Editorial

Sammeln, Sawiris und zu Fuss gehen

Die Titelgeschichte dieses Heftes berichtet von einem Paradox. Einerseits: Die Welt verschwindet in digitaler Information. Die Sinnlichkeit von Marmor, Stein und Eisen ist den Architekten und Designerinnen so fremd wie dem Stadtkind eine Kuh. Andererseits: Vier Materialarchive, mit grossen Schränken, 25 unterschiedlichen Goldlegierungen und Beton aller Art erfreuen zahlreiche Besucher. Und damit ihre Vielfalt genutzt werden kann, werden die schweren Bestände entmaterialisiert und mit zeitgenössischer Computertechnik aufbereitet, im Internet verknüpft und verwaltet. Urs Honegger und Lilia Glanzmann erzählen ab Seite 18 die eigenartige Geschichte von www.materialarchiv.ch.

Hochparterre und der Schweizer Heimatschutz haben an einer Tagung in Bern gefordert: «Mehr Baukultur bitte!» Gemeint waren die grossen Vorhaben im Tourismus der Alpen. Es war viel von Geld die Rede, von Profit, vom Anspruch der Bergler, am Wachstum der Zentren teilzuhaben. Von Baukultur aber sprach die Tagung kaum. Im Tourismus gilt wie anderswo: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, die Struktur die Form und der Profit die Schönheit. Das sagt lächelnd auch Sami Sawiris, der Städtebauer von Neu-Andermatt. Das alpine Museum und Hochparterre luden ihn zu einer Debatte nach Bern ein. Mit Sawiris diskutieren ist anspruchsvoll. Er ist ein Magier der Propaganda und kann jeden Einwand charmant und scharfsinnig in den Nebel schicken; ebenso hält er alle Informationen gut unter Kontrolle und weiss, dass glauben so wichtig ist wie wissen. Und der Glaube scheint stark: Wäre das Publikum eine Bürgerratsversammlung gewesen, hätte es Sami Sawiris zum Ehrenbürger der Schweiz und deren oberstem Kurdirektor bestimmt.

Gewiss freuen wird Neu-Andermatt uns Fussgänger. Denn im Dorfzentrum gibt es Wege und Plätze und die Autos werden in einem riesigen Betonsockel versorgt. Dass die Fussgängerei eine anspruchsvolle Wissenschaft ist, berichtet das Sonderheft, das die Abonnentinnen zu dieser Ausgabe finden. Es präsentiert die Erträge des Flaneur d’Or, des Wettbewerbs, den der Fachverband Fussverkehr Schweiz organisiert hat. Und ich lernte ein neues Wort: Die Begegnungszone.
Köbi Gantenbein

Inhalt

06 Meinungen
08 Funde
11 Sammeln und zeigen
17 C-Ausweis

18 Titelgeschichte: Von der Schublade ins Netz
Vier Institutionen haben ihre Materiallager auf Vordermann gebracht und sie in einer Datenbank vereint – frei zugänglich übers Internet.
28 Bauwirtschaft: Coole Küchen
Beutel aufschneiden, fertigkochen. Doch der Herd muss edel sein.
30 Architektur: Sonnen- und Schattenseiten des Flon
Wie Lausanne dem Industriequartier neues Leben einhauchte.
36 Wettbewerb: Der Einsiedler Weltplatz
Der Abt hat eine Vision, der Bezirksammann Parkplatzmangel.

38 Design: Merkmale einer Sammlung
MoMA-Designkuratorin Paola Antonelli über ihre Kriterien.
44 Architektur: Das Fenster zum Wald
Winterthurs neuer Haustypus: Die Reihenvilla für Forstfreunde..
48 Energie: Motörchen am Heizkörper
Gute Gebäudetechnik spart Energie. Architekten kümmerts wenig.

54 Leute
56 Siebensachen
58 Bücher
62 Fin de Chantier
68 Raumtraum

Das Fenster zum Wald

Peter Kunz hat in Winterthur einen neuen Haustypus gebaut: Die Reihenvilla mit Sicht in den Wald.

