Editorial

Farben prägen Räume und ganze Stadtlandschaften. Sie transportieren Stimmungen, bieten Orientierung, provozieren oder harmonisieren. Farben setzen Trends. Doch während in anderen Jahrzehnten zuweilen heftig über den Einsatz von Farbe in der Architektur gestritten wurde, ist Farbe heute zwar ein Thema, hitzig diskutiert wird über sie jedoch nur noch selten. Zu selten vielleicht, denn Gebäude wie die im Folgenden vorgestellten, bei denen Farbe nicht bloße Dekoration ist, sondern über Farb-, Material- und Oberflächenwahl bewusst Bezüge zur Umgebung oder zu vormaligen Nutzungen hergestellt werden, sind längst nicht selbstverständlich. uk

Inhalt

Diskurs

03 Kommentar Hamburger Elbphilharmonie | Claas Gefroi
06 Magazin
14 Letters From The UK Vinoly: Kurven, walkie talkies und andere desaster | Beatrice Galilee
16 Im Blickpunkt Wien: Wohnsiedlung »Kabelwerkgründe« | Christian Holl

Schwerpunkt

20 Farbe im Dialog
22 Wohnhäuser Park Grünenberg in Wädenswil(CH), Gigon/Guyer Architekten | Judit Solt
30 Wohnsiedlung Schönegg in Littau (CH), Lischer Partner Architekten Planer | Reto Westermann
38 Interview mit dem Farbtrendforscher Prof. Axel Venn | uk
40 Grundschule in Dachau Augustenfeld, deffner voitländer architekten | Karl J. Habermann
48 Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Farbe | Armin Scharf
52 Fassadensanierung in Wien (A), silberpfeil-architekten | Gabriele Kaiser
58 in die jahre gekommen...
...Wohnanlage in München-Schwabing, Otto Steidle und Partner, Ralph und Doris Thut | Ira Mazzoni

Empfehlungen

64 Kalender
Ausstellungen
Konstruktion und Katastrophen – Staatliche Architekturfotografie in Preußen 1860–1918 (Berlin) | Bernd Hettlage
65 Munio Weinraub und Amos Gitai – Architektur und Film in Israel (München) | Klaus F. Linscheid
66 Neu in …
...Freiberg | Mathias Grünzig
...Halle (Saale) | Jürgen Tietz
...München | Claudia Neeser
...Paris | Frank Peter Jäger
70 Bücher

Trends

Energie
72 »Super  C« – Pilotprojekt zur Nutzung von Tiefengeothermie, Fritzer Pape Architekturbüro | Karl Kegler

Technik aktuell
Hochschule
76 HCU-Neubau als interdisziplinäres Baustellenseminar | uk, cf

Produkte
Produktberichte
80 BAU 2009 | rm
92 Schaufenster: Wand und Decke | rm

Schwachstellen
94 Gebäude mit aussenoberflächenbündigen Fenstern | Rainer Oswald

Anhang
99 Planer / Autoren / Bildnachweis
100 Vorschau / Impressum

Ästhetik trifft Funktion

(SUBTITLE) Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Farbe

Farbe an Gebäuden ist ein höchst spannendes aber auch komplexes Thema, da gestalterische und technische Aspekte miteinander verknüpft sind. Nicht jede Farbnuance, nicht jeder Effekt ist machbar – häufig geben material-immanente Einschränkungen den Rahmen einer Farbkonzeption vor.

In den letzten zehn Jahren hat Farbe als architektonisches Gestaltungsmittel wieder an Bedeutung gewonnen. Die lange als nicht wahrhaftig und beliebig angesehene Farbe feiert polychrome Feste an Fassaden oder in der Inneneinrichtung. Zu dieser Renaissance beigetragen haben Büros wie das von Otto Steidle (siehe S. 58), Sauerbruch Hutton oder Gigon & Guyer (siehe S. 22) in der Schweiz. Sie zeigten, oft zusammen mit Künstlern wie Erich Wiesner oder Adrian Schiess, dass Farbe gestaltgebendes Medium ist. Heute experimentieren gerade junge Architekturbüros unbefangen mit Farbe, nutzen bisher als »schwierig« geltende Nuancen aus dem Grünbereich oder greifen schon mal zu modisch-plakativen Tönen. Farbe, das wird spätestens in der Diskussion über Farbkonzeptionen deutlich, ist ein hoch emotionales Thema. Weil sie als unmittelbarer Sinneseindruck wirkt, fühlt sich jeder kompetent, über Farbigkeit zu urteilen. Allerdings läuft dies meist auf der Ebene des Gefallens, respektive Nichtgefallens ab, basiert also auf sehr subjektiven Maßstäben. Dass Farbgestaltung in der Architektur rational nachvollziehbare Aspekte bedient, eine Kubatur unterstreichen oder bewusst negieren, eine Gliederung stärken, wichtige Bereiche akzentuieren oder Bezüge zur Umgebung herstellen kann, gerät dabei leicht in den Hintergrund. Deshalb sollten Farbkonzepte auf klaren Argumenten basieren. Wer aus dem berühmten »Bauch« heraus gestaltet, steht schnell auf verlorenem Posten. Farbe hat aber nicht nur emotionale Komponenten. Technik, Chemie und Physik sind weitere Faktoren, wenn es um durch Beschichtung applizierte Farbe geht. Wobei sich diese verschiedenen Aspekte stets überschneiden: Eine technisch mangelhafte Beschichtung wird auch ästhetisch auf Ablehnung stoßen. Die Farberscheinung selbst basiert auf Pigmenten, kleinsten Teilchen, die bestimmte Wellenlängen des auftreffenden Lichtes absorbieren oder reflektieren. Das Reflexionsprinzip steht für Physik, die Pigmente sind ein Fall für die Chemie. Man kann also Farbe als interdisziplinäres Phänomen bezeichnen, ergänzt um psychologische und physiologische Wechselwirkungen. Diese Komplexität macht sie zu einem spannenden Medium.

