu braucht es als Nach-weis ein schlüssiges Brandschutzkonzept.

Karin Tschavgova: Nützt Forschungsarbeit am Werkstoff Holz im Sinne einer Hightech-Entwicklung, etwa als noch leistungsfähigerer Verbund- oder Kompositwerkstoff, auch der Tragwerksplanung?

Konrad Merz: Ja, sicher. Holz muss am Ball bleiben im Wettstreit mit anderen Materialien. Wir bearbeiten im Moment einen Viergeschosser in Wien. Dabei kommt ein modulares Bausystem zur Anwendung. Die Stützen haben vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss idente Querschnittsabmessungen. Wir profitieren im untersten Geschoss vom Einsatz hochfester Holzwerkstoffe und können so die Abmessungen insgesamt minimieren.

Karin Tschavgova: Sind für den Tragwerksplaner im Holzgeschossbau klassische architektonische Themen wie die Materialminimierung also relevant?

Konrad Merz: Materialminimierung ist für den Ingenieur immer ein Thema, nicht nur aus Kostengründen oder aus formalen Überlegungen, sondern auch im Hinblick auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen. Aus n diesem Grund gilt für die Arbeit des Ingenieurs nach wie vor: „In die Konstruktion soll Intelligenz rein und Material raus.“

Karin Tschavgova: Bleibt mit Holz als Tragsystem für immer höhere Geschossbauten Gestaltungsvielfalt gewährleistet oder anders gesagt: schränkt die Notwendigkeit von konstruktiver Vereinfachung nicht die heute nahezu unbegrenzten Möglichkeiten architektonischer Formen ein?

Konrad Merz:
So viele Holzhochhäuser werden in nächster Zeit nicht gebaut werden, dass sie einen entscheidenden Einfluss auf die architektonische Landschaft haben, und die gebauten könnten Abwechslung und Bereicherung sein. Plastische Ausformung müsste man mit entsprechendem Aufwand erkaufen, weil eben im Holzbau und nicht nur dort das Prinzip gilt, dass Lasten möglichst direkt und in der Vertikalen von oben nach unten zu bringen sind.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

30. Januar 2009Karin Tschavgova
Spectrum

Quaken und andere Töne

Effekte, Ornamente, Bildwirkung: eine Firmenzentrale in Graz als radikale Absage an die Moderne. Ein weiteres Stück experimenteller Archi-tektur der Gruppe Splitterwerk.

Effekte, Ornamente, Bildwirkung: eine Firmenzentrale in Graz als radikale Absage an die Moderne. Ein weiteres Stück experimenteller Archi-tektur der Gruppe Splitterwerk.

Worüber schreiben? Redaktionelle Vorgaben von Inhalten, Absprachen der Autoren untereinander und festgelegte Regeln gibt es für diese Seite nicht. Als selbstverständlich gilt: aktuell zu sein, Brisantes thematisieren, Neues, Innovatives in Architektur und Design analysieren – sich dabei als Brückenbauer verstehen, erklären, vermitteln, für Qualität, für die Sache sprechen. Die Auswahl des Themas oder des Objekts, über das man schreibt, wird demnach auch geleitet von Lust und Neigung des Schreibenden.

„Schreib über das neue Gebäude, das Splitterwerk in Graz für ein Ingenieurbüro geplant hat“, sagt das Gegenüber, immer gut für einen Rat. Wie, wenn ich zu dieser Art von Architektur keinen Zugang finde? „Eben deshalb“, sagt das Gegenüber, und sein Blick ist herausfordernd, „und auch, weil es vielleicht die Leser interessiert.“

Seit ihrer Gründung 1989 beharrt die Gruppe Splitterwerk darauf, eher ein interdisziplinär experimentierendes Team als ein Architekturbüro zu sein. Ihre Arbeit, sei es die Gestaltung von Ausstellungen oder die Teilnahme an solchen, ist immer um einen künstlerischen Ausdruck bemüht, auch wenn, wie bei ihren Wohnhäusern, wissenschaftliche Methodik und Forschung betont werden.

Zwei Wohnbauten – „Roter Laubfrosch“ und „Schwarzer Laubfrosch“ genannt, ein Ferienhaus, der Umbau einer Orangerie, eineSanierung und nun eine Firmenzentrale – was Splitterwerk realisieren konnte, ist an einer Hand abzuzählen und wurde doch, jedes für sich, von der Fachwelt aufmerksam registriert. Splitterwerks Bauten polarisieren,weil sie eine radikale Abkehr von den Postulaten der Moderne darstellen, die heute nochvon vielen von uns als gesellschaftliche Errungenschaft angesehen werden.

Auf den Ort einzugehen und urbane Bezüge herzustellen interessiert Splitterwerk in der Regel nicht, weil das Team auf eine Wirkung seiner Häuser abzielt, die nur durch singuläres Hervortreten aus der Umgebung erreicht werden kann. Wenn das ganze Gebäude – Wände, Dächer, fallweise auch die Verglasungen – mit einer einheitlichen Oberfläche versehen wird, die es kompakt und homogen wirken lässt wie die filigranen Holzlamellen den Schwarzen Laubfrosch oder das Farbmuster der Platten die Landesverwaltungsakademie in Graz, tritt ein Grad an Abstraktion ein, der die Wahrnehmung des Baukörpers als Solitär verstärkt.

Das Grundstück der neuen Firmenzentrale, die in Splitterwerks OEuvre als „Frog Queen“ auftaucht, liegt im Süden der Stadt, wo Graz zwischen Bahntrasse, Gewerbebauten und Einfamilienhäusern planlose Vorstadt ist. Ortsgebundenheit ist obsolet.

Die Suche nach einer Baukörperform, die Präzision und Effizienz der Arbeit der Prüfingenieure und die Eindeutigkeit ihrer mathematischen Lösungen auszudrücken vermag, führte zur Form des Quaders, der annähernd ein Würfel ist. Seine Körperhaftigkeit unterdrückt Splitterwerk mittels Rasterung der Fassaden mit zahllosen, gleich großen Aluminiumkassetten in Schwarz und Weiß. Die unterschiedliche Größe ihrer Siebdruckapplikationen, die vielleicht an Zahnräder, jedenfalls an Konstruktionsteile des Maschinenbaus erinnern, erzeugt ein Muster, das auf Nahwirkung baut. Der Blick aus der Ferne wandelt die Muster in mehrere Grauwerte um. Die Gebäudekante der zwei, jeweils gemeinsam sichtbaren Fassaden tritt zugunsten einer flächigen Bildkomposition aus weißen, grauen und schwarzen Pixeln zurück.

Der Wunsch, Dreidimensionalität aufzuheben, zieht sich als Leitmotiv durch die Arbeiten von Splitterwerk. Oberflächen von Räumen und Körpern werden gleichmäßig mit einem Ornament versehen, das aus der digitalen Überlagerung und Abwandlung von Mustern generiert wird. Worum es ihnen dabei geht? Die Architekten sprechen von Sphären (griechisch: Hülle, Himmelsgewölbe), die sie durch die Anreicherung der Oberflächen ihrer Räume erzeugen möchten, von einer Illusion, wenn Raumgrenzen sich auflösen. Im Bestreben, einen neuen, zeitgemäßen Raumbegriff zu kreieren, konzentrieren sich Splitterwerk, abgeleitet vom Bild als dem medialen Kommunikationsmittel des Jahrhunderts, auf die Bildwirkung ihrer Räume.

Selbst Fensterflächen, Türen und Tore werden einer Homogenisierung unterzogen. Splitterwerk beschränken sich auf zwei Fensterformate in der Größe einer Einzel- und einer Doppelkassette, die sie zwar unregelmäßig anordnen, aber so präzise und farbgleich in den Raster setzen, dass sie an den Fassaden kaum auszunehmen sind.

Erstaunt sein wird, wer wie viele glaubt, dass der von außen minimal scheinende Fensteranteil das Innere nicht ausreichend belichten kann. Mehr als 100 kleine Fenster verteilen angenehmes Streulicht auf Computerarbeitsplätze, in Besprechungszimmer und die hohe Werkshalle, die das Erdgeschoß einnimmt. Sie dienen dem Lichteinfall, aber freie Aussicht, etwa auf einen sich bedrohlich verdüsternden Gewitterhimmel, bieten sie kaum. Sie sind Teil einer Inszenierung der Büroräume, die durch Bildtapeten an den Außenwänden und durch farblich abgestimmte Innenwände und Böden Wirkkraft hat. Die Tapeten zeigen, durch Überlagerung mit Mustern leicht abstrahiert, oststeirische Landschaften, in die Fenster wie Bilder mit Rahmen eingeschnitten sind. Mittel der Verfremdung, der Irritation kommen hier zum Einsatz. Mit so differenzierter Raumgestaltung wird Raum nicht flächig, sehr wohl aber atmosphärisch aufgeladen.

Wohltuende Abweichung vom starren Konzept der „Verflachung“ zeigt sich auch in der dreigeschoßigen Halle. Sie ist klassische Architektur – zeigt räumliche Differenzierung, mit den Brüstungen der Galerien plastische Geometrie und differenzierte Lichtführung. Stringenz und Wirkung werden verstärkt durch den einheitlichen Überzug aller Flächen und Materialien mit einer Silberfarbe, der winzige Metallsplitter beigesetzt wurden. Bei diesem Bau ist Splitterwerk nicht nur gelungen, ihr Konzept der „aufgeladenen“ Oberflächen durchzusetzen,sie haben damit auch den Wunsch des Bauherren nach einen Gebäude erfüllt, das die Arbeit des Unternehmens an präzisen, eindeutigen Lösungen ausdrückt.

Vor wenigen Tagen wurde Splitterwerks „Frog Queen“ beim „contractworld.award 2009“ mit dem zweiten Preis in der Kategorie Bürobau ausgezeichnet. 570 Einreichungen für diese hoch dotierte europäische Auszeichnung für Innenraumgestaltung, ein österreichischer Preisträger – ein schöner Erfolg.

Spectrum, Fr., 2009.01.30



verknüpfte Bauwerke
Frog Queen

12. Dezember 2008Karin Tschavgova
Spectrum

Box oder Blob?

Computergestützte Raumkonzeptionen, komplexe Spiralstrukturen, Ebenen, die ineinander übergehen: das neue Haus für Musik und Musiktheater in Graz von Ben van Berkel und Caroline Bos.

Computergestützte Raumkonzeptionen, komplexe Spiralstrukturen, Ebenen, die ineinander übergehen: das neue Haus für Musik und Musiktheater in Graz von Ben van Berkel und Caroline Bos.

Move“ nannten der holländische Architekt Ben van Berkel und seine Partnerin Caroline Bos eine programmatische Deklaration von 1999. „Beweg dich“ war mehrdeutig, forderte Bewegung in der Arbeitsweise der Architekten und zugleich im Erscheinungsbild der Architektur, meinte eine dem digitalen Zeitalter angemessene, computergestützte Entwurfsmethodik. Der Aufruf war eine Absage an herkömmliche Gebäudetypologien und starre Funktionsfestlegungen zugunsten einer dynamischen Raumkonzeption, in der Raum und Bewegung verknüpft werden sollten. Auf der Höhe der Zeit zu sein hieß, die Zeit als vierte Dimension zum Ausdruck zu bringen im Bewegungsfluss von Räumen und Ebenen, die ineinander übergehen und miteinander verschränkt sind.

Zu diesem Zeitpunkt hatten van Berkel & Bos, die sich fortan als Kürzel für United Network „UN Studio“ nannten, bereits einen gebauten Beleg ihres wortgewandt abgehoben formulierten Anspruchs an das zeitgenössische Bauen geliefert: Ihr Möbius-Haus, ein Wohnhaus in den Niederlanden, ist ein vielschichtig überlagertes Raumkontinuum, das aus der Form des in sich gedrehten, end- und richtungslosen Möbiusbands heraus entwickelt worden war.

Ein Jahr davor, 1998, war van Berkel der Gewinner des Wettbewerbs für ein neues Haus für Musik und Musiktheater der Kunstuniversität in Graz. Sein Entwurf war eine indirekte Antwort auf den damals aktuellen Richtungsstreit „Box versus Blob“, ein ideologisch geführter Diskurs, in dem die Box als das aus der euklidischen Geometrie abgeleitete Erbe der Moderne gegen den Blob, eine aus der Bewegung heraus entwickelte freie Form, gestellt wurde.

Spektakuläre Tragstruktur

Kein Konflikt für den smarten Holländer, derseine eigens entwickelten EntwurfsstrategienDesignmodelle nennt. Er vereint beide Ideologien in seinem Modell „From Box to Blob and back again“, indem er eine lineare Spiralstruktur aus der Geometrie der Box herausin eine weiche Bewegung, den Blob, transformiert und sie zum Futteral für daraus abgespaltete kleine Spiralen macht, die, ihre Richtung ändernd (back again), zum komplexen internen räumlichen System werden. – Was kompliziert klingt, war auch so, denn die spiralförmige Struktur, die als Stahlkonstruktion tragende Funktion übernehmen sollte, erwies sich auch in der Form des überarbeiteten Entwurfs als nicht realisierbar.

Zehn Jahre nach dem Wettbewerb steht nun das Bauwerk, nach mehreren Metamorphosen. Im November 2008 hat die Bundesimmobiliengesellschaft den Solitär am Rand des Parks beim Stammsitz der Grazer Kunstuniversität an die Nutzer übergeben, die bis zur offiziellen Eröffnung im März des kommenden Jahres Teile der technischen Ausstattung und die Einrichtung implementieren. Für Berkel und Bos wäre die Veränderung des Entwurfs wohl mit der „Dynamik des Entwurfsmodells“ zu umschreiben. Tatsächlich wird in der aktuellen Kurzbeschreibung des fertiggestellten Hauses an der kontinuierlichen Spirallinie festgehalten, allerdings wird sie zur sich virtuell horizontal erstreckenden Spirale und zur Spiralorganisation, die in ihrer Weiterentwicklung das Foyer in seiner vertikalen Erschließung materialisiert.

Die ursprünglich geplante Stahltragkonstruktion wurde durch eine Tragstruktur aus Beton ersetzt, die im Inneren des Gebäudes, in den Foyers, höchst spektakulär in Erscheinung tritt. Die Box blieb erhalten. Sie fasst als orthogonaler Bauteil mit massiven, tragenden Wänden im Erdgeschoß die Tischlerwerkstätte, Proben- und Nebenräume und auf der mittleren Ebene den großen Theatersaal für 500 Personen mit Depot. Der Saal soll höchsten technischen Anforderungen genügen; er ist nicht nur vollflächig mit Hubpodesten ausgestattet, die variable Bühnen und Zuschauertribünen sein können, sondern ist angeblich schalltot, um den unterschiedlichen Bedingungen für Kammermusik, Oper oder Neue Musik zu genügen.

Die beiden Längswände des Saals sind über das Saalende hinaus gekurvt ins Foyer gezogen und verdrehen sich – ähnlich einer Bandschleife – in die Horizontale und weiter zu einem plastischen Element in komplexer räumlicher Geometrie, das Lasten abtragend fungiert. Dieser von seinen Erfindern „Twist“ genannte Kern aus betonierten, mehrfach räumlich gekrümmten Flächen bildet das rauminnere Auflager für die radial angeordneten Deckenträger des großen Foyers im ersten Obergeschoß und des darüber situierten Theaterproberaums. Seine äußerst aufwendige Herstellung erforderte eine speziell entwickelte Schalungstechnik und enorme Präzision in der Ausführung. Dieäußeren Deckenlasten an der Fassade jener Räume, die durchgehend verglast sind, werden nun ganz konventionell in eine regelmäßig unterteilte Reihe schräg gestellter Stahlstützen eingebracht. Den gewünschten Eindruck einer fließenden Hülle erzeugt ein Netzaus Metallgewebe, das rundum – vor Glas und Beton – über den thermischen Raumabschluss gespannt ist. Die gebauchte Form dieser zweiten Haut, vor allem ihre radialen Biegung in Bodennähe, ist deutlich als Reminiszenz an das ursprünglich gewollte Erscheinungsbild des Spiralkörpers zu sehen.

Durchlässiger Twist

Von räumlichen Verknüpfungen, die durcheine mäandrierende spiralförmige Organisation erzeugt werden sollten, ist außer in der vertikalen Durchlässigkeit des Twists nicht mehr viel zu sehen. Was man im realisierten Projekt des Mumuth ebenso vermisst, ist die dynamische Raumkonzeption entlang einer Bewegungsachse, wie sie vor allem den viel gepriesenen, räumlich-komplexen Bau des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart (2006)auszeichnet, in dem aus geschlossenen Räumen, offenen Ebenen und Schrägflächenspannungsreiche Raumsequenzen erzeugt wurden, die entlang von zwei sich kreuzenden Rampen inszeniert werden.

Box hin – Blob her, den Nutzer scheren Diskurse um Organisationsstrukturen und Erscheinungsformen, die der heutigen Welt und ihrem Tempo angemessen scheinen, ohnehin wenig. Die Initiatoren des Mumuth freuen sich nach jahrzehntelangem Einsatz für ein neues Haus darüber, dass es nun endlich Realität ist. Dass es keinen adäquaten Vorplatz und Eingang hat, wird ihnen vielleicht gar nicht auffallen. Die Frage nach der Angemessenheit des formalen Aufwands darfgestellt werden. Ob das neue Haus gute Arbeitsbedingungen bietet, die Saalakustik, derSchallschutz nach außen und innen funktionieren, wird man sehen. Selbst die digitale Avantgarde ist Konventionen ausgesetzt – nebst der Schwerkraft als Naturgesetz.

Spectrum, Fr., 2008.12.12



verknüpfte Bauwerke
MUMUTH - Haus für Musik und Musiktheater

11. Oktober 2008Karin Tschavgova
Spectrum

Der Monolith

Persönliche Spurensuche und private Obsession: das Steinhaus von Günther Domenig. Ein Werk, das sich einfachen Deutungen widersetzt. Zur Fertigstellung einer singulären künstlerischen Leistung.

Persönliche Spurensuche und private Obsession: das Steinhaus von Günther Domenig. Ein Werk, das sich einfachen Deutungen widersetzt. Zur Fertigstellung einer singulären künstlerischen Leistung.

Ein Rastloser war der eine, der täglich viele Kilometer weit zu Fuß unterwegs war, um die Post auszutragen. Aus den Motiven der Ansichtskarten, die er verteilte, imaginierte sich der französische Briefträger Ferdinand Cheval im Gehen ein Bild der Welt, das er in einem fantastischen Bauwerk verwirklichen wollte. Beharrlich und unbeirrbar realisierte er gegen viele Widerstände ab 1879 in seinem kleinen Obstgarten den Traum vom „Palais Ideal“. Aus Steinen, die er auf seinem täglichen Weg einsammelte, formte er mehr als 30 Jahre lang ein bizarres Monument privater Obsession – 26 Meter lang, zwölf Meter breit, bis zu zehn Meter hoch. Nach einer ersten Würdigung durch die Surrealisten verfiel es in einen Dornröschenschlaf, bis es 1969 der Schriftsteller und damalige Kulturminister André Malraux als eines der großen historischen Monumente Frankreichs unter Denkmalschutz stellen ließ. Heute ist es eine Touristenattraktion.

Ein Ruheloser, Suchender auch der andere, der sich bald nach Beginn seiner Berufslaufbahn gegen den Zeitgeist und für den Weg eines sehr persönlichen, emotionalen Ausdrucks in der Architektur entschieden hat.

Alle wesentlichen Arbeiten des Architekten Günther Domenig lassen sich als Absicht interpretieren, individuellen Gefühlen in gebauter Form Gestalt zu verleihen. Es sind expressive Gesten wie die Zentralsparkasse in Wien-Favoriten (1974–1979), mit der die internationale Fachwelt erstmals auf Domenig aufmerksam wurde. Doch im Wien der 1970er-Jahre, in dem die Postmoderne den Ton angab, wurde dem Architekten, der für sich reklamierte, Künstler zu sein, mit Skepsis und offener Ablehnung begegnet.

Daraus entstand der unbändige Wunsch, uneingeschränkt, ohne äußere Widerstände und Fremdbestimmung auf eigenem Grund und Boden seine Architektur entstehen zu lassen. Günther Domenig setzte alles daran, diese Vision umzusetzen. Es brauchte beinahe 30 Jahre, bis das Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See realisiert werden konnte. Vergangenen Sonntag wurde nun das intimste, enigmatischste Gebäude Domenigs in einem Festakt mit viel Prominenz und zahlreichen Huldigungen von Architektenkollegen eröffnet. Schweigend, müde, erstaunt sah der Architekt dem Treiben zu. Bis ein Bauwerk fertig ist, meinte Raimund Abraham, ist es das Eigentum des Architekten, danach gehört es sich selbst. An diesem strahlenden Herbsttag des Jahres 2008 schienen sich andere des Hauses, das nur mit finanzieller Unterstützung des Landes Kärnten und des Bundes fertiggestellt werden konnte, bemächtigt zu haben. Das Steinhaus wurde in eine Stiftung eingebracht, die es verwalten wird und als Seminarraum für Architekturworkshops und als Tagungsort nützen will.

Der Architekt selbst hat immer betont, dass das Steinhaus eine Skulptur aus Beton, Glas und Stahl ist, deren Nutzen zweitrangig ist. Das ist legitim, weil der Architekt als Bauherr niemandem als sich selbst verpflichtet war. In der Architektur- und Kunstgeschichte findet man einige dieser gebauten Universen. Ob Gaudís „Sagrada Familia“ in Barcelona, Paolo Soleris „Arcosanti“ oder James Turells „Roden Crater“ (beide in Arizona) – sie alle entziehen sich gängigen Kriterien der Bewertung von Architektur. Fragen nach der Einfügung in die Landschaft oder das Ortsbild, nach Funktionalität oder der Ökonomie des Bauens greifen für solche künstlerischen Einzelleistungen zu kurz.

Domenigs Steinhaus ist ein vielschichtiges Gebilde, das mehrere Lesarten zulässt. Die Bedeutungsinhalte, die sein Ersinner dem Ganzen und jedem seiner Teile gegeben hat, offenbaren sich dem Betrachter dennoch nicht leicht. Nicht nur seine Entstehungsgeschichte, auch das Bauwerk selbst ist ein intimer Ausdruck der Persönlichkeit des Architekten, und so wäre wohl eher eine psychoanalytische Betrachtung des Werks denkbar. Andererseits: Trotz expressionistischem Habitus bewahrt das Haus eine gewisse Hermetik, so, als wolle sich Domenig gegen platte Interpretationen seiner in die Sprache der Architektur gebrachten Gefühle verwahren. Domenig selbst erklärt seinen Entwurf aus dem Studium der Berge, Felsformationen und Steine seiner Mölltaler Heimat und aus der Tradition alpiner landwirtschaftlicher Nutzbauten aus Holz und einem Sockel aus Bruchsteinen. In zahlreichen Zeichnungen, die 1980 auf der Alm entstanden sind, behandelt Domenig diese Motive, entwickelt sie weiter zu ersten Skizzen eines Bauwerks auf dem Seegrund, den die Großmutter ihm und seinem Zwillingsbruder vererbt hat. In einer noch wenig abstrahierten Form kann man darin Hügel entdecken, aus denen Felsen brechen, Steine in exponierter Lage, Schluchten und Wege, die sich durch schroffe Wände bahnen.

Zeichnungen haben Titel wie Zerbrechungen, Aufbruch, Kampfgrenze. In den Jahren danach verfeinert Domenig das Projekt, komponiert die drei Schwebesteine um die geknickte zentrale Längsachse mit den Haupträumen und entwickelt Konstruktionsansätze. Nach einer entscheidenden Phase der Geometrisierung, die dem Bauwerk die vom Architekten intendierte notwendige Schärfe gibt (mit Hilfe von Geometern in Ermangelung von Computerprogrammen, die zu dieser Zeit noch nicht verfügbar waren), steht die endgültige Fassung 1986 fest. Domenig, der seit 1980 an der TU Graz lehrte, hat die finanzielle Absicherung, um mit den Betonbauarbeiten beginnen zu können. Stufenweise, in mehreren Planungs- und Bauphasen, wird weiter experimentiert, werden Konstruktionen für die Schwebesteine in Stahl ersonnen, wird detailliert und baubar gemacht.

Betrachtet man das Steinhaus im Kontext zu anderen Bauten, die als Schlüsselwerke des Œuvres von Domenig und als Basis seines internationalen Stellenwerts gesehen werden können, so treten die Analogien zur heimatlichen Landschaft als formgebende Inspiration in den Hintergrund. An ihre Stelle treten „Signifikate“, wie sie Raffaele Raja in einem Essay über Günther Domenig benennt – gebaute Charakteristika, die in immer von Neuem entwickelter Form vor allem Domenigs im Alleingang entwickelte Bauten kennzeichnen.
Verstärkt werden diese Elemente, die wir aus der Strömung der Dekonstruktion kennen, durch ihre Benennung: Spannungen, Brechungen, Durchdringungen, Zerklüftungen, Knickungen, Risse implizieren Zerstörung, etwa von Monumentalität und Axialität, aber auch von Traditionen und starrer Hierarchie. Im Dokumentationszentrum in Nürnberg hat Domenig mit dem Pfahl, den er durch das monumentale Bauwerk des Reichsparteitags gebohrt hat, bildhaft die Ideologie der Nazis zerbrochen und dabei auch seine eigene Jugend im Geiste einer nationalsozialistischen Erziehung verarbeitet. Einige der immer wieder von ihm verwendeten Begriffe lassen sich mehrfach deuten. Nicht nur martialische Zerstörung, auch lebenserhaltende Dynamik spricht aus ihnen und – was jene erstaunen wird, die Domenig als einen nie um eine Beleidigung verlegenen Polterer kennengelernt haben – Fragilität, Unsicherheit, labiles Gleichgewicht.

Dass auch ein scheinbar Unzähmbarer wie Domenig nach Harmonie strebt, sprach Carl Pruscha an. Er wies darauf hin, dass dieser in seiner Arbeit lange Zeit nur das Dreieck und Quadrat verwendete und den Kreis vermied, um letztlich im zylindrischen Grundwasserspeicher am tiefsten Punkt seines Hauses doch dieses Symbol des Ausgleichs einzubauen.

Spectrum, Sa., 2008.10.11



verknüpfte Bauwerke
Steinhaus

06. Juli 2008Karin Tschavgova
Spectrum

Gebt der Rose Dornen!

Die diesjährige Geramb-Rose wurde verliehen – für „gutes Bauen in der Steiermark“. Die Preisträger: ein allzu bunter Strauß. Wie man einem Preis mit heiklen historischen Wurzeln ein schärferes Profil geben könnte. Ein Plädoyer wider die Beliebigkeit.

Die diesjährige Geramb-Rose wurde verliehen – für „gutes Bauen in der Steiermark“. Die Preisträger: ein allzu bunter Strauß. Wie man einem Preis mit heiklen historischen Wurzeln ein schärferes Profil geben könnte. Ein Plädoyer wider die Beliebigkeit.

Der Zwiespalt steckt im Namen und in der Tradition, die mit diesem verbunden ist. Die Geramb-Rose, eine Auszeichnung für gutes Bauen in der Steiermark, ist benannt nach dem steirischen Volkskundler Viktor von Geramb, der die Volkskunde hierzulande als universitäre Disziplin etablierte und 1936 das Steirische Heimatwerk gründete. Das Faktum, dass Geramb seine 1931 begonnene Lehrtätigkeit an der Universität Graz 1938 aufgeben musste und erst ab 1945 fortsetzen konnte, verweist nicht etwa auf Widerstand gegen den Nazionalsozialismus, sondern auf Gerambs extrem konservative Gesinnung, die für die Bewahrung österreichischer Identität eintrat und eine Loyalität zum Ständestaat vermuten lässt, die den Nazis nicht passen konnte. In der Instrumentalisierung der Volkskunde als einer rückwärtsgewandten Kraft sind sich die Nazis und Geramb, der sich nach eigenen Angaben zu 50 bis 60 Prozent mit dem Nationalsozialismus identifizieren konnte, ideologisch hingegen nahe gewesen.

In einem unverändert konservativen Klimader Volkskunde, das von Volks- und Brauchtum geprägt war, wurde 1959, ein Jahr nach dem Tod Gerambs, die nach ihm benannte Rose ins Leben gerufen. Seit 1981 wird sie jährlich vom Verein „BauKultur Steiermark“, der vom Land Steiermark subventioniert wird, verliehen. Bis zu seiner Umbenennung 2002 hieß dieser Verein, dessen Gründungsmitglied Geramb war, „Heimatschutz in der Steiermark“.

Die Geramb-Rose ist ein Preis, mit dem in erster Linie Bauherrn ausgezeichnet werden, und genau darin liegt auch ein wesentlicher Teil ihrer Bedeutung. Sie wird auf dem Land, in noch stärker hierarchisch gefestigten Strukturen, als offizielle Anerkennung der Landesregierung gesehen und naturgemäß eindrücklicher aufgenommen als im anonymen urbanen Raum. Eine Geramb-Rose an einemGemeindeamt, einem Veranstaltungszentrum oder der neuen Schule einer ländlichenGemeinde gilt etwas, sie legitimiert nachträglich die Entscheidungen von Kommunalpolitikern, die sich für Bauqualität und Architekturwettbewerbe engagiert haben.

Vor einer Woche wurde die Geramb-Rose für 2008 verliehen, wie immer im festlichen Rahmen und wie in den letzten Jahren in einem der ausgezeichneten Objekte. Aus 70 von Bauherrn und Jurymitgliedern eingereichten Objekten wurden acht ausgewählt, die für einen repräsentativen Querschnitt des aktuellen Baugeschehens stehen könnten: ein Bestattungszentrum in einer kleinen Bezirksstadt, ein Wohnhaus für eine Jungfamilie, ein Musikheim in einer ländlichen Gemeinde, die Adaptierung eines Barockstifts für Seminarzwecke, ein Weinverkauf mit Buschenschank, ein Degustations- und Bürobau für ein Weingut und eine rollstuhlgerechte Wohnküche. Mit einem Sonderpreis wurde ein in Graz unverändert erhaltener Schneidersalon aus den 1950er-Jahren ausgezeichnet.

Eine derart „repräsentative“ Auswahl, aber auch die Menge der jedes Jahr vergebenen Ehrenpreise birgt die Gefahr in sich, indifferent und beliebig zu werden und den vielen länder- oder bundesweiten Preisen, die es in Österreich gibt, nur noch einen weiteren hinzuzufügen. Der Verein täte daher gut daran, der Geramb-Rose ein besonderes Profil zu geben.

Von der Altlast des Rückwärtsgewandten, Konservativen hat man die Auszeichnung längst befreit. Ihre historischen Wurzeln, die Nähe zu Volkskunde und Heimatschutz, könnten jedoch Ausgangspunkt einer unvoreingenommenen Interpretation von Zweck und Ziel der Geramb-Rose sein. Das hieße: Konzentration auf Entwicklungen und Tendenzen des Bauens im ländlichen Raum, auf die Auseinandersetzung mit Landschaftsfraß und Zersiedelung. Auf die Frage, wie beispielsweise am Hang landschaftsschonend gebaut werden kann. Es verlangte nach einem genauen Blick auf die Gewerbezentren an den Rändern unserer Orte, die bislang eiligst aus dem Boden gestampft werden, ohne Ordnungs- und Gestaltungsabsicht erkennen zu lassen, während zur selben Zeit die Ortskerne aufwendiger Verschönerungsaktionen unterzogen werden. Es dürfte keine Scheu geben vor einer kritischen Reflexion über Mittel und Formen dieser Schönheitsoperationen, die in guter Absicht geschehen und oft doch nur „Verschlimmbesserungen“ sind. In wie vielen touristischen Zentren der Steiermark beschränkt sich Ortsverschönerung auf aufdringliche Farbgebung und allgegenwärtigen hybriden Blumenschmuck in Trögen. Einmal eine unkonventionelle Gartengestaltung auszeichnen oder auch nur ein Blumenbeet in farb- und formvollendeter Poesie, wie man es im Mai im Park des Stifts Admont bewundern konnte – das wäre etwas! Und könnte auch Vorbildwirkung haben.

Am äußerst renommierten Sextener Architekturpreis für „Neues Bauen in den Alpen“, dessen vierte Auszeichnung dieser Tage in Buchform erscheint, könnte man Anleihen nehmen. Nicht an seiner Größe und seinem länderübergreifenden Anspruch, jedoch in der Erkenntnis seiner Jurymitglieder, zu denen auch Friedrich Achleitner zählt, dass nicht nur einzelne architektonisch herausragende Bauwerke auszuzeichnen sind, sondern auch Strategien oder Verfahren, die sich gezielt mit regionalen Aufgaben oder Strukturproblemen auseinandersetzen. Nicht dass die Jury des Sextener Architekturpreises nicht auch besondere Bauwerke auszeichnete, aber sie „analysiert fachkundig an deren Beispiel das Bauen in den Bergen mit seinen besonderen topografischen und klimatischen Bedingungen“.

Und wenn es Argumente dagegen gäbe, sich nur auf den ländlichen Raum zu konzentrieren? Auch dann machte es Sinn, den Preis über ein wechselndes Thema auszuschreiben oder die Jury eine Leitlinie ausarbeiten zu lassen, auf die sie ihre Betrachtung fokussiert. Eine einmalige Beschränkung, etwa auf Kommunalbauten, könnte zum qualitätsfördernden Wettbewerb unter den Gemeinden führen. Erstaunlicherweise lehnte der Verein just jene Auswahl ab, die die Jury von 2003 nach einer solchen selbst erarbeiteten Vorgabe getroffen hatte. Ihre Mitglieder kürten „Spezielles“ – Objekte und kleine Interventionen an Objekten, die nicht das Ergebnis einer professionellen architektonischen Planung waren, sondern selbst erdachte Konzepte und Lösungen von Bauherrn, unkonventionell, geistreich und sensibel – eine Form anonymer Architektur, zu der die Geramb-Rose gut gepasst hätte. Der Preis wurde in jenem Jahr nach Beschluss des Vereins nicht vergeben.

Voraussetzung für eine fachliche Aufwertung des Preises wären Kompetenz, Unabhängigkeit und Zeit, die der Jury gegeben werden muss, damit nichts übersehen wird und ein seriöser Diskurs entstehen kann. Wonach nicht mehr gesucht werden muss, ist „guter“ Regionalismus, der in keiner Region Österreichs zu finden ist, weil er ein Abziehbild einer Wirklichkeit wäre, die nicht mehr existiert. Gutes Bauen auf dem Land ist mehr als anderswo ein Bauen, das den Genius Loci erkennt und Gestaltung damit in Einklang bringt – nie rückwärtsgewandt verklärt.

Spectrum, So., 2008.07.06



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Geramb Dankzeichen 2008

01. Juni 2008Karin Tschavgova
Spectrum

Wie wollen wir alt werden?

Alle wollen alt werden, aber die wenigsten wollen ins Heim. Bauen für alte Menschen: eine der großen architektonischen Aufgaben der Zukunft.

Alle wollen alt werden, aber die wenigsten wollen ins Heim. Bauen für alte Menschen: eine der großen architektonischen Aufgaben der Zukunft.

Es ist ein Thema mit beinahe täglicher Medienpräsenz: die Betreuung und Pflege alter Menschen. Wir werden immer älter. Die durchschnittliche Lebenserwartung österreichischer Männer liegt derzeit bei über 77 Jahren, die der Frauen bei 83. In weniger als 20 Jahren wird der Anteil der über 65-Jährigen von einem Sechstel auf ein Viertel angewachsen sein. Schön, länger zu leben! Aber wie?

Bauen für Alte – die Konzeption von Wohnformen, die den Ansprüchen alter, hilfsbedürftiger Menschen entsprechen, ist die Aufgabe der Zukunft, wenn auch schon allerorts gebaut wird und es längst nicht mehr das Altersheim früherer Zeiten ist, das heute Vorbild für Pflegeeinrichtungen ist.

Eine Studie am Institut für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien wies vor sieben Jahren 166 steirische Alten- und Pflegeheime aus, davon ein im österreichischen Vergleich ungewöhnlich hoher Anteil von 58 Prozent an privaten, gewinnorientierten Einrichtungen. Derzeit sind es rund 200. Die spitalsähnliche Verwahrung alter Menschen hat ausgedient, aber sie macht, vermehrt im privaten Sektor, einem gebauten Mittelmaß Platz. Der vermeintliche Wunsch alter Menschen nach Geborgenheit wird darin erschreckend „billig“ – unreflektiert, klischeehaft und vordergründig – umgesetzt. Fehlendes Qualitätsbewusstsein für den gebauten Lebensraum und Kostenminimierung sind dafür verantwortlich, altengerechte Heime in anspruchsvoller Architektur daher rar.

Liest man Kritiken über gelungene Beispiele des Bauens für Alte, so erkennt man, dass es immer dieselben Anforderungen sind, die es umzusetzen gilt. Es sind Qualitäten für alle Nutzer – Bewohner, Personal und Besucher. Einfache Orientierung, Möglichkeit der Teilhabe an der Außenwelt, großzügige Bewegungsräume, Verweilzonen, vielfältige Allgemeinbereiche, Tageslichtqualität in Gängen und Sanitärräumen, geschützte Zwischenzonen von innen nach außen, begrenzte, überschaubare Gärten und Materialien, die keine klinische Atmosphäre verbreiten, sind einige. Sie zu erfüllen ist noch keineGarantie für die Qualität einer Pflegeeinrichtung, wohl aber ihre Voraussetzung.

Schon die Lage von Pflegeheimen oder betreutem Wohnen sollte ein klares Bekenntnis dazu sein, Alte und Gebrechliche nicht an den Rand zu schieben. Das steirischen Pflegegesetz schreibt vor, den Heimbewohnern die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben des Ortes zu ermöglichen. In der Realität ist dies, wie bei unserem abgebildeten Negativbeispiel eines Pflegeheims, oft nicht der Fall. Das liegt so weit abseits vom Ortszentrum – von Gemeindeamt, Kultursaal, Bank, Supermarkt und Café, dass diese kommunikativen Zentren für die meisten Bewohner selbstständig nicht erreichbar sind.

Orte der Begegnung, die die Teilhabe an der Außenwelt, wenn auch eingeschränkt, ermöglichen, und Orte des Rückzugs: Beides brauchen auch Menschen, die ihren letzten Lebensabschnitt im Heim verbringen. Wohneinheiten sind solche Orte, in denen „durch geeignete Maßnahmen die Wahrung der Privat- und Intimsphäre sicherzustellen ist“ (Paragraf 11 des steirischen Pflegegesetzes). Warum dann immer noch Zimmer geplant werden, die beim Öffnen der Türe vom Gang aus uneingeschränkte Sicht ins Bett freigeben? Ein Entrée mit Sichtschutz, ein selbstverständlicher Standard jeder Wohnung, fehlt in Altersheimen oft.

Zimmer sind Rückzugsorte, wer aber im Rollstuhl sitzt oder gar im Bett liegen muss, der sollte Ausblick haben. Wenn Fensterbrüstungen unüberlegt hoch gemacht werden, ist dies nicht möglich. Niedrige Fensterbänke hingegen haben mehrere Vorteile. Sie weiten die Grenzen des Raums auf und können als gemütliche Sitzbank am Fenster gestaltet werden, auf der sich auch Besucher gerne niederlassen. Feyferlik&Fritzer haben im neuen Hospiz der Stadt Graz ein solches Sitzfenster verwirklicht, das zum gestaltgebenden Element der Fassade wurde. Im Pflegeheim in Leibnitz, das nach 13 Jahren des Betriebs immer noch als vorbildlich gilt, hat Klaus Kada hingegen auf Brüstungen ganz verzichtet und vor den Privaträumen tiefe, sonnengeschützte Terrassen vorgesehen, die erlauben, Pflegebetten ins Freie zu stellen. Unsensibel sind Architektenlösungen hingegen, wenn Fassaden zwar großzügig zu einem Balkon verglast werden, Geländer jedoch Durchblicke verwehren.

2005 legte der steirische Soziallandesrat den Betreibern von Pflegeeinrichtungen neue Verträge vor, die die Sicherung der Pflegequalität beinhalteten. Das Qualitätsbewusstsein der Politik für die Bauaufgabe Altenheim hingegen scheint gering. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, auch hier steuernd einzugreifen. Öffentliche Institutionen und gemeinnützige Träger erhalten für Pflegeheime Wohnbauförderung (bis 50 Quadratmeter pro Person inklusive Allgemeinflächen), die bis zu 25 Prozent aufgestockt werden kann. Auch betreute Wohnungen und Wohngemeinschaften unterliegen dem Wohnbauförderungsgesetz, und selbst private Betreiber finanzieren ihre Bauten indirekt über die Pflegegeldzuschüsseder öffentlichen Hand. Was liegt also näher, als Anreize für Architekturwettbewerbe zu schaffen oder diese zur Bedingung für Förderungen zu machen? Selbsteinschätzungen, die jeder Grundlage entbehren, wie die des mediokren Seniorenparks in Unterpremstätten bei Graz als ein „herrliches, architektonisch einzigartiges Haus in grandioser Umgebung“ würden dann obsolet.

Spectrum, So., 2008.06.01

12. April 2008Karin Tschavgova
zuschnitt

Ansichten und Durchblicke

Es gibt sie auch unter den Architekten: die Grübler und die Macher. Letztere halten sich nicht lange mit Grundsätzen auf, sondern denken pragmatisch und...

Es gibt sie auch unter den Architekten: die Grübler und die Macher. Letztere halten sich nicht lange mit Grundsätzen auf, sondern denken pragmatisch und...

Es gibt sie auch unter den Architekten: die Grübler und die Macher. Letztere halten sich nicht lange mit Grundsätzen auf, sondern denken pragmatisch und zielgerichtet. Form folgt der Funktion und die Anmutung eines Bauwerks eher einem gewünschten Bild als einer intellektuellen Haltung. Gerhard Mitterberger zähle ich zu dieser Gruppe. Seine Architektur scheint in direktem Bezug zu seiner Heimat Osttirol zu stehen. Die schroffe Natur der Berge, das raue Klima und die Kargheit der älplerischen Sprache haben nicht nur den Menschen geprägt, sondern beeinflussen auch seine Bauten. Sie sind was sie sind (und zeigen): geradlinig, kantig und robust, nie geschwätzig, aber auch nie ausdrucksschwach.

In Matrei hat der Architekt einen Bauauftrag abgewickelt, der ganz nach seinem Geschmack gewesen sein muss: eine klar umrissene Aufgabe, widrige Umstände. Einem Landarzt folgen seine Kinder in der Berufswahl. Der Sohn wird Physiotherapeut, eine Tochter Zahnärztin, die zweite Allgemeinmedizinerin, ihr Mann ist Internist. Gemeinsam beschließen sie, die in den 1970ern an das traditionelle ländliche Wohnhaus angebaute Praxis des Vaters zu einem medizinischen Zentrum mit vier Praxen auszubauen. Bedingung ist, dass die Bautätigkeit die Ordination des Vaters nicht langfristig stoppen darf.

Das Konzept des Architekten beruhte darin, den Bestand im Erdgeschoss auf drei Seiten und im Untergeschoss, dessen talseitiger Gebäudeabschluss aufgrund der Hangneigung schon über Terrain liegt, zweiseitig zu umbauen. Auf das dadurch erweiterte Eingangsgeschoss wird die neue Wohnung für den Sohn als leichter Holzständerbau aufgesetzt, bündig mit der neuen Straßenfront.

Was früher außen lag, wird jetzt zum Kern, in dem der Betrieb weiterläuft. Die Erweiterung lässt ein Volumen entstehen, das größer ist als das Tirolerhaus daneben. Der Architekt hat keine Bedenken, den Zubau bis unters flach geneigte Dach des Wohnhauses abstandslos anzuschließen. Er assoziiert ihn mit einem riesigen Stein, der an dieser Stelle fallengelassen wurde, mit einem Felsbrocken, der hier zur Ruhe kam.

Dementsprechend bildet Gerhard Mitterberger die Fassaden des Anbaus aus – der Eindruck einer homogenen Oberfläche soll erzeugt werden. Die geschossweise differenziert ausgebildeten Außenwände – unten Beton, darüber die leichte Riegelwandkonstruktion des Ständerbaus – werden mit großformatigen Laminatplatten verkleidet, die in Farbe und Oberflächenstruktur einer mit Holz geschalten Betonwand entsprechen.

Fensteröffnungen nimmt man meist als Fassadeneinschnitte wahr, weil Rahmen und Flügel zurückgesetzt sind. Dies hätte jedoch die glatte Oberfläche der Fassade und somit deren körperhafte Wirkung beeinträchtigt. Der Architekt setzt daher die Verglasungen so, dass sie – aus einiger Distanz betrachtet – in einer Ebene mit den witterungsbeständigen Platten zu liegen scheinen. Wie bei vorangegangenen Bauten, etwa dem Gemeindezentrum in St. Nikolai im Sausal (Steiermark), sieht er Fensterbänder und Oberlichten vor, die weitgehend aus Fixverglasungen bestehen, in die Rahmen mit Lüftungsflügeln eingeschnitten sind. Die fixen Gläser werden ausnahmslos ohne Rahmen in den Falz eines Anschlagholzes geklebt, obwohl sie an der Außenseite der Fassade liegen. Den Witterungsschutz stellt Mitterberger her, indem die Fassadenplatten über den oberen Glasanschluss reichen. Am unteren Fensterabschluss zieht er wiederum die äußere der beiden Scheiben der Isolierverglasung über das Anschlagholz und die Schnittkante der nächsttieferen Fassadenplatte. Gläser und Platten sind dergestalt von oben nach unten geschuppt und schützen die jeweiligen Anschlussstellen.

Sämtliche Details scheinen technisch ausgereift, sind jedoch wie immer bei Gerhard Mitterberger einfach und unprätentiös. Das gilt in der Regel auch für die Materialien, die der Architekt bevorzugt verwendet: unveredelte Industrieprodukte, robust, manchmal rau bis derb. Mitterberger mag Überinszenierungen nicht und er erreicht auch mit weniger mehr.

zuschnitt, Sa., 2008.04.12



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15. März 2008Karin Tschavgova
Spectrum

Vergabe – verfahren?

Wenn von Qualitätssicherung bei Vergabeverfahren die Rede ist, wird aktuell vor allem an die Öffnung von Wettbewerben gedacht. Was aber hilft die, wenn die sonstigen Rahmenbedingungen nicht stimmen?

Wenn von Qualitätssicherung bei Vergabeverfahren die Rede ist, wird aktuell vor allem an die Öffnung von Wettbewerben gedacht. Was aber hilft die, wenn die sonstigen Rahmenbedingungen nicht stimmen?

Zugegeben, der Einwurf ist berechtigt: Was hat ein Thema wie die Vergabekultur im Feuilleton zu suchen? Auch die Frage, was Vergabekultur denn sei, ist gestattet. Zu verstehen ist darunter die Qualität der Verfahren zur Vergabe von Planungs- und Herstellungsleistungen bei Bauvorhaben. Architekturwettbewerbe sind ein guter Beginn zur Qualitätssicherung. Diese Meinung vertritt auch die EU-Kommission und setzte bei Vergaben der öffentlichen Hand einen Schwellenwert für Bauaufträge fest, ab dem ein Wettbewerb EU-weit ausgeschrieben werden muss.

In einer großen Auswahl an Lösungsvorschlägen drückt sich die Größe, Komplexität und gesellschaftspolitische Relevanz einer öffentlichen Bauaufgabe direkt aus – das sollte einleuchtend sein. Der Versuch, die Vergaberichtlinien immer wieder zu umgehen, zeigt hingegen, dass dem nicht so ist. Eine Erklärung für die Ablehnung von offenen Wettbewerben liegt im größeren Aufwand der Verfahren, aber auch in der geringeren Steuerungsmöglichkeit der Ergebnisse. Das oft vorgebrachte Argument, eine große Zahl an teilnehmenden Architekten bedeute einen unverhältnismäßig hohen Einsatz an Kapital und Energie, die ins Leere verpuffen, ist zwar zutreffend, aber wenig überzeugend aus dem Mund eines Auslobers, der dabei gewinnt – nämlich ein Mehr an Ideen.

Beachtliches mediales Echo erhielt kürzlich die Entscheidung des Bundesvergabeamtes, der Beschwerde von 50 Architekten stattzugeben, die der Meinung sind, dass auch eine Tochtergesellschaft der Österreichischen Bundesbahnen ein öffentlicher Auftraggeber ist, für den die Vergaberichtlinien der EU zu gelten haben. Die Folge dieses Urteils ist, dass der Wettbewerb für die Bahnhof-City des neuen Wiener Hauptbahnhofs, der als einstufiges geladenes Verfahren mit acht Teilnehmern durchgeführt worden war, für ungültig erklärt wurde und ein zweites Mal ausgeschrieben werden muss. Das ist eindeutig der Sieg einer demokratischen Grundhaltung über das autokratische Selbstverständnis Einzelner, die glauben, sich über verbindliche gesellschaftliche Regeln hinwegsetzen zu können.

Theoretisch öffnet dieser Spruch einer größeren Zahl an Architekten den Zugang zu Wettbewerben. Ob dies auch faktisch zutreffen wird, ist fraglich, denn es ist zu befürchten, dass künftig vorwiegend zweistufige Bewerbungsverfahren ausgelobt werden, in denen die Auswahl der Teilnehmer der zweiten, eigentlichen Planungsstufe nicht über ihr kreatives Potenzial und architektonische Referenzen, sondern über ihre wirtschaftliche Stärke, über Umsätze und Büroarbeitsplätze getroffen wird.

Qualitätssicherung bei Verfahren kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Die Öffnung von Wettbewerben ist eine davon. Projektbezogene, qualitative Auswahlverfahren sind eine andere. Eine wesentliche Voraussetzung für Qualität, sowohl im Entwurf wie auch in der darauf folgenden Realisierung eines prämierten Projekts, stellen die Rahmenbedingungen der Bauaufgabe dar.

Im Schatten der ÖBB-Entscheidung blieb kürzlich ein drastischer Protest gegen Wettbewerbsbedingungen vonseiten der Stadt Wien beinahe unbemerkt. Drei von acht nach einem Bewerbungsverfahren geladene Architekturbüros, darunter fasch&fuchs und Artec, lehnten die Teilnahme am Wettbewerb zur „Bildungseinrichtung Nordbahnhof“ ab, nachdem sie Einsicht in das Verfahren erhalten hatten und zur Überzeugung gelangt waren, dass die vorgegebenen Bedingungen inhaltliche und architektonische Qualität weder im Wettbewerb noch in der weiteren Beauftragung erwarten ließen.

Nicht wenige der Wettbewerbsleitlinien, die vom Wiener Gemeinderat schon 2003 als qualitätssichernde Maßnahme für die Bau- und Vergabekultur einstimmig beschlossen worden waren, wurden bei diesem Verfahren missachtet und Prinzipien wie die Transparenz von Verfahren und die Trennung von Planung und Ausführung, nicht eingehalten. Ein Hearing zur Klärung offener Fragen wurde abgelehnt, obwohl außer Zweifel steht, dass es sich bei einer Bildungseinrichtung um eine gesellschaftspolitisch brisante Aufgabenstellung im Strukturwandel handelt und das Hinterfragen von Vorgaben, Standards und Normen zu neuen Lösungsansätzen führen könnte.

Obwohl weitgehende Aussagen zur Statik und Bauphysik verlangt waren, die nur von Fachplanern erbracht werden können, stellte man Konsulenten weder ein Honorar noch eine Beauftragung in Aussicht. Es erwies sich, dass Fachplanerleistungen bereits vergeben waren. Weiters wurde den Architekten nur die Einreichplanung zugesagt. Begründet wurde die stark eingeschränkte Beauftragung von Planungsleistungen damit, dass das Projekt nach der Einreichung veränderbar bleiben müsse. Dem gesuchten privaten Partner, dem die Rolle des Financiers, Errichters und Betreibers im angestrebten Public-Private-Partnership-Modell zugedacht ist, wurde also ein großer Spielraum für Abänderungen des Projekts eingeräumt.

Nun ist der Architekt in seiner Profession der einzige Partner im Planungsprozess, der Form, Funktion, Konstruktion und die Bedeutung eines Bauwerks in Einklang bringen kann. Dass der Geist einer prämierten Idee verloren geht, wenn seine Position nicht gestärkt wird und er vorzeitig aus dem Planungsprozess ausgeschlossen wird, ist abzusehen. Dass bei ausschließlich kostenrelevanten Überlegungen die Qualität eines Projekts auf der Strecke bleibt, ebenso. Die allzu sehr einengenden Vorgaben bei diesem Wettbewerb weisen auf eine Geringschätzung von innovativen Lösungen mit hoher architektonischer Qualität hin, die unter derartigen Voraussetzungen kaum realisiert werden können.

Einziges Kriterium für das Gelingen dieses Bauvorhabens scheint Wirtschaftlichkeit in Errichtung und Erhaltung zu sein. Dafür bindet sich der „Public Partner“, die Stadt Wien, vertraglich an einen privaten Investor, der die Schule auch erhält und sich in der 30-jährigen Vertragsdauer jede außervertragliche Leistung teuer bezahlen lassen wird. Wie aber kann man heute wissen, welche inhaltlichen Veränderungen mit baulichen Auswirkungen notwendige Reformen des Schulsystems in diesem langen Zeitraum bringen werden?

Es kann nicht sinnvoll sein, wenn die öffentliche Hand ihre Verantwortung für Bau- und Vergabekultur vorrangig in Kostenminimierung sieht und wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens in die Privatwirtschaft auslagert.

Weniger Staat, mehr privat – ein Kernmotto des Neoliberalismus – impliziert die Preisgabe der Oberhoheit über staatliche Kernaufgaben, eine wesentliche Einschränkung des Gestaltungsspielraums und der Anpassungsmöglichkeit an gesellschaftliche Veränderungsprozesse.

Der US-amerikanische Kultursoziologe Richard Sennett nennt den Neoliberalismus eine Mogelpackung, die mehr Freiheit verspricht, in der Realität jedoch ein extrem disziplinierendes System sei. Das Modell einer wirklich guten Schule hingegen muss sich frei entfalten können. Ganz so, wie die Stadt Wien dies noch in vorbereitenden Workshops propagiert hatte.

Spectrum, Sa., 2008.03.15

10. Februar 2008Karin Tschavgova
Spectrum

Eine Stadt nach Wunsch

Ein Investor denkt über einen neuen Stadtteil in Graz nach. Das Ziel: mehr Lebensqualität. Und die Stadtplanung hört wohlwollend zu. Ein neues Modell für Stadtentwicklung?

Ein Investor denkt über einen neuen Stadtteil in Graz nach. Das Ziel: mehr Lebensqualität. Und die Stadtplanung hört wohlwollend zu. Ein neues Modell für Stadtentwicklung?

Graz im Februar 2008. Die Wahl ist geschlagen, die Karten werden neu gemischt. Unter einer neu konstituierten Stadtregierung eröffnet sich die Chance, Positionen und Ziele neu festzulegen und neue Schwerpunkte zu setzen. In keinem Ressort beginnt nach einer Wahl die Arbeit bei der Stunde Null. In der Grazer Stadtentwicklungsplanung vermisst man jedoch längerfristige Zielsetzungen und umfassende Konzepte. In mehreren Vorwahldiskussionen herrschte unter Kritikern Konsens: Die Stadtplanung agiere nicht offensiv, sondern nur reaktiv unter Anwendung bestehender Handlungsmuster. Im Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen verlangen neue Herausforderungen der Stadtentwicklung jedoch nicht nur neue inhaltliche Perspektiven, sondern auch ein geändertes Rollenverständnis der öffentlichen Verwaltung und innovative Planungs- und Steuerungsinstrumente.

Ein Projekt, dessen Entwicklung nicht nur für die Stadt Graz modellhaften Charakter haben könnte, ist die Bebauung der Reininghausgründe – eines Areals im Westen der Stadt, 54 Hektar groß und nur eineinhalb Kilometer entfernt von der Innenstadt. Es ist im Besitz von Asset One, einem Immobilienentwickler, der sich von anderen der Branche schon durch die Gesamtgröße seiner Liegenschaften unterscheidet.

Asset One besitzt 1,2 Millionen Quadratmeter Grund an vier Standorten in Österreich, weitgehend unbebaute Flächen, die nach dem Verkauf der österreichischen BrauUnion an den Heineken-Konzern veräußert wurden. Mehr als Dreiviertel der Flächen sind Bauland, der Großteil davon in Graz. Seit 2005 ist das Unternehmen höchst aktiv. Es lässt nachdenken. Um herauszufinden, wie ein attraktiver, lebenswerter Stadtteil beschaffen sein soll, investiert das Unternehmen viel Geld und verordnet sich Zeit.

Als Output einer ersten prozesshaften Nachdenkphase liegt ein Buch vor: 32 Grazer und Grazerinnen wurden ersucht, eine Redaktion zu gründen und in vier Gruppen „Konzeptionen des Wünschenswerten“ zu erarbeiten. Leben, Arbeit, Bildung und Urbanität waren die Themen der Ressorts – vier europäische Städte das Ziel abschließender Erkundungen vor Ort.

Als Sukkurs dieses Prozesses wurde ein „Netzwerk an Wertebündeln“ herausgefiltert.Es ist ein Manifest in Schlagwörtern, das wieein subversiver Gegenentwurf zu neoliberalenTendenzen einer Gesellschaft gelesen werden kann, aber noch weit davon entfernt ist, einer Stadt der Zukunft Konturen zu geben. Spätestens hier stellt sich angesichts der Komplexität des Themas die Frage, wie es gelingen kann, daraus konkrete stadträumliche Qualitäten zu generieren und diese auf den Stadtteil Reininghaus zu übertragen.

Zwei bis vier Jahre sind für die Nachdenkphase noch eingeplant. Die Grazer Stadtplanung stand der Initiative des Unternehmens, das in die Hand nahm, was eigentlich Aufgabe ihrer Ressorts wäre, von Anfang an wohlwollend gegenüber. Schon in die Zukunftsgespräche waren der Stadtbaudirektor und der Leiter des Stadtplanungsamts involviert, doch nicht etwa in ihrer offiziellen Funktion, sondern als Privatpersonen und Bürger der Stadt. Ein kluger Schachzug des Unternehmens? Jedenfalls ein ungewöhnlicher Schritt wie alles, was bisher an Entwicklungsplanung geschah.

Seit geraumer Zeit ist der Kontakt zum Stadtplanungsamt offiziell, und es gibt regelmäßige Gespräche, in die ein Verkehrsplaner eingebunden ist. Auf die Position der Stadt angesprochen, gibt der zuständige amtierende Stadtrat an, dass man sich die Vorstellungen des Developers einmal anhöre und dass er keinen Sinn darin sehe, große Leitbilder für die Stadt zu entwickeln. Kooperative Gespräche sollen in einen Bebauungsplan münden. Gesetzt den Fall, es gelänge, das Gebiet durch gute Erschließung, optimale Anbindung an den öffentlichen Verkehr und einen ökonomisch attraktiven Bebauungsplan aufzuwerten und den neuen Stadtteil zum Hotspot für Bauträger und Unternehmen zu machen, so wäre ein Ziel, das hinter dem Investment von Asset One steht, erreicht: die Wertsteigerung der Liegenschaften und ein gewinnbringender Weiterverkauf.

Ein Bebauungsplan gibt nur einen groben Rahmen vor – die Garantie für eine „gute Stadt“ wäre damit noch nicht gegeben. Ihr Gelingen hängt von vielen Faktoren ab. Von der Verwertungslogik neu hinzugekommener Investoren und deren gutem Willen, auch Vorgaben ohne gesetzliche Bindung einzuhalten. Dazu zählen, um nur einige zu nennen, architektonische und Freiraum-Qualitäten, die Schaffung öffentlichen Raums, Bau- und Niedrig-Energiestandards oder die Bereitschaft zur Investition in infrastrukturelle Einrichtungen des täglichen Bedarfs.

Die Akzeptanz der Anrainer müsste erreicht werden. Innovative Modelle der Wohnbauförderung müssten erdacht werden und Anreize, auch Wohnraum für mittellose Menschen zu schaffen, damit Segregation verhindert werden kann. Aufgabe der Kommune wäre, für die soziale Infrastruktur dieser neuen Kleinstadt, für Kindergärten, Schulen, Büchereien, Kulturstätten, Begegnungsorte ohne Konsumzwang zu sorgen. Doch wie, wenn das Geld fehlt? Damit Investoren auch in das Gemeinwohl investieren, ist Fantasie vonnöten. Mit herkömmlichen Vorgangsweisen und Planungsinstrumenten kann dies kaum gelingen.

Doch Graz müsste gar nichts erfinden, denn Modelle innovativer Stadterneuerung werden anderswo längst erprobt. Barcelona, das benachteiligte Quartiere durch die Gestaltung von öffentlichen Plätzen gezielt aufgewertet hat, ist Geschichte. Die Planung für das Kabelwerk in Wien Meidling erfolgte nach dem Stakeholder-Konzept, einem Planungsprozess, der unterschiedlichste Interessen bündelt und vom gegenseitigen Nutzen für Unternehmen und Stakeholder (alle Anspruchsberechtigte) ausgeht. Auch ein Projekt für den Stadtteil Lehen in Salzburg wird seit 2004 in einem vielschichtigen, moderierten Verfahren auf Basis eines Masterplans entwickelt. Unkonventionelle Bonussysteme für Unternehmen, welche bereit sind, in Infrastruktur und öffentlichen Raum zu investieren, wurden erdacht. Möglichkeiten werden geprüft, diese in einem verbindlichen, gesetzlich abgesicherten Regelwerk zu verankern. Formen der Energieeinsparung und Einsatz erneuerbarer Energien, die Fördermittel aus EU-Töpfen sichern, wurden integriert. Die Stadt Salzburg untermauert ihr Bekenntnis zur gemeinsamen Anstrengung, Lehen zum Quartier mit hoher Lebensqualität aufzuwerten, durch Investitionen in öffentliche Einrichtungen.

In Graz wären die Voraussetzungen für einen ähnlichen Entwicklungsprozess günstig, denn Asset One zeigt größte Bereitschaft, zu kooperieren. Das Unternehmen erwartet zu erfahren, was sich die Stadt für diesen neuen Stadtteil vorstellt. Ein „Modell Reininghaus“ könnte dessen „zukunftsträchtige und nachhaltige Entwicklung, an deren erster Stelle die Suche nach Lebensqualität steht“, vorbildhaft erarbeiten. Und es könnte synergetisch zum Leitprojekt des „projektA“ werden, dessen Initiatoren Graz 2010 wieder zur Architekturhauptstadt machen wollen. Wenn nicht 2010, dann eben 2017, wenn auf den Reininghausgründen urbanes Leben pulsieren soll.

Spectrum, So., 2008.02.10

25. November 2007Karin Tschavgova
Spectrum

Akribisch, auratisch, magisch

Er gilt als unbeirrbar und kompromisslos: Peter Zumthor. Sein jüngstes Werk, das Kolumba-Museum in Köln, ist ein überzeugender Bau fernab marktschreierischer Methoden.

Er gilt als unbeirrbar und kompromisslos: Peter Zumthor. Sein jüngstes Werk, das Kolumba-Museum in Köln, ist ein überzeugender Bau fernab marktschreierischer Methoden.

Er gilt als unbeirrbar, kompromisslos und schwierig. Wer sich auf Peter Zumthor einlässt, mit ihm bauen will, muss wissen, dass er es mit einem Architekten zu tun hat, der darauf besteht, eine Idee so lange und gründlich zu entwickeln, bis daraus ein bis ins kleinste Detail seinem Anspruch genügendes, „stimmiges“ Bauwerk wird. Mit solcher Akribie, in der Kritiker auch übertriebenen Perfektionismus sehen, ist der Architekt der Autonomie eines Komponisten oder Autors näher als der Haltung eines Architekten, der sich als Dienstleister versteht.

Die Ergebnisse Zumthor'scher Beharrlichkeit können sich sehen lassen: Die Therme Vals, das Kunsthaus Bregenz und nun auch das Kolumba in Köln, von dem hier die Rede ist, sind als auratische Gebilde, denen auf den ersten Blick vielleicht Sprödigkeit anhaftet, magisch anziehend, weil sie selbst dem ungeschulten Blick etwas verheißen.

Vor elf Jahren gewann Zumthor den Wettbewerb für ein neues Museum, in dem die Erzdiözese Köln ihre umfangreiche Kunstsammlung unterbringen wollte. Die Aufgabe war schwierig, weil der Bauplatz kein unbebautes Stück Grund war, sondern ein geschichtsträchtiges Areal, auf dem sich die Mauerreste der im Zweiten Weltkrieg zerstörten gotischen Kolumbakirche mit den 1970 freigelegten Mauern aus 2000 Jahren sakraler und profaner Stadtgeschichte überlagerten. Dazu kam eine beliebte Andachtskapelle von Gottfried Böhm, die 1950 auf dem Ruinenfeld errichtet wurde.

Zumthors Lösung ist ungewöhnlich. Er stellt Alt und Neu nicht als Gegensatzpaar nebeneinander, sondern folgt dem trapezförmigen Umriss der früheren Kirche und baut fugenlos auf den Resten des Mauerwerks auf – ganz so, als sollten die offenen Wunden nun endlich geschlossen werden. Auf Straßenniveau ist das Museum größtenteils ein Überbau, der das archäologische Feld ebenso wie die Kapelle in eine mächtig-hohe Halle einschließt, die Innen- und Außenraum zugleich ist. Ein von einem unregelmäßigen, doch vorgegebenen Lochmuster durchzogenes Filtermauerwerk aus einem eigens entwickelten Backstein umhüllt den Raum, belüftet ihn und erzeugt, je nach Tageszeit und Lichtintensität, feierliches Dämmerlicht oder fröhlich-bewegte Lichtpunkte an den Wänden. Über die Halle wird, absatzlos, nur durch den Wechsel von gelochtem zu massivem Mauerwerk zu erahnen, der eigentliche Ausstellungsbereich geschichtet.

Im Stadtraum präsentiert sich das Museum als hochaufragender, nahezu wehrhaft wirkender Monolith, dessen Gliederung sich auf unterschiedliche Höhen der Dachsaumkanten, auf einen einzigen Rücksprung und auf wenige großformatige Fenster beschränkt, die ohne von außen erkennbare Logik gesetzt wurden. Schon hier zeigt sich das Können des Architekten. Er treibt ein subtiles Wechselspiel zwischen Öffnen und Verbergen, das neugierig macht.

Während der Kapelle, ihrer Bedeutung gemäß, ein eigenes Entree zugestanden wird, ist die große Halle, die auf dem Zickzack eines roten, edlen Holzstegs durchquert wird, nur vom Museum aus zugänglich. Den Eingang dazu muss man erst einmal finden. Keine aufgebrochene Ecke, kein voll verglastes Foyer gibt Hinweise darauf. Der Museumszugang ist ein einfacher, wennauch überdimensionaler Glaseinschnitt in der Fassade, hinter den die Backsteinwand um Gangbreite zurücktritt. Der Besucher wird in einem intimen, von Holz dominierten Raum, der Kasse, Buchverkauf und Garderobe zugleich ist, persönlich empfangen. Danach, in der Ausstellung, ist er auf sich selbst gestellt, muss seiner Intuition und Urteilskraft vertrauen, weil ihm jegliche Erklärung verweigert wird. Die Kuratoren setzen auf die schöpferische Kraft und den ästhetischen Wert jedes Kunstwerks und stellen wie selbstverständlich alte Sakralkunst zeitgenössischen profanen Arbeiten gegenüber – etwa die Holzfigur eines Schmerzensmannes aus dem 16. Jahrhundert den Kreuzbildern von Andy Warhol.

Die 16 Ausstellungsräume im ersten und zweiten Obergeschoß sind stimmig, es gelingt Zumthor grandios, eine Atmosphäre zu erzeugen, die dem Betrachter ermöglicht, Kunst konzentriert und eingehend wahrzunehmen. Er setzt auf wenige übergroße Ausblicke in den Stadtraum, reduziert die Anzahl der Werkstoffe und Farben, vermeidet jegliches Dekor. Die Wirkung schlichter Materialität wird überhöht: Glatte graue Lehmputzwände, homogen gegossene Mörteldecken und feinkörniger Terrazzo bestechen durch perfekte Ausführung, sorgsamste Detailarbeit und feinste Farbnuancierung. Dass man nicht ermüdet, liegt am kontinuierlichen Wechsel von Lichtführung und Lichtdosierung und an der präzise komponierten Folge von Räumen mit unterschiedlichem Zuschnitt. Weihevoll hohe turmartige Räume, die Licht über seitliche Oberlichter erhalten, werden über künstlich belichtete Kabinette erschlossen, die sich um einen zentralen Saal gruppieren. Er endet in Seitenflügeln, die von raumhohen Verglasungen, waghalsig vor die Fassade gesetzt, bestimmt sind.

