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Presseschau

05. Dezember 2003Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Faszination der Farbe

Der Münchner Architekt Otto Steidle als Baukünstler und Städteplaner

Der Münchner Architekt Otto Steidle als Baukünstler und Städteplaner

Nicht nur bei Schweizer Architekten wie Burkhalter und Sumi oder Gigon Guyer ist Farbe in der Baukunst ein Thema. Auch das Schaffen einiger der wichtigsten deutschen Büros zeichnet sich durch einen Hang zur Farbigkeit aus. So suchen die in Berlin tätigen Architekten Sauerbruch Hutton in ihren Bauten die Tradition eines Bruno Taut mit experimentellen und ökologischen Aspekten zu vereinen. Der Münchner Otto Steidle hingegen vertraut der Verführungskunst einer Architektur, die aus dem Widerspruch von bunt schillernden Fassaden und klaren Volumen resultiert. Obwohl man Steidles heutige Liebe zur farbigen Fassade wohl auch aus dem Münchner Kontext heraus erklären könnte, ist sie doch das Resultat einer jahrzehntelangen Annäherung. Bei seiner ersten Arbeit, der Wohnsiedlung an der Genter Strasse in München, die ihn 1972 bekannt machte, stand noch der strukturelle Ansatz im Mittelpunkt der Recherche, während die Farbe höchstens unterschwellig zum Zuge kam. Eine Dekade später, beim Projekt für die Documenta urbana in Kassel, beschäftigte ihn der postmoderne Zeitgeist. Gemeinsam mit Kiessler und Schweger gelang ihm dann Anfang der neunziger Jahre mit dem Verlagshaus Gruner und Jahr in Hamburg ein einprägsamer Baukomplex, auf den sich die Hochglanzmagazine begierig stürzten. Mit seinen grauen Fassaden und den beinahe expressiv zur Schau gestellten konstruktiven Teilen entspricht dieser Bau einem gemässigten Hightech. Sein immer noch strukturalistisch verflochtener, von den alten Parzellen abgeleiteter Grundriss aber generiert eine urbanistische Abfolge interner Wege, Passerellen und Höfe.

Diese Stadtplanung «en miniature» verband Steidle in seinem Entwurf für den Potsdamer Platz mit der Blockrandstruktur des 19. Jahrhunderts, um schliesslich bei seinem bisher wichtigsten städtebaulichen Projekt, der Neugestaltung des einstigen Münchner Messegeländes auf der Theresienhöhe, zu einem freien Spiel von Block, Zeile und Punkthaus zu finden, bei dem nun der zuvor in Ulm und Wien erprobten Farbigkeit ein ganz zentraler Stellenwert zukommt. Zu diesem gemischt genutzten, aus Geschäftshäusern und Wohnanlagen mit insgesamt 1600 Apartments bestehenden Quartier steuerte Steidle unter anderem das KPMG-Verwaltungsgebäude bei, dessen Fassadenraster effektvoll mit buntem Klinker verkleidet ist, sowie das in Orange und Gelb gehaltene Hochhaus - einen Wohnbau, der mit seinen Erkern und weit ausladenden Balkonen an zeitgenössische holländische Bauten erinnert. Noch plakativer eingefärbt als dieser Turm sind die einfachen Baukörper einer von den Grundrissen chinesischer Hofhäuser ausgehenden Siedlung in Peking, die eben erst nach kürzester Planungs- und Bauzeit fertig gestellt wurde. Den gut zehngeschossigen Wohnblöcken gibt neben der Farbigkeit eine fast pittoresk anmutende Verschachtelung Halt in der Anonymität der Vorstadt.

Eine zum 60. Geburtstag von Otto Steidle in der Architekturabteilung der Pinakothek der Moderne in München präsentierte Ausstellung zeigt nun, wie Steidle - gleichsam als Antipode des von Suburbia und Beschleunigung begeisterten Stadt-Chaoten Rem Koolhaas - die kontinuierlich gewachsene Stadt auf eine subtile, konservative Weise weiterdenkt, indem er auf die Wechselwirkung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit setzt. Die Schau verdeutlicht ausserdem, wie sorgfältig sich Steidle auch mit der Ausstrahlung seiner oft in Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstler Erich Wiesner konzipierten, «nicht nur in der Oberfläche, sondern im Wesen» eingefärbten Architekturen befasst. So verlieh er der Ludwig-Erhard-Strasse, einer monotonen Hamburger Stadtschneise, deren einziger Akzent zuvor die wiederaufgebaute Barockkirche von St. Michaelis war, eine neue Fassung: Wird doch das neue «Michaelis-Quartier» zur Durchgangsstrasse hin abgegrenzt durch eine städtebaulich differenzierte Baugruppe mit pixelartig aufgelöster Farbfassade, als deren Ausgangspunkt eine Grafik von Blinky Palermo diente. Im jüngst vollendeten Alfred- Wegener-Institut in den von Schuppen und Hallen geprägten Docks von Bremerhaven fand Steidle wieder zurück zu einem strukturalistisch anmutenden Grundriss. Hinter den mit einem geometrischen Muster aus schwarzem und weissem Klinker überzogenen Fassaden öffnen sich gelbe und grüne Hofräume, über die in den gleichen Farben gehaltene «Türme» hinausragen.

