Editorial

Holz – eine lange Geschichte

„Hätten wir das Holz nicht, dann hätten wir auch kein Feuer; dann müssten wir alle Speisen roh essen und im Winter erfrieren; wir hätten keine Häuser, hätten auch weder Kalk noch Ziegel, kein Glas, keine Metalle. Wir hätten weder Tische noch Türen, weder Sessel noch andere Hausgeräte.“

Wolf Helmhard von Hohberg, 1682


Von Hohbergs Würdigung des Holzes ließe sich leicht ergänzen, etwa wie folgt: „Wir hätten auch keine Schiffe, keinen Fischfang und keinen Handel mit fernen Ländern. Dann hätte es auch nicht den Reichtum und den kulturellen Glanz der Städte gegeben, allen voran die Seestädte, und nicht die Eroberung der Neuen Welt – oder zumindest hätte das alles einige Jahrhunderte länger gedauert.“
In welchem Maße das Leben bis ins 19. Jahrhundert vom Holz durchdrungen war, ist uns heute, wo wir über eine reiche Auswahl an Werkstoffen und Energiequellen verfügen, kaum noch bewusst. Das Bauen war nur eine unter vielen Möglichkeiten, sich des Holzes zu bedienen. Holz war der universelle Werkstoff schlechthin und meist der einzige unmittelbare Energielieferant. Von daher brachte jede Nutzung von Holz hohe Opportunitätskosten mit sich, da sie alle anderen Nutzungen ausschloss. Jede Form der Stoffumwandlung, die Energie benötigte, ob Metalle, Gläser oder andere Mineralien, war vom Holz abhängig, jede Form der Mechanisierung, ob mit Hilfe von Wasserrädern, Windmühlen oder Webstühlen, erfolgte mit Holz, jede Form der vehikulären Fortbewegung und des Transports bedurfte hölzerner Vorrichtungen und selbst für die Entwicklung der zentralen Faktoren, die den Industrialisierungsprozess vorantrieben, war Holz unverzichtbar: kein Kohlebergbau untertage ohne die Befestigung der Stollen und Abteufungen mittels Holz, keine Erschließung per Eisenbahn ohne die Lagerung der Gleise auf Schwellen aus Holz.
Wo stehen wir heute in der langen Geschichte des Menschen mit dem Holz – am Beginn eines neuen Kapitels mit der Überschrift: Postindustrielle Nachhaltigkeit? Glaubt man den Imagekampagnen, die von den Promotoren der Holzwirtschaft gefahren werden, ist das so. Und das schlechte Gewissen, das zum latenten Begleiter unseres Lebensstils geworden ist, möchte es gerne glauben. Holz fungiert als ein Lehrbeispiel für den ökonomischen Umgang mit Ressourcen, für die Wieder- und Weiterverwendung von Material und für die nachhaltige Bewirtschaftung. All das lässt sich in der Tat historisch belegen, aber erst, nachdem die Menschen die nachhaltige Waldbewirtschaftung während der zweiten Periode der kleinen Eiszeit bei Strafe des Untergangs gelernt hatten. Ob allerdings Europa ohne die spätere Entlastung durch die Kohle heute noch bewaldet wäre, ist zumindest fraglich.

Es erschien sinnvoll, in einer ARCH Ausgabe zum Thema Holz die schnellen Antworten, die im ökologischen Gewand daherkommen, auszuklammern. Es sind Antworten auf Fragen, die durchaus nicht so klar definiert sind, nicht im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Baustoffe untereinander und die Relation von Aufwand und Ertrag, und auch nicht im Hinblick auf die Einordnung der Zielsetzungen in einen allgemeinen gesellschaftlichen Kontext. Solche Antworten findet man zurzeit ohnedies in jeder Zeitschrift und einschlägigen Publikation – und sie besagen für das Bauen selbst rein gar nichts. Beim Bauen geht es zunächst schlicht darum, ob die neuen Holzbauweisen den vielfältigen Anforderungen, denen heute ein Gebäude entsprechen muss, genügen – von der Tragstruktur über die klimatische Performance bis zum Brand- und Witterungsschutz, ob die neuen Holzwerkstoffe sich für die je spezifischen Aufgaben, die ein Gebäude erfüllen muss, eignen, ob das Gebäude rationell und kos-tengünstig (vor)gefertigt werden kann und last but not least, ob Holz das Potenzial für eine zeitgemäße Rhetorik besitzt, was immer man darunter verstehen mag.

Ist das neue Kapitel also eine Geschichte von Verdrängung und Wiederkehr? In gewisser Weise ja, aber nur, was das Gebäude aus Holz, nicht was den Werkstoff betrifft. Holz war nie gänzlich aus dem Bauen verschwunden, sei es als eigenständiges Bauteil oder im Innenausbau oder sei es in „dienender Funktion“ vor allem für den Beton: Die weitspannenden Brücken eines Robert Maillart oder die kühnen Schalen eines Heinz Isler mussten, um überhaupt entstehen zu können, in Holz mit Bogenlehrgerüsten (wie seit der Antike) und gekrümmten Schalungen „vorgeformt“ werden. Relativ unabhängig von den wechselnden „Konjunkturen“ des Holzhauses verlief auch aufgrund einer sehr viel breiteren Nachfrage die Entwicklung des Werkstoffs Holz zu einer ganzen Familie von Holzwerkstoffen mit ständig neuen Abkömmlingen. Sie steht eher im Kontext der Werkstoffentwicklungen mit gezieltem Eigenschaftsprofil, wie sie in allen Stoffgruppen betrieben wird – übrigens zum Teil mit den ähnlichen Entsorgungsproblemen, die aus der sehr weitgehenden Umformung und dem Verschnitt der Urstoffe resultieren.

Eine Besonderheit des vorliegenden Heftes ist die Spiegelung aktueller Entwicklungen an der Geschichte des Holzbaus. Das Erfahrungswissen vieler Generationen und die große Kunstfertigkeit in der Bearbeitung und Verwendung von Holz, und das nicht nur im Hausbau, sondern auch im Schiffsbau und den anderen zahllosen mit Holz befassten Berufen, sind selbstverständlich nicht auf die heutigen Bedingungen übertragbar, aber es wäre falsch, sie nur unter die Kategorie „historisch überholt“ zu subsumieren, denn an den Bäumen selbst hat sich nichts geändert. Sie definieren einen Maßstab, den sich heutige Techniken, Produkte und Projekte gefallen lassen müssen. Das Heft ist in vier Hauptteile untergliedert:

• Im ersten Teil „Der lange Weg vom Stab zu Platte“ wird der neuere Massivholzbau in der Gegenüberstellung mit Stabkonstruktionen thematisiert. Diese Bauweise ist mit der zugrundeliegenden Plattentektonik ohne historisches Vorbild – tatsächlich etwas im Holzbau noch nicht Dagewesenes, das den vorläufigen Schlusspunkt einer sehr langen Entwicklung markiert und eine Bereicherung des ohnedies reichen Repertoires an Bauweisen bedeutet, keine Ablösung. Die Stabkonstruktionen werden sicher – wenn auch nicht in Form des klassischen Fachwerks – ihre Berechtigung behalten.

• Der zweite Teil „Der kleine Schritt von Vorfertigung bis Fertighaus“ beschäftigt sich mit dem großen Plus des Holzbaus, das bereits in den historischen Bauweisen angelegt war: der rationellen zeit- und kostengünstigen Vorfertigung einzelner Elemente und mittlerweile auch ganzer Bauteile eines Gebäudes. Die Möglichkeit der Trennung zwischen der ortsunabhängigen Herstellung der Bauteile und ihre Montage vor Ort bildet die Grundlage für den heute erreichten Stand der Fertigungstechnik und des Systembaus. Es ist, wie an historischen Beispielen gezeigt wird, kein Zufall, dass sowohl die Entwicklung von Bausystemen wie auch von Fertighäusern ihren Ausgang im Holzbau nimmt.