Kein Zweifel, mit diesem Kunsthaus ist dem Architekten ein Gegenentwurf zu jenen Häusern im gegenwärtigen internationalen Museumsbauboom gelungen, die sich einseitig an Marketingstrategien orientieren und einander im Wettstreit mit formaler Exzentrik zu überbieten suchen. Und dennoch: Wie die Therme Vals und die Bruder-Klaus-Kapelle wurde das Kolumba in kürzester Zeit zum Ziel unzähliger Kunstsinniger. Vielleicht, weil Zumthors Werk trotz seiner jede Beredsamkeit verweigernden Haltung, immer Achtsamkeit ausdrückt und Respekt vor dem Menschen und seinem Bedürfnis, in Räumen aufgehoben zu sein.

Spectrum, So., 2007.11.25



verknüpfte Bauwerke
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln

26. August 2007Karin Tschavgova
Spectrum

Eine vertane Chance

Wie ein vorzügliches Stück Architektur von Kleingeist, Konservativismus und Geschmacklosigkeit zerstört wurde: der Ausbau des Schlosshotels Velden in ein Fünf-Sterne-Hotel.

Wie ein vorzügliches Stück Architektur von Kleingeist, Konservativismus und Geschmacklosigkeit zerstört wurde: der Ausbau des Schlosshotels Velden in ein Fünf-Sterne-Hotel.

Der Neuanfang war vielversprechend – sieht man von generellen Zweifeln am wirtschaftlichen Erfolg eines ganzjährigen Hotelbetriebs der Luxuskategorie am Wörthersee ab. Die Rede ist vom Schlosshotel Velden, einst Hauptdarsteller einer quotenträchtigen Fernsehserie, von seinem Besitzer Gunter Sachs in den Jahren danach im Dornröschenschlaf belassen, weil ihm der Wunsch nach der Untertunnelung der Straße zwischen Schloss und Promenade nicht erfüllt wurde.

2004 kaufte die Hypo-Alpe-Adria-Bank das Schloss im 6,5 Hektar großen Park und erhob seinen Ausbau zum Fünf-Sterne-Hotel mit Appartements zu einem touristischen Leitprojekt. Dass mit ungewöhnlicher Architektur ein Imagegewinn zu erzielen ist, wusste man in der Vorstandsetage, seit Thome Mayne die neue Konzernzentrale in Klagenfurt konzipiert hatte. Für Umbau und Erweiterung des 1890 von einem Wiener Industriellen als Replikat auf die 1762 abgebrannte Khevenhüller-Residenz errichteten Schlosses wurde noch im selben Jahr ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben, der mit David Chipperfield, Future Systems, Ben van Berkel und Skidmore Owings höchst prominent besetzt war. Vier nationale Büros wurden über ein vorgeschaltetes Bewerbungsverfahren ausgewählt.

Die Jury entschied sich einstimmig für den Wettbewerbsbeitrag der Wiener Architekten Jabornegg und Pálffy, die ihren guten Ruf mit einer Reihe bemerkenswerter, sensibel gesetzter Eingriffe in historische Bausubstanz begründet hatten – erwähnt sei die Generali Foundation und die Schoellerbank in Wien. – In Velden beantwortet ihr Entwurf den Wunsch des Auslobers nach einer neuen, Aufbruch signalisierenden Identität des Ortes mit einem präzise gesetzten Ensemble von neuen Baukörpern in klaren geometrischen Formen, die Ordnungs- und Zeichenfunktion haben. Das Schloss wird mit einem weitläufigen Rahmenbau U-förmig gefasst, seine heterogenen Anbauten späteren Datums werden, in das Karree eingeschrieben, in einen neuen inneren Schlossgarten integriert. Lage und Volumen der gezielt in die weitläufige Parklandschaft gesetzten Appartementhäuser sind im Wesentlichen von der Sichtbeziehung zum See bestimmt.

Ein großer Wellnessbereich auf dem Eingangsniveau des Schlosses ist zentraler Kreuzungspunkt eines unterirdischen Er-schließungsnetzes. Das Spa wird so in die bestehende Topografie eingefügt, dass seine Front eine künstliche Hangkante zum See bildet und sein begrüntes Dach mit Pool ein Teil des Schlossparks bleibt, mit dem der Entspannung Suchende über hofartige Einschnitte in das Gelände in Blickbeziehung treten kann.

Jeder, der plant, weiß, dass ein tieferes Eindringen in die Bauaufgabe zur Modifikation eines Entwurf führt. So auch in Velden. Die Durchmischung von Appartement- und Hotelbereich im Rahmenbau fiel, wodurch dieser auf zwei Geschoße reduziert werden konnte (was ihm gut tat), die Appartementzeile im baumbestandenen Teil des Areals wurde durch vier solitäre Baukörper ersetzt. Das nunmehr typologisch entflochtene, in seiner Reduktion beinahe klösterlich schlichte Konzept von Jabornegg und Pálffy bewahrte seine Qualität – vorerst.

Unter der Voraussetzung, dass Ambition und Professionalität von Architekten und Bauherrn mit baukulturellem Bewusstsein und Vertrauen der Letzteren gepaart ist, entstehen nicht selten durch Feinschliff und Detailarbeit im Planungsprozess noch bessere, passgenaue Lösungen. In Velden wurden unter der „mit der Umsetzung strategisch ausgewählter Leitbetriebe des Kärntner Tourismus“ betrauten Hypo-Tochter KHBAG alle Optionen, dem Hotel und seinem Ort eine spezifische Note zu geben, die es unter den derzeit allerorts entstehenden Luxusresorts unverwechselbar positioniert undhervorgehoben hätte, verspielt. Dabei wäre die Architektur von Jabornegg und Pálffy – in ihrer Eleganz, Transparenz und scheinbaren Schwerelosigkeit den Prämissen der Moderne verwandt – geradezu prädestiniert, sommerliches Lebensgefühl am Wasser in Sonne, Licht und Wind zu verkörpern. Sommerfrische – darunter verstanden die Architekten weniger den etwas exaltierten Reiz einer sonnenumspielten Badewanne hinter einer raumhohen Glasscheibe, sondern ganz simple, essentielle Dinge – lichtdurchflutete Gänge, Sichtachsen und Blickbeziehungen von den Stiegenhäusern in den baumbestandenen Hof.

Die alten Bäume sind weg, zum Opfer gefallen der nicht nachvollziehbaren Verlegung der Tiefgarage vom westlichen Vorfeld unter den neuen Schlossgarten. Die Verbindung von der Lobby in den Garten wurde gestrichen. Tageslicht, das von oben den Hauptverkehrsgang zu den Liften, zum Spa und auch zur unterirdischen Verbindung in den Beachclub hätte belichten sollen: unter der Federführung eines beflissenen Projektsteuerers eingespart, ebenso wie die Oberlichtverglasung im Mittelgang des zweihüftigen Trakts, der sich nun als klaustrophobisch dunkler, mit Teppichbodenstückwerk überspannter Zugang zu den Zimmern darstellt, den man lieber meiden möchte.

Nicht gespart wurde hingegen bei der Innenausstattung des Hotels, mit der die Architekten ebenso wenig betraut wurden wie mit dem Umbau der historischen Substanz. Damit beauftragte man den deutschen Hotelausstatter Peter Silling, der sich angeblich weder einer Ausschreibung noch Kontrollen unterziehen musste. Dieser wühlte ordentlich im Fundus von vermeintlich zum luxuriösen Schlossimage beitragenden „Stilmöbeln“ und richtete alles, einschließlich der Suiten und Zimmer im Neubauteil, mit dunklem schwerem Mobiliar ein, das inklusive exzessiv zur Anwendung gekommener furnierter Wandvertäfelungen aus China stammen soll. Das Resultat solcher Fehlgriffe ist eine Allerweltsausstattung, wie man sie in Düsseldorf oder Miami finden könnte. Sie richtet sich nicht nur gegen eine Architektur der transparenten Fronten und fließenden Raumübergänge, sondern gaukelt dem Gast auch in einfallsloser Retromanier vor, in historischem Ambiente zu sein. Die „gute, alte Zeit“ will sich dabei nicht einstellen.

Seiner baukulturellen Verantwortung für eine derart große bauliche Investition ist der Bauherr trotz guten Starts nicht nachgekommen. Was bleibt, ist die städtebauliche Qualität der großen Form mit ihrer ordnenden Wirkung. Was sich nicht einstellen wird in der heterogenen Umgebung des Ortes, ist ein Mikrokosmos von Luxus. Womit die Architekten rechnen müssen, ist die Frage, warum sie so lange still gehalten und mitgemacht haben und sich ein so wichtiges Werk in ihrer Karriere von Kleingeist, Konservatismus und Geschmacklosigkeit zerstören ließen.

Spectrum, So., 2007.08.26



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Schlosshotel Velden

29. Juli 2007Karin Tschavgova
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Der Blick fürs Besondere

Was braucht Architektur nötiger: besseres Mittelmaß – oder spektakuläre Spitzenleistungen? Versuch einer Abwägung.

Was braucht Architektur nötiger: besseres Mittelmaß – oder spektakuläre Spitzenleistungen? Versuch einer Abwägung.

Die Frage des Professors an die Vortragende lautete sinngemäß, ob man nicht, in Anbetracht der großen Zahl von Studierenden des Fachs Architektur, das Niveau des Durchschnitts heben müsse. Eine Frage, durchaus berechtigt, im Prinzip jedenfalls. Gestellt wurde sie vor Kurzem anlässlich der Neubesetzung der Professorenstelle in der Nachfolge von Helmut Richter an der Technischen Universität Wien. Als unmittelbare Reaktion auf den zuvor heftig akklamierten Vortrag der Kandidatin verstanden sie einige der Zuhörer als Gegenposition zum eben Vorgebrachten. Darin wurde Baudrillard zitiert mit philosophisch anspruchsvollen Fragen nach der Existenz von Architektur jenseits ihrer jetzigen Realität – als radikale Herausforderung und nicht nur als Management des Raums. Es wurde von der Bauaufgabe als intellektueller Herausforderung gesprochen und vom Hinterfragen und Ausweiten von Grenzen.

Als der Professor seine Frage präzisierte und auf den Barock verwies mit einem allgemein verständlichen Regelwerk, das auch der Architektur des Alltags dieser Epoche eine hohe Qualität gesichert habe, meinte manch einer im Auditorium, ein Lob auf das Mittelmaß herauszuhören, und wollte die Frage nicht nur als Kontra, sondern als Provokation verstanden wissen. Implizierte sie nicht die Meinung, dass mit einer Architekturauffassung, in der nicht nur die beste, sondern auch eine im Wortsinn außergewöhnliche Lösung für eine Bauaufgabe angestrebt wird, der Durchschnitt nicht „belehrt“ werden könne? Ließ diese Frage nicht den Umkehrschluss zu, wonach sich die Lehre auf einer für alle offenen Universität am kreativen Potenzial des Durchschnitts zu orientieren habe? Und hieße das folglich, dass die dafür adäquate Wissensvermittlung sich auf die Thematisierung von Standards und Reglements beschränken solle?

Zugegeben, nachdem wir in einer Zeit leben, in der das Besondere allzu oft mit dem Exaltierten gleichgesetzt wird, könnte man gegen den Drang nach Besonderem heute eine Aversion entwickeln. Was ist nicht alles – auch in der Architektur – absolut einmalig, „megageil und supercool“, wird zum Superlativ erhoben, zum Event gemacht und zum Teil der Tourismus- und Unterhaltungsindustrie? In Bilbao muss man gewesen sein; neuerdings wäre sogar Wolfsburg eine Reise wert oder Akron in Ohio (USA), das wir erst auf der Landkarte suchen müssten.

Diese aufwendig hergestellten, meist monumentalen Einzelstücke einer zur Kunst erhobenen Architektur erfahren ein enormes internationales Echo, sie ziehen in die Newsrooms der Radio- und Fernsehsender ein und werden ausschließlich über ihren Oberflächenglanz beschrieben wie Pretiosen, mit denen sich Politik und Wirtschaft schmücken können. Der Aktienwert ihrer Architekten steigt mit jedem fertiggestellten „Großereignis“.

Für eine vom Konsum gesättigte Gesellschaft könnte der Wert dieser Bauten, die schon in die Kunstgeschichte eingehen, ehe sie ihre Gebrauchstüchtigkeit bewiesen haben, darin liegen, dass sie den Begriff der Ästhetik in die Gestaltung unserer Umwelt bringen. Die Möglichkeitsform „könnte“ ist verwendet, weil empirische Untersuchungen des deutschen Psychologen Riklef Rambow verdeutlichen, dass diese Architektur, auch wenn die Menschen ihr positiv gegenüberstehen, als etwas Abgehobenes gesehen wird, das sie mit ihrem Leben und ihren Gestaltungsmöglichkeiten nicht in Verbindung bringen.

Für die meisten Menschen ist Architektur nicht mehr als ein selbstverständlicher Hintergrund ihres Alltags. Indem sie uns allerorts umgibt, verankert sie uns in der Alltagswelt, die unsere Aufmerksamkeit für anderes als für Architektur einfordert. Für unser Tun und Handeln ist Architektur ein Rahmen, der Halt und Sicherheit gibt, aber nicht bewusst wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden will. Architektur ist das Vertraute, Bekannte. Deshalb fällt es den meisten Menschen so schwer, neue, noch nicht konnotativ besetzte Architektur anzunehmen. Das trifft, aus den genannten Gründen erklärbar, besonders für Bauten zu, die in ihr tägliches Aktionsfeld gesetzt werden. Fremd und „ungewohnt“ stellen sie eine Irritation per se dar, ihre Ablehnung hat daher nichts mit einem Qualitätsbegriff zu tun, sondern damit, dass noch nicht genug Zeit blieb, sie in die Alltagsroutine einzubetten.

Jedes Bauwerk lebt aus seinem Gebrauchswert, daher sind Funktionserfüllung und Gebrauchsfähigkeit Voraussetzungen für Architektur. Was eine Architektur zur Kulturleistung, zu Baukultur in der Bedeutung gebauter Qualität macht, ist aber weit mehr als das. Eindeutig definierbar ist dieses „Mehr“ nicht, existiert doch darüber weder ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens noch ein gültiger Wertebegriff einer wissenschaftlich fundierten Erkenntnis.

Baukultur schafft und sichert Lebensqualität, stellt der soeben im Auftrag der Regierung herausgegebene Baukulturreport fest. Das Engagement einer Gesellschaft für gutes Bauen wird eingefordert, weil es vom Respekt gegenüber dem Menschen zeugt, seine Bedürfnisse ernst nimmt und mit höchstem Anspruch in Gebautes übersetzt. Der Auftrag ergeht auch an die Universitäten als Teil des gesellschaftlichen Wirkens.

Statik und Hochbaukonstruktion, Materialkunde und Bauphysik müssen selbstverständlich Inhalt der Hochschullehre sein, weil ihre Kenntnis ein solides Fundament ist und dem Studenten ein nützliches Werkzeug in die Hand gibt. Darüber hinaus hat ein Hochschullehrer die Aufgabe, jeden – und nicht nur den talentierten – Studenten zu ermutigen, Wissen und Fantasie einzusetzen, um seine Grenzen zu überschreiten und das unmöglich Scheinende möglich zu machen. Warum? In allen wissenschaftlichen Fächern ist dies der Auftrag zu Erkenntnisgewinnung, Forschung und Fortschritt (Herrje, dieser Vergleich, wo doch die Diskussion darüber, ob Architektur eine Wissenschaft ist, längst nicht entschieden ist). Die Technische Universität muss als höchste österreichische Institution der Architekturausbildung ein Experimentierfeld sein können, auch, um sich abzugrenzen gegen die Pragmatik der Ausbildung an der Fachhochschule und der HTL.

Klar, der Professor als Animateur – das ist mühsam. Sein Bemühen wird auch bei vorhandener Fähigkeit, zu vermitteln, nur bei einem kleinen Prozentsatz von Studenten Erfolge zeitigen. Regelwerke vorzulegen kann dennoch nicht alles sein, denn sie sind Gebrauchsanweisungen und als solche kaum dazu angetan, den Studenten zu selbstständigem Denken anzuregen. Der durchschnittlich begabte Student wird nicht durch Durchschnittlichkeit motiviert, sich mehr an Wissen anzueignen, sondern ausschließlich über die Konfrontation mit Qualität, durch die Kenntnis von Herausragendem. Er muss Blick, Intuition und Verständnis für das Besondere entwickeln können. Das lässt sich kaum im vordergründig Auffälligen finden und gar nicht in mittelmäßiger Architektur, wohl aber in den intelligenten Produkten von alltäglichen Bauaufgaben, von denen im vorangegangenen Vortrag die Rede war. So hätte ich Ihre Frage beantwortet, Herr Professor Franck-Oberaspach.

Spectrum, So., 2007.07.29

01. Juli 2007Karin Tschavgova
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Vom Fordern und Bereichern

Die Architektur als Erzieherin: am Beispiel eines Wohnbaus, der dem Nutzer einiges abverlangt, ihm jedoch auch jede Menge Handlungsfreiheit anbietet. Nachrichten aus der Südsteiermark.

Die Architektur als Erzieherin: am Beispiel eines Wohnbaus, der dem Nutzer einiges abverlangt, ihm jedoch auch jede Menge Handlungsfreiheit anbietet. Nachrichten aus der Südsteiermark.

Es war einmal in den 1980er-Jahren: Der steirische Wohnbau, versehen mit dem Attribut „experimentell“, entwickelte sich zu einem starken Standbein der örtlichen Architekturbewegung und leistete einen wesentlichen Beitrag zum guten Ruf der Architektur in der Steiermark. Es war einmal in den 1990er-Jahren: Erste steirische Geschoßwohnbauten in Holz waren eine Pioniertat, aus der das Land eine Vorreiterposition hätte entwickeln können, wäre systematisch weiter Forschung und Förderung betrieben worden. 2007 ist jeglicher Bonus verspielt, der geförderte Wohnbau ist mittelmäßig und architektonisch ohne Bedeutung. Es überrascht gar nicht, wenn die Jury in der Beurteilung des Siegerprojekts des aktuellsten großen Wohnbauwettbewerbs lapidar feststellt, dass die Qualität der Wohnungsgrundrisse keine Überraschungen birgt.

Man muss den Eindruck gewinnen, dass strukturelles Denken im Wohnungsbau hierorts kaum gefragt ist – und zwar weder bei den Architekten noch beim Land Steiermark als Fördergeber, der aktuelle Wohnbauforschung auf Ökologie und die Reduktion von Energiekennzahlen beschränkt. Von der Mehrzahl der genossenschaftlichen Bauträger ist weder Innovation noch Programmatik zu erwarten. Kein Wunder, dass nicht wenige Architekten von Rang dem derzeitigen steirischen Wohnbau ihre Gefolgschaft verweigern. Andere wiederum suchen sich Nischen, werden selbst zu Bauträgern oder versuchen, mit privaten Bauherren innovative Konzepte zu entwickeln.

Einer von ihnen ist Manfred Wolff-Plottegg. Der Architekt aus Graz und Vorstand des Instituts für Architektur und Entwerfen an der TU Wien hat schon 1991 an seiner ersten Wohnanlage in Graz-Seiersberg gezeigt, dass er den Wohnbau über die Planungsmethode, mit einem prozessualen computerunterstützten Entwurfsansatz, reformieren will. Planung und Ergebnis wurden wertgleich gesehen, Form und Funktion als Produkt von Rechenvorgängen und digitalen Transformationen, die freilich durch den Architekten interpretiert wurden. Was Plottegg in diesem kompliziert klingenden Verfahren entwickeln wollte, waren Grundrisse mit nicht determinierten Räumen, die maximale Offenheit und Freiheit garantieren sollen. Form ist das Ergebnis eines unpersönlichen Entwurfsprozesses, sagt der Architekt, und Funktion entsteht erst aus einer Interpretation der Form oder, anders gesagt, aus der Aneignung durch den Nutzer.

Prallt eine derart unorthodoxe Denkweise auf die starren Vorgaben von Wohnbauförderung und genossenschaftlicher Verwertungslogik, so ist zu erwarten, dass sie nur mit Abstrichen realisiert wird. Dennoch sind alle späteren Wohnungsgrundrisse des Architekten Weiterentwicklungen des frühen Seiersberger Prototypus.

Auf Schloss Eybesfeld in der kleinen südsteirischen Ortschaft Jöß nahe Leibnitz hat Manfred Plottegg im Zuge einer umfassenden Adaptierung von landwirtschaftlichem Gebäudebestand einiges umsetzen können. Die ursprünglich barocke Anlage in einem weitläufigen Parkareal mit Fischteichen und einem jüngst initiierten zeitgenössischen Skulpturenpark wurde nach und nach saniert, revitalisiert und punktuell mit Neubauten ergänzt. Alle bis jetzt erfolgten baulichen Maßnahmen tragen die Handschrift des Architekten, wenn auch die Ausführung durch einen Generalplaner etliche Abweichungen vom Konzept aufweist.

Das Dachgeschoß der ehemaligen Scheunen und Stallungen musste ausgebaut werden, ohne die dem Schloss zugewandten Dachflächen anzutasten. Plottegg hob die nach Westen orientierte Dachhälfte an und entwarf eine asymmetrische Schnittfigur mit Oberlichtband, die den Dachraum umfassend erhellt. Eine von Plotteggs Prämissen, die Offenheit des Grundrisses, manifestiert sich in einer klappbaren Wand aus Holz, die unterschiedliche Raumfigurationen hervorbringt und starre Abgrenzungen zwischen Koch-, Ess- und Schlafraum ersetzen soll. Die Grundrisse im Klauberhof, einem Nord-Süd-orientierten Neubau über bestehenden Fundamenten, wurden aus dem Prototyp mit geringer Tiefe entwickelt. Zwischenwände wurden weiter reduziert und durch freistehende boxenartige Trennelemente ersetzt, die Schrank, Abstellraum oder Garderobe sein können. Bei Bedarf ergänzen raumhohe Türen sie zur geschlossenen Wand. Die Reduktion interner Erschließungsflächen führt zur Maximierung der Nutzfläche innerhalb des gegebenen Rahmens.

Mehrfachzugänge vermeiden Durchgangszimmer, raumhohe Verglasungen stehen anstelle üblicher Fenster mit Parapet und Sturz. Den vorgelagerten Außenraum wertet Plottegg über durchgehende Balkone mit Sonnenschutz-Jalousien in der Brüstungsebene zum integrierten, viel genutzten Teil der Wohnfläche auf.

Ein kürzlich fertiggestellter zweigeschoßiger Riegelbau, der vom Eigentümer ob seiner üppigen Bepflanzung Glyzinienhaus genannt wird, bildet in linearem Zusammenspiel mit einem Erdwall das Tor zum Schlosspark. Auf beiden Längsseiten ist dem Bau eine etwa vier Meter tiefe Stahlkonstruktion vorgestellt – Treppen und Laubengang im Osten und eine umlaufende, offene Vorzone mit unterschiedlich großen, zugeordneten Balkonen auf der Westseite. Innerhalb der beiden Wohnungstrennwände treibt der Architekt den Reduktionsprozess der Grundrisse weiter. Nur die Sanitärräume sind als abgeschlossenes Element räumlich determiniert. Die Verweigerung detaillierter Funktionszuordnung zielt darauf, die Flächen bei Nachfrage auch anders genützt, etwa als Büros vermieten zu können. Auch das ist Nachhaltigkeit im Bauen: auf vielfältige Nutzung vorbereitet zu sein.

Dem Mieter wird bei einem offenen Konzept wie diesem einiges abverlangt. Zugleich bekommt er maximale Handlungs- und Nutzungsfreiheit. Manfred Plottegg unterzieht den Nutzer einer Erziehungsmaßnahme. Er muss sich mit dem Raum auseinandersetzen, um ihn optimal für sich besetzen zu können, und er muss Konventionen und Gewohnheiten wie das Aufhängen von Vorhängen oder das Einrichten nach Schema überdenken. Er muss Distanz und Nähe, Gemeinschaft und Intimität für sich definieren, will er etwa den Mehrwert der großzügigen, der Wohnung vorgelagerten, grün durchwachsenen Zone genießen. Aus solchermaßen Geforderten können entweder Verweigerer werden, die nichts mehr wissen wollen von „moderner Architektur“, oder Bereicherte, die erkannt haben, dass es sich lohnt, Konventionen kritisch zu hinterfragen.

Spectrum, So., 2007.07.01



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Wohnpark Schloss Eybesfeld
„Pflanzenhaus“ Schloss Eybesfeld

27. Mai 2007Karin Tschavgova
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Ländliche Urbanität

Entwickelt aus der Tradition, jedoch keineswegs heimat-tümelnd. Alltagstauglich, aber nicht banal. Über Heinz Wondras Gemeindezentrum für Unterfladnitz und das neue Leben auf dem Land.

Entwickelt aus der Tradition, jedoch keineswegs heimat-tümelnd. Alltagstauglich, aber nicht banal. Über Heinz Wondras Gemeindezentrum für Unterfladnitz und das neue Leben auf dem Land.

Sie klingt anachronistisch, die Rede von der „Ressource Land“, vom ländlichen Raum als Lebensraum der Zukunft, die wieder verstärkt angestimmt wird. Gleicht sie nicht einer Beschwörungsformel zur Abwendung des worst case, der Schreckensvision von einer brachliegenden und entvölkerten Landschaft? Die rückläufige Bedeutung des Agrarischen, das Bauernsterben, erhöhte Arbeitslosigkeit und starke Abwanderungstendenzen junger Menschen aus peripheren Regionen sind Fakten, die sich nicht leugnen lassen.

Die Attraktivität des Lebens auf dem Land ist in erster Linie an verfügbare Arbeit gekoppelt – ohne Arbeitsplätze kein Bleiben und kein Zuzug. Nahezu gleichbedeutend ist das Vorhandensein funktionierender Infrastruktur. Ist eine positive Entwicklung des regionalen Arbeitsmarktes festzustellen, dann sind Gemeinden gut beraten, ihrerseits Anreize zum Bleiben und zur Niederlassung zu schaffen, indem sie vernünftige Maßnahmen zur Stärkung oder Erneuerung kommunaler Strukturen tätigen, die das Leben im Dorf erleichtern. Was bewirkt, dass man sich emotional an einen Ort gebunden und „zu Hause“ fühlt, ist schwer zu fassen und noch viel schwerer zu erzeugen.

Mehr als die Stadt spiegelt das Dorf einen komplexen Kosmos wider, ein Gefüge von ineinander verwobenen Strukturen, gegenseitigen Erwartungen und Abhängigkeiten, das sich dem nicht Ansässigen kaum erschließt. Und dennoch: Erst der Blick von außen – der Blick mit Distanz – ermöglicht, spezifische Ressourcen und Eigenheiten eines Ortes zu erkennen, die das Potenzial in sich tragen, identitätsstiftend zu sein und darauf aufbauen zu können. Genau deshalb erfordert Dorferneuerung ein Eingreifen durch Außenstehende. Den Ortsplanern kommt dabei eine ebenso große Verantwortung zu wie den Architekten.

Unterfladnitz ist ein noch vorwiegend agrarisch bestimmtes Dorf in der Oststeiermark und zugleich der namensgebende Ort im Zusammenschluss von sechs Katastralgemeinden, die gemeinsam 1500 Einwohner zählen. Von der verkehrsgünstigen Lage an der Verbindung der beiden Bezirksstädte Gleisdorf und Weiz, an der sich in den vergangenen Jahren eine nicht unbeträchtliche Zahl von Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben angesiedelt hat, profitiert auch Unterfladnitz.

Nun wurde in dem Dorf, das seine Gemeindeagenden bis dahin von einer kleinen Stube aus wahrgenommen hat, ein Gemeindezentrum eröffnet, das Heinz Wondra geplant hat. Weil dem Ort eine historische Mitte mit Dorfkirche, Pfarrhof und Schule fehlt, hat der Architekt ein Gebäude konzipiert, das in seiner Ausrichtung und Ausstattung mit dem dazugehörigen kleinen Festplatz, dem benachbarten Gasthaus und der dahinter liegenden Bahnstation einen neuen zentralen Ort anbietet. Die Stellung des winkelförmigen Baukörpers wirkt raumbildend. Sie formt einen kleinen Platz, blendet aber auch das angrenzende Gebiet des Landwirteverbands mit einer alles dominierenden Maistrocknungsanlage aus Holz aus.

Die unterschiedlichen Funktionen einer Amtsstube und eines Festsaals werden an den beiden differenziert geformten Gebäudeflügeln deutlich. Das Gemeindeamt präsentiert sich als schlanker, linear ausgerichteter Körper mit geringer Gebäudehöhe, funktionell und schlicht, während der Veranstaltungstrakt durch größere Höhe und eine nicht alltägliche Form geprägt ist, die bescheidene Festlichkeit ausdrücken soll. Die Plastizität des Körpers entwickelt der Architekt aus dem Zuschnitt des Grundstücks und aus der Weiterführung einer Dachschräge, die im Gemeindeamt als Oberlichtverglasung des Flurs in Erscheinung tritt. Am Schnittpunkt der beiden Funktionsbereiche entsteht ein in alle Richtungen durchlässiger, heller Raum mit mehrfacher Konnotation. Er ist Eingang und Warteraum für die Gemeinde und zugleich das Foyer zum Saal, er kann für Ausstellungen oder kleinere Feiern genützt werden und lädt in seiner Offenheit dazu ein, zur Passage vom Lagerhaus zum Gasthaus zu werden.

Der Saal war in der Wettbewerbsvorgabe noch im ersten Stock vorgesehen. Auf Anregung von Heinz Wondra wurde den Wettbewerbsteilnehmern freigestellt, wo sie ihn situieren wollten. In seinem Konzept, der Neuinterpretation eines belebten Dorfplatzes mit vielfältiger Nutzungsmöglichkeit und permanenter Verfügbarkeit, konnte ein Festsaal nur zu ebener Erde sein. Mit einer Abfolge von großen Türen, die sich zum befestigten Vorplatz öffnen, nimmt der Architekt eine Tradition von Veranstaltungen am Land, die sich oft im Freien fortsetzen, auf und schafft ein unprätentiöses Raumkontinuum aus Innenraum, Terrasse, Sitzstufenanlage und kleiner, abgesenkter Festwiese – wohl wissend, dass Orte, an denen vielfältige dörfliche Aktivitäten stattfinden können, identitätsstiftend wirken. Der Saal selbst, bis zu fünf Metern hoch, ist zwischen zwei Betonscheiben aufgespannt. Eine Wandnische, die als Stuhllager dient, ist mit einer raumhohen Holzwand verschlossen, die sich als zweiteiliges Tor entpuppt, das zur Bühnenfassung wird.

Das alles kann als Reminiszenz an früher oft improvisiert eingerichtete dörfliche Veranstaltungsräume gelesen werden, als freie Assoziation an Scheunen, in denen Theater gespielt oder gemeinschaftlich „Woaz“ (Mais) geschält wurde. Entwickelt aus einer Tradition heraus, jedoch keineswegs heimattümelnd rustikal. Die Form des Saals mit der mehrfach geknickten Hülle ist komplex, um das Besondere, das nicht Alltägliche auszudrücken.

Spektakulär und für die Dorfbewohner fremd mag allenfalls seine Außenhaut aus einer beinahe weißen Folie erscheinen, die jedoch ganz pragmatisch aus ökonomischen Überlegungen gewählt wurde – weil die finanziellen Mittel für das Gebäude äußerst knapp bemessen waren.

Als Architektur ist dieser Bau autonom, er folgt keinen Moden und ist nicht in Kategorien wie Traditionalismus, neuer Einfachheit oder neuer Modernität einzuordnen. Hier wurde nicht angestrebt, ein spektakuläres, aus dem heterogenen dörflichen Gefüge herausstechendes Einzelbauwerk zu sein, sondern eines, das sich aus seiner lapidaren Selbstverständlichkeit und Ungeschmücktheit heraus legitimiert, einen angemessenen Beitrag zum kommunalen Leben darstellt – alltäglich in der Bedeutung von alltagstauglich, aber nicht banal.

Spectrum, So., 2007.05.27



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Gemeindezentrum Unterfladnitz

07. April 2007Karin Tschavgova
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Ein Preis hat seinen Preis

Architekturpreise: verdienter Lohn für Talent, Mut und Kreativität? Ein Gradmesser für die Baukultur? Oder doch nur Pausenfüller fürs bunte Event? Über Sinn und Unsinn von Auszeichnungen.

Architekturpreise: verdienter Lohn für Talent, Mut und Kreativität? Ein Gradmesser für die Baukultur? Oder doch nur Pausenfüller fürs bunte Event? Über Sinn und Unsinn von Auszeichnungen.

Preise und Auszeichnungen sind des Architekten Zuckerbrot. Auch wenn sich diese Ehrungen meist nicht direkt geldvermehrend auf das Konto auswirken, sind sie eine unverzichtbare Anerkennung im selbstständigen Berufsleben des Architekten. Preise honorieren Talent und Beharrlichkeit, ja, den oft zähen Kampf des Architekten um architektonische Qualität. Und sie sind der psychohygienische Ausgleich für den in keiner anderen Berufsgruppe auch nur annähernd so hohen Einsatz von Geld und Arbeitszeit für die Teilnahme an unbezahlten Wettbewerben, ohne die viele Architekten kaum eine Chance hätten, je einen größeren Bau zu realisieren. Preise verhelfen dem Architekten zu Publicity und steigern seinen Marktwert. Wird ein Preis nicht nur retrospektiv ausschließlich an etablierte Architekten verliehen wie beim Nobelpreis unter den internationalen Architektenehrungen, dem „Pritzker Preis“, dann kann mit einer Juryentscheidung junges, kreatives Potenzial gefördert werden.

Über die öffentlich gemachte Wertschätzung von herausragenden Einzelleistungen hinaus haben Architekturpreise und Auszeichnungen Bedeutung, weil sie Gradmesser für Entwicklungen und Tendenzen im Bauen und für den Umgang mit der Baukultur eines Landes sind.

Ende März wurde in Graz der „Architekturpreis des Landes Steiermark 2006“ verliehen. Den Preis bekam der Salzburger Architekt Simon Speigner mit seinem Team für eine Lagerhalle im obersteirischen Scheifling. In ihrer Begründung hält die Jury unter anderem fest, dass die scheinbar banale Aufgabe einer Lagerhalle in einer unaufdringlichen Eleganz und durch intelligenten Einsatz von Materialien gelöst wurde (nachzulesen auf www.gat.st). Auch wenn die Qualität des prämierten Bauwerks nicht in Zweifel gezogen werden soll, so lässt sich doch darüber diskutieren, ob mit der Prämierung einer – wenn auch markanten – Hülle eines standardisierten Hochregallagers nicht ein falsches Signal gesetzt wird. Immerhin hat die Architektur in der Steiermark lange Zeit internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil die Arbeit der hier ansässigen Architekten gekennzeichnet war von einem stark ausgeprägten eigenständigen Formwillen, der außergewöhnliche Räume und Architekturen entstehen ließ. Doch Fragen im Kontext mit dem aktuellen Architekturgeschehen der Steiermark werden von der Jury nicht angeschnitten, ebenso wenig wird thematisiert, dass es im Vergleich zu 2004 eine erstaunlich niedrige Zahl an Einreichungen gegeben hat.

Dabei könnte die Vergabe von Auszeichnungen Anlass für Analysen sein, die nicht nur den aktuellen Stand der Architekturproduktion eines Landes (oder einer Baubranche), sondern darüber hinaus auch Handlungsbedarf feststellen und Orientierung für die Zukunft geben. Beim Staatspreis Architektur, der alle zwei Jahre alternierend spartenbezogen vergeben wird, geschieht dies ansatzweise, indem jeweils ein fachlich versierter Referent eingeladen wird. Andere Preisverleihungen hingegen tendieren zur Eventisierung, bei der die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Ehrung, der Architektur, zum Pausenfüller degradiert wird.

Um Reputation und Wert zu erhalten, müssen nicht nur die ausgezeichneten Bauten einem hohen Qualitätsanspruch genügen, sondern auch die Modalitäten von Auszeichnungen. Es beginnt mit den Zugangsbedingungen. Einreichgebühren für die Teilnahme sollten, jedenfalls bei Preisverleihungen durch Industrie und Firmen, abgeschafftwerden. Ein Beispiel: Akzeptanz und Renommee des neuen Holzbaus sind maßgeblich den Architekten zu verdanken, die mit immer mehr qualitätsvollen Holzbauten tägliche Überzeugungsarbeit leisten. Damit tragen sie nicht nur zur Renaissance des Holzbaus hierzulande bei, sondern auch zum Ansehen eines Preises. Sie für ihre Beiträge bezahlen zu lassen – wie beim Steirischen Holzbaupreis – ist daher unstatthaft.

Wertschätzung drückt sich auch in der Bereitschaft des Auslobers aus, in Auszeichnungen zu investieren. Das gilt für Firmen, deren Preise schon allein deshalb mit Geldleistung verbunden sein sollten, weil jedes ausgezeichnete Gebäude auch für das Unternehmen, dessen Materialien oder Bauteile eingesetzt wurden, einen Werbewert darstellt. Seriös ist ein Preis dann, wenn alle Beteiligten für ihren Aufwand angemessen bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass ein Auslober wie das Land Steiermark zwar beschließt, den Landesarchitekturpreis mit einer Donation auszustatten, zugleich jedoch die Bezahlung der Jurymitglieder einstellt. Viel gefragte qualifizierte Architekten werden derartige Jurys dankend ablehnen. Zudem darf weder zeitlicher noch der finanzieller Aufwand für eine Jurierung gescheut werden, um zu ermöglichen, dass alle Objekte, die in die engere Wahl kommen, vor Ort besichtigt werden. Seriös ist ein Preis, wenn die Abgeltung der Rechte für Bildmaterial, das der Veröffentlichung dient, nicht an die Architekten delegiert wird, sondern die Foto-grafen vom Auslober honoriert werden.

Eine angemessene Würdigung ist die eigens erstellte, vielfach zu verteilende Publikation in Form einer gedruckten oder vollständig im Netz abrufbaren Dokumentation. Sie ist oder besser wäre, weil ihre Erstellung nicht selbstverständlich ist, im besten Sinn ein Beitrag zur Architekturvermittlung. Wer recherchiert, bemerkt, dass in beiden Medien kaum einmal die Namen aller Einreicher und Projekte genannt werden, dass oft weder Bewerbungsgrundlagen nochdie Zahl der Einreicher erwähnt werden, im Netz oft Juryzusammensetzung und Fotoquelle fehlen und Archive über Preise früherer Jahre, wenn überhaupt, nur lückenhaft zu finden sind.

Ausschreibungsmodalitäten werden dann lieber verschwiegen, wenn sie die Objektivität der Vergabe von Auszeichnungen schmälern könnten. Um ins Auswahlverfahren für die Beiträge im „Jahrbuch der Architektur“, das vom Haus der Architektur Graz herausgegeben wird, aufgenommen zu werden, muss ein Architekt bereit sein, einen Druckkostenbeitrag für die Publikation zu leisten. Diese selektive, objektive Entscheidungen konterkarierende Maßnahme ist kein Einzelfall. Insider wissen, dass immer mehr Publikationen zur Architektur so zustande kommen. Ein „best architects 07“ befriedigt daher in erster Linie die Eitelkeit der darin genannten Architekten. Ob solcherart Auswahlverfahren dazu beitragen, den Qualitätsbegriff in der Architektur publik zu machen, sei dahingestellt.

Spectrum, Sa., 2007.04.07

14. Januar 2007Karin Tschavgova
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Ein Flügel und offene Arme

Flughäfen sind Transiträume und gelten als klassische Unorte einer beschleunigten Welt. Dass das nicht immer so sein muss, beweist der ausgebaute Airport Graz-Thalerhof.

Flughäfen sind Transiträume und gelten als klassische Unorte einer beschleunigten Welt. Dass das nicht immer so sein muss, beweist der ausgebaute Airport Graz-Thalerhof.

Flughäfen sind Orte, die paradigmatisch für die Mobilität des modernen, global vernetzten Weltbürgers stehen. Heute hier - heute dort, auf der anderen Seite der Weltkugel. Möglich gemacht wird dies durch die ungeheure Beschleunigung, mit der Distanzen heute überwunden und Räume durchmessen werden. Flughäfen fungieren dabei als Transiträume; die Aufenthaltsdauer in ihnen wird von Flugplänen und Transportverordnungen bestimmt. Flughäfen sind quasi exterritoriale Räume, denen Anthropologen jede identitäts- und beziehungsstiftende Funktion absprechen. Tatsächlich ist paradox, wie kontakt- und kommunikationslos das Warten an diesen Orten abläuft. Der Franzose Marc Augé, einer dieser modernen Feldforscher der eigenen Kultur und urbanen Multisozietät, bezeichnet sie als „Nicht-Orte“. Tatsächlich sind zumindest die großen Kreuzungspunkte des internationalen Flugverkehrs eine in sich abgeschlossene Welt in einer immer gleichen Ästhetik von Check-in-Schaltern, Shops, Boarding-Zonen und Leitsystemen. In einer Größe, in der selbst die oft spektakuläre Form der Hülle bei der Annäherung nicht mehr als Ganzes wahrgenommen werden kann, wird der Flughafen verwechsel- und austauschbar. Kleinere Flughäfen haben es da leichter. Selbst wenn sie erweitert werden, bieten Größe und Ausdehnung noch immer die Chance, Übersichtlichkeit im Inneren zu bewahren. Der Fluggast kann über den visuellen Kontakt nach außen seinen Standort im Gebäude verorten und sich orientieren.

Graz-Thalerhof ist so ein Flughafen ohne Transitverkehr, vergleichbar einem Kopfbahnhof. 1989 wurde ein Wettbewerb für eine erste Ausbaustufe des Passagierterminals ausgeschrieben, den das damals noch weitgehend unbekannte Team Florian Riegler und Roger Riewe für sich entscheiden konnte. Die Erweiterung war für ein prognostiziertes Fluggastaufkommen ausgelegt, das noch erlaubte, alle Handlungsabläufe des Abflugs und die Wartezone der Ankunft in Sichtdistanz in einem Großraum zu addieren. 1994 war der Ausbau fertiggestellt, Graz hatte eine architektonisch höchst anspruchsvolle Fluggasthalle, in der funktionelle Differenzierungen und Schwellen zugunsten von Klarheit und Durchlässigkeit mehr gekonnt angedeutet als ausformuliert waren. Ihre maximale Kapazität war jedoch schon im Jahr 2000 erreicht, an einen weiteren Ausbau musste gedacht werden.

Der zweite Wettbewerb wurde von Pittino&Ortner gewonnen, einem Architekturbüro, das vorwiegend im Kommunal- und Bankenbau tätig ist. Die Handschrift des Entwurfs weist auf GSArchitects, das sind Danijela Gojic und Brigitte Spurej, zwei Absolventinnen der Technischen Universität Graz, die bis zur Eröffnung eines eigenen Büros (gemeinsam mit dem Projektleiter des Flughafens, Michael Gattermayer) als Projektteam hinter erfolgreichen Wettbewerben steirischer Büros standen.

Ende 2005 wurde die Erweiterung, die für 1,5 Millionen Fluggäste pro Jahr ausgelegt ist, abgeschlossen. War Riegler Riewes Gebäude ausschließlich geprägt von einer Haltung großstädtischer Distinguiertheit und Eleganz, so setzt dieser Entwurf auf den bildhaften Ausdruck seiner Funktion. Er wird entscheidend geprägt von einem geschwungenen, gekurften, an einem Ende frei auskragenden Dach, das an den Tragflügel eines Flugzeugs erinnert. Dieses überspannt den dominierenden Kern der Erweiterung, einen zweigeschoßigen verglasten Baukörper, an den im Norden und Westen, zum Flugfeld hin, eingeschoßig die Wartezonen des Boarding-Bereichs angeschlossen sind. Zum Vorfeld des Flughafens hin wird der Baukörper in einem stumpfen Winkel geknickt, bevor er, auf einen geschoßhohen Ausläufer abgestuft, unter dem in gleicher Höhe bleibenden Dach endet. Die Richtungsänderung des Daches erfolgt in einer weichen, organischen Linie.

Unschwer lässt sich die Gebäudefiguration hier als Geste des Empfangs, gleich offenen Armen, interpretieren, die die Vorfahrt zur neuen Abfertigungshalle begleitet. Am anderen Ende greift das Obergeschoß der neuen Halle mit ausladendem Dachvorsprung in den Altbau über. Die frühere multifunktionale Halle mutiert zum Ankunftsbereich, der ohne Schwelle mit der leicht abgedrehten hohen Abflughalle verbunden wird. Zu ebener Erde lässt sich alles übersichtlich finden, was mit dem Wegfliegen verbunden ist: Schalter zum Check-in, Sicherheitskontrolle, Information, Wartezonen, ein Café, das offen an die Halle anschließt. Etwas im Abseits ist nur der Flughafenshop. Das Obergeschoß ist durch eine Galerie an der Längsseite mit der Halle verbunden. Über eine der zwei sorgsam positionierten Treppen gelangen Besucher über die Galerie auf eine Aussichtsterrasse, ins Restaurant oder zu Seminar- und Konferenzräumen.

Eine der Qualitäten des Entwurfs ist, dass es den Architekten gelungen ist, die zeitlich und architektonisch differenten Ausbauabschnitte nahtlos ineinanderfließend zu verbinden, ohne ein Gelenk zu installieren. Im äußeren Erscheinungsbild wird die Idee der analogen Fortsetzung - nicht ganz zwingend - angedeutet, indem der wulstartige Dachabschluss des ansteigenden Hallenvordachs von Riegler Riewe für das neue flügelartige Dach kopiert wird.

Aus den schwellenlosen Übergängen und dem großzügigen Volumen der angenehm leeren Halle lässt sich ein weiterer Vorzug dieses neuen Ganzen ableiten: Durchlässigkeit und Bewegungsfreiheit. Räumlich-funktionelle Differenzierungen werden durch die Situierung der Schalter unter der Galerie ausgedrückt oder durch das Abrücken des Cafés in den von der Halle abgewandten, niedrigeren Bereich.

Durchsicht von einer zur anderen Halle ist gegeben, dazu der Überblick im Raum, der Blick von innen nach außen und von unten nach oben. Das macht möglich, wofür das Fliegen an sich steht und was das Warten verkürzt: Bewegung. Am Flughafen in Graz-Thalerhof lässt sich beobachten, dass nicht nur Reisende und ihre Begleiter in Bewegung sind und Gespräche im Gehen stattfinden, auch Besucher sind es, die gar nicht beabsichtigen zu verreisen, sondern den Flughafen, seine Aussichtsplattform, das Café oder Restaurant als Ziel eines sonntäglichen Ausflugs mit Kindern wählen. So gesehen, ist dieser Flughafen weit entfernt von der Unwirtlichkeit, der hektischen Atmosphäre und Anonymität seiner großen Brüder auf der ganzen Welt.

Ein Element des Großstädtischen wird mit der Anbindung des Flughafens durch den geplanten Flughafenast der Koralmbahn entstehen, die dereinst die Stadt mit zwei Haltestellen an den Flughafen anbinden soll. Ein weiteres könnte entstehen, wenn sich der Eigentümer entschließt, auch das Vorfeld des Flughafens adäquat zu gestalten. Der Raum, der durch Parkhaus und Bürogebäude im Süden und die neue Gerätehalle von Markus Pernthaler im Norden aufgespannt wird und in dessen Mitte der Tower von Pernthaler steht, sollte von den billig wirkenden Bauten der Flugschule und des Caterings bereinigt werden, damit einer großzügigen Lösung der Zu- und Abfahrt nichts mehr im Wege steht.

Spectrum, So., 2007.01.14



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Flughafen Graz

08. Oktober 2006Karin Tschavgova
Spectrum

Freiraum und Blickraum

Behinderte Menschen erleben allzu oft Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Eine Sonderschule in Schwechat gibt ihnen den Raum, den sie brauchen.

Behinderte Menschen erleben allzu oft Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Eine Sonderschule in Schwechat gibt ihnen den Raum, den sie brauchen.

Die Schule ist nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensraum für Kinder. Sie ist ein Ort der indi viduellen Lernerfahrung und einer der Begegnung. Architekten können den Unterricht nicht beeinflussen, aber sie können Bedingungen für gutes Lernen schaffen und eine Schule so planen, dass sie ein sozialer Treffpunkt ist und Gemeinsamkeit fördern kann. Typologien des Schulbaus der Nachkriegsmoderne wie die Hallenschule, die Pavillonschule oder die in Österreich nur selten realisierte Freiluftschule stellen so lange relevante Ansätze zum Schulbau dar, solange sie nicht durch radikale typologische Neuerungen einer von Grund auf reformierten Schule des 21. Jahrhunderts ersetzt werden. In solchen Schulen fänden sich vielleicht keine konventionellen Klassenzimmer mehr.

Ein Architekt, der eine Sonderschule zu planen hat, stellt angesichts der Komplexität des Themas „Behinderung“ vermutlich ein repräsentatives Abbild der Gesellschaft dar, die der Vielzahl von unterschiedlichen körperlichen und geistigen Behinderungen unwissend und unsicher, mit Berührungsangst und Vorurteilen gegenübersteht. Sicher ist, dass diese eher seltene Bauaufgabe dem Planer mehr abverlangt als das behindertengerechte Unterbringen von Klassenräumen und therapeutischen Einrichtungen.

Hemma Fasch und Jakob Fuchs, gemeinsam „fasch&fuchs.“, haben für die Sonderschulgemeinde Schwechat, einen Verband mehrerer niederösterreichischer Gemeinden im Einzugsgebiet von Schwechat, eine Schule geplant. Sie haben sich für einen solitären, kompakten Baukörper entschieden, der sowohl von der im Norden angrenzenden niedrigen Vorstadtbebauung abrückt wie auch von der viel befahrenen Hainburgerstraße im Süden, deren Blockrandbebauung in nächster Zukunft vervollständigt werden und somit eine Abschirmung gegen den Verkehrslärm bilden soll.

Das Konzept des Wettbewerbs von 2000 war durch eine signifikante Abstufung der Südfassade mit der Schrägverglasung vorgelagerter Wintergärten und geschoßweise eingebetteten Terrassen charakterisiert. Es erwies sich als erstaunlich biegsam und konnte, neuen Erkenntnissen und Anforderungen folgend, adaptiert und ohne störende Kompromisse beibehalten werden. Eine dieser Erkenntnisse war: Behinderte können sehr empfindlich auf starke Sonneneinstrahlung reagieren. Sieben der insgesamt zehn Klassen für 70 Schüler im jetzigen Schuljahr wurden daher verlegt und sind nun nach Norden ausgerichtet. An die Südfront im Obergeschoß rückten die Direktion, das Lehrerzimmer, ein Mehrzweckraum und zwei Sonderunterrichtsräume für Werken und textiles Gestalten. Diese sind ebenso wie die im Erdgeschoß an der Südseite verbliebenen drei Unterrichtsräume, an die am Ostende eine Therapieeinheit anschließt, mit einem über Dach geparkten, weit ausladenden Sonnenschutz versehen.

Zentrum des Schulhauses ist eine von allen Seiten einsehbare, zwei Geschoß hohe Raumfigur. Sie beherbergt den Turnsaal, der in die sanft abgesenkte Ebene des Untergeschoßes gebettet wurde. Dreiseitig wird die Halle umgeben durch Geräteräume und Erschließungszonen, die nur durch Sprossenwände vom eigentlichen Turnsaal abgetrennt sind, was Tageslicht in die Nebenraumzone bringt.

Im oberen Teil, auf der Höhe des Eingangs, ist das Volumen an drei Seiten von einem Pausenfoyer umgeben und nur andeutungsweise begrenzt durch Glasflächen und textile Schutznetze. Die Absicht ist klar: Das Geschehen im Saal soll uneingeschränkt mitverfolgt werden können. Sitzstufen über die gesamte Längsseite des Pausen- und zugleich Erschließungsraums laden dazu ein. Das Vorbild für diesen durch die Situierung des Turnsaals offenen Typus von Schule ist bereits ein Architektur-Klassiker: die Schule der Ursulinen in Innsbruck von Josef Lackner.

Die Entscheidung, den Turnsaal visuell und akustisch eng mit dem schulischen Tagesablauf zu verknüpfen, war gewagt, weil weder die Lärmentwicklung noch die Reaktion der Schüler voraussehbar war. Die Architekten haben jedoch durch eine klare Zonierung unterschiedlicher Bereiche dafür gesorgt, dass eine Beeinträchtigung von Räumen mit intensiver Lerntätigkeit vermieden wird. Eine Mittelzone mit Sanitär- und Nebenräumen, die über die darüberliegende Terrasse belichtet wird, wirkt als Puffer zwischen der stark frequentierten Pausenhalle und den Klassen.

„fasch&fuchs.“ arbeiten strukturell. Alle erdberührenden Teile sind in Ortbeton ausgeführt, ebenso die Decke über dem Erdgeschoß. Die Aufbauten sind leichte Stahltragkonstruktionen, die wie bei ihrem Entwurf für das Kindermuseum in Graz durch konstruktiv wirksame Mehrschichtplatten in Holz ausgesteift sind. Decken und Wände aus Beton bleiben sichtbar. Das verleiht dem Bau eine gewisse Rauheit, doch wer genau schaut, kann erkennen, mit welcher Präzision einfachste Akustikplatten in die Ausnehmungen des Sichtbetons eingelassen sind. Wenn nichts verkleidet, nichts „beschönigt“ wird, so zeigt dies die Affinität der Architekten zum industriellen Bauen und drückt aus, was Lernen ist: Arbeit.

Atmosphärische Wärme in den Arbeitsräumen des Unterrichts wird durch die helle Holzuntersicht der Decken und Holzböden erzeugt, durch farbige Gläser zur Garderobe und durch verschiedenfarbig tapezierte Polstermöbel, mit denen die Rückzugszonen der Klassen, die in der Gruppenarbeit mit Behinderten unverzichtbar sind, möbliert wurden. Der Luxus optimierter Arbeitsbedingungen liegt in den Wintergärten und Terrassen, die jedem Raum mit Südorientierung vorgelagert sind. Entwickelt seinerzeit aus der Forderung nach Niedrigenergiestandard, sind sie nun Rückzugsort und Abwechslung und kommen dem Bewegungsdrang behinderter Kinder entgegen.

Körperlich oder geistig behinderte Menschen erleben im Alltag ständig Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Teile des öffentlichen Raums und Zugänge ins öffentliche Leben bleiben ihnen oft verwehrt. Die Schule von „fasch&fuchs.“ gibt diesen Kindern und Jugendlichen den Raum, den sie brauchen: Bewegungs- und Begegnungsraum, Blickraum, Freiraum. Nicht durch Bereitstellung von mehr Fläche gelingt dies, sondern durch geschickte Überlagerung von Raumfunktionen, durch Nutzung eines Daches, durch Aufwertung von Raum über „raumvergrößernden“ Lichteinfall, durch Sichtachsen und Durchblick in den Straßenraum. Darin liegt die besondere Qualität der Sonderschule Schwechat.

Spectrum, So., 2006.10.08



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Sonderschule Schwechat

03. September 2006Karin Tschavgova
Spectrum

Fahr'n, fahr'n, fahr'n

Dass eine Autobahnraststätte nicht zwangsläufig wie „Wurstelprater-Architektur“ aussehen muss, beweisen zwei Prototypen in Niederösterreich.

Dass eine Autobahnraststätte nicht zwangsläufig wie „Wurstelprater-Architektur“ aussehen muss, beweisen zwei Prototypen in Niederösterreich.

Zur Steigerung der Verkehrssicherheit sind Europas Autobahnen begleitet von einer kalkulierten Abfolge von Rastplätzen und Raststätten, die dem Reisenden Pausen mit Entspannung ermöglichen sollen. Viele empfinden jedoch die Rast entlang der großen Reiserouten als unwirtlich, die Rastplätze als wenig einladend.

Dass der Erholungswert auch an Österreichs Straßenrändern zu wünschen übrig lässt, weiß man beim Autobahnbetreiber Asfinag nicht nur, weil Autobahnraststätten europaweit anonym getestet werden. Vor einigen Jahren wurde daher die Initiative ergriffen, die Hygiene- und Sicherheitsstandards der Rastplätze, deren Wartung der Asfinag obliegt, zu heben. Rund 100 der bestehenden 200 sollten, in regelmäßigen Abständen von 40 Kilometern, erhalten und ausgebaut werden. Eine Arbeitsgemeinschaft des Ingenieurbüros Rinderer & Partner mit Ernst Giselbrecht und Freilandplanern wurde beauftragt, ein Corporate Design Manual zu entwickeln, in dem Kriterien wie Sicherheit und Hygiene, Regenerationswert, Kommunikations- und Informationsmöglichkeit und die Entflechtung von Fahr- und Fußgängerverkehr berücksichtigt sind.

Giselbrecht schlug einheitliche, zeitgemäße Infrastrukturbauten vor, die einen hohen Wiedererkennungseffekt garantieren und ihre regionale Verankerung in der ortsspezifischen Abwandlung immer wiederkehrender Grundelemente finden. Entwickelt wurden drei unterschiedlich große, zeilenartige Standardtypen in modularer Bauweise, die unter einem Dach jeweils eine Sanitäreinheit mit Wickelraum und Duschen für LKW-Fahrer, einen Verkaufskiosk und einen witterungsgeschützten Freibereich als Zwischenraum enthalten. Für die tragenden Dachelemente und Raumzellen war eine industrielle Vorfertigung vorgesehen, um sie in kurzer Zeit montieren zu können. Die Infrastrukturzeile sollte immer an derselben Stelle, von der Autobahn gut einsehbar und in unmittelbarer Nähe zur Einfahrt und den PKW-Parkplätzen, situiert werden und eine Trennung und zugleich den Übergang zum Grünraum bilden.

Als Prototyp wurde das Konzept erstmals auf den beiden gegenüberliegenden niederösterreichischen Rastplätzen Leobersdorf und Triestingtal realisiert. Die vorgeschlagene Form wurde weitgehend beibehalten, von der Idee der Vorfertigung sah man ab. Geblieben ist die markante Dachform mit dem mehrfach geknickten Abschluss an der vorderen Längsseite - ein Flügel, aber auch eine Geste, die aufgrund der Länge des Daches Bewegung und Geschwindigkeit des Reisenden darstellen soll und letztlich auch die Dynamik des Unternehmens. Hinweise darauf, wo sich der Reisende gerade befindet, geben zwei Elemente: einerseits eine gläserne, mannshohe Vitrine, die die Vorzone der WC-Anlagen zum Rastplatz hin leicht abschirmt und mit für die Region charakteristischen Attributen gefüllt ist - in Leobersdorf mit Stroh, in Triestingtal mit Schotter, der auf nahe gelegene Abbauhalden verweist - und andererseits ein „regionales Fenster“ in Form einer mit Folie hinterlegten Glaswand, die nicht nur den überdachten Freibereich vor Wind und Zug schützen, sondern künftig auch Träger von Informationen über die jeweilige Region sein soll. In Leobersdorf präsentiert sich darauf der Autobahnerhalter, für die Gestaltung der Präsentationsflächen weiterer Rastplätze nach einheitlichen Vorgaben strebt man die Kooperation mit Tourismusverbänden an. Auch die Bewirtschaftung der Kioske scheint komplizierter als im Konzept angedacht, weil bestehende Verträge mit Raststättenbetreibern vielerorts Schutzrechte garantieren, die über eine bestimmte Distanz Konkurrenz verhindern sollen. In Leobersdorf wird der Kiosk von einem Bäcker geführt, dessen Angebot durch gewerbliche Beschränkungen limitiert ist.

„Typen sind Sache der Logik, der Analyse, des gewissenhaften Studiums; sie entstehen aufgrund eines richtig gestellten Problems“, beginnt einer der Leitsätze in Le Corbusiers berühmtem Werk „Vers une Architecture“ (deutsch: Ausblick auf eine Architektur). Vor Ort verstärkt sich der Eindruck, dass die Grundlagenforschung zum komplexen Thema noch nicht bis ins letzte Detail erfolgt ist, dass die Prototypen noch nicht ganz ausgereift und mit Feinschliff versehen sind. Durchaus einladend präsentieren sich die Sanitäranlagen - in formschönem Design, hell und sauber und auch vandalensicher, wenn die Wände künftig mit einem schleifbaren Acrylmaterial ausgestattet sein werden. Eine erste Schwäche zeigt sich darin, dass für Getränkeautomaten, die auch außerhalb der Öffnungszeiten des Kiosks benützt werden, im überdachten Bereich nicht eigens ein Platz ausgewiesen ist. Die Aufstellung von Mistkübeln, Abfallcontainern und der Notrufsäule scheint einem Zufallsprinzip unterworfen. Während im Konzeptpapier der Effekt der Erholung durch Bewegung, Spazierengehen, Spielen und Rasten betont wird, lassen sich der Realisierung weder besondere Ideen noch Bemühungen zum Zweck der Entspannung ablesen. Ein Kinderspielplatz, eine Wiese. Die Gestaltung des Grünraums beschränkt sich im Wesentlichen auf neu gepflanzte Bäume, Grillplätze und ästhetisch anspruchslose Bänke.

„Die Erfahrung legt den Typ dann endgültig fest“, heißt es abschließend in Le Corbusiers Leitsatz, und in diesem Sinne ist zu hoffen, dass den ersten Schritten zur qualitativen Aufwertung der österreichischen Rastplätze, die durch eine neue Ästhetik der architektonischen Gestaltung Zeichen setzen, künftig der Auftrag zur avancierten Gestaltung der grünen Erholungsflächen durch einen Landschaftsplaner folgen wird.

Rastplätze und Raststätten konfrontieren den Transitreisenden das erste und meist einzige Mal mit österreichischer Bauweise. Karl Schwarzenberg bezeichnete einmal Autobahnraststätten als Visitenkarten eines Landes und fragte sich, wieso diese hierzulande aussehen müssen wie „Mischungen aus Schönbrunner Stallgebäuden und Biedermeier-Landhäusern, das ist Wurstelprater-Architektur“. Zugleich bedauerte er, dass Chancen, über die eigene Kleinheit hinauszuwachsen, vergeben werden, wenn die großartige zeitgemäße Architektur, die es hierzulande gibt, nicht als Kulturträger gezeigt wird. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass die Autobahnbetreiber im Auftrag des Bundes löbliche Vorreiter sein könnten, würde die Gestaltung der Autobahnraststätten auch verbindlichen architektonischen Standards unterliegen.

Spectrum, So., 2006.09.03

27. August 2006Karin Tschavgova
Spectrum

Wie viel Mehr verträgt der See?

Der Wörthersee muss boomen. Konzepte für die Bebauung, Auflagen gar, wozu? Wann wird der letzte freie Fleck am See privatisiert sein?

Der Wörthersee muss boomen. Konzepte für die Bebauung, Auflagen gar, wozu? Wann wird der letzte freie Fleck am See privatisiert sein?

Als Kind zur Sommerfrische am See. Jahrzehnte später, auf dem Weg gen Süden, ein nostalgisch- neugieriger Blick auf den Wörthersee, dort, wo Lärmschutzwände nicht den Blick verstellen. Medienberichte über Großinvestitionen von Bauunternehmern und Industriemagnaten lassen darauf schließen: Der See muss boomen, der Tourismus neuen, rosigen Zeiten entgegensehen, denn kein Investor würde auch nur einen Euro in eine Region bringen, der keine Zukunft prognostiziert wird.

Tatsächlich bleiben die Auswirkungen des Baubooms nicht verborgen. Unübersehbar frisst sich am südlichen Ortsrand von Velden ein Kahlschlag den sonst dicht begrünten Hang hinauf. Die deutlich auszumachende Grenzlinie über der Bebauung wurde hier deutlich überschritten. Während die umliegenden Bestandsbauten hinter Baum- und Strauchwerk zurücktreten, stehen die mehrgeschoßigen Punkthäuser der hier entstehenden Appartementanlage wie auf dem Präsentierteller - baum- und maßstabslos - in einer architektonischen Qualität, die kaum über die des sozialen Wohnbaus hinausgeht. Hoffnung, dass derartige Wunden zumindest begrünt werden und einwachsen, besteht kaum, denn Anlagen wie diese, die kaum gewerbliche Ferienwohnungen, sondern vorwiegend Zweitwohnsitze enthalten, werden mit dem Anreiz des Seeblicks vermarktet.

Fährt man das Südufer entlang, das touristisch weniger aufgeschlossen ist, weil der nahe Pyramidenkogel eine Verbauung an vielen Stellen unmöglich macht und die Nordlagen der Ufer früh beschattet sind, so stößt man immer wieder auf Bautafeln für neue Wohnanlagen wie etwa im Dorf Auen. Mit sogenannten Seevillen, eng nebeneinander stehenden Einzel- und Doppelhäusern, die zu Höchstpreisen angeboten werden, wird die Uferzone bis knapp ans Wasser verbaut - auf aufgeschüttetem Terrain, abgetreppt mit überhohen Mauern aus groben Wasserbausteinen, ohne erkennbares Freiraumkonzept und offenbar auch ohne Widmungsauflagen.

Im Zuge zunehmender Deregulierung, heißt es im vom Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer 2005 vorgelegten Weißbuch Tourismus Kärnten, obliegt die Raumordnung immer mehr den Gemeinden, was zwar der Verfahrensvereinfachung dienen mag, sich jedoch negativ auf die räumliche Entwicklung einer Tourismusregion auswirkt.

Die negativen Auswirkungen einer zu großen Zahl anlassbezogener Umwidmungen, wenn Hotels wie in Auen Appartementanlagen weichen und aus Frühstückspensionen in Jahrhundertwende-Villen private Sommerwohnsitze werden, sind für den Landschaftsraum als touristisches Kapital und für die Wirtschaft absehbar. Letzte freie Flächen am See werden verbaut, die wenigen verbliebenen Möglichkeiten eines freien Seezugangs vergeben. Gewerbliche Tourismusbetriebe sind nicht überlebensfähig, wenn die Anzahl der „kalten Betten“ überhand nimmt. Durch deren private Vermietung entsteht „Konkurrenz- beziehungsweise Komplementärverhalten zu den gewerblichen Beherbergern“ (Weißbuch).

Der Bürgermeister von Maria Wörth scheint vom Erfolg des Konzepts euphorisiert, mit dem das ehemalige Hotel Astoria in ein Kur(en)hotel umgebaut wurde, wenn er davon träumt, dass das Südufer zwischen Sekirn und Dellach ganzjährig zur Gesundheitsmeile werden soll. Dazu braucht es nicht nur einen Imagewandel weg vom GTI-Rennen, sondern auch Konzepte, die dem Vorhaben Erfolg und der Gemeinde wie den Tourismusbetrieben Einnahmen sichern. Wer allerdings Bodenpolitik ohne einschränkende Auflagen, wie die Erhaltung der Uferzugänglichkeit für die Allgemeinheit, betreibt, wird später nicht einmal eine Laufmeile den See entlang errichten können.

Entgegen den Empfehlungen im Weißbuch Tourismus, vorausschauend wertvolle Flächen und Immobilien über einen seitens der Politik einzurichtenden „Touristischen Flächensicherungsfonds“ aufzukaufen, um Entwicklungsmöglichkeiten und steuernde Wirkung nicht aus der Hand zu geben, wurde vom Maria Wörther Gemeinderat ein 6,5 Hektar großes, zum Schloss Reifnitz gehörendes Grundstück umgewidmet und mit höherer Baudichte aufgewertet, bevor es samt Schloss günstigst an Frank Stronach verkauft wurde. Dieser legte ein Hotelprojekt vor, das mit 80 Meter langen, fünfgeschoßigen Trakten mönströs überdimensioniert war, vom Konsulenten des Landes für Raumordnung ob der Sensibilität des Bauherrn im Umgang mit Natur und der Kreativität des kanadischen Architekten jedoch gelobt wurde. Der vorläufige Erfolg einer Revidierung und Verkleinerung des Projekts ist den Protesten einer Bürgerinitiative zu verdanken. Absehbar ist, dass seine unfreiwillig karikierende, spekulative Architektur „im Stile der klassischen Wörtherseearchitektur der Jahrhundertwende“ nicht verhindert werden wird.