Steidles ständig sich wandelnder architektonischer Kosmos wird in München in der - bei Architekturausstellungen beliebten - Form eines Studios mit Tischen voller Arbeitsmodelle und Wänden voller Fotos und Pläne veranschaulicht. So erhält ein Œuvre Konturen, das zwar nur selten über den guten Durchschnitt hinausragt, aber mit seiner soliden Qualität der Stadt das gibt, was sie in erster Linie braucht: urbanistische und architektonische Substanz als Humus, aus dem heraus dann ab und zu ein extravagantes Meisterwerk wachsen kann.


[Bis 15. Februar. Katalog: Otto Steidle. Land, Stadt, Haus. Hrsg. Winfried Nerdinger. Architekturmuseum der Technischen Universität München, 2003. 108 S., Euro 21.-.]

14. März 2001Gert Walden
Der Standard

Wohnen und Werken im selben Haus

Das Thema „Arbeiten und Wohnen“ unter einem Dach ist ein Dauerbrenner aktueller Architektur. Adolf Krischanitz hat dazu sein Statement abgegeben. Es ist in seiner scheinbaren Gewöhnlichkeit äußerst ungewöhnlich.

Das Thema „Arbeiten und Wohnen“ unter einem Dach ist ein Dauerbrenner aktueller Architektur. Adolf Krischanitz hat dazu sein Statement abgegeben. Es ist in seiner scheinbaren Gewöhnlichkeit äußerst ungewöhnlich.

München - Auf den ersten Blick ist alles klar. Der Wiener Architekt mit Professur in Berlin hat ein Gebäude entworfen, an dessen Ecken ablesbar die Büroflächen untergebracht sind. Im erhöhten Mittelteil wären dann die Wohnungen untergebracht. Der Konjunktiv ist das einzige, was an der scheinbar so funktionalistisch ablesbaren Fassade stimmt.

Krischanitz hat nämlich das Haus für zwei Investoren vertikal in zwei Hälften geteilt, wie der Grundriss zeigt. Die Organisation der Flächen erklärt aber noch mehr. Wohnen und Arbeiten sind nämlich nicht abgetrennt, wie sie die Fassadenansicht dem Betrachter zunächst glauben macht. Wohnen ist im überhöhten Teil ebenso möglich wie in den Eckrisaliten.

Der Architekt verzichtet damit bewusst auf die übliche funktionelle Trennung und die daraus abgeleitete baukünstlerisch-visuelle Definition. Im Stadthaus nahe der Münchner Bavaria können sich die künftigen Bewohner selbst aussuchen, in welcher Konfiguration ihr Arbeiten oder ihr Wohnen stattfinden soll. Allein das Erdgeschoß ist den Geschäftsflächen vorbehalten.


Höhle und Zelt

Mit dem Anbieten dieser Wahlmöglichkeit trifft Krischanitz genau den Kern der grundsätzlichen Einstellung von Menschen gegenüber dem Raum. Die einen schätzen die Transparenz, die anderen lieben die Höhle. An dieser elementaren Kontraposition hat sich seit ihrer ersten Beschreibung durch Gottfried Semper im 19. Jahrhundert, und natürlich auch schon davor, kaum etwas geändert. Die Flexibilität, wie sie Krischanitz entwickelt hat, schafft einen Schwebezustand in der Gebäudenutzung, die dafür einen um so stärkeren architektonischen Rahmen erhält.

Die dreiflügelige Anlage mit ihrem historischen Gestus und ihren, der Industriearchitektur entlehnten, Details ist in ihrer Aussage ähnlich hybrid, wie die funktionale Überlagerung. Irgendwie passt eine solche verinnerlicht barocke Haltung zur Landeshauptstadt von Bayern. Weniger passend sind die räumlichen Kompromisse, die aus der grundsätzlich interessanten Schichtung von Wohnen und Werken entstehen. Die Gangflächen etwa sind nicht belichtet, während die Ausrichtung des Hauses nur wenig von der Nord-Süd-Orientierung profitiert.

Auf jeden Fall von Vorteil ist das Haus für die Investoren, die ihren Nutzen aus der gemischten Nutzung ziehen werden.

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