• Im dritten Teil „Für und wider Holz“ wird die aktuelle Tendenz zum mehrgeschossigen Hausbau im innerstädtischen Kontext aufgegriffen. Bis dato handelt es sich um „Exoten“, die nichts mehr von der Selbstverständlichkeit, die das städtische Holzhaus historisch besaß, ahnen lassen. Von daher sind neben praktischen bautechnischen Fragen und dem Vergleich der Vor- und Nachteile reiner Holzbauten mit den verschiedenen Formen der Mischbauweise vor allem Imagefragen angesprochen. Sie sind zurzeit für Materialentscheidungen wahrscheinlich genauso maßgeblich wie funktionale Erwägungen.

• Im vierten Teil „Mit dem Holz oder gegen das Holz bauen“ schließlich geht es um die Perspektiven des Bauens mit Holz. Es nimmt in den avancierten digitalen Entwurfs- und Fertigungstechniken eindeutig eine Vorreiterrolle ein. Eine ganze Serie experimenteller Projekte, die in diesem Kontext neu entstanden sind, wird mit einem gänzlich anderen Vorgehen und den entsprechenden Projekten konfrontiert, das insofern ungewöhnlich ist, als es sich in besonderem Maße die Eigenschaften des Werkstoffs Holz zunutze macht. In der Synthese dieser beiden Herangehensweisen liegt ein noch nicht erschlossenes Potenzial des Bauens mit Holz.

Sabine Kraft, Christoph Schindler

Für die vielen Anregungen, die in diese Ausgabe eingeflossen sind, bedanken wir uns herzlich bei Bruno Schindler.

Inhalt

02 Showtime!
Christian Demand
04 ARCH im Darwinjahr – Diskussion um Heft 188
06 Rezensionen
08 Bücher zum Thema „Holz“

Editorial
12 Holz – eine lange Geschichte ...

14 Der lange Weg vom Stab zur Platte
16 Konstruieren: Vom Stab zur Platte
Konrad Merz

18 Die Stabkonstruktion aus Holz
Gottfried Semper

20 Von Rutschbergen und Scream Machines
Sabine Kraft

22 Baumstützen im tropischen Regenwald
Marcos Acayaba

26 Wovon wir reden, wenn wir von Holz reden
Christoph Schindler

27 Holz: indifferent, synthetisch, abstrakt – Kunststoff
Andrea Deplazes

30 Bauen mit Massivholz
Geir Brendeland, Olav Kristoffersen

35 Genagelt und geschraubt
Christoph Schindler

36 Der kleine Schritt von Vorfertigung zum Fertighaus
38 Holzbausysteme: Konstruktion und Fertigung
Josef Kolb

42 Bauteile ab Werk: Hochregallager
Kaufmann Bausysteme

44 Bauen mit Modulen: Impulszentrum Graz
Hubert Rieß

46 Zur Geschichte der Holzbausysteme
Sandra Tabea Hirschler

50 Holz mobil
mit Fotos von Trude Lukascek

51 M-Velope
Michael Jantzen

52 Standardisierung im traditionellen japanischen Holzbau
Der Zimmermann – Bruno Taut
Japanische Baumaße – Ernst Neufert

56 Holz in der Wiederverwendung
Christoph Schindler

59 Das Schweizer Haus: Keimzelle des Fertigbaus
Edwin Huwyler, Karin von Wietersheim Eskioglou

62 Für und wider Holz
64 Vorrang für die stoffliche Nutzung von Holz
Ludger Dederich im Gespräch mit ARCH

69 Imageoffensive
Sabine Kraft

73 Wir sind dem Holz egal
Wolfgang Pauser

74 Holzhäuser in Istanbul
mit Fotos von Fritz Dressler

78 Der andere Holzbau – drei, vier, viele Geschosse
Anton Steurer, Charles von Büren

86 Mit dem Holz oder gegen das Holz bauen?
88 Die Bedeutung der Materialien – Holz
Frank Lloyd Wright

90 Bauen – mit dem Holz oder gegen das Holz?
Sabine Kraft, Christoph Schindler

93 Digitale Schreinerei
Sabine Kraft, Christoph Schindler

98 Biegen oder Brechen
Wilhelm Franz Exner

100 Spannbandbrücken
Richard J. Dietrich

102 Trabucchi: ultrastabile Holzkonstruktionen für den Fischfang
Franco Laner

104 Wikinger Schiffe: elastische Holzkonstruktionen für die Seefahrt
Michael Hensel

106 Holz-Form-Findung
Michael Hensel, Achim Menges

110 Ein Haus ist kein Segelschiff
Wolfgang Pöschl

112 Autoren von Heft 193

113 Baufokus
114 Holzbehandlung
115 Holzwerkstoffe
117 Holz-Bausysteme
118 Holz verbinden
119 Holz verformen

Bauen mit Massivholz

Holz war uns immer gegenwärtig. Das macht der norwegische Hintergrund. Gegenwärtig in der Natur und gegenwärtig als Bau-material. Wir sind an Holz im Außen- und Innenraum, in den Städten und auf dem Land gewöhnt. Der maschinell gefertigte Blockbau eines Bauernhauses von 1928 oder der vor 200 Jahren konstruierte Speicher eben dieses Bauernhofes. Die unbehandelte Holzfassade einer Hütte, die Südwand von der Sonne gebleicht, die Nordseite einheitlich grau. Eine Vielfalt von Bauweisen: Stabkirchen, alte Bauernhöfe, Boote, Brücken, große Hotels aus den 1890er Jahren im Chaletstil, Milchrampen, Gestelle zum Trocknen des Stockfisches im hohen Norden, große Anwesen des reichen Bürgertums aus dem 18. Jahrhundert in Trondheim. Alles aus Holz.

Als Kinder haben wir Hütten aus Holzresten gebaut, alle beide. Wir haben Bäume im Wald gefällt und beim Wandern Feuer gemacht. Denken wir an Häuser, oder genauer: an alte Häuser, dann unmittelbar an Holz, seine Maserung, seinen Geruch und an den Klang eines alten Holzfußbodens, wenn man darüber läuft. Risse, Muster und Äste in der Decke beflügeln die Phantasie eines Kindes, das im Liegen nach oben schaut.

1948 stellte der norwegische Bauunternehmer Selmer die kostengünstige Holzrahmenbauweise als preiswerte Möglichkeit vor, Wohnraum für die Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg zu schaffen. Es war eine Herausforderung der herrschenden Doktrin, die in Norwegen zu einer neuen Denkweise bezüglich Holzbau führte. Mit Unterstützung der norwegischen Regierung durch steuerliche Anreize und einer staatlichen Bausparkasse wurde der Holzbau zur konstruktiven Lösung für Hunderttausende von Einfamilienhäusern. In größeren Projekten jedoch setzten sich Beton und Stahl gegenüber Holz und Mauerwerk durch. Eine große Anzahl von Holzbauten in den Städten wurde abgerissen und durch Gebäude aus nichtbrennbaren Materialien ersetzt. Diese Erneuerungen waren zwar zeitgemäß, aber für viele Norweger architektonisch nicht so ansprechend wie ihre hölzernen Vorgänger. In den siebziger und achtziger Jahren begannen junge Leute sich für die Reize der erhaltenen alten Holzbauten, die sie in den norwegischen Städten entdeckten, zu interessieren. Sie hatten nicht mehr das Vorurteil ihrer Eltern gegenüber dem Leben in ärmlichen Arbeitervierteln. Darüber hinaus fand seit den neunziger Jahren ein Bauboom auf dem Land statt, bei dem wohlhabende Norweger Wochenendhäuser aus Holz bauten in Nachahmung der traditionelle Blockbauten, die mit Doppelgaragen, mehreren Badezimmern und Flachbildfernsehern ausgestattet wurden.

Als wir 2002 an dem Wettbewerb für „Neue Wohnbauten in Svartlamoen“ teilnahmen, bestand die praktikabelste Konstruktion für mehrgeschossige Bauten aus vorgefertigten Betonplatten auf feuergeschützten Stahlstützen, außen mit nichtbrennbaren Materialien verschalt und innen mit Gipskarton ausgekleidet. Das Wettbewerbsprogramm forderte jedoch für die neuen Gebäude eine Holzkonstruktion und daher begannen wir, vor allem wegen der Brandschutzvorschriften, uns mit den Möglichkeiten von Massivholzelementen auseinanderzusetzen. An dieser ersten Begegnung entzündete sich unser Interesse und seitdem haben wir das architektonische Potenzial dieser Bautechnik in einer Reihe verschiedener Projekte untersucht.