Für die Sicherung architektonischer Qualität hat man sich entschieden, als man 2004 einen internationalen Wettbewerb zur Erweiterung des früheren Veldener Schlosshotels ausschrieb. Jabornegg&Palffy konnten mit einem städtebaulich überzeugenden Entwurf gewinnen. Im Frühling nächsten Jahres soll das Fünf-Sterne Hotel mit Wellnessbereich und vorerst 25 von 56 im Park errichteten Appartements fertig sein.

Exklusivität und Luxus sind Stichworte, mit denen alle neuen seenahen Quartiere beworben werden. Die angesprochene Klientel ist vermögend, trägt jedoch kaum zur Stärkung der touristischen Infrastruktur bei, da bis heute keine Abgaben für Zweitwohnsitze eingehoben werden. Nutznießer ihrer Kaufkraft sind wenige. Gated Communities wie das Hotel Schloss Seefels mit einer durch Schranken gesicherten Appartementanlage machen deutlich, dass man unter sich bleiben will.

Im Weißbuch wird die Frage, ob bei der künftigen Infrastrukturentwicklung der Schwerpunkt bei der Entwicklung von Großprojekten oder in der regionalen Aufrüstung bestehender Strukturen liegen soll, mit der Präferenz für Letzteres beantwortet. Es wird empfohlen, sich der Mehrheit preisbewusster Gäste zu besinnen, die nicht den Billigurlaub, aber ein leistbares Qualitätsangebot wünschen. Weil es dem vorwiegend kleinstrukturierten Tourismus nicht nur an Kapital, sondern auch an synergetischen Ideen fehlt, wird ein Konzept der „Friendly Beds“, ähnlich dem britischen „Bed and Breakfast“, vorgeschlagen, das Qualitätsstandards und gemeinsames Marketing fördern soll.

Es gibt sicher mehr als ein erfolgversprechendes Konzept. Wer jedoch gutheißt, dass der politische Handlungsspielraum größer ist, solange keine verbindlichen Richtlinien für die räumliche Entwicklung existieren, und glaubt, dass dies der Gesundung des Wörthersee-Tourismus dient, denkt kurzsichtig. Denn wenn erst die letzten hochwertigen Flächen am See durch Spekulanten verbaut und Seezugänge privatisiert sind, dann wird es weder Ressourcen für Strategien der Tourismusentwicklung geben noch Handlungsspielraum für ein erfolgreiches regionales Entwicklungsprogramm.

Spectrum, So., 2006.08.27

15. Juli 2006Karin Tschavgova
zuschnitt

Die Kaprizierte

Die filigrane Erscheinung des Traversina Stegs war geprägt von seiner exponierten Lage, einer tiefen Schlucht am Traversina Tobel, die im Zuge der Rekonstruktion...

Die filigrane Erscheinung des Traversina Stegs war geprägt von seiner exponierten Lage, einer tiefen Schlucht am Traversina Tobel, die im Zuge der Rekonstruktion...

Die filigrane Erscheinung des Traversina Stegs war geprägt von seiner exponierten Lage, einer tiefen Schlucht am Traversina Tobel, die im Zuge der Rekonstruktion eines historischen Wanderwegs auf den Spuren eines römischen Saumwegs gequert werden sollte. Der schwierige Standort verlangte nach einer leichten, vorgefertigten Konstruktion, die per Hubschrauber transportiert werden konnte und vor Ort nur mehr auf die Auflager gesetzt werden musste. Entstanden ist eine äußerst feingliedrige Fachwerkskonstruktion, die den Eindruck vermittelt, dass man nicht einen Stab herausnehmen dürfte, weil sie sonst wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde. Zugleich meint man eine starke innere Spannung zu spüren, den Kräfteverlauf unmittelbar und unverkleidet in Form umgesetzt zu sehen und das sich Stemmen gegen den Wind in der starken Spreizung der Untergurtseile zu erkennen.

Wenn in der materialreduzierten, ephemer wirkenden Stab- Seilkonstruktion auch die ungewöhnlichen Rahmenbedingungen visualisiert zu sein scheinen, so drückt der Traversina Steg doch mit ebensolcher Deutlichkeit und Vehemenz Experimentierfreudigkeit und Formwillen des Ingenieurs aus, der seine Arbeit als Kulturleistung sieht und sich dabei die Freiheit nimmt (und das Vergnügen gönnt), Form als eigenständige Qualität spüren zu lassen. Genau deshalb hätte der Traversina Steg auch ganz anders ausschauen können und so wird nach der Zerstörung der Brücke 1999 durch einen Felssturz der geplante neue Steg, etwa 70 m unter dem ersten, keine Neuauflage des Traversina Stegs sein, sondern sicherlich die Bewältigung einer neuen, mit Conzett'schem Entdeckergeist aufgespürten konstruktiven Herausforderung.

zuschnitt, Sa., 2006.07.15



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Neuer Traversina-Steg



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25. Juni 2006Karin Tschavgova
Spectrum

Eine Bühne fürs Edle

Architecture sells! Auch und gerade in noblen Designerläden. In einem Grazer Ladenzwerg für sündteures Schuhwerk wird das Spiel mit dem Luxus auf die Spitze...

Architecture sells! Auch und gerade in noblen Designerläden. In einem Grazer Ladenzwerg für sündteures Schuhwerk wird das Spiel mit dem Luxus auf die Spitze...

Architecture sells! Auch und gerade in noblen Designerläden. In einem Grazer Ladenzwerg für sündteures Schuhwerk wird das Spiel mit dem Luxus auf die Spitze getrieben. Von der hohen Kunst des Herzeigens und Verbergens.

Die Zauberworte: Markenimage, Corporate Design, Investition in Standort und Architektur. Welt weit setzen Markenfirmen wie Prada auf große Namen und lassen ihre Flagstores von Herzog & de Meuron, Rem Koolhaas oder Toyo Ito planen. Die Architektur dieser hedonistischen Tempel muss, weil es schon lange nicht mehr reicht, nur die Ware auszustellen, Gefühle hervorrufen, die den Wert der Marke unterstreichen. Sie muss sozialen Prestigewert verheißen und sich als Bühne für Selbstinszenierung und Voyeurismus eignen. Architecture sells!

In Graz, das ja doch nur eine „heimliche“ Hauptstadt ist, deckt die Nachfrage nach hochpreisiger Designerware eine Handvoll Anbieter in vorwiegend kleinen Läden. Einen davon, das „Johan“ in der Hofgasse, hat Claudio Silvestrin, der in London lebende Architekt mit italienischen Wurzeln, in der Mitte der 1990er-Jahre geplant. In seiner puristischen Reduktion - Wände, Möbel, Umkleiden und der Boden sind einheitlich grau gespachtelt und wirken wie aus einem Guss - lag das Herrenmodengeschäft damals im internationalen Trend minimalistischer Präsentation von Luxusware, für Graz war es jedoch zu dieser Zeit ganz untypisch. Es hatte ganz und gar nichts von jener barocken Sinnesfreude, die Wolf D. Prix der steirischen Architektur zuschreibt.

Frei von üppiger Dekorationslust zeigte sich auch die erste Nobelboutique, die die eben erst gegründete Gruppe Purpur um die Architekten Alfred Boric und Christian Tödtling 2001 in Graz einrichtete. Aus dem erfolgreichen Konzept ergaben sich weitere Aufträge für drei Geschäfte, darunter die Transformation zweier winziger Gassenlokale in ein kleines, feines Schuhgeschäft. „Albrecht 7“ nennt sich der Ladenzwerg für sündhaft teure Schuhe, der in einer ruhigen Fußgängerzone unweit des Grazer Hauptplatzes liegt. Ein Entwurf, der narzisstisches Sich-zur-Schau-Stellen ermöglicht, war ob der geringen disponiblen Fläche nicht machbar und auch gar nicht erwünscht. Die Forderung des Auftraggebers nach einem intimen Raum, der Diskretion ermöglicht, bei zugleich optimaler Präsentation von Ware und Verkaufsideologie bis in den Straßenraum hinein, führte die vier Büropartner, die Konzepte immer in der Gruppe erarbeiten, zum raffinierten Spiel zwischen wohldosiertem Herzeigen und Verbergen.

Selbstbewusst schiebt sich ein etwa sieben Meter langer kompakter Körper durch die hinter die Fassadenebene gesetzte Glasfront, die dadurch auf eine transparente Fuge zwischen dem dominierenden Möbel aus brüniertem Stahl und der Fassade reduziert wird. Der massige Schaukasten ragt in den Straßenraum, ohne den Boden zu berühren. Die Schwere nehmen ihm die Architekten auch, indem sie seine Front hinter die Decken- und die Bodenplatte zurücktreten lassen und zwischen schmalen Abschlusslinien einen Raum aufspannen, der durch die Plastizität von sechs kleinen Glasvitrinen eine spielerisch-heitere Note erhält. Mit diesen abwechselnd horizontal und vertikal angeordneten, hervortretenden Schmuckkästchen mit verschiedenfarbiger Auskleidung wird das Spiel mit dem Luxus auf die Spitze getrieben. Das Wenige soll Neugierde wecken und dazu animieren einzutreten, was zu beiden Seiten der aughohen Box möglich ist. Zwei Eingänge erweitern den eine komfortable Wegbreite tiefen Bewegungsraum und lassen den Laden zur Passage werden für den, der als Flaneur seine Gestaltgebung oder neue Ware begutachten will. Was sich durch die transparente Glasfuge vage abzeichnet, manifestiert sich innen als strahlend weiße, vielfach geknickte Leichtwand, die dem eigentlichen, unschön gegliederten Raumabschluss über die gesamte Länge vorgesetzt ist. Das mit weißem Textil bespannte hinterleuchtete Faltwerk ist das zweite raumbestimmende Element neben der Box, die hier die Aufgabe hat, in unzähligen Schubladen das exquisite Schuhwerk zu verwahren - gut sortiert und griffbereit. Präsentiert wird die Ware auf einer Horizontalfläche dieses facettierten Gebildes und auf auskragenden Glasablagen neben einer integrierten Sitzfläche. Dass den Wandflächen an den beiden Schmalseiten des Lokals Spiegel vorgesetzt werden, wurde erst auf der Baustelle entschieden. Gespiegelt erzeugt die gekurvte Form der Faltwand einen äußerst reizvollen Effekt: Der Innenraum wird optisch verlängert, ohne ins Unendliche „auszurinnen“ - eine Wirkung, die weder durch Planung noch durch eine Computerzeichnung exakt vorhersehbar gewesen wäre.

Um Entscheidungen prozesshaft optimieren zu können, lässt die Methodik der Arbeit von Purpur zu, in Entwürfen nicht alles zu determinieren, wenngleich wesentliche form- und gestaltgebende Ideen eines Konzepts exakt festgelegt und bis ins Detail durchgezogen werden. Dem Schuhgeschäft in der Albrechtgasse sind zwei Grundideen abzulesen: abwägender Wechsel von Öffnen und Verbergen sowie das Zusammenspiel kontrastrierender Formen, Farben und Materialien, das Spannung erzeugen und den Kauf der exklusiven Ware über das Alltägliche hinausheben soll.

Die „nutzlose“ kristalline Plastizität der Leichtwand gegenüber der Schwere und linearen Strenge des funktionellen Möbels (gemeinsam ist beiden, dass sie zonierend wirken). Strahlendes Weiß gegen gedämpftes Anthrazit. Der Glanz des beschichteten Estrichs gegen die Haptik der im Laugenbad mattierten Oberfläche des Stahlblechs. Die Glätte der Spiegelflächen gegen die Rauheit der bestehenden Wand, deren Reste mehrerer Maldeckschichten von jahrhundertelanger Aneignung erzählen.

Es bedarf schon meisterhaften Könnens, um im Spiel mit Gegensätzen ein in sich geschlossenes Raumgebilde zu erzeugen, um zu vermeiden, dass der minimale Raum durch Kontrastierung segmentiert und durch Detailverliebtheit überladen wird. Es braucht Wissen über die Materialität der Dinge, um taktile Qualitäten von Material und Oberfläche derart wirkungsvoll einzusetzen, und es bedarf großer Sorgfalt und Detailgenauigkeit, um Schnittpunkte und Übergänge so gekonnt zu bewältigen. Für die Lebensdauer eines Schuhladens ist es Purpur unter Vermeidung jeglicher greller Effekte gelungen, eine Architektur der Stimmigkeit zu erzeugen. Hierzulande gilt Geschäfts- und Ladenbau als Talentprobe. Wer es wie Purpur schafft, mit Umbauten für Boutiquen, Apotheken und Bars zu reüssieren, dem ist der Sprung in eine größere Dimension des Bauens zuzutrauen. Einige Bauherren haben das bereits erkannt.

Spectrum, So., 2006.06.25



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ALBRECHT 7

06. Mai 2006Karin Tschavgova
Spectrum

Wem gehört die Stadt?

Die Gestaltung des öffentlichen Raums darf nicht jenen überlassen werden, deren Verschönerungsvorschläge einzig auf die Steigerung des Konsums und auf Maximierung des Profits zielen. Anmerkungen am Beispiel Graz.

Die Gestaltung des öffentlichen Raums darf nicht jenen überlassen werden, deren Verschönerungsvorschläge einzig auf die Steigerung des Konsums und auf Maximierung des Profits zielen. Anmerkungen am Beispiel Graz.

Die Attraktivität der Stadt - ge meint ist die europäische Kern stadt - wird durch ihre öffentli chen Räume und das dort pulsierende Leben charakterisiert. Natürlich haben sich die Touristiker diese Erkenntnis längst zunutze gemacht und weisen im vermarktbaren Bild von der historisch gewachsenen Stadt dem baukulturellen Erbe die Rolle des attraktiven Hintergrunds städtischen Lebensgefühls zu. Historische Bauten allein vermögen jene Atmosphäre nicht herzustellen, die den Reiz einer Stadt ausmacht - es ist die städtische Öffentlichkeit, die stadterhaltend wirkt.

Wie die Stadt hat sich der Öffentlichkeitsbegriff sozialgeschichtlich gewandelt, und man kann heute nicht mehr von der einen bürgerlichen Öffentlichkeit sprechen, die sich des zentralen Marktplatzes als Bühne ihrer Selbstdarstellung bediente, sondern genaugenommen von mehreren Öffentlichkeiten, die in einer Stadt parallel nebeneinander existieren.

Allen den Raumbegriff angeblich revolutionierenden virtuellen Realitäten, den Datenhighways und Cyberspaces zum Trotz ist der öffentliche Raum bis heute Bühne kultureller Repräsentation. Stadtbildend ist nicht nur die Konzentration vieler Funktionen auf engem Raum, auch die intensive Nutzung der „Stadtlandschaft“ - der Plätze, Straßen, Parks und zentrumsnahen Naturräume - durch ihre Bewohner macht Urbanität aus. Daraus lässt sich schließen, dass die europäische Kernstadt ihren Bewohnern öffentliche Räume als „soziale Orte“ in möglichst großer Diversität anbieten muss, will sie als vitaler Organismus überleben.

Glücklich die Städte, deren gewachsene Strukturen so starke Attraktoren darstellen, dass sie der drohenden Entleerung der Zentren entgegenwirken können.

Graz ist (noch) so eine Stadt. Auch vor ihr hat die europaweite Suburbanisierung, die Abwanderung innerstädtischer Bewohner in Randbezirke und Umlandgemeinden, nicht Halt gemacht. Dennoch: Obwohl die Zahl der Bewohner des Zentrums kontinuierlich sinkt, ist die Innenstadt belebt. Mögliche ausschlaggebende Faktoren sind historisch und kulturell begründet, stehen in Zusammenhang mit der Stadtgröße und der zentrumsnahen Lage ihrer Gründerzeitviertel. Faktum ist: Graz besitzt mit seiner baukulturell bedeutenden Altstadt eine touristische Attraktion. Mit Burg und Landhaus als Schaltstellen der politischen Macht der Steiermark und dem Rathaus sind die drei wichtigsten Verwaltungs- und Dienstleistungseinrichtungen im Zentrum vereint.

Graz ist eine Studentenstadt. Mehr als 35.000 junge Menschen verteilen sich auf drei Universitäten, deren Hauptstandorte trotz Expansion zentrumsnah erhalten geblieben sind. Die Stadt hat ihre innerstädtischen Plätze nach dem in den 1980er-Jahren vom damaligen Vizebürgermeister Edegger initiierten Gestaltungsprogramm „Platz für Menschen“ in verkehrsberuhigte Außenräume umgewandelt, die nicht nur attraktiv sind, weil historische Fassaden ihre Rahmung bilden, sondern auch weil das beinahe mediterrane Klima des Grazer Sommers ermöglicht, aus Straßen- und Platzräumen öffentliche „Living Rooms“ zu machen.

Graz gilt vor allem aufgrund seines vielfältigen Angebots an Frei- und Grünräumen, die fußläufig erreichbar sind, als Stadt mit hoher Lebensqualität. Wer genau schaut, bemerkt jedoch, dass auch hier der öffentliche Raum einer Transformation unterliegt, die seine Nutzungsoffenheit einschränkt. Einkaufen und Spaß haben sind gängige Leitbilder der Erlebnisgesellschaft. Auch in Graz glaubt man, die Stadträume durch temporäre Ereignisse in Szene setzen zu müssen, um sich gegen die Konkurrenz der bequem zu erreichenden, allwettertauglichen Erlebnisräume der Shoppingcenter behaupten zu können. Im Jahreskreis sind Stadtmarathon und Beachvolleyball, Hamburger Fischmarkt und die Präsenz steirischer Biobauern, „Aufsteirern“ und Adventmarkt kommerzialisierte Veranstaltungen, die den Kaufkraftabfluss aus dem Zentrum stoppen sollen. Zu einer erstarkten Identität verhelfen sie der Stadt sicher nicht. Für den Innenstadtbewohner wie für den Stadtliebhaber sind diese lärmigen Events mit all ihren lästigen, den Bewegungsradius einschränkenden Begleiterscheinungen nichts als ein Ärgernis. Die totale Verkommerzialisierung der Stadt führt dem Citoyen ohnehin der tägliche Hindernislauf in der Fußgängerzone vor Augen, wo Verkaufsmöbel aller Art neben Werbetafeln Gehsteige und Wege verstellen.

Kein Wunder, dass der passionierte Grazer sich skeptisch gegenüber dem Ansinnen einiger Gastronomen am Freiheitsplatz zeigte, die Platzausschmückung selbst in die Hand zu nehmen, nachdem der vorangegangene Umbau des Platzes durch die Stadtbaudirektion keinerlei Gestaltungsambition erkennen ließ. Auch wenn ein Platz nicht alle Partikularinteressen vereinen kann, so darf die Gestaltung des öffentlichen Raums nicht jenen überlassen werden, deren Verschönerungsvorschläge ausschließlich auf die Steigerung des Konsums und auf Profitmaximierung zielen. Straßen, Plätze und Parks müssen frei zugänglich bleiben und freigehalten werden von Konsumzwang, denn sie sind traditionell fast die einzigen Orte, die jedem zur Verfügung stehen, um sich zu inszenieren, zu sehen und gesehen zu werden.

Dass die Unterordnung öffentlicher Belange, Interessen und Räume unter die Verwertungslogik einer Stadt weitreichende Folgen für die gewachsenen Strukturen haben kann, zeigt als aktuelles Beispiel die „Wiederbelebung“ des Hilmteichs, eines von Spaziergängern und Läufern stark frequentierten Grazer Naherholungsgebiets. Das Restaurationsgebäude wurde vom Besitzer, den Grazer Stadtwerken, nach Jahren mit glücklos agierenden Pächtern an einen namhaften Blumen- und Gartenbetrieb abgegeben, der das Gebäude für seine Zwecke adaptierte und sich dabei den großzügigen Vorplatz zum Teich als Präsentationsraum im Freien einverleiben durfte. Dieser Vorplatz, im Sommer traditioneller Wartebereich für die Bootsfahrt und im Winter als Schuhwechselplatz und Einstieg für Eisläufer genutzt, wurde damit als öffentlicher Raum eliminiert. Der verbleibende Durchgang ist eng und pfercht den Strom von Spaziergängern mit Kinderwagen, Rad fahrenden Kleinkindern und Hunden in einen käfigartigen Korridor zwischen Zaun und Geländer.

„Die Reformulierung der Stadt europäischen Typs beginnt mit der Wertschätzung des Raumes als Medium der Kommunikation, der sozialen Interaktion und der Identifikation. In diesem Sinne brauchen Handel und Stadt einen dritten Partner - und dies ist der Typ des ,Städters', der als gesellschaftliches Wesen agiert, kultivierte Orte und Räume braucht, um sich selbst darin zu finden, Schönheit genießt und Kreativität anderer sucht, auch weil dies, alles zusammengenommen, zu den Produktivitätsfaktoren der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zählt“, schreibt Wolfgang Christ, Architekt und Städtebauprofessor in Weimar. Der Bewohner des Stadtzentrums muss Akteur bleiben können. Will die Stadt ihn halten, so muss sie ihm freien Bewegungs- und Handlungsraum bieten. Wird er an den Rand gedrängt, so geht er - an den Stadtrand.

Spectrum, Sa., 2006.05.06

27. März 2006Karin Tschavgova
Spectrum

When I get older

Wer für alte Menschen bauen will, muss etwas über das Altern wissen. Dietger Wissounig zeigt, dass ein Seniorenheim keine triste Verwahrungsstätte sein muss.

Wer für alte Menschen bauen will, muss etwas über das Altern wissen. Dietger Wissounig zeigt, dass ein Seniorenheim keine triste Verwahrungsstätte sein muss.

Wir werden immer älter. 2050 wird ein Sechstel der Österrei cher über 75 sein - eine für den Einzelnen erfreuliche Perspektive, die für die Gesellschaft aus heutiger Sicht jedoch erschreckend sein muss. Wer wird all diese alten Menschen betreuen und ihnen altersadäquate Wohnformen bieten? Die Segregation der Alten wird auch im ländlichen Raum zur Norm. Wo früher mehrere Generationen, unter einem Dach vereint, gegenseitig Hilfe geleistet haben, leben heute Klein- und Kleinstfamilien separiert im Einfamilienhaus. Ist ein alter Mensch alleinstehend, so ist er häufig auf Hilfe gegen Bezahlung angewiesen. Altenhilfe wird zur öffentlichen Angelegenheit. Die Länder lagern diese in kirchliche Einrichtungen, Sozialhilfeverbände und Vereine aus, denen langfristige Darlehen zur Errichtung von Pflegeplätzen gewährt werden.

Schon in den 1990er-Jahren wurden in Vorarlberg Altenpflegekonzepte mit hohem Anspruch an die Architektur erarbeitet, um aus Verwahrungsstätten für alte Menschen Einrichtungen zu machen, die nicht als triste Endstation empfunden werden. Beispiele wie in Feldkirch, wo den Bewohnern der Heime von Rainer Kölberl und Noldin&Noldin durch die zentrale Situierung der Häuser die Teilhabe am kleinstädtischen Leben weiterhin ermöglicht werden sollte und Einrichtungen wie Postamt, Bibliothek oder ein Café integriert wurden, waren Vorgaben für Standards in anderen Bundesländern.

In Kärnten hat der in Graz ansässige Architekt Dietger Wissounig nun mit einem Altenwohn- und Pflegeheim auf sich aufmerksam gemacht. Dieses Erstlingswerk in Steinfeld im Oberen Drautal hat 2005 den Architekturpreis des Landes und den Kärntner Holzbaupreis zugesprochen bekommen. Der auf den ersten Blick monolithisch wirkende Bau steht abgerückt von der Straße am Ortsrand, umgeben von saftigen Wiesen und Wald, in seiner Nähe nur die Volksschule und eine als öffentlicher Park angelegte große Grünfläche mit Teich. Isolation soll verhindert werden, indem „hausfremde“ Funktionen angeboten werden.

Hortschüler kommen täglich zum Mittagessen, der Ortsgottesdienst wird fallweise in der hauseigenen Kapelle abgehalten, und die Einrichtung der örtlichen Bibliothek im Haus ist geplant. Das Bauwerk präsentiert sich als kompaktes Volumen mit Anmut und Leichtigkeit. Hermetisch und schwer wirkt nur die zur Straße gewandte Nordseite, die sparsam Einblicke gewährt, weil sich hinter ihren Lamellen Pflege- und Verwaltungseinrichtungen verbergen. Und doch entsteht der Eindruck eines schwebenden Baukörpers nicht nur, weil der dem betonierten Sockelgeschoß aufgesetzte Holzbau allseitig auskragt, sondern auch, weil der Architekt es verstand, drei der Fassaden mit einer spielerischen, dabei präzisen Setzung großzügig verglaster Öffnungen und mehrerer raumtiefer Einschnitte für Loggien durchlässig und leicht wirken zu lassen.

Die landschaftliche Schönheit des Drautalbodens bestimmt den Grad der Öffnung des Altenheims nach außen. Die Offenheit im Inneren versetzt den Besucher erst einmal in Erstaunen. Wissounig löst den außen wie aus einem Guss wirkenden, langgestreckten Baukörper auf, indem er ihn der Länge nach mit zwei Bewegungsachsen durchschneidet; das daraus entstehende innere Volumen - der Kern - wird zum mehrgeschoßigen Atrium. Bis auf Brücken, die die Ebenen im ersten und zweiten Obergeschoß von Ost nach West verbinden, und raumhohe Bepflanzung bleibt das Atrium frei von Einbauten. Es bringt alle Ebenen in Sichtbeziehung zueinander.

Ein offenes Raumkontinuum von Windfang, Gang, Foyer und großem Saal eröffnet den Rundgang auf der Eingangsebene. Die beiden darüberliegenden Pflegeeinheiten sind ringförmig um diese immergrüne Insel angelagert. Ihre Wegeführung ist eine großzügig dimensionierte Bewegungszone, die zum Wintergarten verglast ist. Bezug zum Außenraum stellen die offenen Tagesräume als Übergänge zu den geschützten Terrassen dar, mehr noch achsiale Durchstiche bis zur Fassade, die reizvolle Bildausschnitte der Landschaft ins Haus holen.

In die Architektur des Altenheims Steinfeld ist das Wissen um Bedürfnisse, Vorlieben und sich bis ins Alter erhaltende Fähigkeiten subtil eingeschrieben. Für einen Teil der 50 Bewohner wird „ihre“ Einheit mit Pflegestützpunkt und der Möglichkeit, in den mit Küchen ausgestatteten Aufenthaltsräumen selbst zu kochen, zur neuen Welt.

Rückzugsmöglichkeit bieten (wie in anderen Häusern auch) Ein- und wenige Zweibettzimmer mit Hotelstandard in einer Größe, die erlaubt, ein eigenes Möbelstück mitzubringen. Wissounig hat Atmosphäre mit der Farbigkeit des Holzes erreicht und die raumhohe Verglasung zum individuell zu gestaltenden Objekt mit Regalfächern und lichtdurchlässigen Schiebeläden aufgewertet. Der Kenntnis über den Wandertrieb demenzkranker Menschen entsprechen die beschriebenen Rundgänge, die mit vielen Durch- und Ausblicken jedem ermöglichen, das Geschehen im Haus zu überblicken. Üppiges Grün bietet das Atrium, das als Klimapuffer fungiert, aus dem vorgewärmte oder -gekühlte Luft, über Erdkollektoren eingebracht, in die Wohnräume geleitet wird. Für Niedrigenergiestandard des gekonnt detaillierten Holzbaus sorgt neben der kontrollierten Belüftung eine Reihe energiesparender Maßnahmen, deren Mehrkosten in zehn Jahren amortisiert sein werden. Kalkuliert wurde beim Pflegeheim Steinfeld sehr genau, obwohl man dies der hohen Ausführungs- und Ausstattungsqualität nicht ansieht. Die Baukosten Euro pro Bett sind, obzwar hoch, deutlich niedriger als bei den Vorarlberger Beispielen, die in einer Zeit gebaut wurden, als die Frage der Kosten einer überalterten Gesellschaft noch nicht omnipräsent war.

Spectrum, Mo., 2006.03.27



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Altenheim Steinfeld

18. Februar 2006Karin Tschavgova
Spectrum

Bauen fürs Feuilleton

Muss (gute) Architektur nicht auch (gut) nutzbar sein? Warum die mediale Wahrnehmung und Bewertung eines Objekts und sein „Realwert“ für den Bauherrn mitunter so weit auseinander klaffen.

Muss (gute) Architektur nicht auch (gut) nutzbar sein? Warum die mediale Wahrnehmung und Bewertung eines Objekts und sein „Realwert“ für den Bauherrn mitunter so weit auseinander klaffen.

Die Reaktionen gleichen einander. Wer dem Bauherrn des außergewöhnlichen Hauses vorgestellt wird, das die Architekturseiten der Tageszeitungen genauso füllte wie die Fachmedien, der gratuliert diesem erst einmal und verneint im nächsten Moment die Frage, ob er das viel gerühmte Werk schon vor Ort besichtigt habe, wie selbstverständlich. Er kenne es jedoch aus Publikationen und finde das auch von öffentlicher Stelle ausgezeichnete Bauwerk toll - fallweise auch den Mut des Auftraggebers. Bauherren, die sich ihrer Rolle als Ermöglicher von Baukultur bewusst sind, noch dazu auf dem Land, wünsche man sich häufiger.

Der solcherart Geehrte lächelt gequält, weiß er doch am besten, wozu seine Offenheit gegenüber zeitgenössischer Architektur und sein Vertrauen in ein noch nicht arriviertes Architektenteam geführt hat.

Was ist passiert? Herr X. hat Pech gehabt. Er ist an Architekten geraten, die seinen Wunsch nach besonderer Qualität mit einer auf Bildwirkung konzipierten Architektur beantwortet haben - in der Hoffnung, damit aufzufallen und in der hall of fame der Architekturgeschichte Aufnahme zu finden. Das wäre legitim, hätte der Auftraggeber seinerseits bekommen, was er wollte: ein gleichermaßen außergewöhnliches wie funktionstüchtiges Haus. Dem Eigentümer gelingt es jedoch nicht, seine Wohnungen problemlos zu vermieten, weil deren Gebrauchswert aufgrund von überbetontem Formstreben und theoriegespickter Extravaganz auf ein Maß reduziert ist, das Interessenten abschreckt. Während Herr X. sich mit Absagen, zusätzlichen Kosten, Mängeln und der Sorge herumschlägt, dass sein Bau noch vor der Abzahlung der Kredite ein Sanierungsfall sein könnte, scheint das Kalkül der Architekten aufzugehen. Auf eine Personale bei einem renommierten überseeischen Architekturfestival folgen Ausstellungsbeteiligungen und Einladungen zu Vorträgen.

Die mediale Wahrnehmung und Bewertung des Objekts und sein „Realwert“ für Eigentümer und Nutzer klaffen weit auseinander. Die Enttäuschung des Bauherrn ist zwar ein individuelles Schicksal, ein Einzelfall ist es jedoch nicht, wie die Architekturgeschichte zeigt. Mies van der Rohes 1951 fertig gestelltes „Farnsworth-House“ in Illinois wurde als wohl radikalstes Glashaus, das je gebaut wurde, weltweit bewundert und ausgezeichnet und damit zur berühmtesten Ikone der Moderne. Seine Auftraggeberin, die Ärztin Edith Farnsworth, hat hingegen beklagt (und Mies geklagt), dass das Haus unbewohnbar, weil „durchsichtig wie ein Röntgenblick“ sei, zudem nicht ausreichend beheizbar und mit der ausschließlich von Mies bestimmten Möblierung nicht ausreichend funktionell. Noch heute beschränken sich die meisten Publikationen des Ferienhauses auf eine bestechende Bildästhetik, während die heiklen Punkte verschwiegen werden oder durch eine Bewertung umgangen, die zwischen Architektur und ihrem Gebrauch eine Trennlinie zieht. - Die Konzernzentrale der Hypo Alpe-Adria Bank in Klagenfurt von Thom Mayne ist ein zwischen Skulptur und bewegter Raumhülle oszillierendes Bauwerk, das die Expansionsdynamik des Unternehmens bestens zum Ausdruck bringt. Diese Qualität wurde von den Kritikern einhellig erkannt und zu Papier gebracht.

In kaum einem der zahllosen Fachbeiträge wurde jedoch erwähnt, dass durch die vom Architekten gewollte Schichtung der Außenwand in zwei Ebenen die nach Norden gerichteten Büroräume nur unzureichend belichtet sind. Was für das Komitee, das dem Architekten im vergangenen Jahr den bedeutendsten unter den Architekturpreisen, den Pritzker-Preis, verliehen hat, vermutlich eine Lappalie wäre, stellt für den Büroangestellten der Bank ein Berufsleben lang eine Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzqualität dar. Er wird seine Empfindungen in den Lobreden der Architekturkritiker genauso wenig wiederfinden wie der durchaus gegenüber Neuem offene, eingangs genannte Bauherr. Der hatte angesichts der Phalanx von positiv rezipierenden Fachleuten als Laie gar nicht den Mut, die Frage zu stellen, die sich ihm aus der eigenen Bauerfahrung heraus aufgedrängt hat: Muss (gute) Architektur nicht auch (gut) nutzbar sein?

Herr X. zählt nicht zu dem Typ von Bauherren wie jene japanischen, von denen berichtet wird, dass sie sich ein Haus von Architekten planen lassen, einzig, um auf die Titelseiten der angesehensten Hochglanzmagazine zu kommen. Bewohnbarkeit ist kein Thema. Es wird nur ein Anspruch an das Bauwerk gestellt: dass es extravagant, auffallend und gut abzulichten sei.

Der mediale Starkult hat auch vor der Architektur und vor den Architekten nicht Halt gemacht. Was Sir Norman Foster beim feinen Dinner bevorzugt, erfährt man am nächsten Tag in den „Seitenblicken“ britischer Privatkanäle. Bauten werden auf ihre Bildwirkung hin entworfen und schon lange, bevor sie realisiert sind, über virtuelle Schaubilder vermarktet. Die wiederum zeigen ein Ideal, das weder den Gesetzen der Schwerkraft oder der Wohnbauförderung noch pekuniären Beschränkungen folgt. Liegt erst das gebaute, mit allen Realzwängen belastete Ergebnis vor, dann kann passieren, dass sich für die wenig mehr als 20 Wohnungen im Spittelauer Wohnbau von Zaha Hadid, für die vor Planungsbeginn angeblich 800 Interessenten vorgemerkt waren, keine Käufer finden.

Im Zeitalter von Icons und Marken zählt das Bild mehr als das Ding dahinter. Deshalb müssen Bauwerke für den schnellen, kurzen Blick „etwas hergeben“, spektakulär und einzigartig sein. Nicht selten führen von Architekten geplante Häuser ein Doppelleben. Sie haben ein reales, funktionsgeprägtes Alltagsdasein mit Schwächen und Unzulänglichkeiten und werden von den Nutzern okkupiert und verändert, nicht immer im Sinne ihres Erfinders. In Publikationen werden sie als unbefleckt-frische Architekturikonen festgehalten, frei von Spuren des Gebrauchs und der Alterung, oft sogar ohne Möblierung. Störendes in ihrer Umgebung wird ebenso ausgeblendet wie Kompromisslösungen oder nicht gelungene Details.

Zu so selektiven Wirklichkeitsausschnitten passen keine kritischen Töne. Das mag ein Grund sein, warum in Fachzeitschriften wie in Tageszeitungen kritische Würdigungen und Analysen von Architektur Mangelware sind. Eine Begründung kommt immer wieder: Offenes Ansprechen von Fehlern und Fehlentwicklungen käme einer Nestbeschmutzung gleich, die die Bemühungen vieler mit Architektur befasster Institutionen um eine Qualitätssteigerung durch Beauftragung von Architektenleistung torpediere. Kann sein. Allenfalls lässt sich differenzieren zwischen der Architekturpublikation im Feuilleton und der in der Fachpresse. Hat Erstere die Aufgabe, für eine Verbreiterung von Wissen und Bewusstsein über zeitgenössische Baukultur zu sorgen, so sollte Letztere offen und differenziert berichten und fachlichen Diskurs fördern. Beschönigende Texte erweisen der Architektur ebenso einen Bärendienst wie oberflächlich in Szene gesetzte „Landmarks“ gebauter Architektur. Beide verstellen den Blick auf das, was die Qualität von Architektur über modische Kurzlebigkeit hinaus ausmacht: Raumwirkung, Materialität, Detailausbildung und - ihre uneingeschränkte, individuell bestimmte Bewohnbarkeit.

Spectrum, Sa., 2006.02.18

28. November 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Alles Licht!

Nachteile produktiv nützen, Erschwernisse zu Qualitäten umformen: der Erweiterungsbau zum Landeskrankenhaus Knittelfeld, gestaltet von fasch&fuchs in Zusammenarbeit mit Lukas Schumacher.

Nachteile produktiv nützen, Erschwernisse zu Qualitäten umformen: der Erweiterungsbau zum Landeskrankenhaus Knittelfeld, gestaltet von fasch&fuchs in Zusammenarbeit mit Lukas Schumacher.

Architektur muss der Tatsache, dass sie durchschritten wird, Rechnung tragen, meinte Le Cor busier. Gute, lebendige Architektur besäße daher wie ein lebendiges Wesen einen inneren Kreislauf. Die Wirkung des Bauwerks sei das Ergebnis einer architektonischen Komposition aus unterschiedlichen Klangelementen, die nur in dem Maße erfahrbar werden, wie uns unsere Schritte hindurchtragen, uns weiterführen und unseren Blicken die Weite der Mauern und Perspektiven darbieten, das Erwartete oder das Unerwartete hinter den Türen, die das Geheimnis neuer Räume preisgeben, das Spiel der Schatten, der Halbschatten oder des Lichts, das die Sonne durch Fenster und Türen wirft. Dem Licht wird ein wesentlicher Anteil am Gelingen dieser Komposition zugerechnet, wobei nicht in erster Linie die Menge des Lichteinfalls gemeint ist, sondern die Lichtführung, die eine genaue Kenntnis der Wirkung von Licht einschließlich des Sonnenlichts voraussetzt.

Zur echten Herausforderung für Architekten wird Licht als Thema, wenn die Vorgaben für eine Planungsaufgabe die optimale Versorgung mit Licht und Sonne erschweren, wie dies bei der Erweiterung des Landeskrankenhauses im obersteirischen Knittelfeld der Fall war. Durch Abriss einiger Nebengebäude an der Rückseite des denkmalgeschützten gründerzeitlichen Solitärs wurde zwar Platz geschaffen für den dringend benötigten Neubau von vier Bettenstationen, ein Andocken an das massige dreigeschoßige Bauwerk war allerdings nur im Norden möglich. Mit einem Konzept, das souverän verstand, die daraus entstehenden Nachteile auszuräumen, konnte das in Wien ansässige Architekturbüro fasch&fuchs mit Lukas Schumacher den Wettbewerb, der einem Bewerbungsverfahren folgte, 1998 für sich entscheiden.

Den neuen, lang gestreckten Baukörper setzen sie parallel zum Bestand und rücken ihn nur so weit von diesem ab, dass die Verbindung kompakt und die nunmehr erweiterte Wegführung betriebseffizient bleibt. Eine zweigeschoßige, verglaste Brücke verbindet Alt und Neu. Die Beeinträchtigung des Lichteinfalls bei nur acht Metern Gebäudeabstand wird durch geschickt gesetzte Maßnahmen aufgehoben. Eine kennt man schon vom ersten Bau der Architekten, der sie über die Grenzen hinweg bekannt machte: dem Kindermuseum in Graz. Wie dieses wird der dreigeschoßige Zubau zum Landeskrankenhaus in ein durch Abgrabung neu geschaffenes Terrain eingebettet und die vom Altbau und aus der Entfernung erlebbare Höhenentwicklung merklich reduziert. Das Erdgeschoß des Neubaus, das die Physiotherapie und eine Zentralküche enthält, ist damit niveaugleich mit dem Keller des Bestands, der durch die neue Belichtungsmöglichkeit aufgewertet wird. Als weiterer Schritt zur Verbesserung der Belichtung für beide Baukörper wurde die dem Altbau gegenüberliegende Fassade gekippt - weg vom Bestand, gleich um 18 Grad. Die daraus resultierende Trichterwirkung wird verstärkt durch sechs tiefe, gleichmäßig gesetzte Rücksprünge, die in die beiden Obergeschoße eingeschnitten sind.

Diese zwei Kunstgriffen - Absenkung und Schrägstellung - bestimmen alle weiteren gestaltgebenden Entwurfsentscheidungen und formen das dynamisch schnittige Profil des Baukörpers, das mittlerweile viele der Arbeiten von fasch&fuchs charakterisiert.

Optimierung und Lenkung des einfallenden Lichts prägen auch die Mittelgangerschließung des zweihüftigen Neubaues, in dem die Funktionszone jeder Station zum Altbau hin orientiert ist. Räumlich klar getrennt von den Krankenzimmern liegen da die Schwesternräume, Bäder und die Aufenthaltsbereiche für die Patienten, die im Rhythmus der Einschnitte der Südfassade angeordnet wurden und von diesen mit Licht versorgt werden - und mit dem Grün je eines winzigen Rasenstücks mit Solitärbaum. Der Ziel: Ein Gefühl von Distanz zum Bestand soll erzeugt werden.

Überaus markant erhellt wird die Gangzone durch ein seitlich situiertes, hochgelegtes Oberlichtband, das die Lichtstrahlen auf eine ebenfalls stark geneigte Wand lenkt. Einerseits wird das Licht von der strahlend weißen Schräge in die verglasten Bereiche der Versorgungszone reflektiert, andererseits werden die innen liegenden Sanitärräume der Krankenzimmer hinter dieser Wand durch Ausnehmungen in dieser mit Tageslicht versorgt - in einem Maß, dass künstliches Licht tagsüber nicht gebraucht wird. Sogar die Gänge der ein Geschoß tiefer liegenden Stationen profitieren vom darüber einfallenden Licht, indem in regelmäßigem Abstand Glasstreifen in die Decken eingelassen sind.

Auf diese Weise gelingt es den Architekten, die immer teamorientiert arbeiten, ihren Projektleitern jedoch weitgehende Entscheidungskompetenz zugestehen, die Nachteile einer Lage auszugleichen. Situative Vorteile werden immer akribisch herausgearbeitet. In Knittelfeld bleiben die nach Norden orientierten Patientenzimmer frei von direkter Sonneneinstrahlung und konnten deshalb großzügig verglast werden - raumbreit und so tief, dass auch vom Krankenbett aus uneingeschränkte Ausblicke möglich sind. Die niedrigen Parapete wurden zur Sitzbank für Besucher aufgewertet. Für Behaglichkeit trotz hohen Glasanteils sorgt helles Holz in Form einer rundum laufenden Vertäfelung und als Oberflächenmaterial der Trennwände zu den internen Sanitärräumen.

Entwurfsentscheidungen sind bei Hemma Fasch und Jakob Fuchs, die projektbezogen mit Lukas Schumacher zusammenarbeiten, immer von Pragmatik bestimmt. Auch wenn diese Aussage erstaunen mag: Sie sind, im besten Sinn des Wortes, anwendungs- und sachbezogen. Der Gefahr, allzu vertraute Bilder zu produzieren, unterliegen die Architekten dabei nie. Ihr „Anderssein“ ist keine gewollte Programmatik. Es ist die ihnen eigene, unkonventionell frische Umsetzung von Vorgaben - von solchen des Ortes, der Funktion bis zu jenen der gewählten Materialien -, die die Nutzer fordert und unreflektierte Gewohnheiten überdenken lässt. Auch das Dach über der Anlieferungszone zwischen Alt- und Neubau ist kein modisches Aperçu. Die luftgefüllten, transparenten Folienkissen wirken höchst ephemer und gewichtslos, lassen Licht ungehindert in die anschließenden Räume und sind kostengünstig. Ins rechte Licht rücken solche Bauten sich von selbst.

Spectrum, Mo., 2005.11.28



verknüpfte Bauwerke
Zu- und Umbau LKH Knittelfeld

29. Oktober 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Ja, mach nur einen Plan

Alles dreht sich um das Thema „Stadt“ im diesjährigen „Steirischen Herbst“. So viel zur Theorie. Und wie steht's um die Praxis von Stadtentwicklung und Stadtplanung in Graz?

Alles dreht sich um das Thema „Stadt“ im diesjährigen „Steirischen Herbst“. So viel zur Theorie. Und wie steht's um die Praxis von Stadtentwicklung und Stadtplanung in Graz?

Die „Stadt“ hat Peter Oswald, scheidender Intendant des „Steirischen Herbsts“, zum Generalthema seines letzten Programms gemacht. „Stadt“ sollte thematisiert werden in der Literatur, im Film, in einem Symposium, in den Ausstellungen zur bildenden Kunst, in Wanderungen und szenischen Aufführungen, die das Grazer Stadtgebiet selbst zum Handlungsmittelpunkt machten. Ziemlich hoch lag die Latte, die man sich selbst gelegt hatte mit dem Anspruch, „den radikalen urbanen Transformationsprozessen samt ihren gesamtpolitischen Konsequenzen, die die Stadt seit den 1980er-Jahren erfasst haben, auf den Grund zu gehen“. Der interessierte Festivalbesucher, der sich eine diskursive Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Stadt bei gleichzeitigem Fokussieren auf den Schauplatz Graz erwartete, wurde enttäuscht.

„M Stadt“, der enigmatische Titel der Hauptausstellung, könnte ebenso gut für Meta-Stadt oder Medium Stadt stehen wie für Mittel-Stadt. Als solche reihen die Kuratoren die Stadt Graz zwar ein unter angeblich vergleichbare europäische Städte wie Krakau, Basel, Laibach oder Triest. Deren Porträts beschränken sich jedoch auf die Aufzählung von je nach Stadt unterschiedlich gewählten statistischen Kennzahlen zu Größe, Bevölkerungs- und Infrastruktur und der spezifischen Arbeitsplatzsituation einzelner Gruppen. Videos, auch von Graz, illustrieren die Daten. Kein Wort zu den Charakteristika, zu Qualitäten und Schwächen der Stadt, ihren strukturellen Problemfeldern und Entwicklungspotenzialen, zu politischem Handlungsbedarf.

Die Referenten des Symposiums, das in Kooperation mit dem Institut für Städtebau organisiert wurde, blieben „weltläufig“ allgemein oder thematisierten Aufgaben der Städte und Büros, aus denen sie kamen. Graz war nicht dabei. Wenn es auch nie erste Aufgabe der fachlich kompetenten Intelligenz der Technischen Universität war, sich konkret zur städtebaulichen Entwicklung ihrer Stadt zu äußern, so gab es dazu doch eine Tradition. Man mischte sich ein in Fragen der Stadtgestaltung, gab immer wieder Impulse und provozierte Bürgerbefragungen. Zu einer solchen führte in den 1970er-Jahren Hubert Hoffmanns vehemente Ablehnung der Idee, eine Autobahntrasse im Westen der Stadt zu bauen, die ganze Stadtteile von der Kernstadt abgetrennt hätte. Tatsächlich wird die Nord-Süd-Route durch Graz heute im Tunnel geführt, der zur effizienten, umweltverträglichen Entlastung des Transitverkehrs wurde.

Wichtige Weichen für weniger Verkehrsbelastung stellte der früh verstorbene Vizebürgermeister Erich Edegger mit seinen mitunter als ideologisch diffamierten Vorstellungen einer gedeihlichen Entwicklung der Stadt, die die hohe Lebensqualität sichern sollte. Der Unternehmer trat beherzt für sanfte Mobilität ein. Er forcierte den öffentlichen Verkehr, setzte die blauen Zonen durch und installierte das damals europaweit längste Radwegenetz in Graz. Seine Vision eines „Platzes für Menschen“ mündete konkret in die Ausweitung von Fußgängerzonen und die verkehrsberuhigte Umgestaltung zahlreicher Plätze. Das führte zur nachhaltigen Aufwertung öffentlicher Stadträume und machte diese für Bewohner und Graz-Besucher gleichermaßen attraktiv. Fraglich ist, ob diese kausalen Zusammenhänge den heutigen Kommunalpolitikern bewusst sind. Edeggers damals unpopuläre Maßnahmen machen heute das Flair aus, mit dem Graz touristisch beworben wird, sein Vermächtnis wird jedoch weder fortgesetzt noch ausgebaut.

Das Grazer Stadtentwicklungskonzept von 1990 hält auch nach seiner Modifizierung 2001 daran fest, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs eingedämmt werden soll; dem steht jedoch die Genehmigung und der Bau mehrerer Tiefgaragen durch Investorengruppen im innersten Bereich der Altstadt in den vergangenen drei Jahren gegenüber. Die Gründe dafür: Der wachsenden Konkurrenz von Einkaufszentren am Stadtrand folgt der Druck der innerstädtischen Wirtschaftstreibenden auf die Kommunalpolitik, Weichen zu stellen, um die Kaufkraft in der Innenstadt zu stärken. Als Allheilmittel wird von Seiten der Wirtschaft die Schaffung von Autoabstellplätzen gesehen und damit die Stärkung des Individualverkehrs, konträr zu allen Entwicklungen europäischer Städte wie London, das ausschließlich auf den Ausbau und die Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs setzt. Die Stadt, deren Finanzlage seit 2003 angeblich so trist ist, dass sie nicht einmal in der Lage ist, die noch fehlenden Bäume zur Minimalgestaltung des Freiheitsplatzes beizusteuern, beugt sich dem Druck.

Nicht wesentlich anders die Situation in den übrigen Bereichen der Stadtentwicklung. 2005 wurde ein „Räumliches Leitbild“ für Graz erstellt, das ein Zwischenglied zwischen dem allgemein formulierten Stadtentwicklungskonzept und dem Flächenwidmungsplan sein soll. Rechtlich verbindlich ist es nicht. Nun kann das stadteigene Immobilien- und Bauherrenunternehmen GBG die Ziele des Entwicklungskonzeptes strategisch umsetzen, wenn es - ja, wenn! - Mittel zur Umsetzung bekommt wie für den Bau des neuen Campusgebäudes der Fachhochschule. Gegenüber privaten Investoren setzt man auf „Goodwill“ und meint, nur auf dem Wege der Kooperation befriedigende Ergebnisse für die Entwicklung der Stadt erzielen zu können. Das wird auch als Grund angegeben, warum für potenzielle Verdichtungsgebiete nicht im Voraus Bebauungspläne mit rechtlicher Gültigkeit erstellt werden.

Nun ist das freie Spiel der Kräfte zwischen dem Investor, der gewinnmaximierend denkt, und einer Kommune, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, naturgemäß ein ungleiches. Gibt es keine verbindlichen Vorgaben, so besteht die Gefahr, dass Letzteres keine Berücksichtigung findet. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Bebauung des attraktiven, weil stadtnahen Messeareals. Ein Interessent legt einen Bebauungsvorschlag für ein neues Wohnquartier vor. Die Stadtplanung, damit nicht glücklich, drängt auf einen städtebaulichen Wettbewerb und finanziert die Kosten. Die Jury, in der der Interessent vertreten ist, kann unter den Projekten keines finden, das stadträumlich und ökonomisch entspricht. Nun ist wieder der potenzielle Investor am Zug. Er holt das Konzept seines Architekten aus der Lade, das nun, etwas modifiziert, in einen Bebauungsplan übergehen soll. Die Interessen der Anwohner, die sich für ihren nicht gerade mit Grünanlagen gesegneten Bezirk Jakomini eine größere zusammenhängende Parkfläche wünschen, bleiben bei solch pragmatischer Vorgangsweise auf der Strecke.

Einfluss nehmen darauf könnte ein Fachbeirat für Architektur, der auch für Graz von an Stadtentwicklung und Baukultur interessierten Gruppen gefordert wird. Die Einsetzung eines solchen Beirats würde, wenn er mit Kompetenzen ausgestattet wird, zu Bewusstseinsbildung und verstärkter Qualitätsdiskussion führen, die sich auf das Bild der Stadt und ihre Entwicklung sicher positiv auswirken würde. Die Politik ziert sich noch.

[ Die Ausstellung „M Stadt“ im Grazer Kunsthaus ist noch bis 8. Jänner zu sehen. ]

Spectrum, Sa., 2005.10.29

24. September 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Die Sonne im Norden

Wie vermeidet ein Architekt Konflikte mit dem Bauträger? Zum Beispiel, indem er selbst einer wird. Die Grazer Gruppe Pentaplan hat es gewagt. Ein Erfahrungsbericht.

Wie vermeidet ein Architekt Konflikte mit dem Bauträger? Zum Beispiel, indem er selbst einer wird. Die Grazer Gruppe Pentaplan hat es gewagt. Ein Erfahrungsbericht.

Die internationale Beachtung, die der Architektur aus Graz ab den 1980er-Jahren zuteil wurde, ist ganz wesentlich dem zu verdanken, was etwas oberflächlich als experimenteller Wohnbau bezeichnet wurde. Tatsächlich konnte damals - mit politischer Rückendeckung und der Ermunterung zu unkonventionellen Lösungen - eine Vielzahl an Wohnbauten in ausgeprägt eigenwilliger Formensprache entstehen. Systematisches Forschen nach zeitgemäßen Wohnkonzepten schien zweitrangig. Wenige Architekten dachten in größeren Zusammenhängen, arbeiteten strukturell und suchten Ansätze zu neuen Typologien und Möglichkeiten, sie im Rahmen einer reformbedürftigen Wohnbauförderung umzusetzen. Erneuerung reduzierte sich vielfach auf ungewohnte Erscheinungsbilder und formalistische Gesten.

Die Architekten der Grazer Gruppe Pentaplan - Gerald Hirsch, Klaus Jeschek, Wolfgang Köck und Armin Lixl - waren als Studenten oder Mitarbeiter in renommierten Büros kritische Beobachter dieser Entwicklung. Dem Wohnbau als isolierter, auf die Errichtung von marktkonformen Wohnungen reduzierter Disziplin können sie nichts abgewinnen. Ihre ersten Arbeiten, die Entwicklung eines Verkehrsinfrastruktur-Projekts und eine Studie zu Vernetzungen städtischer Kreislaufsysteme, forderten ihre Fähigkeit zu stringenter inhaltlicher Analyse und waren weichenstellend für alle weiteren Projekte. Verknüpfte Denkweise ist das Motto der Gruppe, die die Aufsplitterung ihres Berufs in ein Spezialistentum rigoros ablehnt, die in jede Arbeit städtebauliche und soziologische Überlegungen einbezieht und für die Wirtschaftlichkeit neben konkreten Kenngrößen eines Themas oder Ortes Teil jeder Projektentscheidung ist.

In der konkreten Umsetzung von Wohnbau hatte Pentaplan erste schmerzhafte Erfahrungen gemacht, als ein Entwurf französischer Europan-Preisträger, den sie als Partner vor Ort bis zur Baureife durchgearbeitet hatten, vom Bauträger kurzerhand als nicht verwertbar vom Tisch gewischt wurde.

1996, in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage des Büros, der entscheidende Schritt - ein Wagnis: Die Architekten nahmen das Angebot zum Kauf eines Grundstücks im Grazer Villenviertel Mariatrost an, wurden ihr eigener Bauträger und gingen, nur den Baugesetzen, Förderrichtlinien und ihrem eigenen baukulturellen Anspruch verpflichtet, an die Realisierung ihres ersten Wohnbaus. Was einfach klingt, erwies sich, weil Pentaplan mehr als konventionellen Wohnraum anbieten wollte, als risikoreiches, nur mit großem persönlichen Einsatz bewältigbares Modell. Der Architekt schlüpft dabei auch in die Rolle des Unternehmers und wird, in seiner ureigenen Funktion als kreativer Kopf, schnell zu seinem eigenen Feind. Jeder architektonische Anspruch, jede Problemlösung wird bei dieser Aufhebung der „Gewaltentrennung“ nicht nur unmittelbar auf Machbarkeit im bauphysikalischen, -rechtlichen und finanziellen Rahmen überprüft, sondern auch auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit.

Die Typologie des Hauses am Mariatros- ter Teichhofweg in Graz ist in der Tat unge-wöhnlich. Auf einem annähernd rechteckigen, flachen Grundstück ist mittig ein lang gestrecktes, mit 28 Metern enorm tiefes Haus platziert, in dem beidseitig, in der Art eines Reihenhauses über jeweils drei Geschoße, 25 Wohneinheiten untergebracht sind. Diese Wohneinheiten sind, mit Ausnahme zweier, an den Südecken situierter Wohnungen, alle streng auf eine Himmelsrichtung hin ausgerichtet. Nur die oberste der drei Geschoßebenen erstreckt sich jeweils über die halbe Haustiefe. Die beiden darunter liegen-den sind hingegen in ihrer Tiefe unterschiedlich gestaltet und lassen im Kern des Hauses Raum für eine zweigeschoßige zentrale Halle - die Garage.

Die Komplexität des Baukörpers, der sich nach außen als ruhige Fassade ohne Vor- und Rücksprünge zeigt, erschließt sich erst, wenn man die oberste Ebene betritt und erfasst, wie das Manko der einseitigen Besonnung aufgehoben wurde. Der offene Wohn- und Essbereich öffnet sich zu einem uneinsehbaren Atrium, das ganztägig Sonne bringt und das Bedürfnis nach Privatsphäre optimal erfüllt. Der mündige Bewohner dieser Wohnungen kann zwischen Rückzug und Kommunikation wählen, indem ihm Freiraum in unterschiedlicher Qualität geboten wird: zum intimen Atrium noch ein Balkon für den Ausblick und ein Gartenanteil auf der Eingangsebene. Bei einer konventionellen Teilung in zwei Zeilen wäre weder eine so differenzierte Nutzung der Außenräume noch uneingeschränkte Aussicht möglich gewesen. Eine teurere Tiefgarage hätte gebaut werden müssen, und der größere Außenflächenanteil der Wohnungen hätte zu geringerer Energieeffizienz geführt.

Die Bewältigung schwieriger Situationen bei gleichzeitigem Bestreben, an hoher räumlicher Qualität für Innen- und Außenräume als Standard festzuhalten, scheint zum Merkmal der Tätigkeit von Pentaplan zu werden. Alles Potenzial herausholen, das im Schwierigen liegt, ist auch die Devise beim Bauvorhaben in der Ziegelstraße in Graz-Andritz. Auch hier war die Lage, neben der sehr geringen Bebauungsdichte, ausschlaggebend für die Typologie der 140 Wohnungen.

Die Antwort auf den Hang, der nach Norden abfällt, ist dreigeteilt. Schon seit einem Jahr bezogen sind ostwestlich ausgerichtete Zeilen, die in abgetreppter Form dem Hang folgen und jeweils zwei Wohnungen so raffiniert übereinander gestapelt haben, dass beide im Zusammenspiel von innen und außen sichtgeschützte Freibereiche anbieten können, wobei die erdnahe Wohnung zusätzlich jeweils über ein großzügiges Stück Wiese verfügt.

Gerade bezogen wurde das letzte der Terrassenhäuser. In deren Wohnungen, wie bei allen Objekten von Pentaplan mit raumhohen Fenstern und Verglasungen, wurde durch die Anordnung des Wohnbereichs die schöne Aussicht auf den Hügel fokussiert. Die ungewöhnlich große Tiefe der luxuriösen, 160 Quadratmeter großen Terrassen macht auch die Nordlage sonnig und lässt Rückzugsplätze zu. Ebenso fertig gestellt und verkauft ist der erste Teil einer Reihe von Atriumhäusern, die Blickweite an der Talseite, aber auch den höchsten Grad an Introvertiertheit ermöglichen. Die Atrien sind geräumige Sommerzimmer. Sie bieten mehr als Sonne, Licht und Luft. Und sie machen deutlich, dass die Gratwanderung zwischen architektonischem Anspruch und wirtschaftlicher Verwertbarkeit glücken kann, dass es doch möglich ist, auch Inhalte umzusetzen, die die Wohnung über ihre Funktion der Erfüllung eines Grundbedürfnisses hinausheben.

Spectrum, Sa., 2005.09.24

13. August 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Material ist gleich Farbe

Wie man mit zwei Gebäuden eine Gasse formt. Und wann ein Schwung im Dach mehr ist als eine modische Geste. Das oststeirische Weiz hat sein Zentrum belebt. Mit einem Kunsthaus inklusive Vis-à-Vis.

Wie man mit zwei Gebäuden eine Gasse formt. Und wann ein Schwung im Dach mehr ist als eine modische Geste. Das oststeirische Weiz hat sein Zentrum belebt. Mit einem Kunsthaus inklusive Vis-à-Vis.

Ein Kulturhaus zu bauen, das mehr bieten soll als einen Ballsaal für Vereine, ist für kleinere Gemein den immer ein Wagnis. Selbst wenn man vor Ort auf Künstler oder die Tradition eines Festivals verweisen kann, ist noch nicht garantiert, dass sich ein solches Haus ganzjährig mit Leben füllen lässt. Dazu braucht es gewachsene, fest in der Bevölkerung verankerte Strukturen für kulturelle Aktivitäten, die Kunstsinn, Interesse und Eigeninitiative einer breiten Schicht zu fördern vermögen. Gibt es diese nicht, so wird das feinste Festival vorwiegend Kulturtouristen anlocken und das beste Jahresprogramm vor leeren Reihen stattfinden.

Weiz in der östlichen Steiermark wird seit mehr als 100 Jahren mit Elektroindustrie assoziiert. Die Bezirkshauptstadt mit knapp 10.000 Einwohnern ist der Standort der Elin AG, einem Hochtechnologie-Zweig der VATech, die vor wenigen Tagen vom Siemens-Konzern übernommen wurde, der die hierorts produzierte Hydrotechnik aus kartellrechtlichen Gründen allerdings weiterverkaufen muss. Die Weizer sind verunsichert. Schließlich ist das Werk mit rund 1000 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber der Kleinstadt. Als hätte sie ihre Hilflosigkeit gegenüber den Gesetzmäßigkeiten der internationalen Finanzmärkte schon lange kommen gesehen, baut die Gemeinde unter einem ambitionierten Bürgermeister seit Jahren weitere Standbeine auf. Weiz wurde zum regionalen Fachschulzentrum und profiliert sich nicht erst seit der Landesausstellung 2001 zum Thema „Energie“ als Stadt, die die Entwicklung und Anwendung ressourcenschonender Technologien forciert. Kultur wird in der Stadt, die sich einen Kulturbeauftragten leistet, groß geschrieben, wobei man nicht ausschließlich in Gastspiele investiert, sondern das heimische Potenzial an Kunstschaffenden und dadurch hohe Identifikationswerte fördert.

Seit kurzem hat Weiz ein neues Kunsthaus. Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das den Außenstehenden erst einmal staunen lässt. Wie kann ein Saal mit 645 Sitzplätzen adäquat bespielt werden? Man wird aufgeklärt, dass der Vorgängerbau mit zwei längst unzureichenden Sälen an 250 Abenden im Jahr bespielt wurde und 50 bis 60 Prozent aller Veranstaltungen örtliche Initiativen waren. 1998 schrieb die Gemeinde deshalb einen Wettbewerb für ein Veranstaltungsgebäude aus, das schon zur Landesausstellung fertig sein sollte. Ein durch Umsiedlung der Feuerwehr frei gewordenes innerstädtisches Areal sollte mit einem Mix aus Kultur-, Geschäfts- und Bürohaus den Stadtkern nahe dem Hauptplatz und dem etablierten kleinen Kulturzentrum „Weberhaus“ beleben. Dietmar Feichtinger, Absolvent der Technischen Universität Graz, den es schon in den späten 1980er-Jahren nach Paris zog, wo er heute nicht nur die letzte Brücke über die Seine bauen darf, sondern auch ein europaweit agierendes Büro führt, konnte die Jury mit seinem Entwurf überzeugen.

Gewonnen hat der Architekt mit einem Konzept, das den geforderten Veranstaltungssaal auf die Ebene des ersten Obergeschoßes hebt, ihn überhöht und als geschlossenen, eckigen Nukleus ins Zentrum seiner Bebauung setzt. An drei Seiten legt er ein Foyer, Garderoben und Nebenräume an - als weitgehend offene Vorzone mit geschwungener, transparenter Fassade, die in ihrer Höhenentwicklung auf die verschiedenen Traufenlinien der benachbarten Bestandsbauten reagiert.

So wird das Dach zu einer Welle, die hoch über der Ausstellungsgalerie an der Straßenfront entsteht und über die Längsseite des Foyers sanft zur Bühnenrückseite hin abrollt. Wer Feichtingers rationale, zurückhaltende Entwürfe kennt - zurzeit baut er in Krems den Campus der neuen Donau-Universität -, der weiß, dass dieser sanfte, formgebende Schwung im Dach keine modische Geste ist. Seine Intention ist, ein fließendes räumliches Kontinuum an zwei ganz unterschiedliche stadträumliche Situationen heranzuführen: straßenseitig an den stattlichen dreigeschoßigen Bau der Elin-Verwaltung und am anderen Ende an die niedrige historische Häuserzeile der Rathausgasse.

Die Rückseiten der Hofgebäude angrenzender Grundstücke wären ein unattraktives Vis-à-vis des längs gerichteten Foyers gewesen, hätte das Konzept nicht vorgesehen, ihnen einen lang gestreckten hakenförmigen Bau vorzusetzen, mit dem sich nun eine neu geschaffene Gasse formt. Die formale Analogie zum Kunsthaus ist gewollt. Das zweigeschoßige Gebäude mit noch zu mietenden Geschäfts- und Büroflächen zeigt eine durchgehende Glasfront, die mit öffenbaren verblechten Paneelen rhythmisiert ist und sich nur minimal öffnet, wo der Hinterhof des Weberhauses an die neue Gasse grenzt. Kontrastiert werden die glatten Fassaden durch die raue Oberfläche der Pflasterung des Vorbereichs, die für viele gewöhnungsbedürftig ist.

Vorpatiniertes Kupferblech in Form von gekanteten, abwechselnd breiten und schmalen Streifen bildet im Foyer wie über dem Dach die Außenhaut des überhohen zentralen Mehrzwecksaals. Von höher gelegenen Punkten der Stadt aus zeichnet er sich als geschlossene Figur deutlich im Stadtgefüge ab. Der Saal ist mit fixer Bühne, stapelbarer Tribüne, einem Balkon und High Tech ausgestattet. In Material und Farbe ist er kühl und dunkel gehalten. Als Gemütsaufheller fungiert eine Lichtinstallation, die die Seitenwände hinter dem vorgeblendeten Metallgewebe farbig verändert und den Saal in unterschiedliche Lichtstimmungen tauchen kann.

Generell postuliert Dietmar Feichtinger in der ihm eigenen Art: Material ist gleich Farbe. Außerhalb des Saals hält er sich auch daran, Beton, Rigips, Verblechung und Glas in ihren Eigenfarben wirken zu lassen. Die Fassade des Sockelgeschoßes, das demnächst ein Einkaufszentrum beherbergen wird, lässt er hinter die tragende Säulenreihe zurücktreten. Damit wird das darüberliegende Foyer, das mit Transparenz und abendlicher Beleuchtung einladende Offenheit signalisieren soll, ganz ohne grelle Inszenierung akzentuiert.

In Verbindung mit gekonnt gelösten Details - etwa den Deckenanschlüssen der vorgesetzten Glasfassade, die deren Aufbauhöhe optisch zum Verschwinden bringen - entstand ein nobel zurückhaltender, absolut städtischer Gebäudekomplex. Er ist augenscheinlich der Moderne verpflichtet, dabei von zeitloser Eleganz. Und er ist im heterogenen Stadtraum so präsent, dass man der Gemeinde nur wünschen kann, es möge ihr gelingen, das Haus mit Klängen, Farben - und Besuchern zu füllen.

Spectrum, Sa., 2005.08.13



verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Weiz

02. Juli 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Hügel, Grat und Mulde

Eine Region in Goldgräberstimmung: das südsteirische Weinland. Seine Landschaft droht im Bauboom ihre Substanz zu verlieren. Wer hat die Kompetenz, das zu verhindern? Und wer die Unabhängigkeit?

Eine Region in Goldgräberstimmung: das südsteirische Weinland. Seine Landschaft droht im Bauboom ihre Substanz zu verlieren. Wer hat die Kompetenz, das zu verhindern? Und wer die Unabhängigkeit?

