Editorial

Die Zeiten, in denen Kommunen mit meist überdimensionierten Schwimmbädern oder selten genutzten Festhallen um Attraktivität und damit Einwohner wetteiferten, sind lange vorbei, die öffentlichen Kassen fast allerorts leer. Dennoch stehen in den Städten und Gemeinden immer wieder notwendige Bauaufgaben an, muss die vorhandene Infrastruktur erhalten, modernisiert oder erweitert werden: Kindergärten, Stadtbibliotheken, Gemeindezentren und Rathäuser sind nur einige der Projekte, die kommunale Bauherren als Architektenwettbewerbe ausschreiben. Spätestens im Planungs- und Realisierungsprozess treten dann sehr oft spezifische Probleme und Querelen auf, lassen wechselnde politische Konstellationen und Zuständigkeiten das Bauen hier zu einem Abenteuer werden. Mit Blick auch in die Nachbarländer stellen wir schlaglichtartig gelungene aber auch schwierige kommunale Bauten vor. ~uk

Inhalt

Diskurs

Kommentar
03 Dresden gibt die Fäden aus der Hand | Torsten Birne
06 Magazin

On European Architecture
12 Notes from China | Aaron Betsky

Im Blickpunkt
14 Erinnerungen an O. M. Ungers | Wolfgang Pehnt


Schwerpunkt

18 Kommunale Bauten
20 »Strudelbachhalle« in Weissach bei Stuttgart von Peter W. Schmidt | Volker Kittelberger
21 db-Ortstermin: Weissach
28 Rathaus in Bernried am Starnberger See von Titus Bernhard | Karl J. Habermann
36 Infothek der Lokalbaukommission in München von SSK Projektgemeinschaft | Roland Pawlitschko
42 Gemeindehaus in Raggal (A) von Johannes Kaufmann | cf
50 Kindertagesstätte in Kopenhagen (DK) von Dorte Mandrup Arkitekter | Clemens Bomsdorf
56 ... in die jahre gekommen
Stadtbibliothek in Trier von Alfons Leitl (1909–75) | Udo Pütz


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Werner Sobek ~cf

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96 Wand- und bodenfliesen      | ~rm

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98 EnEV-Software | Marian Behaneck

Anhang
104 Planer / Autoren
105 Bildnachweis
106 Vorschau / Impressum

Detailbogen
107 München: Infothek der Lokalbaukommission
110 Raggal: Gemeindehaus

Kindgerecht gestaltet

An der Ecke Krausesvej/Skanderborggade im bürgerlichen Kopenhagener Stadtteil Østerbro steht ein bemerkenswert simples Gebäude, das fast den Eindruck erweckt nur temporär zu sein. Da Stadt und Architektin einander vertrauten, konnte hier eine aufsehenerregende Kindertagesstätte entstehen.

Der eingeschossige Bau mit Flachdach wird zu den Straßenseiten hin fast vollständig durch transluzente Materialien begrenzt, wodurch der Kontrast zu den umstehenden, massiven Mehrfamilienhäusern besonders groß ist. Die Längsseite des Gebäudes wird ungefähr in der Mitte geteilt, während die Front zur einen Seite mit Siebdruck bearbeitetem Glas abschließt, steigt auf der anderen Seite eine Rampe an, die mit matt schimmerndem Polycarbonat unterbaut ist. Diese leicht milchige Haut wird noch ein Stück um die Ecke herumgezogen. Notunterkunft, Lagerhalle, Festzelt? Der matte Kunststoff, mit Siebdrucktechnik kombiniert, erschwert die Sicht nach innen. Nur ein Blick über den Zaun hilft, um herauszubekommen, welche Funktion der Bau hat: Ein runder Sandkasten signalisiert, hier wurde für kleine Kinder gebaut. Das Gebäude in der Skanderborggade ist nicht nur von außen interessant, auch innen gelang es, ansprechende Architektur für die kindlichen Benutzer zu schaffen. Statt schmaler, dunkler Gänge, gehen alle Räume ineinander über und alle von den Kindern genutzten Bereiche sind zumindest an einer Seite voll verglast, so dass auch in dunklen nordeuropäischen Wintern viel natürliches Licht einfällt.