Beim «Oberen Alpgut» handelt es sich nicht um irgendein Grundstück, sondern um eine einzigartige Bauparzelle am Fusse des Goldenbergs, dem Zürichberg von Winterthur, zu der ein 10 000 Quadratmeter grosser Privatwald gehört. 1789 erwarben das Anwesen die Vorfahren der Familie Sulzer, der Winterthurer Industriellendynastie. Sie machten den Ort mit traumhaftem Blick über die Stadt zu einem ihrer Familiensitze. Und wie es sich für eine industriellenfamilie gehört, ist der Wald nicht Nutzforst, sondern ein romantischer Park, in welchem der Gartenarchitekt Ewartiste Mertens ab 1880 Spazierwege und Lichtungen, eine Steinbrücke und Sitzplätze anlegen liess. Soweit die Vorgeschichte.

Mitte der Neunzigerjahre beschlossen die Nachfahren, das «Obere Alpgut» weiterzuentwickeln. Der Architekt Peter Kunz hörte das, nahm Kontakt auf und machte, was Architekten in so einem Fall tun: ein Projekt. Kunz schlug vor, die einzelnen Parzellen, welche die weit verstreuten Familienmitglieder verkaufen wollten, nicht stückweise, sondern einmalig und grossflächig zu entwickeln. Tatsächlich konnten sich die Sulzer-Nachfahren darauf einigen, sodass Kunz 2001 die erste Skizze zeichnete und 2004 einen privaten Gestaltungsplan für acht Villen und die Umnutzung des ehemaligen Ökonomiegebäudes einreichte.

Unerwarteter Entwurf

Der Winterthurer Architekt, der bis anhin vor allem mit exklusiven Villen auffiel, reagiert städtebaulich unerwartet und originell auf den besonderen Ort. Sein Entwurf besteht aus einem dichten, eingeschossigen Bungalowkonglomerat. Es sind aneinandergereihte Wohneinheiten, die sich jeweils zwischen zwei weit in die Landschaft und den Wald greifenden Trennwänden Fotos Seite 48 entwickeln.
Kunz plant das Ensemble um den alten Baumbestand herum und lässt auch das ehemalige Ökonomiegebäude stehen, heute der älteste Bau auf dem Gelände. Baurechtlich möglich und sicherlich einfacher in der Vermarktung und dem Verkauf gewesen wären mehrere zweigeschossige und freistehende Villen oder Mehrfamilienhäuser. Doch die Idee des Architekten überzeugt nicht nur durch die subtile Einbettung in den Waldpark, sondern auch durch ihre Flexibilität — was sich vor allem in der Verkaufsphase als Vorteil entpuppte: Denn ob der Abstand zwischen den neun Trennmauern grösser oder kleiner ist — das Prinzip, die hohe Privatsphäre und die Wohnqualität bleiben gleich.

Ungewöhnliche Nordzimmer

Bei der Orientierung der Wohnräume schlägt Kunz noch einmal einen unerwarteten Haken. Er richtet alle Wohn- und Esszimmer gegen Norden aus, also gegen den Wald. Denn Kunz war von Anfang an überzeugt, dass der einzigartige Blick in den Privatwald der Trumpf der Häuser ist. Als seine Pläne öffentlich wurden, rümpfte die Winterthurer Architektenszene die Nase und begrub das Projekt schon vor dem Spatenstich: Eine Villenanlage mit Verkaufspreisen von bis zu 3,4 Millionen Franken in Winterthur, deren Haupträume sich — besonders an einem Ort, der sich durch seinen Panoramablick über die Stadt auszeichnet — gegen Norden und den Wald orientieren, finde keine Käufer, so der Tenor.

Doch heute ist klar, dass die «verkehrte» Orientierung des Oberen Alp­guts eine Qualität ist: Der Blick aus dem Wohnzimmer geht mit dem Licht und untermalt die Interpretation des Grundstücks als begehbares Bild: In der Abendsonne leuchtet der Waldpark und wird zum begehbaren Gemälde. Nur konsequent ist dann die klare Trennung der Räume in einen Tages- und Nachtbereich. Die Schlaf- oder Arbeitszimmer liegen auf der Südseite und sind auf einen klösterlich ummauerten Innenhof orientiert.

Zwischen dem Tag- und Nachtbereich liegt eine Raumschicht mit den Bädern, der Sauna und den Nebenräumen, durchsetzt von mediterran anmutenden, begehbaren Lichthöfen.