Was muss sie nicht alles an Ver gleichen hinnehmen, die klein räumige Region an der Grenze zu Slowenien? Eine „steirische Toskana“ soll sie sein, die sanfthügelige Landschaft mit mildem Klima und besonderen Böden. Jahrhundertelang war der Weinanbau ein Teil kleiner bäuerlicher Mischbetriebe, bis vor rund 25 Jahren ein paar junge Absolventen der Weinbauschule ausschließlich auf Wein, in höchster Kultivierung, setzten und mit den ersten überregionalen Erfolgen Vorbild für die anderen wurden. Vom Weinskandal war die strukturell in jeder Hinsicht begrenzte Region nicht betroffen - sie nutzte ihn jedoch als Gunst der Stunde, um sich als kleines, feines Weinanbaugebiet mit Qualität zu positionieren.

Das Kalkül scheint aufzugehen. Wer heute in der Südsteiermark urlauben will, muss mit der Quartiersuche rechtzeitig beginnen und sich zur Kellerführung anmelden. Um den Gast geworben wird mit der Güte des Weins und der Schönheit der Landschaft. Sie ist das eigentliche Kapital der Marke „südsteirische Weinstraße“. Nun führt die Aufwertung des Weines zu gewaltigen Investitionen und bringt einen Bauboom mit sich. Jeder will vom Tourismus profitieren (wofür man Verständnis haben kann, wurde der Boden der Grenzregion doch jahrhundertelang von bitterarmen Keuschlern bestellt). Den Anfang machten die Spitzenwinzer mit dem Ausbau ihrer Produktionsstätten. Sie folgten - im Bemühen, ihrem Qualitätsanspruch eine bauliche Entsprechung zu geben - einem weltweiten Trend und engagierten Architekten für die Planung der Weinkeller und Verkaufsräume. Dabei sind in der Südsteiermark einige durchaus vorzeigbare Beispiele entstanden, die heute touristische Ziele sind. Es herrscht Goldgräberstimmung. Neue Weingärten werden angelegt, wo immer es noch möglich ist, Wein zu kultivieren. Erste, (noch) klein konzipierte Hotels nisten sich in die sanften Hügel ein, aus traditionellen Buschenschänken werden Beherbergungsbetriebe, und Privathäuser werden ausgebaut, um geförderte Winzerzimmer unterzubringen.

Der Aufschwung drückt sich im Bauen aus und verändert die Landschaft. Das Kapital Landschaft, dem der Wohlstand zu verdanken ist, wird in seiner Substanz angegriffen und ist in Gefahr.

Das Südsteirische Weinland trägt das Prädikat Naturpark, verliehen vom Land Steiermark mit der Ziel „des Schutzes einer Landschaft in Verbindung mit deren Nutzung“. Die Bestandsaufnahme im daraufhin erstellten regionalen Entwicklungsplan für 2000 bis 2006 weist auf zahlreiche punktuelle Baulandausweisungen hin, die bisher kaum auf das Landschaftsbild Rücksicht genommen haben. Die Notwendigkeit „der Steuerung der Siedlungsentwicklung hinsichtlich der Erhaltung der Kulturlandschaft“ wird prioritär betont. Als Schwäche wird die „starke Überformung der historischen Bausubstanz durch mangelnde Baugesinnung“ gesehen, und vor dem Verlust des eigenständigen Charakters des Landschaftsbildes durch mangelnde Bauqualität wird ausdrücklich gewarnt.

Leitlinien, die der Zersiedelung und Zerstörung des Landschaftsraumes entgegenwirken könnten, enthält das regionale Entwicklungsprogramm nicht. Das ist auch gut so, denn Festlegungen in Form von Leitbildern bergen die Gefahr in sich, einschränkend, rückwärtsgewandt und starr zu sein und jede dynamische, prozesshafte Entwicklung von Baukultur zu verhindern. Es gibt weltweit nur wenige Beispiele von raumordnenden Interventionen in größere Siedlungs- und Landschaftsräume, denen Leitprinzipien zugrunde lagen und die als geglückt betrachtet werden können. Alle sind dem Engagement und dem Können kompetenter Einzelpersönlichkeiten zu verdanken, die in einer Person aus der Politik einen verständigen Partner gefunden haben. Ein Beispiel ist der Tessiner Ort Monte Carasso, für den der Architekt Luigi Snozzi ab 1977 ein Gemeinde-Entwicklungskonzept erarbeiten konnte, das die Frage nach dem Spezifischen des Ortes in den Vordergrund stellte. Snozzi erarbeitete Vorschriften, die wie ein Spielfeld eines Brettspiels aufgebaut waren, auf dem ein Architekt sich innerhalb der Regeln frei bewegen konnte.

Ein anderes Beispiel sind der Künstler César Manrique und sein Einsatz für die Erhaltung der landschaftlichen und kulturellen Identität seiner Heimatinsel Lanzarote ab 1966, einem Zeitpunkt, als die Folgen des Fremdenverkehrs die Schönheit der Insel zu zerstören drohten. Er leistete Überzeugungsarbeit, entwickelte ein tragfähiges Modell der örtlichen Raum- und Bauplanung mit und plante selbst einige vorbildliche zeitgemäße Beispiele für landschaftsbezogenes Bauen.

Im südsteirischen Weinland müsste jede Baulandausweisung durch den Raumplaner im Rahmen einer Revision des Flächenwidmungsplans, jede Parzellierung des neuen Baulandes durch den Geometer, aber auch jede Genehmigung von Bauvorhaben im Spiegel des Ganzen betrachtet werden. Das Landschaftsrelief, der Hügel, der Grat, die Mulde, natürliche Rainbegrenzungen und Wegeführungen, Aussicht, Hintergrund, Blickbeziehungen, die Hanglage, Nachbarschaften, Größenverhältnisse und Maßstäblichkeit müssten Beachtung finden und in die Bewertung einbezogen werden.

Erste Bauinstanz in den Gemeinden ist der Bürgermeister, der sich des immer gleichen Ortssachverständigen als Berater bedient. Die Frage darf gestellt werden: Wie viele dieser Gutachter haben die fachliche Kompetenz, derart komplexe räumliche Zusammenhänge zu erkennen und zu bewerten - und die Unabhängigkeit, sie sachlich zu beurteilen? Mit der seit Jänner 2005 gültigen Novellierung des Steirischen Naturschutzgesetzes, das auch den Landschaftsschutz der Naturparke einbezieht, wurde die Kompetenz für die Genehmigung von größeren Bauvorhaben dezentral den Bezirkshauptmannschaften und ihren Baubezirksleitungen zugeteilt. Deren Sachverständige, oft auch nicht geschult, haben nun die Aufgabe, mittels Gutachten Bauvorhaben abzulehnen, wenn diese eine nachteilige Veränderung des Landschaftsbildes bewirken würden.

Nun wurde ein „Bauherrenbegleiter“ herausgegeben, der kostenlos bei der Baubezirksleitung Leibnitz erhältlich ist. Er erklärt Entwicklung und Form des Wohnhauses im südsteirischen Weinland und zeigt mit Planungsbeispielen Perspektiven für eine landschaftsgebundene und -schonende Bauweise auf. Darin wird betont, dass Typen nicht formale Vorgaben sein können, sondern nur Grundsätze widerspiegeln, die Variabilität erlauben. Aufklärung und Bewusstseinsbildung für Bauqualität allein können nicht ausreichend sein, das Kapital des südsteirischen Lebensraumes - die Landschaft - vor weiterer Zerstörung zu bewahren. Es wird eine rigorose Anwendung der Raumordnung brauchen und geänderte gesetzliche Instanzen und Reglements zur Baubewertung und -genehmigung. Jeder einzelne Bewohner müsste die Tugend der freiwilligen Selbstbeschränkung erwerben.

Spectrum, Sa., 2005.07.02

21. Mai 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Die Wiese fließt durchs Fenster

Alle reden von der Ganztagsschule. Aber welche Schulgebäude wären dafür gerüstet? Eine Untersuchung am Beispiel der neuen Volksschule im oststeirischen St. Ruprecht.

Alle reden von der Ganztagsschule. Aber welche Schulgebäude wären dafür gerüstet? Eine Untersuchung am Beispiel der neuen Volksschule im oststeirischen St. Ruprecht.

Seit dem schmählichen Abschneiden Österreichs bei der Pisa-Studie scheint es auch dem letzten traditionstreuen Sesselkleber bewusst zu sein: Eine Schulreform ist vonnöten. Über das Wie gibt es noch keinen Konsens, trotz des unbestrittenen Faktums, dass in den bei der Pisa-Studie erfolgreichen Ländern die Förderung der Kinder in Ganztagsschulen die Regel ist. Von einer Schulbau-Reform ist in den unzähligen emotionsgeladenen Diskussionsrunden und Gastkommentaren auf beiden Seiten nicht die Rede; werden die Kosten für eine derartige Umstellung thematisiert, so beschränken sich diese meist auf den Aufwand für das Lehrpersonal und die Verpflegung der Schüler. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass die Frage nach der Notwendigkeit baulicher Umstrukturierung und neuer räumlicher Konzepte für Schulgebäude, sollte die Einführung der Ganztagsschule beschlossen werden, typisch österreichisch beantwortet wird, nach dem Motto: „Tu ma halt a bisserl improvisieren, dann wird's schon gehen.“

Die bauliche Adaptierung von Schulen wird notgedrungen nach Improvisation und Kompromiss verlangen. Die Frage ist daher, inwieweit der Schulneubau in Österreich auf eine mögliche Umstellung zum Ganztagsaufenthalt der Schüler hin konzipiert und ausgestattet wird. In der Steiermark wurde in den vergangenen Jahren nur eine äußerst kleine Anzahl an Schulen neu errichtet. Geburtenrückgang und der rigorose Sparkurs der öffentlichen Hand machen sich bemerkbar - vergleichbar vermutlich mit anderen Bundesländern. Um einem Bedarf aufgrund geänderter Lehrpläne, neuer Lehrfächer oder geringerer Schülerzahlen nachkommen zu können, werden vorrangig Schulgebäude saniert, adaptiert und mit Zubauten versehen. Nur wenn eine solche Maßnahme nicht mehr zielführend, also in erster Linie sparsam ist, wird neu gebaut.

Die Volksschule in St. Ruprecht an der Raab ist einer dieser Schulneubauten. Zur Ideenfindung wurde 1999 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 94 Büros beteiligten (die Überschreitung des Schwellenwertes verpflichtete zur EU-weiten Ausschreibung). Das damals gerade erst gegründete Projektteam Alexandra Stingl und Christian Aulinger aus Wien konnte den Wettbewerb gewinnen. 2002 wurden die weitere Planung und Realisierung nach Unstimmigkeiten im Team von der in der Steiermark ansässigen Architektin mit Winfried Enge als neuem Partner alleine in Angriff genommen.

Der Entwurf ist maßgeblich von den topografischen und ortsräumlichen Rahmenbedingungen der Marktgemeinde geprägt, die sich entlang der Hauptstraße verdichtet als Straßendorf präsentiert, zu den gartenseitigen Rändern hin in lockerer Bebauung ausfranst und in den tiefer liegenden landwirtschaftlich genutzten Talboden übergeht. Das Grundstück liegt an der unteren Kante eines sanft fallenden Geländes und grenzt an eine Hauptschule aus den 1960er-Jahren, mit der es über einen Gang verbunden werden sollte, um den ebenfalls neu zu errichtenden Turnsaal synergetisch zu nützen. Es ist deutlich ablesbar, dass sich das neue Schulgebäude mit dem Mehrfachturnsaal an der Lage, der Ausrichtung und der Größe der Hauptschule auf der gegenüberliegenden Seite des Zufahrtsweges orientiert. Es bleibt wie dieses im Orthogonalen und nimmt seine Höhe, seine Maßstäblichkeit und sogar die Farbe seiner Fassade auf.

Der lang gestreckte Bau, der sich streng genommen aus mehreren Baukörpern zusammensetzt, ordnet sich ein, aber nicht unter. Es sind die sanft ansteigenden Streuobstwiesen, die die Verteilung der Kubaturen und damit den Gebäudecharakter noch stärker formen.

Das Schulhaus sollte durchlässig sein, um die „Ausdehnung“ der Landschaft von den hauseigenen Gärten zu den Feldern und Wiesen am Talgrund nicht zu behindern und den optischen Eindruck zu erwecken, dass die Wiesen durch das Gebäude fließen. Um dies zu erreichen, haben die Architekten die Baumasse in vier frei stehende Kuben aufgelöst, die jeweils in zwei Geschoßen vier Räume für Klassenzimmer, Sonderklassen, das Lehrerzimmer oder die Direktion erhalten. Miteinander verbunden sind sie durch vollflächig verglaste Zwischenbereiche, die die Gangflächen beider Geschoße bilden und zugleich Pausenräume sind. Linear ergänzt werden die vier Klassenhäuser durch einen mächtigen Turnsaal an der anderen Seite des zentralen Haupteingangs. Alle konstruktiven Bauteile der vier „Kisten“ sind in Holz ausgeführt und ihre Oberflächen außen mit beschichteter sägerauer Lärche und innen weitgehend mit Eiche belegt. Ihr Grundmaß leitet sich von der Größe eines Klassenzimmers ab.

Die Klassen selbst haben mit Ausnahme eines tief sitzenden erkerartigen Fensters, das in seiner liegenden Form „nur“ kindgerecht ist, keinen direkten Ausblick in die Landschaft. Diese Introvertiertheit befremdet erst einmal, wenn man die Entwurfsmotive der Architekten gelesen hat und zudem Städter ist. Eine Erklärung bringen die sich mit dem Pausenzeichen in den lichtdurchfluteten kleinen Hallen verteilenden Kinder. Die Geschlossenheit der Klassen bedeutet Konzentration, die Helligkeit und Durchlässigkeit der Pausenräume als Kontrast dazu Entspannung, Bewegung und Ausschau.

Das additive Prinzip der abgeschlossenen Klassenhäuser und Pausenräume erfordert zwar mehr Gangaufsicht, hat jedoch wesentliche Vorteile. Die Lärmentwicklung in dieser Schule ist so gering, dass sie sicher nicht zum Burn-out-Syndrom beiträgt, unter dem viele Lehrer nicht zuletzt wegen des ständigen Lärms in Schulen leiden. Das additive Prinzip erzeugt zwar den Eindruck einer gewissen Gleichförmigkeit und Starre - alle Haupträume einschließlich der Garderobe sind gleich geformt -, erweist sich dadurch aber als äußerst anpassungsfähig und problemlos erweiterbar. Auch die Umstellung auf eine Ganztagsschule mit Essensraum wäre mit kleinen Änderungen zu bewerkstelligen. Von Vorteil ist auch, dass jedem der ebenerdigen Klassenräume eine befestigte Freifläche zugeordnet ist.

Das Konzept von Stingl, Aulinger und Enge hat im Fehlen eines großzügigen Zentralraumes vielleicht eine kleine Schwäche, aber es lässt sich ebenso deutlich wie erfreulich erkennen: Hier haben Planer mit äußerster Sorgfalt und Empathie das Thema Schule analysiert, die erkannten Prämissen mit der Besonderheit des Ortes verwoben, mit den Bedürfnissen der Nutzer in Übereinstimmung gebracht und mit Genauigkeit bis ins Detail umgesetzt.

Spectrum, Sa., 2005.05.21



verknüpfte Bauwerke
Volksschule mit Dreifachturnhalle in St. Ruprecht

12. Februar 2005Karin Tschavgova
Spectrum

Kindergarten: Wo, was, wozu?

Was ist ein kindgerechter Kindergarten? Was macht die Qualität einer Stadt aus, was schafft Urbanität? Fragen wie diese stehen hinter allen Projekten der „Halle 1“. Ein Besuch in Salzburg.

Was ist ein kindgerechter Kindergarten? Was macht die Qualität einer Stadt aus, was schafft Urbanität? Fragen wie diese stehen hinter allen Projekten der „Halle 1“. Ein Besuch in Salzburg.

Seit seiner Einführung 1976 ist der Architekturpreis des Landes Salzburg neunmal ausgeschrieben, aber nur achtmal vergeben worden. 2002 wurde seine Verleihung ausgesetzt, weil der damalige Salzburger Landeshauptmann Schausberger und die Regierungsmitglieder seiner Fraktion sich geweigert hatten, die Empfehlung der Jury zu unterzeichnen. Stein des Anstoßes war die Nominierung des Betriebsgebäudes der Salzburg AG von Betrix und Consolascio. Um eine Ehrung gebracht wurde damals unter anderem auch das Architekturbüro „Halle 1“, das für die Erweiterung des Bezirksgerichts Salzburg einen von drei vorgesehenen Anerkennungspreisen bekommen hätte. Es wäre nicht der erste gewesen. Schon zwei Jahre zuvor konnte das Büro für die Feuerwache Schallmoos eine Anerkennung des Landes entgegennehmen.

Ende Jänner wurde nun - auf allen Ebenen konsensual - der Architekturpreis 2004 an die Salzburger Architekten Gerhard Sailer und Heinz Lang, die 1987 die „Halle 1“ gemeinsam gegründet haben, verliehen. Die diesjährige Jury entschloss sich zur Vergabe von drei Anerkennungen und nur eines Hauptpreises, den sie aber nicht einem Bauwerk, sondern allen vier von der „Halle 1“ eingereichten Projekten zusprach und damit stellvertretend das langjährige konsequente Bemühen der Architekten um Qualität in all ihren Arbeiten würdigte.

Tatsächlich spiegeln die S-Bahn-Station Salzburg-Gnigl - ein Infrastrukturbau für die ÖBB -, der Kindergarten am Gebirgsjägerplatz, die Einrichtung des Keltenmuseums in Hallein als Adaption historischer Bausubstanz (in Zusammenarbeit mit Wimmer-Armellini) und die Bebauung eines Areals in Salzburg-Schallmoos mit gemischter Wohn-, Büro- und Geschäftsnutzung ein breites Spektrum bedeutender Bauaufgaben wider. So unterschiedlich diese Beispiele in ihrer Funktion, ihrer Größe und ihrer Ausformung auch sind, so lässt sich an ihnen doch ein Gemeinsames ablesen: der programmatische Ansatz oder das Hinterfragen des kulturellen und baukünstlerischen Anspruchs der Bauaufgabe. Es sind Fragen nach dem historischen Kontext, nach Aussage und Wirkung eines Gebäudes oder Stadtteils, seiner Sozialfunktion und seinem Begegnungs- und Rückzugspotenzial. Was ist ein kindgerechter Kindergarten? Was macht die Qualität einer Stadt aus und schafft Urbanität?

Fast alle Realisierungen der „Halle 1“ gehen auf gewonnene Wettbewerbe zurück. Mehr als die Hälfte ihrer annähernd 50 Beteiligungen wurde ausgezeichnet, 16 davon mit ersten Preisen. Jedes der eingereichten Objekte zeigt, dass eine Klärung dessen, was Lang und Sailer die „Symbolfunktionen der Architektur“ nennen, dem Entwurfsprozess vorangegangen ist. Gemeinsam ist den Arbeiten auch, dass sie sich auf den jeweiligen Standort beziehen. Die Stärken und Schwächen eines Ortes werden ausgelotet, städtebauliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen einer Analyse unterzogen und als gestaltprägende Erkenntnisse im Entwurf umgesetzt. Das mag banal klingen, ist es aber nicht, bedenkt man die internationale Tendenz zum nicht kontextuellen Bauen, die sich in zahllosen gebauten Schleifen, Faltungen und Verwerfungen ausdrückt. Die beiden Architekten der „Halle 1“ operieren ganz selbstverständlich mit den „Realfunktionen der Architektur“, zu denen sie neben dem Eingehen auf den Ort auch Energieeffizienz und konstruktive Aspekte eines Gebäudes zählen. Ihrer Entwurfsphilosophie genügen die Befassung mit den beiden vorangestellten Objektfunktionen und die kreative Transformation der daraus gewonnenen Erkenntnisse noch nicht. Sie messen das Gelingen eines Bauvorhabens auch an der Qualität der Umsetzung, womit der Produktionsablauf im Zusammenspiel von Bauherrn, Planern, Kommune, Sonderplanern und Ausführenden gemeint ist.

Der Kindergarten am Gebirgsjägerplatz macht nicht nur seine Nutzer zufrieden, er tritt in eine Interaktion mit den an das Areal grenzenden Bewohnern. Das liegt nicht allein daran, dass ein öffentlicher Weg, der am Bau vorbeiführt, als Passage integriert wird und dass die beiden zugeordneten Grünflächen aneinander grenzen. Es ergibt sich aus der Durchlässigkeit des zweigeschoßigen Hauses, das durch leichte Hüllflächen und transparente Fassaden und nicht durch kompakte Körper gebildet wird.

Im Keltenmuseum in Hallein gelingt die „Realfunktion“, das Schaffen einer neuen Erschließung und die Adaption von Räumen, höchst subtil. Der dem Altbau vorgesetzte Teil des Foyers kontrastiert als leichter und eleganter Glaszubau die Schwere des historischen Salzherrensitzes ebenso wie die detailverliebte Raumskulptur des von Heinz Tesar vor zehn Jahren errichteten zentralen Stiegenhauses.

Das Gestaltungskonzept für neue S-Bahn-Stationen, das in Salzburg-Gnigl mit der Haltestelle Schwabenwirtsbrücke seine prototypische Erstrealisierung erfuhr, vereint mehrere Aspekte verkehrstechnischer Infrastruktur mit hohem baukünstlerischem Anspruch. Die modulare Entwicklung der Bauteile erlaubt, die einzelnen Bahnsteigelemente unterschiedlich zu kombinieren und anderen Stationen anzupassen. Damit wird ein hoher Wiedererkennungswert geschaffen.

Am Zentrum Schallmoos hinter dem Salzburger Bahnhof hat die „Halle 1“ Grundsatzfragen zur Stadt und den Faktoren, die ihre Qualität ausmachen, virtuos beantwortet. Die geforderte hohe Dichte wurde in ein spannungsvolles Neben-, Mit- und Übereinander von differenziert ausgebildeten, plastisch durchgearbeiteten Baukörpern gepackt. Den noch zurückhaltenden Auftakt an der viel befahrenen Sterneckstraße macht ein lang gestrecktes Gebäude mit Büros, Geschäftsflächen und einer Freizeiteinrichtung, das sich in einer losen Addition von Blockrandbauten fortsetzt und in eine signethafte Überhöhung in Form eines 14-geschoßigen Wohnturms mündet, den beidseitig siebengeschoßige Wohnbauten mit einer vorgelagerten Grünfläche begleiten. Trotz der Vielgestaltigkeit ist daraus ein überschaubares Ganzes geworden, dem auch die nicht sehr gekonnte konstruktive Durchbildung und Detailarbeit, die leider nicht umfassend in den Händen der Architekten lag, substanziell keinen Abbruch tun konnte.


Die Ausstellung der Salzburger Architekturpreise 2004 mit allen in die Bewertung aufgenommenen Einreichungen ist noch bis 14. März (Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr) im Foyer des Amtes der Salzburger Landesregierung, Michael-Pacher-Straße 36, öffentlich zugänglich.

Spectrum, Sa., 2005.02.12



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HALLE 1

25. Dezember 2004Karin Tschavgova
Spectrum

Freiheit und so weiter

Taghelle, von zwei Seiten belichtete Gänge, ein Aufenthaltsraum, warmtönig in den Materialien. Helles Holz, Birke, ein Farbtupfen Dunkelrot. Licht. Eine Perspektive. Die Justizanstalt Leoben.

Taghelle, von zwei Seiten belichtete Gänge, ein Aufenthaltsraum, warmtönig in den Materialien. Helles Holz, Birke, ein Farbtupfen Dunkelrot. Licht. Eine Perspektive. Die Justizanstalt Leoben.

Bild eins: schlauchartige, niedrige Gänge ohne natürliche Belichtung. Beklemmende Enge. Ein Gemeinschaftsraum am Lichthof, der zu gering dimensioniert ist, um an einem grauen Wintertag das Tageslicht noch in die unteren Geschoße dringen zu lassen. Raumzellen als Betonfertigbau aus den späten 90er-Jahren, möbliert mit Stahlrohrbetten, gestapelt neben- oder übereinander. Fenster, nicht groß genug, um einen Zipfel Himmelsblau erhaschen zu können. Trostlos.

Bild zwei: Taghelle, von zwei Seiten belichtete Gänge, die sich zu einem Foyer erweitern. Von dort einsehbar, nur durch Glas getrennt, ein Aufenthaltsraum und eine Teeküche, sonnenbeschienen, warmtönig in den Materialien. Wohnraumatmosphäre. Daneben kleine, funktionell möblierte Räume. Nur helles Holz, Birke, ein Farbtupfen Dunkelrot, kräftige Farben für die beweglichen Teile des Mobiliars. Am Fenster, das bis zum Boden reicht, ein einfacher Tisch. Licht. Eine Perspektive.

Zwei Häuser, eine Welt - die des Gefängnisses. Beide sind an Gerichtshöfe angeschlossen, Ersteres an das Landesgericht in Graz-Jakomini, das andere steht im steirischen Leoben und wird in den nächsten Wochen belegt. In beiden sitzen Untersuchungshäftlinge und Straffällige mit einem Strafrahmen bis zu 18 Monaten ein. Die dem Vollzug zu Grunde liegenden Gesetze, auf der Brodaschen Justizreform von 1975 basierend, werden hier wie dort angewandt. Erst damals wurden Strafen am Leib wie Fasttag und Dunkelhaft abgeschafft, und es gilt: Der Freiheitsentzug ist die Strafe, nicht mehr, und erreicht werden soll, dass ein Sträfling nicht rückfällig wird.

Die Justizanstalt Leoben ist, gemeinsam mit dem Bezirks- und Landesgericht und der Staatsanwaltschaft, Teil eines neuen Justizzentrums, das der Grazer Architekt Sepp Hohensinn als Gewinner eines internationalen Wettbewerbs (2000) nun realisieren konnte. Zum Gelingen haben drei engagierte Menschen beigetragen: der zuständige Sektionschef im Justizministerium, der die Ideen mittragende damalige Leiter der Justizanstalt Leoben und der Architekt. Die Basis erfolgreicher Resozialisierung wird einerseits im Umgang mit den Insassen gesehen, der die Würde und Intimsphäre jedes Menschen respektieren muss, andererseits in der Gestaltung der Haft, die dem Leben draußen ähneln soll.

In Leoben wurde diese Erkenntnis zur Grundlage der Planung. Der Architekt nahm sie ernst und setzte sie lückenlos um - von der Aufnahme bis zum Freigängerhaus, von der Fassade des Haftgebäudes bis in die Zelle. Schon äußerlich wird die Assoziation mit dem „Grauen Haus“ vermieden; Profilitglas als Außenhaut ist nicht nur dauerhaft, es lässt die Wärmedämmung dahinter sichtbar und erzeugt ein changierendes Schimmern von Gelb zu Grün. Der erste Weg ins Gefängnis über die Aufnahmestraße in den Zellentrakt ist logistisch optimiert und zeigt dennoch räumliche Qualität vom Warteraum bis zum taghellen Vorführgang in Glas. Sorgfältig überlegte Gestaltung ersetzt kostenaufwendige Maßnahmen - von der Kombination durchaus günstiger Materialien bis zur Farbwahl und der Auswahl der Möbel. Besonderes Augenmerk wurde auf die Situierung von Räumen gelegt. Hier muss niemand auf ein fensterloses Gegenüber schauen, hier sind die Aufenthaltsräume der Wohngruppen durchwegs nachmittags besonnt, hier gibt es - vermutlich europaweit ein Novum - eine Loggia. Nicht nur die strenge doppelte Außensicherung rund um das Areal machte sie, wie überhaupt mehr Bewegungsfreiheit im Inneren, möglich. So werden die Vollzugshäftlinge in Leoben, je nach Führung, sogar alleine die mehrgeschoßige Halle, die Bibliothek, den Andachtsraum oder vielleicht die Höfe aufsuchen können. Und überall dort auf Kunst am Bau stoßen. Kunst im Gefängnis? Ja, erklärt Sektionschef Neider vom Justizministerium geduldig jedem Fragenden. Kunst zu installieren ist Ausdruck des Auftrags zur Resozialisierung, denn auch sie vermag emotioneller Abstumpfung und Verrohung entgegenzuwirken.

Wie zutreffend diese Erklärung ist, sieht man in den Spazierhöfen, die der Künstler Lois Weinberger mit seiner Frau gestaltet hat. Wo sonst kahle, betonierte Höfe geradezu der Inbegriff inhumanen Strafvollzugs sind, entstehen hier Gärten mit grasbepflanzten Sitzskulpturen, deren weiche Umrisslinien wie die organische Wegeführung den Gängen der Borkenkäfer nachempfunden wurden. Johann Feilacher wiederum bedient sich eines Elements, das mit Behagen und Erinnerungen an Heimat assoziiert werden kann - er verwendet Holz, roh und bearbeitet, auf vielfältige Weise. Der Grazer Künstler Eugen Hein gestaltet derzeit einen Andachtsraum mit wandgroßen Bildern in abgestuften Weißtönen. In seiner Spiritualität und der Mehrdeutbarkeit des Wasserbeckens im Vorraum wird er für alle Konfessionen annehmbar sein. Außen auf der Haftmauer hat der Künstler einen Schriftzug in Sandstrahltechnik auftragen lassen, der den Artikel eins der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wiedergibt und wie folgt beginnt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten und Würde geboren . . .“ Es mag als programmatische Antwort auf alle Kritiker „solchen Luxus“ gelesen werden. Sie sollten bedenken, dass dadurch keine außerordentlichen Mehrkosten verursacht werden, weil jener Passus angewandt wird, der vorsieht, dass in öffentlichen Bauten generell ein Prozent der Baukosten für Kunst am Bau aufgebracht wird.

Von jenen baulichen Vorkehrungen für einen humanen Strafvollzug, die in Leoben umgesetzt wurden, erwartet man neben einer geringeren Rückfallrate konkrete Einsparungen im Betrieb: die Senkung der Kosten für ärztliche Betreuung der Häftlinge, geringere Medikation, ein besseres Betriebsklima für das Personal und die Entspannung der Personalfrage. Den anderen Teil des Justizzentrums, die beiden Gerichte und die Staatsanwaltschaft, hat der Architekt mit ebensolchem Können geplant. Auch hier ist gelungen, jeden machtvollen Ausdruck zu vermeiden, mit Licht und Materialien wie Holz und Stein Stimmung zu erzeugen und den Servicecharakter zu betonen. Doch das ist eine eigene Geschichte.

Spectrum, Sa., 2004.12.25



verknüpfte Bauwerke
Justizzentrum Leoben

30. Oktober 2004Karin Tschavgova
Spectrum

Banal? Einfach? Einfach banal?

In das alltägliche Bauen hat eine Architektur der neuen Einfachheit Einzug gehalten. Doch Einfachheit will gekonnt sein. Wer nur an die Kosten denkt, wird an ihr scheitern.

In das alltägliche Bauen hat eine Architektur der neuen Einfachheit Einzug gehalten. Doch Einfachheit will gekonnt sein. Wer nur an die Kosten denkt, wird an ihr scheitern.

Von Caracas bis Pudong: Das Bauen ist ein Thema. Aber obwohl die neuen Wolkenkratzer in Shanghai denen in New York City aufs Haar gleichen, ist Architektur nicht ein Thema. Das liegt weniger an den unterschiedlichen, länderspezifischen Rahmenbedingungen für das Bauen, sondern daran, dass auch die Architektur sich in mehrere Welten aufspaltet.

Die der Schönen und Reichen war heuer auf der Architekturbiennale vertreten. Was man in den Hallen des Arsenale zu sehen bekam, ließ einen daran zweifeln, dass für das Bauen gilt, was - zumindest in den westlichen Industrieländern - angesagt ist: Rezession und daraus folgender Sparkurs. Unter dem Titel „Metamorphosen“ versammeln sich in Venedig große Namen und noch größere Projekte.

Was im Einzelnen durchaus spannend und interessant ist, bläht sich in Summe auf zum Gesamtbild eines global agierenden, selbstverliebten Architekturzirkus, der ziemlich abgehoben und formalistisch Architekturskulpturen produziert und sich gesellschaftlich relevante Zeitfragen erst gar nicht stellt. Ökonomie der Mittel, die Ökologie, Verslumung und das unkontrollierte Anwachsen vieler Städte sind kein Thema für eine Architektur, die der Machtdemonstration von Konzernen dient oder als touristischer Turbo-Attraktor fungieren soll. So bleibt es bei der aufwendigen Präsentation aller erdenklichen Varianten amorpher oder dekonstruktivistischer Formen. Der Fantasie der Planer und dem Zeichenprogramm scheinen keine Grenzen gesetzt, und genau deshalb wäre interessant, später einmal nachzuprüfen, wie nahe diese Projekte, sofern sie „auf den Boden kommen“, am computergenerierten Vorbild geblieben sind. Im starren Korsett von Sachzwängen - Bauvorschriften, Sparauflagen, Effizienz und kurze Planungszeit - verlieren experimentelle Entwürfe oftmals ihre Schlüssigkeit und Ästhetik. Das muss man, nicht zuletzt an der Umsetzung des Grazer Kunsthausentwurfs von Peter Cook und Colin Fournier zur Kenntnis nehmen.

Sind diese Luxusschlitten der Architektur Trendsetter, fragt man sich, wenn man die Schau der Blobs, Schleifen und Faltungen übersättigt verlässt? Und: Was wäre die Alternative?

Die Realität schaut sowieso anders aus, hierzulande jedenfalls. In das alltägliche Bauen hat eine Architektur der Einfachheit Einzug gehalten, die sich am Markt orientiert, weil sie mehrheitsfähig sein will, um den Markt zu bedienen. Das gilt für den Großteil des Wohnbaus und auch für öffentliche Bauten, die mit der neuen Einfachheit auf eine einzige gesellschaftliche Entwicklung reagieren: die der Verknappung der Mittel. Gegen solch einleuchtende Pragmatik lässt sich vorerst nur anführen, dass sie zur Vereinheitlichung und gestalterischen Verarmung führt.

2003 machte Graz als Kulturhauptstadt seine spektakuläre Architektur zum Aushängeschild touristischer Marketingaktivitäten. Geworben wurde unter anderem mit dem außergewöhnlichen Kunsthaus und der Murinsel von Vito Acconci.

2004 wurden in Graz einige öffentliche Gebäude fertig gestellt und feierlich eröffnet, die von Architekten mit einem guten Ruf in der Fachwelt geplant worden sind. Es sind Bauten der Bildung, die allesamt die Sprache einer neuen Einfachheit sprechen und dabei auffallende Ähnlichkeiten aufweisen. Der hohe Gebrauchswert dieser Schul-, Fachhochschul- und Universitätsbauten ist unbestritten. Dennoch unterscheiden sie sich auf den ersten Blick nicht wesentlich von anonymer Investorenarchitektur. Daran ändern alle Versuche der Kritiker nichts, diese Bauten mit nobilitierenden Attributen wie „einfach“, „schlicht“, „stille Einfachheit“, „Minimalismus“ und „fern jeder pathetischen Aufgeregtheit“ zu versehen. Wenn einem Bau nur „eine Schokoladenseite vergönnt“ ist und deswegen überall nur diese abgebildet wird, ist dies problematisch.

Der neue Trend im öffentlichen Bau geht also zu aus Kostengründen abgemagerten Funktionsbauten. Woran es diesen mangelt, ist in jedem Fall Originalität, auch Frische und Sinnlichkeit. Bar jeder Überraschung huscht das Auge über die meist glatten Fassaden und bleibt daran genauso wenig hängen wie die Erinnerung an das Bauwerk im Gedächtnis.

Um originell zu sein, braucht ein Entwurf eine Idee. Ideenfindung bedeutet immer, aus vielen potenziellen Möglichkeiten jene herauszufiltern, die auf eine Aufgabenstellung und einen Ort schlüssig reagieren. Eine Idee muss nicht aufwendig sein, aber so komplex, dass sie möglichst viele Ansprüche an die Bauaufgabe erfüllt. Versteht man die Kategorie der Einfachheit im Sinne von Stringenz, so setzt sie einen Reduktionsprozess voraus, bei dem Überflüssiges erkannt und weggenommen wurde. Von der Fülle der Möglichkeiten - in Form, Konstruktion und Material - durch Selbstbeschränkung zu Einfachheit zu gelangen kann gelingen.

Die ersten der sogenannten „Kisten“ in der Schweizer Architektur waren auch alles andere als banal. Ein schlichtes Einfamilienhaus des Schweizer Architekten Andrea Deplazes erweist sich bei genauem Hinsehen als höchst subtil. Es ist von größter struktureller Klarheit und räumlicher Qualität, bis ins Detail ausgefeilt und im Materialeinsatz gekonnt.

Und doch scheint Gesetzmäßigkeit zu sein, dass jeder Stil, jede angewandte Theorie mit der Zeit verflacht. Je einfacher oder minimalistischer eine Architekturrichtung ist, desto größer ist die Gefahr, dass sie durch epigonale Nachahmung zur Banalität verkommt. Das kann man in Vorarlberg genauso beobachten wie bei den Einreichungen für die Holzbaupreise, von denen viele nicht mehr als indifferent in die Landschaft gestellte Kisten sind.

Einfachheit will gekonnt sein. Wer davon nichts versteht oder seinen Gestaltungsanspruch schon zu niedrig ansetzt, weil er nur den restriktiven Kostenrahmen im Auge hat, wird auch an der Einfachheit scheitern. Wer die Verpflichtung zu Baukultur ernst nimmt, wird Lösungen finden und ermöglichen müssen, die weder abgehobene Architekturplastik noch pragmatische Kiste sind - frisch, überraschend, undogmatisch.

Spectrum, Sa., 2004.10.30

11. September 2004Karin Tschavgova
Spectrum

Wie ins Grün gestreut

Exakt wie eine japanische Pinselzeichnung: Feyferlik und Fritzer versehen ihre Häuser mit Freiräumen, die das sinnliche Erleben der Jahreszeiten ermöglichen.

Exakt wie eine japanische Pinselzeichnung: Feyferlik und Fritzer versehen ihre Häuser mit Freiräumen, die das sinnliche Erleben der Jahreszeiten ermöglichen.

Die Individualisierung der Gesell schaft führt zu veränderten Le bensformen. Die Splittung des Wohnens nach Generationen bedeutet, zumindest im urbanen Raum, eine starke Zunahme von Single- und Kleinhaushalten, dazu kommen immer mehr Alleinerzieher (in Wien sind es 28 Prozent) und eine steigende Zahl von Altersheimen.

Glaubt man den demoskopischen Werten, so ändert dies nichts daran, dass das Wohnen im Einfamilienhaus die begehrteste Wohnform der Österreicher ist. Das eigene Heim ist Goldes wert, es wird mit Naturnähe gleichgesetzt und bedeutet Prestige und Tradition; es suggeriert Sicherheit und Stabilität und verheißt Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Außerdem ist der Hausbau gemeinschaftsfördernd, denn die Familie hat ein kollektives Ziel.

Dem gegenüber stehen enormer Landverbrauch und Zersiedelung, hohe Kommunalkosten für Aufschließung und Infrastruktur und die Erhöhung des Verkehrsaufkommens durch Zweitautos und lange Wegstrecken. Dennoch wird dem Wunsch nach dem frei stehenden Eigenheim von Seiten der Regierungen kein Regulativ entgegengesetzt. Im Gegenteil: Zuschüsse für Jungfamilien oder energiesparende Maßnahmen geben Anreize zum Bauen und tragen zur Erweiterung der Siedlungsgürtel an Stadträndern und in Umlandgemeinden erheblich bei. Für einen großen Anteil der Bauwilligen bedeutet der Hausbau trotz dieser Unterstützungen, jahrelange finanzielle Verpflichtungen einzugehen, die Notwendigkeit eines Zweiteinkommens und den Verzicht auf freie Wochenenden und Urlaube. Und wofür das alles?

Die Bau- und die Fertighausindustrie bieten dem Häuselbauer ein Haus von der Stange - in der Regel zweigeschoßig mit ausgebautem Dachgeschoß im Satteldach und angehobener Terrasse - und behaupten Individualität durch die Wahlmöglichkeit von Erkern, Haustürfabrikat und Fensterfarben. Mit der Verwendung von Holz als Dekor wird Bodenständigkeit suggeriert und eine solide Bauweise, indem die Leichtbauelemente des Fertighauses mit Putz kaschiert werden, um einen Massivbau vorzutäuschen. Nicht etwa, dass die Leichtbauweise gegenüber dem Ziegelbau Nachteile aufzuweisen hätte, nein, aber man weiß ja, was der Kunde will. Ein solches Haus ist für eine Normfamilie, für Normverhalten und für ein fiktives Normgrundstück geplant. Es geht weder auf die Gewohnheiten seiner Bewohner noch auf die Besonderheiten des Grundstücks und der Umgebung ein und nicht auf die Topografie. Wie wäre sonst zu erklären, dass sich trotz genauer Recherche kein Fertighaushersteller finden lässt, der ein Modell für die Hanglage anbietet?

Liegt also das Heil beim vom Architekten geplanten Haus? Nur rund sechs Prozent der Einfamilienhäuser werden unter Beiziehung von Architekten realisiert. Die Gründe dafür kennt man, sie sind mannigfaltig. Zum Beispiel keine oder falsche Vorstellungen zu haben von der Arbeit des Architekten, der ja „nur einen Plan zeichnet“. Oder zu glauben, dass Architektur nur eine Geschmacksfrage sei. Es sind Vorurteile und Ängste, etwa, dass das Architektenhonorar unleistbar ist und dass der Architekt einem seine Vorstellungen aufzwingen will. Nichts davon trifft auf einen guten Architekten zu. Nur: Was oder wer ist ein guter Architekt? Und: Sind nicht alle Architekten gut?

Auch wenn man sich in erster Linie als Vermittler zwischen Architekt und Gesellschaft sieht, muss man doch zugeben, dass es eine Menge schlechter Architekten und Bauwerke gibt. Viele, die zwar ambitioniert, aber nicht gekonnt arbeiten, und einige, die ihr Handwerk beherrschen, sich jedoch in Verkennung der Aufgaben des Architekten in Selbstdarstellung erschöpfen. Anderes wird, mit der Häufigkeit seines Auftauchens in der Architekturlandschaft, trotz Engagement und Können mit der Zeit schlichtweg langweilig. Man denke an die Mehrzahl der „Schweizer Kisten“, einfache orthogonale Baukörper, deren Varianten doch nur kleine Abweichungen des immer Gleichen sind. Der Kritiker in mir wünscht sich weniger kühle Intellektualität oder Konformität, dafür mehr Fantasie und Überraschung, ein spielerisches Element und größeren Formenreichtum. Nicht das Spektakel, aber die eigenständige Ausformung einer Idee. Ein Wohnhaus sollte immer der gebaute Ausdruck der Bedürfnisse seiner Bewohner sein, eine adäquate Antwort auf ihre Vorlieben und ihre finanziellen Möglichkeiten und eine poetische auf den konkreten Ort.

Das Haus R. der Architekten Wolfgang Feyferlik und Susi Fritzer in Grazer Randlage erfüllt all das und mehr. Bescheiden in den Dimensionen, schmiegt es sich ins Terrain, ein baumbestandenes Grundstück in sanfter Hanglage, das nach Südost ausgerichtet ist. Nach den Wohnfunktionen getrennt, sind unterschiedliche solitäre Baukörper ausgeformt, die wie Glieder einer Kette auf einer Erschließungsachse aufgefädelt sind. Der Wohnbereich als flaches Volumen wirkt leicht und lichtdurchflutet, weil er zweiseitig mit raumhohen Glasfronten versehen wurde, die ihn weniger abschließen als schwellenlos mit der Natur verbinden. Eine Gruppe von Birken und anderen Laubgehölzen spendet sommers Schatten, während im Winter die Sonne durch das schräge Oberlicht an der Fassade weit in den Wohnraum geholt werden kann.

Das „Schlafhaus“ der Eltern, holzverkleidet und kompakt, ist Inbegriff von Privatheit und lässt doch durch das rundum laufende Bandfenster den Blick in Baumkronen und auf den Himmel frei. Es schiebt sich in den Hang, macht damit der Verbindungsachse Platz und formuliert den Eingang. Dem Bedürfnis nach getrennten Bereichen entspricht auch der Kindertrakt, ein „Baumhaus“, das als aufgeständerte Box in die Krone eines Nussbaums ragt und das Ensemble aus gekonnt arrangierten Körpern, die wie ins Grün gestreut wirken, leichtfüßig abschließt.

Die Sorgfalt, mit der die Vorzüge des Grundstücks ausgelotet und mit den Wünschen der Bauherrn verschränkt wurden, zeigt sich bis ins Detail. Entstanden ist ein ins Grün fließendes harmonisches Gefüge aus teils luziden, teils kompakten Körpern mit vielfältigen Freiräumen, die das hautnahe Erleben der Natur und der Jahreszeiten möglich macht. Feyferlik und Fritzer konzipieren ihre Häuser mit leichter Geste und setzen sie exakt wie eine japanische Pinselzeichnung. Dieses Haus erreicht ohne großen Aufwand Niedrigenergie-Standard. Mit und in ihm lässt sich sowohl Energie sparen wie Energie tanken.

Spectrum, Sa., 2004.09.11



verknüpfte Bauwerke
Haus R.

12. Juni 2004Karin Tschavgova
Spectrum

Adern im Bernstein

Das Überraschende, das nicht Bekannte, die Lust, einen Raum in Besitz zu nehmen: „Alles andere ist nicht Architektur“, meint Volker Giencke. Der in Graz ansässige Architekt hat ein Haus der Musik für das lettische Libau entworfen.

Das Überraschende, das nicht Bekannte, die Lust, einen Raum in Besitz zu nehmen: „Alles andere ist nicht Architektur“, meint Volker Giencke. Der in Graz ansässige Architekt hat ein Haus der Musik für das lettische Libau entworfen.

Nicht gebaute, also nur als Zeich nung existierende Architektur be deutet dem Architekten Volker Giencke nichts. Gleichwohl er ein begnadeter Zeichner ist, kommt der mit gekonntem Strich skizzierten Idee nur eine Suchfunktion zu. Die Bleistiftzeichnung visualisiert verschiedene Stadien eines Formfindungsprozesses, sie dokumentiert Unfertiges, Verworfenes und bleibt in ihrer Bedeutung jederzeit beschränkt auf ein Werkzeug zur Gedankenschärfung und Konkretisierung.

Bauen ist Gienckes Ziel. Trotzdem entwickelt er immer wieder gewagte Visionen von Bauwerken, die in ihrer Extravaganz mehr als politische Lippenbekenntnisse und planerische Routine einfordern. Sie verlangen nicht nur die uneingeschränkte Hinwendung zur gewählten Lösung, sondern auch eine enorme Kraftaufwendung aller Beteiligten, um sie je realisieren zu können.

An der „Conzert Hall Liepaja“, Gienckes jüngstem Projekt, wird sich zeigen, ob seine Leidenschaft und sein Beharrungsvermögen ausreichend sind, um das schier Unmögliche möglich zu machen. Das ehemalige Ostseebad Libau (lettisch: Liepaja) ist mit rund 130.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Lettlands, eines der drei baltischen Staaten, die 2004 Mitglied der EU geworden sind. Libau beherbergt das einzige Symphonieorchester Lettlands, eines Landes, das seine eigenständige musikalische Tradition während der 50-jährigen Besetzung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion kultiviert hat (bis zur gemeinsamen „Singenden Revolution“ 1991). Der internationale Wettbewerb für ein so großes Haus der Musik spiegelt gleichermaßen den Nationalstolz der Letten wie das Streben um kulturellen und ökonomischen Anschluss an die Staatengemeinschaft wider.

Der Ausschreibung als Geste mit Symbolcharakter antwortet Giencke in seinem siegreichen Projekt mit ebensolcher Zeichenhaftigkeit. Sein Entwurf schließt einen großen Konzertsaal, einen Kammermusiksaal, Proberäume, Ausstellungsflächen, Rampen, Treppen und Galerien in einen monolithischen, jedoch transluzenten Baukörper mit 115 Meter Länge ein. Die riesige Stahl-Glas-Konstruktion formt ein verzogenes elliptisches Gebilde, bernsteinfarbig, das sein Innenleben warmtönig durchschimmern lässt wie ein Aderngeflecht zu lebenswichtigen Organen. Die Letten selbst haben dem Objekt - noch ein semiotischer Verweis - die Bezeichnung „Giant Amber“, gigantischer Bernstein, gegeben. Zur Erinnerung: Baltischer Bernstein war in der Antike und davor ein so gefragter Exportartikel, dass eine eigene Handelsstraße nach ihm benannt wurde.

Die Konzerthalle soll durch einen Bau mit kommerzieller Nutzung für Büros und Administration ergänzt werden, der die laufenden Kosten des Kulturbetriebs finanzierbar macht. Der Zusammenschluss der beiden eigenständigen Teile über eine Straße hinweg erfolgt durch eine riesige Freiterrasse, fünf Meter über Stadtniveau. Als Ensemble mit solitärer Leuchtkraft wird das Bauwerk nicht nur stadtbildprägend für jene, die von der Landseite kommen, es wäre durchaus geeignet, ein neues Zentrum öffentlicher Begegnung zu werden. Seine spektakuläre, zweischalige Hülle birgt ein luftiges Volumen, das einlädt zu einer promenade spectaculaire, zu einem Durch- und Umwandern - von unten nach oben, von innen nach außen und von hell zu dunkel. Die Haut, Giencke denkt an gebogenes, gefärbtes Glas, schützt vor den Unbilden des lettischen Wetters, dem häufigen Wind und den kalten, schneereichen Wintern.

Es ist eine Architektur mit all jenen Attributen, die Giencke für unverzichtbar hält, will man überhaupt von Architektur als Baukunst sprechen. Es ist das Überraschende und nicht Bekannte, das, was neugierig macht und Lust, einen Raum zu erkunden und in Besitz zu nehmen: das Raumerlebnis. „Alles andere“, sagt Giencke mit deutlichem Seitenhieb auf Schweizer und Vorarlberger Tendenzen der reduzierten Form in der Architektur, „ist nicht Architektur.“ Das Erfüllen von Funktionen, also gute Grundrisse hinzukriegen und ökonomisch zu denken, sind Basics, die er voraussetzt, die aber für ihn noch längst nicht Architektur sind.

Volker Giencke wurde in Kärnten geboren, hat an der TU Graz Architektur studiert und gemeinsam mit Günter Domenig von 1974 bis 1978 auch an der Z-Sparkasse in Favoriten mitgearbeitet. Schon damals war er um strukturelle Klarheit und Systematik bemüht und brachte dem industriellen Bauen im Sinne Jean Prouvés Interesse und Sympathie entgegen. Seit einem Gruppenauftritt 1984 in der Publikation „13 Standpunkte. Grazer Schule“ wird Giencke dieser zugeordnet. Es ist jedoch sicher nicht die der Grazer Schule zugeschriebene Expressivität der Form, die ihn mit ihr verbunden hat. Dagegen stand sein jederzeit erkennbares Streben nach konstruktiver Logik und Stringenz. Vielmehr bilden Eigenständigkeit und Leidenschaftlichkeit den kleinsten gemeinsamen Nenner. Gienckes Entwürfe orientieren sich nie vordergründig an Moden. An Arbeit und Lehre geht der Architekt, der seit Jahren an der TU Innsbruck dem Institut für Entwerfen und dem für Hochbau vorsteht, mit Emotion, Verve und Kompromisslosigkeit heran.

Spricht Giencke vom Raumerlebnis, so zielt er nicht auf das Spektakuläre ab. Es ist nie Ergebnis eines dekonstruktivistischen Aktes der Brechung von Linien und rechten Winkeln oder der Einführung von Schrägen. Wenn diese in Gienckes Arbeiten zu finden sind, dann sind sie formgewordene Raumvorstellungen, Satzglieder einer Komposition, die spielerisch ausdrücken, was der Raum leisten muss. Die Gewächshäuser im Botanischen Garten in Graz sind eine gebaute Landschaft aus künstlichen Hügeln mit eingefügten Wegen, Rampen und hängenden Stegen. Eine Landschaft der inneren Befindlichkeit könnte die plastische Form des Red Rooms ausdrücken, der anlässlich einer Ausstellung über mönchisches Leben in Stift Seckau einen kontemplativen Rahmen für Gregorianische Gesänge abgab. Dieser meisterlichen Raumplastik, einem Low-Budget-Projekt, ist anzusehen, dass am Anfang die Vision einer Raumwirkung stand, Wollen und Sehnsucht nach einem Raum, in dem Überraschung passiert: Form ist nie Selbstzweck. Deswegen oszillieren Gienckes Arbeiten mühe- und widerspruchslos zwischen plastischer Hervorhebung und klarer geometrischer Form. Beide sind leidenschaftliche Plädoyers für Architektur.

Spectrum, Sa., 2004.06.12

10. April 2004Karin Tschavgova
Spectrum

Immer hart am Limit

Was Norman Foster, Coop Himmelb(l)au oder auch Vito Acconci erdenken, verwandeln sie in Wirklichkeit: die Grazer Tragwerkplaner Zenkner & Handel. Ihre Ambition: Probleme der Statik mit minimalem Materialaufwand zu lösen.

Was Norman Foster, Coop Himmelb(l)au oder auch Vito Acconci erdenken, verwandeln sie in Wirklichkeit: die Grazer Tragwerkplaner Zenkner & Handel. Ihre Ambition: Probleme der Statik mit minimalem Materialaufwand zu lösen.

Tragwerkplaner stehen selten im Rampenlicht. Selbst bei einer Schuldfrage - etwa wenn die Reichsbrücke einstürzt - bleibt es dem Statiker in der Regel erspart, ans Licht der medialen Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Zu vielschichtig sind die möglichen Ursachen des Versagens, um sie an einem Fehler und an einer verantwortlichen Instanz festzumachen. Die Tragwerklehre ist ebenso komplex wie abstrakt, und so wird der Statiker nicht selten, trotz der trockenen Materie, in die Nähe des Zauberers gerückt, der Naturkräfte bezwingen soll. „Konstruktionen sind Mittel zur Übertragung von Kräften“, leitet der berühmte Frei Otto einen Aufsatz über Grundbegriffe von Konstruktionen ein. Klingt einfach, doch wer weiß schon Genaueres über Biegung, Zug und Druck, die unsichtbaren Kräfte, die des Konstrukteurs Streben bestimmen, sie in geordnete und berechenbare Bahnen zu leiten. Ein Statiker, der es sich leicht macht, rechnet Sicherheitszuschläge ein und legt ein überdimensioniertes Tragwerk vor. Schwieriger wird es, wenn man der Meinung ist, dass letztendlich das interessanteste Problem der Statik ist, eine Aufgabe mit minimalem Materialaufwand zu lösen.

Großbritannien kann auf eine lange Tradition des konstruktiven Leichtbaus in Eisen und Glas zurückblicken. Die Geschichte der Palmenhäuser und der Kristallpaläste, die Kühnheit ihrer fragilen Konstruktionen sind Ausdruck einer technischen Revolution, die im England des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Die Technologie des Eisengusses ermöglichte es, Bauteile in standardisierter Form herzustellen, sie in Werkstätten zu verbinden und auf der Baustelle nur mehr die Endmontage vorzunehmen. Das war der Beginn der industriellen Bauweise, die die Grundlage der Architektur der Moderne bildete und auch die des modernen Hochhausbaus. Bis heute basiert der amerikanische Skyscraper auf dem Prinzip des Leichtbaus in Stahl.

Heute hat Großbritannien im Architekten Lord (!) Norman Foster, dem vielbauenden Pritzker-Preisträger, den wohl renommiertesten Vertreter des Leichtbaus in Stahl und Glas. Fast immer war in den letzten Jahren die österreichische Firma Waagner Biro an der Realisierung der Bauten von Foster and Partners beteiligt, etwa bei der neuen Kuppel des Reichstags in Berlin; anfangs als Bestbieter bei Ausschreibungen zur Stahl-Glas-Konstruktion, nun schon seit einiger Zeit als erklärter Wunschpartner Fosters.

Bei allen innovativen Projekten der Firma Waagner Biro dabei ist das Grazer Ingenieurbüro der Tragwerkplaner Günther Zenkner und Erich Handel. Der Weg der beiden, die immer noch ein vergleichsweise kleines Büro mit etwa zwölf Mitarbeitern leiten, führte sie nach dem Studium an der TU Graz geradewegs zu Theorie und Lehre als Assistenten und erst relativ spät, vor zehn Jahren, in die Praxis. Umso erstaunlicher ist der Umfang ihres bisherigen OEuvres, das sich wie ein Auszug der spannendsten europäischen Bauaufgaben der letzten Jahre liest. Zenkner & Handel haben die statische Berechnung des Dachs über dem Forum des Sony Center (Entwurf Murphy u. Jahn) in Berlin gemeistert, eine komplexe geometrische Struktur mit einer gefalteten Dachoberfläche. Sie haben leichte, zeltartige Stahlmembrankonstruktionen für das Scientific Center Kuwait ermöglicht, die Glasfassade am Bahnhof von Leipzig (Entwurf Hentrich & Petschnigg) bemessen, in Wien am Andromeda Tower (Holzbauer), am Rucksack des Gasometers (Coop Himmelb(l)au), am Büro- und Geschäftszentrum St. Marx mitgearbeitet und die Glasstatik am Hangar 7 (Burgstaller) in Salzburg ermittelt.

Für Foster and Partners berechneten sie die riesige muschelförmige Dachstruktur des Music Centre Gateshead bei Newcastle, einen Bürohausturm der Canary-Wharf- Gruppe in den Docklands und das Schwingungsverhalten der Wendeltreppe, die sich im neuen Londoner Rathaus spiralförmig vom ersten bis zum achten Stockwerk zieht. Sie haben die Spitze des Swiss Re Towers von Norman Foster realisiert, eine geometrisch komplexe Struktur in Stahl und Glas, die ein neues Highlight am Londoner Nachthimmel darstellen wird.

Nachhaltig konnten Zenkner & Handel ihren Ruf als innovative Ingenieure festigen, als sie den entscheidenden Beitrag zur konstruktiven Lösung der Überdachung des Great Court im ehrwürdigen British Museum lieferten. Das mehr als 6000 Quadratmeter große Dach überspannt ein Geviert von Ausstellungsbauten aus dem 18. Jahrhundert, in dessen Zentrum als Rundbau, leicht versetzt aus der Mitte, der historische Lesesaal steht. Mit dem Büro Happold als Tragwerkplaner hatte Foster ein gänzlich stützenfreies Netzwerk aus Dreieckselementen konzipiert, eine umgedrehte Schale. Das Vergabesystem in England sieht nun vor, die gesamte Verantwortlichkeit für eine Spezialanfertigung, also die der Statik, der Bauphysik, der Materialgüte, der Einhaltung der Kosten und des Zeitplans, in die Hände der ausführenden Firma zu legen. Der Tragwerkplaner wird nur mehr für das Controlling eingesetzt. Aufgrund der Asymmetrie des Dachs ergab sich, dass alle Knoten und Stäbe unterschiedlich ausgebildet werden mussten. Die große Herausforderung für die beiden Statiker bestand nun darin, einen Knoten zu entwickeln, der eine Verbindung zwischen allen Stäben ermöglichte und Kräfte sowie Biegemomente aufnehmen konnte. Wesentliche Kriterien waren die verschiedenen Winkel zwischen den Stäben und ihre Verdrehung zueinander. Die Lösung der Knoten - jeder von ihnen ist automatisiert aus einem starken Blech herausgebrannt und ein Unikat - prägt die Schönheit des Dachs wesentlich. Die enorme Anstrengung in der Entwicklung und Montage des Dachs ist dem feingliedrigen transparenten Netzwerk, das die Londoner Wetterkapriolen wunderbar wiedergeben kann, nicht anzusehen.

Im Entwurf eines Tragwerks in direkter Zusammenarbeit mit dem Architekten sehen die beiden Ingenieure ihre reizvollste Aufgabe. Deswegen war für sie die Entwicklung der Struktur der schwimmenden Acconci-Insel, des Leitprojekts der Stadt Graz 2003, eine besondere Herausforderung. Zehn Jahre der Praxis und Zusammenarbeit mit Architekten haben sie erkennen lassen, wie wichtig ein Architekturverständnis für Bauingenieure wäre und wie groß das Manko ihrer Ausbildung ist, das keine Lehrinhalte über Architektur vorsieht. Zu ihrem Auftraggeber konnten sie in langjähriger Zusammenarbeit ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das sich auch in der Verbundenheit des großen Stars Foster niederschlägt. Es wird ihnen ermöglichen, ihre Forschungsschwerpunkte der Seil- und Membrankonstruktionen und der dynamischen Berechnungen fortzuführen. Schön wäre, wenn sie ihren kreativen Elan und ihr fundiertes Wissen auf der Universität weitergeben dürften.

Spectrum, Sa., 2004.04.10

21. Februar 2004Karin Tschavgova
Spectrum

Wenn der Computer heizt

Auch wenn man hierzulande Wärmeschutz immer noch mit Masse gleichsetzt - der Leichtbau belehrt uns eines Bessern: die holländische Gruppe Cepezed und ihr Grazer Forschungszentrum für die Akademie der Wissenschaften.

Auch wenn man hierzulande Wärmeschutz immer noch mit Masse gleichsetzt - der Leichtbau belehrt uns eines Bessern: die holländische Gruppe Cepezed und ihr Grazer Forschungszentrum für die Akademie der Wissenschaften.

Erzählen Sie einmal jemandem, dass eine Leichtwand mit 16 Zentimetern Dämmstärke, wie etwa beim Dachbodenausbau üblich, dem Wärmedurchgangswiderstand oder, anders gesagt, der Dämmwirkung einer einen Meter dicken Wand aus kleinformatigen Ziegeln entspricht. Wetten, Sie ernten höchstes Erstaunen? Wärmeschutz wird hierzulande immer noch mit Masse gleichgesetzt, und die Formel heißt: Masse, also Gewicht, schützt vor Kälte wie vor sommerlicher Überhitzung und garantiert, nebenbei, besseren Brand- und Schallschutz.

Länder wie Großbritannien oder die Niederlande haben eine andere Auffassung von Wärme- und Brandschutz. Sie lässt sich aus einer Bautradition ableiten, die vom Schiffsbau geprägt ist - dem Leichtbau. Darunter versteht man das Bauen mit tragenden Strukturen, etwa aus Stahl oder Holz, die mit nichttragenden und daher leichten Elementen ausgefacht werden. Das Entwerfen leichter Konstruktionen ist ein Arbeiten an den Grenzen, das Herantasten an das physikalisch und technisch Machbare, schreibt Werner Sobek, der Nachfolger von Frei Otto am berühmten Lehrstuhl für Leichtbau in Stuttgart. Und warum das alles? Bei Konstruktionen, die große Spannweiten überbrücken oder große Höhen erreichen, ist die Reduktion des Eigengewichts ein ökonomischer Zwang und überhaupt die Voraussetzung zur Realisierbarkeit. Bei eher alltäglichen Konstruktionen mit kleineren Abmessungen bringt Leichtbau eine Ersparnis an eingesetzter Masse und zumeist auch an eingesetzter Energie. Leichtbau ist Bauen mit vorgefertigten Elementen, also rationelle Herstellung und Montage sowie kurze Bauzeit. Im Stahlbau bedeutet er große Spannweiten für stützenfreie Nutzflächen, schlanke Stützen und frei zugängliche, adaptionsfähige Installationsführung.

Bei der Konzeption des Forschungsgebäudes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz kamen alle diese Überlegungen zum Zug. Es wurde als Ergebnis eines beschränkten Wettbewerbs vom holländischen Duo Michiel Cohen und Jan Pesman, die die Gruppe Cepezed bilden, in Delft geplant und in einer Arbeitsgemeinschaft mit ausführenden Ingenieuren in Graz realisiert.

Cepezed streben hocheffiziente und nachhaltige Lösungen an und entwickeln ihre Projekte seit langem als ganzheitlich angelegte Prozesse, in denen technologische Aspekte, ästhetische Qualität und
hoher Gebrauchswert gleichwertig nebeneinander stehen. Industrielles Bauen mit Vorfertigung und standardisierten Komponenten versteht sich dabei von selbst, ebenso der direkte, beide Seiten befruchtende Dialog mit der Bauindustrie.

Integrierte Planung bezieht nicht nur alle zu berücksichtigenden Aspekte ein, sondern auch von Anfang an die beteiligten Fachplaner. Bei diesen mussten die Architekten sowohl für ihr Innovationszentrum für Informatik in Berlin wie auch in Graz noch Überzeugungsarbeit leisten, denn ihre Philosophie zum Energiebedarf, zur Wärmebilanz und zum Brandschutz, besonders im Bürobau, ist hierzulande noch nicht Standard. Es ist eine neue Betrachtungsweise des Zusammenwirkens von Wärme, Licht, Lüftung, Dämmwerten, Sonneneinstrahlung und Nutzung. Sie hat zur Schlussfolgerung geführt, dass sich die Verhältnisse im Gesamtenergiehaushalt von Gebäuden so gravierend geändert haben, dass ein radikales Umdenken in der Planung des Heiz- und Lüftungsbedarfs notwendig ist. Die Entwicklung besserer Wärmedämmungen minimiert die Wärmeverluste und damit die benötigte Heizleistung, während sich gleichzeitig der Energieaufwand für verschiedenste andere Zwecke erhöht. Den überwiegenden Teil des Jahres übersteigt die interne Wärmeaufladung, etwa durch die Abwärme von Computern und Beleuchtung, den Heizbedarf, was bedeutet, dass sie ausreicht, um ein gut isoliertes Bürogebäude zu heizen. Schon in den Übergangszeiten und erst recht im Sommer muss man Wärme abführen. Es scheint den Architekten paradox, dass Wärme, die durch Zufuhr von Primärenergie, zum Beispiel zur Beleuchtung eines Arbeitsraums, entsteht, im Sommer wiederum mit Primärenergie zum Betrieb von Klimaanlagen weggekühlt werden muss. Herkömmliches mechanisches Kühlen soll dreimal so teuer sein wie das Beheizen von Räumen.

Cepezed wählen daher den anderen Weg, indem sie ihre Stahlleichtbauten natürlich belüften. Ihre Devise könnte lauten: Intelligenter Simple-Tech statt High-Tech. Da die Wärmeverluste minimiert werden, beschränkt sich die Energiezufuhr im Wesentlichen auf die Nutzung und ist im Winter wenig erhöht durch eine Strahlungsheizung in Form von erwärmtem Wasser in Rohren, die in der Decke geführt werden und einen Kreislauf bilden. Im Sommer wird dieser umgekehrt zum Kühlen verwendet, während jegliche Lüftung auf natürliche Art erzeugt wird, indem man das Prinzip des Kamineffekts nützt. Warme Luft kann in einer zentralen Halle frei aufsteigen und über öffenbare Lamellen entweichen. Der Nutzer, also der Mensch am Arbeitsplatz, nimmt die Steuerung anstelle hochkomplizierter Regelsysteme selbst in die Hand und fungiert als Thermostat, indem er nach Bedarf Fenster, Klappen, Türen öffnet oder schließt.

Trotz der hohen Bewertung und Integration energietechnischer Aspekte, die immer entwurfsprägend sind, ist das Forschungsgebäude in Graz keine gesichtslose Kiste geworden. Es besteht aus vier langen Gebäuderiegeln, die sich kreuzen und um ein zentrales, dreieckiges Atrium gruppieren. Sie sind einhüftig, was heißt, dass die Büros einseitig angeordnet sind, und strecken ihre Enden wie Fühler weit hinaus in die Umgebung. Die mehrgeschoßige Halle ist der Kern, ein Verknüpfungspunkt, in den die Haupterschließung mündet und alle Galerien. Das Atrium ist trotz dezenter Sachlichkeit und Kühle ein lebendiger Ort der visuellen Kommunikation, der Begegnung und der Bewegung, wenn einzelne Mitarbeiter mit Microrollern von einem Ende zum anderen sausen. Das Arbeitsklima scheint in diesem Gebäude in jedem Sinn des Wortes gut zu sein.