Kommune als Bauherr: Für und Wider

Weil in Dänemark meist beide Elternteile arbeiten und der Staat Kinderbetreuung außer Haus großzügig subventioniert, werden erheblich mehr Kindertagesstätten benötigt und gebaut als etwa in Deutschland. Sie sind meist in kommunaler Hand, private Einrichtungen sind selten. Als die Stadt Kopenhagen im September 2003 entschied, das Architekturbüro Dorte Mandrup mit dem Entwurf zu beauftragen, ging das nur deshalb ohne Wettbewerb, weil damals die Obergrenzen für Auftragsvergaben ohne Ausschreibungen noch höher lagen als heute. Insgesamt betrug das Volumen für den Bau 1,4 Mio. Euro. Zu der Zeit machte Mandrup Architekten noch gut die Hälfte seines Umsatzes mit kommunalen Bauten, heute ist es etwa ein Drittel. »Zwar sind die Aufträge an sich meist nicht sonderlich lukrativ, aber dafür reizvoll, weil es interessant ist, für die Gesellschaft zu bauen, und weil es viel Aufmerksamkeit gibt. Ein gelungener öffentlicher Bau schafft einen größeren Imagegewinn als andere Projekte«, sagt Mandrup, die in Kopenhagen bereits mehrere extravagante kommunale Projekte realisiert hat. Dafür ist es oft komplizierter, die Kommune als Bauherrn zu haben als ein Unternehmen. Mandrup hat mehrfach erlebt, dass Projekte auf Eis gelegt wurden, nachdem Wahlen zu veränderten Mehrheitsverhältnissen geführt hatten, so zum Beispiel bei einer Kirche in Slagelse. Zwar gibt es in Dänemark etliche Kommunen wie Kopenhagen und Kolding, die sich mit interessanter Architektur profilieren wollen, doch oft zählt allein der Preis, nicht auch die Qualität. Mandrup erwartet, dass die von der Regierung verkündete »Architekturpolitik«, die vor allem darin besteht, in unterschiedlichen Ministerien gefasste Beschlüsse zur Architektur zusammenzutragen, und zum Ziel hat, Architektur in Dänemark einen höheren Stellenwert zu geben, dazu führt, dass die qualitätvolle Gestaltung öffentlicher Bauten in immer mehr Kommunen wichtig wird. Kopenhagen hat bereits jetzt einen Stadtarchitekten, der die architektonische Qualität eines Entwurfs begutachtet, bevor die Baugenehmigung erteilt wird.