Unschlagbares Innen-Aussen

Und das Raumerlebnis? Was auf dem Plan aussieht wie eine profane Reiheneinfamilienhaus-Siedlung, entpuppt sich bei der Begehung auch räumlich als spannend. Es ist ein anspruchsvolles «Innen-Aussen-Innen»-Raumgewebe. Es gibt zwei Haustypen, drei 15 Meter breite Bungalows und fünf acht Meter breite Einheiten mit einem zusätzlichen Sockelgeschoss. Das halb in die Erde gegrabene Geschoss der schmalen Einheiten ist ein Patzer im überzeugenden «Alle-Wohnräume-gehen-fliessend-in-die-Landschaft-über»-Konzept. Ein Zugeständnis an die Wirtschaftlichkeit, wie Kunz zugibt, der nicht nur Architekt, sondern auch Projektentwickler war.

Die Rauminszenierung ist dramatisch und wirkungsvoll: Hinter den schweren Eichenholztüren öffnet sich eine sinnliche, abgeschlossene Welt aus Licht und Raum. Ein weisser Gang führt entlang abgestufter Deckenflächen und eleganter, indirekter Oberlichter zickzackartig in die offene Wohn-, Ess- und Küchenlandschaft auf der Waldseite. Erst hier gewährt der Architekt dem Auge wieder Raum zum Schweifen, das dafür grosszügig. Die Überraschung gelingt: Eine breite Glasfront gibt den Blick auf den romantischen Waldpark frei. Die Architektur lässt einen förmlich in die Natur eintauchen. Die Übergänge sind sorgfältig gestaltet und darauf ausgelegt, dass sie möglichst fliessend sind: Schiebt man die Gläser in ihren schweren Eichenrahmen zur Seite, geht der Innenraum nahtlos in die weitüberdachte Terrasse über. Diese schliesst direkt an den privaten Garten zwischen den gelblichen Betonmauern an, die weit in den Park hinausreichen. Draussen verliert sich der Park dann im gemeinschaftlichen Wald.

hochparterre, Mi., 2009.02.25

25. Februar 2009 Roderick Hönig



verknüpfte Bauwerke
Oberes Alpgut

Motörchen am Heizkörper

Forscher und Techniker wollen die Auto­mation der Gebäude populär machen. Die meisten Architekten sind noch skeptisch.

Die Hochschule Luzern — Technik & Architektur schickt eine neue Botschaft in Sachen Energiesparen hinaus. Sie nennt sich iHomeLab. Das modische Kürzel aus der Welt der Apple-Community verbindet Forschung und Ingenieurpraxis. Ale­xander Klapproth, Professor und Leiter des «Center of Excellence for Embedded System Applied Research» (Ceesar) der Hochschule Luzern, hat mit drei Millionen Franken ein Labor aufbauen können. Hier wird «intelligentes Wohnen» erforscht und präsentiert.

Im iHomeLab auf dem Schulcampus in Horw sieht es allerdings nicht aus wie zu Hause. Im weis­sen Empfangsraum steht ein Korpus, nebenan ein paar Sitzkissen. Aus den Ecken schallt Musik und die virtuelle Stimme von Lisa. Sie informiert die Besucherin. Plötzlich öffnet sich die Projektionswand — Sesam öffne dich! — und man steht in einem grossen, weissen Raum. Er gleicht eher einem Computerladen als einer Stube: Rundum Gestelle mit Tableaus, Geräten, Bildschirmen. Im Bo­den und an den Wänden verlaufen Schienen, auf denen Wände ein- und ausgefahren werden.
In diesem Labor zukünftigen Wohnens wird untersucht, wie verschiedene Geräte vom Heizkessel bis zur Stereoanlage von einem Ort aus überwacht und gesteuert werden können. Hier wird der grösste Stromfresser im Haus ermittelt oder studiert, wie eine Bedienung vereinfacht werden kann. Klapproth machts vor: Mit seinem iPhone verändert er das Licht und stellt Lisa auf stumm.

Verbessern und informieren

Mit dem Auftritt will der For­scher die Technik des iHome­Lab mas­­sen­­­tauglich machen. Im Kern geht es um Ge­bäudeautomation, die Heizungs-, Elektro- und Lüftungstechnik, aber auch Rollläden und Multi­mediageräte zentral steuert. Sie soll zuerst die Energieeffizienz eines Hauses verbesseren: Die Temperatur wird bei Abwesenheit gesenkt, die Waschmaschine läuft bei billigem Nachtstrom. Gebäudeautomation will aber auch das Leben im Haus vereinfachen. Und schliesslich die Sicher­heit erhöhen. Von der Haus­türe über Wetterfühler bis zum Timer an der Kaffeemaschine werden alle Apparate zentral gesteuert.

