Editorial

...und das nicht nur hinsichtlich ihrer Nutzung: Sportstätten sollten zum einen architektonisch einladend, funktional und kostengünstig in ihrer Herstellung sein und sich zum anderen auch wirtschaftlich über viele Jahre bewähren. Doch was beeinflusst die Planung und die Betriebskosten von Sporthallen und Schwimmbädern? Welche Normen sind womöglich längst nicht mehr zeitgemäß, was sollte man als Architekt beachten? Fachartikel aus Projektsteuerer- und Betreibersicht ergänzen diesmal unsere Gebäudeauswahl aus fünf europäischen Ländern. Die vorge‧stellten Sportstätten haben Architekturkritiker wie immer vor Ort und teilweise sogar unter sportlichem Einsatz für uns geprüft. cf

Inhalt

Diskurs

03 Kommentar
Masterplan für das zerklüftete Köln | Boris Sieverts

06 Magazin

12 Letters from UK
Ein hoch auf die Autobahn | Tomas Klassnik

14 Im Blickpunkt
15 Jahre Deutsche Bahn AG: Renaissance der Bahnhöfe? | Lars Quadejacob

Schwerpunkt

18 Sportlich
19 Eissporthalle in Valdemoro bei Madrid (E); María Auxiliadora Gálvez und Luca Brunelli | David Cohn
28 Doppelturnhalle in Borex-Crassier (CH); Mann Capua Mann | Manuel Joss
34 Betriebswirtschaftliche und planerische Aspekte im Sporthallenbau | Christian Lanzinger
36 Mehrzweckhalle in Wimsheim; Drei Architekten | Claudia Hildner
42 Berufsschulzentrum in Linz (A); Hertl.Architekten | Volker Dienst
48 Betriebswirtschaftliche und planerische Aspekte im Bäderbau | Christian Kuhn
50 Schwimmbad in le Havre (F); Ateliers Jean Nouvel | Wilhelm Klauser
58 in die Jahre gekommen...
...Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften in Stuttgart-Vaihingen; Dieter Faller | Rüdiger Krisch

Empfehlungen

64 Kalender
Ausstellungen
Vilanova Artigas, Lina bo Bardi, Paulo Mendes da Rocha. Eine Spurensuche in Brasilien (Innsbruck) | Gretl Köfler
65 Interieur/Exterieur.
Wohnen in der Kunst (Wolfsburg) | Annemarie Lange
66 Neu in …
...Amsterdam (NL) | Anneke Bokern
...Graz (A) | Karin Tschavgova-Wondra
...Luxemburg (L) | Jürgen Tietz

68 Bücher

Trends

Energie
70 Gebäudeintegrierte Photovoltaik | Susanne Rexroth

Ökonomie
74 Die internationale Finanzkrise – Auswirkungen auf die deutsche Immobilien- und Bauwirtschaft | Ramón Sotelo

Produkte
Produktberichte
78 Dämmung, BAU 2009 | rm
86 Schaufenster: Sanitärausstattung | rm

Schwachstellen
88 Zeitdruck als Schadensursache | Rainer Oswald

Anhang
96 Planer / Autoren
97 Bildnachweis
98 Vorschau / Impressum

Keine kalte Kiste

Die meisten Eissporthallen sehen aus wie Kühlschränke, meint Luca Brunelli, funktionale Kisten wären sie, deren Hauptaufgabe es sei, eine konstant kühle Innentemperatur von ungefähr 13 Grad Celsius zu halten, kalt genug, um das Eis zu kühlen, ohne die Eisläufer zu verkühlen. Ziel ihres Entwurfes wäre es dagegen gewesen, »ein Gebäude, das normalerweise fast hermetisch abgeschlossen sei, nach den Grundsätzen eines öffentlichen Platzes zu gestalten«. Und das ist den Architekten in sehreigenwilliger aber überzeugender Weise gelungen.

Valdemoro mit seinen 60 000 Einwohnern ist eine vorwiegend von Arbeitern bewohnte Satellitenstadt im Speckgürtel von Madrid, etwa 27 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegen, die seit einiger Zeit durch ihre Förderung junger madrilenischer Architekten auf sich aufmerksam macht.

So hat María Auxiliadora Gálvez, die in Projektpartnerschaft mit Luca Brunelli für die neue Eissporthalle verantwortlich zeichnet, gemeinsam mit Izabela Wieczorek, mit der sie seit vielen Jahren eine Arbeitskooperation (Galvez Wieczorek Arquitectos) pflegt, hier kürzlich zwei Kindertagesstätten bauen können. Und von Alberto Nicolau stammt ein Hallenbad, das ebenso wie die Eissporthalle 2007 eröffnete. In dem kleinen Park rund um die Halle findet sich außerdem eine Sporthalle samt Schwimmhalle der Madrider Architekten María Fraile und Javier Revillo aus dem Jahr 1998 – eines ihrer ersten Projekte, mit dem diese sehr unmittelbar ihren eigenen, fast rau anmutenden, ruhigen Minimalismus etablierten.
Gemeinsam mit Izabela Wieczorek und Ana Bonet, Brunellis Frau, mieteten Gálvez und Brunelli 2000 ein Atelier an, in dem sie seitdem in wechselnden Arbeitsgemeinschaften Projekte realisieren. Gálvez hatte ihr Architekturstudium an der Escuela Técnica Superior de Arquitectura de Madrid 1998 abgeschlossen und anschließend dort zwei Jahre für das Büro Ábalos &Herreros gearbeitet. Brunelli beendete sein Architekturstudium in Italien an der Politecnico di Torino 1995. Seit Kurzem firmiert er als Bblab. Mittlerweile haben sich der Gemeinschaft weitere freie Architekten hinzugesellt.

Resonanzkörper mit Lichtspiel

Gálvez bezeichnet das dem Gebäude zugrunde liegende Entwurfskonzept als das »eines sinnlichen Resonanzkörpers«, in dem das farbige Licht der Fenster mit ihren unterschiedlichen Grün-Gelb-Nuancen einen spielerischen Dialog mit den reflektierenden Oberflächen der Decke und Wände sowie der Eisfläche eingeht und die Fenster außerdem komponierte Blicke auf die umgebende Vegetation erlauben.