Brettsperrholzelemente

Es gibt verschiedene Arten von Massivholzelementen von einer Reihe verschiedener Hersteller aus verschiedenen Ländern. In unserer Arbeit haben wir sogenannte Brettsperrholzelemente verwendet, die aus mehreren Lagen kreuzweise verleimter Bretter bestehen. Brettsperrholzelemente sind ein Massenprodukt, das per Kubikmeter bestellt werden kann. Standardelemente bestehen üblicherweise aus niederklassiger Fichte, aber die Sichtoberfläche oder auch die anderen Schichten können in verschiedenen Qualitäten oder sogar in verschiedenen Holzarten bestellt werden.

Die Abmessungen eines Elements sind vor allem durch die Transportmittel zwischen Hersteller und Baustelle beschränkt. Die Hersteller bieten Elemente mit standardisierter Breite, in verschiedenen Stan-darddicken bzw. Lagenanzahl an. Die Form der Elemente kann vom Hersteller mit präzisen computergesteuerten Fräsmaschinen oder auf der Baustelle von einem Zimmermann weiter bearbeitet werden.

Materialität, Oberfläche und Präsenz

Ein Massivholzelement besteht durch und durch aus Holz. Wird die Oberfläche des Elements entfernt, ist es immer noch das gleiche Material. Es vermittelt eine Dichte, Festigkeit und ein Gefühl von Qualität, das mit den vergleichsweise windigen Holzrahmenkonstruktionen nicht zu erreichen ist. Dieses Gefühl verstärkt sich, wenn alle Oberflächen eines Innenraumes gleich gestaltet sind: Wände, Böden und Decken, Möbelstücke und Innentüren. Der Raum scheint aus einem einzigen Block herausgeschnitzt zu sein, ist aber dennoch mehrdeutig, da die einzelnen Elemente und die Bretter innerhalb dieser Elemente lesbar bleiben. In unserem Reihenhausprojekt in Longyearbyen haben wir Massivholzelemente sogar auf den Außenwänden angebracht, um den Eindruck einer scheinbar monolithischen, vollständig aus Massivholz bestehenden Struktur zu erwecken.

Standardelemente sind eben und legen eine abstrakte und einfache Architektur mit ebenen Oberflächen nahe. Winzige Variationen in Oberfläche, Farbe und Maserung reflektieren das Tageslicht auf subtile Weise. Die Oberfläche ist fest, jedoch weich genug, um die Spuren von Gebrauch und Leben innerhalb des Gebäudes aufzunehmen, wodurch sie im Lauf der Zeit immer interessanter wird. Die Farben verändern sich durch ultraviolettes Licht und Oxidation und dunkeln allmählich nach. Die Fasern scheinen lebendig zu sein und reagieren auf Feuchtigkeitswechsel mit Rissen und neuen Mustern. Die Oberfläche fühlt sich wärmer an als Gips oder Mauerwerk, sie eignet sich für das nördliche Klima. Aber während der warmen und sonnigen Sommer kühlt das Holz dennoch den Innenraum.

Wir lassen die Massivholzelemente gerne unbehandelt, wodurch wir den Einsatz von Chemikalien vermeiden und den Unterhaltsbedarf verringern. Nur die Fußböden und Details, die besonderen Schutz vor Schmutz und Wasser benötigen, werden mit einem transparenten, farblosen Lack überzogen. Die Oberflächen können während ihrer Lebensdauer geschliffen oder gestrichen, neue Öffnungen mit einer Kettensäge hinzugefügt werden, die Benutzer können schwere Möbel an den Wänden befestigen.

Vereinfachte Konstruktion

Ein Massivholzelement kann mehrere Funktionen gleichzeitig übernehmen, während bei der Holzrahmenbau-weise jede der zahlreichen Schichten ihre eigene spezifische Funktion erfüllt. Als konstruktives System tragen Massivholzelemente in sich das Potenzial für weniger komplexe und daher weniger riskante Detaillierung als der Holzrahmenbau. Massivholz kann zugleich als optische Trennung und Sichtoberfläche, Lastabtragung und Aussteifung, Brandschutz des Tragwerks und Unterteilung in Brandabschnitte, thermische Masse und Dampfbremse agieren. Bis zu einem gewissen Grad kann es sogar die Funktionen von Windbremse, Schallschutz, Wärmedämmung und Verkleidung erfüllen. Elektrische Leitungsführung, Anschlussdosen, Schalter und Beleuchtung können in Massivholzelemente integriert werden, wie wir dies in einer Reihe von Projekten getan haben, obwohl dies eine sehr sorgfältige Planung und gute Koordination auf der Baustelle erfordert.

Massivholz brennt in einer voraussagbaren Geschwindigkeit ab, wodurch es einfach wird, die notwendige Dicke der Elemente zu berechnen, um die Brandschutzanforderungen einzuhalten. Die zusätzliche Dicke der Wände und Scheiben schützt die Tragwerksfunktion und wirkt gleichzeitig als Brandabschnittstrennung. Grundsätzlich ist keine besondere Oberflächenbehandlung notwendig, um die norwegische Brandschutzverordnung zu erfüllen. In Svartlamoen setzten wir eine Sprinkleranlage ein. Sie war nicht wegen des Holztragwerks notwendig, sondern wegen der Nähe zu den benachbarten Holzbauten.

Das Svartlamoen Projekt bewältigte den Trittschallschutz mit einem speziell entwickelten schwimmenden Holzfußboden auf der Massivholzscheibe. Die größte Herausforderung lag darin, eine ökonomische Lösung für die Verbindung von sichtbarer Holzoberfläche und Schallschutzanforderungen zu finden. Zu unserer Erleichterung bestätigten die nach Vollendung des Gebäudes durchgeführten Messungen die Zulässigkeit unserer Lösung. Da sich der Bauplatz in der Nähe des Meeres befindet, wurden die Stöße zwischen den Elementen so entwickelt und berechnet, dass sie schweren Windlasten auf die Fassade Stand halten können. Nur die Außenwände sind lastabtragend; das bietet für künftige Sanierungen bzw. Veränderungen bessere Möglichkeiten. Massivholzelemente bilden im Vergleich zu Beton- und Stahlkonstruktionen ein relativ leichtes Tragwerk. Auf dem schwierigen Untergrund dieses Bauplatzes erlaubte die Massivholzkonstruktion deutlich kleinere und günstigere Fundamente.

Im Kindergarten in Svartlamoen von 2007, der eine Umnutzung eines Autohauses von 1983 ist, beschäftigten wir uns mit komplexen CNC-Fräsungen. Alle Holzelemente haben eine Form, die mit ihrer Position im Gebäude korrespondiert. Geneigte Wände, stumpfe und spitze Winkel, Türöffnungen, innenliegende Fenster und Luftkanäle sowie Einpassungen in die bestehende Struktur modifizieren die Elemente. Mit Hilfe eines 3D-Modells konnten wir jedes Element für seinen spezifischen Zweck gestalten und fräsen. Sogar die Einbaumöbel aus Massivholz wurden auf diese Weise gefertigt. 120 mm Massivholz erfüllte die Schallschutzanforderungen des Auftraggebers ohne zusätzliche Schichten.