Das iHomeLab ist, wie erwähnt, nicht nur eine technische Werkstatt, sondern auch ein Showroom. Die Technik selbst ist zwar schon weit entwickelt, aber noch zu kompliziert und zu teuer. Erst im grossen Massstab angewendet wird sie günstiger. Darum sei Information ein wichtiger Teil der Hochschule, betont Alexander Klapproth:
«Wir sind präsent mit der Website, dem News­­letter, Mailings und Publikationen, wir gestalten Veranstaltungen und Kongresse mit, um auch die wissenschaftliche Seite abzudecken.» Kurz: Die Hochschule will das interdisziplinäre Netzwerk rund ums künftige Wohnen ausbauen.

Die Vernetzung und vor allem die Überwachung der Geräte ist elementar für die Durchset­zung der Energieeffizienz. Nur so sieht der Hausbewohner, wo wie viel Energie verbraucht oder eingespart wird. Dank Gebäudeautomation kann bereits heute ein Neubau mit 30 Prozent weniger Energie auskommen, an bestehenden Gebäuden können 20 Prozent eingespart werden. Die Luzer­ner Forschenden, aber auch Verbände und die In­dustrie tragen die Aufrufe des Bundesam­ts für Energie (BFE) weiter. Gemäss BFE verbrauchen Gebäude knapp 50 Prozent der Gesamt­energie des Landes: 30 Prozent für Heizung, Klimatisierung und Warmwasser, 14 Prozent in Form von Elektrizität und etwa 6 Prozent für die Herstellung und den Unterhalt. Zum Vergleich: Der Verkehr verschlingt 30 Prozent der Gesamtenergie.

Architekten stehen abseits

Doch wessen Aufgabe ist es, sich für Gebäudeautomation stark zu machen? Man denkt zuerst an die Ar­chi­­tekten: Sie sind die Berater der Bauherrschaft, sie steuern den Hausbau. Doch das Interesse hält sich in Grenzen. Energieeffizienz hat für viele Ar­chitekten bisher nichts mit dem Job zu tun. Sie bringt mehr Planungsaufwand, ist teuer und kom­pliziert. Alexander Klapproth fasst seine Erfahrung so zusammen: «Das Gebäudebild der Ar­chi­tekten ist stark vom Material, der Form und Gestaltung geprägt, die Technik und vor allem neue Entwicklungen sind für die Gestalter schwer fassbar.» Deshalb werde Technik nur als Neben­-schauplatz oder notwendiges Übel wahr­ge­nom­men. Kommt dazu, dass Techniker und Archi­tek­ten unterschiedliche Wahrnehmungen haben und verschiedene Sprachen sprechen. Klapproth ist des­halb realistisch: «Es braucht Zeit, die unterschiedlichen Weltbilder kompatibel zu machen.»

Trotz des verbreiteten Desinteresses der Architekten an technisch avancierten Lösungen hat für ihn die ausgeklügelte Haustechnik Zukunft: «Die Klima- und Heizungsregelung ist weit fortgeschritten und die Multimedia- und IT-Infrastruktur hat sich etabliert. Aber diese Teilsysteme sind noch nicht integriert und zum Beispiel mit den Elektrogewerken nicht vernetzt.» Auch der Komfort lasse noch zu Wünschen übrig. Die Bedienung der komplexen Technik müsse einfacher werden. Trotzdem sei die Technik nicht mehr zu stoppen, nicht zuletzt wegen der steigenden Energiepreise. «Ich rechne damit, dass in zwei bis drei Jahren die Energieeffizienz dank Gebäudesteuerung bei den Wohnbauten markante Resultate zeigen wird», prognostiziert Klapproth.

Keine Hexerei

Bei Neubauten energiesparende Technik einzubauen oder mindestens die Installation dafür vorzusehen, ist keine Hexerei: Von einem Tableau im Keller führen die Leitungen sternförmig zu allen gesteuerten Geräten, vom Lichtschalter bis zum Sonnenschutz. Diese sind mit Kabeln oder per Funk mit dem Bedien­element verbunden. In der Planung und beim Ein­zug braucht es einen Systemintegrator, der die Bedürfnisse der Hausbewohner aufnimmt, programmiert und das Tableau im Keller überwacht. Die Bewohner kommen dann aber mit einer Fernbedienung, dem Mobiltelefon oder einem fix installierten Schaltkästchen aus.