»Die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Architekturbüro hat hervorragend funktioniert«, so die bei der Stadt für das Projekt zuständige Architektin Susanne Slot Hansen und Dorte Mandrup einhellig. Beide loben, wie engagiert der Gegenpart hinter dem Projekt gestanden hat, was nicht immer der Fall ist. »Die Tagesstätte in Østerbro ist ein Positivbeispiel für die Zusammenarbeit. Wir haben gemeinsam auf ein Ziel hingearbeitet, die Kooperation mit den Nachbarn klappte bestens und großes Glück war auch, dass die zukünftige Leiterin der Tagesstätte bereits eingestellt war und den Bau verfolgen konnte«, so Mandrup. Da das Gebäude in der Skanderborggade eine Zweigstelle einer anderen Tagesstätte ist, war ein Jahr vor Eröffnung bereits klar, wer das Haus nach Fertigstellung leiten würde. Dadurch habe die zukünftige Leiterin auf ihr wichtige Details Einfluss nehmen können und beispielsweise die Bodenfarbe geändert. »Das trägt dazu bei, das Risiko, dass die Leitung das Gebäude später ablehnt, zu minimieren«, sagt Mandrup, die genau das bei einer anderen kommunalen Tagesstätte erlebt hat, wo zudem die Kommune ihrer Ansicht nach zu sehr auf die Kritik der Bürger aufgesprungen ist, statt sich mit dem Bau auseinanderzusetzen. Anders in der Skanderborggade, wo die Zusammenarbeit mit den Nachbarn konstruktiv war. Die Kita ist in einen Block integriert, der von Vereinigungen mit Anteilswohnungen, einer dänischen Variante des Genossenschaftsbaus, dominiert wird. Die Bürger können in Dänemark Projekte blockieren oder verändern, selbst wenn sie dazu kein formales Recht haben, manchmal reicht ihr politischer Druck aus. So wurde die Idee, dort wo Mandrups Tagesstätte nun steht, eine mehrstöckige Kita zu errichten, verworfen, weil die Nachbarn befürchtet hatten, dass dann kaum noch Sonne in ihren Hinterhof scheinen würde. Deshalb sollte Mandrups Entwurf nicht über das Erdgeschoss hinausgehen. Um dennoch genauso viel Freifläche wie Innenraum zu bieten, wurden große Teile der Spielfläche kurzerhand aufs Dach verlegt. Jetzt geht es vom Gemeinschaftsraum ins Freie und von dort aus über die Dachschräge in die Freiluftetage. Der ganze Außenraum ist mit rotem Gummigranulat beschichtet, damit die Kinder weich fallen. Die Schräge sowie kleine, runde Unebenheiten entsprechen dem kindlichen Wunsch, nicht nur über eine flache Ebene zu laufen. Der Kommune war es zu teuer, das komplette Dach zur Spielfläche auszubauen, dafür gibt es im Erdgeschoss noch zwei weitere kleinere Außenflächen. Um die Nachbarn zu erfreuen, wurde ihnen gestattet, das Dach, sobald die Tagesstätte um 17 Uhr schließt, ebenfalls zu nutzen.

Der fast perfekte Bau

Das Flachdachgebäude ist ein Skelettbau aus Beton. Ein großer Teil der Außenwände besteht aus Fenstern aus Kiefernholz und teilweise aus Polycarbonat, so dass in den Innenräumen Betonsäulen als tragende Teile zur Unterstützung eingesetzt wurden. Das brachte aber ein Verletzungsrisiko für die Kinder mit sich – die Säulen wurden deshalb im Nachhinein mit weichem Material ummantelt und die Abstände zwischen Säulen und Wänden so verringert, dass sich die Kinder dort nicht hineinzwängen und hängen bleiben können.
Trotzdem haben Kommune und Architektin hier einen äußerst gelungenen Bau geschaffen, den vorhandenen Platz allerdings nur fast optimal genutzt. Der Eingangsbereich mit Garderobe sowie ein Stauraum nehmen viel Platz des Erdgeschosses ein und aus Kostengründen wurde leider darauf verzichtet, das Dach komplett zum Spielen auszubauen. Zudem heizt sich einer der Räume im Sommer so stark auf, dass er zeitweilig nicht genutzt werden kann. Mit Fußboden und Gummigranulat in verschiedenen Farben und den vielen Erhebungen sowie der Dachterrasse mit Aufsicht auf die umgebenden Straße und Wege kommt das Gebäude den kindlichen Bedürfnissen entgegen, ohne die Sinne zu stressen. Das Haus ist – auch im übertragenden Sinne – farbig, aber nicht bunt.

db, Mo., 2007.12.03

03. Dezember 2007 Clemens Bomsdorf



verknüpfte Bauwerke
Kindertagesstätte in Kopenhagen

Die Gute Stube

Raggal ist ein kleines Dorf im Walsertal in Vorarlberg. Seit gut einem Jahr sind dort alle wichtigen Gemeindeeinrichtungen erstmals unter einem Dach zusammengefasst. Für den Bau des neuen Gemeindehauses verlief die Zusammenarbeit zwischen Planer und Bauherrn außerordentlich gut, ohne nennenswerte Querelen, ohne Baukostenüberschreitung oder Bauverzögerungen – ein Glücksfall?