Kein Wunder, dass diese Philosophie des nachhaltigen Energiesparens sich ausbreitet. Nicht zuletzt hat das Energiekonzept der natürlichen Gebäudekühlung die Bauherrn der Commerzbank in Frankfurt, dem von Norman Foster geplanten höchsten Bürogebäude Europas, überzeugt - aus ökonomischen und ökologischen Gründen.

Spectrum, Sa., 2004.02.21



verknüpfte Bauwerke
Forschungszentrum für die Akademie der Wissenschaften

20. Dezember 2003Karin Tschavgova
Spectrum

Zwergerl? Von wegen!

Es ist zugleich Erlebnisort und Aktionsraum, ein dynamisches Gefüge, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Nutzer: das neue Grazer Kindermuseum von Hemma Fasch und Jakob Fuchs.

Es ist zugleich Erlebnisort und Aktionsraum, ein dynamisches Gefüge, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Nutzer: das neue Grazer Kindermuseum von Hemma Fasch und Jakob Fuchs.

Eine immer weniger überschaubare Welt hat immer größeren Bedarf an Welterklärung. Kinder erhalten heute nahezu uneingeschränkt Zugang zu allen Massenmedien. Ungefiltert werden sie mit Nachrichten bombardiert, die sie nur in den seltensten Fällen altersgerecht übersetzt bekommen. Großväter, die ihren Enkeln die Welt beim Holzsammeln oder Bauen von Flugmodellen erklären, gibt es fast nur mehr in Erzählungen von früher. Angesichts der rasanten wie komplexen Entwicklung des Weltgeschehens scheinen kindgerechte Erklärungsmodelle Aufgabe der Pädagogik zu sein, die man aus dem familiären Umfeld auslagert. Deswegen bieten Museen immer mehr Vermittlungsprogramme für Kinder an, und deshalb boomen Kindermuseen in der ganzen westlichen Welt. Ort der kindgerechten Aufklärung sind meist für diesen Zweck adaptierte Räume - seltener werden solche Orte neu geschaffen. Das ist auch nicht so einfach, erfordert es doch die Beantwortung einer Frage, die sich bei der Adaption von Vorhandenem nur ansatzweise stellt: Was ist kindgerechtes Bauen?

Hemma Fasch und Jakob Fuchs haben in zehnjähriger Zusammenarbeit in zahlreichen, auch prämierten Wettbewerbsprojekten für Kindergärten und Schulen immer wieder von neuem ihre Antwort darauf präzise formuliert. In ihrer Haltung folgen sie Architekten wie den Holländern Johannes Duiker in seiner Amsterdamer Openluchtschool (um 1930) und Herman Hertzberger in mehreren Montessorischulen und Kindergärten oder dem Österreicher Anton Schweighofer in der Wiener Stadt des Kindes (1974), die alle in ihren Bauten kindliche Bedürfnisse mit Sorgfalt aufgegriffen und umgesetzt haben, ohne sie zu kulissenhafter „Zwergerlarchitektur“ zu verniedlichen.

Daraus kann der Leser schließen, dass Gebäude, die fasch & fuchs. für Kinder konzipieren, vordergründig keine andere Architektur sind als jene, die sie für erwachsene Nutzer entwickeln. Das trifft auch für ihr Kindermuseum in Graz zu, das Ende November als letzter Bau im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres eröffnet wurde. Dass dieses Vorhaben, trotz äußerst knapper finanzieller Mittel und einer Bauzeit von nicht mehr als 200 Werktagen als geglückt bezeichnet werden darf, ist auch dem Vertrauen der Stadt Graz, die die Architekten als Generalplaner eingesetzt hat, und der vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen dem Bauherrenvertreter, dem Architektenteam (Projektleiter Thomas Mennel), Werkraum (Statik) und den Fachplanern zuzuschreiben. Das Kindermuseum wird wegen seiner vorgegebenen Größe keine Sammlung beherbergen, sondern nach Wunsch des Bauherrn ein zu Eigeninitiative anregender Ausstellungs- und Experimentierraum sein.

Das siegreiche Konzept, das fasch & fuchs. bei einem geladenen Wettbewerb 2002 vorgelegt haben, ist, wie alle ihre Bauten, vom Kontext mit dem spezifischen Umraum geprägt. Am nördlichen Ausläufer des Augartens gelegen, nimmt sich der Bau in Höhe und Volumen geschickt zurück, um keine Barriere zum Park zu bilden, wird eingebettet, indem das Terrain um eine halbe Geschoßhöhe abgegraben wird. Zugleich fließt das Parkgrün - tektonisch neu geformt, jedoch ohne Abgrenzung - als sanft geneigte Wiesenfläche bis an den gedeckten Freibereich der unteren Ebene heran. Über diesem Sockelgeschoß, das rundum über Terrain verglast ist, bilden Wände und Decke, die ohne Materialwechsel ineinander übergehen, ein kompaktes zweigeschoßiges Volumen in dunklem Grau, das niedriger wirkt, als es tatsächlich ist. Es fügt sich ein in seine Umgebung und setzt sich doch mit Raffinesse in Szene, indem es die hoch aufragenden Bäume des Parks zur mächtigen Kulisse werden lässt, die es umrahmen. Formgebend scheinen in erster Linie die Bedingungen des Ortes gewesen zu sein.

Betritt man es, so erkennt man erstaunt, dass die Architekten seine Form genauso schlüssig aus dem inneren Ablauf ableiten, dem Verhalten und den Bedürfnissen von Kindern entsprechend. Kinder brauchen Bewegung. Folgerichtig sehen und erleben wir keine Architektur der Statik, sondern ein dynamisches Gefüge - eine Architektur der Wege. Eine schräge Ebene, Treppen, Rampen und eine Brücke verbinden Aktionsräume auf mehreren Niveaus zu einem vielschichtigen Raumkontinuum ohne feste innere Abgrenzungen. Damit haben fasch & fuchs. das Manifest des Architekten Josef Frank vom „Haus als Weg und Platz“ punktgenau umgesetzt. Darin wird das Haus, in einem Weiterdenken des Loosschen Raumplans, als eine Abfolge unterschiedlichster Raumerlebnisse gesehen, die an eine die verschiedenen Ebenen verbindende Bewegungsader angedockt sind, die sie aber auch durchdringen kann. Der Weg, schreibt Frank, muss so abwechslungsreich sein, dass man seine Länge niemals empfindet.

Instinktiv entdecken die Kinder dies. Auch wenn die einladende Geste eines großzügigen Foyers, das unverstellt die
Blicke auf die untere Ebene freigeben soll, durch die Aufstellung einer Installation, die als trennende Wand wirkt, leider eingeschränkt wird, nehmen die Kinder den Bereich sofort in Besitz. Vorsichtig rutschend, bald wagemutig purzelnd, lassen sie sich über die schräge, gepolsterte Ebene fallen - eine bunte Buckelpiste aus wellig geformten, kunstlederüberzogenen Streifenpölstern -, so lange, bis sie sich ausgetobt haben und Lust auf die Ausstellung bekommen.

Wollen sie sich vor dem Start erst einmal einen Überblick verschaffen, so werden sie das Haus von unten nach oben durchqueren. Vertikale Verschränkungen und Einblicke in die einzelnen Ebenen von der Rampe im Hauptgeschoß aus machen dies möglich; das Kind entscheidet, wo es einsteigt. Blickbeziehungen zum Außenraum sind, wie schon die Wettbewerbsjury lobend feststellte, „auf eine sehr feine und sensible Art auf Kindergrößen abgestimmt“. Im
Auditorium wie im flexibel abgrenzbaren, 500 Quadratmeter großen Ausstellungsbereich auf der Mittelebene selektiert ein rundum laufendes Fensterband direkt über dem Fußboden den Ausblick in den Park.

Kinder haben den Durchblick: Ihrer ureigensten Neigung entsprechend legen sie sich auf den Boden, der in der Randzone abgeschrägt und mit Liegematratzen ausgestattet ist. Ausreichend belichtet werden diese Räume von oben durch Sheds. Es ist eine Geste der Offenheit, dass die nordorientierte Eingangsfront weitgehend transparent ist und schon von außen das Innenleben des Hauses bis in die Verwaltungsebene zeigt. Dieselbe Haltung zeigt die verglaste Werkstätte im Untergeschoß, die auf einen geschützten Freibereich, begleitet von Wasserlauf und Pflanzgarten, erweiterbar ist.

Das Kindermuseum ist ein Lehrstück, das zeigt: Eine Dachkonstruktion muss keinen „toten“ Raum schaffen, die Dachform kann Teil der Raumgestalt werden. Eine Wand kann abgehängt und verschiebbar sein. Ein Ausblick braucht weder Parapet noch unbedingt ein teures öffenbares Fenster. Wände können geneigt sein, Höhenunterschiede abwechslungsreich auch mit Rampen bewältigt. Schräge Fußböden geben ein natürlich ansteigendes Auditorium. Möbel entwirft man aufblasbar, will man sie bei Bedarf platzsparend verstauen. Funktionsadern müssen nicht versteckt werden. Transparenz signalisiert Offenheit. Stufenloser verglaster Übergang nach außen bringt das Grün optisch in den Raum.

Die Tatsache, dass das Gebäude für sich ein Erlebnisraum ist und zugleich in seiner Größe an der untersten Grenze der Bespielbarkeit rangiert, sollte den Betreiber zur Reduktion des Inhalts bewegen. In einer Zeit permanenter Reizüberflutung kann das Vollstopfen der Räume mit unzähligen Stationen eines „Weltenbummels“, auch wenn die Erstausstellung von BEHF gestaltet ist, nicht überzeugen. Gewinnen kann, wer das Haus wie die Kinder ins Spiel einbezieht.

Spectrum, Sa., 2003.12.20



verknüpfte Bauwerke
Kindermuseum Graz

13. Dezember 2003Karin Tschavgova
Spectrum

Ach ja, die Experten!

Auch wenn Architekten hartnäckig die Ansicht vertreten, ein Bauwerk müsse „aus und für sich selbst sprechen“: Architekturvermittlung ist heute so wichtig wie Coaching oder Mediation. Bleibt die Frage: wie und durch wen?

Auch wenn Architekten hartnäckig die Ansicht vertreten, ein Bauwerk müsse „aus und für sich selbst sprechen“: Architekturvermittlung ist heute so wichtig wie Coaching oder Mediation. Bleibt die Frage: wie und durch wen?

Architekturvermittlung - was für ein Wort. Kaufen Sie, meine Da men und Herren, wir Fachleute bieten erstklassige Ware zu günstigen Konditionen! Sie haben es erkannt? Architekturvermittlung bedeutet nicht, Architektur, also Häuser, zu vermitteln, sondern Kenntnisse über Architektur als Alltagskultur oder, anders gesagt, Verständnis für zeitgenössisches Bauen. Verständnis setzt Kommunikation voraus zwischen Architekten und Nicht-Architekten, in der Folge Laien genannt. Nun könnte man einwenden, dass auch Laien ständig mit Architektur konfrontiert sind und daraus folgern, dass auch sie in der täglichen Auseinandersetzung zu Experten ihrer eigenen gebauten Umwelt werden.

Riklef Rambow, der vermutlich einzige deutschsprachige Psychologe, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Verhältnis zwischen Architekten und Laien auseinander setzt und einige Forschungsarbeiten zu diesem Thema veröffentlicht hat, widerspricht dem vehement. Der Einwand scheint ihm am Kern der Sache doch vorbeizugehen, obwohl er aus bester Absicht heraus scheinbar eine Aufwertung der Laienposition beabsichtigt. Der Architekt ist zum Experten geworden, weil er ein Studium absolviert hat und sich über einen sehr langen Zeitraum täglich mit Architektur auseinander setzt. Er hat dadurch umfangreiches Wissen angesammelt und spezielle Fähigkeiten erworben; beides durchdringt seine Wahrnehmung der Welt und konstituiert seine spezifische Perspektive.

Nach Riklef Rambow ist ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Bereich der Kompetenz des Architekten sein „Auge“. Betrachten sie architektonische Sachverhalte, so sehen Architekten üblicherweise mehr und anderes als Laien. Sie erkennen Strukturen, Verbindungen und Bezüge, die dem Laien meist verborgen bleiben. Wahrnehmung, weiß Rambow, sei sie nun visuell, akustisch oder haptisch, hängt von gemachten Erfahrungen und von deren bewusster Verarbeitung ab, aber auch vom Wissen über kunsthistorische Zusammenhänge, über aktuelle Diskurse in der Architektur oder über konstruktive Gegebenheiten.

Differenzierte Kenntnisse bilden den Bezugsrahmen der Wahrnehmung, und dieser unterscheidet sich wesentlich von dem der Laien. Diese Unterschiede aufzulösen ist also für beide Seiten nicht hilfreich. „Um ein echtes Verständnis der Laiensicht zu entwickeln und um auf dieser Basis erfolgreich mit Laien kommunizieren zu können, muss sich der Architekt der unterschiedlichen Perspektiven bewusst sein und diese Unterschiede selbstbewusst als solche akzeptieren.“ Verliert man diese Unterschiede aus dem Auge und setzt beim Laien Wissen und Einsichten voraus, die dieser gar nicht haben kann, so führt dies unweigerlich zu Missverständnissen und Konflikten. Während der Fachmann sein Gegenüber ignorant findet, versteht der Laie Ersteren nicht und kann seinen Rat nicht annehmen.

Nun sind Entscheidungsträger für das Bauen vorwiegend Laien, und es ist wesentlich, mit ihnen in einen für beide Seiten konstruktiven Dialog treten zu können. Nur wie? Geringerer Informationsstand von Laien ist, wie schon erläutert, eine Ursache von Missverständnissen. In seinen empirischen Untersuchungen will der Architekturpsychologe Rambow herausgefunden haben, dass zwischen Experten und Laien in Bezug auf die Präferenz und Akzeptanz von aktuellen Entwicklungen in der Architektur und ihren Bauten eine zeitliche Diskrepanz von mindestens zehn Jahren besteht. Sie ist mit einem Jahre dauernden Gewöhnungsprozess zu erklären wie auch mit dem Informationsvorsprung des Spezialisten. Wer wenig Möglichkeiten zur Differenzierung hat, urteilt klischeehaft. Das führt zu einer unreflektiert kritischen bis ablehnenden Haltung gegenüber zeitgenössischer Architektur und zugleich zu unkritischer Begeisterung für oberflächlich spektakuläre Bauten wie jene von Hundertwasser.

Architektur wird oft, besonders von Kindern und Jugendlichen, als etwas vom Alltag Abgetrenntes gesehen, das mit ihnen selbst und ihrer gebauten Umwelt nichts zu tun hat. In der Werteskala von Architektur werden ziemlich einseitig künstlerische Aspekte betont, die eher dekorativen Charakter haben. Visuelle Attraktivität und Design werden mit architektonischer Qualität gleichgesetzt.

Eine Reihe von Dissonanzen im Verhältnis von Architekten und Laien geht allerdings auf das Konto der Architekten oder generell der Experten, zu denen auch Architekturjournalisten zählen. Architekten vertreten oft hartnäckig die Ansicht, dass die Vermittlung von Architektur nicht möglich sei, weil diese nur intuitiv zu erfassen sei. Ein Bauwerk müsse sozusagen „aus und für sich selbst sprechen“, weil sich die Qualitäten von Architektur nicht sprachlich ausdrücken lassen, vor allem nicht in Begriffen, die für einen Nicht-Architekten verständlich sind. Das grenzt an Überheblichkeit. Lässt sich auch nicht alles sprachlich fassen, so heißt das noch lange nicht, dass Architektur und ihre Qualität nicht vermittelbar sind. Diese resultiert aus der Summe vieler Aspekte, von denen die meisten für den Laien durchaus von Interesse sind. Vermittelbar sind Funktionalität, konstruktive, ökonomische und städtebauliche Kriterien und generell Aspekte, die den Menschen nicht nur als Nutzer, sondern als Individuum in den Mittelpunkt stellen.

Es stimmt, dass bei Laien die Bereitschaft, sich mit gestalterischen und ästhetischen Konzepten auseinander zu setzen, weder hoch noch vorrangig ist, während andererseits bei Fachleuten oft eine ziemlich einseitige Hervorhebung der konzeptionellen und ästhetischen Dimension festzustellen ist. Diese findet noch dazu auf einem hohen sprachlichen Abstraktionsniveau statt, gespickt mit architekturspezifischen Fachbegriffen, die unter Fachleuten zwar berechtigt, für Laien jedoch unverständlich sind.

Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass manch hochgegriffene Beschreibung nur Banales verschleiern soll. Viele Floskeln, Übertreibungen und unpassende Vergleiche fallen in diese Kategorie, die über pseudotheoretischen Charakter nicht hinausreicht. Da finden zur Durchsetzung eines architektonischen Konzepts der Dachfaltung massige Leimbinder als Dachträger im obersten Geschoß einer Wohnzeile Verwendung. Vom Architekturkritiker werden diese in den nach Sozialwohnungsnorm winzig kleinen Kinderzimmern nicht etwa als unproportional und daher störend gesehen, sondern schöngeschrieben als „Paraphrase und Erinnerung an Großmutters Dachboden“.

Es stimmt schon, dass der Versuch, Laien zeitgenössische, noch nicht approbierte Architektur näher zu bringen, schwierig, mühsam und zeitaufwändig ist. Aber es lohnt sich _ und zwar für beide Seiten. Mehr noch, Inhalt und Nutzen der Tätigkeit des Architekten zu vermitteln wird in Zukunft die einzige Chance sein, dem Architektenstand das Überleben zu sichern. Nur wer ihren Wert zu erkennen und differenzieren lernt, kann urteilsfähig sein. Er wird gegebenenfalls die Leistung eines Architekten als Experten schätzen und folglich bereit sein, sie angemessen zu honorieren.

Es ist sinnvoll, Vermittlungsarbeit ins Zentrum von Architektur zu stellen, ihr vielfältigen Raum und Unterstützung zu geben. Das erkennen immer mehr Architekten und architekturnahe Institutionen. Politische Entscheidungsträger lassen sensible öffentliche Bauvorhaben promoten, um sie, mit erreichter hoher Akzeptanz, reibungslos realisieren zu können. Profunde und nachhaltige Architekturvermittlung sollte allerdings nach langfristigen Konzepten stattfinden und nicht punktuell und spekulativ.

Natürlich spielt die frühe Hinführung von Kindern und Jugendlichen zur Thematik eine Rolle. Der Gesetzgeber hat das erkannt und Architekturunterricht als Teil des Lehrinhalts in Schulen verankert, allerdings so vage, dass Lehrer _ auch sie Laien _ keinen rechten Halt darin finden können. Es gilt also, erst die Lehrer zu bilden _ nicht flächendeckend, aber den aufgeschlossenen, an der Materie interessierten Teil der Lehrerschaft. Die Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten sieht darin in ihrer neu gestarteten Offensive zur Öffentlichkeitsarbeit einen ihrer Schwerpunkte.

In seiner Studie zur schulischen Architekturvermittlung zieht Riklef Rambow wesentliche Schlüsse: Stilgeschichtlich orientierte Betrachtung von Meisterbauten aus verschiedenen Epochen bringt gar nichts. Auch die freie Entfaltung eigener Kreativität beim Entwurf eines „Traumhauses“ oder einer abstrakten Raumkomposition verstärkt bei den Schülern eher die eingeengte Sicht auf Architektur. Beides ist zu abgehoben von der gebauten Realität, die die Schüler außerhalb der Schule erleben. Kompetenter Umgang mit Architektur ist etwas anderes als das träumerische eigene Entwerfen.

Rambow plädiert daher für das Kennenlernen guter, nicht unbedingt außergewöhnlicher Beispiele und das Vermitteln der spezifischen Bedingungen ihres Entstehens und ihrer Anforderungen. In der Folge führt dies weg von der vorwiegend visuellen Wahrnehmung des fertigen Baus. Besser als singuläre schulische Projekte wäre die kontinuierliche Konfrontation mit der Materie, die durch den aufgeklärten Lehrer oder etwa das gute Beispiel des eigenen Schulhauses erfolgen kann.

Die Beispielwirkung qualitätvoller Architektur kann überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zeigt und erklärt man einem interessierten Laien ein für ihn gewöhnungsbedürftiges Bauwerk und gibt ihm die Möglichkeit, Raumqualitäten hautnah zu erfahren, so hat man ihn meist nicht nur für dieses gewonnen, sondern erreicht relativ schnell generelles Interesse und größere Offenheit für neue Baukunst. Das beweist der große Publikumsandrang bei den regelmäßigen Fachführungen, die Institutionen wie das Architekturzentrum Wien, ORTE architekturnetzwerk niederösterreich oder die steirische Kammer anbieten.

Erfolgreich sensibilisiert man interessierte Laien durch fixe Architekturseiten im Feuilleton von Tageszeitungen, wenn nicht nur das Spektakuläre hervorgehoben, sondern gebaute Qualität im Alltag besprochen wird. Welch breites Interesse ließe sich erst durch das Fernsehen wecken, gäbe es dort, was der Architekt und Lehrer Roland Gnaiger schon vor Jahren regelmäßig im Vorarlberger Regionalfernsehen praktiziert hat: sachliche, dabei verständliche Auseinandersetzung mit Architektur.

Spectrum, Sa., 2003.12.13

27. September 2003Karin Tschavgova
Spectrum

Klappen dicht gemacht

Intergalaktisch sind 40 Jahre gar nichts, doch jetzt,wo der „Friendly Alien“ als gebaute Vision der Sechzigerjahre gelandet ist, wirkt er stark gealtert. Zur Eröffnung des neuen Grazer Kunsthauses.

Intergalaktisch sind 40 Jahre gar nichts, doch jetzt,wo der „Friendly Alien“ als gebaute Vision der Sechzigerjahre gelandet ist, wirkt er stark gealtert. Zur Eröffnung des neuen Grazer Kunsthauses.

Die Geschichte ist ungerecht. Man nehme die Kunstgeschichte: Widrige Produktionsbedingungen für Künstler werden nur dann thematisiert, wenn diese trotzdem ein Meisterwerk hervorgebracht haben. Die Architekturgeschichte wiederum ist nur interessiert an den Umständen, unter denen ein Bauwerk entstanden ist, wenn sie spektakulär sind und eine gute Story abgeben, etwa der Selbstmord eines Planers.

Soll ein Bauwerk in die Annalen der Architekturgeschichte aufgenommen werden, so muss es ohne Wenn und Aber für sich bestehen können. Es sollte aus sich heraus sprechen und seine Qualitäten im Idealfall bar jeder Vermittlung sicht- und spürbar machen. Das ist hart, denn jedes Bauwerk hat seine spezifische Entstehungsgeschichte, die es formt. Die Konfrontation kühner Träume, vager Vorstellungen und hoher Ansprüche mit der Pragmatik des Bauens, eben den „Umständen“, erzeugt Reibungsverluste. Ein Realisierungsprozess unterliegt nicht nur den Gesetzen der Schwerkraft und der Bauphysik, funktionellen Anforderungen, der Bauordnung, dem Brandschutz und anderen Sicherheitsbestimmungen - wer heute baut, sieht sich auch immer stärker zeitlichem und finanziellem Druck ausgesetzt.

Das neue Grazer Kunsthaus, ein Entwurf der britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier, wird dieses Wochenende eröffnet. Nach umfassender medialer Vorbereitung und einem enormen Interesse am Baufortschritt sind die Erwartungen an die Anziehungskraft der „Blauen Blase“ hoch gesteckt. Man rechnet in den ersten beiden Tagen mit bis zu 40.000 Besuchern, die das auffällige Gebäude am rechten Mur-Ufer endlich auch innen kennen lernen wollen. Wenige von ihnen werden wissen, dass das, was sie zu sehen bekommen, dem ursprünglich vorgelegten Entwurf in wesentlichen Punkten nicht mehr entspricht. Wer kennt schon das Wettbewerbsprojekt, und wenn, wer konnte sich unter einer „zweischaligen Membrane, deren äußere teflonbeschichtet und durchscheinend ist“, als Hülle für das fremd anmutende, schwebende Objekt etwas vorstellen, wer verstehen, was „eine Fassade (ist), die den Eindruck einer soliden Konstruktion vermittelt, ohne es wirklich zu sein“ (Projektbeschreibung der Jury)? Was sich jedoch in der Erinnerung vieler festgesetzt hat, ist die wiederholte Rede des Architekten von der intelligenten weichen Haut der Bubble, die in der Dunkelheit nach außen strahlen sollte.

Diese Haut ist im Reibungsprozess ihrer Umsetzung zur dicken, undurchsichtigen Hornhaut mutiert, zur bauphysikalisch opportunen Panzerhülle, wie sie jedem geförderten Wohnbau zur Ehre gereichen würde. Die transparenten Flächenanteile der Fassade, Sichtkontakte und Tageslichtspender zugleich, wurden weitgehend gestrichen, unter anderem der zumindest diskutierenswerten Logik des österreichweit agierenden Museumsberaters Dieter Bogner folgend. Es ist also keine Rede mehr vom nächtlichen Strahlen, auch nicht, nachdem man der Wetterschutzhülle eine weitere, höchst aufwändige Schicht aus 1280 gebogenen blaugrauen Acrylglasscheiben vorgesetzt hat. Sie soll, unterstützt durch annähernd tausend runde Neonröhren, die zwischen den Platten und der Dachhaut sitzen, jenes Leuchten imaginieren, das aus dem Bauwerk kommen hätte können. Materialstärke und Farbe der Platten, vielleicht auch der dunkle Folienhintergrund, dämpfen die Lichtwirkung der computergesteuerten Medienfassade erheblich. Und ist diese nicht aktiviert, so zeigt sich das nächtliche Kunsthaus im Straßenraum als schwarzes, schlafschweres Gebilde auf einem unbeleuchtet massig wirkenden Sockel.

Was es auch nicht mehr ist: ein dreigeschoßiger Innenraum (Juryprotokoll) als Volumen, das seine Wölbungen und Ausbuchtungen überall spüren lässt. Jede der drei Ebenen ist nun in sich abgeschlossen. Wo Glas gedacht war, um Blickbeziehungen herzustellen, ist die in jeder Hinsicht billigere Beton- oder Rigipsvariante zum Zug gekommen. Auch die oberste Ausstellungsebene, die durch 15 riesige rüsselförmige Öffnungen, die Nozzels, mit Tageslicht erhellt werden sollte, hat in der Bauzeit einige Metamorphosen mitgemacht. Anfangs grottenbahnartig schwarz gefärbt und düster verhängt, erschien sie dann, nach dem Einsetzen der kreisrunden Nordlicht-Verglasungen und der Innenskin, freundlich hell, später mit Sonnenschutzlamellen enttäuschend verdüstert. Letztlich scheint die Absicht der Tageslichtgestaltung durch die Installation von je sieben Lichtringen in den Trichtern der Nozzels ad absurdum geführt.

Einiges an Abstrichen beim Experiment, den „Friendly Alien“ leichtfüßig zur Landung zu bringen, offenbart sich nur dem, der das nun vorliegende Ergebnis mit dem höchst ambitionierten Ausgangsprodukt vergleicht. Eine durchlässige Erdgeschoß-zone als Erweiterung des öffentlichen Stadtraums blieb, angesichts der schon im Wettbewerb verlangten Nutzungen, unrealistische Vorstellung der Architekten. Was auch dem Laien auffallen wird: dass das „Eiserne Haus“, das in den Entwurf integriert werden musste, zwar vorbildlich restauriert und in seinen Originalzustand versetzt wurde, sein Herzstück aber, die oberste Ebene des ehemaligen Café Meran, durch unschöne, hypertrophe Raumeinbauten in Proportion und Transparenz zerstört wurde. Als ob das Zeitschriftenarchiv der „Camera Austria“, die diesen Teil mit Fotoausstellungen bespielen wird, nicht auch in intelligenten Möbeln Platz finden hätte können. Das ist nur eines von vielen unausgegorenen, im äußerst knappen Zeithorizont bei zu geringem Budget nicht adäquat gelösten Details. Den Gesamteindruck des Bauwerks, seine Wirkung als „Eyecatcher“ im Grazer Stadtraum, können sie nicht schmälern.

An Erklärungen für die nicht wirklich geglückte Umsetzung des Grazer Kunsthau-ses in der Form der Papier gebliebenen
Architekturproduktion der Gruppen archi-gram, superstudio, Haus Rucker & Co und Cedric Price aus den Sechzigerjahren mangelt es nicht. Während Siege jedoch immer mehrere Väter haben, ist der Buhmann immer nur einer - der andere. Während den einen mangelnde Bauerfahrung vorgeworfen wird, werden die örtlichen Planer, die den Architekten vom Bauherrn zur Seite gestellt wurden, der uninspirierten Umsetzung eines außergewöhnlichen Entwurfs bezichtigt. Tatsächlich sind Schuldzuweisungen meist einseitig und oberflächlich. Das zeitlich und finanziell atemberaubend eng geschnürte Korsett als Vorgabe des Bauherrn scheinen alle Seiten als notwendiges Übel hinzunehmen, dabei steckt genau darin die Ursache des Nicht-ganz-Gelingens.

Wenn man den Anspruch erhebt, das ultimative Bauwerk zu errichten - und das taten alle, einschließlich der politischen Ziehväter des Siegerprojekts -, dann muss man auch bereit sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Die Angemessenheit der Mittel bedeutet in diesem Fall, das Ziel zu erreichen.

Nur wer Fragen neu stellt, kommt zu neuen Antworten. Mit pragmatischem Denken finden sich keine innovativen Lösungen, genauso wenig, wie damit die Reise zum Mars gelingen kann. Eine Hoffnung bleibt: Auch Aliens landen in der Architekturgeschichte. Oder?

Spectrum, Sa., 2003.09.27



verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Graz

07. Juni 2003Karin Tschavgova
Spectrum

Aufwärts geht's. Oder so.

Graz darf alles. Was passiert, wenn es macht, was es glaubt, im Kulturhauptstadtjahr 2003 machen zu dürfen? Es inszeniert einen Rummelplatz - gleichermaßen mitreißend wie schweißtreibend.

Graz darf alles. Was passiert, wenn es macht, was es glaubt, im Kulturhauptstadtjahr 2003 machen zu dürfen? Es inszeniert einen Rummelplatz - gleichermaßen mitreißend wie schweißtreibend.

Es geht aufwärts in und mit Graz. Nicht nur bei der Mariensäule am Eisernen Tor, wo der gläserne Lift von Richard Kriesche die Besucher gegen Entrichtung eines Obolus von einem Euro in Aughöhe mit der Madonna hieft. Hinauf auf den von den Grazern neuerdings wiederentdeckten Schlossberg - auch mit einem spektakulären Aufzug in einem dafür kerzengerade durch den Dolomitfels gesprengten Schacht. Oder beim Kunsthaus, derzeit noch viel besuchte Baustelle, in dem Kulturbeflissene nach dem Willen der Architekten Peter Cook und Colin Fournier künftig mittels raumgreifendem Travelator (Rollband) langsam in den Bauch der blauen „Blase“ gleiten sollen, mit wachsender Neugier auf das, was sie auf den beiden Ausstellungsebenen erwartet.

Kein Zweifel, es geht geradezu euphorisch aufwärts in Graz, physisch und bildhaft, wie etwa in einigen Beiträgen zum Thema Schwere und Levitation, Aufstieg und Anziehung der exzellenten Ausstellung „Himmelschwer - Transformationen der Schwerkraft“. Auch steigend - die Nächtigungszahlen, die die kühnsten Erwartungen der Touristiker übertreffen. Im ersten Quartal des Jahres verzeichnete man eine Zunahme von 29,6 Prozent, wobei der Anteil an Italienern mit plus 64 Prozent am stärksten stieg. Touristenströme wie in der Salzburger Getreidegasse wälzen sich durch die engen Gässchen rund um den Hauptplatz, und das Selbstwertgefühl der Stadtpolitiker hebt sich proportional mit den Besucherzahlen.

Selbst die Grazer sind ungewöhnlich hoch gestimmt und sichtlich stolz auf die Objekt gewordenen Highlights des Kulturhauptstadtjahres mitsamt ihrer Umwegrentabilität. Kritische Stimmen aus der Bevölkerung, etwa zu Kosten und Sinnhaftigkeit der Projekte, sind rar geworden und in den Medien nahezu verstummt. Ist es angesichts überwiegender allgemeiner Zufriedenheit überhaupt legitim, den Blick stärker zu fokussieren und, unabhängig von nach außen getragenen Jubelstimmen, eine kritische Innenschau zu versuchen?

Nicht aufwärts, sondern abwärts geht es erst einmal nur zur Insel in der Mur, die nach dem Künstler Vito Acconci benannt ist, der in seinen New Yorker Studios das schwimmende Objekt nach einer Idee des Grazers Robert Punkenhofer ausarbeiten ließ. Man erreicht sie von den Gassen und Plätzen der Altstadt rund um den historischen „Sack“ über Rampen und Stiegen und die neu errichtete Muruferpromenade. Die Wahl der Acconci-Insel mit ihrer pittoresken Muschelform aus je einer offenen und einer geschlossenen, ineinander verschränkten Schale zum Leitprojekt war kalkulierte Spekulation, die vordergründig auch aufgeht. In unzähligen Berichten über Graz 2003 europaweit ins Bild gerückt, zieht sie täglich Ströme von Touristen an, die weniger auf ihr verweilen, als sie zu durchschreiten - gefolgt von Einheimischen, von denen jeder sie, im Sog ihrer Popularität, einmal gesehen haben muss.

Vorübergehende Heimstatt ist sie mit ihrer futuristisch anmutenden, in glitzerndes Blau gekleideten Café-Bar den bunten Nachtvögeln, die sie „hip“ finden und derzeit zahlreich bevölkern. Derartige Lokale sind kaum dazu geeignet, Klassiker zu werden. Sie sind wie ihre Klientel Moden unterworfen, und es ist daher fraglich, ob das ganztägig betriebene Café über 2003 hinaus, etwa im Winter, bei unattraktivem Niedrigwasser der Mur und kahler Baumkulisse, Anziehungspunkt bleiben kann.

Zweifellos ist es durch die Errichtung der Insel gelungen, den in einem tiefen Bett geführten Fluss stärker in das Bewusstsein des Graz-Flaneurs zu rücken und wieder zum Teil der Stadt werden zu lassen. Hautnah kann plötzlich Rauschen und Fließen, verstärkt durch eine neue, für die Insel errichtete Staustufe, erlebt und sogar genutzt werden. Eine Kajak-Rodeo-Weltmeisterschaft, das ist für die Grazer neu. Die Stadt Graz will die schiffartige Insel, die aus Mitteln des Kulturhauptstadtjahres finanziert wurde und nur temporär vor Anker gehen sollte, nun an Ort und Stelle belassen. Sie könnte sich, mit aufwendig zu erhaltender Stahlrohrkonstruktion, als Danaergeschenk erweisen, weil ihr die Möglichkeit einer einfachen Überholung in einer Werft fehlt. Angesichts der prekären finanziellen Lage, in der sich die Stadt nach 2003 laut Aussage des neuen Finanzstadtrats Wolfgang Riedler befinden wird, darf die Frage gestellt werden: Ist die Acconci-Insel ein populistischer Kraftakt oder eine nachhaltige Investition?

Fragen nach Angemessenheit und Ökonomie stellt man kaum, wenn man das Spektakuläre forciert. Dem wurde die Juryentscheidung des Wettbewerbs für das Kunsthaus unter dem Vorsitz von Volker Giencke untergeordnet. Kolportiertes Motto: „Wir folgen keinen Trends, wir machen sie.“ Mit dem Entwurf der englischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier hat man ein Projekt gekürt, dessen Architektur zwar ein Remake der Formensprache ungebauter Ideen der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre ist, deren visuelle Darstellung bis heute allerdings keine formadäquate Umsetzung kennt. So mutiert die blaue Blase, immer noch „Bubble“ genannt, in der Realisierung vom „geschmeidigen Kokon“ zum hartschaligen Panzertier mit blauen, großformatigen Acrylglasplatten, die nichts mehr von einer Membran an sich haben.

Im Inneren ist die amorphe Form nur im schüsselartig gewölbten Unterbauch, der didaktischer Vermittlungsbereich für Kinder wird, und in der oberen der beiden Ausstellungsebenen, die kuppelartig überwölbt ist, sinnlich erfahrbar. Was Kritiker bezweifeln, nämlich ob sich derart determinierte, kraftvoll geformte Räume dazu eignen, neutraler Rahmen und Hintergrund für unterschiedlichste zeitgenössische Kunst zu sein, stellt für den Leiter des künftigen Kunsthauses, Peter Pakesch, eine spannende Herausforderung dar.

Was für viele Museumsplaner obligat scheint - der völlig abgedunkelte, tageslichtlose Ausstellungsaum, wie die erste Ebene des Kunsthauses ihn darstellt - bereitet Pakesch eher Kopfzerbrechen. Er weiß, dass Tafelbilder im Großformat, die entgegen allen Unkenrufen immer noch produziert und gehandelt werden, meist Tageslicht verlangen. Die Frage nach dem reibungslosen Funktionieren des Kunsthauses wird nicht die einzige bleiben. Zu vieles in seiner Handhabung scheint ungelöst, etwa die Reinigung der Acrylglasplatten und der Folienhaut und vor allem die Instandhaltung der Medienfassade mit ihren unzähligen, hinter den Platten montierten kreisrunden Neonröhren, die Wind und Wetter und diversem Kleingetier ausgesetzt sein werden.

Geht es allerdings um den „großen Strich“, wie der für das Bauen zuständige Stadtrat Gerhard Rüsch betont, dann geht das Kalkül sicher auf. Mit dem Grazer Kunsthaus sichert man sich den „Bilbao-Effekt“, das Bauwerk mit seiner spektakulären Form und Hülle wird Attraktor genug sein, um Besucher anzulocken. Gelingt die spannende Bespielung, was unter der Leitung von Pakesch zu erwarten ist, kann es für die Stadt Graz und ihre Bewohner nachhaltig wirksam werden.

Ob dies auch für Konzept und Führung des neuen Literaturhauses, das Anfang Mai eröffnet wurde, gilt, ist fraglich. Das liegt an den Zeiten. Wer liest heute schon Gedichte, wer, außer Germanisten, erforscht Literatur? Es liegt aber vielleicht auch am Raum. Der 234 Quadratmeter große Veranstaltungssaal im Untergeschoß des neuen Gebäudes von Riegler Riewe wirkt unproportioniert. Mit zu geringer Raumhöhe von drei Metern und einer scheinbar beliebig in den Raum gesetzten massigen Säule hat er das Flair eines volksdemokratischen Vereinslokals und verleitet weder zum gedanklichen Höhenflug noch zum Theaterspiel.

Genauso wenig wie das darüber liegende Café zur vormittäglichen Mußestunde mit einem Journal oder Buch einlädt. Denn was ein Literaturcafé werden sollte, ist, von der Architektengruppe Innocad in Siebzigerjahre-Retromanier gestaltet, zum literaturfernen Abendtreff mit Bar in unsäglichen Braun- und Gelbtönen geworden. Ersatzweise gut geeignet für sommerliche Kontemplation ist die dem Café vorgelagerte Terrasse über dem Saal - ein Innenhof, der sich würdig in die Tradition der intimen Grazer Stadträume fügt. Lage und Konzeption des Zubaus von Riegler Riewe erfüllen die Vorstellung des Stadtrates Rüsch vom großen Strich, aber an diesem Projekt zeigt sich im Detail, dass der Grat zwischen Einfachheit und Banalität schmal ist.

Aufwärts führt eine andere Gratwanderung, nämlich auf den Schlossberg, wo vor wenigen Tagen ein weiteres Café eröffnet wurde. Dicht beim Ausstieg des gläsernen Aufzugs haben die jungen Architekten Siegfried Frank und Michael Rieper mit ihrem ersten öffentlichen Auftrag einen Ort von großer urbaner Qualität geschaffen. Hier zeigt sich die Stadt von ihrer schönsten Seite. Leicht und transparent, dabei großzügig von einer Terrasse umgeben, entstand in Miesschem Sinn mit wenigen Elementen ein Raum, der kaum mehr als ein gedeckter Unterstand zum Schutz gegen Sonne sein soll. Ein flaches Dach auf schlanken, zurücktretenden Stahlstützen, eine aus großen Glasflächen gebildete Fassade, die den kleinen Barraum dreiseitig begrenzt, und der geschlossene Servicebereich, verkleidet in sorgfältig verlegtem Natursteinmauerwerk, spannen ihn auf.

Raffinesse erst auf den zweiten Blick: Bei schönem Wetter lässt sich die Verglasung vollständig öffnen, indem sie, auf Knopfdruck, lautlos im Boden verschwindet. Hinter der heiteren Gelassenheit, die dieses kleine Objekt bis hin zur ungewöhnlichen Gartengestaltung kennzeichnet, lässt sich für den Kritiker die Anstrengung erahnen, die erst zu solch geglückter Reduktion führen kann.

Im Ergebnis ähnlich selbstverständlich präsentiert sich, gleich nebenan, der „Schatten des Uhrturms“, eine für 2003 vom jungen Konzeptkünstler Markus Wilfing erdachte Arbeit, die als Kunstwerk das Stadtbild wirksam prägt und dabei facettenreich, je nach Standort und Blickwinkel, von weiten Teilen der Stadt aus erlebbar ist. Der dreidimensionale, im Größenverhältnis eins zu eins dem Grazer Wahrzeichen nachgebaute, in homogenes schwarzes Blech gehüllte Körper soll die Wahrnehmung des Betrachters durch Irritation schärfen. Dieser subtile Eingriff ist, ganz ohne technischen Aufwand und krampfhaft gewolltem Inszenarium, intelligent und vielschichtig. Dem Kunstbetrachter verlangt er die Auseinandersetzung mit dem Werk ab, gibt ihm aber auch die Freiheit mehrerer Deutungsebenen.

In diesem Sinn hat Wilfings Beitrag das Zeug, nachhaltig der Reputation der Stadt mit ihrer künstlerischen Potenz zu dienen. Deshalb wäre die Stadt gut beraten, das Schattenobjekt über das Kulturhauptstadtjahr hinaus zu erhalten und zu verhindern, dass es, wie geplant, sinnentleert als harmloses Maskottchen im neu errichteten Mega-Einkaufszentrum vor den Stadttoren verkommt. Denn manchmal - welch Wunder! - erweisen sich die leisen, gar nicht marktschreierischen Lustbarkeiten als anziehender, sogar auf einem Rummelplatz.

Spectrum, Sa., 2003.06.07

22. März 2003Karin Tschavgova
Spectrum

Fetter Sound!

Eine Industriebrache neu zu nutzen ist immer ein Wagnis. In Graz baute Markus Pernthaler eine Montagehalle zu einer Veranstaltungshalle mit Konzertsaal um. Die Helmut-List-Halle: Wagnis geglückt.

Eine Industriebrache neu zu nutzen ist immer ein Wagnis. In Graz baute Markus Pernthaler eine Montagehalle zu einer Veranstaltungshalle mit Konzertsaal um. Die Helmut-List-Halle: Wagnis geglückt.

Erst die Historie wird verdeutlichen, wie stark der Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft Europa verändert. Ganze Landstriche wie etwa das Ruhr-gebiet erfuhren in den letzten Jahrzehnten schmerzliche strukturelle Einschnitte, die nach umfassenden Konzepten einer Neu-belebung verlangten, wollte man nicht regionale Identitäten der Abrissbirne zum Opfer fallen lassen. Aus dem Anspruch nach sinnvoller ökonomischer Verwertung entstehen kommerziell und kulturell genutzte Vergnügungsstätten oder Kulturbauten - Fiat Lingotto in Turin und jüngst die höchst erfolgreich in einem ehemaligen Kraftwerk installierte Tate Modern in London sind gelungene Beispiele dafür.

In Graz stand am Anfang nicht die Frage nach einer Umnutzung von Industriebau, sondern die Suche nach einer adäquaten Heimstätte für das bis dahin nomadisierende Festival des „steirischen herbst“. Auch die Styriarte und Graz 2003 meldeten Bedarf an einem Konzertsaal mittlerer Größe, und so beauftragte das Land eine Untersuchung dreier Standorte, von denen sich das Areal der ehemaligen Waagner-Biro-Produktionshallen in Eggenberg als bestgeeignet erwies. Ein Ort mit einer geeigneten Halle in Stahl war gefunden, allein die Aussicht auf Finanzierung angesichts der für die Kulturhauptstadt geleerten Taschen war gleich null. In glücklicher Fügung trat just zu dem Zeitpunkt jener Mann in Erscheinung, dem die Wunschhalle ihre Existenz und ihren Namen zu verdanken hat: Helmut List, Eigner der AVL, des weltweit größten privaten Unternehmens für die Entwicklung von Antriebssystemen und Messtechnik, war der neue Besitzer des brach liegenden Areals. Nach intensiven Gesprächen mit Peter Oswald, Eberhard Schrempf von Graz 2003 und Nikolaus Harnoncourt, der für seine szenische Arbeit im Rahmen der Styriarte eine temporäre hölzerne Box einforderte, und dem Architekten Markus Pernthaler signalisierte der Unternehmer Interesse an einer wissenschaftlich-kulturellen Kooperation bei einer Beteiligung von Stadt und Land - Akustikforschung für Markenfahrzeuge gehört zur Kernkompetenz des Konzerns.

Das Musikprotokoll des „steirischen herbst“ ist seit vielen Jahren Garant für hochkarätige Hörerlebnisse von zeitgenössischer experimenteller Musik. Es galt also, einen Veranstaltungsraum zu errichten, der zugleich höchsten akustischen Anforderungen für Alte Musik wie für zeitgenössische Produktionen genügt, der größtmögliche Flexibilität für die Postierung von Musikern und Zuhörern gewährleistet und für Tonaufnahmen in Spitzenqualität ausgestattet ist. Da die Halle ganzjährig vermarktet wird, sollte auch ein weites Spektrum anderer Veranstaltungen abgedeckt werden können.

Die Struktur der feingliedrigen Stahlfachwerkkonstruktion einer Industriehalle, die um 1950 errichtet wurde, bildet den Rahmen für eine Sequenz von linear gestaffelten, nach ihrer Nutzung differenzierten Funktionseinheiten. Während sich Foyer und Hinterbühne transparent, leicht und luftig geben, zeichnet sich der Konzertsaal in seiner Materialität und Geschlossenheit als kompakter Körper nach außen ab. Mit der Abfolge annähernd gleich hoher Volumina gelingt Pernthaler jedoch der optische Verbund zu einem harmonischen Ganzen.

Für Konzertsäle haben sich weltweit zwei Prinzipien durchgesetzt: das der sogenannten „Schuhschachtel“: ein Raum wie der Wiener Musikvereinssaal; und jenes vom Typ „Arena“ mit hufeisenförmiger Anordnung der Zuschauerränge wie in der Berliner Philharmonie. Am Grad der Flexibilität, der Möglichkeit, den Klangkörper Raum baulich variabel auszustatten und ihn für unterschiedliche Anforderungen zu adaptieren, scheinen sich die Geister zu scheiden. Während die einen in Jean Nouvels Konzertsaal in Luzern etwa das zur Zeit klangschönste Orchestergehäuse der Welt sehen, behaupten andere, dass die Echokammern des amerikanischen Akustikers Russell Johnson ihr Potenzial gar nicht optimal ausspielen können. Die Abstimmung des Klangs durch variables Öffnen der rund 50 Türen zu den gewaltigen Schachträumen der zweiten Wandschale erfordere langjährige Erfahrung, sei zu aufwendig und daher im schnelllebigen Konzerttourbetrieb nicht machbar.

Gemeinsam mit dem weltbekannten Akustiker Karl-Heinz Müller hat man bei der Helmut-List-Halle nicht den Raum als Maschine realisiert, sondern auf ein statisches Konzept gesetzt, das für eine klassische Frontstage-Produktion optimiert wurde. Die Raumhülle wird von einer Leimbindertragkonstruktion abgehängt, die ein günstigeres Eigenresonanzverhalten und höhere Belastbarkeit als die vorhandene Stahlkonstruktion aufwies. Mittels einer Decke aus geschuppt angeordneten Vollholzelementen und ebensolchen Wandpaneelen, die aus planaren, nicht parallel gegenüber liegenden Flächen gebildet sind, wurde die Halle im mittleren Frequenzbereich so schallhart wie möglich ausgelegt - im Wissen, dass eine kürzere Nachhallzeit durch Dämpfen mittels Subsystem aus Aluminiumträgern, das nicht nur für das Abhängen von Stoffen einfach und schnell handhabbar ist, leicht erreicht werden kann. Der eingefärbte Estrich für den Boden und die Sichtbetonwand, die den Abschluss zum Foyer bildet, unterstützen den Anspruch auf lange Nachhallzeit. An ihr lassen sich Synergieeffekte ab-lesen, die sich aus der äußerst geglückten Zusammenarbeit zwischen Architekt und Akustiker gefügt haben. Die Wand ist gefaltet, weil sie selbsttragend sein musste. Mit der Faltung vergrößert sich ihre Oberfläche und damit der Absorptionsanteil. Schleusen mit doppelten Türen als Voraussetzung für die Studioqualität waren in der gefalteten Wand bestens unterzubringen. Im Foyer gerät sie zur starken formalen Geste, die durch ein farbiges Lichtspiel noch verstärkt wird. Hier zeigt sich der Vorteil einer Bestands-sanierung: Es ist anzunehmen, dass ein Neubau weder so reibungslos noch mit jener Großzügigkeit in Raumhöhe und Volumen durchzusetzen gewesen wäre, die der Helmut-List-Halle nicht nur den sympathisch-unaufgeregten Ausdruck von guter Industriearchitektur erhält, sondern sie nebstbei zum Aushängeschild bester städtischer Baukultur werden lässt.

Ähnlich sensibles und großzügiges Vorgehen wäre der Grazer Thalia, einem Baudenkmal der fünfziger Jahre, zu wünschen, das, von der Stadt in Verkennung seines Wertes weggelegt und von einem privaten Investor als Spekulationsobjekt gekauft, nun durch hypertrophe Über- und Vorbauten zerstört werden soll. Gesagt sei: Auch ein Mäzen denkt ökonomisch, allerdings nach einem anderen Wertekanon und in längeren Zeiträumen.

Spectrum, Sa., 2003.03.22



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Helmut-List-Halle

15. März 2003Karin Tschavgova
zuschnitt

Was gibt 's Neues? Annäherung an das zeitgenössische Möbel aus Österreich

Ciao,Bella! Diese Italiener - modebewusst vom Scheitel bis zur Sohle. Ein sicheres Gefühl für gutes
Design scheinen sie in den Genen zu haben. Italienisches...

Ciao,Bella! Diese Italiener - modebewusst vom Scheitel bis zur Sohle. Ein sicheres Gefühl für gutes
Design scheinen sie in den Genen zu haben. Italienisches...

Ciao,Bella! Diese Italiener - modebewusst vom Scheitel bis zur Sohle. Ein sicheres Gefühl für gutes
Design scheinen sie in den Genen zu haben. Italienisches Möbeldesign lässt sich verkaufen und so ist es kaum verwunderlich, dass sich im verkehrsgünstigen Norditalien ein Cluster von Möbelproduzenten etablieren konnte.

Oder die Skandinavier und ihre Möbelbautradition, getragen von einer Haltung, die den Wert des Wohnens so hoch einschätzt, dass sie ihn den Schulkindern im Unterricht vermittelt. Wesentlichen Einfluss auf die Ausprägung des Skandinavischen Wohnstils hatte übrigens der österreichische Architekt und Designer Josef Frank (1885 -1967), der 1934 nach Schweden emigrierte.
Und Österreich? Welches andere Land kann schon auf einen Stuhl (Thonet-Bugholzstuhl Nr.14)verweisen, der weltweit 50 Millionen Mal verkauft wurde, oder auf Jahrzehnte mit handwerklich wie künstlerisch hochwertigsten Möbelentwürfen aus den Wiener Werkstätten?

Was der Krieg abrupt beendet hatte, konnte danach nur noch ansatzweise wiederbelebt werden: Eine vielbesuchte Ausstellung 1952 / 53 im MAK mit neuen, leichten und flexiblen Möbeln für alle Wohnbereiche mündete in einen »Leitfaden für Möbelkäufer«. Die Gemeinde Wien unterstützte eine Initiative »Soziale Wohnkultur«. Einzelne Architekten wie Roland Rainer, Karl Auböck oder Johannes Spalt nahmen sich des Themas an und entwickelten Serienmöbel, für die sich mit Ausnahme weniger Firmen keine Produzenten fanden. Folglich blieben diese Ansätze zu einfachem und formschönem, dabei hochwertigem Mobiliar begrenzt und schafften es nicht, Geschmack und Kaufverhalten der Österreicher nachhaltig zu beeinflussen. Die setzten beim Austausch ihrer Nachkriegserstausstattung auf Gediegenheit in Eiche und auf Wandverbauten en Gros. Frische, Farbe, Abwechslung und Billigvollholz brachte erst Ikea mit der Eröffnung seiner ersten Österreichfiliale 1977 ins Heim, vorwiegend in das von Studenten und Jungfamilien. 25 Jahre danach zeigen sich deutlich die Auswirkungen der »Ikea-nisierung« im österreichischen Möbelvertrieb, der sich heute im Wesentlichen monopolistisch auf zwei große Anbieter reduziert hat: Hier wie dort wird versucht, junges, flottes Design billigst nachzumachen. Jene Generation, die nun nach zwanzig Jahren ihre abgewohnten und aus der Mode gekommenen Billigmöbel schrittweise durch qualitätvolle Stücke ersetzen will, stellt eine Chance für Österreichs Möbelhersteller dar. Der inzwischen gutsituierte Mittelstandshaushalt kann aus einem eher schmalen Katalogangebot heimischer Produzenten wählen, die sich hochwertig verarbeiteten Wohnmöbeln verschrieben haben. Es sind dies mittlere Industrie- und Gewerbebetriebe wie Team 7 ,Gruber &Schlager oder Optimo, die mit Solidität, Spezialisierung auf »natürliches Wohnen«, mit hohem Vollholzanteil werben und individuelle Beratung anbieten. Legt man Wert auf die Kombination hochklassiger Qualität und außergewöhnlichen Designs, so muss man bereit sein, noch tiefer in die Tasche zu greifen.

Wittmann etwa konnte mit seinen weitgehend handwerklich gefertigten Polstermöbeln und der Neuauflage von Möbelklassikern, u.a. von Josef Hoffmann, seinen Bekanntheitsgrad in den letzten Jahrzehnten auch im Ausland ausbauen. Ihren guten Ruf festigt die Firma mithilfe einiger international tätiger Stammdesigner, die die Kollektion immer wieder um neue Edelstücke bereichern.

Der österreichische Markt allein ist für all jene Firmen, die auf zeitgenössisches Design setzen, zu klein und so streben die, die es ihren italienischen oder skandinavischen Konkurrenten gleichtun wollen, auf renommierte internationale Möbelmessen. Unternehmen wie die Firma Streitner, die sich bislang auf Bankeinrichtungen spezialisiert hat und seit kurzem mit einer exklusiven Produktlinie Furore macht, Braun Lockenhaus, die ihr Qualitätsangebot sukzessive erweitern, oder Gewerbebetriebe wie Hussl, Kapo oder Schmidinger setzen viel Kapital ein, um neue Prototypen zu entwickeln und am europäischen Markt zu positionieren.
Die österreichische Wertmarke,der Zusatznutzen all jener Produkte, könnten - traditionell österreichisch - höchste Material - und Verarbeitungsqualität sein, verlässliche Lieferfristen und Flexibilität in Bezug auf Kundenwünsche.
Mit genau jenen Vorzügen, aber auch mit reaktionsschneller Anpassung an geänderte Anforderungen ist es der Büromöbelindustrie Österreichs, allen voran Bene und Wiesner-Hager, gefolgt von anderen wie Neudörfler, Hali, Svoboda und Blaha, im letzten Jahrzehnt gelungen, ein solides Marktsegment zu erobern. Mit neuen Entwicklungen der Büroorganisation hin zum zonierten Kombibüro scheint der Bedarf an Büromöbeln, die verschiedenste Tätigkeiten des Büroalltags gekonnt inszenieren, neuerlich geweckt. Es ist heute mehr als die Qualität eines Möbels, die entscheidend für seinen Verkaufserfolg ist.

Modernste Produktions- und Vertriebslogistik macht serielle Vorfertigung mit teurer Lagerhaltung obsolet.
»Just in time« zu produzieren, heißt die Devise aller Hersteller, die Zuschnitt befragt hat. Sie beschränken sich auf die Lagerung einzelner Komponenten und versprechen, Bestellungen schnell, punktgenau und sogar individuell zu erfüllen. Große Firmen bieten Gesamtausstattungen, etwa ganzer Bürokomplexe, an. In der Gastronomie zeitigt dies vom Bodensee bis ins Burgenland einen katastrophal-unpersönlichen Einheitsgastrostil. Lichtblicke bieten jene immer zahlreicher werdenden feinen Beispiele neuer Gaststätten oder Vinotheken, die als gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Tischler mit Publikumsandrang und Auszeichnungen belohnt werden. Für beste Maßarbeit im Sinne handwerklicher Tradition.

zuschnitt, Sa., 2003.03.15



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zuschnitt 09 Holz im Möbel

19. Oktober 2002Karin Tschavgova
Spectrum

Stadloggia mit 6000 Sitzen

Ausgeschrieben hatte die Stadt Graz eine Messehalle. Klaus Kada projektierte ein Veranstaltungs- und Kongreßzentrum und baute nun jene multifunktionelle Halle, die den Grazern seit Jahren versprochen war.

Ausgeschrieben hatte die Stadt Graz eine Messehalle. Klaus Kada projektierte ein Veranstaltungs- und Kongreßzentrum und baute nun jene multifunktionelle Halle, die den Grazern seit Jahren versprochen war.

Ein zweites attraktives Stadtzentrum nicht weit vom Grazer Rathaus, wie Klaus Kada es sich erträumt, ist der Standort seiner neuen Grazer Stadthalle noch lange nicht. Noch ist dort eine „Gegend“, planlos verbaut und wenig einladend, wenn auch verkehrstechnisch günstig an Straßenbahn, der Bahnlinie und der Autobahnanbindung gelegen. Dominiert wird dieser Stadtteil vom Areal der Grazer Messe mit ihrem Wildwuchs an Hallenbauten, Kiosken, Bretterbuden und freien Ausstellungsparzellen.

Kadas Vision von der pulsierenden Mitte der Achse Hauptplatz - Liebenauer Stadion mit der Stadthalle als Attraktor ist dort schwer vorstellbar, wo Tankstellen, McDonald's-Drive-in, eine Gstätten als messeeigener Großparkplatz und ein Fußballplatz, der bessere Zeiten gesehen hat, den Rahmen bilden. Andererseits bergen solche Orte ein immenses Potential an Entwicklungsmöglichkeiten, sie bieten sich geradezu an für weit vorausschauende Planungen in größeren Zusammenhängen. Aus stadtplanerischer Sicht wäre diese Lage bestens geeignet für eine zentrumsnahe Stadtverdichtung, für eine gemischte Nutzung mit Wohnbauten, Bürohäusern und Gewerbe. Die Messeleitung jedoch zeigte Beharrungsvermögen gegenüber allen Absiedlungsplänen. Eine aktuelle Meldung, wonach man dem Bau der Stadthalle bis 2007 drei weitere Riesenhallen mit einem Investitionsvolumen von 60 Millionen Euro folgen lassen will, weist auf „einzementieren“ hin und legt nahe, daß die Chancen für jede andere Entwicklung verbaut sind.

Als Veranstaltungs- und Kongreßzentrum wertet die neue Stadthalle den Bezirk zweifellos auf und gibt ihm, an der Stelle des ehemaligen Haupteingangs zur Messe, ein signifikantes Zeichen. Kada hat sich nicht nur mit seiner Interpretation und Erweiterung des Raumprogramms zu einer multifunktionalen Halle über die Ausschreibungsvorgaben hinweggesetzt, er hat der horizontalen Ausrichtung der mit 96 mal 66 Meter etwa fußballfeldgroßen Halle auch ungefragt einen Turm als vertikales Pendant hinzugefügt. Diese Eigenmächtigkeit hat man ihm anfangs auch nicht nachgesehen. Gewonnen hat den Wettbewerb nämlich ein Projekt, das die Vorgaben erfüllt hat. Allzu brav und ohne Strahlkraft, wie die Stadtväter bald erkannten, worauf man Kadas Entwurf durch die Hintertür des Kleingedruckten über das Verhandlungsverfahren wieder zurückgeholt hat. Ein Anlaß mehr, präzise und sorgfältig vorbereitete Wettbewerbe einzumahnen.

Allenfalls, könnte man einwenden, heiligt das Ergebnis die Mittel (das unsaubere Vorgehen des Auslobers), und tatsächlich scheint schon jetzt die von Kada vorgeschlagene große Lösung die einzig richtige. Mit einer Einschränkung: Es ließe sich darüber streiten, ob die Positionierung des Turms an der stadtnahen Seite der Halle städtebaulich richtig ist. Ob dadurch nicht vielmehr der durch das mächtige Dach gedeckte Hallenvorplatz, vom Architekten als Stadtloggia bezeichnet, mit dem auffallend violetten skulpturalen Körper des Plenarsaals in seiner Einsehbarkeit eingeschränkt wird. Allerdings gab es die Auflage, eine innere Anbindung an die Halle 12 herzustellen, und ein in sich geschlossener Bauteil wie der Turm wäre dabei hinderlich gewesen. Daß die alte Halle nun doch abgetragen und die Anknüpfung vorerst obsolet wird, verweist weniger auf Ironie als auf das Manko vorausschauender Planung.

Der Architekt hingegen hat beharrlich seine Vorstellung von einer zeitgemäßen Halle umgesetzt. Sie beginnt im großen, transparenten und lichtdurchfluteten Foyer, das gemeinsam mit den beiden Seitenfoyers zum angenehm großzügigen Wandelgang in Ruhepausen wird. Räumliche Verschränkungen mit dem Tagungsbereich im Obergeschoß, die Integration des Cafés auf einer zusätzlich eingezogenen offenen Ebene im nördlichen Foyer und überall angestrebte Durchlässigkeit ermöglichen die Teilnahme am Geschehen in der Halle von fast jedem Punkt aus, wahlweise auch den Bezug zur Straße oder zum kleinen kastanienbestückten Park.

Tief in die Halle läßt Kada blicken; Transparenz vom Straßenraum durch das Foyer hindurch ist ihm ein Anliegen. Will man die 6500 Quadratmeter große stützenfreie Halle mit einer imposanten Höhe von 14 bis 18 Meter ganz verdunkeln, schließt man die raumhohen Vorhänge zum Foyer. Soll hingegen die für 6000 Sitzplätze oder 11.200 Stehplätze ausgelegte Halle ins Freie erweitert werden, so öffnet man jene elf spektakulären Tore der Rückfront zum Messeareal, von denen jedes die gewaltige Dimension von 4,4 mal 18 Meter aufweist und sich über eine außermittige Drehachse erstaunlich schnell und leise in die Längsachse drehen und auch wieder schließen läßt. Ebenso beeindruckend, vervollständigen bewegliche, raumhohe Wandelemente über ein Drittel der Längswand Kadas Idee vom fließenden Raum, der nach Bedarf und Jahreszeit zur gedeckten offenen Arena werden kann. Mit extrem hohen Anforderungen an Schall- und Brandschutz (Schallschutz für 100 dB und Brand-widerstandsklasse F 90 waren gefordert) ist dem Büro mit diesen hochkomplexen Bauteilen ein Husarenstück gelungen. Der Eindruck der vollkommenen Offenheit war nur erreichbar durch das Vermeiden eines zu engen Stützenrasters. Vier behäbige konische Ortbetonstützen mit einem Durchmesser von bis zu 2,8 Meter tragen das mächtige Dach von 150 Meter Länge und 70 Meter Breite, das an der Eingangsseite 46 Meter auskragt.

Mit ihrer Orientierung zum Straßenraum hält sich die Stadthalle alle Optionen offen. Sie eignet sich als integrierbarer Teil jeder weiteren Entwicklung der Grazer Messe an diesem Ort, könnte jedoch auch autonom, als Solitärbau bestehen. Mit der weiten Ausladung des Dachs ist sie jetzt gleichsam ein Fingerzeig auf das Brachland der anderen Straßenseite. Dort, wo sich hinter niedrigen Behelfsbauten der ehemalige Fußballplatz der „Roten Teufel“ nur mehr mühsam auf den Beinen hält, wäre ein ihr angemessenes Gegenüber mit ergänzender Infrastruktur denkbar in Form eines Kongreßhotels
mit Tiefgarage, Dienstleistungsbetrieben und Nahversorgern. Gemeinsam könnten beide eine weithin sichtbare optische Einschnürung des Straßenraums ergeben, ein städtebaulich markantes Halt!-Zeichen, das schon von weitem auf einen besonderen Ort verweist. Auf das neue Zentrum, von dem Klaus Kada träumt, in bester Auslegung des Berufsbildes eines Architekten als Vordenker.

Spectrum, Sa., 2002.10.19



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Stadthalle

05. Oktober 2002Karin Tschavgova
Der Standard

Müllhalden und Architektursuperlativ

Ein Lokalaugenschein in Alexandria.

Ein Lokalaugenschein in Alexandria.

Das Gefühl von Fremdheit ist ein steter Begleiter auf dem Weg nach Alexandria, wenn der komfortabel klimatisierte Zug, für den man den halben Monatslohn eines Durchschnittsägypters hinblättert, an schier endlosen Elendsquartieren vorbeibraust. Dieses Land, diese Menschen sollen eine Bibliothek der Superlative brauchen, die den Staatsetat für Bildung vermutlich auf Jahre hinaus aufzehrt?

Der erste Eindruck des Bauwerks im Hafen von Alexandria drängt alle Bedenken vorerst in den Hintergrund: Zu eindrucksvoll ist die riesige, gegen die Bucht geneigte Scheibe, die städtebaulich äußerst gekonnt die durchwegs vertikal betonte Bebauung an der Corniche unterbricht, eingebettet in sonnenfunkelnde Wasserbecken und einen weitläufigen Platz, der dennoch einen Raum schafft zwischen dem älteren Kongresszentrum und dem neuen Gebäuderund. Schon hier zeigt sich das Können der Architekten. Trotz gewaltiger Dimensionen ist es außen wie innen fern jeglicher Monumentalität.

Den Architekten ist ein erstaunlicher Spagat gelungen: Großzügigkeit und Weite paaren sich mit Intimität und Atmosphäre. Was im Außenraum durch das sichtbare Versenken des Volumens unter Terrain gelingt, wird im Innenraum, dem Lesesaal, durch geschicktes Abtreppen des Raums erzielt, der dadurch an einer Stelle nur drei Meter hoch ist und anderorts wiederum 17 Meter. Beeindruckend ist das Licht, gleichmäßig gestreutes Tageslicht aus einem Gefüge plastisch geformter Dachelemente. Getragen werden sie von einem Wald an Säulen. Die erwecken, mit Reihen von blau und grün flirrenden Glaspunkten in den Deckenträgern, die Assoziation mit einer Moschee. Die Beschränkung auf wenige Materialien geben dem Saal Homogenität und eine Aura des „Immer schon da Gewesenen“.

Ob die Bibliothek diesen Stellenwert einmal erreichen kann? Wenn sie, wie ihr antikes Vorbild, nicht nur Sammelpunkt, sondern lebendige Schnittstelle zwischen Orient und Okzident wird, wäre der gewaltige Aufwand berechtigt. Nicht nur für das arme Land Ägypten.

Der Standard, Sa., 2002.10.05



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Bibliothek von Alexandria

15. September 2002Karin Tschavgova
zuschnitt

Leichte Last - Parasitäre Bauten als funktionelle und ästhetische Bereicherung

Dachaufbauten, Implantate und Zubauten – ihnen allen ist eines gemein: Sie nützen bestehende Strukturen, an die sie andocken. Sie nisten sich ein, zapfen...

Dachaufbauten, Implantate und Zubauten – ihnen allen ist eines gemein: Sie nützen bestehende Strukturen, an die sie andocken. Sie nisten sich ein, zapfen...