Und der Preis? Die Neubaukosten seien gegenüber konventioneller Technik nicht viel höher, sagt Alex Wettstein. Er hat als Bauherr modernste Technik in einem Wohn- und Geschäftshaus in Bivio integriert. René Senn, Leiter von Raum Consulting, einem Beratungsbüro für in­tel­ligentes Woh­nen, nennt für einfache Installationen in Neu­-bauten Mehrkosten von zwei bis vier Prozent.
Geht es um die Sanierung von bestehenden Gebäuden, macht es wenig Sinn, den Backofen mit dem Fernsehgerät zu vernetzen. Hier gilt es vorab, die Heizungen nachzurüsten. Schon mit einer einfachen Steuerung der Heizkörper kann ein Ein­­familienhaus mit bis zu einem Drittel weniger Öl auskommen. Eine einfache Nachrüstung ist zum Beispiel ein Kästchen, das über Funk die Regler an den Radiatoren dirigiert. Man stellt Zeit und Raumtemperatur ein und die Regler — ausgerüs­tet mit Temperaturmessung und Motörchen — drehen die Heizkörper auf und zu. Neue Leitungen sind keine nötig und Elektrosmog-Angst ist unbegründet, die Sendeleistungen sind gering und nicht permanent. Eine Minute mobil telefonieren entspricht einer Strahlenbelastung von 15 Jahren Wohnen mit Funk-Heizungsregler. Und damit die Abwehrargumente der hohen Kosten ins rechte Licht gerückt sind: Ein Gerät für ein Einfamilienhaus, zum Beispiel «Synco living» von Siemens, kostet 3600 Franken — Montage inklusiv.

Die Normen

> Der SIA setzt mit dem Merkblatt «Energieausweis für Gebäude» und der Norm 386.110 (in Europa seit 2007 die EN 15232) an. Das Merkblatt sagt, wie der Hausbesitzer zu einem Energieausweis kommt. Dieser Ausweis ist eine Bestandesaufnahme eines Gebäudes, der zeigt, wie viel von welcher Energie ein Haus verbraucht und wo das Sparpotenzial liegt. Zurzeit wird das Merkblatt von den Kantonen koordiniert und optimiert. Es soll im Sommer 2009 zur Vorschrift und breit gestreut werden.

> Die SIA-Norm 386.110 «Energieeffizienz von Gebäu­-
den — Einfluss von Gebäudeautomation und Gebäudemanagement» ist seit einem Jahr in Kraft. Sie gibt unter anderem Vereinheitlichungs- und Berechnungsmethoden zur Energieeffizienz vor. Die Norm teilt die Gebäudeautomation in die vier Effizienzklassen A, B, C, D ein, von hoch effizient bis nicht effizient.

> Das Bundesamt für Energie befasst sich mit der Um­-
setzung der Norm EN 15232 «Energieeffizienz von Gebäuden — Auswirkungen der Gebäudeautomation und des Gebäudemanagements», die die EU 2007 erliess. Stefan Wiederkehr vom BFE betont, dass es wichtig sei, Normen nicht nur für den Bau zu er­lassen, sondern auch zu prüfen, dass die Geräte rich­tig bedient werden. Deshalb beauftragte das Amt den Ve­rein «energho», sich beim Bau und bei Sa­nie­run­gen von öffentlichen Gebäuden bei der Bauherr­schaft einzuschalten und sie explizit über die Gebäudeautomation zu informieren. Allein mit der Optimierung
der bestehenden Gebäudetechnik könnten die Energiekosten um 10 Prozent gesenkt werden.

[ Daniel Lischer (47) ist Architekt ETH, war unter anderem bei Cruz und Ortiz, Sevilla, und Jean Nouvel, Paris, tätig und führt das Büro Lischer Partner Architekten Planer in Luzern. ]

hochparterre, Mi., 2009.02.25

Kommentar:
Bewusstseinsbildung

Vor mehr als zehn Jahren waren ener­gie­effiziente Gebäude selten. Heute ist es kaum mehr denkbar, Bauten zu erstellen, welche nicht dem Minergiestandard entsprechen. Waren früher Kli­maanlagen in Autos eine teure Sonderausstattung, so sind sie heute selbstverständlich. Mittlerweile ist jedes Fahrzeug mit mehr Elektronik als mit Mechanik bestückt. So vermeidet zum Beispiel ein Sensor automatisch beim Rückwärtsfahren, dass die Aus­sen­luft ins Fahrzeuginnere gelangt.