Nicht immer ist es in Raggal so neblig wie an diesem grauen, kühlen Oktobertag. Der leichte Nieselregen lässt das Bergdorf verschlafen wirken, kaum ein Bewohner oder Besucher ist am Nachmittag auf den Straßen unterwegs. Normalerweise eröffnet sich vom Dorfplatz aus, in dessen Mitte eine alte Linde auf 1050 Metern Höhe thront, ein schöner Blick auf das Walsertal und die gegenüberliegende Hangseite mit ihren kleinen Dörfern. Heute aber hängen dicke Nebelwolken über dem Tal und versperren jegliche Sicht. Die gelungene Einfügung des neuen Gemeindehauses in den Ortskern, gleich neben dem Dorfplatz mit Kirche und Schulhaus, wird so nur zum Teil deutlich. Denn als Einziger schlug Johannes Kaufmann beim vorangegangenen Wettbewerb für das neue Gemeindehaus ein eher lang gestrecktes, flaches, nur zweieinhalbgeschossiges Gebäude vor, das den Blick in das Walsertal und umgekehrt nicht blockiert. Keinen »Turm« wie seine Wettbewerbskonkurrenten, erklärt er – selbst noch immer etwas erstaunt über die Tatsache, dass die Entwürfe seiner Kollegen diesen Panoramablick wesentlich gestört hätten. Auf der Eingangsebene hat er alle wichtigen Funktionen verteilt: das Tourismusbüro, Räume der Gemeindeverwaltung, Bürgermeisterzimmer oder das »Walserstüble«, eine Küche für die Eltern-Kind-Beratung. Im Obergeschoss befinden sich nur das Sitzungszimmer und ein Archiv, im Untergeschoss, in den Hang eingeschoben, Technikräume und ein Musikprobensaal für den Musikverein.

Ökologisch Wirtschaften

Vom Planungsbeginn im Juli 2005 bis zur Fertigstellung des Gemeindehauses verging gerade mal ein gutes Jahr. Den einstufigen Architekturwettbewerb lobte die kleine Gemeinde Raggal mit ihren knapp 900 Einwohnern Anfang 2005 aus. Sechs Vorarlberger Büros, die sie sich als Planer ihres neuen Gemeindehauses vorstellen konnten, luden sie hierzu ein, darunter auch das Büro von Johannes Kaufmanns Bruder Hermann Kaufmann, der rund ein Jahr zuvor bereits im benachbarten Ludesch ein Gemeindehaus in Passivbauweise erstellt hatte. Für den Neubau war die Verwendung heimischen Holzes gewünscht, da die Gemeinde über eigenen Wald verfügt und Mitglied im »Biosphärenpark Großes Walsertal« ist. Diese von der UNESCO ausgezeichneten Biosphärenreservate gibt es weltweit fast 500 Mal, jeweils für Regionen mit nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensweise. Wichtig war daher auch, in Anlehnung an den Gedanken der regionalen Wertschöpfung, dass für den Neubau Materialien aus dem Walsertal verwendet und Firmen aus der Region beauftragt wurden. Den Wunsch der Kommune nach der Verwendung von Holz hat Johannes Kaufmann als gelernter Zimmermann nur allzu gern erfüllt. Der zukünftige Energieverbrauch war seitens des Bauherrn zwar nicht auf exakte Zahlen festgelegt, dennoch schlug Kaufmann bereits im Wettbewerb ein Niedrigenergiehaus mit Passivhauskomponenten vor – ein Standard, der für ihn und viele seiner Vorarlberger Kollegen längst selbstverständlich ist. Die Baukosten konnte er weitgehend einhalten, eine Überschreitung gab es durch die hinzugekommene Biomasse-Heizanlage, mit der über eine Nahwärmeleitung weitere benachbarte Gebäude mit Heizenergie versorgt werden können. Als Brennstoff dient vorwiegend Waldhackgut aus der eigenen Gemeinde. Im Musikprobensaal im Untergeschoss, den die Musiker ebenerdig und separat von der Hangseite erschließen können, wurde aus Kostengründen vieles in Eigenleistung von der Gemeinde erbracht. Dass man das dem Raum nicht ansieht, verweist auf die handwerklichen Fähigkeiten im Ort. Neben der Außenhülle aus Weißtanne wurde auch im Inneren konsequent der heimische Baustoff verwendet. Fast schon ein bisschen zu viel, mag man im ersten Moment denken, wenngleich der frische, kernige Geruch beim Eintreten diesen Gedanken sogleich vertreibt. Die bis auf Fußböden, Tische und Toiletten nahezu komplette Ausstattung mit Holz – Weißtanne vorwiegend als Beplankung, Fichte für die Konstruktion des Stabtragwerks –, passt in die ländliche Umgebung und vermittelt zwischen traditioneller Bauweise und eher nüchternem Architekturstil. In dem dicken Wandaufbau aus Hohlkastenprofilen und 32 Zentimeter Dämmung sitzen großzügige Fensteröffnungen. Johannes Kaufmann hat nicht auf »Biegen und Berechnen« ein Passivhaus gebaut – wohl aber bewusst all die Komponenten eingesetzt, die einen geringen Wärmeverbrauch ermöglichen und gleichzeitig architektonisch vertretbar waren. Neben moderner Haustechnik mit einer kontrollierten Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung oder den dreifachverglasten Fenstern hat er vor allem eine kompakte Außenhülle geschaffen, die – wohlbemerkt auch nach Norden hin – der Aussicht ins Tal wegen großzügige Fensteröffnungen besitzt.

