Editorial
Konflikte in Kulturhäusern
Im September 2006 legte Francesca Ferguson los als Direktorin des Schweizer Architekturmuseums S AM in Basel. Ihre fulminante Startveranstaltung «Free Zone» brachte Mensch und Meinung ins Museum. Drei Jahre später sind die Erwartungen enttäuscht und die Kassen leer siehe Hochparterre 6-7 / 09.
Im August haben sich die Direktorin und die Institution getrennt. Das S AM muss aber erhalten bleiben: Architektur und Baugewerbe brauchen einen Ort der Darstellung und der Auseinandersetzung.
Das S AM kann auch erhalten bleiben: In einem Land mit so erfolgreicher Bauwirtschaft muss es Wege geben, ein solches Haus zu finanzieren. Immerhin ist der Stiftungsrat guter Dinge, wie Roderick Hönig im Fund zum S AM berichtet siehe Seite 9.
Guter Dinge ist auch der Zürcher Verein Prokongresshaus. Nach einer Denkpause legt er sein Rezept vor, wie das Kongresshaus von Haefeli Moser Steiger in Zukunft genutzt werden könnte. Der Vorschlag: Macht daraus ein Musikzentrum Zürich. Benedikt Loderer zeigt erste Visualisierungen des grossen Saals und erklärt die Idee. Vage bleibt aber, wer dieses Musikzentrum finanzieren soll; eine kulturpolitische Ausmarchung steht bevor.
Kaum Geldprobleme kennen hingegen Bundesbetriebe. Damit sind wir beim dritten Kulturhaus in diesem Heft, beim Landesmuseum. Es konnte für seine Sanierung und die neuen Dauerausstellungen über 50 Millionen Franken ausgeben. Meret Ernst und Roderick Hönig sind durch das aufgefrischte Geschichtsschloss und die Ausstellungen flaniert. Dabei stiessen sie auf einen Konflikt: Christ & Gantenbein, die Architekten der Sanierung, und Holzer Kobler, die Architekten und Szenografen der Ausstellungen, waren sich nicht einig darin, wie mit dem Altbau von Gustav Gull umzugehen sei. In der Titelgeschichte erfahren Sie darüber mehr.
Rahel Marti
Inhalt
06 Meinungen
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 B-Ausweis
Titelgeschichte
18 Geflecht zwischen Exponat und Raum. Im umgebauten Landesmuseum tritt die Ausstellung gegen die Architektur an. Regie führen die Szenografen.
28 Architektur: VON Z BIS Z IN BAAR. Für die Chriesimatt entwarfen Graber Pulver 41 Wohnungsarten.
32 Bauwirtschaft: Krisenorakel. Interview mit Jacques Herzog und eine Umfrage auf dem Bau.
36 Architektur: Komposition fürs Kongresshaus. Der Verein Prokongresshaus schlägt ein Musikzentrum vor.
38 Design: Festplatte gegen den Kabelsalat. In der renovierten Kanti Chur sitzen die Schüler an fixen Pulten.
42 Wettbewerb: Im Olymp der Spitalplanung. Aeschlimann Prêtre Hasler verbauen 1,37 Milliarden Franken.
44 Design: Orangen statt Mandarinli. Uli Huber, ex-SBB-Chefarchitekt, hat einen Regionalzug gestaltet.
48 Verkehrt: Lernen von Boston. Der Blick in die USA zeigt, wie Expressstrassen Wunden schlagen.
50 Bildung: Ringelreihe der Rektoren. Im Visier: Die neuen Leiter von vier Gestaltungsschulen.
52 Leute
54 Siebensachen
58 Bücher
60 Fin de Chantier
68 Raumtraum
Das Krisenorakel
Jacques Herzog über die Wirtschaftskrise, die noch keine ist. Dazu ein Blick auf die Lage im Baugewerbe und eine Notiz in eigener Sache.
Jacques Herzog, Sie bauen rund um die Welt und sind den Schwankungen der globalen Wirtschaft ausgesetzt. Bedroht die Krise das Unternehmen Herzog & de Meuron?