Bei den Reihenhäusern in Longyearbyen von 2007 waren Logistik und ungewöhnliche klimatische Bedingungen die größten Herausforderungen. Jedes Teil dieser Gebäude wurde gezeichnet, gefertigt, in Transportcontainer verpackt und auf diese abgelegene Insel verschifft, um eine schnelle Montage während des kurzen arktischen Sommers zu ermöglichen. Allerdings hatte ein Mitarbeiter falsche Zahlen in die Fräsmaschine eingegeben und ein wichtiges Element wurde in fehlerhafter Form geliefert. Zum Glück war es etwas zu groß, so dass die Zimmerleute es auf der Baustelle mit einer Kettensäge korrigieren konnten. Die innenliegenden Decken, Türen, Treppenhäuser und einige Einbaumöbel sind Massivholzelemente ohne weitere Schichten. Alle anderen Bauteile bestehen aus drei Schichten – die Außenwände: lastabtragende 100 mm Massivholz, Mineralwolle mit Holzabstandshaltern und 60 mm Verkleidung aus Massivholz (in Abstimmung mit dem Farbschema des lokalen Gestaltungsplans), das Dach: Massivholz, Mineralwolle und einer Dachmembran, die Wohnungstrennwände: Massivholz, Mineralwolle, Massivholz. Als Faustregel gilt, dass der Preis eines Elements direkt proportional zu seinem Volumen ist. Um den strengen Wärmedämmanforderungen zu entsprechen, ist es wirtschaftlicher, eine Dämmschicht hinzuzufügen, als die Dicke des Elements zu erhöhen.

In unserer Villa in Ranheim von 2008 gehen große horizontale Massivholzelemente, Brettschichtholzträger und vertikale Ständer eine statische Einheit ein und bilden nahezu ein Monocoque, das von 6 Stahlstützen in Form eines auf dem Kopf stehenden Vs getragen wird. Bei diesem Gebäude hatte der Hersteller nicht genug Zeit, um die Fensteröffnungen zu fräsen, da die Bestellung knapp vor den Sommerferien in Auftrag gegeben wurde und der Bauunternehmer das Aufrichten während der Ferien ausführen wollte. Aus diesem Grund mussten die Fenster auf der Baustelle mit einer Handkreissäge ausgeschnitten werden.

Feuchtigkeitsausgleich

Holz quillt und schwindet gemäß seinem Feuchtigkeitsgehalt. Die Schwankungen in den Abmessungen eines Holzstücks sind quer zur Faser größer als in Faserrichtung. Da die verschiedenen Schichten eines Elementes kreuzweise miteinander verleimt sind, bleiben die Gesamtabmessungen eines Massivholzelements bemerkenswert konstant, während Veränderungen des Feuchtigkeitsgehaltes Spannungen aufbauen, die letztendlich zu Rissen in der Oberfläche führen können. Risse dieser Art kommen auch häufig in den Blockbauwänden und Dielenböden traditioneller norwegischer Holzbauten vor.

In Longyearbyen haben wir Elemente aus einem besonders gut getrockneten Holz verwendet, die während Lagerung und Transport speziell geschützt wurden. Die relative Luftfeuchtigkeit in dieser arktischen Wüste ist während des langen Winters nahezu Null. Ein Jahr nach der Fertigstellung zeigten die Oberflächen im Innenraum einige Risse, jedoch nicht mehr als erwartet. Da unverkleidetes Massivholz im Innenraum Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben kann, stabilisiert es den Feuchtigkeitsgehalt im Innern des Gebäudes. Ein Badezimmer oder eine Küche mit einer Decke aus unbehandeltem Holz fühlt sich nicht so feucht an wie eine mit Latexfarbe gestrichene Gipskartonplatte. In Longyearbyen haben die Bewohner festgestellt, dass sie nach dem Duschen nicht einmal den Spiegel zu wischen brauchten, da die Decke die Feuchtigkeit absorbiert.

Massivholzelemente dürfen, wenn sie trocken sind, als dampfdicht betrachtet werden. Selbst in einem sauber gebauten Kompaktdach gibt es keinen Grund für eine Dampfbremse. Allerdings sollte der Ausführung der Stöße besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, um Spalten und kleine Öffnungen zu vermeiden. Spalten können zur Kondensation innerhalb des Wandaufbaus und zum ungewolltem Eindringen von Außenluft führen. In der hohen Arktis sind die Konsequenzen schwerwiegender als auf dem norwegischen Festland. In einigen undichten Holzrahmenbauten enthielten dort Dach und Wohnungstrennwände bereits nach einer einzigen Wintersaison hunderte Kilo von Eis.

Fügen, Auseinandernehmen, Wiederverwendung und Recycling
Massivholzwände werden üblicherweise mit langen Schrauben sowie Nut- und Federverbindungen gefügt. Die notwendige Anzahl und die Abstände zwischen den Schrauben werden von einem Tragwerksingenieur berechnet. Diese Schrauben sind meist selbstschneidend und manche haben an ihren beiden Enden eine unterschiedliche Gewindesteigung, wodurch die Schraube beim Anziehen die Elemente zusammenzieht. Ein Vorteil beim Einsatz von Schrauben ist die Justierung der Elemente nach dem Fügen.

Außerdem kann die Struktur relativ einfach wieder auseinandergenommen werden, wenn sie saniert, verändert oder entfernt werden soll. Gebrauchte Elemente können grundsätzlich an neue Strukturen angepasst und wiederverwendet oder auch weiter aufgetrennt werden, um zu Spanplatten, Pellets, Brennholz usw. verarbeitet zu werden.

Da die Bauweise relativ neu ist, haben bislang nur sehr wenige Gebäude aus Massivholz einen kompletten Lebenszyklus durchlaufen. Für den Designmai 2005 in Berlin haben wir eine Massivholzhütte in den Edison Höfen in Berlin gebaut, die mit Erfolg auseinandergenommen, umgesetzt und in Neustrelitz wieder zusammengefügt wurde. Ein anderes kleines Gebäude, das wir für 100 % Design in London realisierten, wurde anschließend demontiert und in Einzelteilen in einem Londoner Lagergebäude aufbewahrt, bereit für einen neuen Einsatz.

Mit vorgefertigten Elementen gibt es bei sorgfältiger Planung nur wenig Abfall auf der Baustelle. Bei dem Wohnbau in Longyearbyen kam jedes Massivholzelement zum Einsatz, das auf die abgelegene Insel verschifft wurde. Selbst die Verschnittflächen von Kochfeld und Spüle wurden als Schneidebrett genutzt.

Baupraxis

Massivholzelemente sollten vorsichtig behandelt werden während des Transports, der Lagerung auf der Baustelle, dem Aufrichten und während der ersten Heizwochen nach dem Schließen der Gebäudehülle. Dies gilt insbesondere, wenn die Elemente als innere Sichtoberfläche gedacht sind. Abdrücke von Gabelstaplern, eingedrückte Seitenkanten und merkwürdige Fußspuren quer über Wände und Decken scheinen bei der Arbeit mit unerfahrenen Handwerkern an der Tagesordnung zu sein. Es empfiehlt sich ein Crashkurs mit allen Baubeteiligten (inklusive Installateuren, Elektrikern usw.) über das Bauen mit Massivholz. Unserer Erfahrung nach sollte ein erfahrener Zimmermann mit einbezogen werden, um an den letzten Tagen vor Fertigstellung mit kleinen Reparaturen und Korrekturen nachbessern zu können.

Freie Bewitterung über mehrere Tage kann das Wachstum von Pilzen anregen, die auf den Oberflächen graue Flecken hinterlassen. Oberflächen, die während der Bauzeit nass geworden sind, neigen auch zum stellenweisen Verwerfen oder Reißen, da die Qualität und Sortierung von Brettern in Standardelementen meist nicht die aller-beste ist. Einige Hersteller verwenden gut getrocknetes, hochwertiges Holz und drehen sogar alle sichtbaren Bretter mit der Kernseite nach außen, um die Oberfläche stabiler und homogener zu machen.

Bei unseren Projekten in Longyearbyen und Ranheim schützte der Hersteller die Sichtoberflächen mit einer Plastikfolie, die vom Bauunternehmer nach Fertigstellung der Gebäude entfernt wurde. Dies vermeidet nicht nur Schäden durch Regenwasser, sondern verhindert auch Flecken und Farbunterschiede infolge ungleicher Sonneneinstrahlung, bevor die Außenwände, das Dach und die Fenster positioniert werden. Abgesehen davon macht es Spaß, die Innenwände des fertigen Baus vor den Augen eines gespannten Auftraggebers zu enthüllen.