Baumeister und Bauherr

Kaufmann ist zufrieden mit dem Gemeindehaus und dem Bauablauf. Etwa zehn Mal traf er sich während der Vorbereitungsszeit mit dem Bauherrenteam zu gemeinsamen Sitzungen. Gerade dieses Projekt bedeutet ihm persönlich besonders viel: Zum einen stammt er aus einer ebenso kleinen Gemeinde mit ähnlicher Dorfstruktur, verstand somit die Bedürfnisse der Bewohner und war sich der seltenen Chance bewusst, »an einem so schönen Ort zu bauen«. Zum anderen gefiel ihm besonders der direkte Umgang mit Holz und die Möglichkeit, sein Wissen als gelernter Zimmerer einsetzen zu können. Denn die Verwendung heimischen Holzes bedeutete auch, eine Holzschnittliste zu erarbeiten, damit das entsprechend gefällte Holz noch rechtzeitig trocknen konnte und pünktlich zum Baubeginn vorlag. Kaum war der Wettbewerb abgeschlossen und noch bevor das Tragwerk mit dem Tragwerksplaner abgestimmt war, wurden im eigenen Gemeindewald nach seiner Schnittliste Hölzer mit einem Querschnitt von 7 cm gesägt, die später einheitlich auf 6 cm-Querschnitte gehobelt wurden. Ein Wagnis für jeden Planer, sich so frühzeitig festzulegen, und auch nur für einen Zimmermann wirklich kalkulierbar. Auch von Bauherrenseite gibt es nichts zu beanstanden. Der Bürgermeister hatte gerade seine Amtszeit begonnen, als die Planungs- und Bauzeit startete. Stolz führt er durch die neuen Räume und lobt die gute Zusammenarbeit. Obwohl ein paar wenige gestalterische Unstimmigkeiten zwischen Planer und Gemeinde auftraten, beispielsweise was die Wahl des Fußbodenbelags anbelangte, wirkt nichts wie eine Kompromisslösung. Lediglich in der Detailausführung hätte man das eine oder andere noch optimieren können, etwa was Steckdosen, Kabelführung oder die Möblierung betrifft. Aber es muss nicht alles zu »designt« sein, erklärt Kaufmann. Die Stühle stammen teilweise aus den alten Gemeinderäumen, so dass es verständlich ist, wenn diese – wiederum im Sinne ökologischen Verhaltens – nicht einfach auf dem Sperrmüll landeten. Die Schuld daran, dass das Berufsbild des Architekten, vor allem außerhalb Vorarlbergs, in den letzten Jahrzehnten gelitten hat, sieht Kaufmann auch in dem Verhalten der Architekten selbst. Etwa, wenn sie zu gewagte, teure Details vorschlagen, die nicht funktionieren, und sich brüskiert fühlen, wenn ihre Vorschläge nicht angenommen werden. Er sieht sich und seine Mitarbeiter – ein Büro mit rund 15 Angestellten, das sich neben Dornbirn auch gerade in Wien niederlässt –, besonders »nah am Kunden«, für die er gute, vor allem aber nutzbare Architektur plant.