Die Situation ist sehr widersprüchlich. Spanien zum Beispiel trifft die Krise hart, aber kürzlich haben wir ausgerechnet dort den Vertrag für den grössten Auftrag unterschrieben, den wir je erhalten haben: den Bau des neuen Hauptquartiers der Bank BBVA in Madrid. Gestoppt wurden nur wenige Projekte. In den USA ist das private Fundraising eingebrochen, was unser Projekt für das Miami Art Museum in Frage zu stellen schien. Jetzt sieht es aber gut aus für den Bau. Der Staat hat soeben den Baukredit bewilligt.
Ihre Mitarbeiterzahl liegt seit einiger Zeit bei 330. Worauf führen Sie die Stabilität zurück?
Seit Jahren sind wir zurückhaltend beim Annehmen von Aufträgen und haben viel mehr ab- als zugesagt, in den letzten Jahren auch einige Anfragen aus Russland. Wir könnten heute 600 Mitarbeitende haben — aber genau diese 300 zusätzlichen Arbeitsplätze wären nun in Gefahr. Wir prüfen jede Anfrage und recherchieren, wie seriös und nachhaltig die Angebote sind. Nur wenn ein Projekt auch finanziell solid und die Bauherrschaft gut aufgestellt ist, sagen wir zu.
Was lernen Sie aus der Krisenstimmung?
Wenn es etwas zu lernen gibt, dann die Idee der Zurückhaltung, der Beschränkung und des Verzichts auf das «immer mehr». Das tönt zwar moralisch. Aber es ist die Wahrheit.
Schwächt die Lage Ihre Position als Architekten?
Die Vertragsverhandlungen werden härter und aufwändiger. Die Juristen sind lange vor Beginn eines Projekts aktiv, denn die Bauherren wollen sich gegen alles und jeden absichern: Design to Cost, Design to Permit. Wir kriegen nur Geld, wenn unsere Entwürfe machbar, zahlbar und rechtsgültig sind.
Hilft der Name Herzog & de Meuron?
Bei der Auftragserteilung ist unsere Reputation gewichtig, aber bei den Vertragsverhandlungen hilft das wenig. Die Randbedingungen sind zu schwierig geworden.
Warum sind Architekten bezwingbar in Verhandlungen, warum erobern sie keine stärkere Position?
Weil wir Architekten an das Gute glauben — wir sind Weltverbesserer. Es ist zugleich Stärke wie Schwäche des Architekten, so lange zu arbeiten, bis er glaubt, zumindest gemäss eigener Wahrnehmung, das sei nun die optimale Lösung für die gestellte Bauaufgabe. Das ist Autorenarbeit. Sie ist aber in Gefahr. Uns umgeben immer mächtigere Strukturen, die das nicht interessiert. Investoren legen ihr Vermögen in Gebäuden an, damit das Vermögen wächst wie eine Pflanze.
Wie wird die Wirtschaftskrise die Architektur verändern?
Sie führt nicht automatisch zu einer besseren und nachhaltigeren Architektur — aber es werden einfachere und schnörkellosere Konzepte in den Vordergrund treten. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Architekt; das ist unabhängig vom Boom oder der Krise. Architekten, die sich in einem Boom zu viel aufladen, sind nicht seriös — ihnen wird die Krise helfen zu verstehen, dass es sich lohnt, sich auf jede Aufgabe zu konzentrieren.
Aus Büros, die vorwiegend in der Schweiz bauen, hört man noch kaum von Sorgen. Findet die Schweizer Architektur einen Weg um die Krise herum?