Bei den Gebäuden steht der nächste Tech­nologieschub an. Für den Archi­tekten bedeutet dies, dass neben den bekannten und bewährten Baustan­dards, neue Technologien im Gebäude implementiert werden müssen. Den Architekten interessieren vor allem die gestaltwirksamen Elemente, welche energieeffiziente oder automatisierte Gebäude in der Regel nicht bieten. Zeitgemässe Bauten werden in naher Zukunft mit mehr Gebäudeautoma­tion bestückt sein. Primäres Ziel muss die intelligente Vernetzung schon heute existierender Systeme sein. Wie bei den energieeffizienten Gebäuden braucht es in erster Linie eine Bewusstseinsbildung der Planer und Nutzer.

Ein Gebäudeausweis könnte für diese Thematik ein hilfreiches Instrument sein, ähnlich wie dies schon bei Kühlschränken und Autos üblich ist.
So ist es nicht eine Frage des Interesses des Architekten oder des Bauherrn, wenn mit einer massentauglichen Vernetzung bereits in bestehenden Infrastrukturen massiv Energie gespart werden kann, sondern ein Muss, wel­ches angestrebt werden sollte.

25. Februar 2009 Sue Lüthi

Vereinigte Bündner Stile

Pablo Horváth ist in St. Moritz aufgewachsen. Dem analogen Architekten liegt der Kanton Graubünden am Herzen. Mit seiner Wohnüberbauung Chalavus knüpft er an eine regionale Architektur an. Zwar ist ein Bündner Stil nicht genauer definiert, aber wenigstens nennt Horváth seine Quellen: den St. Moritzer Architekten Nikolaus Hartmann, die um die Jahrhundertwende errichteten Grand Hotels La Margna und Suvretta House, den modernen Davoser Architekten Rudolf Gaberel und die traditionellen Engadiner Häuser. Hartmann be­nutzte Tuffstein, Horváth kleidet das Sockelgeschoss seines Neubaus in Travertin. Der grobkörnige Fassadenputz soll an die Besenwurfputze der Bündner Heimatstil-Häuser erinnern und die Hoffassade aus Lärchenschindeln ist auch bei Gabarel zu sehen. Schliesslich sind die grossen Panoramafenster eine Interpretation des «balcun tort» (Erker) des Engadiner Hauses. Kurz: Der Neubau transportiert Elemente des traditionellen Bauens in die heutige Zeit.

Inmitten von St. Moritz-Bad hat Pablo Horváth eine grosse Lücke geschlossen. Im Erdgeschoss sollen Läden und eine Cafeteria die Verkehrsachse beleben. Da in St. Moritz Wohnungen schwer zu finden sind, besonders auch für ältere Einheimische, hat sich die Gemeinde am Bau beteiligt. Im Zwischentrakt stehen 26 Seniorenwohnungen mit einer Spitexstation fürs «Wohnen ab 55» zur Verfügung. Damit sich das Ganze rechnet, hat der Bauherr in den Seitenflügeln zwan­zig Zweitwohnungen verkauft. Immerhin drei davon gingen an Einheimische.

Ist ein Haus mit zwei ganz verschiedenen materialisierten Fassaden nicht gegen jede Regel der Architektur? Horváth erklärt den Entscheid aus der Situation: Vorne ist die lebendige Geschäftsstrasse, auf der Rückseite der ruhige, sonnige und alpine Hof. «Wir haben den beiden unterschiedlichen städtischen und landschaftlichen Gesichtern von St. Moritz-Bad mit der städtebaulichen Setzung Rechnung getragen.» Er wolle den weitverbreiteten Schematismus brechen. Entstanden ist ein dichter und eigenwilliger Bau, der spielerisch, aber nicht willkürlich entworfen ist. Chalavus ist eine gelungene Alternative zum verpönten Chaletbau oder zum ambitionierten Foster-Ufo.

hochparterre, Mi., 2009.02.25

25. Februar 2009 Ivo Bösch



verknüpfte Bauwerke
Wohnüberbaung Chalavus

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