Glücksfall oder Vorarlberger Mentalität? Dass Planung und Ausführung so reibungslos verliefen, lässt sich dennoch nicht an einer einzelnen Person festmachen. Sicher hat jeder seinen Teil dazu beigetragen: Ein Architekt, der aus der gleichen Region kommt, die Bedürfnisse der Nutzer versteht und nicht mit großem künstlerischen Gehabe über sie hinwegsieht. Ein Bauherr, der die Rolle des Architekten respektiert und auf dessen Erfahrung und gestalterische Fähigkeit vertraut. Und schließlich qualifizierte Fachplaner und Handwerker, die zum Gelingen beitragen. Es ist nicht das erste Gebäude in Vorarlberg, das unter solch guten Bedingungen entstanden ist. Besonders vorteilhaft waren in Raggal auch die kurzen »Wege« zwischen Architekt und Bauherr, ein kleines Team Mitspracheberechtigter und damit schnelle Abstimmungsprozesse, das Know-how aller Planer und Handwerker vor allem im Bereich Holzbau und eine aufgeschlossene Bauherrenschaft. Mit dem Gemeindehaus Raggal gesellt sich nun ein weiteres Gebäude in die Besichtigungsliste aktueller Vorarlberger Architektur. Ein Neuling, der gleichermaßen unaufdringlich, nutzerfreundlich wie energieeffizient und – auch ohne Sonnenschein und Bergpanorama – schön anzusehen ist...

db, Mo., 2007.12.03

03. Dezember 2007 Christine Fritzenwallner



verknüpfte Bauwerke
Gemeindehaus Raggal

Hereinspaziert!

Eine Infothek, ein Archivspeicher, die Umstrukturierung eines Altbaus, ein Kopfanbau, verschiedene kommunale Einrichtungen als Investor, Bauherr, Nutzer und Betreiber sowie zwei Architekturbüros: Wenn die größte Baugenehmigungsbehörde der Bundesrepublik neue Gebäude bekommt, geht das nicht ganz ohne Schwierigkeiten ab.

Vorbei sind die Zeiten, in denen der Weg zum Amt in eine düstere, verstaubte Bürowelt, eine Enklave beharrlicher Unfreundlichkeit und gnadenloser Orientierungslosigkeit führte. Dieser Tradition frönten sämtliche Münchner Behörden noch bis vor zehn Jahren ganz ungeniert. Dann aber gab es beim Kreisverwaltungsreferat plötzlich ein Bürgerbüro, das seine Besucher mit neuer Eingangshalle und großzügiger Glasfront empfing, und das Finanzamt ließ ein Servicezentrum von ungewohnter Transparenz bauen. Eine der kommunalen Behörden, die sich von solchen Tendenzen der Publikumsöffnung lange Zeit unbeeindruckt zeigte, war die Lokalbaukommission (LBK), also die untere Bauaufsichts-, Denkmalschutz- und Naturschutzbehörde der Stadt München. Diese residierte noch bis vor Kurzem in einem 1929 errichteten Backsteinhochhaus am Altstadtring – was angesichts der heutigen Münchner Hochhausphobie nur auf den ersten Blick provokativ wirkt. In Wirklichkeit weckte die LBK als Amt bislang Erinnerungen an Karl Valentins Geschichte des verzweifelten Buchbinders Wanninger und stand versinnbildlichend exakt für jene konservative Starre, die auch das Alltags-Architekturgeschehen Münchens prägt.