Schutz und Anmutung Eine Beschichtung besteht – unabhängig von ihrer spezifischen Verwendung – aus einem Bindemittel, Pigmenten, Füllstoffen, Lösemitteln oder Wasser und verschiedenen Additiven. Bei Klarlacken entfallen die Pigmente, bei Lasuren ist ihr Anteil gering. Prinzipiell soll eine Beschichtung den Untergrund (das Substrat) vor Schäden durch äußere Einwirkungen schützen. Am Bau bedeutet dies: Schutz vor UV-Strahlung (besonders bei Holzteilen), vor Korrosion, vor Karbonatisierung (bei Beton) und vor Witterungseinflüssen allgemein. Eine Fassadenbeschichtung verhindert, dass Regen in die Dämmschicht oder das Mauerwerk vordringt, und dass eventuell in nicht korrekt ausgeführten Anschlussbereichen eingedrungene Feuchtigkeit wieder ausdiffundieren kann (hohe Wasserdampfdiffusionsfähigkeit). Außerdem soll ein Fassadenanstrich Schmutz abweisen, Algenbefall verhindern und seine Farbigkeit möglichst lange behalten. Ein beachtliches Leistungsspektrum, das auf einer Dicke von wenigen Mikrometern abgebildet werden muss. Die Entwicklung von Farben und Lacken ist Ergebnis jahrelanger Testreihen, Versuche und Optimierungsschritte. Wie komplex die Anforderungen mitunter sind, zeigt das Algenthema: Vornehmlich hoch gedämmte und damit kalte Fassadenoberflächen werden bei bestimmten Rahmenbedingungen (Nordlage, Nähe zu Wald oder Feldern, feuchtes Mikroklima) von Algen, mitunter auch von Schimmelpilzen besiedelt. Die Beschichtung kann die Ursachen natürlich nicht beseitigen, wohl aber die Ansiedlung und das Wachstum der Mikroorganismen bremsen – etwa durch besonders hydrophobe Oberflächen, durch minimale Zugaben von algizid wirkenden, sogenannten Filmkonservierern oder durch die eigene Alkalität der Beschichtung, was bei Silikatfarben der Fall ist.

Des Anstrichs Kern Das Bindemittel umhüllt Pigmente und Füllstoffe, sorgt für die Adhäsion auf dem Substrat und ist für die wesentlichen Eigenschaften des fertigen Anstrichfilms verantwortlich. Bei Fassadenbeschichtungen, die handwerklich appliziert werden, unterscheidet man grundsätzlich mineralische von organischen Systemen. Erstere Gruppe umfasst die traditionellen Kalk- und Silikatfarben, während Siliconharzfarben und Dispersionsfarben die organische Fraktion bilden. Dispersionssilikatfarben, also Silikatmaterialien mit geringem Dispersionszusatz (nach DIN 18 363 maximal fünf Prozent), stehen zwischen beiden Gruppen, wobei sie eher der mineralischen Familie zuzuordnen sind. Diese Systematik unterwandern jüngste Entwicklungen, die sogenannten hybriden Bindemittel, auch als Nanokomposite bezeichnet. Diese Materialien setzen sich zusammen aus einer verfilmenden Acrylatdispersion und darin homogen verteilten, 10 bis 30 Nanometer großen, silikatischen Nanopartikeln. Bei der Trockung der Beschichtung bildet sich zusätzlich zum Polymerfilm ein dort eingebundenes, dreidimensionales Nanopartikel-Netzwerk, was die Härte deutlich erhöht. Außerdem reduziert es die Gefahr, dass der thermoplastische Anstrichfilm von Dispersionsbeschichtungen bei höheren Temperaturen erweicht und Schmutzpartikel einlagert. Erste Anwendungen scheinen diese Eigenschaften zu bestätigen, was Brancheninsider bereits von den Systemen der Zukunft sprechen lässt. Noch sind diese Werkstoffe im hochpreisigen Segment angesiedelt – da aber der Materialpreis mit einem geringen Anteil zum Endpreis einer handwerklichen Leistung beiträgt, könnte die zu erwartende längere Standzeit das Thema Preis relativieren.

Pigmente: Kaltes Schwarz und dunkles rot Auch im Bereich der Pigmente zeichnen sich neue Möglichkeiten ab. So hat BASF ein Schwarzpigment entwickelt, das thermische Nebenwirkungen reduziert. Ein schwarzer Körper erscheint deshalb schwarz, weil er das auftreffende Licht nahezu vollständig absorbiert. Leider »schluckt« er ebenso die infrarote Wärmestrahlung, weshalb sich schwarze Flächen in der Sonne stark erwärmen, was zu thermischen Spannungen im Werkstoff führt. Deshalb geben Hersteller von Wärmedämmverbundsystemen einen Mindest-Hellbezugswert für die Deckschicht an. Die neuen Schwarzpigmente reflektieren 30 bis 45 Prozent der auftreffenden Strahlungsenergie des nahen Infrarot-Bereiches, was laut BASF einer bis zu 20 °C kühleren Oberfläche entspricht. Und das bei unveränderter Schwarz-Optik, da das sichtbare Licht wie gewohnt absorbiert wird. Dieses selektive Verhalten wurde bereits bei Motorradkleidung aus synthetischen Fasern erfolgreich im Markt eingeführt. Für Fassaden wird es die Gestaltungsfreiheiten vergrößern, weil sich der momentan offiziell geltende (visuelle) Mindest-Hellbezugswert von 15 weiter nach unten verschiebt. Mit steigender Intensität (oder Sättigung) wird ein Farbton in der Regel dunkler und absorbiert mehr Licht, was sich im geringeren Hellbezugswert ausdrückt. Intensives Rot, in jüngster Zeit eine absolute Trendfarbe, verfügt über einen sehr kleinen Hellbezugswert. Weil intensive Farben an Beliebtheit gewinnen, nehmen die Anforderungen an die Pigmente und deren Einbettung in die Beschichtungsmatrix deutlich zu. Mitunter sind extrem satte Töne nur durch eine Überpigmentierung des Beschichtungssystems möglich – allerdings kann das Bindemittel die vielen Pigmente dann nicht mehr zuverlässig umschließen, im Laufe der Zeit werden die farbgebenden Teilchen an der Oberfläche ausgewaschen, es kommt zur optisch unschönen Kreidung. Besonders deutlich lässt sich dieser Effekt bei ohnehin schwach bindenden Systemen, etwa Siliconharzfarben, beobachten. Daher sind diese hoch wasserdampfdiffusionsfähigen und hydrophoben Beschichtungen serienmäßig nur in gering gesättigten Farben erhältlich. Die eigentliche Schwachstelle ausgesprochen intensiver Töne sind die Pigmente selbst. Bunttöne wie das derzeit beliebte leuchtende Orange, das frische Grün oder das tiefe Rot lassen sich nicht mit mineralischen Pigmenten realisieren, sondern erfordern organische Pigmente, hergestellt aus petrochemischen Grundstoffen. Deren molekulare Struktur ist aber nicht absolut resistent gegen die UV-Strahlen im Licht. Werden bestimmte Bindungen im Molekül zerstört, schwindet auch die Farbigkeit. Über diese potenziellen Folgen muss man sich im Klaren sein – und auch, dass es sich hierbei nicht immer um einklagbare Mängel handelt.