Mit dem Madrider Bauunternehmen Teconsa hatten Gálvez und Brunelli 2004 gegen fünf Mitbewerber die Generalunternehmerausschreibung der Stadt für die Eishalle gewonnen. Ihre darauf beruhende Vertragssituation mit dem Unternehmen machte es ihnen in der Folge nicht immer leicht, ihre hohen Qualitätsansprüche in der Ausführung umzusetzen. Aber, so berichtet Brunelli, vonseiten der Kommune erhielten sie dabei große Unterstützung. So akzeptierte diese eine Kostensteigerung des ursprünglich mit ungefähr 3,8 Millionen Euro angebotenen Projekts auf 4,5 Millionen. Betreiber der Eislaufhalle im Auftrag der Stadt ist ein Privatunternehmen, das mit städtischen Fördermitteln unterstützt wird, unter anderem auch, um die Eintrittspreise gering zu halten.
In dem Gebiet rund um den Bauplatz der Eishalle gab es schon eine Vielzahl weiterer Freizeiteinrichtungen. Neben dem eingangs erwähnten Sportcenter von Fraile und Revillo befinden sich hier Basketball Courts, ein Spielplatz, eine kleine Stierkampfarena und ein schmaler Park. Und auf dem direkt hinter der Halle gelegenen Grundstück war ein augenblicklich in Fertigstellung begriffener, L-förmiger Wohnblock vorgesehen. Da die Halle im tiefstgelegenen Punkt im Inneren des Wohnblocks entstehen, dabei aber von zwei Seiten direkt von der Straße erschlossen werden sollte, entschieden sich Gálvez und Brunelli, die Eisfläche mit Ausmaßen von 30 x 60 Metern diagonal in die L-Form einzupassen und um sie herum eine unregelmäßige Hülle zu gestalten, die auf die Topografie reagiert und sich durch ihre ausgeprägte auskragende Dachform hin zu den freien Flächen orientiert. Die Serviceräume liegen im Rücken der Halle zum Wohnblock hin. Das Dach akzentuiert zum einen die weitläufige Freifläche vor dem Eingangsbereich und bildet zum anderen an der Gebäudesüdseite, dem Park gegenüber, vor der Cafeteria einen klar definierten Außenbereich, der zum Verweilen einladen soll. An dieser Stelle findet sich mit 17 Metern Dachüberstand auch die weiteste Auskragung.

Mit der großzügigen Glasfassade, die die niedrigen Einfallwinkel der nachmittäglichen Wintersonne einfängt, und der aus dem Gebäudeinneren bis in die auskragende Dachebene fortgeführten, reflektierenden Metalldecke wollten die Architekten ein Gebäude schaffen, das eine direkte Korrespondenz zwischen Innen und Außen ermöglicht und so ein einladendes umschlossenes städtisches Ambiente gestalten. Die sich in diesen öffentlichen Bereich dahinschlängelnde Gebäudekontur wird akzentuiert durch einen geschosshohen Betonsockel, der unter das Dach eingeschoben scheint. Darin sind der Eingang, die Kassen, die Umkleiden, die Cafeteria, Büroräume und die Haustechnik untergebracht. Er gleicht zudem den Geländeversatz aus. Darüber sitzt umlaufend die obere Fensterreihe als elegante Vorhangfassade, einem farbigen Lichtvorhang gleich, mit ihrem Wechsel von klaren Isolierglasscheiben, eingefärbten Scheiben und dazwischen akzentuierenden Metallpaneelen. Um den Eindruck der Durchgängigkeit zwischen dem Außen- und dem Innenraum zu verstärken, befinden sich die eigentliche Eisfläche und die sie umgebende Ebene ohne Versatz auf gleicher Höhe und auch die Decke geht scheinbar nahtlos von innen nach außen über.

Kein Käfig

Im Inneren der großen Halle sind die sich an der Eisfläche »entlangschlängelnden« Nebenräume mit kleinteilig perforierten Metallpaneelen, wie sie als Erschließungsstege im Gerüstbau verwendet werden, verkleidet, die die Architekten in unterschiedlichen Grüntönen streichen ließen. Im hinteren Teil, wo sich oberhalb der Nassräume und Umkleiden eine kleine Aussichtsplattform für die Besucher von Hockeyspielen befindet, wurden an den Wänden vertikal angeordnete Metallpaneele angebracht, die eine etwas gröbere Struktur aufweisen. Verchromte Abdeckleisten, eigens dafür entworfen, verleihen diesen gedämmten Wandelementen eine sehr homogene Erscheinungsweise.
Die schimmernde Decke ist mit wärmegedämmten Sandwichpaneelen verkleidet, die an der Oberfläche eine fein strukturierte Metallfläche zeigen, wobei einige farbige Metallpaneele streifenartig die sehr homogen graue Ansichtsfläche durchbrechen und beleben. Sehr ähnliche, vertikal angeordnete Paneele verwendeten die Architekten an der Fassade. Mit großer Sorgfalt wurden diese an den Gebäudekanten gebogen um die Ecken geführt. Ihre Oberflächen, die sorgfältig komponierte Farbigkeit sowie die ebenso sorgfältig detaillierten Lichtbänder verleihen der Eishalle eine Qualität, die sie weit über die Lieblosigkeit standardisiert vorgefertigter Hallen erhebt. Auch bei der Gestaltung des weit auskragenden Dachabschlusses ist diese Sorgfalt erlebbar. Die hier gewählten Paneele mussten zum Schutz vor Beschädigungen eine gewisse Dicke aufweisen. Hier wählten die Architekten möglichst schmale Profile, um die Kontinuität der Dachlandschaft zu erhalten. In direktem Gegensatz dazu stehen die eher grob ausgeführten Betonansichtsflächen, die zeigen, dass der Bauunternehmer die Qualitätsansprüche der Architekten nicht ganz teilte. Glücklicherweise ergibt der Gegensatz zwischen den feinen und der eher groben Oberfläche einen reizvollen Kontrast, der dem Gebäude nichts von seiner Qualität nimmt.

Eiskalt und nachhaltig

Um die großen Spannweiten des Hallendaches über der Eisfläche sowie die Dachauskragung zu realisieren, entschieden sich die Planer für eine Konstruktion aus Fachwerkträgern für das Dach, die, dem »schlängelnden« Grundriss folgend, auf unregelmäßig in der Halle angeordneten, runden Betonstützen ruhen. Die bis zu 3, 5 Meter hohen Träger weisen geneigte Oberzüge auf (siehe Detailbogen S. 99). Stützen und Fachwerkträger sind biege-steif miteinander verbunden.