Der Einfluss des Architekten

Die alles in den Schatten stellende Forderung nach Kostengünstigkeit im Bauwesen führt zur Bevorzugung desjenigen Bauunternehmers, der weniger Arbeitsstunden benötigt und weniger gut ausgebildete (also günstigere) Arbeitskräfte einsetzt als seine Mitbewerber. Diese Tendenz ist eine wesentliche Quelle für Ausführungsschäden, beschränkte technische Qualität und Kopfschmerzen des Architekten. Wenn Fehler begangen worden sind, wird der Bauunternehmer eher vorschlagen, das Problem auf „kreative Weise“ zu bereinigen als noch einmal abzubrechen und die betroffenen Teile neu zu bauen mit dem Risiko, den vereinbarten Termin nicht halten zu können.
Bauen mit Massivholzelementen ist ein wenig anders, da die Elemente meistens im Voraus von einem Hersteller maßgeschneidert und anschließend von einem Bauunternehmer geprüft werden, wenn sie auf der Baustelle ankommen. Wenn der Hersteller während Fertigung oder Transport einen Fehler begangen hat, wäre er verpflichtet, neue fehlerfreie Elemente zu seinen Lasten auszuführen. Da die Elemente verschiedene Formen und Eigenschaften haben, die wie ein großmaßstäbliches Puzzle zusammenpassen, gibt es in vielen Fällen nur eine einzige Art, sie korrekt zu fügen. Ein Fehler bei der Montage würde den Bauunternehmer zwingen, die betroffenen Elemente wieder auseinander zu nehmen und von vorne zu beginnen. Um diesem Risiko zu begegnen, werden (unserer Erfahrung nach) Zeichnungen und Beschreibungen sowohl von Herstellern als auch Ausführenden peinlich genau befolgt. Dies gibt dem Architekten mehr Einfluss auf die Qualität des fertigen Gebäudes und gleichzeitig eine größere Verantwortung für die Korrektheit seiner Zeichnungen und Beschreibungen. Der Architekt kann sogar wesentliche Aspekte der Detaillierung in die Form der gefrästen Elemente integrieren, um den Einfluss möglicherweise schlechter Ausführung auf der Baustelle und um die Bauzeit zu verringern.

Wir fertigen die Werkstattzeichnungen für die Fräse betriebsintern, um den größeren Einfluss auf die Qualität des Gebäude nutzen zu können. Unserer Ansicht nach ist dies eine der interessantesten Eigenschaften der Massivbauweise im Vergleich zu herkömmlichen Holzrahmenkonstruktionen und anderen in situ Bauweisen. In all unseren Massivholz-Projekten bat der Hersteller um Pdf-Dateien mit 2D-Zeichnungen, die wir aus unseren 3D-Modellen ableiteten. Die Zeichnungen beinhalteten bereits alle Toleranzen und Details. Ein Mitarbeiter gab dann auf dieser zeichnerischen Grundlage manuell die Abmessungen und Winkel in ein CAM-Programm ein, ein zusätzliches Fehlerrisiko. Die Möglichkeit der direkten Weiterverarbeitung importierter 3D-Zeichnungen auf einem CNC-Bearbeitungszentrum bestand in unserem Fall nicht.

Klebstoff, Nägel und Dübel

Holz als Baustoff hat eine lange Geschichte. Moderne Klebstoffe haben das nicht. Werden sich Brettsperrholzelemente im Verlauf der Zeit aufblättern und eine Gefahr für Leib und Gut darstellen? Wird der Klebstoff „verschwinden“ nachdem das Holz verrottet ist, oder wird er länger in der Natur verbleiben und ein ökologisches oder ästhetisches Problem darstellen, während er sich langsam zersetzt? Die verschiedenen Hersteller verwenden unterschiedliche Klebstoffe und geben unterschiedliche Antworten auf diese Fragen. Zudem machen sie den Anspruch geltend, ihr Klebstoff wäre dauerhaft und nicht schädlich für Menschen während Verarbeitung, Montage, Nutzung, Demontage oder Brand.

Die Bretter eines Elements können auch mit Holzdübeln oder Nägeln anstatt Klebstoff zusammengehalten werden. Ähnliche Fragen kommen auf: Wie dauerhaft sind diese Elemente? Könnten die Dübel ihren Halt verlieren, könnte das Gebäude sich im Lauf der Zeit verformen oder sogar in sich zusammenstürzen? Einige der verdübelten Elemente haben interne Holzschichten für besondere strukturelle Anforderungen, z.B. als Verstärkung oberhalb einer Fensteröffnung. Solche Elemente sind kaum wiederzuverwenden ohne eine detaillierte Dokumentation. Dies könnte Bauunternehmer dazu veranlassen, gebrauchte Elemente eher weiter aufzutrennen als sie für ein neues Bauprojekt zu verwenden, wodurch ein potenzieller Vorteil des Massivholzes vergeben würde.

Eine Architektur in Massivholz

Jede Bauweise hat ihre Schwachpunkte und unbekannten Faktoren. Die obigen Fragen werden hoffentlich in Zukunft mit Ausreifen der Bautechnik beantwortet werden können. Niemand weiß genau, wie sich ein Gebäude aus Stahlbeton langfristig verhalten wird, aber wir haben heute ein besseres Verständnis seiner Eigenarten als vor hundert Jahren. Mit Sicherheit aber können wir sagen, dass sich aus Stahlbeton exquisite und zweckdienliche Architektur machen lässt. Offenkundig lässt sich damit, wie aus jedem anderen Baumaterial, auch schlechte und wenig nachhaltige Architektur machen. Es ist daher ein großes Privileg, an einer gemeinsamen Anstrengung um eine nachhaltige Architektur für den Massivholzbau teilzuhaben, eine Architektur, die andere bautechnisch etablierte Architekturen ergänzen kann.

ARCH+, Di., 2009.09.29

29. September 2009 Geir Brendeland, Olav Kristoffersen

Digitale Schreinerei

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld für digitale Entwurfs- und Fertigungstechniken: In keinem anderen Baumaterial ist es so einfach, individuelle Bauteile herzustellen. Dementsprechend sind in den letzten fünf Jahren eine ganze Reihe ungewöhnlicher Experimente im Maßstab 1:1 realisiert worden, die den traditionellen Werkstoff Holz in einen neuen Kontext stellen. Ungewöhnlich insofern, als diese Experimente weder unter die Kategorie der klassischen Stabkonstruktionen subsumiert werden können, noch direkte Verwandtschaft mit den neueren kartenhausartigen Plattenkonstruktionen aufweisen. Bei aller Unterschiedlichkeit verbindet die Projekte ein gemeinsames Vielfaches, das in der Suche nach einer neuen Form der Plastizität zu liegen scheint; man könnte es als ein räumliches Modellieren in Holz bezeichnen, das traditionell unter allen Formen der Holzbearbeitung nur das Schnitzen auszeichnete.

Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Experimente der Inkubator für eine anders geartete holzspezifische Formensprache und neue Tragwerkskonzepte im Holzbau sind, oder ob sich der Neuheitswert in der Umsetzung mit erstaunlich weit vorangetriebenen computergestützten Planungs- und Fertigungsmethoden erschöpft. Zweifel sind zumindest angebracht. Sie können anhand zweier Kriterien, wenn auch sicher nicht abschließend geklärt, so doch in der Diskussion zumindest erhärtet bzw. abgeschwächt werden. Diese Kriterien liegen zum einen in der Methode der Formfindung und zum anderen in der Nutzung der Materialeigenschaften bzw. der erforderlichen Zahl von Arbeitsschritten der Fertigung bezogen auf das Rohmaterial Holz. Die auf den folgenden Seiten aufgeführte Reihe aktueller Projekte ist in vier Gruppen geordnet:

A Eierschneider, einfach

Als „einfache Eierschneiderstrukturen“ können die Ringve Viewing Platform (1), das Semper Depot (2) und in gewisser Weise auch die Wandprototypen (3) bezeichnet werden. Mit der Methode des Zerschneidens in parallele Ebenen, wie es das Haushaltsgerät zur präzisen Herstellung gleich dicker Scheiben hartgekochter Eiern leistet, lassen sich mit einem einzigen Schnitt auf recht einfache Weise beliebig modellierte Volumen in Scheiben zerlegen.