Metallic, Glitzer und Lasuren Leuchtende Farben sind das eine, Effekte das andere. Derzeit trifft man Metallic-Beschichtungen oder glitzernde Partikel auf Putzfassaden noch selten an. Auf feinen Putzstrukturen appliziert, zeigen Metallic-Beschichtungen auf Acrylatbasis einen durchaus reizvollen Schimmer, changierend zwischen stumpfem und reflektierendem Glanz, je nach Lichtverhältnissen und dem Standpunkt des Betrachters. Allerdings erfordert die Applikation Erfahrung und einen möglichst glatten Untergrund, da der Metallic-Effekt auf der gleichmäßigen Ausrichtung der plättchenförmigen Aluminium-Pigmente beruht, was beim Auftrag mit der Rolle schwierig ist. Einen ebenfalls standort- und lichtabhängigen Effekt entfalten glitzernde Teilchen aus Siliciumcarbid, die in die frisch beschichtete Oberfläche eingeblasen und anschließend durch Überwalzen fixiert werden. Das Glitzern tritt besonders auf dunklen Untergründen deutlich in Erscheinung.

Zurückgegangen ist die Verwendung von Lasuren, für die in erster Linie silikatische Materialien verwendet werden. Halbtransparent und wenig pigmentiert per überlagernder Bürstenschwünge appliziert, verleihen sie Flächen einen wolkig-weichen Ausdruck. Wirklich durchgesetzt haben sich Lasuren nicht, da sie sehr arbeitsintensiv sind und ein hohes handwerkliches Können erfordern. Zu grobe Schwünge, zu geringe oder zu dichte Überlagerungen stören das Flächenbild extrem – ganz zu schweigen von jenen Überlappungen, die von Gerüstlagen provoziert werden. Dieser »Effekt« entsteht, wenn nicht »nass-in-nass« gearbeitet wird, also eine Teilfläche bereits stark angetrocknet und ein Verschlichten mit der neuen Fläche nicht mehr möglich ist. Dann entsteht durch die Überlagerung halbtransparenter Schichten entlang der Gerüstebenen eine optisch dichtere Zone. Dies lässt sich selbst bei deckenden Beschichtungen, ja sogar bei der Applikation des Putzes beobachten. Das Problem dabei: In der Regel fallen Störungen im Strukturbild erst nach dem Abbau des Gerüstes ins Auge, und nur bei bestimmten Lichtverhältnissen, etwa beim gnadenlosen Streiflicht. Generell gilt: Je feiner der Deckputz, umso sorgfältiger muss gearbeitet werden, weil kleinste und meist unvermeidbare Unregelmäßigkeiten besonders zur Geltung kommen. Der häufige Wunsch nach einer minimal strukturierten, membrangleichen Putzoberfläche endet nicht selten im optischen Desaster. Es hat seinen Grund, dass das Gros der Putze aus mehrmillimetrigen Körnungen besteht. Die Tendenz geht ohnehin weg vom Glattputz, hin zu groben Strukturen, die teils sogar den traditionellen Kellenwurfputz aufgreifen, mit Körnungen von acht und mehr Millimetern. Werden die Kornspitzen überlasiert, verstärkt sich die visuelle Intensität der Grobstruktur zusätzlich.
Idee und Umsetzung Ein Farbkonzept kann nur überzeugen, wenn es nach dem Stand der Technik umsetzbar ist. Dies bezieht sich vor allem auf die Farbsättigungen, auf Effekte und Strukturen, aber auch auf bauphysikalische Aspekte. Eine Beschichtung, deren Durchlässigkeit für Wasserdampf zu gering ist, wird zu Ausblühungen, im schlimmsten Fall zur Ablösungen der Farbe führen.

Abblätterungen sind auch dann zu beobachten, wenn der Untergrund nicht tragfähig ist oder die filmbildenden Anstriche (Dispersionsfarben) nach der Trocknung eine zu hohe Eigenspannung besitzen. Wer reine Silikatfarben wählt, muss mit einem fleckigen Auftrocknen der Beschichtung bei nicht sachgemäßer Verarbeitung rechnen. Da die Aushärtung reiner Silikatfarben Wasser und Kohlendioxid aus der Luft benötigt, kommt es beim zu schnellen Verdunsten des Wassers – etwa im Sommer – zur Unterbrechung der Reaktion, das Wasserglas-Bindemittel verbleibt in seiner wasserlöslichen Form und kann vom Regen ausgewaschen werden. Hier hilft nur ein zusätzlicher Anstrich mit Dispersions-Silikatfarben. Ein anderes Phänomen sind Kalkausblühungen auf frisch beschichteten mineralischen Putzen oder Betonflächen. Die Ursache dafür liegt im Untergrund selbst, der zwar oberflächlich trocken erscheint, aber tatsächlich noch viele wasserlösliche Calciumionen enthält. Diese können dann durch die folgende Beschichtung ausgewaschen werden – sogar noch einige Wochen nach dem Putzauftrag – und zu weißlichen Verfärbungen führen. Hier helfen nur spezielle Grundierungen, die die freien Calciumionen demobilisieren, einfache Egalisationanstriche aktivieren sie erneut, die Verfärbung taucht wieder auf.

db, Do., 2009.01.22

22. Januar 2009 Armin Scharf

Trendfarbe oder Unfarbe?

(SUBTITLE) Fragen an den Farbtrendforscher Axel Venn

Die Zeiten, in denen neue Produkte ausschließlich in Schwarz oder Weiß auf den Markt kamen und alle Fassaden weiß verputzt wurden, sind vorbei. Doch welche Farbtöne kommen heute und warum zum Einsatz? – Ein Gespräch über Farbtrends und wie sie entstehen.

Herr Venn, Sie sind Farbtrendforscher. – Kann man sagen, Sie bestimmen, was Trend wird?
Nun, das kann man so ausdrücken und auch wieder nicht. Eigentlich formuliere ich Trends, ich entscheide nicht darüber, ob sie entstehen – im Wesentlichen besteht meine Arbeit in der Entdeckung kommender
Trends.

Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Zum einen bin ich Mitglied in sogenannten Trendpanels. Man arbeitet dort mit Personen zusammen, die aus verschiedenen Bereichen kommen – Journalisten, Marketingleuten, Designern und Soziologen. Die Treffen finden meist zweimal im Jahr an verschiedenen Orten statt, wir sitzen zusammen und jeder trägt seine Zukunftsideen vor: Was wird »in« sein? Was wird uns beschäftigen? Sind wir eher auf Harmonie ausgerichtet oder auf Chaos und Dynamik? Welche Ereignisse stehen uns bevor? Was wird der Gesellschaft wichtig sein? Diesem Austausch voran geht ein Scouten. Ich schaue also nicht in eine Glaskugel, sondern beobachte die Vergangenheit und die Gegenwart und gewinne darüber unter anderem Erkenntnisse für die Zukunft. Das Wissen über das Gestern und Heute ist das wichtigste Instrument jeden Scoutens. Aus der präzisen, leidenschaftlichen Beobachtung lernen wir, was sein wird; so kann man Zeitgeistströmungen erfassen.

Also beobachten und analysieren. Spielt Intuition auch eine Rolle?
Intuition ist auch immer dabei, aber darauf alleine kann man sich natürlich nicht verlassen. Das wäre zu unsicher, schließlich sind mit meiner Arbeit immer ökonomische Erfolge oder Misserfolge verknüpft. Es geht für meine Auftraggeber um viel Geld, darum liefere ich am liebsten exakte Punktlandungen.

In welchen Zyklen werden neue Farbtrends formuliert? Alle halbe Jahr. Es hängt mit dem Jahreszeitenwechsel zusammen. Wir haben im Frühjahr andere Ideen, andere Vorlieben als im Winter. Egal, auf welches Produkt bezogen, es ist immer gut, diese unabdingbaren Wechsel als Aktionsbasis zu nutzen. Derjenige Käufer, der im Frühjahr/Sommer kauft, muss mit anderen Farben und Formen konfrontiert werden als jener, der sich im Herbst oder Winter entscheidet. Wir würden nie im Sommer etwas anschaffen, was im Winter besonders angesagt ist. Das heißt natürlich nicht, dass jeder alle halbe Jahr einem neuen Trend huldigt. Man nimmt nicht jeden Trend an, aber beinahe jeder nimmt teil, meist unterbewusst, indem er Veränderungen an sich und an seiner Umgebung vornimmt und dafür eignet sich Farbe durch ihre hohe Signalhaftigkeit besonders gut. Man hat mit Farbe sofort wahrnehmbar etwas verändert: Farbe taugt besonders gut als Innovations-, Bestätigungs- und Identitätsmerkmal.

Beeinflussen politische und gesellschaftliche Ereignisse den anschließenden Farbtrend?
Eher nicht. Sportliche Ereignisse zum Beispiel, selbst von der Größenordnung einer Fußball-WM, taugen überhaupt nicht zur Trendinszenierung. Sie sind zu kurz, zu vergänglich. Aber selbst vergleichbar einschneidende Ereignisse wie der Fall der Mauer reichen nicht aus, um Einfluss auf den nächsten Trend zu nehmen. Doch wissen Sie, welche Zäsur einschneidend genug war? Die Jahrtausendwende. Sie war auch eine Farb-, Form- und Materialzäsur, da sie zeitgleich Menschen auf der ganzen Welt beherrschte und vor allem auch beunruhigte. So wurden die Dinge plötzlich runder, die Farben und Formen der Fünfziger wurden wieder aufgenommen. Viele Produkte hatten diese fast naive, warmtonige oder sanfte, kühlere Pastelligkeit; Töne des Inkarnats waren dabei, eben alles, was Streichelcharakter hatte, war up to date.

Kommt es vor, dass sich die Farbtrendforscher über den nächsten Trend nicht einig sind?
Ja, das kann es schon geben. Es passiert, weil man sich sagt, ich möchte eine Alleinstellung erreichen, also vertrete ich eine andere Meinung. Doch das versucht jeder in der Regel nur einmal und dann nie wieder. Denn, ich sagte es schon einmal, Trends zu formulieren, geschieht in vielen Fällen unter ökonomischen Aspekten und wenn man sich zu oft irrt, dann ist man genauso schnell nicht mehr gefragt wie der falsch prognostizierte Trend.

Haben Sie sich schon einmal geirrt?
Das werde ich ungerne zugeben. Wenn ja, dann habe ich es längst vergessen.

Nicht nur im Möbeldesign, auch bei den Autofarben hat man den Eindruck, das Weiß wieder im Kommen ist. – Ist Weiß die neue / alte Trendfarbe?
Ja, das ist sicher eine zutreffende Beobachtung. Aber es ist ein anderes Weiß als jener Milchton der frühen Siebziger. Weiß bekommt heute Glitter- und Glanzzusätze, dadurch wird es viel intensiver, bekommt Tiefe und Differenzierung, Glamour und eine Art opalisierender Dreidimensionalität. Es kommen auch Metalltonwerte wieder, die farbig getönt sind. Zum Beispiel Bronze, Goldtöne, Platin, Edelstahlnuancen – häufig mit Weiß oder hellen Grauwerten vermischt – egal ob mattiert oder glänzend.

Woher kommt diese Tendenz?
Aus latenten Überdrusshaltungen. Ich denke, man kann das Schwarz als Autofarbe nicht mehr gut ertragen. Es diente jahrelang der Statusorientierung eines Autos; doch das Auto taugt als Statussymbol immer weniger, daher gibt es, Gott sei Dank, mehr dezente und rezente Spielräume bei der Farbwahl.