Die Klimatisierung erfolgt zum einen über eine Heizungsanlage für die Umkleide-, Aufhalts- und Servicebereiche, zum anderen über eine Kühlanlage, die zum einen der Eisproduktion dient und zum anderen die Temperatur im Hallenbereich kontrolliert. Vollständig ausgelastet mit der Eisherstellung ist sie nur, wenn es gilt, die komplette Fläche zu erneuern. Zur späteren Kühlung des Eises wird nur eine Drittel ihrer Leistung benötigt, so dass die übrige Kapazität zur Temperierung der Halle zur Verfügung steht und damit auch der Kondensatbildung vorbeugt. Die Eisproduktion sowie die Kühlung der Fläche erfolgt über strahlenförmig unter der Lauffläche verlegte Polyehtylen-Röhren. Durch die Auslegung sowohl für das Eis als auch zur Hallenklimatisierung konnten neben den Anlagenkosten auch die Betriebs- und damit Energiekosten im Sinne der Nachhaltigkeit günstig beeinflusst werden. Den größten Nachhaltigkeitseffekt sieht Brunelli allerdings in der Tatsache, dass die Halle im Sommer geschlossen wird – anders als ganzjährig betriebene Freizeit-Skipiste in einem nahe gelegenen Einkaufcenter.

Die Eishalle tritt in einen spannenden Dialog über Zeit und wechselnde Moden mit dem Sportcenter von Fraile und Revillo: Statt auf sich selbst fokus-iert zu sein, öffnet sie sich ihrer Umgebung gezielt, ihre äußere Gestalt ist eher intuitiv als konsequent funktional entwickelt. Und ihre Materialwahl und Farbgebung, eine scheinbar willkürlich-spielerische Variation des Themas Pixelierung, wendet sich gegen das Diktat der Materialwahrhaftigkeit.

Gálvez, die auch als Entwurfsarchitektin für Vorschulen Erfahrung hat, ist eine erklärte Anhängerin Aldo van Eycks. So zeigt sich in dem Entwurf der beiden Architekten gerade auch ihr Bewusstsein für die Bedeutung von Orten sozialer Begegnung und kontrastiert mit dem eher mystisch-mies’chen Raumverständnis von Fraile und Revillo. Dabei weisen die beiden Gebäude auch klare Gemeinsamkeiten auf. In ihrer sehr gradlinigen, bescheidenen Materialwahl und dem Beharren auf hoher architektonischer Qualität auch und gerade im Umfeld der Vorstädte führen beide Projekte die lange künstlerische Tradition eines barock zu nennenden Realismus fort, bei dem bescheidene, alltägliche Aufgaben mit einer spartanisch zu nennenden Noblesse »geschmückt« werden.

db, So., 2009.03.01

01. März 2009 David Cohn



verknüpfte Bauwerke
Eissporthalle

Ballfänger und Blickfang

Ein Gittertragwerk, das ein 32 Meter langes Panoramafenster überspannt und gleichzeitig durch Hunderte von Öffnungen die Halle belichtet, außen ein zurückhaltender Glaskörper, der nachts leuchtet wie eine Laterne: Am Dorfeingang von Borex zeigen die Architekten Mann Capua Mann, wie aus einer gewöhnlichen Bauaufgabe eine einzigartige Sporthalle entstehen kann. Durch einen sensiblen Umgang mit der Umgebung und der geschickten Verbindung von Tragwerk und Architektur – auch wenn letztere nicht optimal ausgereizt wurde.

Borex und Crassier sind zwei kleine Gemeinden am Genfer See im französischsprachigen Teil der Schweiz. Die Lage inmitten von Feldern und Weinbergen und die abwechslungsreichen Licht- und Wetterstimmungen in der Nähe der großen Wasserfläche hat sie wie auch die anderen Dörfer der Gegend zu beliebten Wohnorten für Pendler werden lassen. Genf ist seit dem Autobahnbau in den sechziger Jahren nur eine halbe Autostunde entfernt. Die Bevölkerung von Borex-Crassier zum Beispiel hat sich seither auf rund tausend Einwohner vervierfacht und wächst kontinuierlich weiter, und damit auch die Schülerzahl.

Im Jahr 2004 schrieben die beiden Gemeinden einen Architekturwettbewerb aus, um die bestehende Turnhalle der Sekundarschule »Elisabeth de Portes« am Dorfrand von Borex mit einer Doppelturnhalle zu erweitern. Die beiden Klassentrakte der Schule aus den siebziger Jahren wurden bereits aufgestockt und die inzwischen vierhundert Schüler, die teils noch aus anderen Gemeinden hinzukommen, mussten für den Sportunterricht bislang auf etliche weitere Hallen in der Umgebung ausweichen. Zudem bestand eine große Nachfrage seitens der örtlichen Sportvereine.

Das Architekturbüro Mann Capua Mann aus Lausanne gewann den Wettbewerb mit einer sorgfältigen und zugleich zweckmäßigen Anordnung, die einen Geländesprung ausnutzt: Der Neubau schließt mit dem Sockel an die bestehende Halle an, das Glasvolumen übernimmt die Fluchten der alten Fassade. Beide Hallen zusammen bilden so am Dorfrand den Abschluss des uneinheitlichen Schulgeländes, auf dem auch ein Technikhaus und eine Mobilfunkantenne stehen. Zwischen dem Anbau und dem gegenüberliegenden Gebäude der Kinderkrippe ist ein neuer, grasbewachsener Platz entstanden. Von hier verlaufen Fußwege zu den Klassentrakten, die von der Straße aus durch Wohngebäude und einen Friedhof verdeckt werden.

Der neue Haupteingang führt in ein Foyer mit Blick in die neue Doppelhalle und mit einer Verbindung zur bestehenden Küche und Zuschauertribüne. Über die Treppe gelangt man hinunter zu den Umkleiden und zu den alten und neuen Sportflächen. In der neuen Halle dringt helles Seitenlicht durch das teilweise sichtbare Holztragwerk, zusammen mit den furnierten Holzplatten entstehen sich ständig ändernde, faszinierende Lichtstimmungen. Im Gegensatz zur Halle sind die Neben- und Erschließungsräume einfacher und kühler gehalten: Weiß gestrichene Wände und cremefarbener Kunststoffboden herrschen hier vor. Von außen betrachtet wirkt die Glasfassade mit den stehenden Profilen zurückhaltend, je nach Licht-verhältnis schimmert die Holzstruktur etwas durch und wenn sie abends beleuchtet ist, wird sie zum Blickfang am Dorfeingang.