Ein bisschen Krise hier wäre gar nicht schlecht — weil wir in der Schweiz dahin tendieren zu glauben, wir seien wegen unserer Tüchtigkeit stets von Krisen verschont. Die Geschichte der Architektur und der Städte ist aber geprägt von Krisen, Zerstörungen und Wandel. Wir können nicht erwarten, dass hier alles stets in geordneten Bahnen verläuft.hochparterre, Di., 2009.09.08
08. September 2009 Rahel Marti
verknüpfte Akteure
Herzog Jacques
An der Ikone weiterbauen
Luigi Snozzi wollte es noch einmal wissen. Jeder andere vernünftige Architekt hätte den Auftrag abgelehnt. Wie bitte soll man diese Primarschule erweitern? Snozzi hatte sie 1993 in das ehemalige Augustinerinnenkloster von Monte Carasso eingebaut. In jedem Architekturgrundkurs zeigen Lehrer dieses stimmige Ensemble als Beispiel für den Umgang mit dem Bestand. Tausende von Architekten haben diese Schule besucht und in den Räumen findet jeden Sommer ein internationales Entwurfsseminar statt. Nicht genug: Für die zwei neuen Schulzimmer wählte sich Snozzi den schwierigsten Bauplatz des Geländes aus, in der Ecke, direkt an der Kirche, dort, wo auch Archäologen gegraben haben.
Der 77-jährige Snozzi entwirft radikal und einfach: Er stellt den Anbau auf zwei Scheiben und berührt so im Erdgeschoss den Boden der Ausgrabungen möglichst wenig. Eine kleine Treppe führt von einem der zwei Schulzimmer direkt hinaus. Doch der eigentliche Zugang führt von der bestehenden Schule ins zweite Obergeschoss des Anbaus. Mit einer Garderobe löst Snozzi nebenbei das Problem mit einer im Weg stehenden Seitenkapelle der Kirche. Der Eingangsraum ist schmaler als der Rest des Anbaus und verbindet wie eine Seufzerbrücke Bestehendes und Neues. Doch vom Platz sieht der Besucher nur eine Betonscheibe, die auch die Zugangsgalerie der neuen Schulräume verdeckt. Darin steckt der Clou des Entwurfs: Snozzi kopiert seinen früheren Schnitt. Die fünf bestehenden Schulzimmer sind zweigeschossig, mit einem halben Tonnendach gedeckt und mit einer Spielgalerie verbunden. Er versetzt diesen Schnitt um ein Geschoss nach unten. Das heisst, der Hauptgang der bestehenden Schule setzt sich im zweiten Obergeschoss des Anbaus fort. Statt dass die Schüler vom Schulzimmer zur Galerie hochgehen, steigen sie von der Galerie ins Schulzimmer hinunter. So einfach kann ein Entwurf sein. Selbstverständlich sind die Schulräume gegen den Platz verglast. Die Oberlichter sind hinter der höher gezogenen Betonscheibe versteckt. Die Schule in Monte Carasso ist damit definitiv zum Lehrbeispiel für den Umgang mit Bestehendem geworden. Snozzi baut wie gewohnt für den Ort.hochparterre, Di., 2009.09.08
08. September 2009 Ivo Bösch
Kräftiger Kern
Die Winterthurer «Maurerschule», eine Sonderschule für cerebralgelähmte Kinder, hat ein zweites Gebäude für die Oberstufe bekommen. Der äussere Auftritt ist zurückhaltend: in sandbraunem Kratzbeton und mit raumhohen Verglasungen. Blickfang ist die Nordfassade mit 350 Kernbohrungen, die den dahinterliegenden Spielplatz mit einem Schattenspiel belichten. So zurückhaltend sich das Haus aussen präsentiert, so stark haben die Architekten das Innere gestaltet. Die Treppenhauskerne sind knallig magenta, das vom kräftigen Akzent bei dunkler Umgebung bis fast zum Weiss wechselt, wenn die Sonne darauf scheint. Die Böden der Schulzimmer und Korridore sind aus blauem Gummigranulat, die Sonnenstoren in Bordeauxrot und die Textiltapeten im Korridor schimmern anisgrün. Der Neubau bildet zusammen mit dem Schulhaus aus den Siebzigerjahren und dem Pfarreiheim einen Hof.
Alt- und Neubau sind mit einem unterirdischen Gang miteinander verbunden. Auch er spielt mit dem Licht und kappt die Monotonie, indem in seiner Mitte die Beleuchtung von Gelb zu Blau wechselt.hochparterre, Di., 2009.09.08
08. September 2009 Roderick Hönig