Lassen Sie uns vom Produktdesign auf die Verwendung von Farbe in der Architektur kommen. Bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen der Farbwahl für mobile beziehungsweise immobile Dinge?
Ja, die gibt es. Das liegt daran, dass jedes Produkt andere Trendwerte hat und eine andere Trenddauer. – Bei Fassaden kommen zum Beispiel die eher traditionellen Töne zurück. Wobei man sagen muss, dass Fassadenfarbigkeit insgesamt wenig trendbeeinflusst ist. Architekten mögen keine Trends. Farbe ist noch immer ein eher negiertes Merkmal von Architektur; das ist einerseits vielleicht gut, andererseits auch wieder schade. Aber die Farbe umweht der Ruf des Unberechenbaren, und sie entzieht sich zumeist auch tatsächlich einer kognitiven Ordnung – Farbe ist Illusion. Architekten mögen vor allem Materialien und setzen diese dann ein, um Farbe zu transportieren. Materialien sind in gewisser Weise konkreter und zumeist weniger emotional. Dabei haben Farben, Putze und Steine durchaus etwas gemeinsam: Die richtige Verarbeitung bei Putzen und Farben vorausgesetzt, altern auch sie in Würde; sie können mit der Zeit, wenn sie Patina ansetzen, interessanter und würdevoller werden. Bei Renovierungen werden die alten Gebäude dann jedoch oft zu kräftig herausgeputzt. Nehmen wir zum Beispiel die Fachwerkhäuser in den Altstadtkernen vieler kleiner Städte. Sie sind heute alle viel zu bleich, zu schön, zu edel und werden auf diese Weise ihrer Lebendigkeit und Authentizität beraubt. Sie werden durch Farbe »aufgehübscht«, und das sollte man mit Farbe nicht machen.

Lassen sich geschlechterspezifische Präferenzen für Farben ausmachen?
Ja, natürlich. Schon, weil acht bis neun Prozent der Männer farbenblind sind. Bei den Frauen sind es nur 0,2 bis 0,4 Prozent. Wenn also jemand geeignet für das Sehen und den Umgang mit Farbe ist, dann sind es Frauen. Frauen sind im Umgang mit Farben trainingserfahrener, da sie meist schon in jungen Jahren einen persönlicheren und aufgeschlosseneren Zugang zu Farben erlernten.

Gibt es nicht durchsetzbare Farben? »Unfarben«, die nie Trend werden könnten?
Die gibt es. Es sind allerdings vor allem Farb-Kombinationen: Blau mit kaltem Rosé beispielsweise. Aber auch einige Einzelfarben. So haben wir berechtigte Vorbehalte gegen Magenta, zumal, wenn es großflächig und häufig eingesetzt wird. Da kann man schon von einer Unfarbe sprechen. Zudem eignet sie sich nicht für die Bilderwelt des Mediums Fernsehen, Magenta blutet an den Rändern optisch aus. Ich würde – zumindest für die nächsten Jahre – auch die Finger von Braun lassen, zumal für Stadtbilder und Gebäude. Und natürlich verbieten sich viele zu dunkle Töne aus physikalischen Gründen. Schwarz und auch kräftige Töne, wie Rot und Lila und Reinblau sind aus assoziativen und kulturbedingten Signalwerten häufig riskant.

Und als Gegenstück zu »Unfarben«, gibt es ausgesprochene »Sympathieträger« unter den Farben?
Grün ist es jedenfalls nicht! Die synästhetisch-assoziative Bewertung von Grün ist nicht sympathisch. Als sympathisch empfinden wir freundliche Töne, die eine sanfte Pastelligkeit besitzen: von Lichtorange bis Gelb und Rosé, ein wenig Himmelblau und Viola und vielleicht mal ein zartes Meergrün, das sind die wahren Nuancen der Sympathie: rein, ungetrübt, lichtvoll und kindlich-lieblich.

Das Interview führte Ulrike Kunkel am 14. Oktober 2008 in Stuttgart.

[ Axel Venn, Professor für Farbgestaltung und Trendscouting an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, veröffentlicht auf www.Colortrend.de Hintergründe über aktuelle Trends, Farbgestaltung und Farbwahrnehmung. Er beschäftigt sich mit Farbmarketing und Farbstrategien; einer seiner Forschungsschwerpunkte sind semantisch-semiotische Farb-Aspekte. ]

db, Do., 2009.01.22

22. Januar 2009 Ulrike Kunkel

Felsen im Park

Im Innenraum angewendet, gilt Grün als beruhigend und hat sich deshalb vor allem als »Spitalfarbe« etabliert. Fassaden grün zu streichen, ist hingegen ein Wagnis, denn die Farbe der Pflanzenwelt kann an einem Gebäude unerträglich deplatziert erscheinen. Die Architekten Annette Gigon und Mike Guyer haben sich zusammen mit dem Künstler Pierre André Ferrand der schwierigen Aufgabe gestellt. Das Farbkonzept ist ausgefeilt und der Erfolg verblüffend: Die drei Neubauten im Park der Villa Grünenberg wirken wie überdimensionierte Elemente eines Landschaftsgartens, ohne ihren Charakter als Wohnhäuser zu verleugnen.

Wädenswil liegt an der Westküste des Zürichsees, an jenem linken Seeufer, das wegen seiner vergleichsweise schattigen Lage den wenig schmeichelhaften Namen »Pfnüselküste« (Schnupfenküste) trägt. Doch obwohl die gegenüberliegende, selbst abends noch sonnige »Goldküste« ungleich begehrter ist, hat der vom nahen Zürich ausgehende Siedlungsdruck längst auch die westlichen Seegemeinden erreicht: In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Einwohnerzahl von Wädenswil auf rund 20 000 verdoppelt. Seit einigen Jahren entstehen vermehrt auch Wohnungen gehobenen Standards. Dabei erfährt der zwischen beschaulicher Ländlichkeit und industrieller Betriebsamkeit schwankende Charakter der Stadt, den Robert Walser 1908 in seinem Roman »Der Gehülfe« beschrieben hat, einen empfindlichen Wandel. Die dörfliche, von Großbauten durchsetzte Baustruktur wird von einem auf zahlungskräftige Pendler ausgerichteten Wohnungsangebot überlagert. Quartiere werden teilweise stark verdichtet, entsprechend ändert sich ihre Bewohnerschaft. An den seit jeher begehrten Hängen drängen sich Neubauten zwischen verwitterte Villen. Das Giessenareal – eine direkt am See gelegene Fabrikationsanlage mit denkmalgeschützten Bauten, darunter ein Fabrikgebäude von Robert Maillart, eine Direktorenvilla und mehrere Kosthäuser – soll en bloc in ein luxuriöses Wohnquartier verwandelt werden; das Projekt, in der lokalen Presse als »Millionärsoase« kritisiert, wirft auch in architektonischer Hinsicht Fragen auf. Im Gegensatz dazu fallen die drei Wohnhäuser Park Grünenberg, die das Zürcher Architekturbüro Gigon / Guyer zwischen 2005 und 2007 in Wädenswil erbaut hat, durch ihre feinfühlige Einfügung in ihren Kontext auf. Der Gestaltungsplan für den Park der Villa Grünenberg sah vor, im nordwestlichen Teil der Grünanlage verdichtetes Wohnen anzubieten; dadurch konnten die Villa selbst und die andere Hälfte des Parks erhalten bleiben. Für den Entwurf der Neubauten schrieb die Bauherrschaft im Sommer 2002 einen eingeladenen Wettbewerb aus. Annette Gigon und Mike Guyer setzten sich mit einem Entwurf durch, der sich in erster Linie mit dem Park befasst, gleichzeitig aber auch Verbindungen zur heterogenen Nachbarschaft herzustellen vermag – und das nicht zuletzt auch dank dem Einsatz ungewöhnlicher Fassadenfarben.

