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Presseschau

15. September 2001Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ein Gedächtnis für die Zukunft

(SUBTITLE) Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte in Berlin

Die Eröffnung des Jüdischen Museums wurde überschattet von den Terroranschlägen in den USA. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fühlen sich die Berliner mit den Amerikanern eng verbunden. So blieben viele kulturelle Einrichtungen geschlossen, auch das Jüdische Museum an den ersten beiden seiner vorgesehenen Eröffnungstage. Seit Donnerstag ist es nun allen zugänglich.

Die Eröffnung des Jüdischen Museums wurde überschattet von den Terroranschlägen in den USA. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fühlen sich die Berliner mit den Amerikanern eng verbunden. So blieben viele kulturelle Einrichtungen geschlossen, auch das Jüdische Museum an den ersten beiden seiner vorgesehenen Eröffnungstage. Seit Donnerstag ist es nun allen zugänglich.

Ein Vierteljahrhundert dauerte es von der Idee eines Jüdischen Museums für das damalige Westberlin über das integrative Modell einer jüdischen Abteilung innerhalb des Stadtmuseums bis zur Eröffnung einer eigenständigen Institution. Durch die Wende kam dem Projekt unvermittelt eine nationale Bedeutung in der neuen alten Hauptstadt zu; aber erst in den vergangenen vier Jahren nahm es Gestalt an. Der Direktor Michael Blumenthal hat es mit weltläufiger Souveränität befördert. Der Architekt Daniel Libeskind hat es mit seiner spektakulären Architektur in die Wirklichkeit geholt. Diesen Erfolg muss man hochhalten in Anbetracht der zögerlichen Entwicklung der beiden anderen grossen Erinnerungsprojekte in der Stadt, des Holocaust-Denkmals und der Mahnstätte «Topographie des Terrors».

Seit der Einweihung des Libeskind-Baus vor zweieinhalb Jahren pilgerten 350 000 Besucher durch das leere Haus. Die expressive Architektur wurde in kurzer Zeit zum übermächtigen Symbol, so dass manche seine Funktionstüchtigkeit als Museum bezweifelten oder die Freihaltung des Hauses von Exponaten als Gleichnis für den unwiederbringlichen Verlust jüdischen Lebens forderten. Die nun eröffnete Dauerausstellung widerlegt die Einwände, wonach sich die eigenwillige Architektur mit ihrem verzerrten Grundriss und ihren intensiven Raumerlebnissen nicht als Ausstellungsgebäude eigne. Sie macht allerdings auch deutlich, dass der Bau nach einem subtilen Umgang und einer Reduktion der gestalterischen Mittel verlangt.

Man betritt das Museum durch das barocke Kollegiengebäude und gelangt über eine Treppe ins Untergeschoss, wo sich die «Achse des Holocausts» und die «Achse des Exils» kreuzen. In einer Reverenz an die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, in der Namen gegen das Vergessen stehen, sind den Wänden die Orte der Vernichtung und der Zuflucht eingeschrieben. Dazwischen, hinter Glas, zwei, drei letzte Dinge, Spuren eines Schicksals. Der Inhalt einer Brieftasche, welche die jüdischen Nachbarn bei ihrer Deportation noch schnell vom Wagen warfen, zwei Passfotos, eine Visitenkarte; die zurückgebliebene Hausbewohnerin hat sie aufgehoben zum Gedächtnis. In der «Achse des Exils» betrachtet man die fünf Reisepässe der Irma Markus, ausgestellt zwischen 1939 und 1960 in verschiedenen Städten der Welt - Zeugnisse einer Identität, die mit Stempeln beglaubigt ist und in der Fremde doch verloren zu gehen droht.


Gute Ansätze in 13 Kapiteln

Mit dem stillen Auftakt haben sich die Ausstellungsmacher ganz nach der Architektur gerichtet. Im Weiteren legten sie diesen Willen zur Beschränkung ab. Schon dem «Memory Void», einem jener hermetischen Betonschächte, die das Gebäude durchschlagen, glaubte man, einen Inhalt geben zu müssen: Die Installation «Shalechet» (Gefallenes Laub) des israelischen Künstlers Menashe Kadishman besteht aus 10 000 Eisenscheiben am Boden: 10 000 Gesichter mit weit aufgerissenen Mündern. Das Kunstwerk wirkt geschmäcklerisch und konterkariert den von der Architektur beschworenen Verlust.

