Pläne

Details

Adresse
Triester Bundesstraße 26, 2632 Wimpassing, Österreich
Mitarbeit Architektur
Melanie Danner, Wolfgang Ruesch, Heinrich Büchel
Bauherrschaft
Semperit Technische Produkte m.b.H.
örtliche Bauaufsicht
Proche & Partner KEG
Bauphysik
Walter Prause
Fotografie
Manfred Seidl
Weitere Konsulent:innen
Haustechnik-Planung: Scholze, Stuttgart
Funktion
Forschung
Planung
1999
Fertigstellung
2001

Ausführende Firmen

Fenster, Leichtmetallfassaden: SFLTechnologies GmbH, Stallhofen (A)

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

Presseschau

06. Juni 2003Der Standard

Silberhai mit Bodenhaftung

(SUBTITLE) Rondo spezial Alu

Das Semperit-Gebäude ist ein Blick in die Zukunft der Architektur, trägt den Aluminium-Architektur-Preis und legt die Latte für alle anderen Preisträger hoch

Das Semperit-Gebäude ist ein Blick in die Zukunft der Architektur, trägt den Aluminium-Architektur-Preis und legt die Latte für alle anderen Preisträger hoch

Eine doppelt gekrümmte Aluminiumröhre schiebt sich über das Wimpassinger Firmengelände der Semperit AG, umschmiegt das zentrale Atrium und zeigt auf recht eindrucksvolle Art und Weise, was Aluminium in der modernen Architektur zu leisten vermag: 7 cm hohe und 6,60 m lange Alustrangfalz-Profile hüllen die außergewöhnliche Form dieser gewagten Konstruktion in jene geglättete Außenhaut, die von den Architekten Najjar & Najjar mit einer Zeichenmethode geplant wurde, welche üblicherweise bei der Konstruktion von Schiffsrümpfen zum Einsatz kommt. Die organische Anmutung des Gebäudes, des neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums der Semperit AG, trug diesem nicht nur die liebevolle Bezeichnung „Silberhai“ ein, sondern überzeugte auch die Juroren des letztjährigen Aluminium-Architektur-Preises - sie verliehen dem glatten Alufisch den Hauptpreis des Jahres 2002.

In der Tat erwies sich Aluminium bei diesem ungewöhnlichen Gebäude einmal mehr als prädestiniertes Material, sobald es darum ging, besonders kühne Architektenfantasien bauliche Realität werden zu lassen. Die Nähe zur architektonischen Avantgarde, ja die unübersehbare Verflechtung mit den wesentlichen Innovationsschüben der neueren Baukunst stellte das Leichtmetall in jüngerer Zeit immer wieder eindrucksvoll unter Beweis: Im Zuge der aktuellen Entwicklung hin zu einer fließenderen Architektur, die herkömmliche Verkleidungssysteme gerne hintan- und stattdessen die Gesamtheit von Oberfläche und Gebäudehülle in den Vordergrund stellt, kann das Potenzial von Aluminium ideal genutzt werden. Die vielseitige Verwendbarkeit des Materials, die nahezu unbegrenzte formale Freiheit erlaubt und im Rahmen moderner Aluminiumarchitektur stets aufs Neue ausgereizt wird, lässt denn auch die Fachwelt mit Spannung auf die einschlägigen Wettbewerbe blicken.

Seit dem Jahre 1998, als die Architekturstiftung Österreich und die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten in Zusammenarbeit mit dem Aluminium-Fenster-Institut erstmals den Aluminium-Architektur-Preis ausschrieben, wurde dies durch die hohe Qualität der eingereichten Arbeiten verdeutlicht. Auch die Erstverleihung des Architekturpreises, der 1998 mit dem Motto „Aluminium im Wohnbau“ bewusst auf die breit gestreuten Möglichkeiten im privaten Bereich verwies, stellte dazu keine Ausnahme dar: Mit dem Raum Zita Kern

gelang dem Architektenteam ARTEC ein Entwurf von geradezu skulpturaler Qualität. Innovative Materialanwendung und die Intimität des Privaten, archaisch anmutende Steinmauern und futuristischer Aluminiumaufbau werden dabei gekonnt ausbalanciert, die spezifischen Lichtreflexionen des Materials virtuos eingebunden. Elsa Prochazka und Najjar & Najjar waren die Baukünstler, die in den Folgejahren ausgezeichnet wurden.