Die im Schneidevorgang entstehenden Teile sind alle gleich breit.
Dadurch ist es einerseits einfach, sie mit einem durchgängigen Konstruktionsprinzip zu verbinden. Andererseits wird die Suche nach einem geeigneten Rohmaterial, aus dem die Einzelteile gefertigt werden können, erheblich erleichtert. Beim Semper Depot (2) sind dies Holzwerkstoffplatten gleicher Materialstärke, aus denen wie bei einem Ausschneidebogen die Einzelteile herausgetrennt werden; bei der Ringve Viewing Platform (1) und den Wandprototypen (3) können die Volumina sogar aus identischen Stabprofilen gefügt werden. Die im Entwurfsprozess vorausgegangene Formbestimmung wird durch die unterschiedliche Ablängung der Stäbe realisiert; durch die Verschränkung der individuellen Einzelelemente in unterschiedlichen Winkeln bzw. ihre schrittweise Positionsänderungen von Schnittebene zu Schnittebene lassen sich plastische Formen als dynamische Bewegung darstellen.

Eierschneiderarchitekturen sind nicht zufällig reine Außenrauminstallationen oder Innenausbauten, da das System in sich rigide ist und sich nur schwer eine Verbindung dieser Strukturen mit der Vielzahl der Anforderungen vorstellen lässt, die an ein Gebäude gestellt werden. Da die parallelen Ebenen linear aneinander gereiht sind, ist eine Ecklösung innerhalb des gleichen Konstruktionsprinzips ausgeschlossen.

B Eierschneider, zweifach

Ecklösungen gelingen durch das Hinzufügen eines zweiten Schnitts mit dem Eierschneider. Dieser wird entweder rechtwinklig zur ersten Schnittebene geführt, so dass wie bei Camera Obscura (4), Metropol Parasol (6) und Serpentine Gallery (7) aus der Schnittrichtung ein Quadratraster entsteht; oder aber in einem anderen Winkel ein Rautenmuster erzeugt wird wie bei Burst (5) und dem Austria Center (8). Der zweite Schnitt bringt einen konstruktiven Vorteil mit sich, da die dabei entstehenden Teile als Abstandshalter für die im ersten Schnitt erzeugten Teile eingesetzt werden können; dies erlaubt es, die Mehrfach-Eierschneiderstrukturen wesentlich luftiger zu gestalten als die massiven Einfach-Eierschneider. Gleichzeitig aber zeigt sich bei den Mehrfach-Eierschneidern eine stärkere Tendenz, die Faserrichtung des Holzes außer Acht zu lassen und plattenförmige Holzwerkstoffe als Ausschneidebögen für die Einzelteilfertigung einzusetzen. Dies ist besonders augenfällig bei Projekten wie Metropol Parasol (6), bei denen die Formgebung in keinerlei Beziehung zur Konstruktion zu stehen scheint. Befremdlich wirken dann auch die pilzförmigen Stützen der Parasols, die das Quadratraster enorm verzerren, da sie parallel zur Schneiderichtung stehen und die nur dreiachsig bearbeiteten Einzelelemente in der Verschneidung der Bauteile mit der gekrümmten Oberfläche des modellierten Volumens offenkundig nicht zusammenpassen. Die Serpentine Gallery (7) umgeht diese Problematik, indem sie die fünf Raumbegrenzungsflächen getrennt voneinander mit jeweils zwei Eierschneiderschnitten bearbeitet.

Einzig der Camera Obscura (4) gelingt es, ein plastisches Volumen aus Vollholzstäben zu erzeugen, indem der als Ausgangsform dienende Würfel nach zweimaligem Zerschneiden um seine Mittelachse verdreht wird. Die Bauteile des Austria Centers (8) hingegen sind so groß, dass sie ohne den Umweg über die Holzwerkstoffplatte projektspezifisch als gekrümmt verleimtes Brettschichtholz wie klassische Leimbinder gefertigt wurden und somit die Faserrichtung dem modellierten Volumen folgen kann. Der rautenförmige Verschnitt der Binder ist allerdings konstruktiv nicht erforderlich.

C Faltstrukturen

Während die Eierschneider-Strukturen mehr oder weniger deutlich nicht konstruktiv motiviert sind, versuchen Faltstrukturen wie der Origami Bogen (9) und die Kapelle St. Loup (10) der Brettsperrholzplatte ein Potenzial für Tragwerke abzugewinnen. Insofern besteht eine gewisse Affinität zu den neueren Plattenkonstruktionen. Durch das Auffalten von Flächen in einzelne Brettsperrholzelemente sollen diese gezielt mehr durch Normalkräfte in der jeweiligen Ebene als durch Momente beansprucht werden. Das Auffaltungsprinzip ist allerdings eher von der Umsetzung japanischer Papierfalttechnik mit den Möglichkeiten des Brettsperrholzes als der digitalen Fertigungstechnik geleitet; dies zeigt sich an der manuell gefertigten Konstruktion des Bogens (9) wie auch an der durch intuitives Papierfalten entwickelten Form der Kapelle (10).

D Strukturen mit Kassettenelementen

Größte gestalterische Freiheit ermöglichen Konstruktionen aus individuellen Kassettenrahmen, da ihre jeweilige Geometrie lediglich von den benachbarten Kassetten abhängt. Ein Nachteil solcher Strukturen liegt im Materialaufwand, den die statisch nicht erforderliche Verdopplung der Wandungen mit sich bringt. Wie unterschiedlich der Umgang mit diesem Prinzip sein kann, illustrieren der Swissbau Pavillon (11) und das Betriebsrestaurant Dietzingen (12). Während der Swissbau Pavillon auf einer Kugeloberfläche ein Zellwachstum um gegebene quadratische Öffnungen herum simuliert, dient bei Dietzingen die Kassettenstruktur lediglich dazu, die Flächen zwischen den Primärträgern dekorativ zu unterteilen. Der Swissbau Pavillon ist die einzige Struktur unter den vorgestellten Projekten, die mit einer rechnergestützten Wachstumssimulation aus den Relationen der Einzelelemente ermittelt wurde. Der Beweis, dass ein Bottom-up-Verfahren nicht nur als Forschungsselbstzweck an Europas größter CAD-Professur, sondern auch in einem funktionalen Bauprojekt mit Dutzenden von Gewerken umgesetzt werden kann, steht noch aus.

E Flechtstrukturen

Die beiden Projekte mit den mit Abstand größten Abmessungen und Spannweiten sind das Yeoju Golf Resort (13) und das Centre Pompidou Metz (14). Man kann die beiden nur graduell unterschiedlichen Projekte als eine Weiterentwicklung der Eierschneidermethode betrachten: In beiden Fällen wird eine doppelt gekrümmte Oberfläche von einem hexagonalen Raster (also drei Schnittrichtungen) durchstoßen. Im Gegensatz zu den ein- und zweifachen Eierschneidern wird aus dieser geometrischen Operation nicht das Volumen der Einzelteile, sondern nur deren Mittelachsen errechnet. Die tatsächlichen Volumina der Träger werden dann entlang dieser Mittelachsen in parallelen Trägerlagen jeweils rechtwinklig zur Dachfläche „extrudiert“. Auf diese Weise ist es möglich, sich verwindende, aber in ihren Abmessungen konstante rechtwinklige Querschnitte zu erhalten.

Wie auch beim Origami handelt es sich um metaphorische Entwürfe, welche die Prinzipien anderer Materialien in Holz übertragen: Zur Herleitung der Struktur des Centre Pompidou Metz (14) diente dem Architekten ein geflochtener chinesischer Strohhut. Wenn auch das Flechten der elastischen Halme maßstabsbedingt wirklich nichts mehr mit dem Verleimen und Fügen von starren Brettschichtholzträgern zu tun haben kann, so veranschaulicht die Flechtmetapher doch das mehrlagige „Extrudieren“ der Volumina entlang der Mittelachsen.
Vergleicht man das Centre Pompidou (14) mit der mehrfach gekrümmten Fläche der 35 Jahre älteren Gitterschale der Multihalle Mannheim, stellt man irritiert fest: Beim Centre Pompidou überspannen sechs Brettschichtholzlagen von je 14 x 44 cm bis zu 50 m. Bei der Multihalle überspannen vier Schnittholzlagen von 5 x 5 cm bis zu 60 m. Ob dies damit zu tun hat, dass bei der Formfindung der Multihalle kein chinesischer Strohhut, sondern ein Hängemodell Pate stand?