Anreiz zum Sport

»Wir versuchen jeweils die Qualitäten des Ortes aufzudecken und für das Bauwerk auszunutzen«, erklären die Architekten Graeme Mann und seine Frau Patricia Capua Mann, die seit fast zwanzig Jahren in Lausanne ein Büro führen und vor allem Schul- und Sporthallen gebaut haben, die auf Wettbewerbserfolge zurückgehen. Während der Projekt- oder Wettbewerbsphase besuchten sie mehrmals den Ort und beobachten die bestehende Umgebung sehr genau.

Nachhaltig beeinflusst hat sie der Tessiner Architekt Luigi Snozzi, der an der EPFL (Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne) unterrichtete und an der beide studiert haben. Er fordert stets eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte und ist überzeugt, dass gerade in wild überbauten Gebieten von einem einzelnen und sorgfältig gestalteten Gebäude eine ordnende und identitätsstiftende Wirkung ausgehen kann.

Großen Einfluss auf die Gestalt der Halle hatten auch die Gedanken der Architekten über die künftigen Hauptnutzer, die elf- bis sechzehnjährigen Schüler: »Wir wollten einen ganz mit Holz ausgekleideten Innenraum schaffen, der eine freundliche und beinahe wohnliche Grundstimmung herstellt und einen starken Bezug zur Umgebung hat. Denn Sport ist eine willkommene Abwechslung im Schulbetrieb, aber gerade in der Pubertät stehen die Schüler der Entwicklung des eigenen Körpers noch unsicher und kritisch gegenüber und lehnen die sportliche Betätigung und den Wettstreit oft ab. Ein sinnliches Umfeld mit spannenden Ausblicken kann hier vermittelnd wirken.«

Stimmungsvolle Tragstruktur

Ein Kernelement des Projektes ist deshalb das stützenfreie Panoramafenster, das die ganze Hallenlänge von 32 Metern einnimmt. Es rahmt den Blick über die Felder und Baumreihen bis zu den fichtenbestandenen Hängen der Jurahügel, über die der Westwind häufig Regenwolken hertreibt.

Zu Beginn hatten die Architekten eine Tragstruktur aus Massiv- und Brettschichtholz und eine Fassade aus Holzbrettern vorgesehen, nicht zuletzt weil viele der am Schulkreis beteiligten Gemeinden große Wälder besitzen.

Die Idee für eine Fassade mit einem das Dach tragenden Gitterfachwerk»balken« kam erst bei der Überarbeitung: Im Gegensatz zu den üblichen Fachwerkträgern mit W-förmigen Diagonalstreben ergibt das Gitterfachwerk ein gleichmäßigeres Erscheinungsbild ohne beherrschende Symmetrien. Zwar kostete die davor angebrachte Glasschicht im Vergleich zu einer Holzfassade wesentlich mehr, dafür aber sind langfristig gesehen die Unterhaltskosten geringer, eine Holzfassade hätte sicher nach 25 Jahren erneuert werden müssen. Zudem entfielen so die ansonsten für die Belichtung notwendigen Oberlichter und das Gitterfachwerk bildet auf der Innenseite zugleich auch die Innenverkleidung.
Das Gitterfachwerk geht zurück auf den amerikanischen Holzbrückenbau des 19. Jahrhunderts. Der amerikanische Architekt und Ingenieur Ithiel Town erhielt 1820 ein Patent für eine Gitterfachwerkbrücke, die in der Folge oft gebaut wurde. Vorteile bestanden in der Verwendung von kurzen und gleich dimensionierten Holzstäben, die diagonal zwischen den beiden Randbalken befestigt wurden, für die Montage reichten lediglich angelernte Arbeiter.

Heutzutage wird dieses System selten verwendet, weil beim Zusammenschrauben viel mehr Handarbeit anfällt als bei normalen Fachwerkträgern. Auch in Borex-Crasier wurde die Fabrikation vor Ort in einem Zelt neben der Baustelle erwogen. Um eine höhere Genauigkeit zu erreichen, entschied sich das Holzbauunternehmen kurz vor Baubeginn aber für die Vorfertigung der Träger auf dem eigenen Werkgelände, ein Schwertransporter brachte die fertigen Fassaden- und Dachelemente in einer Wagenladung auf die Baustelle.
Das Gitterfachwerk überspannt aber nur über dem Panoramafenster die ganze Gebäudeseite, auf zwei weiteren Seiten ruht es auf Betonwänden, die die Lasten abtragen. Auf der vierten Seite, beim Übergang zur bestehenden Halle, wurde wiederum ein »herkömmlicher«, verkleideter Holzfachwerkträger angebracht. Auch wenn die »Leistung« und Raumwirkung des überspannenden Gitterfachwerks dadurch nicht gemindert wird – insgesamt betrachtet wirkt das hölzerne Tragsystem so aber eher inkonsequent. Zurückzuführen ist dies einerseits auf die örtlichen Gegebenheiten – zwei Gebäudeseiten liegen im Erdreich –, andererseits ist die Tragwerks- und Belichtungslösung erst sehr spät in der Überarbeitung entstanden. Nicht zuletzt aber handelt es sich um ein Bauvorhaben einer mittelständischen, ländlichen Gemeinde mit begrenzten Mitteln und nicht um ein Vorzeigeprojekt in einem Sportpark. Dieser Umstand ist auch an weiteren Details ersichtlich: Die Glasfassade wechselt an der schwer einsehbaren Gebäudeseite über dem Anbau in eine Blechverkleidung. Unentschieden wirkt die Haltung gegenüber dem bestehenden Gebäude: Dessen Betonsockel wird zuerst weitergeführt, wechselt dann aber rund um das Panoramafenster in eine weiße Metallverkleidung, auf der optisch der neue Glaskörper ruht. Von außen betrachtet wirkt hier der hervorgerufene Ausdruck eines neuen, unabhängigen Gebäudeteils zu gewollt.

Frischluft für den Hallensport

Ein natürliches Lüftungssystem sorgt beinahe ganzjährig für ein angenehmes Raumklima. Im begehbaren Zwischenraum der zweischaligen Fassade befinden sich automatisch gesteuerte Lüftungsklappen, die eine natürliche Querlüftung ermöglichen. Im Sommer schafft ein Luftzug zwischen Glashaut und Holzkonstruktion die entstehende warme Luft ständig nach draußen. Wird im Winter dann doch einmal die CO2-Konzentration zu hoch, kann eine mechanische Lüftung mit einem Wärmetauscher zugeschaltet werden. Diese befindet sich im Sockelbereich, saugt durch ein Gitter Luft an und bläst sie ins Halleninnere.