Dachaufbauten, Implantate und Zubauten – ihnen allen ist eines gemein: Sie nützen bestehende Strukturen, an die sie andocken. Sie nisten sich ein, zapfen die Infrastruktur ihres Wirtes an und hängen sich an vorhandene Systeme für Wasser- und Stromleitungen. Mit geringem Aufwand für die Aufschließung sind sie ressourcenschonend und leisten, ebenso wie Dachbodenausbauten, einen wertvollen Beitrag zur Stadtverdichtung. Als An- oder Aufbauten behaupten sie sich im Gegensatz zu diesen jedoch durch optische Präsenz und formale Eigenständigkeit. Auch als nichtautonome Strukturen verweisen sie im besten Fall – wenn nicht versucht wird, die nachträgliche bauliche Adaption zu vertuschen – auf ihre Entstehungszeit, fügen dem Bestand eine neue, klar ablesbare Zeitschicht hinzu.
Holz erweist sich für all diese Bauaufgaben als ganz besonders geeignet.

_Holzbau ist Trockenbau, es gibt keine Austrocknungszeit und damit keine Verzögerungen auf der Baustelle.

_Als leichtes Baumaterial belastet es die Tragstrukturen nicht übermäßig und lässt sich, etwa bei Dachaufbauten, als Ersatz für eine abzutragende Dachkonstruktion und unter Einbeziehung einer Berechnungsreserve ohne Verstärkung des bestehenden Stützenrasters montieren. Am Dachaufbau des Bundesrealgymnasiums Stainach von Alfred Bramberger schuf der statische Nachweis der Festigkeitszunahme des Betons infolge von Alterung die Voraussetzung für die Aufstockung. Die ausgeführte Holzkonstruktion mit verleimtem Brettschichtholz (KLH-Platten) bedingt lediglich eine Laststeigerung um 8 bis 9 Prozent am bestehenden Altbau. Diese Belastung ist durch die altersbedingte Festigkeitszunahme des Betons, die bei diesem Bauwerk um die 20% beträgt, abgedeckt.

_Als Baumaterial, das sich zur Vorfertigung ganzer Wand- und Deckenelemente in der Werkstatt eignet, ist Holz prädestiniert für eine schnelle, Substanz schonende Montage. Offengelegte oberste Geschoßdecken können bei der Verwendung vorgefertigter Wand- und Deckentafeln in wenigen Tagen wieder verschlossen werden. Die Montagezeit für den gesamten Rohbau in Stainach betrug 3 Wochen. Dadurch minimierte sich die lärmintensive Montagezeit und der Innenausbau konnte in dem abgeschlossenen Aufbau ohne Beeinträchtigung des laufenden Schulbetriebes vor sich gehen. Die gewählte Form des Zubaues als Aufstockung beanspruchte nicht den wertvollen Freiraum als Platz für die Baustelleneinrichtung und Baustellenzufahrt.

_Als leichtes Baumaterial ist Holz bestens geeignet, eine Klimahülle zu schaffen, die raumabschließend wirkt, die vorhandene Struktur jedoch weitgehend unangetastet lässt. Angedockt an den Bestand wird nur, wo Übergänge notwendig sind. Am Beispiel der Adaptierung eines Stadels in Kärnten in ein Wohnhaus wird das »Haus im Haus« – Prinzip deutlich. Markus Pernthaler schreibt dem ortstypischen, im Obergeschoß offenen Bauwerk mit mächtigem Dach und schwerem Bruchsteinmauerwerk eine leichte nichttragende Struktur aus Holz ein. Die offene luftige Loggia, zwischen Steinpfeilern und Wohnraum als wettergeschützte Pufferzone platziert, kontrastiert Alt und Neu in einem reizvollen Nebeneinander.

_Als Baumaterial ist Holz in vorgefertigten Tafelelementen mit einem (Leicht-)baukastensystem vergleichbar – relativ unaufwändig und platzsparend transportierbar, mittels intelligenter Verbindungstechnik schnell montierbar, ebenso demontabel und damit mobil. Temporäre Bauten wie der »Parasit« auf dem Liftschacht eines ehemaligen Werkstattgebäudes in Rotterdam, ein unkonventioneller Wohnraum, der von den holländischen Architekten Mechthold Stuhlmacher und Rien Korteknie entworfen und in Massivholz ausgeführt wurde, können zur Stadtverdichtung beitragen. Sie sollen das Potential von Orten erkunden, die als unbewohnbar gelten, oder Behelfsquartiere darstellen an Orten mit akuter Raumnot. Der ungewöhnliche Holzbau ist der erste einer Reihe von Prototypen, die die Parasite Foundation Rotterdam an verschiedenen Standorten in den Niederlanden errichten will. Ein leichtes Aperçu, gelandet am Dach der »Las Palmas« Halle, einem ehemaligen Industriebau, bereit zum Abflug in andere Gefilde – auf der Suche nach einem neuen Wirtsbau.

zuschnitt, So., 2002.09.15



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zuschnitt 07 Leicht und schwer

15. September 2002Karin Tschavgova
zuschnitt

Konstruktion und Fassade

Die bestehenden Schulbauten mit Werkhallen und Lagerschuppen der Hochschule in Biel sollten erweitert werden. Die Architekten Conzett, Bronzini, Gartmann fügten südlich des Areals die neuen Werkhallen direkt an den Bestand an. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude. Der 94 m lange und 17 m hohe Holzbau hebt sich von den flachen Nachbarbauten als markantes Zeichen ab. Das Flachdach kragt weit aus und bildet den Wetterschutz der Holzkonstruktion und der vorgehängten Eichenholzfassade. Der Erschließungskern wurde in Beton ausgeführt, die Schuleinheiten sind als selbsttragende Holzkonstruktion ausgeführt. In den Klassenzimmern sind verschiedene Holzarten für die Oberflächen verwendet worden. Bei allen Gebäudeteilen wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.
Die Hochschule für Holzwirtschaft wurde mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Die bestehenden Schulbauten mit Werkhallen und Lagerschuppen der Hochschule in Biel sollten erweitert werden. Die Architekten Conzett, Bronzini, Gartmann fügten südlich des Areals die neuen Werkhallen direkt an den Bestand an. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude. Der 94 m lange und 17 m hohe Holzbau hebt sich von den flachen Nachbarbauten als markantes Zeichen ab. Das Flachdach kragt weit aus und bildet den Wetterschutz der Holzkonstruktion und der vorgehängten Eichenholzfassade. Der Erschließungskern wurde in Beton ausgeführt, die Schuleinheiten sind als selbsttragende Holzkonstruktion ausgeführt. In den Klassenzimmern sind verschiedene Holzarten für die Oberflächen verwendet worden. Bei allen Gebäudeteilen wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.
Die Hochschule für Holzwirtschaft wurde mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Es hängt vom Wissen und der Vorbildung der Betrachter ab, ob sie die Tragwirkung der Fassade richtig interpretieren. Wer in der Tradition der Moderne in jedem Bau eine Trennung in Traggerüst und Füllung vermutet, könnte aus der Betrachtung von Sockelzone und Attikageschoß den Eindruck erhalten, die Außenwand des Lehrgebäudes sei ein Skelettbau, weil von der Tragkonstruktion einzig die Auflagerpunkte über der Fundation und die voluminösen Stützen der Dachbinder sichtbar sind. Tatsächlich entspricht die Tragstruktur dieser Außenwand aber genau dem, was man sieht, nämlich einer flächigen, tragenden Wand, die wie eine durchlöcherte Scheibe wirkt.

Die Öffnungen in der Fassade zeichnen in ihren übergroßen Dimensionen das dahinter liegende Wandelement ab, welches zugleich allseitig als Fensteranschlag dient und im Brüstungsbereich als Überzug für die darunterliegende Decke wirkt. Auf diese Weise ist es möglich, große ungeteilte Fenster einzusetzen, deren Proportionen nicht mehr vom engen Abstand eines Ständers diktiert werden, sondern von ihrer Beziehung zu den großen Räumen.

Die Außenfassaden bestehen aus auf die Konstruktion angeschlagenen Platten aus unbehandelter Eiche. Alle äußeren Wände der Schulräume sind wegen der Scheibenwirkung in der Lage, als kontinuierliche Auflager der Deckenelemente zu dienen. Dies ermöglicht es auch, die Decken der Balkonräume direkt von Klasse zu Klasse zu spannen. Die Tragrichtung verläuft dabei parallel zur Fassade, also rechtwinkelig zu der der Decken in den Klassen. Damit ist eine von stützenden Elementen freie Verbindung der inneren Erschließung mit dem Außenraum möglich, der Raum »fließt« ungehindert ins Innere des Gebäudes.

zuschnitt, So., 2002.09.15



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17. August 2002Karin Tschavgova
Spectrum

Die Logik des Paßgenauen

Immer wieder überraschende Raumlösungen, immer bezogen auf den Ort, funktionell begründet und konstruktiv avanciert. Das Ergebnis: fließende helle Räume und kompakte Körper von höchster Leichtigkeit und Eleganz. „fasch & fuchs.“ Ein Porträt.

Immer wieder überraschende Raumlösungen, immer bezogen auf den Ort, funktionell begründet und konstruktiv avanciert. Das Ergebnis: fließende helle Räume und kompakte Körper von höchster Leichtigkeit und Eleganz. „fasch & fuchs.“ Ein Porträt.

Schnittige, zuweilen kryptische, einfach nur originell sein wollende Firmennamen kennzeichnen viele Büros der jüngeren Generation von Architekten. Zu einem neuen Verständnis des Architektenberufs gehören offensichtlich eine Corporate Identity, ein repräsentatives Büro, eine coole Website und ein auffallender Gruppenname.

„fasch & fuchs.“ geben sich diesbezüglich lapidar und zurückhaltend. Ihr Name leitet sich von den beiden Bürogründern Hemma Fasch und Jakob Fuchs ab, und ihr Büro starteten sie 1994, leise wie konsequent, mit der Teilnahme an einer Reihe von Wettbewerben. Aufgefallen sind sie durch ihre erfrischenden Entwürfe, die sich, oberflächlich betrachtet, durch betont konstruktive Durcharbeitung, ungewöhnlich windschlüpfige Querschnitte und Landschaftsgebundenheit auszeichnen.

Tatsächlich fallen die überaus hohe Anzahl an Wettbewerbsbeteiligungen und ihre häufigen Prämierungen auf. Dem liegt einmal ein großes vorwärtsstrebendes Wollen zugrunde - gewinnen wollen, bauen wollen - und dann die Überzeugung, daß das offene, anonyme Wettbewerbsverfahren als weitestgehend objektives Instrumentarium nicht arrivierten Architekten die größten Chancen bietet. Nachdem die ersten realisierten Bauaufgaben der beiden auf Direktbeauftragung zurückgehen, ist anzunehmen, daß sie den Zweck solch aufwendiger und kostenintensiver Wettbewerbsteilnahmen auch darin sahen, Erfahrungen zu sammeln in der Umsetzung typologischer Aufgabenstellungen im Kontext der jeweiligen Randbedingungen.

Versucht man, die Arbeitsweise von fasch & fuchs. eingehender zu entschlüsseln, etwaige Entwurfsprinzipien, einen theoretischen Ansatz, Analogien zwischen dem einen oder anderen Projekt zu orten, so erkennt man bald, daß sie für sich nur wenige verbindliche Prämissen aufstellen. Jede Arbeit entwickelt sich aus der spezifischen Aufgabenstellung, aus der Verknüpfung funktioneller Anforderungen mit den gegebenen Randbedingungen und vor allem aus dem Erforschen des Ortes und seiner Topographie - und zwar im steten Bestreben, einen Kontext zur Umgebung herzustellen, mehr noch, durch das Einfügen des Neuen das Besondere eines Ortes zu akzentuieren. Das paßgenaue Resultat in den meisten der vorliegenden Entwürfe verweist auf einen stringenten selektiven Formfindungsprozeß. Den- noch ist man, wie Jakob Fuchs anmerkt, selbst immer wieder erstaunt über „die Logik einer Lösung als einzigmögliche“.

Aus diesem Verständnis heraus läßt sich der von der Jury 1998 mit dem Ersten Preis prämierte und zur Realisierung vorgeschlagene Neubau im Kaiserin-Elisabeth-Spital lesen, den der Spitalserhalter der Stadt Wien leider nicht umsetzt. Der geforderte OP-Trakt wurde ins Gelände eingeschnitten und durch Höfe gegliedert. Begrünte, bepflanzte Dachflächen als künstliche Landschaft hätten den Park in seiner ursprünglichen Dimension erhalten.

Nicht zuletzt diese zurückgenommene Haltung zeigt, daß fasch & fuchs. zu jenem Typus von Architekten zählen, der sein Können als Handwerk versteht - meisterlich, aber frei von jeglicher Künstlerattitüde und ohne Bedürfnis, einen unverwechselbaren Personalstil zu kreieren.

Deutlich wird die Arbeitsweise der beiden Architekten auch am Entwurf zur Umwandlung des nicht mehr funktionstüchtigen Hallenschwimmbades an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Salzburg in eine Bibliothek. Eine spannende Bauaufgabe, die aus dem
Ersten Preis eines Gutachterverfahrens hervorging und bis Herbst dieses Jahres fertiggestellt sein wird (Projektteam: G. Bösch, Th. Mennel, f & f). Im Gegensatz zu vielen anderen Vorschlägen war ihnen wichtig, die räumliche Qualität des Schwimmbades zu erhalten - als Erinnerung, keinesfalls als Gag.

Mit feinem Gespür für die Möglichkeiten, die der überhohe, helle Raum aus den siebziger Jahren eröffnete, fanden sie zu einer unkonventionellen Lösung, die räumlich, funktionell und formal schlüssig ist. Der Technikraum unter dem ehemaligen Becken wurde zum Bücherspeicher, die Mehrzahl der Bücher wird in zweigeschoßigen Lagerregalen untergebracht, die aus dem Beckengrund zu wachsen scheinen und im oberen Bereich über Glasstege vom Beckenrand aus zugänglich sind. Darüber wird, für zusätzlich geforderte Räume der Informatik, eine Decke in einer leichten Stahlkonstruktion eingehängt. Diese Ebene ist in verglaste Räume und offene galerieartige Verkehrsflächen gegliedert, die mobile Arbeitsplätze enthalten. Beide profitieren von der Weite und Offenheit des Großraums. Der Bezug zum Außenraum mit der schönen Aulandschaft ist genauso gegeben wie die direkte Belüftung. Entstanden ist ein in sich stimmiger Raum, dem die Mühen seiner Adaption nicht mehr anzusehen sind.

Wie aber erklärt sich die starke, eigenwillige Handschrift, die die Arbeit von fasch & fuchs. charakterisiert? Was formt sie, was ist das Unverwechselbare an ihr? In Juryprotokollen werden die Entwürfe der beiden als elegant, spannend, plastisch beschrieben, wird ihnen „hohe räumliche Qualität und gekonnte skulpturale Durchbildung“ konzediert. Nun entsteht aber bei fasch & fuchs. die Form nie als Skulptur per se, ist nie Zeichen einer selbstbezogenen hermetischen Haltung.

Form entwickelt sich aus der inneren Organisation eines Gebäudes, aus der Differenzierung nach Größeneinheiten, Abständen, Raumhöhen und Lichteinfall. Sie ist immer Ergebnis eines Prozesses, bei dem tradierte Haltungen und Typologien hinterfragt und bei Bedarf auch verworfen werden. Alle ihre Entwürfe gehen einen Dialog mit dem Vorgefundenen ein. Das Gelände kann auf verschiedenste Weise zum integrierten Bestandteil des Entwurfs werden. Aufgewertet, wenn sie das Dach einer bestehenden Parkgarage zum „urbanen Feld im Sinne eines Platzes“ (Juryprotokoll) machen. Unmittelbar, wenn es unter dem aufgeständerten Gebäude der Österreichischen Botschaft in Berlin durchfließt und zur Bedeutungsebene für den Anspruch auf Offenheit und Grenzenlosigkeit wird. Oder gefiltert, wie beim Sophienspital, wo der schlanke Trakt am Rande des Areals eine transparente Schicht bildet zwischen der ruhigen innenliegenden Parklandschaft und dem verkehrsreichen Europaplatz - nicht aber eine Zäsur. Transparenz ist dort ein Thema, wo die Gebäudehaut kaum merklicher Übergang zu einem attraktiven Außenraum sein soll, ist aber ebensowenig ideologisch determiniert wie die Technik, in der fasch & fuchs. wie Renzo Piano ein Instrument für die Architektur sehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Mit dem Architekten des Kansai International Airport verbindet sie auch die Betonung des Konstruktiven, die Freude an ausgereiften, feingliedrigen Tragstrukturen. Was sich an der Busgarage, dem Siegerprojekt eines von den Wiener Linien 1999 ausgelobten Wettbewerbs (Projektteam: G. Bösch, F. Hof bauer, E. Klein, K. Krummlauf, M. Waldner, f & f, Statik: Werkraum), zeigt. Zwei Funktionstrakte für Verwaltung und Werkstätten werden durch ein gefaltetes Membrandach stützenfrei verbunden. Die beeindruckenden Dimensionen betonen die Leichtigkeit der Konstruktion, die mit Seilen unterspannt und nur an wenigen Punkten mit dem Boden verankert ist.

An ihren Arbeiten läßt sich generell, nicht theoretisch überfrachtet, eine Lust am Aufbrechen normierter Vorstellungen, an unorthodoxen Ansätzen erkennen. Etwa im Versuch, Raumeinheiten unterschiedlichster Anforderungen miteinander zu verweben und als offene, ineinanderfließende Bereiche erlebbar zu machen. Das Ergebnis: kompakte Körper, dabei von höchster Leichtigkeit und Eleganz. Mal sind sie fest verankert im Boden; in die Landschaft ausgreifend werden sie Teil derselben. Dann wieder scheinen sie zu schweben und ähneln, mit einem Mindestmaß an Bodenhaftung, pneumatischen Hüllen. Ihr jüngster Erfolg, der prämierte Entwurf für ein Kindermuseum im Grazer Augarten, wird von den Verantwortlichen der Stadt begeistert mitgetragen und bis Herbst 2003 realisiert. Leichtfüßig wächst der Baukörper aus dem Parkgrün und verdeutlicht, was Otto Kapfinger mit „Sie entwerfen Gebäude wie Karosserien, wie kompakte Chassis für leichte Cabriolets“ charakterisiert. Doch die außergewöhnliche Form erklärt sich wiederum aus baurechtlichen und funktionellen Vorgaben und der Qualität des Ortes.

Es ist die Kraft der formalen Durchbildung, die das Funktionelle, Pragmatische adelt und die Bauten von fasch & fuchs. zu zeitlosen Wegmarken werden läßt. Die bis jetzt umgesetzten Bauaufgaben lösen dieses Versprechen ein. „The only absolute is Change - Growth - Life.“ Dieser Ausspruch des kalifornischen Architekten John Lautner, der ihre Homepage einleitet, läßt noch viel Überraschendes erwarten.

Spectrum, Sa., 2002.08.17



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22. Juni 2002Karin Tschavgova
Spectrum

Der Großputz an der Mur

2003 ist es soweit: Graz ist Europas „Kulturhauptstadt“. Wie die meisten ihrer Vorgängerinnen verläßt sich die steirische Metropole nicht allein auf Kulturerbe und lokale Kulturszene, sondern will mit spektakulären Neubauten reüssieren - und präsentiert sich sechs Monate davor als lärmende Großbaustelle.

2003 ist es soweit: Graz ist Europas „Kulturhauptstadt“. Wie die meisten ihrer Vorgängerinnen verläßt sich die steirische Metropole nicht allein auf Kulturerbe und lokale Kulturszene, sondern will mit spektakulären Neubauten reüssieren - und präsentiert sich sechs Monate davor als lärmende Großbaustelle.

Blättert man im Bilderbuch europäischer Kulturhauptstädte der letzten Jahre, so zeigt sich, daß die Architektur - prestigeträchtige Neubauten - häufig als Zugpferd eingesetzt wird, um Besuchermassen anzulocken. Bekannte Namen aus dem globalen Architektenstarzirkus sind sehr begehrt, und wenn man nicht wie Rotterdam als Kulturhauptstadt 2001 das Glück hat, auf heimische Größen wie Rem Kolhaas zurückgreifen zu können, dann kauft man, wie Brügge, Stars wie Toyo Ito ein, die für Renommee garantieren sollen. Ob dies im Sinne der Kulturhauptstadterfinder ist, deren Programmatik darauf abzielt, lokales Kulturerbe bekannt zu machen, die Identität lokaler Kulturszenen zu stärken und ihre Position innerhalb des aktuellen europäischen Kulturgeschehens auszuloten, bleibt dahingestellt.

Ein Bilbao-Effekt wäre den Grazer Kultur- wie Tourismusverantwortlichen gleichermaßen willkommen, doch leider eignet sich das Grazer Kunsthaus, jener spektakuläre oder zumindest ungewöhnliche Entwurf des britischen Architektenduos Peter Cook und Colin Fournier, vorerst nicht als solcher. Er existiert noch nicht einmal als Rohbau und wird schlicht und einfach im Kulturhauptstadtjahr 2003 nicht fertig werden oder frühestens im Spätherbst des Jahres - bislang ohne zugkräftigen Inhalt und ohne Programm. Mit ihrem Kunsthaus scheinen die Grazer kein Glück zu haben, seine unendliche Geschichte deckt gravierende Mängel der politisch Verantwortlichen der letzten zehn Jahre auf: Profilierungssucht, Uneinigkeit, Populismus und Zögerlichkeit.

Auch der dritten Auflage als Ergebnis eines dritten Wettbewerbs am dritten Standort ist ein gelungener Ausgang nicht garantiert. Noch ist die Materialwahl der Oberfläche der blauen, gestaltgebenden Blase nicht entschieden. Ausgeschrieben wurden eine Haut aus Acrylglas und alternativ dazu, aus Angst vor einer Sprengung des Kostenrahmens, eine aus Blech (!). Damit könnte der Anspruch der Architekten nach einem „geschmeidigen Kokon“ mit teils „opaker, teils transparenter Membran“, die „nachts exotische Enthüllungen“ verspricht und „geradezu in das Innere hineinzieht“, keineswegs erfüllt werden.

Eine Architektur im begrifflichen Umfeld von Bionik, Blobs und Biomorphismus, die, obwohl keineswegs neu, sich bis dato vorwiegend in Zeichnungen manifestiert und die auch in ihrer Erstauflage in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über das Stadium des Objekthaften nicht hinauskam, verlangt für die Umsetzung in ein funktionstüchtiges Objekt Bereitschaft zum Experiment. Will man das Besondere des Kunsthauses, jenes „Atmen“ der Haut und ihre Luzidität, einigermaßen entwurfstreu umsetzen, so kann dies nur ohne ein Denken in Wohnbauförderungskriterien, in ministerialen Richtlinien und ohne starren finanziellen wie zeitlichen Rahmen gelingen. Dem enormen zeitlichen Druck könnte man sich durchaus widersetzen - immerhin wurde die Realisierung des Kunsthauses mehr als ein Jahrzehnt politisch blockiert, und die Bedeutung des Hauses für die Stadt zeigt sich erst, wenn es mit Inhalt gefüllt wird.

Gleich mehrere Bauvorhaben, die unabhängig vom Kulturhauptstadtjahr konzipiert wurden, werden von Stadtpolitikern wie Programmachern für 2003 vereinnahmt: etwa die Stadthalle, die kurz vor der Fertigstellung steht. Schon lange als dringend benötigte „Halle für Alle“ in aller Munde, wurde sie am nunmehrigen Standort als Messehalle ausgeschrieben und erst durch den nicht ausschreibungskonformen Wettbewerbsbeitrag von Klaus Kada zu einer imposanten Multifunktionshalle aufgewertet. Diese würde sich für große Veranstaltungen im Rahmen der Kulturhauptstadt bestens eignen, doch liegt bis jetzt keine Reservierung vor. Der Umbau des Hauptbahnhofs wiederum erfolgt im Rahmen der „Bahnhofsoffensive“ und hat mit dem Kulturhauptstadtgedanken ebensowenig zu tun wie die künstlerische Ausstattung seiner Halle durch Peter Kogler.

Die Errichtung einer Muruferpromenade von 840 Metern Länge hingegen ist direkt an 2003 gebunden, an die Notwendigkeit einer Anbindung der Murinsel des New Yorker Künstlers Vito Acconci. Dieses von den Verantwortlichen als Highlight gepriesene Projekt, das als schwimmende Muschel aus zwei geöffneten Schalen beschrieben wird, machte den raschen Ausbau des linken Murufers möglich. Will man dem neuen, ungewohnten Zugang zum Fluß eine Bereicherung der stadträumlichen Qualität auch nicht absprechen, so muß man doch bemerken, daß dieser Ausbau jegliche avancierte Gestaltungsabsicht vermissen läßt. Ein grob detaillierter Stiegenabgang, der sich plump vor die kleinteilige Fassadenstruktur des Kälbernen Viertels stellt, eine wenig inspirierte Wegeführung in Beton und Tausende Tonnen Flußbausteine machen noch lange keine Gestaltung aus. Vielleicht hätte man auf eines der in den letzten Jahren ausgearbeiteten Konzepte zurückgreifen sollen oder sich Laibach mit der immer noch als vorbildlich geltenden Ufergestaltung durch Josef Plecnik zum Vorbild nehmen.

Die als Leitprojekt geltende schwimmende Insel ist das einzige explizit für das nächste Jahr entstehende Bauwerk. Bau- oder Kunstwerk? Ihr Designer, der als Künstler auf der Rankingliste der Weltbesten firmiert, hat vermutlich zuerst an ein schwimmendes, zweckfreies Objekt gedacht. So viel Mut haben die, die das mit fünf Millionen Euro sündteure Projekt vor Ort forcieren, nicht. Sie glauben, es mit Zweck belegen zu müssen, und pferchen Café, Kinderspielplatz und Veranstaltungsort hinein. Die Insel bleibt über 2003 hinaus bestehen. Ob sie nachhaltigen Bestand haben wird? Sicher, jeder wird sie einmal besuchen. Stadträumlich ist ihre Lage bei genauer Betrachtung weniger attraktiv als die Schanigärten in der Fußgängerzone - vom bunten Trubel der Stadt abgetrennt, versenkt, ohne Aussicht auf die Kulisse der Altstadt und vermutlich auch die des Schloßbergs.

Der Druck, der momentan all den dem Jubeljahr untergeordneten Bauvorhaben zuteil wird, hätte eher einem Gebäude zuteil werden sollen, das sein häßliches Dasein vorerst weiterführen darf; dem Schloßbergrestaurant. Scharen von Touristen (542.000 Besucher jährlich werden allein mit den beiden Aufstiegshilfen transportiert) erklimmen täglich den Schloßberg, um den Uhrturm zu sehen. Auch die Grazer zeigen zunehmend mehr Verbundenheit mit dem Berg. Sie alle passieren einen Schandfleck der Stadt. Ein von der Stadt 1998 beauftragtes Gutachten hat aufgrund hoher Sanierungskosten des heterogenen, unfunktionellen Bestands Totalabriß und Neuerrichtung empfohlen. Nun wird dennoch eine Sanierungsvariante umgesetzt, allerdings nicht während des nächsten Jahres. Was soll's: Die Grazer sind gewöhnt daran, zu warten.

Spectrum, Sa., 2002.06.22

15. Juni 2002Karin Tschavgova
zuschnitt

Anbau Hotel Post, Bezau, Vorarlberg

»Na, hallo« staunte der langjährige Gast, als er zu Beginn der Wintersaison wiederkam und sein angestammtes Zimmer, das er zum Ende der Sommersaison verlassen...

»Na, hallo« staunte der langjährige Gast, als er zu Beginn der Wintersaison wiederkam und sein angestammtes Zimmer, das er zum Ende der Sommersaison verlassen...

»Na, hallo« staunte der langjährige Gast, als er zu Beginn der Wintersaison wiederkam und sein angestammtes Zimmer, das er zum Ende der Sommersaison verlassen hatte, nicht mehr vorfand. Dem Manne konnte geholfen werden: in der Zwischenzeit wurde am Hotel Post in Bezau ein Anbau mit 20 Betten hochgezogen. Gerade vier Wochen im Jahr schließt das Hotel seinen Betrieb und da jeder zusätzliche Sperrtag kostspielig ist, lag nach dem Erstgespräch mit dem Bauherrn die Idee auf der Hand, ein vorgefertigtes System anzuwenden, das eine derart kurze Bauzeit ermöglichte.

Zehn Raumzellen sind auf zwei Geschoße aufgeteilt. Sie liegen über einem Veranstaltungssaal mit zarter Fassadengliederung auf einem halb eingegrabenen Sockelgeschoß aus Sichtbeton. Durch den Entfall einer Primärkonstruktion konnte die Montagezeit der Boxen auf zwei Tage reduziert werden. Sie wurden komplett, doch ohne Inneneinrichtung und Fußbodenbelag (den Kirschparkettboden zu schützen, wäre aufwändiger gewesen) vorgefertigt. Ein äußerst feingliedrig ausgeführter Balkon daran - fertig! - Niemand käme auf die Idee, diesen Anbau mit Zelle oder Baracke zu assoziieren.

zuschnitt, Sa., 2002.06.15



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27. April 2002Karin Tschavgova
Spectrum

Und nirgends Spitalgeruch

Schon 1903 entstand mit dem Grazer LKH eine in architektonischer wie medizinischer Hinsicht vorbildliche Heilstätte. Seit zehn Jahren schreibt das Land Steiermark mit einem gewaltigen Investitionsschub erneut Krankenhausgeschichte. Ein Überblick.

Schon 1903 entstand mit dem Grazer LKH eine in architektonischer wie medizinischer Hinsicht vorbildliche Heilstätte. Seit zehn Jahren schreibt das Land Steiermark mit einem gewaltigen Investitionsschub erneut Krankenhausgeschichte. Ein Überblick.

Wenn die höchst renommierte englische Fachzeitschrift „The Architectural Review“ ihre aktuelle März-Ausgabe über Krankenhäuser zum überwiegenden Teil mit steirischen Beispielen bestückt - fünf von sieben -, so ist das mehr als „remarkable“ und kann nicht ausschließlich mit der Begeisterung ihres Redakteurs Peter Blundell Jones erklärt werden, der die Architektur aus Graz zu seinem Forschungsfeld gemacht hat und ihr außergewöhnliche Qualität in hoher Konzentration bescheinigt. Als langjährigem Beobachter ist ihm nicht entgangen, daß sich nach den Landtagswahlen in der Steiermark 1991 das Klima für experimentelle neue Architektur verschlechtert hat und vom einstmals politisch postulierten Willen nach Innovation, besonders für den Wohnbau, mit dem sich die Steiermark in den Jahren davor profilieren konnte, nichts mehr übrig ist.

In der medialen Landschaft der Architekturzeitschriften bildeten sich die Veränderungen direkt ab. Manches verschwand von der Bildfläche, etwa der steirische Wohnbau - mit Ausnahme des Holzgeschoßwohnbaus, der politisch forciert wurde -, der Bedarf an Universitätsneubauten war durch weitgehend im Geist der „goldenen“ Ära realisierte Altplanungen zum Ende der neunziger Jahre gestillt, und an die Stelle der öffentlichen Bauten traten vereinzelt vorbildliche Beispiele pri-vater Investorentätigkeit. Was blieb, ist wenig Glanz für öffentliche Bautätigkeit - mit Ausnahme des Krankenhausbaus.

Steirische Krankenhäuser wei- sen - europäischen Standards in der Gesundheitsfürsorge folgend - seit Jahren einen enormen Sanierungs- und Erneuerungsbedarf auf. Zu diesem Zweck wurde 1985 die KAGes (Krankenanstaltengesellschaft) als privatrechtlich organisierte Gesellschaft aus der Landesverwaltung ausgegliedert. Zu 100 Prozent im Besitz des Landes, hat dieser größte Arbeitgeber der Steiermark, dem 20 Landeskrankenhäuser obliegen, mehr als den bemerkenswerten Leitspruch „Qualität macht sicher - sichern wir Qualität“ aufzuweisen. In einer beispielhaften Initiative wurden Ende der acht-ziger Jahre für das gewaltige Investitionsprogramm Rahmen-bedingungen geschaffen, die me- dizinische und architektonische Qualität möglich machen sollten. So führt die KAGes unter ihrem technischen Vorstands-direktor Berndt Martetschläger bis heute für alle Bauvorhaben Architektenwettbewerbe durch und macht damit deutlich, daß nicht allein Ausstattung, Funk-tionsoptimierung und qualifiziertes Personal, sondern auch qualitativ hochstehende Architektur Garant eines langfristigen medizinischen und wirtschaftlichen Erfolgs ist.

Architekten ohne Erfahrung im Spitalsbau kam dabei zugute, daß bei Bewerbungsverfahren nur die baukünstlerische Qualifikation ausschlaggebend war, da man annahm, von Planern, die nicht in Routine erstarrt sind, auch frische Ideen zum Ablauf des Spitalsbetriebs zu erhalten. Garant für Wirtschaftlichkeit sollte ein erfahrener Generalplaner sein, der dem Architekten zur Seite gestellt wurde (und wird). Programmatische Vorgaben zur Architektur gab es nicht; doch war der zeitliche und ökonomische Spielraum von Anfang an nicht groß. Schaffte es ein Architekt, in diesem äußerst knappen Rahmen Qualitätsarchitektur entstehen zu lassen, so war diese als Teil der Qualitätsoffensive und der Imagepflege willkommen.

Seit rund zehn Jahren ist unter dieser Prämisse und einer Bauherrenschaft, die ihre Bauherrenrolle ernst nimmt und die Architekten in jeder Planungsstufe begleitet, eine Fülle bemerkenswerter Bauten entstanden. Vorreiter war das LKH Bruck an der Mur (1990 bis 1993) der Architekten Domenig und Eisenköck, das mit seiner äußerst großen, zweigeschoßigen Halle urbanen Charakter, aber nirgends „Spitalsgeruch“ erzeugt. International viel beachtet ob seiner Großzügigkeit, rangiert es für die Erhalter am unteren Rand der Wirtschaftlichkeit.

Anders der Neubau des LKH Hartberg (1997 bis 1999) von Klaus Kada. In der in jedem seiner Bauten erkennbaren Suche nach Klarheit in Form und Funktion, nach Leichtigkeit und Durchlässigkeit der Körper, nach Aufhebung von Masse und räumlichen Grenzen hat auch er eine zentrale Halle konzipiert, die mehr ist als ein Verteilerknoten am Schnittpunkt der Trakte und Funktionen. Mit imposanter Höhe erstreckt sie sich über vier Geschoße. Einer städtischen Piazza gleich ist die Halle dem Ankommenden Orientierungsort und Erschließung, dem Besucher und Patienten im gleichen Maße Warteraum wie Treffpunkt und dem stationären Patienten Abwechslung im monotonen Krankenhausalltag und Auslauf wie Ausblick in die umgebende Landschaft. Drei übereinanderliegende, über die gesamte Länge frei gespannte Brücken verbinden die einzelnen Krankenstationen. Jeder, der dieses pulsierende Herzstück des Spitals betritt, scheint es als großstädtisches Gefüge zu begreifen, das ein Gefühl von Normalität anstelle sonst üblicher Bedrücktheit setzt. Dieser vertikal zentrierte Raum entspricht nach Auskunft der Spitalserhalter durchaus den Anforderungen an Wirtschaftlichkeit. Das LKH Hartberg verkörpert am stärksten den Typus des Krankenhauses als Hotel.

Für die Erneuerung der Grazer Universitätskliniken und Krankenhäuser, die zu je 50 Prozent vom Land und vom Bund finanziert werden, wurde 1995 vertraglich eine Investitionssumme von 9,45 Milliarden Schilling (fast 687 Millionen Euro) für Bauten und Ausstattung festgelegt. In diesem Rahmen entstanden bis dato auf dem weitläufigen Areal der Universitätskliniken Bauten der Architekten Helmut Croce und Ingo Klug, Funktionsbauten von Manfred Zernig und Irmfried Windbichler und die HNO-Klinik.

Deren Architekt, Ernst Giselbrecht, plaziert einen neuen Funktionstrakt mit allem, was die technische Infrastruktur darstellt, an die Rückseite des symmetrisch angeordneten alten Pavillons, dessen Unterschutzstellung keine größeren Eingriffe erlaubte. Giselbrechts Architektur für die neue HNO-Klinik, die in ihrer Kombination aus neuester Medizintechnik, EDV und Gestaltungswillen schon jetzt unter Fachleuten ein extrem gutes internationales Echo erfährt, entspricht am deutlichsten dem Wesen ärztlicher Organisation. Architektur und medizinische Ausstattung geben sich im gleichen Maße technoid, beide sprechen die kühle Sprache von wissenschaftlicher Effizienz.

In ihrer Maßstäblichkeit sind die bis jetzt fertiggestellten Neubauten übersichtlich und klar strukturiert. Alle ermöglichen relativ rasche Orientierung und vermeiden in ihrem Ausdruck von Leichtigkeit in Struktur und Konstruktion jeden Maschinencharakter, Sterilität und Gigantonomie. Wie das größte Bauvorhaben im Rahmen der „LKH 2000 Initiative“, das LKH West der Arge Domenig, Eisenköck, Gruber als Erweiterung des vormaligen Unfallkrankenhauses in Graz-Eggenberg, gelungen sein wird, läßt sich vielleicht erst nach seiner vollständigen Inbetriebnahme beurteilen.

Sparprogramme haben auch vor der umfangreichen Qualitätsoffensive der KAGes nicht haltgemacht. Während einige Bauvorhaben wie der Umbau des LKH Fürstenfeld in Etappen wie bisher realisiert werden, mußte der Projektanfang anderer verschoben werden. Ob aus den aktuellen Zwängen ein Qualitätsverlust abzusehen ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Durchaus glaubhaften Beteuerungen von seiten der Auslober stehen erste Anzeichen von Veränderungen gegenüber. So wurden für den aktuellen Wettbewerb für den Gesundheitspark Bad Aussee, ein Kooperationsprojekt von privaten Betreibern und der KAGes, im Bewerbungsverfahren erstmals Referenzen im Krankenhausbau gefordert.

Auch scheint die Kooperation zwischen Architekt und General- planer - der immer seltener der Best- und immer öfter der Billigstbieter zu sein scheint - nicht immer friktionsfrei abzulaufen, und es stellt sich die Frage, ob solche Modelle zwangsweisen Miteinanders Lösungen zustande bringen können, die alle zufriedenstellen. Gerade im innovativen konstruktiven Bereich, wo sich über kluge Wahl der Tragkonstruktion ein großes Einsparungspotential auftut, wä- re das freie Votum für den Statiker, dem der Architekt durch gute Zusammenarbeit verbunden ist, von Vorteil.

Es ist schwer vorstellbar, daß der Druck von seiten der Politik, der auch vor dem Krankenhausbau nicht haltmacht, sich nicht diskontinuierlich auf die Qualität der künftigen Bauvorhaben auswirken wird. Es bleibt zu hoffen, daß Peter Blundell Jones, der glühende Fürsprecher steirischer Architektur und steirischer Architekten, auch künftig recht behält, wenn er sagt, daß die Grazer Bauten zeigen, daß die Architektur eines Krankenhauses nicht durch technische und bürokratische Anforderungen ausgelöscht werden muß und daß die Grazer Beispiele außerdem beweisen, daß auch große Einrichtungen klar und übersichtlich geplant sein können.

Spectrum, Sa., 2002.04.27

15. März 2002Karin Tschavgova
zuschnitt

Frisch, leicht und bekömmlich

Den Heurigen der Familie Lackner findet man in Klein Enzersdorf. Der Altbau wurde von den Architekten Reinhard Haslwanter und Peter Fellner erweitert und zum Innenhof hin geöffnet. Der Schankraum wird außen von einer Terrasse auf dem selben Niveau begleitet, räumlich von einer großzügigen Glasfassade getrennt. Im Sommer lassen sich die 14 raumhohen Schiebelemente öffnen. Die Glaswand ist selbsttragend, innen sind Holzstützen davorgestellt.

Geplant wurde in Holz. Die Tragkonstruktion ist in schichtverleimten Lärchenholz ausgeführt und wurde in der Werkstätte vorgefertigt, um die Bauzeit zu verkürzen. Im massiven Unterbau in Sichtbeton sind die Toiletten, der Keller und der Kühlraum. Im Westen begrenzt eine 30 Meter lange Wand aus Abbruchziegeln das Grundstück.

Den Heurigen der Familie Lackner findet man in Klein Enzersdorf. Der Altbau wurde von den Architekten Reinhard Haslwanter und Peter Fellner erweitert und zum Innenhof hin geöffnet. Der Schankraum wird außen von einer Terrasse auf dem selben Niveau begleitet, räumlich von einer großzügigen Glasfassade getrennt. Im Sommer lassen sich die 14 raumhohen Schiebelemente öffnen. Die Glaswand ist selbsttragend, innen sind Holzstützen davorgestellt.

Geplant wurde in Holz. Die Tragkonstruktion ist in schichtverleimten Lärchenholz ausgeführt und wurde in der Werkstätte vorgefertigt, um die Bauzeit zu verkürzen. Im massiven Unterbau in Sichtbeton sind die Toiletten, der Keller und der Kühlraum. Im Westen begrenzt eine 30 Meter lange Wand aus Abbruchziegeln das Grundstück.

Auch wenn der Heurige salonfähig geworden ist - eine Ausweitung solcher Refugien österreichischer Gemütlichkeit ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: In Klein-Engersdorf nahe Wien etwa gab es vor wenigen Jahren noch fünfzehn Betriebe. Übriggeblieben sind zwei, die sich in den Öffnungszeiten abwechseln. Einer davon ist der Heurige Lackner, ein angestammter Familienbetrieb, in dem man nach etlichen hauseigenen Aus- und Umbaustufen an Grenzen gestoßen war, die nach einer kompetenten Planung verlangten. Reinhard Haslwanter wurde konsultiert, ursprünglich nur, um die bestehende Schank zu vergrößern und zusätzliche Toiletten zu installieren.

Schon bei der Erstbegehung konnte der Architekt die Bauherrn davon überzeugen, dass ihr Bestreben nach Qualitätssteigerung im kulinarischen Angebot auch eine Verbesserung der räumlichen Situation nahelegt, die ein weiterer Teileingriff nicht gebracht hätte. Haslwanter erspähte hinter einer hofabschließenden Mauer den rund eineinhalb Geschoße höhergelegenen Weingarten, der an das von der Straße weg ansteigende Grundstück anschließt - und hatte die Grundidee: Ergänzung in Hakenform und die Öffnung und Höhenabstufung des Innenhofes.

Niveaugleich mit den Terrassen, sie begleitend, sollte die Erweiterung der Gasträume mit neuer, zentraler Schank entstehen und großzügige Verglasung den fließenden Übergang von außen nach innen herstellen - eher einem gedeckten Unterstand gleich und jedenfalls anders als der schlauchartige Anbau mit kleinen Fenstern, der ersetzt werden sollte. Eine Rückzugsmöglichkeit für Schlechtwetter - leicht, luftig und hell - ergänzt durch den Komfort einer Zentralheizung, die den Winterbetrieb möglich macht. Der Gastbetrieb, sechsmal im Jahr je drei Wochen, sollte aufrecht erhalten bleiben. Was lag näher, als die Erweiterung in Holz zu planen, vorgefertigt in der Werkstätte, mit kurzer Montagezeit. Mit dem massiven Unterbau in Sichtbeton, dessen Oberfläche gestockt wurde, arbeitete man sich an den Bestand heran. Er enthält, von überall gut zugänglich, die neuen Toiletten, einen Verkostkeller mit schönem Gewölbe, den Weinlagerkeller und einen Kühlraum. Das Rückgrat der darüber errichteten Tragkonstruktion ist eine raumprägende, 30 m lange Wand an der westlichen Grundgrenze. Sie ist aus kleinformatigen Abbruchziegeln gemauert - unverputzt - und löst sich in ein verglastes Oberlichtband auf, das noch die letzte Abendsonne in den Gastraum holt. Pur und lebendig harmoniert sie in Materialität und Farbe mit der Tragkonstruktion in schichtverleimtem Lärchenholz, den Rippenelementen der vorgefertigten Zwischendecke und den Sandwichelementen des Daches, mit den unbehandelten Schiffböden in Lärche (die der Bauherr nachbehandeln wird) und den runden Holzstützen vor der selbsttragenden verglasten Gartenfront, die durch das weit überstehende Dach geschützt wird. Mit 14 geschoßhohen Schiebeelementen stößt sie an die Grenzen statischer und glastechnologischer Möglichkeiten und verlangte in der Planung und Errichtung äußerste Präzision.

Das Ergebnis lässt sich sehen. Es bietet bei einem Glas guten Weins mehr als Einblick in die österreichische Seele. Es gibt den Blick frei: auf Grün, auf Weinberge, auf das Rot des Abendhimmels, aber auch auf eine rosige Zukunft für Gastlichkeit - in Holz, ganz ohne falsche Zier.

zuschnitt, Fr., 2002.03.15



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zuschnitt 05 Holz zu Gast

02. März 2002Karin Tschavgova
Spectrum

Architektur und Autonomie

„Austrian housing project“: Unter diesem Titel baute Johannes Fiedler 300 Wohnungen für Beamte der palästinensischen Autonomiebehörde in der Westbank und im Gazastreifen - Österreichs materieller Beitrag zur Förderung des Friedensprozesses.

„Austrian housing project“: Unter diesem Titel baute Johannes Fiedler 300 Wohnungen für Beamte der palästinensischen Autonomiebehörde in der Westbank und im Gazastreifen - Österreichs materieller Beitrag zur Förderung des Friedensprozesses.

Wohnen gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Nach Katastrophen, zu deren schlimmsten zweifelsohne Kriege zählen, ist daher die Schaffung von Wohnraum eine der vordringlichsten Maßnahmen. Es zählt zur moralischen Verpflichtung jener Staaten, die vom Krieg verschont bleiben, Friedenshilfe in Form von materieller Unterstützung für den Wiederaufbau von Wohnraum zu leisten.

In Wien erinnert die Per-Albin-Hansson Siedlung West an diese gute Tradition. Mehr als 1000 Wohnungen wurden von 1947 bis 1951 nicht nur mit der Schwedenhilfe errichtet und als Dank nach dem damaligen schwedischen Ministerpräsidenten benannt, sie orientierten sich auch an schwedischen Konzepten.

Nach dem Osloer Friedensabkommen von 1993 hat die österreichische Bundesregierung - wie zahlreiche andere westliche Organisationen und Staaten - sich verpflichtet, den arabisch-israelischen Friedensprozeß und die Etablierung einer autonomen palästinensischen Verwaltung materiell zu unterstützen. 100 Millionen Schilling (7,27 Millionen Euro) wurden für die Errichtung von angemessenen Wohnungen für Verwaltungsbeamte, die Arafat aus dem Exil zurückholte, bereitgestellt.

Mit dieser Summe konnten an zwei Orten insgesamt 300 Wohnungen zu einem Quadratmeterpreis von 233 Euro (3206 Schilling) gebaut werden, was maximal einem Fünftel der Baukosten hierzulande entspricht. Die als Anzahlung für die Eigentumswohnungen geleisteten Gelder reichten für vierzig weitere Wohnungen.

Die Wahl der Bauplätze für das Vorhaben - ein Erweiterungsgebiet westlich der Stadt Khan Younis im Gazastreifen und eine Parzelle dicht an der Zonengrenze in der Westbank - wurde von den Palästinensern mit politischem Kalkül getroffen. Grenzbereiche der im Rahmen der Oslo-Verträge von den Israelis rückerstatteten Flächen möchte man so rasch wie möglich bebauen, um eine weitere Expansion jüdischer Siedlungen, die heute das schmale Küstenland zwischen Gaza und Khan Younis in zwei Teile zerschneiden, zu verhindern.

Die Zahl der benötigten Wohnungen wird vom palästinensischen Wohnbauministerium mit 200.000 angegeben, allein im Flüchtlingslager Shaty leben immer noch 70.000 Menschen dicht gedrängt in behelfsmäßigen Unterkünften.

Die Ausrichtung des sozialen Wohnbaus zielt, ähnlich dem Nachkriegswohnbau in Österreich, vorerst lediglich darauf ab, die ärgste Wohnungsnot auf schnelle und rationelle Weise zu lindern. Die meisten realisierten Bauten, auch jene, die mit europäischer und amerikanischer Unterstützung entstanden, verwenden trotz äußerster Bauökonomie orientalische Bogenformen als Zierat, was unserem Auge wie jede ohne Zusammenhang verwendete Applikation sinnentleert und hohl, dem palästinensischen Wohnungswerber jedoch prestigeverheißend scheint.

Der österreichische Wohnbau in Khan Younis wurde wie jener in Nablus vom Grazer Architekten Johannes Fiedler geplant und begleitend kontrolliert. Der Architekt war 1983 bei einem Hilfsprojekt im Lager Schatila im Libanon erstmals mit dem Schicksal palästinensischer Flüchtlinge konfrontiert. In Khan Younis, wo nach eng umrissenen Vorgaben der palästinensischen Wohnbaubehörde geplant werden mußte, gelang es ihm - vielleicht aufgrund jahrelanger Erfahrung in internationalen Beratungsprojekten und dem dabei erworbenem Sensorium -, den minimalen Spielraum zwischen vorgegebener Gebäude- und Wohnungstypologie maximal zu nützen.

Als entscheidende Maßnahme ersetzte er die vorgesehene, allzusehr nach innen gerichtete, abschottende Blockrandbebauung durch eine offene Struktur von vierseitig orientierten Blöcken, einer Bebauungsform, die nicht nur an allen Rändern erweiterbar ist, sondern die auch der traditionellen arabischen Bebauung des dichten flächigen Siedlungsteppichs nahekommt.

Zehn Blöcke sind so gestellt, daß deren vier jeweils einen geschützten Innenhof ergeben. Tagsüber von den Kindern als Spielplatz erobert, wird er abends zum Versammlungsort, um gemeinsam fernzusehen. An den Rändern wird jeder der Plätze durchkreuzt von schmalen Gassenachsen, die in kleinere, zum Siedlungsrand hin offene, halbprivate Plätze münden. Laufen diese durchlässigen Bereiche derzeit auch noch aus in staubig ödes Dünenland, das nur vereinzelt von elen-den grauen Hausagglomerationen besetzt wird, so war bei der Planung schon abzusehen, daß das gesamte Gebiet in wenigen Jahren urbanisiert sein wird, bebaut von wohlhabenden Exilpalästinensern, die ihren gesamten Familienclan versorgen, und auch von jenen Spekulanten, die in der Goldgräberstimmung nach dem Oslo-Abkommen unübersehbar auftraten. Die in den außenliegenden Erdgeschoßzonen vorgesehenen Läden hätten dann zur Belebung und Normalisierung der Wohnsituation beitragen.

Wenn . . . ja, wenn die Spirale der Gewalt - israelische Repression, palästinensische Attentate, israelische Bombardements - nicht den Frieden in weite Ferne rücken ließe. Das „Austrian housing project“ wurde von den Israelis im Mai 2001 beschossen, was dazu führte, daß die Wohnungen an der „Frontlinie“ evakuiert werden mußten und die Bewohner die oberen der fünf Geschoße meiden.

Als Anregung für scheinbar nur rudimentär vorhandene städtebauliche Konzepte eignet sich das „Austrian housing project“ allemal. In seiner einfachen, fast spartanisch anmutenden Bauweise kann es nicht als Prestigeprojekt dienen und reguliert damit die Zielgruppe - die „kleineren“ Angehörigen der Autonomiebehörde - mit architektonischen Mitteln.

Die Wohnungen, für die günstige Kredite vergeben wurden, sind auf maximal vier Räume mit knapp 100 Quadratmetern beschränkt. Je vier werden auf einer Etage erschlossen.

Ihre Grundrisse entsprechen durchaus europäischen Standards. Sie verdeutlichen den Modernisierungsschub in der
islamischen Gesellschaft, denn sie spiegeln die Bedürfnisse junger muslimischer Kleinfamilien wider, die der traditionellen Hofhausform der Großfamilie mit ihrem steten Mangel an Privatheit und dem Verbannen der Frauen in die hinteren Räume nichts mehr abgewinnen können.

Kleine Abweichungen fallen dennoch auf. So fehlt den Wohnungen der Vorraum, der Gast tritt unmittelbar in den Wohn-/ Empfangsraum ein, von dem aus auch die Toilette zugänglich ist. Ungewohnt für westliche Vorstellungen, wird diese Anordnung jedoch verständlich, wenn man die spezifische Bedeutung von Privatheit im islamischen Alltag bedenkt. Dem Gast sind die „inneren“ Bereiche der Wohnung verwehrt.

Der für diese Klimazone unumgängliche Sonnenschutz wird einerseits durch ein Rückspringen der Verglasungsebene hinter die Fassade erzeugt und andererseits durch ein Gitterwerk, das die Fassade mit den Schlafräumen ganzflächig überzieht.

Solche „muxarabis“ aus Holz oder Ziegeln sind genuine Elemente des Orients, doch man trifft auf sie auch in den Planungen Le Corbusiers und anderer Architekten der Moderne. Fiedler widmet sich seit langem der Erforschung der Auswirkungen von Globalisierung auf die Stadtentwicklung und zeigt Zusammenhänge zwischen Urbanität und Sicherheit auf.

Am Beispiel von Gaza wird seine Theorie, daß Verdichtung immer durch eine Form der Beschränkung - Bedrohung, Mangel an Ressourcen oder durch Verordnung - entsteht, deutlich. Die Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern wird als ein großes Gefängnis beschrieben, von den Israelis hermetisch abgeriegelt.

Ein wenig mehr an städtebaulichen Visionen würde man der palästinensischen Autonomiebehörde für die Besiedlung ihrer ohnehin sehr beschränkten Territorien wünschen. Aber vielleicht ist dieser Gedanke, geprägt von intellektueller westlicher Saturiertheit, obszön angesichts einer Art permanenten Kriegszustands. Und vielleicht bedeuteten Ratschläge von außen eine Form von Kolonisation und wären daher zynisch angesichts der jahrzehntelangen Geschichte von Vertreibung und Besetzung des Landes.

Außerdem gilt noch immer der Brechtsche Satz aus der „Dreigroschenoper“: „Zuerst kommt das Fressen und dann kommt die Moral.“ Sinngemäß ließe er sich abwandeln und auf die aktuelle palästinensische Wohnbautätigkeit übertragen: Zuerst braucht der Mensch ein Dach über dem Kopf, dann erst kann er sich den Luxus von Wohnbauforschung leisten.

Unter den Folgen des Krieges werden die Menschen in diesem Land, Erwachsene wie Kinder, noch lange leiden. Experimenteller Wohnbau hat keine Priorität, ist derzeit weder Thema noch Sehnsucht.

Spectrum, Sa., 2002.03.02

12. Januar 2002Karin Tschavgova
Spectrum

Raus aus der Lederhose!

Verkleidung, Fassadenverzierung, Meterware für Balkongeländer: Holz im Dienste der Alpinfolklore.

Verkleidung, Fassadenverzierung, Meterware für Balkongeländer: Holz im Dienste der Alpinfolklore.

Dabei ist Holz ein leistungsstarker Werkstoff, der kostengünstiges und rasches Bauen ermöglicht. Beispiel: das Hotel Post von Johannes und Oskar Leo Kaufmann in Bezau, Vorarlberg. Das sich rasant wandelnde Image des alpinen Wintertourismus hat dazu geführt, daß folkloristische Darbietungen sogar bei den Tourismusbetreibern zunehmend unerwünscht sind. Einblick in die bäuerliche Lebenswelt gewährt das Bauernmuseum. Es ist eine retrospektive Sicht, denn der tiefgreifende Strukturwandel der Landwirtschaft hat im letzten Jahrzehnt zu einem Rückgang der in der Landwirtschaft Tätigen auf unter fünf Prozent geführt.

Nicht zuletzt mit dem Bauernsterben gingen und gehen regionale Identitäten verloren, und so klingt es nur folgerichtig - wenn auch zynisch -, daß heute mit „Erlebniswelten“, „Funsportcity“ und Open-air-Konzerten geworben wird. Man will „im Trend liegen“, und der Trend gibt - naturgemäß? - eine Urbanisierung touristischer Begehrlichkeiten vor.

Diese beschränkt sich allerdings auf „coole Events“, am Lederhosenimage des alpinen Baustils kratzt sie kaum. Dabei ist Erneuerung dort, wo Authentizität längst nicht mehr gegeben ist, höchst an der Zeit.

Holz, im Alpintourismus bedeutungsgleich mit Heimeligkeit, tritt vorwiegend als Applikation auf. Als Verkleidung von Betonsäulen und Fertigdecken, als sinnentleerte Fassaden-verzierung oder als formal überbordende Meterware für Balkongeländer. Handwerkliche Qualitäten wie das Wissen um Maßstäblichkeit und um materialgerechte Verarbeitung sind in einer so schablonenhaften, rein dekorativen Anwendung von Holz kaum mehr zu finden.

Und doch ist Holz in seiner viel-gesichtigen Materialität in der Lage, Wirkung zu erzeugen mit Schlichtheit; die Wärme, die es a priori in sich trägt, gibt genug her. Noch mehr: In Kombination mit harten Materialien wie Sichtbeton oder Stein kann es aus dem Kontrast heraus seine sinnlichen Qualitäten ganz vorzüglich ausspielen. Jene Beispiele alpinen Bauens, die im Ringen um Erneuerung in den letzten Jahren entstanden sind, geben ein selbst-redendes Bild davon. Man findet sie vermehrt von Tirol bis in den Bregenzerwald, ihre Architekten wenden Holz und Holzwerkstoffe in zeitgemäßer Form an, die dem Material eine neue Anmutung gibt und es weit über plakative Gemütlichkeit hinaushebt.

Jenseits atmosphärischer Gründe gibt es handfeste Motive für die Verwendung von Holz im alpinen Tourismus. Leistungsstarke Holzwerkstoffe wie Mehrschichtplatten, neue Technologien und Herstellungsarten ermöglichen einen hohen Grad an Vorfertigung. Die Vorteile der Fabrikation ganzer Wandelemente und Raumzellen in der Werkstatt liegen auf der Hand:

In der witterungsunabhängigen Halle kann unter optimalen Bedingungen mit Unterstützung computergesteuerter Maschinen schnell und präzise gearbeitet werden. Die Montage, der „Rohbau“ bis zum schützenden Dach, erfolgt in wenigen Tagen. Hotelerweiterungen lassen sich in der Ruhezeit zwischen den Saisonen bewerkstelligen, Neubauten in der meist kurzen Schönwetterperiode hochalpiner Regionen.

Das Hotel Post im Vorarlberger Bezau zeigt dies anschaulich. Einem Haus aus den siebziger Jahren wurde von Johannes und Oskar Leo Kaufmann ein Zubau für 20 Betten und einen Seminarraum zur Seite gestellt. Die Vorgabe einer extrem kurzen Bauzeit von vier Wochen führte zur Vorfertigung ganzer Zimmereinheiten - Boxen aus Holz-stehern, die gedämmt und beidseitig beplankt wurden. Sie sind selbsttragend ausgesteift und wurden ohne Primärkonstruktion aufeinander gestapelt. Als Installationsebene dienten die Hohlräume zwischen den Boxen.

Innerhalb von zwei (!) Tagen waren Boxen und Dach montiert und bereit für die Komplettierung, die sich auf den Einbau von Möbeln, die wie die Böden alle aus Holz sind, und auf Badverglasungen beschränkte. Die Kosten der 500 Quadratmeter Nutzfläche sind mit 1450 Euro (20.000 Schilling) je Quadratmeter als äußerst günstig einzustufen. Nach ökonomischen Kriterien ist hier ein luftiger Bau entstanden, der auf konsequente Weise die Forderung nach Licht, Sonne und Aussicht umsetzt.

Extremer in den Bedingungen für die Errichtung und mit höheren Ansprüchen auf Wetterfestigkeit, eignet sich vorgefertigter Holzbau etwa für Schutzhütten im schwer zugänglichen hochalpinen Raum. Dort, wo es keine Zufahrtsmöglichkeiten gibt, wo schlechte Fundierungsmöglichkeit zu Leichtbau und kurze Schönwetterperioden zu rascher Montage zwingen, kann der große logistische Planungsaufwand und der Zwang äußerster Ökonomie, der der Präfabrikation immanent ist, zu hoher Reife führen.

In dieser Baukategorie gibt es Erneuerungsbedarf, aber noch wenige gebaute Vorbilder. Konsequenter als der Neubau der Stüdlhütte des Deutschen Alpenvereins an der Südflanke der Glocknergruppe (siehe „Spectrum“ vom 18. Oktober 1997) zeigt die Berghütte auf dem 2700 Meter hohen Plateau de Saleinaz im Schweizer Wallis jene architektonische Haltung, die solch exponierten Lagen adäquat ist. Die mittels Helikopter aus vorgefertigten Elementen montierte Hütte für 50 Alpinisten behauptet ihre Schönheit und klare Präsenz mit ausgewogener Proportion und Schlichtheit.

Wo der Mensch sich als winziges Teilchen in der Schroffheit der Bergwelt erkennen muß, auf sich selbst zurückgeworfen, ist es angebracht, spartanisch zu sein. Wie heißt es schon bei Adolf Loos in den „Regeln für den, der in den Bergen baut“ (1913): „Baue nicht malerisch. Überlasse solche wirkung den mauern, den bergen und der sonne. Der mensch, der sich malerisch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein hanswurst. Der bauer kleidet sich nicht malerisch. Aber er ist es.“

Spectrum, Sa., 2002.01.12

15. Dezember 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Wohnanlage Spitzweg, Graz, Steiermark

Der Wohnbau Spitzweg wurde 1993 errichtet. Nachdem sich der Auslober, eine Wohnbaugenossenschaft zurückzog, übernahm die Vereinigung der Wohnungseigentümer...

Der Wohnbau Spitzweg wurde 1993 errichtet. Nachdem sich der Auslober, eine Wohnbaugenossenschaft zurückzog, übernahm die Vereinigung der Wohnungseigentümer...

Der Wohnbau Spitzweg wurde 1993 errichtet. Nachdem sich der Auslober, eine Wohnbaugenossenschaft zurückzog, übernahm die Vereinigung der Wohnungseigentümer die Realisierung. Zwei unterschiedlich lange Riegel stehen keilförmig zueinander und bieten durch ihre geringe Tiefe eine größtmögliche Belichtung der Innenräume. Die Erschließung der 49 Wohnungen erfolgt über außenliegende Treppenaufgänge, die mit Flugdächern geschützt sind. Auf dem Flachdach befindet sich eine Terrasse, die für alle Bewohner zugänglich ist. Der Bau wurde in Mischbauweise errichtet - ein Betonscheibenbau mit Leichtbaufassaden. Für die Südseite der Fassade hat Volker Giencke weiß gestrichene Holzschalungen und emailliertes Glas gewählt, die Nordseite wurde mit Schiffssperrholz verkleidet. Diese Paneelplatten aus Okumee sind mit einem pigmentierten Mehrfachanstrich versehen und mit der Unterkonstruktion verschraubt. Edle Oberflächen in Holz - auch im Alter.

zuschnitt, Sa., 2001.12.15



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Wohnbau Carl-Spitzweg-Gasse

15. Dezember 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Doppelt hält besser

Zwei keilförmig zueinander gestellte Baukörper in Betonscheibenkonstruktion mit geringer Gebäudetiefe sind mit Holzriegelwänden und vorgehängten Fassaden aus Glas im Süden und Sperrholzplatten im Norden ausgefacht.

Zwei keilförmig zueinander gestellte Baukörper in Betonscheibenkonstruktion mit geringer Gebäudetiefe sind mit Holzriegelwänden und vorgehängten Fassaden aus Glas im Süden und Sperrholzplatten im Norden ausgefacht.

Am Anfang stand ein Wettbewerb zum Thema »Kostengünstiges Bauen«, für den Giencke&Co eine Lösung anbieten, die - logisch abgeleitet aus der architektonischen Prägung von Volker Giencke und seinen Vorbildern Le Corbusier und Jean Prouvèe - industriell vorgefertigte Elemente in Mischbauweise vorsieht. Nun weiß jeder, der den »natürlichen« Verlauf der Realisierung eines Wohnbaus in der Steiermark kennt, mit welchen erheblichen Reibungsverlusten aus den besten Entwürfen oft konventionelle 08/15 Bauten werden. Nicht so mit Giencke! Der setzte, nach dem Ausstieg der Wohnbaugenossenschaft, mit Beharrlichkeit und Ausdauer die Leichtbaufassaden durch.

An der »warmen« Südseite wird an zurückspringenden, geschützten Fassadenteilen weiß gestrichene Holzschalung verwendet, an exponierten Bauteilen weiß emailliertes Glas und auf der im Norden gelegenen »kalten« Erschließungsseite eine Verkleidung aus hochwertigem Schiffssperrholz. Diese Multipaneelplatten in Okumee, einem laut Zertifikat gezüchteten Tropenholz der niederländischen Firma Bruynzeel, wurden schon im Werk nach Plan geschnitten, mit pigmentiertem Mehrfachanstrich versehen - an den Kanten, die offen blieben, mit einer zusätzlichen Schicht - und auf der Baustelle nur mehr verschraubt. Für die Platten gab es eine zehnjährige Garantie, für den Anstrich nur fünf Jahre. Was für die Behörde, die Wohnbauförderungsstelle des Landes nur nach langen Verhandlungen akzeptabel war, erweist sich nicht nur als elegant und formschön, sondern nach nunmehr acht Jahren auch als äußerst dauerhaft. Veränderungen an der Oberfläche der Fassade sind bis auf ein leichtes Nachdunkeln kaum wahrnehmbar, was auch daran liegen mag, dass sie nur in geringem Ausmaß direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Die Oberfläche ist jedenfalls noch völlig intakt und zeigt sich edel wie ein Möbelstück.

Giencke wusste sie freilich richtig zu schützen: weit überstehende Flugdächer aus Stahl. Glas geben ein Beispiel richtig angewandten baulich-konstruktiven Holzschutzes - und sind zudem wesentliche gestaltgebende Elemente.

zuschnitt, Sa., 2001.12.15



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zuschnitt 04 Holzaltern

15. Dezember 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Einfamilienhaus Johannhöhe, Graz, Steiermark



Ein knappes Grundstück in extremer Hanglage - schwierigste topografische Situation, aber gute Orientierung nach Süden und Westen und ein Blick über...



Ein knappes Grundstück in extremer Hanglage - schwierigste topografische Situation, aber gute Orientierung nach Süden und Westen und ein Blick über...



Ein knappes Grundstück in extremer Hanglage - schwierigste topografische Situation, aber gute Orientierung nach Süden und Westen und ein Blick über die Stadt - bildete den Ausgangspunkt für einen Entwurf, der sich selbstbewusst der baulichen Herausforderung stellt. Das Bedürfnis der Familie nach offenem, großzügigen Wohnen fasst der Architekt in einer klaren geometrischen Form, dem Kubus, den er durch Einschnitte gliedert und zoniert.

Das schafft offene, aber auch intime Freiräume - geschützte, loggienartige unter Dach, ein einladendes Vorplätzchen und himmelwärts offene Einschnitte auf der Schlafebene. Der Wohnbereich ist großflächig verglast und wird schwellenlos in den Außenraum erweitert, während in einer Gegenbewegung der Hang im Raum nachzuspüren ist. Im Stiegenlauf zwischen Erd- und Obergeschoß, der der Falllinie folgt, wird der Hang in Ausblick und Steilheit im Gehen erlebbar. Die funktionelle Unterscheidung zwischen Wohn- und Schlafteil zeichnet sich nach außen deutlich ab.

Der Transparenz des offenen Wohnens steht das kompakte Obergeschoß gegenüber, das über der raumhohen Verglasung des Wohnraums zu schweben scheint. Völlig unangestrengt drückt dieses Haus in hohem Maß räumliche, formale und funktionelle Qualitäten aus, die durch die Wärme des allgegenwärtigen Holzes noch unterstrichen werden.

zuschnitt, Sa., 2001.12.15



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Haus Johannhöhe



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zuschnitt 06 vor fertig los!

08. Dezember 2001Karin Tschavgova
Spectrum

Mit der 108. Arbeit im Gepäck

Kaum ein Werk ist in unserer Umwelt derart manifest wie das des Architekten. Die öffentliche Wertschätzung des Berufs ist hingegen gering. Gewürdigt werden Architekten frühestens im Greisenalter. Es sei denn, sie sterben jung - wie Herwig Illmaier. Eine Erinnerung.