Spannend fallen freilich auch jene Wettbewerbe aus, die sich gezielt an die Nachwuchsgeneration richten. Beim AFI-Studenten-Preis des Jahres 99 / 00 wurden mit den Schülern der Meisterklasse Prof. Rüdiger Lainer, Akademie der bildenden Künste, etwa Ideen zum Thema „Ausstellungspavillon“ erarbeitet. Die im Wiener Semper-Depot gezeigten Vorschläge reichten von einer Fenster-vor-Fenster-Lösung bis zu einem Pavillon im Steck-in-Steck-out-System. Ähnlich interessant fielen die Studentenwettbewerbe der nachfolgenden Jahre aus.

In der Saison 00 / 01 wurden Studenten vom Institut für Hochbau 1 der Technischen Universität Wien zur Teilnahme eingeladen. Das Thema lautete in diesem Fall: Intelligente Hüllen - Strukturen. Fast zwangsläufig spiegelte auch hier der Bogen der zweihundert eingereichten Arbeiten die vielfältige Anwendung von Aluminium in der Konstruktion wider - die Vorschläge reichten vom Entwurf eines multifunktionalen Aluminiumkinderwagens bis hin zu komplexen Bauwerken, die sich jeder erdenklichen Umgebung anpassen können. Sogar Franz Wests Skulptur „Lemurenkopf“ durfte sich dabei wiederfinden - er inspirierte eine Gruppe von Studenten zum Entwurf eines Hochhauses - mit Aluminium in der Hauptrolle.

Ähnliches darf man sich wohl auch vom diesjährigen AFI-Studenten-Preis erwarten, der heuer mit dem Institut für Hochbau und für Entwerfen / Studio 3 der Universität Innsbruck durchgeführt wird. Das Wettbewerbsthema „always in [AL]“ kommt dabei dem Dauerbrenner der Avantgarde auf leise Weise entgegen: nämlich der Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Aluminium im Allgemeinen und mit Aluminiumprofilen im Speziellen - Basis möglicher Erfahrungen, die heute in ein weit verzweigtes Netz von immer neuen Innovativen rund um Aluminium einfließen. Wohin die Reise geht, mag der Sensibilität internationaler Architekten vorbehalten bleiben. Doch aufregende Perspektiven eröffnen jüngste Forschungen dabei allemal: Schweißverfahren im festen Zustand, wie das neuartige Reibschweißen, Experimente mit gegossenen Teilen als Konstruktionselemente im Bauwesen, oder aber der Einsatz von Platten mit Wabenstruktur aus gelötetem Aluminium zählen dazu.

Grundlegende Arbeiten für das Baugewerbe leisten auch die Anbieter von Aluminium-Profil-Systemen, die im Aluminium-Fenster-Institut vertreten sind. Nicht zuletzt durch laufende Forschung und Entwicklung von Systemreihen und deren Komponenten, die technische, physikalische, ökologische und ökonomische Aspekte zu berücksichtigen haben, dabei Prüfzeugnisse anerkannter Prüfanstalten aufweisen und jahrzehntelange Systemgarantie für die Funktionsfähigkeit der Konstruktionen abgeben. Die Entwicklungskosten für eine neue Konstruktionsreihe innerhalb eines hochwertigen Profilsystems der Marke ALU-FENSTER® betragen rund zehn Millionen Euro, und schon vor der Markteinführung haben Systemkonstruktionen eine große Anzahl von Tests erfolgreich hinter sich gebracht. Prüfungen bezüglich Festigkeits-, Wärme- und Schallschutz, System- und Eignungsprüfungen zwecks Luftdurchlässigkeit oder Schlagregendichtheit legen so auch die Basis für gebaute Aluträume.

18. Oktober 2002Andrea Nussbaum
ORF.at

Semperit Forschungszentrum

„Form follows function“, dieses zur Doktrin der Kisten- und Riegelarchitektur erhobene Theorem, sagt eigentlich nichts darüber aus, ob sich die der Funktion...

„Form follows function“, dieses zur Doktrin der Kisten- und Riegelarchitektur erhobene Theorem, sagt eigentlich nichts darüber aus, ob sich die der Funktion...

„Form follows function“, dieses zur Doktrin der Kisten- und Riegelarchitektur erhobene Theorem, sagt eigentlich nichts darüber aus, ob sich die der Funktion folgende Form an der Geometrie orientieren muss. Dass sich die Materialisierung einer im Raumprogramm funktionalen, aber äußerlich irregulären Form allerdings nicht ganz leicht umsetzen lässt, weil die Architektur fertigungstechnisch der Autoindustrie bei weitem nachhinkt, mussten die Architekten Karim Najjar und Rames Najjar bei der Realisierung des neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums im südlichen Niederösterreich erfahren.