Verirrte Federbälle

Nach über einem Jahr in Betrieb äußern sich die Benutzer durchaus positiv. Die natürliche Belichtung sei das ganze Jahr hindurch hervorragend, erklärt ein Turnlehrer. Dank der industriell geätzten Glashaut wirft das Gitterfachwerk selbst bei starkem Sonnenschein keine ablenkenden Schatten auf den Boden, und wenn die Sonnenstrahlen am Nachmittag das Panoramafenster erreichen, können Storen gesenkt werden, die unter der Blechabdeckung verdeckt sind. Die Belüftung funktioniert auch an den in dieser Gegend sehr heißen Sommertagen einwandfrei und Kritik beschränkt sich auf das Fehlen eines härteren Prallschutzes, wie er etwa für Einzelübungen im Volleyball benötigt wird. Ab und zu verirren sich Federbälle und andere Wurfge-schosse zwischen dem Holzgeflecht hindurch in die Zwischenschicht, diese ist aber für Unterhaltszwecke begehbar.

Der Bau verlangte von den beteiligten Planern, Firmen und der Bauherrschaft einen großen und überzeugten Einsatz, aber das fertige Gebäude ist für alle ein Referenzobjekt geworden und hat inzwischen mehrere Auszeichnungen erhalten. Dass die Baukosten im Vergleich mit anderen Hallen im oberen Mittelfeld liegen, scheint zweifellos gerechtfertigt: Die unverwechselbare Halle leistet einen wertvollen Beitrag für die Identität des Ortes und ermöglicht Sportunterricht in einer einzigartigen Atmosphäre.

db, So., 2009.03.01

01. März 2009 Manuel Joss



verknüpfte Bauwerke
Erweiterung Schulzentrum

Kunstgriff für die Kunstradfahrer

Der Sieger im Wettbewerb um die neue Mehrzweckhalle in Wimsheim hatte sofort das Herz des Gemeinderats erobert: Die Lösung der Architekten überzeugte nicht nur nach funktionalen und ästhetischen Gesichtspunkten, sondern auch durch Raffinesse. Die von der Kommune geforderte Erweiterungsmöglichkeit sah das Büro innerhalb des Gebäudes vor – und schuf damit ein Atrium, das bei Veranstaltungen rege genutzt wird. Doch auch in der Halle selbst bewältigten die Planer den Spagat zwischen der Einhaltung des Kostenrahmens und qualitätvoller Architektur bravourös.

Wagt der Architekt einen Ausflug ins Umland, so sieht er sich oft mit einem ärgerlichen Phänomen konfrontiert: Gleich hinter den halbwegs intakten Dorfkernen lauern Bauten, die nicht nur auf den Kontext pfeifen, sondern auch noch so wenig Charme ausstrahlen, dass man ihnen sofort die Abrissbirne wünscht. Auch in Wimsheim – auf halber Strecke zwischen Karlsruhe und Stuttgart an einer Autobahnausfahrt der A8 gelegen – gibt es solche Zweckbauten, allerdings fast nur in dem vor dem eigentlichen Ort liegenden Reservat eines Industriegebiets. Dass die Kommune im Gegensatz zu vielen ihrer Nachbarn durchaus weiß, was qualitätvolle Architektur ausmacht, beweist sie dafür mit ihrer neuen Mehrzweckhalle, die westlich des 2700-Seelen-Ortes auf einem Hügel thront.

Im Inneren wachsen

Die Gemeinde Wimsheim wünschte sich eine Halle, die sich sowohl für den Sportunterricht der benachbarten Grundschule und den Vereinssport als auch für private und öffentliche Veranstaltungen nutzen lassen sollte.
Uneinig war sich der Gemeinderat allerdings über deren Ausmaße. Für eine Ortschaft der Größe Wimsheims wären 18 x 36 Meter für Veranstaltungen absolut ausreichend, doch genügen diese Dimensionen bei einigen Sportarten nicht den internationalen Anforderungen (20 x 40 Meter), so dass die nächstgrößere Normhalle mit Maßen von 22 x 44 Meter ebenfalls zur Diskussion stand. Dass die Argumente für die Ausführung einer größeren Variante nicht unbegründet waren, bewies der Erfolg der Wimsheimer Kunstradfahrer, die kurz nach Fertigstellung der Halle in die zweite Bundesliga aufstiegen.

Schließlich einigte man sich auf eine 22 x 36 Meter große Halle, die man bei Bedarf auf 44 Meter erweitern können sollte. Dieser Wunsch war nicht ganz unproblematisch, da auf der einen Seite der Halle eine Bühne vorgesehen war und sich damit das Foyer nach funktionalen Gesichtspunkten automatisch auf der gegenüberliegenden Seite befinden musste. Der Entwurf von Drei Architekten barg hier die eleganteste Lösung: Das Büro schlug vor, die Erweiterungsmöglichkeit innerhalb des Gebäudes in der Form eines Atriums vorzusehen. Der Kommune gefiel dieser Vorschlag – obwohl man durchaus erkannte, dass sich dadurch natürlich weniger Kosten einsparen ließen als wenn die Erweiterung außerhalb des Baukörpers liegen würde. Die Wimsheimer gewöhnten sich jedoch schnell an den Gedanken eines zusätzlichen reizvollen Raums im Foyerbereich. Die Chance zur Erweiterung gibt es nach wie vor, allerdings möchte heute wohl kaum noch jemand auf das großzügige Atrium verzichten.

Holz-Beton-Kombi

Projektleiter Harald Konsek – einer von 18 Mitarbeitern des Büros Drei Architekten aus Stuttgart – blieb die Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister und dem Gemeinderat von Wimsheim in guter Erinnerung: Die Bauherren standen von Anfang an hinter dem Entwurf, so dass die Planungen rasch vorangingen.

Zum Glück für die Architekten erteilte auch das Landratsamt Enzkreis die Baugenehmigung verhältnismäßig schnell: Dadurch umgingen die Planer, das Gebäude nach der neuen baden-württembergischen Versammlungsstättenrichtlinie (gültig seit Juli 2004) mit ihren schärferen Vorschriften – etwa zu Brandschutz und Fluchtwegen – überarbeiten zu müssen.