Was Yeoju (13) und Centre Pompidou (14) deutlich machen, ist das große Potenzial der technischen Umsetzung im Zusammenspiel von Holzbauer, Statiker und Geometrieberater. In der engen Zusammenarbeit war es nicht nur möglich, tausende unterschiedlich gekrümmter Bauteile zu fräsen, sondern durch Formverleimung der Brettschichtholzrohlinge deren Faserwinkel maximal 5° von der Bauteil-Mittelachse abweichen zu lassen. Wobei nicht verschwiegen bleiben sollte, dass von diesen individuell verleimten Rohlingen im nächsten Arbeitsgang noch fast 50 % zerspant werden müssen, bis die endgültige Bauteilgeometrie vorliegt.

Resümee:

1. Die initiale Formgebung der beispielhaft gezeigten Projekte ist weder von den Bedingungen des Werkstoffs noch von funktionalen Anforderungen bestimmt. Ers-teres würde einen konstruktiv geleiteten Entwurf bedeuten, zweiteres im Falle von Gebäuden eine Entwicklung des Entwurfs von innen heraus. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind überdimensionale Holzplastiken, deren äußere Gestalt durch ein willkürlich gesetztes Volumen beschrieben wird; willkürlich meint hier einen formgebenden Akt, dessen Parameter nicht herleitbar sind, man könnte auch von sogenannter künstlerischer bzw. freier Gestaltung sprechen.

2. Die Objekte werden im 3D-CAD als geometrisch definierte Volumina ohne Schwerkraft und ohne den Einfluss von Umgebungsbedingungen modelliert. Die anschließende digitale Bearbeitung umfasst die Geometriebestimmung der Einzelelemente sowie deren Fertigungsplanung mitsamt den Stücklisten. Die eigentlichen Chancen eines digitalen Formfindungsprozesses, die nicht zuletzt darin liegen könnten, die Form im Wechselspiel mit den auf sie einwirkenden Kräften auszubalancieren, bleiben ungenutzt. Zu Konstruktionen mit Materialeigenschaften werden die Objekte erst in den anschließenden Berechnungen und Fertigungsplanungen der Ingenieure und Holzbaufirmen.

3. Obwohl die Objekte in ihrer spezifischen Form derzeit am besten in Holz ausgeführt werden können, sind es keine Holzkonstruktionen im klassischen Sinne. Das Zerschneiden modellierter Volumina impliziert genau genommen einen homogenen Werkstoffblock; für ein Material, dessen Eigenschaften richtungsabhängig variieren, ist es eine ungeeignete Methodik. Die Herstellung gekrümmter Formen mittels Fräsen erinnert stark an das eingangs erwähnte Schnitzen.

4. Plattenförmige Holzwerkstoffe als Ausgangsmaterial für den Zuschnitt individueller Bauteile sind in ihren Abmessungen, Materialzusammensetzungen und Eigenschaften genormte Halbzeuge. Gerade beim individuell wachsenden Rohstoff Holz ist zu fragen, ob ein solcher Umweg über die Halbzeug-Standardisierung eine Unikatfertigung, wie sie die gezeigten Objekte erfordern, nicht letztlich ad absurdum führt. Zumindest wird, wenn man vom Rohstoff ausgeht, die Kette der notwendigen Fertigungsschritte immer länger.

5. „Anything goes“: Es scheint, als könne man praktisch alles bauen – und als müsse man diese technologische Potenz, auch komplizierteste Formen erzeugen und umsetzen zu können, zur Schau stellen. Man macht es, weil man es kann. Einer anderen Begründung bedarf es nicht. Die amerikanische Historikerin Rosalind Williams schreibt dazu: „Instead of being a figure in the ground of history, technology has become the ground – not an element of historical change, but the thing itself.“

6. Die neu geschaffenen technologischen Möglichkeiten äußern sich – zumindest vorerst – in einem Überborden des Dekorums, was einhergeht mit einem freiwilligen Kompetenzverzicht des Architekten. Seine Rolle scheint sich – um es provokativ zu sagen – auf das Auswählen einer geeigneten Metapher oder einer dekorativen Geste, d.h. auf die Schaffung formaler Komplikationen zu fokussieren, die Beschränkungen in der Umsetzung weitgehend ausblendet. Beschränkungen aber sind nach Frank Lloyd Wright (1953) ein Nährboden der Architektur: „Aber wenn wir auf diese ungeheuren, homogenen menschlichen Berichte zurückblicken, kommen wir nicht umhin festzustellen, dass der Mensch immer dann am edelsten baute, wenn die Beschränkungen am größten waren und wenn von der Phantasie am meisten gefordert wurde. Beschränkungen scheinen stets die besten Freunde der Architektur gewesen zu sein.“

ARCH+, Di., 2009.09.29

29. September 2009 Christoph Schindler, Sabine Kraft

Trabucchi: ultrastabile Holzkonstruktionen für den Fischfang

Trabucchi – oder auch „trabocchi“ – sind einzigartige Holzkonstruktionen, die an der Abruzzen-Küste zum Fischfang errichtet wurden. Ihre Schönheit, ihre Widerstandskraft, ihre Fragilität sind ebenso beeindruckend wie ihre konstruktive Funktionalität. Will man hohen Kräften entgegenwirken, bedient man sich oft starker Strukturen und widerstandsfähiger Materialien, die gut ausgesteift und fest im Boden verankert sind. Beim Trabucco hingegen wurde das Prinzip der Elastizität, also der Fähigkeit zur Aufnahme von Energie und zur Deformation ohne Bruchversagen, angewendet. Er widersetzt sich den Kräften nicht, sondern biegt sich, verformt sich, beugt sich, um seine ursprüngliche Gestalt wieder anzunehmen, wenn sich das Meer beruhigt hat.

Das Konstruktionsprinzip der Trabucchi beruht auf einigen Merkmalen, die sich über lange Zeiträume der Beobachtung und des Versuchs entwickelt haben: Den Kräften von Wind und Wasser wird so wenig Oberfläche wie möglich dargeboten. Auf einige zarte Stützen, ein Minimum an Aufbauten und Beplankung sowie die weit hinausragenden Antennen beschränkt, bleibt die Angriffsfläche äußerst gering. Alle Elemente wurden mit Schnüren miteinander verbunden, niemals jedoch mit Nägeln oder Schrauben, wodurch die notwendige Beweglichkeit der Konstruktion und die Haltbarkeit der Knoten gewährleistet sind. Aussteifende Bauteile sind rar, da die gesamte Struktur weich und deformierbar sein muss, um den auftretenden Belastungen nachgeben zu können. Alles, was vom Prinzip der elastischen Biegsamkeit abweicht, ist unsinnig und schädlich. Das „Sankt Andreas Kreuz“ z.B., sehr geeignet zum Aussteifen von Strukturen, ist genauso wenig zulässig, wie es Bolzenverbindungen sind. Die Vergrößerung der „Kabine“ erhöht die dem Wind ausgesetzte Fläche. Auch das Verstärken der Pfähle schafft neue Angriffsflächen für Horizontalkräfte. Der Steg, der zum Trabucco führt, ist aus derart schmächtigen Brettern gemacht, dass das Gehen schwerfällt, aber das Meer hat minimale Angriffsfläche.

Der Bruch einiger Elemente ist vorgesehen und der Ersatz von Einzelteilen ist Bestandteil des alltäglichen Betriebs des Trabucco. Die Reparatur ist immer leicht, weil die Anordnung der Elemente einfach ist und diese problemlos austauschbar sind. Als ob der Trabucco, der wie eine große Spinne ins Meer hinausragt, auch deren Fähigkeit zur Reproduktion besäße; verliert die Spinne ein Bein, lebt sie trotzdem weiter, und wartet, bis das verlorene Glied wieder nachwächst. ...