Was in der Autoindustrie zum Fertigungsstandard gehört, stößt in der Architektur noch immer auf Schwierigkeiten in der Umsetzung. Wenn sie mit einfachen baulichen Methoden realisiert werden soll, dann sollte die Form besser einer Geometrie folgen und sich nicht frei entwickeln.


Gelungene Probe

Als die Brüder Najjar & Najjar ihren Wettbewerbsbeitrag 1999 abgaben, wussten sie, dass sie die Großform bauen konnten, jedoch realisiert hatten sie so eine noch nicht. Damit experimentiert ja, in ihrer Installation Bug zum Steirischen Herbst, aber nicht als gebautes Büro- und Laborgebäude.

Da sich der Bauherr Semperit (nicht zu verwechseln mit dem Pleite gegangenen gleichnamigen Reifenhersteller) in seiner Firmen-CI als Innovationsunternehmen versteht, und es sich bei dem Bau noch dazu um ein Forschungs- und Entwicklungsgebäude handelt, also um ein Gebäude, in dem in Labors Gummiprodukte, vor allem medizinische Schutzhandschuhe, erforscht und getestet werden, war nach der Juryempfehlung unter Vorsitz von Günther Domenig, der Neubau bald fixiert: Die Newcomer Najjar & Najjar hatten mit ihrer silbrigen Alu-Röhren-Architektur etablierte Büros ausgestochen; sie werden „The Tube“ bauen.


The Tube

Die Röhre entpuppt sich als klar durchdachter Atriumsbau. Die Haupterschließung erfolgt über das Firmengelände an der nordwestlichen Schmalseite. Zur Straße hin ist ein riesiger „Mund“, der metaphorisch als Ansaugöffnung gelesen werden kann.

Diese transparente Öffnung und die Situierung der Röhre in einem 45 Grad Winkel zur Bundesstraße, so dass man einen Einblick auf die dahinterliegenden Produktionsstätten gewinnt, ist auch schon alles, was den Kontakt zum Ort bestimmt.


Intelligenges Raumprogramm

Das zentrale glasüberdachte Atrium ist die achsiale Verteilerzone über die im Erdgeschoß links und rechts die Laborräume erschlossen werden. Eine Nirosta-Treppe, die in ihrem Design mit schräg gestellten Handläufen an Schiffstreppen erinnert, führt ins Obergeschoß, wo Verwaltungs- und Vorstandsbüros bzw. die Besprechungsräume untergebracht sind.

Hinter dem straßenseitigen „Mund“ befinden sich die Büros der Techniker und eine eingezogene Galerie. Damit sich die Wege des Vorstands sowie Besucher der international operierenden Semperit AG mit den Anlieferungen für die Labors nicht kreuzen, sind an den Längsseiten der Röhre Liefereingänge vorgesehen, die das Gebäude in der Querachse durchschneiden bzw. die Auflagen des Brandschutzes erfüllen.


Die Konstruktion

Das Spannendste an der Alu-Röhre aber war und ist ihre Konstruktion. Bei der Realisierung hatten die Architekten und die ausführenden Firmen mit Variablen zu operieren, die zwar kalkulierbar sind, aber in der Umsetzung eine größere bauliche Präzision als üblich verlangen. Da Aluminium relativ dehnbar und Temperaturschwankungen von Minusgraden bis zu über 40 Plusgraden ausgesetzt ist, musste dieser Faktor ebenfalls in den Griff zu bekommen sein. Hinzu kam bei der Ausführung, dass Aluminium mit seiner glänzenden Oberfläche keine Fehler verzeiht, denn was wäre die zweisinnig gekrümmte Röhre ohne eine perfekte Haut?


Anleihen beim Schiffsbau

Um der Haut die Homogenität zu verschaffen, wie sie heute bei Autokarosserien Gang und Gebe ist, musste man auf das „Glätten“ - wie es im Schiffsbau üblich ist - zurückgreifen, da die Software-Programme der Autoherstellung für die Architektur noch nicht zur Verfügung stehen. Ihre innovative Pionierleistung und der ungebrochene Wille zur Durchführbarkeit, den Karim und Rames Najjar mit ihrem Erstlingswerk gezeigt sind, wurde sogleich mit dem Aluminiumpreis 2002 belohnt.


[Tipp:
Im Rahmen seiner sonntags-Exkursionen lädt das Architektur Zentrum Wien am 17. 10. unter Teilnahme des Teams najjar + najjar zu einem Besuch des Forschungszentrums in Wimpassing ein.]