Für die Konstruktion waren ursprünglich mit Holz beplankte Stahlblech-Schwerter vorgesehen, doch diese Variante scheiterte aufgrund der hohen Stahlpreise zurzeit des Baus. Die Träger wurden daher in Brettschichtholz ausgeführt. Der Abstand zwischen den einzelnen Trägern ist etwas geringer als statisch erforderlich. Dadurch rahmen sie die schmalen Heizelemente, die zwischen ihnen sitzen, derart ein, dass sie in der Schrägansicht nicht mehr zu sehen sind. Die Träger lagern auf Betonstützen auf; eine Lösung, die den geforderten Spannweiten laut Architekten statisch am besten gerecht wird. Die tragenden Wände der Nebenbereiche des Gebäudes ließen die Planer in Beton ausführen. Die Oberflächen sind jedoch nicht glatt, sondern zeigen die sägeraue Holzschalung. An einigen wenigen Stellen ließen die Architekten die Wände zusätzlich farbig gestalten. Die Entscheidung, für die Konstruktion vor allem Beton zu verwenden, war auch ökonomisch begründet: Das Budget der Kommune sollte nicht gesprengt werden.

Von außen lässt der Bau die Betonknochen kaum erahnen: Eine Lärchenholz-Verschalung hüllt das Gebäude auf drei Seiten ein und lässt es trotz seiner Ausmaße ruhig in der Landschaft liegen. Damit das Holz gleichmäßig vergrauen kann, vermieden die Architekten jeden Überstand. Die Bauherrschaft hatte sich mit der Idee des dunkler werdenden Holzes schnell angefreundet: Die Alternativen – Faserzementplatten oder eine Behandlung des Holzes – kamen für sie nicht in Frage.

Eine schöne Referenz für die Holzhülle entdeckt der Besucher übrigens, wenn er durch ein bodentiefes Fenster im ersten Obergeschoss des Nebengebäudes Richtung Norden auf die Landschaft blickt: Vom gegenüberliegenden Hügel grüßen dann zwei große Scheunen herüber, die den Architekten schon zu Beginn der Planungen auffielen und die sie nun auf ihre Art in Szene setzten.
Im Inneren beschränkten sich die Architekten auf wenige Materialien und Farben; eine Haltung, die weniger den Kosten als einem allgemeinen Entwurfsprinzip des Büros geschuldet ist. Halle, Foyer und Gymnastik-raum tut diese Zurückhaltung sehr gut, wohingegen einige der Nebenbereiche fast etwas zu karg wirken. Doch dies mag auch daran liegen, dass viele Bereiche noch kaum oder nur notdürftig
möbliert sind.

Mit Holz heizen

Holz prägt aber nicht nur die äußere und innere Gestalt der Halle, sondern sorgt auch für die nötige Wärme: Im Keller des Gebäudes findet sich eine Holzpelletheizung, die im Nahwärmeverbund auch die benachbarte Grundschule und den Kindergarten mitversorgt. Nur zur Abtragung der Spitzenlasten in den Wintermonaten und zur Warmwasserbereitung wird zusätzlich der Ölbrenner der Schule angeworfen.

Die Holzheizung war für die Bauherren eigentlich nur die zweitbeste Lösung: Ursprünglich strebten Bürgermeister und Gemeinderat die Versorgung mit Erdwärme an. Die dazu nötigen Pumpen wurden jedoch aufgrund einer an diesem Bauplatz möglichen Gefährdung des Trinkwassers nicht genehmigt. Der Bau der Holzheizung in Wimsheim wurde von der Bundesregierung über das Klimaschutz-Plus-Programm mit rund 63 000 Euro gefördert; zusammen mit den (noch) relativ niedrigen Kosten für Holzpellets stellte sich diese Lösung daher als die wirtschaftlichste heraus. Über die Umweltfreundlichkeit der Heizvariante entbrennen indes in letzter Zeit häufiger Diskussionen: Unter anderem ist abzusehen, dass der Boom der Holzheizungen die Pellets in absehbarer Zeit verteuern wird – was etwa für Länder in Südamerika einen Anreiz zur noch intensiveren Abholzung ihrer Wälder bieten könnte. Im Zusammenspiel mit einem energieeffizient gestalteten Gebäude ist die Holzheizung den Alternativen Gas und Öl allerdings wohl immer noch überlegen.

Um die Temperatur der Halle schnell den Bedürfnissen der Benutzer anpassen zu können, wurden zwischen die Träger Flächenstrahlelemente eingebaut. Diese erwärmen nicht die Luft, sondern direkt die von ihnen beschienenen Oberflächen. Die von den Architekten erwogene Alternative einer Fußbodenheizung schied vor allem wegen deren Trägheit aus. Da das Gebäude für alle Veranstaltungen optimale Bedingungen bieten sollte, legte man Wert auf eine kontrollierte Lüftung. Frische Luft gelangt über vier Erdkanäle in die Halle. Die natürlich vorgekühlte/-gewärmte Luft strömt unter den Sitzbänken ein und kann über Lüftungsklappen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite im oberen Wandbereich befinden, wieder entweichen. Zusätzlich ist in einigen Nebenräumen eine mechanische Abluftanlage eingebaut; auf eine Rückgewinnung der Wärme aus der verbrauchten Luft wurde jedoch verzichtet.

Laut Bürgermeister Schühle belaufen sich die Betriebskosten der Halle – inklusive Reinigung und Bewirtschaftung – im Jahr auf etwa 80 000 Euro tatsächliche Kosten. Diese sind zur Hälfte gedeckt durch die Einnahmen, die durch die Vermietung der Halle beziehungsweise des Foyers für Hochzeiten, Geburtstage oder andere Veranstaltungen erzielt werden. Ob im Gemeinderat auch einmal darüber nachgedacht wurde, das Gebäude nach dem »Public Private Partnership«-Modell zu verwirklichen? Die Möglichkeit, so Schühle, habe man durchaus diskutiert – doch die Option, der nachfolgenden Generation Schulden aufzuhalsen, sei ihm nicht besonders geheuer. Die Halle wurde daher – bis auf die staatliche Förderung der Holzheizung – über die Rücklagen der Gemeinde finanziert und stellt auch in ihrem Betrieb durchaus eine Belastung des kommunalen Haushalts dar. Allerdings eine, die der Bauherr gerne trägt: Schließlich gehe es hier darum, die Dorfgemeinschaft über das Vereinsleben und öffentliche Veranstaltungen zu stärken.

db, So., 2009.03.01

01. März 2009 Claudia Hildner



verknüpfte Bauwerke
Mehrzweckhalle Wimsheim

Cinéma nouvel

Keine Therme wie in Vals oder Bad Aibling, sondern ein einfaches Familienbad, das auch dem Schulsport und Wettkämpfen dient – das war Nachholbedarf in Le Havre. Dass man dafür Frankreichs Stararchitekten gewinnen konnte, kam zwar nicht allzu günstig – doch seine klare, reduzierte Architektursprache, die das Element Wasser ganz schlicht und einfach »eintaucht« in das Weiß der Decken, Wände und Böden, lädt nicht nur zum Sport, sondern auch zum Wohlfühlen und Entspannen ein. Und durch die Übergabe an einen professionellen Betreiber scheint der Bauherr gut beraten.