Kaum ein Werk ist in unserer Umwelt derart manifest wie das des Architekten. Die öffentliche Wertschätzung des Berufs ist hingegen gering. Gewürdigt werden Architekten frühestens im Greisenalter. Es sei denn, sie sterben jung - wie Herwig Illmaier. Eine Erinnerung.

Als der in Graz tätige Herwig Illmaier im August dieses Jahres auf einer griechischen Insel beim Versuch, einen Ertrinkenden zu retten, ums Leben kam, war er ein durchaus erfolgreicher, im steirischen Raum bekannter und in Fachkreisen geschätzter Architekt. Ein längerer Bericht im Lokalteil des regionalen Kleinformats, der eher auf die tragischen Umstände seines Todes zurückzuführen ist; eine kurze Notiz in der überregionalen Presse mit der Erinnerung an sein bekanntestes Werk, eine Fußgängerbrücke über die Mur; berührende Würdigungen von Kollegen und die vage Ankündigung einer Ausstellung seiner Arbeiten - das war's.

Warum auch mehr? Herwig Illmaier lebte bis zuletzt ein ziemlich normales Architektenleben - das eines talentierten „Jungarchitekten“, als der man hierzulande noch mit ergrautem Haupt gilt, weil bedeutende Bauaufgaben und Bekanntheit sich in der Regel später als in jedem anderen Beruf einstellen.

Seine Begabung konnte er, der im Treibhausklima der Zeichensäle an der Technischen Universität in Graz geschult worden war, in der bekannt architekturfreundlichen Steiermark an der Wende zu den neunziger Jahren produktiv nützen. Die erste größere Realisierung, der Umbau und die Erweiterung der Volksschule St. Michael bei Leoben (1993 bis 1995), ist eine auf den ersten Blick sperrige, brüske Arbeit, minimalistisch und eigenständig, die sich doch bei genauer Betrachtung als sensible paßgenaue Ergänzung erweist.

In diesem Entwurf zeichnet sich deutlich der Ausspruch des großen Architekten Louis Sullivan ab: „Man sollte einmal zehn Jahre auf Ornament verzichten und sich nur mit Form auseinandersetzen.“ Illmaier machte ihn zu seinem Leitspruch und reflektierte damit auch die Architektur der Grazer Schule, die die Erfolgsstory seiner Vorväter und damit Teil seiner Geschichte war. Für den Zubau zur Schule wurde er 1996 mit dem Steirischen Landespreis für Architektur honoriert. Damals war er 39 Jahre - alt oder jung? Jung an Jahren für eine Ehrung, wenn auch sein ?uvre bereits auf die stolze Zahl von 63 angewachsen war - Projekte wohlgemerkt, realisierte und nicht realisierte Arbeiten. Bis zu seinem Tod wurden es 107, die Unterlagen für die 108. Arbeit fanden sich im Koffer für den Urlaub.

In trockenen Zahlen bedeutet das mehr als 100 verschieden große Projekte in rund 15 Jahren, davon die Mehrzahl in den zehn Jahren selbständiger Tätigkeit. Was davor lag, in der damals noch fünfjährigen Praxiszeit bis zur Ziviltechnikerprüfung und Erlangung einer Arbeitsbefugnis als Architekt, waren je ein Studenten- und Ab-solventenwettbewerb, kleinere Wohnungsumbauten und Wettbewerbsbeteiligungen unter ei- nem anderen Namen - was für Absolventen, die ungeduldig in den Startlöchern scharren, durchaus üblich ist, allerdings im rechtlosen Raum. In einem vereinten Europa, dessen Länder einen leichteren und schnelleren Berufszugang ermöglichen , scheint das Beharren der österreichischen Kammer auf drei Jahren Praxis anachronistisch.

Hinter dem Zahlenspiel steht 107mal Illmaiers intensive Auseinandersetzung mit der Planungsaufgabe, ein Eingehen auf Themen, Orte, Bauherren, Vorgaben. Dies alles in Form von Wettbewerben, Studien und Vorentwürfen, denen eine Realisierungsquote von weniger als 27 Prozent gegenübersteht. 25 Realisierungen zu 82 Ideen, die in der Schublade landen und die - zählt man nicht zu der Handvoll Architekten, die ihre „unbuilt projects“ als Zeichnungen vermarkten können - bestenfalls mit einem Vorentwurfshonorar oder als Preisgeld zu Buche schlagen. Zielstrebig und ehrgeizig, wie Herwig Illmaier war, weist seine Statistik für diesen Zeitraum mindestens 25 Wettbewerbsbeteiligungen auf.

Gedacht als faires Instrumentarium, verkamen Wettbewerbe in den letzten Jahren zu Hasardspielen. Die Verfahren sind oft schlecht vorbereitet, der Sieger kann sich ob fehlender Absichtserklärungen nicht sicher sein, daß sein Projekt umgesetzt wird, oder die Realisierung hängt in der Luft, weil Bedarf, baurechtliche Genehmigungen und Finanzierung erst danach abgeklärt werden. Nun ist ein Wettbewerb schon lange keine Fingerübung mehr, die der Architekt am Wochenende mit genialem Strich hinlegen kann. Leistungsumfang und professionelle Darstellung fordern die Kapazität eines Büros und darüber hinaus zugekaufte Fremdleistungen, in Summe mindestens 100.000 Schilling (7267 Euro) bis zu einer Viertelmillion (zirka 18.200 Euro). Es sind Investitionen mit hohem Risiko, die der Architekt zu tragen hat, neben solchen für zusätzliche Arbeitsplätze und Personal, wenn ein Entwurf unter enormem Zeitdruck umgesetzt werden muß. Dazu kommt ein hoher Vorfinanzierungsanteil, da Architekten im nachhinein honoriert werden und die Zahlungsmoral öffentlicher Bauherren immer mehr zu wünschen übrigläßt.

Herwig Illmaier konnte immerhin sechs seiner Wettbewerbe gewinnen und durfte vier davon bauen. Otto Kapfinger beschreibt ihn zu Recht als einen der besten Architekten seiner Generation in der Steiermark und charakterisiert seine Arbeiten als präzise, leicht, offen, subtil und eigenständig.

Mit den Kollegen der „dritten Generation“ von Grazer Architekten verbindet ihn, daß er keinen Wert auf eine durchgehende Architektursprache mit Erkennungsfunktion legte. An jede Aufgabe ging er mit der Neugier und Lust von Kindern heran, sah sie als neue Herausforderung. Wie die Tragkonstruktion des Augartenstegs, den er mit einer Spannweite von 74 Metern als Le ichtbauwerk bewältigen wollte. In seinem Entwurf wird eine Stahl-Holz-Konstruktion aufs möglichste minimiert, ohne in der Form minimalistisch zu sein.

Die Fußgängerbrücke zählt neben der Schule in St. Michael, der noch nicht abgeschlossenen Generalsanierung des LKH Fürstenfeld und dem Umbau des Andritzer Hauptplatzes zu den großen Bauaufgaben des Büros. Mehrheitlich waren die 25 Realisierungen Kleinstaufträge, denen sich der Architekt mit gleicher Intensität widmete. Für einen Unternehmensberater mag derartiger Zeit- und Kraftaufwand unangemessen sein, für Herwig Illmaier, der der Suche nach der Form absolute Priorität einräumte, war er Teil seines Berufsethos.

Was bleibt? Ein Schuldenberg, der den Erbverwalter der unversorgten Kinder vor eine große Aufgabe stellt; Arbeiten, die durchwegs Sensibilität und Engagement zeigen und Qualität, die sich in die Architekturgeschichte des Landes einschreiben wird; die Erinnerung an einen genußfreudigen Menschen, dessen Begeisterung für das „Lebensmittel“ Architektur ansteckend war.

Spectrum, Sa., 2001.12.08

15. September 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Bildhafte Abstraktion

Die bestehenden Schulbauten mit Werkhallen und Lagerschuppen der Hochschule in Biel sollten erweitert werden. Die Architekten Conzett, Bronzini, Gartmann fügten südlich des Areals die neuen Werkhallen direkt an den Bestand an. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude. Der 94 m lange und 17 m hohe Holzbau hebt sich von den flachen Nachbarbauten als markantes Zeichen ab. Das Flachdach kragt weit aus und bildet den Wetterschutz der Holzkonstruktion und der vorgehängten Eichenholzfassade. Der Erschließungskern wurde in Beton ausgeführt, die Schuleinheiten sind als selbsttragende Holzkonstruktion ausgeführt. In den Klassenzimmern sind verschiedene Holzarten für die Oberflächen verwendet worden. Bei allen Gebäudeteilen wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.
Die Hochschule für Holzwirtschaft wurde mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Die bestehenden Schulbauten mit Werkhallen und Lagerschuppen der Hochschule in Biel sollten erweitert werden. Die Architekten Conzett, Bronzini, Gartmann fügten südlich des Areals die neuen Werkhallen direkt an den Bestand an. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude. Der 94 m lange und 17 m hohe Holzbau hebt sich von den flachen Nachbarbauten als markantes Zeichen ab. Das Flachdach kragt weit aus und bildet den Wetterschutz der Holzkonstruktion und der vorgehängten Eichenholzfassade. Der Erschließungskern wurde in Beton ausgeführt, die Schuleinheiten sind als selbsttragende Holzkonstruktion ausgeführt. In den Klassenzimmern sind verschiedene Holzarten für die Oberflächen verwendet worden. Bei allen Gebäudeteilen wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.
Die Hochschule für Holzwirtschaft wurde mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Das Grundstück der Schweizerischen Hochschule für die Holzwirtschaft Biel liegt am Rand des Ortes direkt an der Hauptstraße. Eine Industriehalle, eine Wohnanlage, der Höhenzug des Juras und offene Felder bilden den Kontext. Hier sollte nach dem Willen der Bauherren die aus zweigeschoßigen Schulgebäuden mit flachen Giebeldächern sowie niedrigen Werkhallen und Lagerschuppen bestehende Anlage aus der Nachkriegszeit verdichtet werden. Mit zwei typologisch unterschiedlichen Eingriffen haben die Architekten das relativ große Raumprogramm auf dem engen Grundstück überzeugend untergebracht. Zum einen bauten sie die neuen Hallen der Verfahrenstechnik im südlichen Teil des Areals direkt an die bestehenden Werkhallen und verbanden so Alt und Neu zu einem grossen und flachen Bau. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude, das sich in seiner Mächtigkeit abhebt von den niedrigen Nachbarbauten mit ihren Giebeldächern. Das Besondere an diesem 94 m langen und 17 m hohen Ankerpunkt im städtebaulichen Kontext ist, dass es sich dabei um einen Holzbau mit einem Erschließungskern aus Beton und einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade aus Eichenholz handelt.

Das dominante, weit auskragende Flachdach ist nicht nur eine formale Spielerei, sondern entscheidend für den Wetterschutz der Holzkonstruktion. Das Attikageschoß ist auf den Längsseiten um die Balkonschicht zurückversetzt. In den unteren drei Geschoßen durchbrechen auf beiden Hauptfassaden des Gebäudes eingezogene Terrassen die mit Fenstern horizontal strukturierten Wände und lassen das Tageslicht bis in die Erschließungszonen vordringen. In umgekehrter Richtung entstanden so Beziehungen aus dem Gebäude heraus in die Landschaft. Auf Kontraste als Kunstgriff setzen die Architekten im Inneren des neuen Lehrgebäudes. Auf der Ebene der Materialisierung tritt der rohe Beton der Korridore und Treppenhäuser in ein faszinierendes Wechselspiel mit den aus unterschiedlichen Holzarten gebildeten Oberflächen der Klassenzimmer und der übrigen Räume. Die Freude an Proportionen und präzisen Details bestimmt das ganze Gebäude.

Das von den Ingenieuren Conzett, Bronzini, Gartmann aus Chur erarbeitete konstruktive Konzept nutzt beide Materialien, Holz und Beton, optimal. So wurden etwa die den Baukern umgebenden Schuleinheiten als selbsttragende Holzkonstruktion ausgebildet. Dadurch werden die Betondecken des Erschließungskerns nicht durch die Vertikallasten des Holzbaus belastet. Sie tragen primär sich selbst und wurden deshalb als vorgespannte Flachdecken mit großen Spannweiten erstellt. Das Lehrgebäude und die Werkhallen der Hochschule für die Holzwirtschaft sind sichtbarer Beleg dafür, dass ein Bau aus Holz auch im städtischen Kontext bestehen kann. (1)

Die konstruktiven Entscheidungen folgen nicht apriorischen Vorstellungen über neue Arten, mit Holz zu bauen, die verschiedenen Konstruktionen sind vielmehr nach ihrer Zweckmäßigkeit verwendet, pragmatisch, von Fall zu Fall, nicht dogmatisch. Die Architekten haben nicht konstruktive Einheitlichkeit angestrebt: Sie hätte sie zu Entscheidungen geführt, die nicht nur in der Wirklichkeit einer Konstruktion begründet sind. Wenn es trotzdem eine Einheitlichkeit gibt, so liegt sie in der Art, die Konstruktion zu denken, nicht in der Konstruktion selber, die sich daraus von Fall zu Fall ergibt. (2)

Für den bis ins Detail klugen Einsatz des Baustoffes Holz wurde die Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

zuschnitt, Sa., 2001.09.15



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15. September 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Konstruktion transparent gemacht

Das Dachtragwerk der zentralen Versuchs- und Prüfhalle des Bautechnikzentrums der TU Graz wurde mit einer innovativen Konstruktion ausgeführt. Sie besteht aus punktgestützten, orthotropen Massivholzplatten mit ca. 22 m Spannweite - eine räumliche Fachwerkkonstruktion, für deren Obergurt das flächige Bauelement Brettsperrholz verwendet wurde. Die restlichen Fachwerkteile wurden in Stahlbau ausgeführt. Der Obergurt erfüllt mit einer Plattenstärke von nur 12,5cm eine Vielzahl von Funktionen. Durch die vorgefertigten Plattenelemente konnte eine relative starre Dachscheibe erzielt werden, mit der es möglich war, die Scheibenlasten des Daches in wenige Aussteifungspunkte zu leiten. Damit konnten die Wände als schlanke Pendelstützen und die Stirnseiten ganz ohne Aussteifung ausgeführt werden, wodurch die Halle in beiden Längsrichtungen erweiterbar bleibt.

Das Dachtragwerk der zentralen Versuchs- und Prüfhalle des Bautechnikzentrums der TU Graz wurde mit einer innovativen Konstruktion ausgeführt. Sie besteht aus punktgestützten, orthotropen Massivholzplatten mit ca. 22 m Spannweite - eine räumliche Fachwerkkonstruktion, für deren Obergurt das flächige Bauelement Brettsperrholz verwendet wurde. Die restlichen Fachwerkteile wurden in Stahlbau ausgeführt. Der Obergurt erfüllt mit einer Plattenstärke von nur 12,5cm eine Vielzahl von Funktionen. Durch die vorgefertigten Plattenelemente konnte eine relative starre Dachscheibe erzielt werden, mit der es möglich war, die Scheibenlasten des Daches in wenige Aussteifungspunkte zu leiten. Damit konnten die Wände als schlanke Pendelstützen und die Stirnseiten ganz ohne Aussteifung ausgeführt werden, wodurch die Halle in beiden Längsrichtungen erweiterbar bleibt.

Das Bautechnikzentrum der TU Graz besteht aus einer zentralen Versuchs- und Prüfhalle und drei eigenständigen, an die Halle angedockten Baukörpern, die Labors und im Obergeschoß Institutsräume enthalten. Während das Bauwerk, das als universitätseigene Planung unter Mitarbeit der Institute für Hoch- und Industriebau, Holzbau und Betonbau konzipiert wurde, in seiner Gesamtform die Durchmischung von Holz- und Betonbauweise in wenig schlüssiger Weise aufweist und sich das äußere Erscheinungsbild in heterogenem, manchmal allzu modischem Formenrepertoire zeigt, außerdem Details wenig sorgfältig durchgearbeitet sind, stellt das Dachtragwerk der Halle eine bemerkenswert innovative, höchst gelungene Konstruktion dar.

Sie besteht aus einer punktgestützten, orthotropen Massivholzplatte mit ca. 22 m freier Spannweite, genauer: einer räumlichen Fachwerkkonstruktion, für deren Obergurt das flächige Bauelement Brettsperrholz verwendet wurde. Die restlichen Fachwerkteile wurden als Stahlbauteile ausgeführt. Der Obergurt erfüllt mit einer Plattenstärke von nur 12,5cm eine Vielzahl von Funktionen. Die Längs- und die dazwischenliegenden Querlagen der fünfschichtigen Platten bilden gemeinsam das lastannehmende und lastabtragende Konstruktionselement der gesamten Dachfläche, die mit einer auf das Brettsperrholz aufgeleimten OSB-Platte zugleich den inneren Raumabschluss bildet.

Durch die großflächig hergestellten, vorgefertigten Plattenelemente mit einer wirtschaftlichen (Transport-)Breite von 3,2 m konnte mit wenig Aufwand eine relativ starre Dachscheibe erzielt werden, mit der es möglich war, die Scheibenlasten des Daches in einige wenige Aussteifungspunkte zu leiten. Es erlaubte nicht nur ein rundum laufendes Oberlichtband. Die Wände konnten als schlanke »Pendelstützen« und die Stirnwände ganz ohne Aussteifung ausgeführt werden, wodurch die Halle in beiden Längsrichtungen erweiterbar bleibt. Durch die flächige Tragkonstruktion war es auch möglich, einen sauberen, schichtweise getrennten Dachaufbau ohne Durchdringungen und Kältebrücken ausführen zu können. Insgesamt zeigt sich die Halle als konsequent durchdachte, klare und »ehrliche« Lösung, bei der versteckt angeordnete Aussteifungen entbehrlich blieben. Die formale Ausbildung der im Wortsinn »aufgesetzt« wirkenden Lichtsheds in Plattenrichtung wurde sichtlich den konstruktiven Erfordernissen untergeordnet.

zuschnitt, Sa., 2001.09.15



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15. September 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Konstruktive(r) Rahmen für fließende Räume

Neben dem bestehenden Wohnhaus aus den fünfziger Jahren wurden ein Studio und ein Gästehaus in Holz errichtet. Das Verlagstudio besteht als eingeschoßiger Pavillon aus drei unterschiedlich hohen Kuben, das Gästehaus wurde zweigeschoßig ausgeführt. Raumhohe Verglasungen schaffen transparente Übergange. Die Holzkonstruktion steht im Vordergrund und wird unverkleidet belassen. Statisch besteht das Studio aus drei hintereinandergereihten Rahmensystemen, die eine großflächige Verglasung und den Verzicht auf Querwände ermöglicht.. Das Primärsystem bilden biegesteife Brettschichtholzrahmen. Eine hinterlüftete Vorsatzschale mit Redwood-Kernhölzern gewährleistet den konstruktiven Holzschutz. Auch die Haustechnik wurde in Hinblick auf die Holzkonstruktion minimal gehalten, die Heizungs- und Elektroninstallationen verlaufen in Doppelböden.

Neben dem bestehenden Wohnhaus aus den fünfziger Jahren wurden ein Studio und ein Gästehaus in Holz errichtet. Das Verlagstudio besteht als eingeschoßiger Pavillon aus drei unterschiedlich hohen Kuben, das Gästehaus wurde zweigeschoßig ausgeführt. Raumhohe Verglasungen schaffen transparente Übergange. Die Holzkonstruktion steht im Vordergrund und wird unverkleidet belassen. Statisch besteht das Studio aus drei hintereinandergereihten Rahmensystemen, die eine großflächige Verglasung und den Verzicht auf Querwände ermöglicht.. Das Primärsystem bilden biegesteife Brettschichtholzrahmen. Eine hinterlüftete Vorsatzschale mit Redwood-Kernhölzern gewährleistet den konstruktiven Holzschutz. Auch die Haustechnik wurde in Hinblick auf die Holzkonstruktion minimal gehalten, die Heizungs- und Elektroninstallationen verlaufen in Doppelböden.

Lieblichkeit und Ruhe der hügeligen Landschaft des Schwarzwaldes veranlassten den Bauherren, sein Verlagszentrum zu verlegen und neben einem bestehenden Wohngebäude aus den fünfziger Jahren ein Ensemble aus Studio und Gästehaus zu errichten, das mit einem minimalen Eingriff in die Natur und Geländetopografie auskommen sollte. Die Forderung nach flexibler Nutzungsmöglichkeit und angenehmem Raumklima, nach Niedrig-Energie-Standard, umweltverträglichen Baustoffen und nach der Anwendung moderner Bautechnologien führte zur Entscheidung, mit Holz zu bauen. Der Entwurf zeichnet das Verlagsstudio als eingeschoßigen Pavillon, zusammengesetzt aus drei unterschiedlich hohen Gebäudekuben und einem zweigeschoßigen turmartigen Bau als Gästehaus.

Die Qualität des Entwurfs basiert auf dem geschickten Zusammenfügen von einfachen geometrischen Körpern - Würfel und Quader - zu raumbildenden Einheiten. Mit außenwandfüllenden Verglasungen werden transparente lichtdurchflutete Übergänge geschaffen. Der Charakter des Gebäudes sollte das Baumaterial Holz als konstruktives Element in den Vordergrund stellen, die einzelnen Gebäude sollten wie Möbelstücke betrachtet werden können. Dies bedeutete, eine Konstruktion ohne nachträgliche Verkleidung zu wählen. Damit ergaben sich höchste Ansprüche an die Ausführungsplanung und den Bauablauf. Der logische Verzicht auf chemischen Holzschutz verlangte, dem konstruktiven Holzschutz Priorität einzuräumen, was in Form einer hinterlüfteten Vorsatzschale mit Redwood-Kernhölzern geschah.

Bemerkenswert an diesem Bau ist nicht nur der Versuch, das Bauen mit Holz neu zu interpretieren und Holzbau mit konstruktiver Logik umzusetzen. Mit konsequenter Beharrlichkeit, mit der der Entwurf ohne Abstriche umgesetzt wurde, wurde auch Entwicklungsarbeit an einem System geleistet. Grundsätzliche Fragen, wie die nach der Funktionsweise von Kastenelementen in großformatigen Scheiben- und Plattenstrukturen und ihrer biegesteifen Verbindung wurden auf eine überzeugende, wenn auch aufwendige Art gelöst.

zuschnitt, Sa., 2001.09.15



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21. Juli 2001Karin Tschavgova
Spectrum

Vom Bauen in der Warteschleife

Die Aussichten für die Architekten der Steiermark, sich international erneut als Markenzeichen zu behaupten, sind derzeit gering. Nicht, dass kein kreatives Potential vorhanden wäre - was fehlt, ist ein Bekenntnis zur Förderung durch die öffentliche Hand.

Die Aussichten für die Architekten der Steiermark, sich international erneut als Markenzeichen zu behaupten, sind derzeit gering. Nicht, dass kein kreatives Potential vorhanden wäre - was fehlt, ist ein Bekenntnis zur Förderung durch die öffentliche Hand.

Noch kann sie nicht in Frieden ruhen, die „Grazer Schule der Architektur“. Sie muß herhalten zur Grenzziehung für die jüngste Architektengeneration, die zwar nichts mehr zu tun haben will mit ihr, sich mit „Nach der Grazer Schule“ letztlich aber doch über sie definiert. Sie dient jenen als quotenträchtiges Schlagwort, an deren Ohr mit erheblicher Zeitverzögerung gedrungen ist, daß mit ihr Staat und bare Münze zu machen sei. Und sie taucht auf als Seufzer, als Reminiszenz an eine bessere Zeit in den Köpfen der vielen damaligen Nutznießer unter den Architekten.

Unbestritten verkörpert sie eine produktive Ära außerordentlich ambitionierten Architekturgeschehens, die, 1980 als „Modell Steiermark“ initiiert, mehr als zehn Jahre getragen war vom dezidierten politischen Bekenntnis zu Baukultur und ihrer Ermöglichung durch die öffentliche Hand. Ihr Ende begann mit geänderter Macht- und Kompetenzverteilung nach den Landtagswahlen 1991, als das Ressort des Wohnbaus einem Landesrat untergeordnet wurde, der im damals schon mit internationalem Lob versehenen steirischen Wohnbau eine Spielwiese für künstlerische Selbstverwirklichung sah, der er den Garaus machen wollte. 1996 wurde die für Hochbau zuständige Fachabteilung 4a des Landes zerschlagen. Ein unwürdiges Ende für eine Bewegung, deren Exponenten noch leben und arbeiten müssen. So geistert die Grazer Schule der Architektur unerlöst herum, vielleicht auch, weil sie nie einer kritischen Rückschau und Selbstanalyse unterzogen wurde.

Peter Blundell Jones, Kritiker der renommierten englischen Zeitschrift „Architectural Review“, spricht im Buch „Dialog in Time - New Graz Architecture“ von „windows of opportunity“ als zeitlich begrenzten guten Bedingungen für ein offenes kulturelles Klima, die, wie die Geschichte zeigt, nie sehr lange anhalten. So gesehen entsprächen die Veränderungen seit den frühen neunziger Jahren einem logischen Wechsel der Zeitläufe, in die auch die Auswirkungen des Sparprogramms einzurechnen sind. Es schiene auf den ersten Blick erklärbar, daß der neue Landesrat, der neben Tourismus, Sport und Kultur auch für den Wohnbau verantwortlich ist, die Fördermittel bis zum nächsten Jahr auf 1200 Wohnungen jährlich halbieren will und Gutachterverfahren (als taugliches Wettbewerbsinstrumentarium mit einer kleineren Anzahl geladener Architekten) erst ab 50 Wohneinheiten je Bauvorhaben zwingend vorschreibt.

Diese Maßnahmen stellen eine Existenzgefährdung für rund 45 Prozent der steirischen Architekten dar, die im Wohnbau tätig sind. Wer sich nicht schon zuvor, frustriert vom alltäglichen Beschneidungsritual genossenschaftlicher Wohnbauwillkür, andere Betätigungsfelder auftun konnte, ist arm dran, denn ein langfristiges Konzept zur Förderung zeitgenössischer Baukultur als gebauter Einschreibung in die Entwicklung des Landes ist nicht erkennbar.

Kein Klima für Architektur - daran ändert auch nichts, daß einzelne Projekte in letzter Zeit fast beschwörend als Architektur-Highlights angepriesen werden. Wer die blamable Genese eines Kunsthauses in drei Varianten und Standorten mitverfolgt hat, die Querelen um die Stadthalle, die jahrelange Verzögerung des Hauptplatzprojekts, die vertane Chance der Stadt, die Thalia, ein Fünfzigerjahre-Juwel, zu erwerben, um dadurch Art und Weise ihrer Verwendung selbst zu bestimmen, die zahlreichen nicht wettbewerbs-analog realisierten Wohnbauten, der sieht alles nüchterner.

Vielen Architekten im Lande geht es schlecht. Ob die nachschiebende Generation, deren Strategie zu sein scheint, sich in Gruppenstärke professionell, cool und optimistisch zu geben, ohne Starthilfe und Rückendeckung der Politik auskommen kann, wird sich zeigen. Ihr löbliches Selbstverständnis: weg vom Künstlertum, hin zum Dienstleister mit umfassendem Qualitätsangebot, allein bringt noch keine vollen Auftragsbücher. Die Steiermark ist nicht Vorarlberg, wo der Wert von Investitionen in Architektur so weit erkannt wurde, daß Arbeit in ausreichendem Maß vorhanden ist.

Im Jahr 2003 wird Graz als einzige Stadt Europas den Titel Kulturhauptstadt tragen, was ihr und dem ganzen Land einen immensen Imagegewinn und Investitionsschub bringen soll. Ein Leitthema wurde von der Intendanz nicht vorgegeben, wohl aber Schwerpunkte, zu denen man Architektur und „Stadtbefindlichkeit“ zählt. Eine Einladung zur Ideenfindung erging Anfang 1999 an die Architekten als eine Gruppe unter vielen. Für sie wäre 2003 eine Chance gewesen, Architektur aus der Steiermark neu zu positionieren, abseits der von der Intendanz vereinnahmten Bauvorhaben, die teils davor projektiert wurden und ohnehin realisiert worden wären. Einen medialen Wirbelsturm werden diese mit Ausnahme des Kunsthauses, dessen Realisierung bis 2003 mehr als ungewiß scheint und das kein Lebenszeichen der steirischen Architekten darstellt, nicht entfachen. Man hätte sich ein spektakuläres Projekt einfallen lassen müssen, einen Eyecatcher, an dem die internationale Presse nicht vorbeigekommen wäre.

Das hätte ein aufrüttelnder, irritierender, auch polarisierender, jedenfalls medienträchtiger und nicht zu übersehender Eingriff in das Stadtgefüge sein können, etwa das, was für Intendant Lorenz nun die in ihrer Sinnhaftigkeit sehr umstrittene, mindestens 70 Millionen Schilling (5,09 Millionen Euro) teure Murinsel von Vito Acconci ist. - Es ist eine Grundsatzentscheidung, ob man bei einem auf Events bauenden Kulturprogramm dabeisein möchte, und es ist klar, daß auch mediale Präsenz und internationale Reputation noch keinen Architektursommer machen.

Sie kann Initialzündung für eine nachhaltige öffentliche Diskussion sein, vor der Verantwortungsträger nicht die Ohren verschließen können. Heute muß man sich vielleicht dieser Mechanismen bedienen, auch wenn man Inhalte transportieren will. Wenn Peter Stein den „Faust“ ungekürzt in einem Stück spielen läßt, wird es zum viel kommentierten Medienspektakel, verliert deshalb aber noch lange nicht an Niveau.

Eine 1999 gegründete Architekturplattform hat sich mit Vorlage einer Projektmappe im Juni 2001 offensichtlich entschieden mitzumachen. Und ist umgehend damit abgeblitzt, unter Hinweis auf die allzu späte Einreichung und auf die Bedingung, die vielen unterschiedlichen Ideen als Gesamtpaket zu akzeptieren. Die zündende Idee war nicht darunter. Schade um die Chance, die die Architekten selbst in der Hand gehabt hätten und die vertan wurde. Eine Klimaverbesserung ist trotz ausreichend vorhandenem kreativem Potential im Land nämlich nicht in Sicht, weder im Wohnbau noch anderswo.

Spectrum, Sa., 2001.07.21

15. Juli 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Die Straßentaugliche

Die Brücke Val Tgliplat wird geprägt von der höchst unterschiedlichen topografischen und geologischen Situation der beiden Seiten des Baches und vom Verlauf des Geländes, das sich talwärts trichterförmig weitet. Daraus leiten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einerseits eine asymmetrische Zwischenabstützung auf der Seite des flachen Geländeverlaufs ab und einen trapezförmigen Grundriss, der durch unterschiedliche Spannweiten berg- und talseitig übermäßig große Eingriffe im Terrain vermeidet. Asymmetrie in der Abstützung, im Grundriss und in der Ausbildung unterschiedlicher Geländer verleiht der Brücke Spannung und gibt ihr die äußere Form, ihre Silhouette mit der sich verjüngenden V-Stütze, die durch die flächige Verschalung zum markanten Signet wird.

Das Haupttragsystem der Brücke Val Tgliplat besteht aus einer engen Schar von Längsträgern in bsh-Fichte mit unterschiedlicher Spannweite und Dimensionierung und der asymmetrischen Abstützung. Es wirkt eigentlich als einseitiges Sprengwerk, das sich gegen den Fels lehnt und dessen anderer - imaginärer - Teil vom Fels aufgenommen wird. Auf den Trägern liegt eine 13,5cm starke Kerto-Furnierschichtholzplatte, die die Radlasten verteilt und für die Horizontalaussteifung sorgt.

Die Brücke Val Tgliplat wird geprägt von der höchst unterschiedlichen topografischen und geologischen Situation der beiden Seiten des Baches und vom Verlauf des Geländes, das sich talwärts trichterförmig weitet. Daraus leiten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einerseits eine asymmetrische Zwischenabstützung auf der Seite des flachen Geländeverlaufs ab und einen trapezförmigen Grundriss, der durch unterschiedliche Spannweiten berg- und talseitig übermäßig große Eingriffe im Terrain vermeidet. Asymmetrie in der Abstützung, im Grundriss und in der Ausbildung unterschiedlicher Geländer verleiht der Brücke Spannung und gibt ihr die äußere Form, ihre Silhouette mit der sich verjüngenden V-Stütze, die durch die flächige Verschalung zum markanten Signet wird.

Das Haupttragsystem der Brücke Val Tgliplat besteht aus einer engen Schar von Längsträgern in bsh-Fichte mit unterschiedlicher Spannweite und Dimensionierung und der asymmetrischen Abstützung. Es wirkt eigentlich als einseitiges Sprengwerk, das sich gegen den Fels lehnt und dessen anderer - imaginärer - Teil vom Fels aufgenommen wird. Auf den Trägern liegt eine 13,5cm starke Kerto-Furnierschichtholzplatte, die die Radlasten verteilt und für die Horizontalaussteifung sorgt.

Walter Bielers Brücken sind immer in Holz ausgeführt. Die Qualität seiner Entwürfe ist mannigfaltig. Sie liegt im Eingehen auf die Topografie als konzeptuellen Ansatz, in der achtsamen Einfügung der Brücken in die Landschaft, in ihrer präzisen formalen Gestaltung und einer modernen, außergewöhnlich körperhaften Erscheinung.

Charakteristik
Die Brücke Val Tgliplat wird geprägt von der höchst unterschiedlichen topografischen und geologischen Situation der beiden Seiten des Baches und vom Verlauf des Geländes, das sich talwärts trichterförmig weitet. Daraus leiten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einerseits eine asymmetrische Zwischenabstützung auf der Seite des flachen Geländeverlaufs ab und einen trapezförmigen Grundriss, der durch unterschiedliche Spannweiten berg- und talseitig übermäßig große Eingriffe im Terrain vermeidet. Asymmetrie in der Abstützung, im Grundriss und in der Ausbildung unterschiedlicher Geländer verleiht der Brücke Spannung und gibt ihr die äußere Form, ihre Silhouette mit der sich verjüngenden V-Stütze, die durch die flächige Verschalung zum markanten Signet wird. Asymmetrie ist hier nicht abstraktes, willkürlich festgelegtes Thema, sondern gebaute Konsequenz, abgeleitet aus der Topografie.

Tragwerk
Bielers Brücken basieren mehrheitlich auf dem Prinzip einer Fahrbahnplatte, welche die Last verteilt und auf eine darunterliegende, geschützte Tragstruktur abgibt. Das Haupttragsystem der Brücke Val Tgliplat besteht aus einer engen Schar von Längsträgern in bsh-Fichte mit unterschiedlicher Spannweite und Dimensionierung und der asymmetrischen Abstützung. Es wirkt eigentlich als einseitiges Sprengwerk, das sich gegen den Fels lehnt und dessen anderer - imaginärer - Teil vom Fels aufgenommen wird. Auf den Trägern liegt eine 13,5cm starke Kerto-Furnierschichtholzplatte, die die Radlasten verteilt und für die Horizontalaussteifung sorgt.

Holzschutz
Moderne, technisch neue Konstruktionen erfordern für den Graubündner Ingenieur auch die entsprechende Form. Um auf das für historische Holzbrücken typische Dach verzichten zu können und dennoch Dauerhaftigkeit zu erreichen, sind bei Bieler tragende Teile nie ungeschützt der Witterung ausgesetzt. Zwischen Belag und Fahrbahnplatte ordnet er eine wasserdichte Schicht an, außenliegende Teile der Tragstruktur erhalten eine Verschalung. Die Fahrbahn übernimmt die Funktion des Daches. Die seitlichen Geländer werden ebenso wie der Wetterschutz als Verschleißteile gesehen, die bei Bedarf ausgetauscht werden.

Bei der Val Tgliplat-Brücke wird die Kertoplatte durch eine Folie abgedichtet und ist mit einem 17cm starken Belag versehen. Eine Verkleidung aus Lärchenholz zieht sich von der Geländerbrüstung bis zur unteren Kante der Längsträger über die äußeren Teile der Zwischenabstützung und bildet so einen Schutzschild gegen Wasser.

Montage
Die schwierige Zugänglichkeit des Brückenortes machte einen Transport durch den Helicopter notwendig. Seine begrenzte Tragkapazität von 4,5 Tonnen war entscheidend für das statische Konzept. Sie führte zum Verzicht auf schwere Primärträger mit einem Sekundärtragsystem und zur Anordnung der engen Binderschar, die vor Ort mit der Fahrbahnplatte verbunden wurde.

Tragstruktur und Form der Brücke Val Tgliplat sind für den querenden Reisenden kaum sichtbar. Es spricht für den leidenschaftlichen Verfechter eines modernen Holzbrückenbaus, dass sie dennoch mit beeindruckender formaler Verve und Kraft durchgebildet wurde.

zuschnitt, So., 2001.07.15



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15. Juli 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Die Raumbildende

Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.

Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.

Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Die Forderung nach einer unterhaltsarmen Brücke und die Tatsache, dass an dieser Stelle einmal eine Holzbrücke gestanden ist, bedeutete für Hermann Kaufmann eine Herausforderung zur Neuinterpretation traditioneller überdachter Holzbrücken mit heutigen Mitteln.

Charakteristik
Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Zugleich legt er aber die geneigte Fahrbahn, also den Grundriss dazu gegenläufig konisch an. Das ergibt beim österreichischen Ufer ein quadratisches Portal, auf der schweizer Seite ein hochgestelltes Rechteck.

Tragwerk
Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.

Holzschutz
Die Träger sind beidseitig lärchenverschalt und damit witterungsbeständig. Der Bodenbelag besteht aus robusten gerillten Eichenbohlen. Chemischer Holzschutz wurde nicht angewendet.

Montage
Die Brücke wurde in Hard am Rheindamm zusammengebaut, auf einen Ponton verladen und über den Bodensee zum Alten Rhein geschifft, wo sie mittels Telekränen auf die Widerlager gesetzt wurde. Die Bauzeit betrug 2 Wochen. Die Radfahrbrücke Gaißau bietet ein Raumerlebnis, das an die alten Holzbrücken im Film »The bridges of Madison County«, USA, in der Regie von Clint Eastwood erinnert. Die Brücke als Zwischenwelt, als FlussRAUM. Hermann Kaufmanns Brücke macht das Queren bewusst, ohne hermetisch zu sein.
Annähernd brückenlange Horizontalschlitze, die die Dynamik des Radfahrens unterstreichen, geben den Blick frei auf die idyllische Flusslandschaft.

zuschnitt, So., 2001.07.15



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15. Juli 2001Karin Tschavgova
zuschnitt

Die Systemische

Der Raabsteg stellt eine durch Materialmix und den Einsatz neuer Holzwerkstoffe modifizierte, modernisierte Form überdachter Holzbrücken dar. Dabei verändern die Stahlbetonstützen zur Lastabtragung und vor allem die Platten für Dach und Fahrbahn das Erscheinungsbild der Brücke im Vergleich zur traditionellen Holzbrücke wesentlich. Die kraftschlüssig verleimten Plattenbalken im Verbund mit Brettschichtstehern stellen ausreichende Steifigkeit her, sodass auf eine seitliche Verbretterung verzichtet werden konnte.

Die stahlunterspannte Dachplatte übernimmt aus Hängerstäben die Lasten der Fahrbahnplatte. Durch das kraftschlüssige Verkleben der Hauptträger mit einer Brettsperrholzplatte wirken sowohl die Fahrbahn als auch das Dach als Plattenbalken. Die Hauptträger werden jeweils aus zwei miteinander verleimten Brettschichtholzträgern in Fichte gebildet. Sie ruhen im Widerlagerbereich auf Stahlbetonpfeilern. Die Dachplatte ist mit der Fahrbahnplatte durch Steher aus Brettschichtholz konstruktiv verbunden. Auf die Fahrbahnplatte einwirkende Lasten werden von Zugstangen aus Stahl in ein aus Flachstahl bestehendes Zugband und weiter in die Dachplatte geleitet.

Der Raabsteg stellt eine durch Materialmix und den Einsatz neuer Holzwerkstoffe modifizierte, modernisierte Form überdachter Holzbrücken dar. Dabei verändern die Stahlbetonstützen zur Lastabtragung und vor allem die Platten für Dach und Fahrbahn das Erscheinungsbild der Brücke im Vergleich zur traditionellen Holzbrücke wesentlich. Die kraftschlüssig verleimten Plattenbalken im Verbund mit Brettschichtstehern stellen ausreichende Steifigkeit her, sodass auf eine seitliche Verbretterung verzichtet werden konnte.

Die stahlunterspannte Dachplatte übernimmt aus Hängerstäben die Lasten der Fahrbahnplatte. Durch das kraftschlüssige Verkleben der Hauptträger mit einer Brettsperrholzplatte wirken sowohl die Fahrbahn als auch das Dach als Plattenbalken. Die Hauptträger werden jeweils aus zwei miteinander verleimten Brettschichtholzträgern in Fichte gebildet. Sie ruhen im Widerlagerbereich auf Stahlbetonpfeilern. Die Dachplatte ist mit der Fahrbahnplatte durch Steher aus Brettschichtholz konstruktiv verbunden. Auf die Fahrbahnplatte einwirkende Lasten werden von Zugstangen aus Stahl in ein aus Flachstahl bestehendes Zugband und weiter in die Dachplatte geleitet.

Die Brücke über die Raab bindet das jüngst errichtete Gesundheits- und Kulturzentrum an den Stadtkern von Feldbach an, das dadurch sowohl zu Fuß als auch per Rad erreichbar wird.

Charakteristik
Der Raabsteg stellt eine durch Materialmix und den Einsatz neuer Holzwerkstoffe modifizierte, modernisierte Form überdachter Holzbrücken dar. Dabei verändern die Stahlbetonstützen zur Lastabtragung und vor allem die Platten für Dach und Fahrbahn das Erscheinungsbild der Brücke im Vergleich zur traditionellen Holzbrücke wesentlich. Die kraftschlüssig verleimten Plattenbalken im Verbund mit Brettschichtstehern stellen ausreichende Steifigkeit her, sodass auf eine seitliche Verbretterung verzichtet werden konnte.
Dadurch entfällt jedoch der Eindruck von Räumlichkeit, von Abgeschlossenheit beim Queren des Flusses; die Brücke wirkt mit der Dominanz des Daches und den massigen Stützen nicht leicht, ist aber durchlässig und offen für den Blick in den Flussraum.

Tragwerk
Die stahlunterspannte Dachplatte übernimmt aus Hängerstäben die Lasten der Fahrbahnplatte. Durch das kraftschlüssige Verkleben der Hauptträger mit einer Brettsperrholzplatte wirken sowohl die Fahrbahn als auch das Dach als Plattenbalken. Die Hauptträger werden jeweils aus zwei miteinander verleimten Brettschichtholzträgern in Fichte gebildet. Sie ruhen im Widerlagerbereich auf Stahlbetonpfeilern. Die Dachplatte ist mit der Fahrbahnplatte durch Steher aus Brettschichtholz konstruktiv verbunden. Auf die Fahrbahnplatte einwirkende Lasten werden von Zugstangen aus Stahl in ein aus Flachstahl bestehendes Zugband und weiter in die Dachplatte geleitet.

Holzschutz
Der konstruktive Holzschutz wird in traditioneller Art durch die Überdachung erreicht. Die unteren Hauptträger sind im äußeren Randbereich mit einem Kantholz versehen, das verblecht wurde, die Fahrbahnplatte ist mit einer zweischichtigen Abdichtungsbahn und einer Verschleiß- und Schutzschicht aus 50mm Gussasphalt isoliert. Zusätzlich schützt eine mehrmals auf sämtliche Holzteile aufgebrachte Lasur vor Verwitterung.

Montage
Die Brücke wurde in der Produktionshalle vorgefertigt und in einem Stück mittels Tieflader transportiert. Drei Autokräne setzten das Tragwerk auf die Stahlbetonpfeiler auf. Lediglich die Dachhaut und der Fahrbelag wurden vor Ort aufgebracht.

zuschnitt, So., 2001.07.15



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Raabsteg, Feldbach, Steiermark



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19. Mai 2001Karin Tschavgova
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Ein Punkt im All

Noch heuer wird ein Bauwerk eröffnet, dem nicht nur die weltweite Aufmerksamkeit aus Architekturfachkreisen gelten wird: die neue Bibliothek von Alexandria, Ägyptens geschichtsträchtiger Stadt am Mittelmeer. Ein Spitzenrang in der Architekturgeschichte scheint ihr schon jetzt sicher.

Noch heuer wird ein Bauwerk eröffnet, dem nicht nur die weltweite Aufmerksamkeit aus Architekturfachkreisen gelten wird: die neue Bibliothek von Alexandria, Ägyptens geschichtsträchtiger Stadt am Mittelmeer. Ein Spitzenrang in der Architekturgeschichte scheint ihr schon jetzt sicher.

Der Mythos der bedeutendsten Sammlung von Schriften der Antike wird auch aus der Tatsache genährt, daß bis heute die Ursache ihres Untergangs nicht geklärt ist: Wurde die Bibliothek von Alexandria 48/47 v. Chr. von einer verheerenden Feuersbrunst zerstört - oder 640 n. Chr. bei der Eroberung der Stadt durch die Araber?

Sicher ist, daß der antike Glanz Alexandrias in den siebziger Jahren zur Idee führte, eine neue Bibliothek zu errichten. Die Unesco, die die Initiative wesentlich unterstützte und 1989 gemeinsam mit der ägyptischen Regierung und der Internationalen Union der Architekten einen Wettbewerb ausschrieb, sah in der Neuerrichtung ein Bekenntnis Ägyptens zur Alphabetisierung und zum Anschluß an westlichen Standard, die erhoffte gemeinsame Finanzierung durch die arabischen Länder als Symbol der arabischen Einheit.

520 Teilnehmer aus 52 Ländern machten den Wettbewerb zu einem der größten der Architekturgeschichte. Nicht nur das Thema und der Ort - das Areal liegt am östlichen Ende des antiken Hafens in Sichtweite zum Ort des legendären Leuchtturms - sowie die Aussicht auf internationale Reputation machten ihn lukrativ, sondern auch die Vorgabe eines großzügigen Raumprogramms. Gefordert war eine moderne Forschungsstätte mit Lesesaal und Einzelstudiereinheiten, mit Konferenzräumen, ausreichend Lagerraum für bis zu 8 Millionen Schriften und Bücher, mit einem Kalligraphie- und einem Wissenschaftsmuseum, einem Planetarium und der räumlichen Anbindung an ein bestehendes Konferenzzentrum. Gewinnen konnte die Konkurrenz ein bis dato unbekanntes Team von fünf jungen Architekten aus Norwegen, den USA und aus Österreich, das unter dem Namen Snohetta in Norwegen registriert war.

Reüssieren konnte Snohetta mit einer gleichermaßen simpel wie komplex wirkenden Großform, dem Kreis, besser gesagt, einer zylindrischen Form von 160 Metern Durchmesser. Als Antwort auf das Halbrund des Hafenbeckens, aber auch als eine dem geschichtsträchtigen Thema adäquate Form, die mannigfache Assoziationen zuläßt - etwa zum Sonnengott Ra und der orangefarbenen Scheibe in seiner Hand, zur Erforschung der Planeten und ihrer sphärischen Charakteristika, zu Begriffen wie Kontinuität und Unendlichkeit, zur Idee von Zeit. Mit einem Kunstgriff brachten die Architekten Dynamik in die an sich statische, in sich geschlossene Form: Sie kippten sie. Durch diese Bewegung hin zur Uferstraße wurde das Dach zur dominanten Fassade, das Kippen zu einem gefrorenen Moment in einer Serie von Bewegungen. Zusätzlich zum Kanon mehr oder weniger metaphorischer Bedeutungsebenen - versunkene Vergangenheit, aufragende Zukunft - erzeugt dieses Kippen einen wesentlichen städtebaulichen Effekt.

Monumentalität wird vermieden, das Bauwerk wird zum niedrigsten und dadurch auffälligsten entlang der Corniche, die von Hochhäusern gesäumt ist. Zum Nachbarbau hin ist die zylindrische Form geradlinig gekappt und von einer Brücke durchstoßen, die vom naheliegenden Universitätsgelände zur Uferpromenade führt beziehungsweise künftig führen soll.
Dem solitären Körper dieses bei den Alexandriern beliebten Konferenzzentrums, das in seiner kristallinen Form eigentlich ein Fremdkörper ist, stellt sich die Bibliothek selbstbewußt, aber nicht dominant zur Seite. Mit der Lage des Planetariums und dem mit Sorgfalt gestalteten Platz gelingt den Architekten sogar eine Ensemblewirkung. Die Dachscheibe der Bibliothek mit ihrem enormen Durchmesser ist von der Uferstraße aus vollständig einsehbar, sie ist die „fünfte Fassade“ und wurde folgerichtig einer besonders differenzierten plastischen Gestaltung unterzogen. Das Dach ist strukturiert in 120 Module in der Größe von je zirka 9 mal 14 Meter. Diese einzelnen Elemente, plastisch geformt wie Tragflächen von Flugzeugen, sind in der Diagonale, genau nach Norden, durchschnitten und ergeben ein regelmäßiges Gefüge von vertikalen Oberlichten - ohne direkte Sonneneinstrahlung, mit optimalem Lichteinfall in den monumentalen Lesesaal. Den gigantischen Raum mit 18.000 Quadratmetern Nettofläche und einem Volumen von 172.000 Kubikmetern, der mehr als 2500 Leseplätze enthält, dominieren das einzigartige gleichmäßige Naturlicht des schrägen Daches, die vielen schlanken Säulen in den Kreuzungspunkten der Dachmodule und sieben gestufte Hauptebenen.

Der Lesesaal von Alexandria wird einer der größten weltweit sein. Seine Höhe variiert von wenigen Metern an seiner tiefsten Stelle bis 18 Meter und ist bestimmt von der Neigung des Daches, die wiederum aus der optimalen Höhe zwischen Buchlagern und öffentlichen Bereichen errechnet wurde. Es ist erstaunlich, wie es Snohetta geglückt ist, bei diesen Ausmaßen intime Bereiche zu schaffen. Diese sind definiert durch die dichte Säulenstellung, die Höhenabstufung und die optische Wärme der Sperrholzpaneele, die die Brüstungen der Galerien und Treppen überziehen. Ebenso überraschend drängt sich die Assoziation mit einer Moschee auf. Eher festlich als sakral wirken die stilisierten knospenförmigen Kapitelle der Säulen, die Lichtpunkte der stark kontrastierenden Decke und die Reihen blauer und grüner Gläser entlang der Deckenträger.

Damit kein Mißverständnis entsteht: Nichts an diesem Raum ist historisierend, nichts wirkt überladen. Im Gegenteil: Die Beschränkung auf wenige Materialien und Farben - das Grau des Sichtbetons für Säulen und Umfassungswand, das helle Birkensperrholz, der Eichenboden, die beigefarbene Dachuntersicht und der Black Zimbawe (Granit) für die große Wand, hinter der die Serviceräume liegen - lotet den Raum aus, gibt ihm Homogenität. Kontraste verschmel- zen wie selbstverständlich zu einem Ganzen, im Inneren wie im Äußeren: Modernität und Glätte der hochtechnologischen Sandwichelemente des Daches aus Aluminium vertragen sich wunderbar mit der Archaik der gekrümmten Außenwand. Diese besteht aus zwei Wänden, einer konvexen über dem Grund und einer nach innen gewölbten Negativform unter Terrain. An ihrer höchsten Stelle ragt sie 32 Meter auf. Mit mehr als 5000 Quadratmetern ist sie vermutlich die größte zeitgenössische Steinskulptur. Ihre handbearbeiteten Platten in zwei Formaten, deren Oberflächen nicht glatt geschnitten, sondern rauh belassen wurden, bilden eine Unzahl von Schriftzeichen und Symbolen aller Weltalphabete sowie musikalische und mathematische Notationen ab. Der Effekt ist überwältigend: Die Wand, ein unerschöpfliches Reservoir immer wieder von neuem zu entdeckender Bildzeichen, erhält einen samtig weichen, lebendigen Charakter.

Alexandrias neue Bibliothek kann aus mehreren Gründen in Frage gestellt werden. Die Kosten von annähernd 200 Millionen Dollar müssen zu zwei Dritteln vom ägyptischen Staat aufgebracht werden, eine enorme Summe für ein Einzelbauwerk in einem Land, in dem nur drei Viertel der Kinder die Grundschule beenden. Auch ist fraglich, wie die Bibliothek gefüllt werden kann. Bis jetzt gibt es 500.000 Bücher und Schriften und Appelle um Dotationen.

Den Architekten daraus einen Vorwurf zu machen ist nicht statthaft. Jeder Wettbewerbssieger hätte die Chance ergriffen, sich mit diesem Projekt einen Platz in der Architekturgeschichte zu sichern. Und die Gruppe um Christoph Kapeller, den Steirer, der die Arbeiten vor Ort mit einem ägyptischen Partner leitet, hat ihre Arbeit, im Gegensatz zu manch „Großen“ der Architekturszene, die sich keinen Deut um menschenwürdige Arbeitsbedingungen in ihren Prestigeobjekten kümmern, sehr gut gemacht. Deshalb ist Alexandria eine Reise wert.

Spectrum, Sa., 2001.05.19



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Bibliothek von Alexandria

24. März 2001Karin Tschavgova
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Geknickte Linie, gebrochene Kontur

Aus dem Blickwinkel der internationalen Bewertung verkörpert keine Architektur die Grazer Schule so wie die von Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz. Die ihnen eigene, emotional geprägte Formensprache hat das Architektenehepaar bis heute beibehalten - mit Modifikationen, wie im neuen Studienzentrum der TU Graz.

Aus dem Blickwinkel der internationalen Bewertung verkörpert keine Architektur die Grazer Schule so wie die von Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz. Die ihnen eigene, emotional geprägte Formensprache hat das Architektenehepaar bis heute beibehalten - mit Modifikationen, wie im neuen Studienzentrum der TU Graz.

Friedrich Achleitner ortet in seinem Versuch, der Bedeutung der Grazer Schule nachzuspüren, „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ als Triebfeder jener losen Gruppe von Architekten im Graz der späten siebziger Jahre, die mit unbändigem Schaffensdrang und künstlerischem Anspruch eine Architektur hervorbrachte, die im folgenden Jahrzehnt über Europa hinaus Aufmerksamkeit erringen konnte. Die internationale Rezeption sieht in dieser in Eigenart und Eigenwilligkeit mit keiner anderen Strömung der neueren europäischen Architektur vergleichbaren Produktivität gar ein Phänomen. Analysiert man die Hintergründe, die zu dieser dichten Packung an lokal Gebautem zwischen etwa 1980 und dem Beginn der neunziger Jahre geführt haben, so entmystifiziert sich dieses genauso wie die Vorstellung, es handle sich bei der Grazer Schule um eine Bewegung. Verwandtschaften lassen sich eher in den Architektenpersönlichkeiten als in der Architektur finden. Heftig, wild, expressiv, explosiv, zertrümmernd, dabei sinnlich und poetisch, undogmatisch und unakademisch waren gängige Charakterisierungen, die damit auch eine klare Trennlinie zum damals in Wien gepflegten, aus der Tradition schöpfenden Akademismus zogen. In einer Atmosphäre des Experimentierens schienen Theorien oder historische Vorbilder für die Grazer bedeutungslos.

Die Architekten Szyszkowitz+Kowalski können mit diesen Attributen am wenigsten treffend charakterisiert werden, denn sie waren weder zu Beginn ihrer Karriere radikale (Begriffs-)Zertrümmerer, noch sind sie es heute. In ihnen die Verkörperung der Grazer Schule zu sehen, wie es in Deutschland heute noch geschieht, kann also nur mit dem häufig vereinfachenden Blick von außen erklärt werden. Mit dem „Haus über Graz“, mit hoher räumlicher Komplexität und variantenreichen Verbindungen zum Außenraum sensibel und feingliedrig in die leicht hügelige Landschaft komponiert, gelang ihnen 1975 eine eigenständige und poetische Neuinterpretation des Einfamilienhauses. Wer genau schaut, kann jedoch in den meisten der frühen Arbeiten des Grazers und der Oberschlesierin hinter der kleinteiligen und vielschichtigen Bewegtheit der individuellen Formensprache einen deutlichen Hang zum historisierenden symmetrischen Grundrißaufbau sehen. Ihre geradezu üppige Formenvielfalt und Detailverliebtheit zeigten zwar eine klare Abkehr von den Auswüchsen der Moderne, wie sie allerorts in den Wiederaufbauprogrammen der Nachkriegszeit hochgezogen worden waren, sie schienen aber mehr einem Neobarock verpflichtet als der Suche nach einem zeitgemäßen Ausdruck moderner Architektur.

Dennoch übte der individuelle, emotionale Duktus dieser Formenwelt in diesen Jahren eine enorme Anziehungskraft auf Studenten und Absolventen aus Österreich und Deutschland aus, und so ist es nur auf den ersten Blick verwunderlich, unter den zahlreichen damaligen Mitarbeitern so bekannte Namen wie Ernst Giselbrecht, Andreas Lichtblau, Roger Riewe und Florian Riegler zu finden. Heute stehen diese für eine sich doch deutlich davon unterscheidende Architekturhaltung, wobei die Abkehr der Architekten Riegler und Riewe in ihrer Radikalität sogar ein reizvoller Gegenstand psychoanalytischer Betrachtung sein könnte. Die distanzierteren Beobachter des in beinahe drei Jahrzehnten entstandenen umfangreichen Oeuvres von Szyszkowitz+Kowalski hat der durch Wiederholung eines immer ähnlichen Formenrepertoires entstandene Formalismus in Freund und Feind geteilt. Einer kritischen Analyse unterzogen wird die Architektur von beiden Gruppen nicht. Während die einen - überwiegend die deutsche Fangemeinde, die etliche Bauten in Deutschland realisiert findet und die beiden Architekten von ihrer Lehrtätigkeit in Braunschweig und Stuttgart kennt - noch immer entzückt die Andersartigkeit, das Unkonventionelle, Individualität Suggerierende dieses architektonischen Ausdrucks loben, klassifizieren die anderen ihn mit einer einzigen kurzen Handbewegung ab. Die Haltung der letzteren scheint doppelt unzulässig. Zum einen ist sie nicht bereit, dieser Architektur ein Entwicklungs- und Veränderungspotential einzuräumen, zum anderen nicht, die Gründe jener zu hinterfragen, die diesen Bauten mit Wohlwollen gegenüberstehen oder sie mit großer Zufriedenheit nutzen.

Das von den Architekten im Herbst 2000 fertiggestellte Studienzentrum der Technischen Universität Graz auf den Inffeldgründen geht auf einen Wettbewerb vor mehr als zehn Jahren zurück, in dem die Jury mit den Architekten Feuerstein und Domenig die städtebauliche Konzeption des Projekts positiv bewertete. Den angrenzenden Solitärbauten einer Schule und mehrerer universitärer Einrichtungen setzen sie ein Bauwerk zur Seite, dessen zwei weit ausladende Arme einen geschützten Hof - und damit das Potential für ein kommunikatives Zentrum - bilden.

Der Außenraum als städtischer Platz war als Ergänzung des heterogenen Raumprogramms gedacht, das eine Mensa, eine Bibliothek, studentische Arbeitsräume, einen Turnsaal und einen Hörsaal vorsah. Zum Zeitpunkt des Wettbewerbs war dieser urban definierte Freiraum der einzige als Treffpunkt und Verweilplatz geeignete Ort des weitläufigen Areals. Die nach außen gerichteten Fassaden des annähernd hufeisenförmigen Baus geben sich überraschend schlicht, ohne wesentliche Vor- und Rücksprünge, leicht gekurvt und in den beiden oberen Geschoßen mit einer Bänderung aus Industriestegglas horizontal betont.

Die Innenhoffassaden unterscheiden sich von der weitgehend unprätentiösen Außenerscheinung wesentlich, und zwar in Proportion, Farbe und Material. Sie weichen nach dem Erdgeschoß in einer sich öffnenden Geste in eine schräge Dachfläche zurück, um aus dieser im dritten und vierten Geschoß als eine Art zweigeschoßiger Erker wieder hervorzutreten. Zwischen der beidseits vierteiligen Gliederung in Blechverkleidung wird mit einem alle Etagen durchziehenden Lichtschlitz die schräge Rasterung, die den ganzen Bau durchzieht, verdeutlicht.

Die Innenansicht, ganz in Dunkelorange, soll im Lauf der Zeit zusätzlich durch ein mit Glyzinien bewachsenes grünes Dach gefaßt werden. Die gerasterte Rankstruktur aus Stahlseilen ist allerdings in so großer Höhe installiert, daß fraglich scheint, ob damit der Effekt einer Laube erzielt werden kann.

Beim Studienzentrum von einem Bauwerk „wie aus einem Guß“ zu sprechen, wie dies in der Charakterisierung Szyszkowitz-Kowalskischer Arbeiten immer wieder geschieht, ist schon durch die unterschiedliche Behandlung der Fassaden nicht möglich, obwohl die Vermeidung allzu großer Kleinteiligkeit zum Ausdruck einer neuen Geschlossenheit beiträgt. Hier ist nicht mehr jede Gerade durch Knicken gebrochen, jeder Bauteil detailreich überformuliert, jeder Raum in einer amorph anklingenden Grundrißfiguration bis zur Penetranz überinterpretiert. Hier wird dem Nutzer Raum gelassen, Raum zur freien Entfaltung eigener Phantasie und zur Aneignung des Raums nach individuellen Vorstellungen. Mehr formale Strenge läßt - gar nicht paradoxerweise - mehr Freiheit. Formalismus tritt bedauerlicherweise dennoch auf, wenn etwa die vertikale Gliederung der Außenfassade durch übergeschoßhohe mattierte Glaselemente just in derselben Höhe und Breite durchsichtig belassen wird, wo daneben, im massiven Wandteil, bandartig Oberlichten eingesetzt sind. Oder auf der Schmalfront des Innenhofs, wo horizontale Fensterbänder mit U-förmig ums Eck geführten Scheinfenstern, die nur an der Außenwand in Erscheinung treten, zu einem dekorativen Element verkommen. Den zahlreichen Freunden dieser Architektur ist das vermutlich egal. Sie heben den unkonventionellen Gestus hervor, die phantasievolle Formenvielfalt, den abwechslungsreichen Einsatz von Materialien und Farbe.

Im Vertrauen auf die Substanz der tragenden Idee jedes Entwurfs möchte man den Architekten zurufen: Noch weniger! Less is more.

Spectrum, Sa., 2001.03.24



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Studienzentrum Inffeldgründe

01. März 2001Karin Tschavgova
newroom

Haus A.

Häuser am Hang zeigen dem Näherkommenden oft ihren Rücken, ihr Wesen erschließt sich erst im Inneren. Ein nur von unten möglicher Zugang wie bei Haus A....

Häuser am Hang zeigen dem Näherkommenden oft ihren Rücken, ihr Wesen erschließt sich erst im Inneren. Ein nur von unten möglicher Zugang wie bei Haus A....

Häuser am Hang zeigen dem Näherkommenden oft ihren Rücken, ihr Wesen erschließt sich erst im Inneren. Ein nur von unten möglicher Zugang wie bei Haus A. schafft andere Planungsvoraussetzungen. Zu einem Haus hinaufzugehen, es frontal von unten anzusteuern, heißt, es in seiner Bedeutung anzuheben, auch wenn Haus und Zugang sich zurückhaltend geben. Aus dem Gehen wird ein Schreiten, aus der Hangerschließung eine Inszenierung - naturgemäß und erst recht, wenn der Gast am oberen Absatz erwartet wird. So ist es auch nur folgerichtig, dass Hans Gangoly alle Bereiche des Wohnens und Schlafens in das Obergeschoß verlegt hat und das Eingangsgeschoß der Diele, dem Besucher-WC und einer Einliegerwohnung vorbehalten ist. Die Inszenierung „Zugehen, ablegen, eintreten“ wird in mehreren Akten und Ebenen gespielt, obwohl der Haushalt kein herrschaftlicher ist und das Haus selbst sich als kleine, kompakte Form in äußerster formaler Zurückhaltung und Klarheit zeigt. Das mit den Freiterrassen annähernd quadratisch umschriebene Hauptgeschoß teilt sich talseitig in einen weitgehend offenen Wohnteil mit partiell abgetrennter Küche und in den hangseitigen Trakt mit den privaten Räumen. Verbunden (oder getrennt?) sind beide Bereiche durch den Luftraum über der Diele, der die beiden Geschoße miteinander in Verbindung setzt und von oben zusätzlich belichtet. Die Trennung in eine Vorderseite und eine Rückseite des Hauses bleibt deutlich, auch, weil die gedeckten Umgänge vor den nordseitigen Schlafräumen nicht weitergeführt wurden. Der Bezug zum Garten scheint zweitrangig gewesen zu sein, denn das Wohngeschoß präsentiert sich mit seinen geschützten und offenen Freibereichen wie eine Terrassenwohnung, abgehoben vom umgebenden Terrain.

Haus A. ist eine sehr urbane Manifestation, nicht nur wegen der Modernität, der Kühle und Klarheit der gewählten Materialien. In seiner Form ist es selbstreferenziell, es verweist auf einen Menschen, der städtische Anonymität und Isoliertheit schätzt. So gesehen ist die lange Inszenierung des Zugangs vielleicht das sich Bewußtmachen von Nach-Hause-kommen, von Bei-sich-sein. (Erschienen in: Architektur & Bauforum 03/2001)

newroom, Do., 2001.03.01



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Haus A.

01. März 2001Karin Tschavgova
newroom

Haus Genser

Die Topografie des Südosthangs im grünen Stadtteil Waltendorf, auf dem Markus Pernthaler das Haus für eine Familie mit zwei Kindern und Hund gesetzt hat,...

Die Topografie des Südosthangs im grünen Stadtteil Waltendorf, auf dem Markus Pernthaler das Haus für eine Familie mit zwei Kindern und Hund gesetzt hat,...

Die Topografie des Südosthangs im grünen Stadtteil Waltendorf, auf dem Markus Pernthaler das Haus für eine Familie mit zwei Kindern und Hund gesetzt hat, ist gegliedert durch mehrere Kanten mit dazwischenliegenden Ebenen, die mit wenigen massigen Bäumen bestückt sind. Durch die Kreuzform, in der das Haus angelegt ist, entsteht ein Vorbereich, der vom übrigen Garten mit Schwimmbad völlig getrennt ist. Nach Westen, auf dieses den Zugang begleitende Grün hin, orientiert sich kein einziges Fenster. Das ist zumindest ungewöhnlich und verweist auf ein starkes Bedürfnis der Bewohner nach Privatheit und Uneinsehbarkeit, denn das Grundstück selbst groß und liegt eher versteckt abseits der Zufahrtsstraße, die gar nicht übermäßig frequentiert ist. Dem Besucher präsentiert sich das Haus hermetisch und geheimnisvoll. Das Nähertreten wird jedoch mit der eindeutigen Geste des „straighten“ Hinführens über einen Weg, den holzverschalten Rücken des Carports entlang, erleichtert. Man geht auf eine geschlossene Fassade aus großformatigen Betonplatten zu. Sie scheint über der Sockelzone mit innenliegender Tragkonstruktion und vorgeblendetem Industriestegglas zu schweben. Wenige grafisch gesetzte Lichtpunkte aus Glasbausteinen lockern ihre Schwere ein wenig. Das Prinzip „vom Tragen und Lasten“ wird auf den Kopf gestellt.

Im Kreuzungspunkt der beiden Achsen des Wohn- und des Schlafgeschoßes zentriert sich die Erschließung des Hauses - ein Windfang in Sozialwohnungsenge, ein Verteilungspodest, die Treppe ins Obergeschoß und breite Stufen, die integrierter Teil des langgestreckten, nach Süden ausgerichteten Wohn-/Essraums sind. Die davorgeschaltete Terrassenfläche ist räumlich wenig differenziert und vielleicht deshalb von den Bewohnern noch nicht in Besitz genommen. In diesem Haus sind die Funktionen fein säuberlich getrennt. Wer hier arbeitet, zieht sich zurück. Dies gilt für das häusliche Büro, den Wirtschaftsraum und die beiden Kinderzimmer, die - alle ostorientiert – in keiner Verbindung zum Wohnen stehen. Markus Pernthaler hat längere Zeit in Japan gelebt. Möglicherweise ist das Haus Genser Ergebnis und Ausdruck einer Erfahrung von räumlicher Enge und daraus resultierendem Fehlen von Rückzugsmöglichkeiten zur persönlichen Entfaltung.

newroom, Do., 2001.03.01



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Haus Genser

27. Januar 2001Karin Tschavgova
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Im Anfang war Tatendrang

Es gibt sie doch, die kleinen Wunder an Fortschrittlichkeit in Österreichs katholischer Kirche. In der Basilika Mariazell hat frischer Geist bauliche Adaptionen ermöglicht, die die geschichtsträchtige Wallfahrtskirche um eine würdige zeitgemäße Schicht bereichern.