[Den Originalbeitrag von Andrea Nussbaum finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

29. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Silberschlauch für Semperit

Die Wimpassinger Gummispezialisten leisten sich ein rasantes neues Forschungszentrum. Zum Renommieren und zum Mitarbeitermotivieren. Das Projekt der jungen Architekturbrüder Karim und Rames Naijar gefiel auch der Fachjury des prominenten Aluminium-Architektur-Preises, es wurde zum diesjährigen Alu-Sieger gekrönt.

Die Wimpassinger Gummispezialisten leisten sich ein rasantes neues Forschungszentrum. Zum Renommieren und zum Mitarbeitermotivieren. Das Projekt der jungen Architekturbrüder Karim und Rames Naijar gefiel auch der Fachjury des prominenten Aluminium-Architektur-Preises, es wurde zum diesjährigen Alu-Sieger gekrönt.

Das südliche Niederösterreich ist - derweilen noch - eine architektonische Wüstenei ersten Ranges. Hier wüteten neben Häuslbauern in den vergangenen Jahrzehnten höchstens die einander abwechselnden industriellen Rezessionen.

Die einstigen Blütezeiten der Metall-, Gummi-, Papierindustrien dokumentieren zwar schöne, doch schon lange dem Verfall preisgegebene Industriehallen, die Produktionsstätten untergegangener Epochen sind zumeist kontaminiert und, wie etwa die prächtigen Jugendstilhallen der ehemaligen Brevillier-Urban-Werke in Neunkirchen, nicht mehr sanierbar.

In Wimpassing, gleich neben der einstigen stolzen, heute etwas angerosteten Stahlstadt Ternitz, ist mit Semperit (hat nichts mit dem Reifenhersteller in Traiskirchen zu tun) ein Unternehmen beheimatet, das vor einem guten Dutzend Jahren quasi pleite war, das nach diversen Produktionsauslagerungen heute aber international wieder reüssiert, Gewinne einfährt und nun Muße hat, sich um eine entsprechende Corporate Identity auch in architektonischer Hinsicht zu kümmern.

Semperit verfügt ebenfalls über eine ganze Reihe alter, zwar schöner, aber nicht zeitgemäßer Hallen. Einige davon werden nun abgerissen, der erste Ersatzbau steht bereits, und er ist eine Zierde nicht nur für das Unternehmen, sondern für die gesamte Gegend geworden.


Erneuerung

Semperit-General Rainer Zellner läutete den Umbau des Unternehmens Anfang der 90er-Jahre mit einer Erneuerung der Maschinenstruktur ein, erst als die internen Abläufe saniert waren, beschloss er, auch der Architektur ein neues Gesicht sowie ein frisches Schema zu verpassen. „Wir wollten kein biederes Häusl haben“, sagt er, „sondern ein architektonisches Zeichen für unsere moderne Politik und Internationalisierung setzen.“

Eine solche Flagge der Moderne wollen zwar andere Industriekapitäne auch für ihre Unternehmen gelegentlich gerne sehen, doch wissen viele nicht, wie sie gehisst werden soll. Zellner besprach sich mit seinem Forschungschef Franz Sommer, gemeinsam beschloss man, einen Architekturwettbewerb zu veranstalten. „Meine einzige zwingende Vorgabe dafür war“, so Zellner, „dass zumindest die Hälfte der geladenen Architekten jünger als 35 Jahre sein sollte.“ Warum? „Weil alt bin ich selber.“

Unter Juryvorsitz von Günther Domenig entschieden sich die Gummikocher schließlich für das junge Brüderpaar Karim und Rames Naijar, die bereits zu Studienzeiten an der TU-Wien als innovative und flotte Planer aufgefallen waren. Sie entwarfen für das Semperit-Areal, das sich unmittelbar neben der Bundesstraße 17 befindet, einen langen, aluminiumglänzenden Schlauch von einem Haus, der dermaßen attraktiv und auffällig ist, dass vorbeisausende Radfahrer ins Schlingern geraten und sich der Autoverkehr zum Schauen und Staunen einbremst.

Das neue Forschungszentrum ist zweigeschoßig, wird von einer mittleren Halle samt Treppen erschlossen und innenbelichtet, die Forschungs-und Büroeinheiten erstrecken sich auf den Seiten, die Computertechniker sitzen sozusagen in Gesicht und Auge dieses gewaltigen Wurmes. Alles ist alugrau, metallen, silbrig. Die Böden, wenn nicht in Kirschparkett, sind taubengrauer Kunststoff oder dunkelgrauer Stein.