Weil dieser aus Sicht einer modernen und bürgerfreundlichen Stadtverwaltung untragbare Zustand mit Platzmangel und den funktionalen und bautechnischen Mängeln des achtzig Jahre alten Behördenbaus einherging, kam es zunächst zum grundlegenden Sinneswandel und Ende 2006 schließlich zum Umzug in das gegenüberliegende ehemalige Verwaltungsgebäude der Münchner Stadtwerke. Auf einer bislang ungenutzten Freifläche vor diesem inzwischen generalsanierten und um einen Anbau ergänzten Gebäude aus den fünfziger Jahren befindet sich heute ein eleganter, rundum verglaster Pavillon: die neue Infothek der LBK. Auf kurzem Weg und im direkten Gespräch mit eigens geschultem Personal erhalten dort vor allem Architekten und Bauherren erste Informationen zu Bauanträgen, lassen sich schnell zuständige Mitarbeiter ausfindig machen oder Fragen zum Baurecht klären. Sorgfältig eingepasste Einbaumöbel in strahlendem Weiß zonieren den Raum auf angenehme Weise und schaffen neben einem vorgelagerten Empfangs- und Infotresen, vier großen Stehtischen für Vorbesprechungen sowie sechs Beraterplätzen auch einen großzügigen Wartebereich mit loungeartigen Sitzgruppen entlang der Glasfassade. Insgesamt erzeugen Thomas Straub, Michael Schneider und Christian Kern von der SSK Projektgemeinschaft aus München die einladende Atmosphäre eines Flagship-Stores, die eher an ein Café als an eine Behörde erinnert.

Bei dem Glaspavillon handelt es sich nur um die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Erstens befindet sich die Infothek wie auch der sechsgeschossige Anbau direkt über dem neuen Herzstück der LBK, einer zwölf Meter tiefen, unterirdischen Zentralregistratur mit acht Kilometern Regalfachlänge und computergesteuerten Fördersystemen. Und zweitens gibt sich der Pavillon innerhalb der Gesamtbaumaßnahme zwar als Neubau zu erkennen, nicht aber als Resultat eines Entstehungsprozesses von unvorstellbarer Komplexität. Beteiligt an diesem Prozess waren insgesamt vier kommunale Einrichtungen: Als Investor und Bauherr fungierten die Stadtwerke München, deren Hauptanteilseigner die Stadt München ist. Nutzer ist das Planungsreferat mit seiner Hauptabteilung IV, der Lokalbaukommission. Die Nutzungsrechte werden in einem Leasingvertrag mit dem Kommunalreferat geregelt, während der Betrieb des Gebäudes dem Baureferat obliegt.