Le Havre – am Meer. Wo sonst? Wer aus dem Zug steigt, blickt über leer-gefegte Docks. Kein Schiff am Pier. In der Ferne irgendwo die Schornsteine der Fähren. Der neue Hafen ist längst ostwärts aus der Stadt hinausgewandert. Man hatte es erst gemerkt, als die Brachflächen und leer stehenden Speicher in der Innenstadt nicht länger zu übersehen waren. Eigentlich ist es verwunderlich, dass es die Stadt nicht geschafft hat, früher vom Boom der Globalisierung zu profitieren. Andere Hafenstädte sind förmlich explodiert und selbst die ostdeutschen Häfen verzeichnen Stabilität, wenn nicht gar Wachstum. Das alles ist an Le Havre vorbeigegangen. Grund also für eine Aufholjagd und eine großangelegte urbanistische Intervention.

131 Luftangriffe im Krieg zerstörten die Substanz gründlich. Nach Plänen von Auguste Perret wurde die Stadt zwischen 1954–64 wieder aufgebaut. Das Ergebnis überzeugt auch heute noch in seiner Maßstäblichkeit. Die Geometrie der Hafenbecken, die langen Linien der Kaimauern, die Fassaden und die Kolonnadengänge … Dann zwei Türme, die das spirituelle und das administrative Zentrum markieren: St. Joseph und das Rathaus. Im Jahr 2005 wurde die Innenstadt zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Die Stadt stellt sich selbstbewusst dem Meer und der Landschaft und noch nicht dem Diktat wachsweicher Finanzdaten oder wetterwendischer Investoren. Sie kommt aus einer anderen Zeit. Aber jetzt sucht sie den Anschluss an die Zukunft. In den kommenden Jahren sollen an den alten Hafenbecken zwischen Innenstadt und Bahnhof Hochschulen, Büroflächen, Wohnungen und ein Segelhafen entstehen. Eine Straßenbahn soll es geben, ein Fußballstadion, Bibliotheken, ein Casino … – das Schwimmbad ist nur der Vorbote.

Neoprenanzug

Die Bains des Docks liegen nur sechs Fußminuten vom Bahnhof entfernt. In den leeren Flächen des Hafens steht das öffentliche Bad verloren. Schwarzer Asphalt auf dem umgebenden Parkplatz, in den einige Pflanzbeete mit salzresistentem Bewuchs eingeschlossen sind wie Intarsien. Nach außen macht das Gebäude nichts her. Eine rigide, wohlproportionierte Betonkiste auf einem leer geräumten Kai, in die unregelmäßig Löcher eingeschnitten sind. Manchmal verglast – und manchmal fällt der Blick auch einfach durch diese Öffnung hindurch und man schaut in den Himmel. Die anthrazitfarben gestrichene Betonfassade ist abweisend dunkel und schimmert leicht, die Farbe hat reflektierende Einstreuungen aus Emaille: Eine dünne Haut, die sich um das Bad legt wie ein feuchter Neoprenanzug. In den Aluminiumlaibungen reflektiert das Blau der Becken. Das also ist das Ergebnis eines hochkarätig besetzten Wettbewerbs? Das Projekt braucht Erklärung, denn es geht nicht nur um das Bad. Im Wettbewerb, den die Stadt 2004 ausgeschrieben hatte, ging es auch um ein Meereszentrum. Es soll gegenüber, auf der anderen Seite des anliegenden, nicht länger genutzten Hafenbeckens, spielerisch Wissen vermitteln über das »feuchte Element«. Nouvel hat im Wettbewerb über das zukünftige Meereszentrum einen 120 Meter hohen Aussichtsturm gestellt. Er verstand es als einziger Teilnehmer, die Stadt und die Juroren mit einer einfachen und überzeugenden Idee zu fangen: Ihr wollt ein neues urbanistisches Projekt? Dann braucht Ihr einen neuen Turm, einen Turm des Wissens! Nur so werdet Ihr sichtbar, nur so gibt es den »Bilbao-Effekt« und nur so könnt Ihr dem Übervater Auguste Perret die angemessene Reverenz erweisen. Nouvel ist ein Meister klarer Konzepte. Seine »Ateliers«, das Hauptbüro in Paris, beschäftigt zurzeit 150 Mitarbeiter und ist damit eines der größten Büros in Frankreich. Nouvel ist für die kreative Seite der Arbeit verantwortlich, während sein Partner Michel Pelissie den kaufmännischen Teil übernimmt.

Geht es nach dem Willen des Bürgermeisters, wird ab 2011 auch das Meeresmuseum gebaut. Das Bad ist ein erster Schritt und jetzt steht es erst einmal allein auf dem Dock. Und es ist kantig und eckig und passt sich gut in die Hafenlandschaft ein. Bravo!

Labyrinthisches Inneres

Unspektakulärer Eintritt, eine steile Treppe führt hinauf zum Empfang. Der Innenraum ist strahlend weiß. Der Besucher betritt eine andere Welt. Das Gebäude inszeniert: Eingang – Ticket kaufen – Richtungsänderung – Schuhe ausziehen und erster Blick auf die Becken – Richtungsänderung – Umziehen, Duschen – Richtungsänderung und Blick auf das fünfzig Meter lange Außenbecken. Der Raum tritt in den Vordergrund und bestimmt die Atmosphäre. Die Wand mit ihren Rücksprüngen, Ruhebänken und integrierten Duschen ist eine mächtige Fassung. Die Öffnungen rahmen gezielt Ausblicke. Überwältigend ist für den Schwimmer der Himmel, der sich großzügig über diesem Becken spannt und eine Ahnung von der Weite gibt, die an den Stränden Frankreichs möglich ist.