Nicht nur nach außen hin zu Kunden und Partnern soll das Haus zeitgemäße Modernität vermitteln, auch intern will Zellner das innovative Klima durch die Architektur gesichert sehen. Junge Techniker und Spitzenkräfte, so meint er, seien leichter von den Qualitäten seines Unternehmens zu überzeugen und zu bekommen, wenn das Arbeitsumfeld passe. Die Investitionen für das neue Haus beliefen sich inklusive Maschinenpark auf 7,3 Mio. EURO.

Die alten ausgedienten Hallen werden nun sukzessive abgerissen und teils durch neue Gebäude ersetzt. Ob das Mittel zum Zweck wieder ein Wettbewerb sein wird, steht noch nicht fest. In der ersten Runde, das kann man jedenfalls mit Sicherheit sagen, hat sich dieses System bewährt.

15. Juni 2002Christian Kühn
Spectrum

Die dekorierte Schuppenente

Das unternehmerische Selbstbild der High-Tech-Firma „Semperit Technische Produkte“ - von Najjar & Najjar umgesetzt in eine biomorphe Baufigur. Über Möglichkeiten und Grenzen der Superzeichen-Architektur.

Das unternehmerische Selbstbild der High-Tech-Firma „Semperit Technische Produkte“ - von Najjar & Najjar umgesetzt in eine biomorphe Baufigur. Über Möglichkeiten und Grenzen der Superzeichen-Architektur.

Dem amerikanischen Architekten Robert Venturi verdankt die Architekturtheorie die Unterscheidung von Gebäuden in „Enten“ und „dekorierte Schuppen“. Bei letzteren sind bauliche Struktur und inhaltliche Aussage klar voneinander getrennt: Dem Schuppen ist ein Zeichen aufgesetzt, das auf die Bestimmung des Gebäudes verweist, sei es ein Zunftzeichen, ein klassischer Giebel oder eine monumentale Leuchtwand wie in Las Vegas. „Enten“ sind dagegen Gebäude, deren Form mit der Botschaft verschmolzen ist, etwa ein Würstelstand in Form einer Wurst oder - Venturis begriffsprägendes Beispiel - ein Geschäft für Lockenten in Form einer großen Ente. Venturi ging es nicht primär um diese offensichtlichen Skurrilitäten, sondern darum, die moderne Architektur generell als eine „Enten-Architektur“ zu entlarven.

Tatsächlich war es das erklärte Ziel des Modernismus, Form und Funktion so miteinander zu verschmelzen, daß die Form als Aussage über die Funktion jedes Gebäudes gelesen werden kann. Ihre Rechtfertigung suchte diese Art von Funktionalismus nicht zuletzt in der Natur: Louis Sullivan, jener amerikanische Architekt, von dem die Formel „Form follows function“ stammt, illustrierte seine Behauptung nicht etwa an Hand von Maschinen, sondern an Hand von Naturphänomenen wie dem Aufbau eines Vogelflügels. Die Idee der organischen Einheit von Form und Funktion ist zwar grundsätzlich inspirierend, führt in der Architektur jedoch rasch zu dem Problem, daß die Funktionen von Gebäuden in der Regel unklar definiert, von widersprüchlichen Interessen verschiedener Nutzergruppen abhängig und über längere Zeiträume betrachtet so gut wie nie stabil sind. Die funktionalistische Architektur ist daher dazu verurteilt, mit beachtlichem Aufwand eine nur scheinbare Einheit von Form und Funktion aufzubauen, eine „Als-ob-“, oder, in Venturis Worten, eine „Enten-Architektur“.

Die Postmoderne, zu deren Vätern Venturi zählt, bekannte sich zum „dekorierten Schuppen“ und damit zu einer erneuerten Auffassung von Architektur als Sprache: Die „Ente“ ist - semiotisch ausgedrückt - ein „ikonisches“ Zeichen, bei dem der Signifikant (die Form) bestimmte Merkmale mit dem Signifikat (dem Inhalt) gemeinsam haben muß. Der „dekorierte Schuppen“ ist dagegen als „symbolisches“ Zeichen abhängig von erlernten Bedeutungen und damit offen für jede Art von Sprachspiel, Bedeutungsverschiebung und Subversion - ein Potential, von dem die Postmoderne so ausgiebig Gebrauch machte, daß fast zwangsläufig eine Gegenbewegung einsetzen mußte, die im begrifflichen Umfeld von Bionik, Blobs und Biomorphismus Projekte und in jüngster Zeit auch vermehrt Gebautes hervorbringt. Nach den endlosen Sprachspielen von Postmoderne und Dekonstruktion scheint der biomorphe Blob endlich wieder natürliche Sicherheit in der architektonischen Formfindung zu versprechen.