Zurückgenommene Entscheidung

Der Startschuss fiel im Jahr 2001, als der Umzug der Stadtwerkszentrale vom Altstadtring an den Stadtrand unmittelbar bevorstand und die Stadtwerke gemeinsam mit den Architekten erste Machbarkeitsstudien zur allgemeinen Nutzung des Gebäudes erstellten. Teil des daraufhin im Jahr 2004 entstandenen Entwurfs war neben Infothek, Archivspeicher und innerer Neustrukturierung des Altbaus auch jener zwischen historischer Straßenflucht und zurückversetzter Backsteinfassade vermittelnde, vollständig verglaste Kopfanbau. Obwohl dieser seitens der LBK bereits positiv bewertet worden war, führte ein Einspruch im laufenden Bauantragsverfahren zur Vorlage des Projekts bei der Stadtgestaltungskommission, welche schließlich einen Fassadenwettbewerb für den Erweiterungsbau erzwang. Grund hierfür war die in unmittelbarer Nähe zur Altstadt als unpassend empfundene Glasfassade, vielleicht aber auch das fehlende Vertrauen in die Kooperation zwischen Investor und den jungen, relativ unbekannten Architekten. War die Planungsaufgabe im Zuge der Entwurfsplanung bereits zwischen SSK (Infothek und Archivspeicher) und den Architekten der Stadtwerke (Generalsanierung des Bestandsgebäudes) aufgeteilt worden, so gab es mit dem Gewinner des Fassadenwettbewerbs, Andreas Meck, nun ein drittes beteiligtes Architekturbüro. Bei diesem Anbau geht es primär um das »Weiterbauen« im Bestand und die gelungene Übersetzung und Neuinterpretation der Charakteristika der alten Ziegel-Lochfassade mittels ziegelrot durchgefärbtem, monolithischem Beton. Die Zusammenarbeit zwischen den Architektenteams und dem Bauherrn funktionierte reibungslos – vielleicht auch deshalb, weil es hier in einem zweiten Bauabschnitt kaum Berührungspunkte gab und es nicht um die Realisierung von Sonderbereichen, sondern schlicht um die Erweiterung neutraler Büroflächen ging. Abstimmungsbedarf gab es lediglich im Erdgeschoss. Dort – und darin waren sich grundsätzlich alle Beteiligten seit der Machbarkeitsstudie von SSK einig – sollte eine Espressobar entstehen. Allein, die entsprechend vorgerüsteten Räumlichkeiten stehen bis heute leer, weil sich die städtischen Referate noch immer nicht einigen konnten, wer für deren Betrieb beziehungsweise Verpachtung verantwortlich ist.

Innengestaltung aus einem Guss

Erfolgreich geklärt werden konnte hingegen das Gerangel um die Inneneinrichtung der Infothek. Ziel von SSK war eine ebenso funktionale wie klar strukturierte und entsprechend der Bauaufgabe repräsentative Möblierung. Allen Beteiligten war klar, dass eine bestenfalls durchschnittliche Standardausstattung nicht zum erwünschten neuen Aushängeschild der LBK führen würde. Also wurden Entwurf und Ausführungsplanung der Inneneinrichtung in die Hände der Architekten gelegt. Zum Leistungsumfang der ursprünglichen Baubeschreibung gehörten auch sogenannte »Diskretionselemente« – jene Trennwände zwischen den sechs Beratungsstellen –, nicht aber die dazugehörenden Tische, welche im Verantwortungsbereich der LBK lagen. Nur der unerschütterlichen Beharrlichkeit von SSK und dem Engagement des Bauherrn, der den Architekten stets den Rücken gestärkt hat, ist es zu verdanken, dass man sich trotz voneinander vollkommen unabhängig verwalteter Budgets schließlich doch noch auf eine einheitlich gestaltete Möblierung einigen konnte. Folglich erscheint die Einrichtung der Infothek heute nicht als kunterbuntes Stückwerk, sondern als angenehme homogene Einheit.

Bis zum Schluss hatte SSK mit einer Unmenge solcher Nebenschauplätze zu kämpfen, um die Durchgängigkeit ihres Entwurfskonzeptes in einer Vielzahl von Gesprächsrunden mit allen Planungsbeteiligten zu verteidigen. Dennoch ist es Thomas Straub, Michael Schneider und Christian Kern immer wieder gelungen, Bauherr, Nutzer und Behörden zusammenzuführen. Und so besteht die begründete Hoffnung, dass dieser langwierige, aber erfolgreiche Arbeitsprozess am Ende zu einer spürbaren Sensibilisierung aller am Bau beteiligten Kommunalbehörden geführt hat, so dass engagierte Architektur in Zukunft vielleicht tatsächlich mehr Unterstützung durch Münchens Ämter erhalten wird.

db, Mo., 2007.12.03

03. Dezember 2007 Roland Pawlitschko



verknüpfte Bauwerke
Infothek der Lokalbaukommission

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