Differenzierte Volumina, Wohnungen und Farben

Ganz pragmatisch ging es vorerst darum, alle Wohnungen an den Vorzügen der Lage teilhaben zu lassen: Seesicht im Nordosten, Sonne im Südwesten und Bezug zum umgebenden Landschaftspark. Die drei Neubauten sind leicht von der Villa abgerückt und bilden ein eigenes Ensemble, dessen Anordnung jedoch mit derjenigen des Altbaus korreliert. Weil sie versetzt und leicht gegeneinandergedreht stehen, bleibt die räumliche Kontinuität des Parks weiterhin spürbar. Eine differenzierte, auf unregelmäßigen Polygonen basierende und mit Erkern variierte Volumetrie ermöglicht immer neue Aus- und Durchblicke in den Park und auf den See. Die Wohnungsgrundrisse sind nicht weniger sorgfältig optimiert als die Gebäudeformen. Die dreißig Einheiten teilen sich in acht verschiedene Typen auf. Das kleinere Gebäude, ein Zweispänner, enthält dreiseitig orientierte Geschosswohnungen mit drei bis fünf Zimmern. In den beiden anderen Häusern sind weitere unterschiedlich große Geschosswohnungen untergebracht, die mindestens zweiseitig ausgerichtet sind und teilweise über die ganze Bautiefe reichende Wohnräume aufweisen sowie kreuzweise angeordnete Maisonette-Wohnungen, deren Orientierung von einer Etage zur anderen wechselt. Trotz dieser Vielfalt gibt es zwischen den Wohnungen auch Gemeinsamkeiten: Alle verfügen über mindestens zweiseitig orientierte Loggien, die in räumlichem Zusammenhang zwischen der Küche und dem weitläufigen Wohn- und Essraum stehen; die Tag- und Nachtbereiche sind getrennt, die Nassräume innen liegend, die Fenster großflächig. Bemerkenswert sind auch die zentralen Treppenhäuser: Die einläufigen Treppen sind gerade, das Treppenauge und die Podeste jedoch aufgrund der polygonalen Grundform der Bauten geknickt oder trapezförmig. Diese Unregelmäßigkeit wird dadurch unterstrichen, dass der Handlauf nicht exakt über dem Geländer verläuft, sondern eine eigene, ebenfalls geknickte Bahn verfolgt – eine sehr wirkungsvolle Abweichung. Subtil und kraftvoll zugleich ist auch die Farbigkeit der Fassaden. Der in Genf und Krakau lebende Künstler Pierre André Ferrand hat jedem Haus eine eigene, raffinierte und schwer definierbare Nuance von Grün zugewiesen: Das kleinere Haus schimmert in hellem Gelbgrün, während die beiden größeren zu erdigen Ocker- und Olivtönen tendieren. Je nach Standort, Wetter und Lichtstimmung wirken die mineralischen Farben gedeckt oder leuchtend, dumpf oder lebendig; nur bunt erscheinen sie nie, was umso erstaunlicher ist, als die Fassaden meist als Hintergrund zur Vegetation zu sehen sind.

Wechselspiel von mineralischem und pflanzlichem Grün Farbe ist im Werk von Gigon / Guyer ein immer wiederkehrendes Thema, ebenso wie die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden. Davon zeugen, um nur zwei zu nennen, Bauten wie das Sportzentrum Davos oder die Wohnüberbauung Susenbergstraße in Zürich (1996 bzw. 2000, Farbkonzept Adrian Schiess). Deren leuchtende Farben haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Schweizer Architekturlandschaft unübersehbar geprägt, sei es als Inspiration für Nachwuchstalente oder als Vorlage für stümperhafte Investoren-Kopien; entsprechend wird das Büro Gigon / Guyer häufig mit Farbigkeit assoziiert. Doch längst nicht alle Bauten von Gigon / Guyer sind auch wirklich farbig. Die beiden betonen, dass sie Farbe als ein Gestaltungsmittel unter vielen betrachten und nur dann einsetzen, wenn sie für das Projekt unentbehrlich ist. Und in der Tat ist im Park Grünenberg nur das Äußere der Häuser farbig, während in den Wohnungen zurückhaltende Materialtöne vorherrschen. Die Treppenhäuser sind weiß – strahlende, flimmernde Übergangsräume von einer Farbenwelt in die andere. Die unterschiedlichen Grüntöne der Fassaden erfüllen mehrere Aufgaben. Zum einen setzen sie die drei Häuser voneinander ab: Durch die farbliche Unterscheidung nimmt man sie auch dann als einzelne Volumina wahr, wenn man sie hintereinander sieht, was den Raum zwischen ihnen größer erscheinen lässt. Zum anderen trägt die Farbe dazu bei, die Bauten in den Park zu integrieren: Natürliches und künstliches Grün überlagern, relativieren und verstärken sich gegenseitig, im Herbst kommt der Kontrast durch gold- und rostfarbenes Laub hinzu; die Bauten werden zu ungewohnten, aber nicht grundsätzlich fremdartigen Bestandteilen der Gartengestaltung. Am ehesten erinnern sie an sorgfältig platzierte, mit Moos und Flechten überzogene Felsbrocken – eine durchaus gewollte Analogie, wurde doch im Park ein Steingarten entdeckt, der nach Abschluss der Bauarbeiten auch wiederhergestellt wurde. Bemerkenswert ist, wie dieser Effekt durch das Zusammenwirken von Volumen, Farbe und Konstruktion zustande kommt. Alle Elemente bedingen einander. Bei der Fassade handelt es sich um ein Zweischalenmauerwerk, wobei die äußere Betonschale nicht lediglich selbsttragend ist, sondern sich stellenweise von der inneren Schale entfernt und auskragende Loggien bildet. Dank dieser Materialisierung war es auch möglich, die Bauten in den Hang zu integrieren und gleichsam aus dem Boden heraus wachsen zu lassen. Der Beton ist fein sandgestrahlt, Grün gestrichen ist jedoch nur die äußerste Oberfläche, während die Laibungen grau belassen sind. Dem Farbauftrag wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Erste Muster, bei denen die Betonstruktur stark durchschimmerte und die Oberfläche wie ein wolkiges Gemälde erscheinen liess, wurden wieder verworfen: Großflächig angewendet, hätte diese Technik die Bauten frühzeitig verwittert erscheinen lassen. Von einer nur geringfügigen Abstufung der Farben kam man ebenfalls ab: Übereck betrachtet, hätten sich die besonnten beziehungsweise verschatteten Fassaden des selben Hauses mehr voneinander unterschieden als vom Nachbargebäude. Um die gewünschte Wirkung zu erreichen, wurde das olivgrüne Haus schließlich dreimal gestrichen, während beim ockergrünen ein Farbauftrag ausreichte. Diese fein austarierte Kombination von massiver Außenschale, unregelmäßigem Volumen und hauchdünner Farbschicht ist es, die den Eindruck des Felsig-Überwachsenen erzeugt. Gleichsam als zusätzlicher Gewinn bewirkt die farbige Fassung nicht nur die scheinbar mühelose Integration der Häuser in den Park, sondern auch – und das erscheint noch erstaunlicher – in die gebaute Umgebung. Denn diese ist teilweise äußerst farbig: Zwischen Fabrikantenvilla im Osten, Fabrik im Norden und leuchtend fleischkäsefarbenen Mehrfamilienhäusern im Süden zeigen die Neubauten, was Farbe vermag, ohne ihre Nachbarn zu desavouieren. Zu Recht wurden sie 2008 mit der Auszeichnung »Gute Bauten« der Stadt Wädenswil geehrt.