Es gibt sie doch, die kleinen Wunder an Fortschrittlichkeit in Österreichs katholischer Kirche. In der Basilika Mariazell hat frischer Geist bauliche Adaptionen ermöglicht, die die geschichtsträchtige Wallfahrtskirche um eine würdige zeitgemäße Schicht bereichern.

Wer meint, Denkmalschutz bedeute ein Konservieren für immer und ewig, denkt zu kurz. Das Gefrieren eines Moments, der mehr oder weniger willkürlich einen Zeitpunkt in der Geschichte eines Objekts markiert - nämlich den, der es durch einen Beschluß des Konservators zu erhaltenswerter Bedeutung erhebt -, würde Stillstand bedeuten und Absterben.

Denkmalschutz muß ein dynamischer Prozeß sein, der in immer neuen Kapiteln fortgeschrieben wird. Er darf sich nicht damit begnügen, zu definieren, welche Zeitschichten aus der Vergangenheit schützenswert sind, sondern muß Veränderungen bewerten und zulassen. Solche Eingriffe sind Erfordernisse der Zeit mit sich wandelnden Ansprüchen, die es in allen Epochen an allen kunsthistorisch bedeutsamen Bauwerken gegeben hat. Der „reine Stil“ ist ein theoretisches Konstrukt.

Die Baugeschichte der Basilika von Mariazell gibt davon beredtes Zeugnis. Um den mittelalterlichen Kern mit der Gnadenkapelle und dem zentralen Gnadenbild entwickelt sich ein dreischiffiges gotisches Langhaus, das in einer ersten Phase der Barockisierung durch Seitenkapellen erweitert wird. Durch den Bau des Osttrakts mit dem prächtigen Kuppelraum und dem kühnen Hochaltar von Fischer von Erlach erfährt die Erneuerung einen unübertroffenen Höhepunkt. Der heute immer stärker werdende Zustrom von Pilgern aus ehemaligen Kronländern, für die Mariazell geistliches Zentrum geblieben ist, hat den Wunsch geboren, im Osttrakt wieder Messen zu feiern - gemäß dem nachkonziliaren Verständnis von Liturgie. Als erster Schritt sollte eine eigenständige Orgel für den Kuppelraum das unzureichende Orgelfernwerk ersetzen.

Zu diesem Zeitpunkt kam die gute Zusammenarbeit mit dem Grazer Architekten Wolfgang Feyferlik zum Tragen, der bis dahin auf Basis eines von ihm erarbeiteten Generalplans mit Umbauten am geistlichen Haus betraut war. Er leitete aus dem zu erwartenden räumlichen Volumen der neuen Orgel ein Konzept ab, das dem barocken Raum die neuen Funktionen einschreibt, ohne Proportionalität und Ornamentik zu beeinträchtigen oder sie zum verwischten Bestandteil desselben zu machen. Den schwierigen Spagat zwischen eigenständiger Behauptung und notwendiger Integration löste er durch die Entscheidung, alles Neue in Form und Material zwar deutlich ablesbar zu machen, die einzelnen raumbildenden Elemente wie die Orgel und den Volksaltar jedoch kompositorisch mit den sie umgebenden Bauteilen zu verweben. Die Orgel wird wie eine Plastik betrachtet, die sich in die Geometrie der Wandfläche mit Stuckrahmen, Gesimsen und Durchbrüchen einfügt.

Aus dem unterschiedlichen Zugang von Orgelbauer und gestaltgebendem Architekten wird ein Korpus, der die klassische Fünfgliedrigkeit der Pfeifen in asymmetrische Falten kleidet. So entsteht der Eindruck geringerer Tiefe und eine imaginäre Schräge, die zum Hochaltar weist. Das Altarpodest ist als klar abgesetzte zweite Ebene in monochromen großformatigen Steinplatten über den unschönen Fliesenboden aus der Ära der historisierenden Umbauten des 19. Jahrhunderts geschoben. Es reicht in den Kuppelraum hinein, um dem neuen Altar vor dem Presbyterium Raum zu geben. Dieser, ein vom bekannten deutschen Bildhauer Ulrich Rückriem ausgewählter Steinblock aus Anröchter Dolomit, ist nur minimal bearbeitet. Für den Ambo schichtet der Architekt zentimeterstarke Stahlplatten mit unscharfen Kanten übereinander. In seiner fast archaischen Schlichtheit stellt der neue Liturgiebereich ein Ganzes dar, das mit dem nun dahinterstehenden Hochaltar, einem Hauptwerk hochbarocker Altargestaltungen in Österreich, nicht konkurriert.

Im Rahmen der Gesamtrenovierung des Osttraktes hat ein kompetentes Team unter der Leitung der Restauratorin Erika Thümmel den Altar, der durch schwerwiegende Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte seiner Kraft und Theatralik beraubt war, behutsam wiederhergestellt. Auf der Basis archivalischer Quellen und alter Stiche wurden gravierende Eingriffe in das formale und inhaltliche Kon- zept zurückgenommen, sodaß der bewußte Gegensatz von irdischer Schwere und himmlischer Transzendenz, ein Charakteristikum im Werk Fischer von Erlachs, wieder hervortritt. Diese Arbeit ist Teil eines Konzepts, das nicht ängstlich auf dem Status quo verharrt und das zu Konservierende auch nicht nach seinem Marktwert beurteilt, sondern gleichermaßen achtsam wie eigenständig Bedeutung und Charakteristik jedes Gegenstands zur Geltung bringt. Besonders schön ist das in den beiden Turmaufgängen zu sehen, die nun die umfangreiche Samm- lung an Votivbildern und Votivgaben beherbergen. Mit einer „barocken Hängung“ - Bild an Bild an den riesigen Wänden - hebt die Restauratorin/Künstlerin diese einfachen Gegenstände in ihrer Bedeutung als rührendes Zeugnis von Frömmigkeit und Alltagskunst hervor.

Im Südturm selbst hat Wolfgang Feyferlik schon zuvor mit wenigen, sparsam gesetzten Elementen aus dem eindrucksvollen Raum eine intime Gebetsstätte gemacht, in der auch die Reliquien aufbewahrt werden. Ein Stahltragrost als neue lichtdurchlässige Ebene, eine formal überzeugende Stahltreppe, die von innen beleuchtete Wandscheibe aus mattiertem Glas, die sie begleitet, und minimalistische Geländer bilden ein stimmiges Ambiente, das mit der Geramb-Rose für vorbildliches Bauen ausgezeichnet worden ist.

Man hat den Eindruck, die Arbeit des Architekten kann sich schrittweise, ohne qualitätsmindernden zeitlichen Druck entwickeln, unter Wahrung von Autonomie und gegenseitigem Respekt. Ein „work in progress“, dessen Ende nicht absehbar ist. Und ein Glücksfall. Fazit? - Manchmal werden innerkirchliche Reformen unspektakulär vollzogen, getragen von Einzelkräften mit dem klugen Wissen, daß Beharren auf dem Ist-Zustand Stillstand und damit Entseelung bedeutet. Was im Superiat Mariazell seit einigen Jahren zugelassen wird, beseelt. Beste Voraussetzung dafür, daß die Kirche zum lebendigen Ort geistlicher und geistiger Auseinandersetzung wird.

Spectrum, Sa., 2001.01.27



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Orgel Basilika Mariazell

16. Dezember 2000Karin Tschavgova
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Was bleibt, was muß fallen?

Radikale Änderung oder minimale Intervention: Diese beiden Extreme markieren den Spielraum bei Umbauten. Geänderte Funktionen sind eine zusätzliche Herausforderung für den Architekten. Hans Gangoly hat in Graz einen Gewerbebau, Sepp Hohensinn in Weiz einen Industriebau in einen Wohnbau transformiert.

Radikale Änderung oder minimale Intervention: Diese beiden Extreme markieren den Spielraum bei Umbauten. Geänderte Funktionen sind eine zusätzliche Herausforderung für den Architekten. Hans Gangoly hat in Graz einen Gewerbebau, Sepp Hohensinn in Weiz einen Industriebau in einen Wohnbau transformiert.

Über Sinn oder Unsinn von Umnutzungen läßt sich trefflich streiten, zumindest in Hinsicht auf Funktionalität und räumliche Qualität des neu Installierten. Entschieden wird die Frage über den Faktor der Wirtschaftlichkeit –möchte man meinen. Mitnichten: Beweggründe für aufwendige Umbauten und Sanierungen sind mannigfaltig. Demjenigen, der in jahrelanger mühsamster Kleinarbeit eine Scheune oder Mühle zu Wohnraum umwandelt, ist es pure Liebhaberei, Freude am Einzigartigen, Unkonventionellen, für die er Widrigkeiten und unvorhersehbare Ereignisse in Kauf nimmt. Für eine bestimmte Schicht oft künstlerisch tätiger Städter ist es das Flair von Gewerbebauten mit ihrer vom Gebrauchswert abgeleiteten Kargheit, vor allem aber die Möglichkeit, viel Raum zu einem relativ niedrigen Preis zu erhalten. Dafür werden Nachteile wie unzureichende sanitäre Versorgung, geringe Wärmedämmung und schlechte Beheizbarkeit in Kauf genommen. Manch stolzer Loftbewohner wußte der winterlichen Not durch Rückzug in eilig gezimmerte Bretterverschläge – durch ein „Raum-im-Raum“-Prinzip also – abzuhelfen.

Gelegentlich scheint Prestigedenken die Sinnfrage zu ignorieren und die Frage der Wirtschaftlichkeit hintanzustellen. Oder kann sich jemand vorstellen, daß in das einmalige Industriedenkmal der Gasometer in Simmering, dessen Erhaltungswürdigkeit unumstritten ist, Wohnungen ohne wesentlich größeren, auch finanziellen Aufwand und ohne rigorose Einschränkung der Wohnqualität hineingebaut werden können?

In Graz wollte ein Unternehmer ein aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommerziell verwerten und hat es zu einem Wohnhaus mit 22 Wohnungen umgebaut. Für eine Geschäftsnutzung war weder die Lage der Immobilie noch deren Beschaffenheit geeignet, denn die Stadtmühle, die 1928 stillgelegt und seither als Lager genutzt worden war, ist mit Ausnahme der Gründerzeitfassade eine reine, über alle fünf Geschoße reichende Holzstützenkonstruktion. Sie wurde 1995 unter Denkmalschutz gestellt, um die Tragstruktur in ihrer architektonischen und handwerklichen Qualität zu erhalten. Diese Vorgabe, dann die enorme Gebäudetiefe von 27 Metern, Nord-Süd-Orientierung und die Lage knapp am Gehsteig forderte allerdings auch für den Einbau von Wohnungen enormen planerischen Einsatz, Phantasie und Fingerspitzengefühl.

Hans Gangoly, ein Burgenländer mit Bürositz in Graz, war der richtige Mann. Schon an einem viel beachteten Umbau eines Wirtschaftsgebäudes zu einem Wohnhaus und beim Einbau einer Galerie in ein kleines burgenländisches Bauernhaus hat er gezeigt, daß er das Maß an Bewahrung und Erneuerung sorgfältig auszuloten weiß.

Schnell war klar, daß Qualität und Eigenart des Gebäudes nur erhalten bleiben können, wenn Prämissen wie Offenheit und Freilassen die Forderung nach äußerster Nutzungsdichte ersetzen. In einem mehrjährigen Planungsprozeß konnte der Bauherr davon überzeugt werden, daß ein Teil des Volumens zum innen liegenden „Leerraum “in Form einer mehrgeschoßigen Halle für alle wird, die fehlende Balkone und private Freiräume ersetzt. Sie ist gleichermaßen Herzstück und Charakteristikum des Wohnbaus geworden, von dem aus die Wohnungen in den einzelnen Geschoßen über Stege erschlossen werden.

Durch das Freilegen des Stützenrasters und die Entfernung mehrerer Deckenträme wirkt sie leicht und luftig; hell wird sie durch das Öffnen des mächtigen Daches mittels großflächiger Verglasung. An der für Wohnungen ungünstigen Nordseite reicht die Halle bis zur Fassade, die an dieser Stelle entfernt und durch eine überwiegend offene Betontragstruktur ersetzt wurde. Sie wird so zum geschützten Innenhof mit Sicht zum Mühlgang, der unter dem Haus durchfließt.

Wie ein Gürtel legen sich die einzelnen Wohneinheiten um diesen großzügig dimensionierten Raum, der die tiefen Grundrisse zusätzlich belichtet. In Leichtbauweise, mit heller Holzverschalung und Zwischenwänden in Rigips sind sie in die dominante Tragstruktur eingeschoben und belassen die alten Deckenbalken und Rundstützen weitgehend unberührt. Die für Wohnbau außergewöhnliche Raumhöhe ermöglichte es, die Sanitäreinheiten als niedrigere Volumina in den Raum zu stellen und da durch die Holzkonstruktion noch stärker hervorzuheben.

Auf diese Weise entstand ein äußerst reizvolles Spannungsverhältnis zwischen Alt und Neu. Mit den neuen, innen vor der Wand geführten Schiebefenstern, die die undichten, ebenfalls denkmalgeschützten Fensterflügel ergänzen, setzt Gangoly diesen Dialog konsequent fort. Zugleich illustrieren jene sorgfältig detaillierten, selbstbewußt raumbildenden Elemente auf gelungene Weise, daß ein Eingriff in bestehende Substanz immer bedeutet, dem Vorgefundenen eine zeitgemäße Schicht hinzuzufügen. Denn letztlich ist es unehrlich und inkonsequent, durch Beschränkung auf Restaurieren alle Spuren der Erneuerung zu verwischen – eine Geschichtsklitterung.

Diese Frage stellte sich bei der Errichtung von Wohnungen im Areal des ehemaligen Ziegel- und Betonwerks Volpe in Weiz nicht. Eine städtebauliche Nutzungsstudie empfahl die Umnutzung der Industriebrache, die mittlerweile Teil eines vorstädtischen Wohngebiets ist, für Wohnzwecke im Geschoßwohnbau. Dabei sollten vorhandene Ressourcen wie das Freiland mit den Ziegelteichen einbezogen und aufgewertet werden. Die Substanz der Hallenstruktur aus den vierziger Jahren wurde als erhaltenswert eingestuft – vorerst. Die Lage der Industriebauten – zwei parallele Stahlskeletthallen in unterschiedlicher Länge, ergänzt durch einen annähernd quadratischen Massivbau und einen im rechten Winkel dazu situierten Kopfbau – ergab also die künftige städtebauliche Figuration des Wohnbaus, mit dessen Planung Sepp Hohensinn, ehemaliger Partner von Hubert Rieß, betraut wurde.

Eine umfassende Sanierung wurde angestrebt und auch beibehalten, nachdem sich über eine Kosten-Nutzen-Rechnung herausgestellt hatte, daß es sich nur lohnte, die Tragstruktur der langen Halle und ihr Dach, wenn auch mit Mehraufwand, zu erhalten. Die Baukörperstellung wurde übernommen. Entstanden ist ein dichtes, urban anmutendes Gefüge mit einer Wohngasse und einem platzartigem Siedlungszentrum, das die Nachteile von teils geminderter Besonnung und eingeschränkter Privatheit im Erdgeschoß in Kauf nimmt.

Gebaut wurde in Holzsystembauweise, einer industriellen Vorfertigung von Großtafelelementen. Gedämmt, vorinstalliert und mit Fenstern versehen, werden sie auf der Baustelle nur mehr montiert. Bei der Volpe in äußerst kurzer Gesamtbauzeit von zwölf Monaten inklusive Abbruch und Außengestaltung. Diese Bauart mit geringer Gesamtlast erlaubte, drei Geschoße ohne zusätzliche Fundierung auf die bestehende Betonplatte zu stellen – was für die Beibehaltung der bebauten Grundfläche spricht. Alte und neue Stahlrahmen tragendas Dach und sämtliche hinzugefügten Sekundärstrukturen aus Stahl wie Treppen, Laubengänge und Balkone. Die Geschoßwohnungen und Maisonetten sind als Zeile freistehend unter die Dachstruktur geschoben. Das frei überstehende Dach als „shelter“ wird zum Erinnerungsstück, gemeinsam mit dem weithin sichtbaren Schlot und der erhaltenen Giebelwand des Betriebsgebäudes mit dem Firmenzug.

Von der Substanz ist allerdings nichts geblieben. Das Neue ist ein herkömmlicher Wohnbau –mit sorgfältiger Materialauswahl und schönen Details –, der mit der Vorstellung von Wohnen in der Fabrik, das ja zugegebenermaßen ein städtisches Desiderat ist, nichts zu tun hat. Anders als bei der Sargfabrik in Wien-Penzing haben die räumlichen Vorgaben hier auch nicht dazu geführt, die Bauordnung und die Bestimmungen der Wohnbauförderung phantasievoller zu interpretieren. Die bekannt hohen Anforderungen der steirischen Wohnbauförderung übertrifft der Bau spielend mit dem im Vergleich zu einem Massivbau wesentlich höheren Wärmeschutz. Was die Nutzer, allesamt Mieter, freuen wird. Allerdings könnte er genauso gut auf der grünen Wiese stehen. Die räumliche Figuration der ehemaligen Ziegelei war in dem Fall keine zwingende Vorgabe, sondern bestenfalls eine Vorlage, die der Architekt als städtebauliches Entwurfsmotiv für brauchbar empfunden hat. Zumindest am neuerrichteten Punkthaus, das pro Geschoß je eine Wohnung in Nordost- und Nordwestlage enthält, wie die nachgebaute Vorlage aber keine Balkone, ist dies zu bezweifeln. Zwiespältig auch der nun entstandene Gassenraum, ein halböffentlicher Bereich, in den private Winzlingsvorgärten ragen, einengend abgeschirmt mit Gerätehütten. Konsequenterweise hätte die Erdgeschoßzone der zweiten Zeile frei von Wohnungen bleiben müssen.

An beiden Beispielen zeigt sich, daß die Frage nach dem Wieviel an Bewahren und Erneuern immer eine Gratwanderung ist, die nicht nur nach wirtschaftlichen Aspekten entschieden werden darf. Manchmal werden Einschränkungen nur als Pferdefuß gesehen und führen zu grotesken Auswüchsen, wenn ganze Häuser, deren Fassade erhalten bleiben muß, ausgehöhlt werden. Jede Beschränkung bietet jedoch auch Chancen, genormte Vorstellungen zu verlassen und gelungene Neuinterpretationen eines Themas zu finden – unübliche Wohnungszuschnitte oder Erschließungen etwa.

Daß dies geschätzt wird, zeigt der Umbau von Hans Gangoly. Zumindest in der Stadt gibt es eine Klientel für unkonventionelle Wohnformen: Für die 22 Wohnungen in der Stadtmühle gab es 140 Bewerbungen – ohne Werbeaufwand.

Spectrum, Sa., 2000.12.16

02. Dezember 2000Karin Tschavgova
Spectrum

„Mein Traumhaus ist kein Haus“

Einiges in der Formensprache des Architekten Eilfried Huth ließe sich aus den Visionen der Achtundsechziger ableiten und alles, was sein soziales Engagement - bis heute - betrifft. Zum 70. Geburtstag: eine Würdigung des Gründervaters von Mitbestimmungsmodellen im Wohnbau.

Einiges in der Formensprache des Architekten Eilfried Huth ließe sich aus den Visionen der Achtundsechziger ableiten und alles, was sein soziales Engagement - bis heute - betrifft. Zum 70. Geburtstag: eine Würdigung des Gründervaters von Mitbestimmungsmodellen im Wohnbau.

Im Garten des Lebens - zur Erinnerung: „In-A-Gadda-Da-Vida“ lautete der Phantasietitel eines Hits der Popgruppe Iron Butterfly aus dem Jahr 1968 - ist die Architektur nur eine der zu kultivierenden Pflanzen. In den späten sechziger Jahren wurde sie zur exotischen Blume im Nährboden soziokultureller und technischer Umbrüche, in ihrem Wildwuchs bestimmt von der Vision einer neuen Welt.

Eilfried Huth und Günther Domenig waren zu jener Zeit ein Team, das die steirische Architekturszene gründlich aufmischte. Eine klare Rollenverteilung ist in dieser kreativen Ehe nicht feststellbar, auch wenn Rezensenten den öffentlichkeitsscheueren Huth retrospektiv gerne zum Zweiten machen.

Erste gebaute Festlegungen in Sichtbeton wie die Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau standen zeitgleich neben visionären Ansätzen im Wohnbau. Geschult in unzähligen Diskussionen, weniger im Hörsaal als im legendären Café Schillerhof, schafften die „bad guys“ 1969 internationale Beachtung für ihre „Überbauung Ragnitz“ durch die Zuerkennung des Grand Prix d'Urbanisme et d'Architecture in Cannes. Man beachte: unter 800 Bewerbern und einer Jury, die sich wie das Who's who der damaligen Architekturkapazitäten liest: Louis Kahn, J. B. Bakema, Jean Prouvé, Bruno Zevi, Heikki Siren, Karl Schwanzer . . .

Ein realutopisches Projekt nennt Huth diese Megastadt aus einer Primärstruktur zur Versorgung und einschiebbaren Modulen als Variablen. Ein Gerüst der künstlichen Bauplätze, das in der detaillierten Durchplanung auch gleich seine Grenzen aufzeigte. Es war mit einer Nutzfläche von 30 Prozent nicht wirtschaftlich.

Dennoch dienten gerade Utopien wie diese oder das futuristisches Ambiente für die Trigonausstellung 1967 als Referenzen, die sie 1972 zur Olympiade nach München brachten, wo sie den Café-Pavillon in der Schwimmhalle und das Restaurant Nord bauen durften. Dieses Jahr markierte auch den Scheideweg des Duos. Während Domenig der Schubkraft der Grazer Emotionalität, mit der Friedrich Achleitner die Grazer Schule charakterisiert, 1975 in der Z-Bank Favoriten und ein Jahrzehnt später im Steinhaus höchsten Ausdruck verlieh, führte das Attentat auf die israelischen Sportler bei der Olympiade für Huth zu einem Infragestellen von Ästhetizismus und künstlerischer Selbstverwirklichung und in gebauter Konsequenz zu den Mitbestimmungs- und Beteiligungsprojekten im Wohnbau.

Abgeschlossen war die Arbeit an einem Symbol technischer Fortschrittsgläubigkeit, dem For- schungs- und Rechenzentrum in Leoben (1968 bis 1973), für das Huth, offiziell noch in Bürogemeinschaft, schon alleinverantwortlich zeichnete. Es ist ein prätentiöses strukturelles Objekt mit drei abgehängten kreuzförmigen Geschoßen und einer in Fertigteilen vorfabrizierten Stahlfassade, die viel über die zu der Zeit weit verbreitete Faszination der Architekten an Karosseriedesign verrät. Huth bezeichnet diesen Stahlbau, der 1975 mit dem Preis der Europäischen Stahlkonvention geehrt wurde, als sein Hauptwerk. Erstaunlich, wo wir den Architekten doch schon mit der
Erkennungsmarke Partizipation versehen haben.

Aber Huth entwirft - immer mittels freier Handzeichnung - ebensogern, wie er großflächige Tableaus malt. So bleibt auch bei den folgenden Arbeiten, besonders im Einfamilienhaus L. in Weinburg, ein starker Formwille ablesbar. Sogar in den Wohnmodellen Eschensiedlung in Deutschlandsberg und den Gerlitzgründen in Graz-Puntigam blinzelt im architektonischen Endprodukt der individuellen wie der gruppendynamischen Entscheidungsfindung das Gestische, Weiche, Orthogonalität Vermeidende durch - ganz dem Wesen des Architekten entsprechend.

Was aus der Teilfreigabe der formalen Entscheidung an Architektur entstand, ist ein Kompromiß, den manche als Alltagsästhetik bezeichnen. Für Huth ist es heute „das Bild einer durchschnittlichen Unkultur“, und er bemerkt selbstkritisch, daß die Mitbestimmung ein Wegbereiter für den Populismus war. Deren historisches Verdienst darin liegt, daß hier erstmals ein Planungsprozeß nicht hierarchisch gegliedert war und der Nutzer eine Stimme und Verantwortung bekam. Der Wert dieser Modelle muß nach anderen als ästhetischen Kriterien erfaßt werden: nach der Wohnzufriedenheit, dem hohen Identifikationsgrad, dem Entstehen von Gemeinschaft. Gerade die Reihenhaussiedlung Gerlitzgründe, ein sozialer Wohnbau der Stadt Graz, spiegelt den sozialen und politischen Aspekt in Huths Arbeit exemplarisch wider. Besucht der Architekt seine Siedlung heute, nach 20 Jahren, wird er dort wärmstens empfangen - eher eine Seltenheit.

Ein oberösterreichischer Forschungsauftrag, in den auch Huths Erfahrungen einflossen, trug den Titel: „Grenzen (!) und Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung im sozialen Wohnbau“. Und so ist auch die Wohnanlage Ragnitz III aus den Jahren 1986 bis 1992 als Abgesang dieser Entwicklung anzusehen. Mehr Vorgabe steht weniger Mitbestimmung gegenüber, die Grundrisse können den Bedürfnissen der Nutzer „nur mehr“ angepaßt werden. Der Weg wurde nicht
weitergeführt, das Kapitel Mitbestimmung geschlossen.

G ebaut hat Huth seither wenig. 1985 ist er an die Hochschule der Künste in Berlin berufen worden. Bei Eilfried Huth traf diese Ehre eine ihn charakterisierende Lust an Kommunikation im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung. Die Vermittlung von Architektur hatte er seit 1968 in „Unterrichtsversuchen zum Ästhetischen Lernen“ versucht. Bezeichnenderweise nennt Huth das Kapitel seiner ihm besonders wichtigen Lehrtätigkeit im Katalog, der zur Ausstellung anläßlich seines ursprünglich geplanten Abschieds von der Hochschule Berlin 1996 entstanden ist, „Vom Lehren und Lernen“.

A uch darin liegt die Qualität eines Architekten wie Huth: wach und offen zu bleiben, ohne Dünkel oder Abgeklärtheit; genau zu sein im Beobachten und im Denken; fähig, zu relativieren angesichts größerer Zusammenhänge, scharf und kompromißlos jedoch an der richtigen Stelle. In einer Zeit, in der der Wert von Architektur mehr denn je nach rein formal-ästhetischen Kriterien beurteilt wird und zur Elite erkorene Architekten-Jetsetter im globalen Dorf „Erste Welt“ von Politik und Wirtschaft hofiert werden, um ihre schnittigen Hochglanzprodukte als wirtschaftlichen Faktor zu verwerten, tut einer gut, der sagt: Achtung! Architektur verkommt zur Duftmarke für Investoren.

[ Im Grazer „Haus der Architektur“ (Engelgasse 3-5) ist von 4. Dezember bis 10. Jänner die Ausstellung „Prof. Arch. DI Eilfried Huth - ,Reflexionen über Fragmente meines Tuns'“ zu sehen (Montag bis Freitag 10 bis 19, Samstag 10 bis 13 Uhr). ]

Spectrum, Sa., 2000.12.02

09. September 2000Karin Tschavgova
Spectrum

Mit den Werkzeugen Raum

Vorspann

Vorspann

...folgt.

Spectrum, Sa., 2000.09.09

15. Januar 2000Karin Tschavgova
newroom

Architektur als Metapher für Weltbefindlichkeit – bewegt, fragmentarisch und instabil

In Klagenfurt hat der kalifornische Architekt Thom Mayne den Bau der Zentrale der Hypo Alpe-Adria Bank zu einem architektonischen Manifest verdichtet, das ein neues suburbanes Zentrum mit einem autonom zu bespielenden Veranstaltungsraum und städtisch gefassten Aussenräumen werden soll. Ob die Idee aufgeht, ist fraglich, zumal grosse Teile des Wettbewerbskonzepts nicht realisiert werden

In Klagenfurt hat der kalifornische Architekt Thom Mayne den Bau der Zentrale der Hypo Alpe-Adria Bank zu einem architektonischen Manifest verdichtet, das ein neues suburbanes Zentrum mit einem autonom zu bespielenden Veranstaltungsraum und städtisch gefassten Aussenräumen werden soll. Ob die Idee aufgeht, ist fraglich, zumal grosse Teile des Wettbewerbskonzepts nicht realisiert werden

Die Voraussetzungen für ein Gelingen von Architektur auf höchstem Niveau - für Baukunst - waren gut, um nicht zu sagen ideal. Aufgeschlossene Bauherrn, die Offenheit für das Neue, das Visionäre auf ihre Fahnen heften und mit einem Bauwerk ihre neue Stategie des Aufbruchs und des Expandierens – die Bank unterhält Filialen in Slowenien, Kroatien und Friaul – untermauern wollen und ein international renommierter Architekt, dessen Arbeit durch zahlreiche Preise ausgezeichnet worden ist. Dazu ein Bauplatz am ausgefransten Stadtrand, der in all seiner Heterogenität zwischen Gewerbebauten, vorstädtischen Siedlungen und landwirtschaftlicher Nutzung auch Freiraum lässt für konzeptuelle Würfe, die keine Einschränkung durch Vorschriften zu Traufenhöhe, Dachneigung, Bebauungsform und Denkmalschutz vertragen.

Es zeugt von Überzeugungskraft des Architekten und gelungener Vermittlungsarbeit des Vorstands, dass auch jetzt, nach der Realisierung des ungewöhnlichen Projekts Identifikation und Verständnis unter der Belegschaft hoch sind, trotz einiger gravierender Unzulänglichkeiten. Dabei ist das Entwurfskonzept des Architekten in seiner Komplexität alles andere als einfach zu erfassen.


Das Dach als artifizielle Landschaft

In Anlehnung an seinen Beitrag zum Wiener Expo Wettbewerb formte Tom Mayne beim Klagenfurter Projekt eine topographische Oberfläche, die die leicht wellige Agrarlandschaft der Umgebung fortsetzten soll. Sie deutet ein Kreissegment mit einem Durchmesser von einer Meile an. Gebäudevolumen wurden durch Einschneiden der künstlichen Landschaft wie mit einem Seziermesser aus dem flächigen Körper herausgeschält und durch Schlitze separiert, die im Modell an Ackerfurchen erinnern und in gebauter Wirklichkeit zu Schluchten wurden. Großflächige Ausschnitte als elliptisch gerahmte Negativkörper erzeugen im Wettbewerbsentwurf Weite. Lineare, schmale Baukörper führen Wege am Areal fort und bilden so Bezugsachsen zur Umgebung.

Konzediert man der heutigen Architektur, dass sie nicht zwangsläufig entschlüssel- und lesbar sein muß und gesteht man der Entwurfsmethodik zu, dass sie subjektiv, zufällig und willkürlich sein kann, so sollte sie doch in sich stimmig sein. Thom Maynes Entwurf wurde durch eine wesentliche Entscheidung der Konzernleitung, die nach der Juryentscheidung erfolgte, stark beschnitten. Man trennte sich, wegen des als zu groß prognostizierten Verwertungsrisikos, von der Hälfte des Grundstücks und errichtet nun (unter anderem) keine Wohnungen. Die Verflechtung von Wohnbau, Büros und kommerzieller Nutzung findet also nicht statt. Öffentliche Freiräume integrieren aber per se genausowenig die umgebende Wohnbebauung wie die in die Siedlungsstrassen ausgreifenden Arme der gekreuzten linearen Baukörper, die zudem deutlich amputiert wurden. Was an Landschaft bleibt, ist rudimentär, reduziert sich auf die Andeutung von weich geformten Gebäudeoberflächen im tiefangesetzten Dach des Mehrzwecksaals, der mit einem allgemein zugänglichen Café verbunden ist. Das mußte unter Terrain abgesenkt werden, was weder von außen noch von innen besonders einladend wirkt. Die Idee der übergreifenden Dachstruktur als Landschaft ist jetzt nicht ablesbar und wird auch nach Abschluß der zweiten und dritten Bauphase nicht schlüssig nachvollziehbar sein. Nun gut – Entwerfen ist ein Prozeß, das Konzept der künstlichen Landschaft war eben der Ausgangspunkt. Was bleibt?


Das Bauwerk als Skulptur

Das Gebäude der Konzernzentrale mit Bankfiliale am südlichen Rand des Areals betont seine städtebauliche Bedeutung am Kreuzungspunkt zweier Strassen durch Höhe, es ist fünfgeschossig, und Dichte. Einschnitte und Verschiebungen aus dem Erstentwurf erzeugen geknickte und schräg aufgeständerte, additiv angeordnete und miteinander verzahnte Bauteile, die ein skulpturales Ganzes ergeben. Fremd und irritierend ragt es an der östlichen Einfallsstrasse von Klagenfurt empor. Dynamisch durch die aufsteigende Schräge, fragmentarisch durch die Bruchlinien zwischen den einzelnen Trakten, gekrümmt, durchstossen und aus den Angeln gehoben evoziert das Gebilde die Kategorisierung „dekonstruktivistisch“. Der Architekt verwehrt sich allerdings dagegen und behauptete bei der persönlichen Führung anläßlich der feierlichen Eröffnung im September den Gebrauchswert sämtlicher Bauteile. Funktionell begründet wird auch das vertikale, weitgehend freistehende Wandelement - geknickter Insektenflügel - eine großteils mit Lochblech verkleidete Stahlstruktur, die in enger Nachbarschaft zur verglasten Stirnseite des langen Trakts an der Völkermarkter Strasse aufragt - als notwendig nutzloses Element (schelmisches Augenzwinkern konnte nicht bemerkt werden). Für mich ergab sich die Assoziation mit einer Felsspalte. Geheimnisvoller Eingang in die Welt des Monitarismus? Tatsächlich erfolgt der Zugang in den Verwaltungstrakt wie in die Bankfiliale für den zu Fuß Kommenden von dieser Seite. Auch hierbei scheint es um die Betonung des Skulpturalen zu gehen; die Einkerbung als präziser bildhauerischer Akt, der spannenden Ausblick verspricht.

Wesentlicher Bestandteil der Bauskulptur ist ihre Umhüllung. Unstrukturierte Metallverkleidungen und vorwiegend Lochbleche in gleichbleibenden Modulgrössen überziehen das gesamte Bauwerk in Abstand zur Klimahülle. Sie bilden eine Haut, die sich weich über Kanten schmiegen soll und über Dachhöhe den Eindruck eines sich in den Himmel auflösenden Körpers vermittelt. Das Lochblech als sinnliche Komponente entspricht somit feministischen Theorien von Architektur, die anstelle der geradlinigen, kantigen und kühlen Moderne die Zeit für Gekurvtes, Weiches gekommen sehen (im Amerikanischen gibt es dafür das phonetisch treffende Wort „smooth“). Die tektonische Hülle kann also viel – mit Abstand besehen: sie wirkt massiv, wo sie auf die geschlossene Wand trifft, durchscheinend vor Fensteröffnungen und transparent, wo sie über Dach gezogen wird. Sie verändert ihr Aussehen nach der Tages- und Jahreszeit. Tritt man ihr zu nahe, etwa bei den Übergängen von vertikal zu horizontal, zeigt sich im Detail das unzulängliche Bemühen um geschmeidige Kurven. Metall ist letztlich doch eine spröde Haut.


Die Architektur als Dienstleister

Nun ist die vollkommenste Bauskulptur in der Regel nicht zweckfrei, sondern muß bestimmte Anforderungen an Funktionalität erfüllen. Thom Mayne postuliert „function follows form“ und begründet schlüssig, dass sich die Funktionen stetig ändern und Anforderungen kein feststehendes Etwas sind. Sein Interesse liegt nicht in unmittelbarer Funktionserfüllung, vielmehr sieht er sein architektonisches Operationsfeld durch Termini wie Veränderung, Widersprüchlichkeit, Konflikt und Dynamik geprägt, die für ihn kennzeichnend für die gleichermaßen komplexen wie fragmentarischen Strukturen der Gesellschaft im ausgehenden 20.Jahrhundert sind. Und er scheint an unorthodoxen Räumen interessiert, die diese Dissonanz ausdrücken. Die Schalterhalle im Kundencenter spiegelt dies wider. Den erweiterten technischen Möglichkeiten unserer vernetzten Welt entsprechend könnte sie auf die Grösse eines Computerterminals reduziert sein. Die Architektur reagiert darauf, indem sie die Schalterhalle reduziert auf einen minimalen Servicebereich und die Schalter mit einer irritierend niedrigen Decke versieht. In den Bürobereichen allerdings bleibt der Architekt in einem erschreckenden Maß in hierarchischen Strukturen stecken. Das oberste Geschoß, die Vorstandsetage erweist sich, zumindest in den nach Süden orientierten Räumen als Bel Etage mit hohen, von allen Seiten durchsonnten Räumen. Die nach Norden gerichteten Büros aller Geschoße sind unterbelichtet und müssen tagsüber immer Kunstlicht zuschalten, weil sie einer rigiden formalen Entwurfsidee unterworfen sind. Ihre Fenster, liegende Elemente in der gleichen Form und Grösse wie die im Abstand davorgesetzten Klappen in der durchgehenden Lochblechhülle sind, ganz banal, einfach zu klein. Der Ausgewogenheit der Fassade und der Rythmik ihrer Öffnungen hätte es sicher nicht geschadet, wenn die hinter den Klappen liegenden Fensteröffnungen größer ausgefallen wären.

Im ersten Obergeschoß, wo sich der leicht geschwungene Körper vor den langen einhüftigen Trakt schiebt, ist sie Situation wirklich trist. Hier wird der geringe Abstand zwischen den additiv geschichteten Baukörpern zur Schlucht – mit dementsprechend schlechter Belichtung. Allerdings: dort, wo kein Bauteil den langen Trakt verstellt, reduziert sich dieser durch einen großzügigen Fassadeneinschnitt auf einen Gang – lichtdurchflutet im Übermaß. Ärgerlich ist, wenn ein Teil der Mitarbeiter im Großraumbüro im Dunkeln sitzen muß, der Klarheit der geschlossenen Fassade zuliebe. Kleinigkeiten? Mitnichten. Erachtet man Bedürfnisse nach Licht und Luft, nach einem menschengerechten Arbeitsplatz als zweitrangig, so gelangt man rasch in die Nähe von feudaler Herrschaftsarchitektur, die Repräsentationsräume anlegt und das Gros der Mitarbeiter in engen, dunklen Kontoren arbeiten läßt. An diesem Eindruck ändert weder eine progressiv dynamische Fassade noch die bedeutungsschwere Beteuerung der Bauherren aus der Festschrift zur Eröffnung: Funktionalität als Disziplin. Dem Benutzer unterworfen. Die Verantwortlichen der Bank haben die Fehler erkannt und sind bemüht, Lösungen zur Schadensbegrenzung zu finden.

Letztlich bleiben architektonische Parameter, die dem Menschen Würde geben und ihn in seiner persönlichen Entfaltungsmöglichkeit unterstützen, auch in Zeiten von Paradigmenwechsel, Entwicklung der Chaos Theorie und dem Verschwinden verbindlicher Normen gültig.

So wie sich das Bild der Architektur ändert, muß sich aber auch die Wahrnehmung von Architektur ändern, das „gewohnte Bild“ ersetzt werden. Mit der außergewöhnlichen Raumhülle für die Hypo-Zentrale ist Thom Mayne ein irritierendes Bild gelungen, das staunen macht und die Auseinandersetzung mit dem Thema provoziert. Zur Nachahmung ist diese Architektur nicht geeignet. Vielleicht genügt, wenn zu vermitteln gelingt, was der Architekt beispielhaft zu seiner These, dass Architektur immer didaktisch sein muß, erklärt. Die Fähigkeit und Potenz gebauter Architektur, „zu lehren, wie die Sonne auf ein Gebäude trifft.“

newroom, Sa., 2000.01.15



verknüpfte Bauwerke
Hypobank Klagenfurt

01. Mai 1999Karin Tschavgova
newroom

Benediktiner Abtei

Seckau ist ein schönes Fleckchen Erde. Gerahmt von den Seckauer Alpen, um-geben von satten Wiesen und dominiert von der mächtigen Benediktinerabtei ist der Ort allemal einen Besuch wert. Zur Zeit sind die Tore des Stifts weit geöffnet. Sie geben in einer sehenswerten, von Volker Giencke gestalteten Ausstellung Einblick in „Die Welt der Mönche“, zeigen aber auch seinen sensiblen Umgang mit alter Bausubstanz in den Um- und Zubauten zum Abteigymnasium.

Seckau ist ein schönes Fleckchen Erde. Gerahmt von den Seckauer Alpen, um-geben von satten Wiesen und dominiert von der mächtigen Benediktinerabtei ist der Ort allemal einen Besuch wert. Zur Zeit sind die Tore des Stifts weit geöffnet. Sie geben in einer sehenswerten, von Volker Giencke gestalteten Ausstellung Einblick in „Die Welt der Mönche“, zeigen aber auch seinen sensiblen Umgang mit alter Bausubstanz in den Um- und Zubauten zum Abteigymnasium.

Die Gründung des Stifts geht auf 1140 zurück. Von 1280, nach dem Wiederauf-bau der durch Brandstiftung zerstörten Basilika, bis zu der von Josef II. verordne-ten Auflösung im Jahr 1782 war das Augustinerchorherrenstift Sitz der Diözese. Die ursprünglich romanische, gotisch überarbeitete Anlage wurde in der Renais-sance erweitert und erhielt in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts ihr heutiges Aussehen. Nach einer 100-jährigen Periode des Verfalls erfolgte 1883 die Neu-gründung des Klosters durch Benediktinermönche, die aus Deutschland geflohen waren. Sie führen die Abtei mit einer fünfjährigen Zwangsunterbrechung während des Nazi-Regimes bis heute. 1926 installierten sie im Kloster ein Gymnasium. Vor mehr als zehn Jahren entschloss man sich, angeregt durch einen Tiefststand an Schülern, die Schule attraktiver zu gestalten. Man öffnete sie für Mädchen, bot eineTagesheimbetreuung an und die Möglichkeit, zusätzlich ein Handwerk zu er-lernen. Der Erfolg blieb nicht aus. Mittlerweile folgen jährlich mehr Interessenten als aufgenommen werden können dem guten Ruf der Schule.

Rund 270 Schüler und der ruinöse Zustand des Nordtrakts machten die Sanie-rung und Erweiterung des Schulbereichs in einem Umfang notwendig, der die fi-nanziellen Möglichkeiten der Bauherrn überstieg. Eine herausragende architekto-nische Lösung - „wir haben das beste 11.Jahrhundert, das schönste 14.Jahrhundert, die beste Barockarchitektur hier, also müssen wir auch die beste zeitgenössische Architektur anstreben“ (Pater Albert) - stand außer Zweifel. Bund und Land unterstützten das Vorhaben mit je einem Drittel der Baukosten unter der Bedingung, einen Wettbewerb abzuhalten.

Volker Giencke gewann mit einem Konzept, das sich im Gegensatz zu anderen im Wesentlichen auf den Ausbau des Bestands konzentrierte. Er begann mit klei-nen Eingriffen in den Klassenräumen des Westflügels. Decken wurden verstärkt, Garderoben eingebaut, neue Beleuchtungskörper in Zusammenarbeit mit dem Lichtdesigner Bartenbach installiert, Möbel für den Bau in der hauseigenen Tischlerei entworfen. Alle diese Maßnahmen vermeiden das Spektakuläre, sie zeigen Respekt vor dem Vorhandenen und treten dennoch eigenständig als Neu-es hervor.

Massiver sind dagegen die Eingriffe am Nordflügel, auch wenn sie an der Fas-sade zum Arkadenhof nicht in Erscheinung treten. Giencke hat die desolate Dachkonstruktion entfernt, die Böden durch Einziehen einer zweiten Decke entla-stet und darauf ein neues Dach gesetzt. Es beherbergt einen Zeichensaal, der über ein durchgehendes Glasband von Norden belichtet wird und einen atembe-raubenden Ausblick auf die bergige Landschaft bietet neben drei Musikproberäu-men, die mit rauhen, schallschluckenden Betonsteinen isoliert sind. Sparrenunter-sichten bleiben - ungewöhnlich heimelig für Giencke - sichtbar und sprechen mit der einfachen Verglasung zum darunterliegenden Korridor und der roh belasse-nen Ortbetonuntersicht der Decken eine unprätentiöse Sprache. Spielerischer die Lösung zur Verbesserung der Lichtverhältnisse im Physik-/Chemiesaal. Da der Denkmalschutz eine Vergrößerung der Fensteröffnungen nicht ermöglichte wurde eine zweischalige gläserne Trennwand zum Gang errichtet; ihr Zwischenraum enthält ein an Stehleitern erinnerndes Regalsystem, das historisch wertvolle wis-senschaftliche Geräte aus dem Fundus zeigt. Die Reihe der alten Portale mit ihrer wertvollen Steineinfassung stellt der Architekt wieder her, indem er sie bündig in die Glaswand setzt. Daß diese fast manieriert anmutende Geste äußerst stimmig wirkt, zeugt nicht vom Mut Gienckes. Sie beweist seinen unverkrampften, inter-pretativen Zugang zu historischer Substanz, vor der er nicht in Ehrfurcht erstarrt, deren Qualitäten er aber hervorzuheben weiß. Sie zeigt Gienckes Wissen um die Strahlkraft von Materialien und sie läßt seine enorme Vorstellungskraft erahnen, die modernsten Hightech mit geschichtsträchtigen Elementen verbinden kann.

Auf unterschiedliche strukturelle Anforderungen antwortet der Architekt mit pass-genauen Lösungen - den intakten Dachstuhl am Nordostflügel beläßt er und ver-steift die Balken, an denen durch Einfügen einer Galerie stärkere Biegemomente auftreten, mit Stahlplatten. Alle additiven Tragelemente sind in weiß und wirken leicht und freundlich. Am nordöstlichen Ende des Trakts, dort, wo große Teile der Klosteranlage verfallen waren, weil man sie nach Einführung der Dachflächen-steuer abgedeckt hatte, zeigt sich sein Interesse an ungewöhnlichen konstruktiven Lösungen. Er fügt an einen Wandrücksprung der Ecke eine zusätzliche Erschlie-ßung aller Ebenen des Gymnasiums an und haust sie mit einer abgehängten Glasfassade ein. Ihre Aufhängung muß auch das Dach tragen, hat aber kein Eck-auflager. Eine Stütze über drei Geschoße wäre ihm wohl zu massiv gewesen und hätte die Deutlichkeit des Abbruchs gemindert, also überträgt er die Lasten der auskragenden Ecke über einen pyramidalen Bock aus massigen I-Trägern auf das Mauerwerk. Die daraus entstehende Raumwirkung unter Dach ist äußerst pla-stisch, wirkt jedoch auch sehr aufwendig.

Ganz in seinem Element ist Giencke beim Entwurf des neuen Turnsaals, der halb in die Erde gesenkt ist. Mit der selbstbewußten Haltung eines Solitärs, an keine stilistischen Vorgaben gebunden, wächst er an der Nordfassade aus einem bestehenden Nebengebäude, greift aus in die ländliche Umgebung. Daß er diese nicht verdrängt - im Gegenteil, die Wiesen scheinen durch ihn durchzufließen - liegt an Gienckes Lust und Können, Material und Konstruktion ganz auszureizen. Er entwickelt eine vorgehängte, an den Ecken abgerundete und horizontal geglie-derte Nurglasfassade als weiche Membran, die den auftretenden Windkräften nachgeben kann und sie dämpft. Drückt man gegen sie, gerät sie in sanften Wel-lenbewegungen ins Schwingen. Sie weckt Assoziationen an jene filigranen wind-schlüpfrigen Verglasungen der Dreißigerjahre, an Transparenz und Leichtigkeit, die in italienischen Ferienheimen an der Adria genauso zu finden war wie in der Freiluftschule des holländischen Architekten Duiker in Amsterdam, den Giencke außerordentlich schätzt. Die Umkleiden und Sanitärräume, die unter den ausge-höhlten Schuppen (der zur Jugendherberge ausgebaut werden soll) geschoben sind und das extensiv begrünte Flachdach des Turnsaals - es wirkt von oben ge-sehen wie unter der Traufe des Satteldachs hervorgerollt - provozieren fast vor-dergründig die Metapher vom Neuen, das aus Altem wächst.

An der sensiblen Aufgabe der Neugestaltung des großen Klosterhofs, der mit seinen eindrucksvollen Renaissancefassaden und den nach einem Einsturz neu aufgebauten neoromanischen Türmen der Basilika an einen allseits umschlosse-nen italienischen Campo erinnert, wird Gienckes Handschrift am deutlichsten er-kennbar. Er findet ein ebenes, auf das Eingangsniveau bezogenes Areal vor, das den Kirchenvorplatz zu einem knappen Einschnitt werden läßt, erreichbar über enge Stufen. Und er formt daraus eine begrünte städtische Landschaft, ein sanft geneigtes Terrain, das einen ebenen Festplatz enthält und durchzogen ist von gekurvten Wegen, die verschiedene Hauptrichtungen aufnehmen - temporär auch den roten Holzsteg zur Ausstellung. Der Zugang zur Basilika wird hervorgehoben durch eine großzügige amphitheatralisch angelegte Treppe mit Sitzstufen, die das Portal zum Bühnenprospekt werden läßt (Jeder am Land Aufgewachsene weiß, wie strategisch wichtig ein guter Überblick über die Kirchenpforte ist). Andere wä-ren dazu verleitet gewesen, der strengen, durch Symmetrie und Orthogonalität bestimmten Form des Innenhofs mit Rigidität und Raster zu antworten. Nicht so Giencke! In seiner Lösung spiegeln sich Einflüsse von Merete Mattern, der deut-schen Landschaftsplanerin, mit der Giencke nach dem Studienabschluß arbeitete. Sie entwickelte die Arbeit ihres Vaters Hermann Mattern, der mit Scharoun arbei-tete, weiter im Sinne einer freien Planung, in der Begriffe wie Beweglichkeit, Flexi-bilität und Asymmetrie wesentlich waren. Giencke scheint das Gelände im Arka-denhof gleichsam händisch zu formen - die Landschaft wird zum modellierten Körper.

In Seckau hat Giencke wieder bewiesen, daß man ihn nicht als Modernisten ab-stempeln kann. Wohl liegt sein besonderes Interesse an der Klarheit strenger Geometrie, an der Konstruktion und ihrer Verfeinerung und Präzisierung und an Materialien (und deren Ausreizung), die heutig sind und somit dem Fortschritts-streben entsprechen. Dennoch pendelt seine Arbeit immer zwischen einfacher orthogonaler Form im Corbusier’schen Sinn (siehe Wohnbau Carl-Spitzweg in Graz St.Peter) und plastisch betonter Form (Kirche in Aigen im Ennstal und Cho-ralraum in der Ausstellung „Die Welt der Mönche“, Seite 145 - 148) hin und her. Mit diesem geglückten Bauvorhaben über Jahre widerlegt er auch seinen Ruf als „angry young man“ der steirischen Architekturszene, der kompromißlos, ohne Rücksicht auf Verluste seine Ideen durchzieht.

Giencke versteht es, seinen Eingriffen in alte Substanz eine eigenständig sich behauptende Handschrift zu geben und er scheint dabei immer dem Suchen und Forschen nach einer zeitgemäßen Architektursprache verpflichtet. Den Dialog mit dem Vorhandenen nimmt er in einer ungezwungenen erfrischenden Weise auf, die nicht respektlos ist und dennoch unerwartete räumliche Wirkungen erzeugt. Auf diese Weise fügt er der 860-jährigen Baugeschichte der Abtei eine Schicht hinzu, die würdig ist, in die Annalen von Seckau einzugehen.

Temporäre Wunder
Auch die Gestaltung der überaus gut besuchten Ausstellung „Die Welt der Mön-che“ (geöffnet täglich von 10 bis 17Uhr bis 26.Oktober) wurde Volker Giencke übertragen. Erstmals öffnen die Mönche ihr Refugium und erlauben einen Einblick in ihr klösterliches Leben. Was sie uns näher bringen wollen, das geistlich-spirituell geprägte Leben in der Gemeinschaft und die ökonomische Ausrichtung ihres Betriebs - ora et labora ist der Wahlspruch des heiligen Benedikt - zeigen sie in Räumen, die auch ohne jegliche Gestaltung Kraftorte wären. Die Ausstel-lungsarchitektur ist daher im Wesentlichen sehr zurückhaltend, sie läßt die ge-wölbten Räume zur Geltung kommen und erfüllt mit wenigen, sparsamen Eingrif-fen ihren dienenden Charakter. Einfache holzbeplankte rote Rampen und Stufen-podeste unterstreichen die Wegeführung und machen die Ausstellung behinder-tengerecht, ein Leitsystem in Form von gläsernen Stelen erklärt Inhalt und Be-deutung der Schauräume und rahmenlose Glasvitrinen auf zarten roten Holzsok-keln finden überall dort Verwendung, wo wertvolle Exponate geschützt werden müssen. So weit, so gut.

Der Besucher folgt dem Plan, hält kontemplative Rast im wunderschönen Kreuz-gang, umgeben von Vogelgezirpe, und erfährt in Raum 9 „Ora-bete!“, daß das Chorgebet in Seckau wesentlich vom Gregorianischen Choral geprägt ist. Er geht einige Schritte durch einen schmalen rot beplankten Gang - irritiert und neugierig zugleich - und erlebt hautnah die archaische Kraft Gregorianischer Gesänge in einem Raum, der ihn augenblicklich in Bann zieht. Die komplexe Geometrie des asymmetrischen Choralraums, den Giencke um weniger als 200.000 Schilling in den dritten Innenhof gesetzt hat, ist schwer zu erfassen. Und das ist auch gar nicht notwendig, wesentlich ist die Wirkung des Raumes. Durch die horizontalen Fugen der roten Holzbeplankung in ihren vielfach geknickten Flächen strömt ein fernes warmgelbes Licht ein, bringt den Raum mit den in der Decke verborgenen Lautsprechern zum Klingen. An dieser meisterlichen Raumplastik zeigt Giencke, was er von seinem großen Vorbild Scharoun gelernt hat. Wie bei diesem gibt es bei Giencke zuerst die Vision einer Raumwirkung, die dann umgesetzt werden will, steht Wollen und Sehnsucht nach einem Raum, „in dem Überraschung pas-siert“ (Zitat Giencke) am Anfang. Bakema hat in Bezug auf Scharouns Berliner Philharmonie vom Wunder des totalen Raums, in dem alles entsteht und wird, gesprochen. Giencke ist in Seckau, an diesem Ort mit besonderem Geist, dem Wunder sehr nahe gekommen.

newroom, Sa., 1999.05.01



verknüpfte Bauwerke
Benediktiner Abtei

01. Mai 1999Karin Tschavgova
newroom

5 - 7 - 5 Ein Haus wie ein Haiku

Im Wintermondlicht
Dort zwischen kahlen Bäumen
Drei Schäfte Bambus.
Buson (1715 - 83)

An einer engen, steil abfallenden Sackgasse in einem beliebten Wohnviertel...

Im Wintermondlicht
Dort zwischen kahlen Bäumen
Drei Schäfte Bambus.
Buson (1715 - 83)

An einer engen, steil abfallenden Sackgasse in einem beliebten Wohnviertel...

Im Wintermondlicht
Dort zwischen kahlen Bäumen
Drei Schäfte Bambus.
Buson (1715 - 83)

An einer engen, steil abfallenden Sackgasse in einem beliebten Wohnviertel über Graz liegt ein Einfamilienhaus, dessen straßenseitige Einfriedung durch die dem Vorbeigehenden zugewandte Fassade fortgeführt wird. Das rauhe Sichtbetonrechteck mit zwei sparsamen Öffnungen - sperriger Eintritt durch eine schwer wirkende Eisentüre die Eine und ein schmaler Glasschlitz, der die Tiefe des 28 Meter langen Gebäudes erahnen läßt - spricht eine klare Sprache: Privatheit erwünscht.

Heinz Wondra hat das Haus entworfen und schlüsselfertig umgesetzt. Wer den Architekten heute noch ausschließlich mit der Bewegung der Postmoderne in den 80er-Jahren und mit der von Lampugnani initiierten Wohnbebauung am Salzburger Forellenweg (mit Aldo Rossi, Ungers und Rob Krier) in Verbindung bringt, muß diese Einordnung spätestens mit der nun vorliegenden Arbeit revidieren. Vor rund zehn Jahren hat Wondra den Umbau und die Erweiterung einer Gründerzeitvilla in der Entwurfsmethodik der Collage gelöst, hat unterschiedliche geometrische Körper wie Bausteine geschichtet und arrangiert (Haus Fuchs) und üppig in den Farbtopf gegriffen. Diesmal hat er den Wunsch der Auftraggeber nach einem modernen, offenen und transparenten Haus ohne unnötigen Aufwand in der Programmatik eines „Anspruchs auf hohe architektonische Qualität, dem Bekenntnis zur Einschränkung des formalen Aufwands und zu konstruktiver Angemessenheit in der Auswahl der Materialien“ beantwortet.

Der langgestreckte, schmale Baukörper in der Falllinie des Hangs spiegelt aber auch die geradlinige, lakonische Art seiner Bewohner, die dem Architekten ein eher unübliches Maß an Vertrauen entgegenbrachten. Nach der grundsätzlichen Zustimmung zum Entwurf, der als Modell im Handgepäck des Flugzeugs in ihren damaligen Wohnort Frankfurt gebracht wurde, hatten sie die Baustelle nur einmal besucht, um sich vom zugesagten Übersiedlungstermin zu überzeugen. Auf Wunsch der Bauherrn liegen alle Wohnräume und Gästezimmer auf einer Ebene, mit Ausnahme des Kinderzimmers. Vom Eingang im Osten aus überblickt man das Geschoß in seiner ganzen Längsausdehnung und glaubt, in einem Ein-Raum-Haus zu sein, weil die Abtrennung der Schlafräume durch Möbelwände erfolgt, die nicht raumhoch sind. Die Grenze zwischen innen und außen ist kaum auszumachen; erst das dichte Geäst der Bäume - grafischer Hintergrund - deutet den Abschluß des im Westen vorgelagerten Balkons an. Die nördliche Längswand ist hermetisch geschlossen und gibt doch ein sehr bewegtes Bild - ein Spiel von Sonnenlicht und Schatten auf der verleimten Mehrschichtplatte, die über dem Sichtbetonsockel die fertige Oberfläche bildet. Licht kommt von Oben durch ein Glasband im Dach, das den Abgang ins untere Geschoß begleitet und von Süden über raumhohe Türelemente im Rasterabstand. Sie führen auf einen Umgang, der allen Räumen an der Südseite vorgelagert ist. Er ist in mehrfacher Weise schüt-zende Schicht. Die simple Stahlkonstruktion mit Lärchenbohlen kann durch abwechselnd feststehende und verschiebbare Einfachscheiben, die bis unter die Kante des Dachvorsprungs reichen, geschlossen werden. Sie wird zum Klimapuffer, zum Energielieferer und Schutz vor Wärmeverlust (die Steuerung der Wärmezufuhr durch gezieltes öffnen und schließen übernehmen die Bewohner). Zudem wirkt der Klimapuffer als psychologische Trennschicht zum Nachbarn und zur Straße. Vorhänge gibt es nicht.

In der Materialwahl beschränkt sich Wondra im Wesentlichen auf Beton, Holz und Glas. Beton für die Fundamentplatte, die als dichte Wanne in einer ab-getreppten Sichtbetonwand über Terrain gezogen wird, für die Massivdecke über dem Untergeschoß und die sie tragenden Säulen. Holz wird als konstruktiver Bauteil verwendet in Form eines Dreigelenksrahmens für Dach und Nordwand im Verbund mit vorgefertigten Großtafeln, die auf der Baustelle nur mehr montiert wurden. Für den Boden hat der Architekt durchgehend Industrieparkett vorgeschlagen. Unverkleidet, nicht versiegelt und ohne Zierfunktion tritt Holz als moderner Werkstoff in industrieller Fertigung auf. Daß ein äußerst „warmes“ Ambiente entsteht, die Materialien hell, lebendig und gar nicht „arm“ wirken und ein angenehmes Raumklima erzeugen, liegt einerseits an ihrer sorgfältigen Auswahl und Kombination, auch an der Beschränkung auf wenige, andererseits auch an Wondras Fähigkeit, Materialien ins rechte Licht zu stellen und die ihnen innewohnenden Eigenschaften hervorzuheben.

Entstanden ist ein Haus ohne aufwändige Details, bei dem dennoch nichts dem Zufall überlassen wurde. Wondra bezeichnet es als seine bisher reifste Arbeit. Es ist der vorläufige Endpunkt einer linearen Entwicklung hin zu mehr Stringenz und Reduktion, die bei ihm weder Attitude noch radikales Konzept zur Minimierung der Kosten ist. Es scheint, als sei sie ihm programmatische Herausforderung, herauszufinden, wieweit er bei Aufrechterhaltung seines hohen ästhetischen Anspruchs gehen kann. Wondra ist ein Ästhet, aber kein Formalist. Hätte er sonst in der Straßenfassade, die in ihrer strengen Orthogonalität und sparsamen Gliederung an eine minimalistische Komposition von John Cage erinnert, den vertikalen Schlitz am oberen Ende schräg abgeschnitten?

[Erschienen in: Architektur & Bauforum 5/1999]

newroom, Sa., 1999.05.01



verknüpfte Bauwerke
Solarhaus Schantl

01. Juli 1998Karin Tschavgova
newroom

Von der Inszenierung des Elementaren

Was immer der Wahllondoner Claudio Silvestrin plant und realisiert; es strahlt eine würdevolle, fast feierliche Ruhe aus. So auch das Restaurant Johan in Graz, eine Arbeit, mit der der Architekt das zweite Mal in dieser Stadt in Erscheinung tritt.

Was immer der Wahllondoner Claudio Silvestrin plant und realisiert; es strahlt eine würdevolle, fast feierliche Ruhe aus. So auch das Restaurant Johan in Graz, eine Arbeit, mit der der Architekt das zweite Mal in dieser Stadt in Erscheinung tritt.

Der Raum, den zwei Grazer Geschäftsleute für ihre Vorstellung eines qualitätvol-len, doch unpretiösen Speiselokals gefunden hatten, war ein denkmalgeschützter, 250 m² großer ehemaliger Pferdestall im Grazer Landhaus, dem bedeutenden Renaissancebau, der um 1560 vom italienischen Baumeister Domenico Allio als Sitz der Provinzregierung errichtet wurde.

Eine Bauaufgabe, die sich als gleichermaßen reizvoll wie schwierig erwies, mit der Silvestrin aber umzugehen wußte, denn er hatte schon zuvor in Sudfrankreich, Italien und Graz kunsthistorisch wertvolle Bausubstanz adaptiert. Ja, mehr noch, sie kam seiner „Architektur-Philosophie“ entgegen. Silvestrin hat vor der Archi-tektur Kunst und Philosophie studiert; in seiner Auffassung von idealen Räumen spiegelt sich das wider. Er strebt immer an, Raum als freien Raum erlebbar zu machen, gleichsam die Dichte des leeren Raums zu materialisieren. Sein Ziel ist, durch wenige, sparsame Eingriffe die ganze Wesensheit und Kraft eines Raumes hervorzuheben. Dazu „reduziert“ er die Architektur auf ihre grundlegenden Ele-mente, auf einfache geometrische Formen, die in ihrer Klarheit seiner Vorstellung von Komplexität und Perfektion am nächsten kommen, auf Symmetrie und Gleichgewicht, auf die organische Schönheit natürlicher Materialien und auf die Wirkung von Licht und Schatten. Hier zeigt sich Silvestrins geistige Nähe zu Künstlern wie Richard Serra und Donald Judd, der wie er Kunstgeschichte und Philosophie studiert hat. Judd’s zahlreichen, streng ornamentlosen Möbelentwür-fen ist der einfache Sperrholzhocker, den Silvestrin für das Entree des Restau-rants entworfen hat, durchaus vergleichbar.

Tritt man ein, so befindet man sich, nur wenige Schritte von der Straße entfernt, in einem Emp-fangsraum mit erstaunlicher Abgerücktheit vom Trubel der Stadt. Einfache Teakholzbänke mit Rückenlehne (aus kultiviertem Holz) an beiden Längswänden, davor kleine kubische Stahlrahmentische mit Teakplatte (Fronzoni - ein italienischer Klassiker um 1960), die erwähnten Hocker mit losem Naturlei-nenüberzug und gedämpftes Licht - c’est tout! Die riesige, bündig in die Wand gesetzte Kühlvitrine für Wein ist zugleich Paravent für die dahinter versteckte Garderobe. Wer auf einen freien Tisch warten muß, kann in ihr schmöckern wie in einer Bibliothek.

Den Hauptraum, der Speisesaal, Bar und Küche in einem ist, prägen zwei Reihen von je fünf Kreuzgewölben, die sich auf schwere Steinsäulen stützen. Die Cha-rakteristik des Vorhandenen hat Silvestrin belassen, ja, er betont sie noch, indem er den Schaufenstern und den hofseitigen Fenstern Wände vorsetzt, die den Raum hermetisch abschließen. Kunstlicht, das von gebrochenem weiß bis blau variierbar ist, kommt aus den quadratischen tiefen Einschnitten, die paarweise die Bögen rhythmisieren. Der unwirkliche Schein des „otherwordly blue“ zeichnet die einzigen Farbflecken im einheitlichen Ambiente, das durch die feine farbliche Nu-ancierung des hellen großformatigen Sandsteinbodens, der grau pigmentierten Gipswände und des etwas heller gekalkten Deckengewölbes entsteht. Die Zonie-rung in Bar, Essbereich und Küche gelang dem Architekten, ohne den Gesamt-eindruck des Raumes zu zerstören. Die beiden Tischreihen sind von der langge-streckten Bar durch großzügigen Abstand und die Säulenreihe separiert, während die Küche am fernen Raumende hinter einer freistehenden, gekurvten Wand mit kaum mehr als Kopfhöhe ver-borgen ist. Die Essensausgabe ist ein schmaler ho-rizontaler Schlitz in Tischhöhe und was von der Bar besehen eine graue, sie ab-schirmende Wandscheibe zu sein scheint, zeigt sich von der ande-ren Seite als Anrichte in Teakholz.

Der Raumvorstellung wird Material und Verarbeitung untergeordnet, was zuweilen etwas manieriert wirkt. Andererseits zeigt die Teakholzbank (hier mit hoher Rük-kenlehne) und die Verwendung eines anonymen Küchenstuhls aus den Zwanzi-gern (wieder mit Leinenüberzug) auch Silvestrins Referenz an Natur, an einfache und klare Formen und die Spiritualität, die diesen innewohnt. Man kann diese Po-sition vielleicht unzeitgemäß finden, man kann sie mögen oder nicht. Eines ist je-doch nicht möglich: diese Architektur oberflächlich zu finden und ihr den hohen ästhetischen Wert abzusprechen.


[Erschienen in Architektur & Bauforum 195 Juli/August 1998]

newroom, Mi., 1998.07.01



verknüpfte Bauwerke
Restaurant Johan

Profil

Architekturstudium an der TU Graz
Mitarbeit in Architekturbüros in Wien und Graz (Hermann Czech, Alfred Bramberger, Manfred Wolff-Plottegg und Heinz Wondra)
1990 Ziviltechnikerprüfung
Seit 1992 Architekturpublizistin in in- und ausländischen Fachzeitschriften, seit Herbst 2000 auch für das Presse Spectrum
1997 Hochschulkursus für Kulturjournalismus und kulturelle Öffentlichkeitsarbeit am ICCM in Salzburg.
1997 – 1998 Öffentlichkeitsarbeit für die Sektion Architekten der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten.
2001 – 2004 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt
2004 – 2009 Inhaltliche Redaktion von www.gat.st
2008 Gründung von architektouren-graz/ljubljana

Lehrtätigkeit

Seit 1996/97 in loser Folge Lehraufträge an der TU Graz, z.B. Grundlagen der Gestaltung, Architekturkritik und Ausgewählte Kapitel Architekturtheorie

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
Mitglied von Guiding architects

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