Als Baumaterial dienten Kastanienholz, das im Bereich des Tidenhubs sehr dauerhaft ist, sowie Robinienholz, dessen Festigkeit eine Zugspannung von bis zu 2500 kg/cm2 zulässt.

Einige Trabucchi wurden restauriert und für Touristen zugänglich gemacht. Um Sicherheitsstandards einzuhalten, wurden jedoch ungeeignete Sekundärstrukturen aufgesetzt, die sie ihrer ursprünglichen Natur beraubt haben, was den Schluss zulässt, dass Restaurierungen nur dann vorgenommen werden sollen, wenn man das Wesen und die Idee einer Struktur verstanden hat. Was den Trabucco so einzigartig macht, ist eben nicht nur das Erscheinungsbild, sondern das inhaltliche Konzept, das Zusammenspiel von Beobachtungen und Gedanken, die sukzessive in ihrer Materialisierung Realität wurden und zu höchster funktioneller und architektonischer Ausdruckskraft führten.

ARCH+, Di., 2009.09.29

29. September 2009 Franco Laner

Wir sind dem Holz egal

„Den Wald“, so schrieb der Philosoph Günter Anders, „kümmert unser Philosophiern nicht. Wenn er von uns erführe, würde er uns verlachen.“ So traurig das sein mag, dem Holz sind wir Menschen egal. Doch wie verhält es sich umgekehrt? Als Holzenthusiasten träumen wir gerne von einer holzbegeisterten Menschheit, aber ich behaupte: Nicht nur wir sind dem Holz egal, auch das Holz ist uns ganz egal. Diese These mag aufs Erste verwundern. Doch die Egalität des Holzes ist die Bedingung dafür, dass wir Menschen ein besonderes Interesse an Holz entwickeln können.

Holz kann man für alles gebrauchen, daher bedeutet Holz selbst gar nichts. Zwei Einwände könnten sich nun erheben. Der erste lautet: Das ist selbstverständlich. Es gibt nichts, was seine Bedeutung in sich hätte, alle Dinge erhalten ihre Bedeutungen erst im Rahmen ihrer kulturellen Kontexte. Ja, das ist so, dennoch halte ich es für notwendig, es noch einmal zu betonen. Und zwar deshalb, weil Einwand Nummer zwei die Beliebigkeit der Holzbedeutung bestreitet.

Er lautet: Die moderne Welt ist voller Beliebigkeiten, das Holz hingegen ist die Ausnahme in dieser denaturierten und entfremdeten Welt. Jedes Kind weiß heute, dass Holz das Echte ist. Holz ist daher ein gleichsam natürliches Bollwerk gegen die Verfremdungen der technischen Moderne. Wer sich mit Holz umgibt, der ist nahe am Echten, nahe am Ursprünglichen, der ist gleichsam beheimatet in der warmen Hütte des Seins. Das Besondere an diesem Mythos ist, dass er heute in allen Köpfen wohnt. Und wenn man einmal eine Chiffre des Echten und Urwüchsigen in Händen zu halten glaubt, will man sich davon gar nicht gerne wieder trennen.

Aber betrachten wir als Beispiel das Auto: Für den Karosseriebau spielte Holz nur bei einigen wenigen Autos der ehemaligen Ostblockstaaten eine Rolle und gilt da als Zeichen der Ärmlichkeit, während es im Wageninneren zur Markierung der oberen Preisklasse verwendet wird. Diese bis heute bestehende Tradition fügt beim ansonsten um Modernität bemühten Auto ein kontrastreich traditionelles Element ein. Die Tradition nahm ihren Ausgang in den Anfangstagen der Automobilgeschichte, als Kutschenbauer beauftragt wurden, zu einem Motor einen individuellen Raum zu gestalten. Die Idee der Handarbeit hat sich bei Rolls Royce am längsten gehalten, wurde von Jaguar industrialisiert und strahlt auf andere Marken aus. So sehr wurde Holz im Cockpit zu einer allgemeinen und abstrakten Chiffre für Luxus, dass eine bedeutende Fälschungsindustrie entstehen konnte, und so definieren sich soziale Unterschiede heute in einer feinen Abstufung zwischen dem echten Holz, den billigeren und den ganz billigen Imitaten. Neben dem Holz und dem Holzfurnier entstand das Holzdekor: der so genannte Edelholzlook, Kunststoffholz und gemaserte Klebefolie. Die unterste Stufe der Selbsterhöhung ist das Holz-Effekt-Set, bestehend aus Lacken und Pinseln zum Betupfen des Armaturenbretts mit brauner Farbe.

Die mannigfaltigen Produkte, die Holz ins Auto bringen, verschieben die Anmutung des gesamten Designs von der sportlichen hin zur wohnlichen Atmosphäre. Vielleicht entspringt diese Verschiebung der Zunahme von Staus: Wenn man mehr steht als fährt, muss auch die Innenraumgestaltung wohnlicher werden. Der Architekturtheoretiker Dietmar Steiner nannte das Auto einmal ein „Zimmer mit Motor, die eigentliche Form der Eigentumswohnung, ein offenes luftiges Zimmer, das stehend die Stadträume füllt“. Als die Autos noch den Kutschen näher waren, war der Innenraum intimer gestaltet, heute lässt man sich ins Auto gern hereinschauen. Wie sehr das Cockpit als Zuhause empfunden wird, erkennt man daran, dass Nasenbohren an der Kreuzung den wenigsten peinlich ist. Um solche Intimität vor aller Augen herzustellen, sind große Mengen Holz vonnöten.

Im Bereich der Lenkräder hat der Einsatz von Holz eher eine sportliche Note, bezogen aus der Welt der Rennsportnostalgie. Die Gefahr des Splitterns bei einem Unfall wird gern in Kauf genommen, damit man das Leistungsprinzip des Sports aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurückverschiebt. Vergangene Sportlichkeit ist weniger anstrengend als die Leistungsimperative von heute. Das nostalgische Holzlenkrad signalisiert daher den paradoxen Wunsch nach langsamen Rennfahrten und einer gemächlichen Sorte von Sportlichkeit.

Daneben gibt es freilich auch Wünsche nach dem Abenteuerlichen, und auch für diesen Wunsch braucht man Holz als Medium. So hat etwa das Product-Placement eines neuen Mercedes-Geländewagens im Dinosaurier-Film das Auto mit der Idee des Urwalds aufgeladen. Vergleichsweise billig dagegen ist es, wenn ein Geländewagenfahrer, der keine Zeit hat, mit seinem Auto in den Wald zu fahren, sich mit der Camouflage-Matte jene Spuren, die Stollenreifen im Waldboden hinterlassen würden, unter die Füße legt. Das ist ganz sicher auch der sauberste Weg, Auto und Wald miteinander in eine imaginäre Berührung treten zu lassen.

Am Beispiel des Autos sieht man also, dass Holz in vielen verschiedenen Weisen von Medialität darin vorkommt. Der Wunderbaum besteht aus zu Pappe verarbeitetem Holz und verweist auch als Zeichen auf den Wald und dessen natürlichen Duft. Der Auto-Weihnachtsbaum ist nicht aus Holz, er will uns auch nichts über die Themen Wald und Holz erzählen. Die Dekorationsplättchen fürs Cockpit sind manchmal aus Holz, manchmal nicht, das ist an sich egal, denn auch das echte Holz ist hier nur Medium für zwei Aussagen: Wohnlichkeit und Prestige. Mit echtem Holz gelingt dies besser, mit aufgemaltem Holz gerät man in Gefahr, dass der Schwindel auffliegt, mit einer täuschend echten Imitation wird man wohl am besten fahren. Holz meint mitunter sich selbst, oftmals meint es etwas anderes, und manchmal wird es von etwas anderem gemeint. Für die Holzindustrie schließe ich daraus, dass sie dann eine Zukunft hat, wenn sie sich von der Festlegung des Holzes auf ein Medium der Rückwärtsgewandtheit lösen kann. Dem Holz selbst stehen alle Möglichkeiten offen, weil es egalitär offen ist für jeden beliebigen mythologischen Sinn.

ARCH+, Di., 2009.09.29

29. September 2009 Wolfgang Pauser

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