Die nach außen einfältige Kiste hat einen raffiniert ausgehöhlten Innenraum. Vorsprünge, Rücksprünge, Nischen, Absenkungen, Aufbauten – ein Negativ-Positiv-Spiel in einem Schuhkarton. Die Betonträger des Daches sind in unterschiedlichen Höhen angebracht, Deckenhöhen verspringen, die Konstruktion ist versteckt. Die Becken sind so angelegt, dass für den Besucher niemals das Bad in seiner Gesamtheit wahrzunehmen ist. Manchmal durchschreiten andere Badegäste das Blickfeld wie in einem Film: Hier ist er wieder, der cinematische Blick des Architekten, der sich durch all seine Gebäude zieht. Die Arbeit von Jean Nouvel lebt immer aus einer unerhörten, visuellen Vielfalt, die auch dieses Bad trägt. Der Besucher befindet sich in einer labyrinthischen Wasserlandschaft mit Becken unterschiedlichster Dimension, eine Landschaft, die größer erscheint, als sie eigentlich ist. Mit einem ganz einfachen Mittel wird eine klare Orientierung gewährleistet: Blickbeziehungen erfolgen ausschließlich über die Diagonale, und in der Mitte der Anlage stehen das Kinderplanschbecken und ein Trockenbad für Kleinkinder – das sind Matratzen in Rot, Orange- und Gelbtönen – die einzigen, grellen Farbtupfer im Inneren. Zenitlicht fällt auf die Becken und reflektiert sich in den kleinen weißen Mosaikfliesen, es entsteht eine mediterrane, heitere Atmosphäre.

Der Gast betritt hier eine Badewelt, die das Thema »Wasser« ernst nimmt. Das ist anders als die Wasserbespaßung, die sonst grassiert, und sehr wohltuend. Zum Teil ist diese Ernsthaftigkeit dabei auch dem Wunsch des Bauherrn geschuldet, die chronische »Unterausstattung« der Region mit Badeanstalten zu beseitigen. Das neue Bad tritt folglich nicht in Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen, denen es mit spektakulären Angeboten Gäste abjagen muss. Es sollte einfach auch für Schulsport und Wettkämpfe geeignet sein und brauchte deswegen ein Fünfzig-Meter-Becken. Schon dieses Bekenntnis zum Notwendigen könnte als ökologisches Statement verstanden werden, das Bad produziert keinen Überschuss, sondern erfüllt Grundbedürfnisse.

In professionellen Händen

Diese Überlegung wird den Architekten allerdings wohl weniger bewegt haben, denn die Bains des Docks waren teuer: 22,3 Millionen Euro. Rund zwei Millionen Euro trugen diverse, kombinierte Förderprogramme der EU, den Rest brachten die Stadt und das Umland auf. Doch es gibt keinerlei Ansätze im Raumprogramm, die helfen könnten, das Defizit, das ein öffentliches Badehaus in jedem Fall anhäufen wird, wenigstens in Teilen aufzufangen. Es gibt keine Restauration, keine Kegelbahn, kein Beautysalon, die zusätzliche Einnahmen generieren könnten. Die Bains des Docks – das sind Umkleiden und elf Becken, die über sieben Filteranlagen verfügen, um das Wasser wiederaufzubereiten: Zwei Außenbecken, acht Innenbecken, ein Planschbecken, eine kleine Balneo- und Kardeotherapie, für Massage und Wassergymnastik, und dann noch zwei wenig spektakuläre Fitnessräume. Der Eintritt kostet fünf Euro, die Aufenthaltsdauer ist unbegrenzt. Die ausgedehnten Öffnungszeiten, täglich von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, werden von 39 Angestellten bewältigt. Ein Team von fünf Bademeistern muss die Becken beobachten, denn die mäandrierenden, unübersichtlichen Wasserflächen sind nur schwer zu überwachen.

Maximal können ungefähr 1400 Personen täglich das Bad benutzen. An einem Wochenende im Januar waren es 860. Das ist nicht schlecht. Fünf Monate nach der Eröffnung stellen sich die Stammgäste ein. Das Bad ist gut angenommen. Noch allerdings gibt es Anlaufschwierigkeiten. Eine Aussage über die endgültigen Betriebskosten ist nicht möglich. »Wenn wir gut sind«, so der Betreiber, »können wir zukünftig mit fünfzig bis achtzig Liter Wasser je Besucher rechnen. Jetzt sind wir bei 180 Liter, angefangen haben wir bei 360 Liter!«

Energietechnisch wurden keine Raffinessen vorgesehen. »Wir ziehen nachts eine Abdeckung über das Außenbecken, um eine zu starke Auskühlung zu verhindern. Und wir bemühen uns, Wasser wiederaufzubereiten.« Ist das nun Steinzeit oder avanciert? Der energische junge Mann jedenfalls weiß, wovon er spricht. Die Stadt Le Havre hat den Betrieb der Anlage an die professionelle Betreibergesellschaft »Verte Marine« gegeben, die nichts anderes macht, als Bäder zu bewirtschaften. 69 Bäder bespielt das Unternehmen: Wassergymnastik, Babyschwimmen aber auch Besucher-Abonnements werden professionell vermarktet und der Betreiber übernimmt die umfassende, haustechnische Steuerung der Gesamtanlage. Das reicht von der Sauberkeit bis zum Wasserverbrauch und zur Regulierung der Duschtemperatur. In der Professionalität des Angebots und in der Konsequenz der Darreichungsform ist ein klarer Unterschied zum kommunalen Mühen.

Fünf Jahre hat die Gesellschaft nun Zeit zu beweisen, dass sie mit diesem Bad Geld verdienen kann – und die Kommune hat die Sicherheit, dass das einkalkulierte Defizit über diesen Zeitraum fix ist. Einsparungen oder Zusatzeinnahmen, die das Unternehmen erwirtschaftet, gehen an den Betreiber. Dies ist der Anreiz, das Bad energetisch und gebäudetechnisch optimal zu steuern. Um zu wenig Gäste scheint der Betreiber sich zumindest keine Sorgen machen zu müssen, »die Gäste lieben das Bad«, erklärt er. »Dass wir 15000 Quadratmeter gläserne Mosaikfliesen entlang der vielen Kanten gewissermaßen mit der Zahnbürste putzen, trübt das Vergnügen ein wenig.« Eine gefaltete Badelandschaft wie in Le Havre hat also auch Nachteile. Aber dafür ist es eben ein echter Jean Nouvel.

db, So., 2009.03.01

01. März 2009 Wilhelm Klauser



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Schwimmbad in Le Havre

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