db, Do., 2009.01.22

22. Januar 2009 Judit Solt



verknüpfte Bauwerke
Wohnhäuser Park Grünenberg

Das Funkeln im Moos

Welche Vorstellungen tauchen im Kopf bei den Begriffen Schule und Farbe auf? Da sind vor allem Foyers, die von vielerlei Kunsterziehungsprodukten verklebt und verstellt sind – kein besonders positives Gefühl, eher die Assoziation an rigoros in Bahnen gelenkte Kreativität. Da tut es gut, wenn ein Gebäude – professionell farbig gefasst – signalisiert: Hier bin ich, hereinspaziert, ich biete Anregung, wecke Neugier, sorge aber auch für Geborgenheit. Alles Aspekte, die man mit dem Farbspektrum Orangerot verbindet. Keine Villa Kunterbunt, sondern sorgfältig aus dem örtlichen Kontext entwickelte Architektur und ein ebenso sorgfältig konzipiertes Farbkonzept.

Die neue Grundschule in Dachau Augustenfeld, einem städtebaulichen Entwicklungsgebiet auf der der Stadt abgewandten Seite der ICE-Trasse, setzt in Form und Farbe ein deutliches Zeichen, und das ist gut so. Soll sie doch in naher oder fernerer Zukunft eine identitätsstiftende Mitte im neuen Quartier bilden. Noch besteht das Siedlungsgebiet allerdings nur auf dem Reißbrett und der Blick vom östlichen Vorfeld der Bahnstation bis zum Schulgebäude ist unverbaut. Nur, wenn man über Lage und Form Bescheid weiß, kann man das Gebäude aus der Distanz ausmachen, denn die Wahl der Grundfarbe wurde von den Architekten bewusst am moorigen Untergrund festgemacht: »Schlammgrau« war dann auch die in die Diskussion eingeführte Bezeichnung. Sie steht für eine Tönung der Oberfläche, die sich tatsächlich an der Farbe von der Sonne getrockneten Torfs festmachen lässt. Die Zeit, zu der die Anwohner im Dachauer Moos ihr Brennmaterial gestochen und die Felder nach und nach trockengelegt haben, um Kartoffeln und Rüben anbauen zu können, ist längst vorbei. Offene Aufschlüsse im Gelände sind im Dachauer Moos heute kaum mehr zu finden. Im Stadtrat und in der örtlichen Presse stieß die Farbbezeichnung »schlammgrau« dann auch auf vorhersehbares Befremden. So meinte ein Mitglied des Gremiums, diese Schlamm‧farbe wäre nachgerade ein Ausdruck von Trostlosigkeit. Der Oberbürgermeister ließ sich dadurch nicht verunsichern und meinte nur entschieden: »Ich find´s gut.« Zwei Jahre nach dieser konträren Debatte hat sich die Aufregung gelegt. Schüler, Eltern, Lehrer, Bauherrschaft und Bürger haben sich mit ihrer Schule angefreundet. Heute hat das Erscheinungsbild einen wesentlichen Anteil am hohen Maß der Identifikation mit der eigenen Schule.

Schlammgrau und kräftiges Rot Die detaillierte Ausarbeitung der Farbgestaltung war das Ergebnis eines Wettbewerbs Kunst am Bau, den die Stadt Dachau auf Betreiben von deffner voitländer bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt des Entwurfs auslobte. Während die Idee der schlammgrauen Fassung der Außenfassaden schon existierte, wurde für die Innenhöfe lediglich eine »frische, aktive Farbgebung« als Vorgabe formuliert. Eine Jury unter der Leitung des renommierten Malers und Professors der Münchner Kunstakademie Günter Förg entschied sich für die Ideen des ortsansässigen Künstlers Paul Havermann. Der Maler hatte an der Grundvorstellung der Architekten, dass sich der Bau mit seiner strengen, farbig gefassten Kubatur aus dem moorigen Untergrund nach oben schiebt, angeknüpft und ein mutiges und in sich schlüssiges Farbkonzept erarbeitet. Dieses wurde in der Folgezeit in enger Zusammenarbeit konkretisiert und verfeinert. Für drei ausgewählte rot-orange Töne wurde die Umsetzung auf unterschiedlichem Untergrund getestet und schließlich festgemacht. Neben der Wirkung der Farbe in durchgefärbtem Beton oder auf verputzter Wandoberfläche ging es um die Art der Beschichtung der Fensterprofile und der Einfärbung der auszuwählenden Markisenstoffe. Die festzulegenden Farben hatten im Kontext zum warmen Grau der Grundfarbe, dem Asphalt im Eingangsbereich sowie der Vegetation und den Rasenflächen im Umfeld zu bestehen. In ihrer Argumentation für ein »kräftiges Funkeln im Moos« konnten die Beteiligten schließlich mit Fug und Recht auf die Geschichte der berühmten Dachauer Malerkolonie und das Ergebnis der Freiluftmalerei bekannter Künstlerpersönlichkeiten aus den Epochen des frühen und späten 19. Jahrhunderts verweisen.