Das Forschungs- und Entwicklungsgebäude, das Karim Najjar und Rames Najjar für die Firma Semperit Technische Produkte in Wimpassing, Niederösterreich, entworfen haben, ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Trend. Semperit Technische Produkte - nicht zu verwechseln mit der inzwischen eingestellten Reifenproduktion - ist ein höchst erfolgreiches High-Tech-Unternehmen, das sich mit dem Neubau der Forschungszentrale ein neues, diesem Image entsprechendes Gesicht geben wollte.

Im Jahr 1999 wurde ein Gutachterverfahren ausgeschrieben, aus dem das Projekt von Najjar & Najjar, eine röhrenförmige glänzende Struktur, die sich diagonal an die Grundstücksgrenze vorschiebt, als Sieger hervorging. Die Hülle aus Aluminium schwingt sich in einer Wellenbewegung zu einer beinahe monumentalen, schräg über zwei Geschoße angeschnittenen Öffnung zur Bundesstraße hin auf, hinter der ein Großraumbüro mit eingezogener Galerie liegt. Auf dem oberen Niveau - also innerhalb der Aluminiumhülle - sind weitere Büros angeordnet. Im fast durchgehend verglasten Erdgeschoß liegen Laborräume. Eine großzügige zentrale Halle mit Oberlicht verbindet die
Ebenen räumlich miteinander.

Das Gebäude ist eine geglückte Umsetzung eines unternehmerischen Selbstbilds: Die Perfektion der Oberfläche suggeriert entsprechend hohe Standards der Produktion, die geschwungene Linienführung verweist auf die Kernkompetenz des Unternehmens Semperit, die Verformung von Kautschuk und Kunststoffen, die Raumschiffmetapher auf die globale wirtschaftliche Ausrichtung. Es verwundert also nicht, daß der Vorstand sich im Wettbewerb für dieses Projekt begeisterte. Daß er diese Begeisterung bis zuletzt durchgehalten und dem jungen Architektenteam genug Vertrauen auch in der Umsetzungs-phase entgegengebracht hat, ist dagegen besonders hervorzuheben.

Die Auszeichnung des Gebäudes mit dem diesjährigen „Aluminium Architektur Preis“ ist nicht zuletzt eine Anerkennung für die Konsequenz, mit der hier ein bestimmtes, im ersten Entwurf vorgestelltes Bild zur Realisierung gebracht wurde.

Bis auf den Wegfall eines Semperit-Logos, das im ersten Entwurf die große Frontöffnung wie einen Kühlergrill geteilt hätte, scheint das ausgeführte Projekt vom Entwurfsmodell kaum abzuweichen.

Daß Najjar & Najjar aber mehr wollten, als nur ein eingängiges Bild zu schaffen, zeigt ein Blick auf ihre früheren Arbeiten wie etwa die kinematische Skulptur BUG, die sie 1998 beim „steirischen herbst“ vorführten: eine beweglich gelagerte Metallrüstung mit Flügeln aus Aluminium, in deren Innerem der Umriß einer menschlichen Figur zu erkennen war.

Im gesteigerten Pathos dieser Inszenierung manifestierte sich eine Vision von Architektur als „Natur aus Stahl“, die im Semperit-Gebäude genauso angelegt ist. Aber im großen Maßstab stößt der Versuch, eine solche künstliche Natur zu schaffen, offensichtlich an seine Grenzen. Organische Einheit zwischen Form und Funktion würde ein Gebäude voraussetzen, das wirklich dynamisch ist und nicht nur so aussieht. Das Ziel der biomorphen Architektur, authentischer zu sein als der „dekorierte Schuppen“, verkehrt sich so in sein Gegenteil: Ihre Produkte werden zu aufwendigen Superzeichen, die zwar als solche höchst erfolgreich sein können, aber dabei ihre eigentliche Intention aufgeben müssen.

Blob-Architektur wird so lange Als-ob-Architektur bleiben, bis neue Materialien und Herstellungsverfahren existieren, die eine wirklich dynamische Architektur zulassen. Als Versuch in diese Richtung hat das Semperit Forschungszentrum jedenfalls Anerkennung verdient.

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