Zeigte sich die nur vordergründig eintönige Moorlandschaft in ihren unterschiedlichen Stimmungen übers Jahr doch äußerst vielfältig und alles andere als eindrucksarm und regte damit zu entsprechenden künstlerischen Umsetzungen an. Namen von Spitzweg, über Dillis bis Marc und Nolde legen hierzu ein bedeutendes Zeugnis ab. Bewegt man sich, selbst bei trübem Wetter, auf die Schule zu, so beginnt der graue Quader dennoch an den Gebäudeeinschnitten zu leuchten. Es bedarf keiner weiteren Hinweisschilder zum Eingang. Dieser ist bereits durch die Farbe deutlich formuliert. In Foyer und Pausenhalle sorgt das kräftige Farbspiel für gute Laune. Die aus dem klaren Kubus polygonal ausgeschnittenen Aufenthalts- und Verkehrsflächen setzen sich graduell farblich gegeneinander ab und unterstützen auf selbstverständliche Art und Weise hier auch die Orientierung im Gebäude. Erst in den Klassentrakten mit den breiten, hellen Fluren und den angeschlossenen Unterrichtsräumen kehrt farbliche Ruhe ein. Hier ist ein neutraler Untergrund aus Weiß- und Grautönen wichtig für die Entfaltungsmöglichkeit der Kinder. Die Grundrissorganisation ist übersichtlich angelegt. In der Eingangs- und Pausenhalle laufen die Fäden zusammen. Dem Eingangshof entspricht der sogenannte Theaterhof auf der gegenüberliegenden Seite. Die zwei Klassentrakte, ost-west-orientiert mit großzügigen, aber nicht überdimensionierten Fenstern ausgestattet, werden durch einen weiteren internen Hof, den Klassenhof, voneinander getrennt. Hier ließe sich auch Unterricht im Freien abhalten. Die Flure vor den Klassenräumen sind nicht nur nach beiden Seiten geöffnet, sondern auch breit genug, um genügend Platz zum Verweilen, zum gegenseitigen Austausch und zum Kommunizieren zu bieten. Nach Norden ist der Flügel mit Ganztagsbetreuung im Erdgeschoss und den Räumen für Schulleitung und Lehrpersonal im Obergeschoss orientiert. Die im Gebäude geschickt integrierte Hausmeisterwohnung bietet sowohl die gewünschte Kontrollmöglichkeit des Eingangs als auch die erforderliche Wohnqualität. Die Ausstattung der Klassenzimmer ist nicht zuletzt auch aus Kostengründen ohne Schnörkel. Der Blick aus dem Fenster bietet jedoch Ablenkungsmöglichkeiten genug. Die polygonale Führung der Wände der Innenhöfe und der Pausenhalle sorgt nicht nur am Tag für fein nuancierte Lichtbrechungen und Reflexionen.

Auch in den Abendstunden gibt es bei künstlicher Beleuchtung ein ähnlich eindrucksvolles und abwechslungsreiches Farbenspiel. Die Beleuchtungskörper in den Höfen nehmen geschickt die banale Straßenbeleuchtung auf und erzeugen, falls notwendig, auch nachts ein ähnlich hohes Maß an Durchlässigkeit des Gebäudes wie am Tage. Die Konstruktion entwickelte sich aus dem Wunsch des Bauherrn nach konventioneller und äußerst wirtschaftlicher Bauweise. Die Architekten wählten daher, abgesehen von den Fassaden der Pausenhalle, eine Massivbauweise mit Ziegelmauerwerk für alle Innen- und Außenwände. Die einschalige Außenwand aus porosierten Hochlochziegeln erreicht mit einer Stärke von 49 cm sehr gute Wärmedämmeigenschaften.

Nachbarschaften Der Freibereich vor der Schule bietet sich von selbst als Pausenhof an und ist mit einer Doppelreihe von Bäumen sensibel vom Außenbereich der benachbarten Montessorischule abgetrennt. Der Auftakt für eine weiterführende grüne Verbindungsachse nach Norden ist gelegt. Mit dem Bau der privat initiierten und von einem Verein getragenen Montessorischule wurde nach Fertigstellung der Grundschule vor zwei Jahren in direkter Nachbarschaft begonnen. Sie hat mittlerweile auch ihren Betrieb aufgenommen. Die schon projektierte Dreifach-Turnhalle wird ebenso wie die bereits vorhandenen Sportflächen beiden Schulen zur Verfügung stehen. Zur heute noch skurril erscheinenden Lage auf freiem Feld und zur verkehrstechnisch kaum zufriedenstellenden Erschließung des neuen Schulkomplexes kann man nur Folgendes anmerken: Hoffentlich lässt die städtebauliche Entwicklung und Einbindung nicht allzu lange auf sich warten. Die aktuelle Erschließung ist kaum akzeptabel. Neben einer kurzen Stichstraße von der Hauptstraße zum Parkplatz mit Wendeschleife gibt es nur einen schmalen Fußweg zu den anschließenden freistehenden Siedlungshäusern entlang der alten Augustenfelder Straße. Ein aus dem Internet herunterladbarer Wegeplan für die Schulkinder ist ein anschaulicher Beleg für die desolate Lage. Die schnelle Umsetzung der Verkehrsinfrastruktur müsste uneingeschränkte Priorität haben. Dass hierbei die konsequente Trennung von Fuß- und Fahrwegen und der Erhalt der Sichtachse zum Schlossberg ebenso Berücksichtigung finden sollten wie die Überwindung oder die ansatzweise Korrektur der durch Schallschutzmaßnahmen entstandene ICE-Barriere, versteht sich von selbst.

db, Do., 2009.01.22

22. Januar 2009 Karl J. Habermann



verknüpfte Bauwerke
Grundschule Dachau Augustenfeld

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