Ein wenig von der anfänglichen Zurückhaltung hätte dem Hauptteil der Schau in den beiden Obergeschossen gut getan - nicht nur in Anbetracht der sich konkurrenzierenden Exponate, sondern auch was die aussergewöhnliche Architektur anbelangt, die nun hinter all den Einbauten, eingezogenen Wänden, abgehängten Decken und unmotiviert die Räume verstellenden Treppen kaum mehr erkennbar ist. Die Ausstellung auf 3000 Quadratmetern Fläche zeichnet streng chronologisch entlang von 13 Kapiteln und anhand von 3900 Exponaten (davon rund 1600 Originale und 560 Leihgaben) die Spuren jüdischen Lebens im Kontext jüdischer und deutscher Geschichte von der Römerzeit bis heute nach.

Einen Reigen von Handschriften präsentiert der Abschnitt über das Mittelalter. «Das Buch Sinai» aus dem Jahr 1391 des Rabbiners Meir ben Baruch aus Rothenburg gibt als eines der ältesten erhaltenen Dokumente jener Zeit Einblick in die religiöse Gedankenwelt der Juden. Worms, Speyer und Mainz stehen für frühe jüdische Gemeinden. Mit Photographien ist die Geschichte der Wormser Synagoge, des ältesten jüdischen Gotteshauses in Mitteleuropa (bis zu seiner Zerstörung 1938), nacherzählt. Dabei verpasst man die Chance eines kurzen Abrisses zur Synagogenarchitektur im Allgemeinen und lässt den nach dem Krieg wieder errichteten Sakralbau lieber im raumgreifenden Hauskino als 3D-Animation durch die mittelalterliche Stadt schweben. Die kostbare vorübergehende Leihgabe des Apostolischen Museums in Rom wurde dagegen so unscheinbar zwischen andere Exponate placiert, dass man sie kaum findet: Die Abschrift (10. Jh.) eines Dekrets von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 belegt die Existenz von jüdischen Bürgern im römischen Köln.


Der Wille zur Unterhaltung

Hier zeigen sich schon die Schwächen des Konzeptes, das vor allem unterhaltend und anschaulich sein will. Vieles wird kurz gestreift, ohne Akzentuierung präsentiert man eine auf die Länge ermüdende, bunte Gleichförmigkeit. In nur eineinhalb Jahren musste die Ausstellung eingerichtet werden; der aus Neuseeland berufene Projektleiter Ken Gorbey macht selbst kein Hehl daraus, dass noch einiges verbessert und vertieft werden muss.

Unverständlich ist, warum in einem Berliner Museum die jüdischen Aufklärer um Moses Mendelssohn keinen adäquaten Raum erhalten haben. Kaum deutlich wird, wie beschwerlich der Weg in die Emanzipation, Assimilation und in den Aufstieg ins Bürgertum zwischen 1870 und 1933 war. Und die Wechselbeziehung von jüdischen und nichtjüdischen Intellektuellen findet sich gerade einmal im Bonmot von Henriette Herz: «Der Geist ist ein gewaltiger Gleichmacher.» Dagegen feiert man die Berliner Kaufhauskultur, die sich mit den Namen Wertheim und Tietz und dem Kaufhaus des Westens («KaDeWe») verbindet, ausgiebig mit Leuchtschriften und aufgeblasenen Bildern. Für die Tatsache, dass sich die Juden von der bürgerlichen Gesellschaft kaum unterscheiden, gibt es eine ganze Wand, tapeziert mit anonymen Familienporträts als Zeitbildern. Nicht dargelegt wird der interne Streit zwischen Orthodoxen und Reformern. Den Zionismus vertritt das Porträt von Theodor Herzl. Für den vom Gesellschaftlichen sich zunehmend ins Ideologisch- Politische verfestigenden Antisemitismus steht, völlig unkommentiert, Julius Langbehns Werk «Rembrandt als Erzieher». Die Rolle eines Vorläufers, die Langbehns Ausrottungsjargon für die nationalsozialistische Rassenideologie spielte, wird nicht thematisiert.

Damit unterwandert die Schau letztlich ihren eigenen populären Anspruch, «für ein sehr breites Publikum» etwas Aufklärendes bieten zu wollen. Aus schlicht in die Vitrine gestellten Büchern oder gehängten Porträts - wie sie hier im Übrigen, mit wenigen Zitaten unterlegt, für das ganze jüdisch-deutsche Geistesleben herangezogen werden: eine Art name dropping - zieht der Unwissende keine Information und wohl ebenso wenig Unterhaltung. - Wie der Zickzackkurs von Libeskinds Bau die Unwägbarkeit und Vielschichtigkeit jüdischen Lebens gleichsam verinnerlicht hat, so laufen in der Ausstellung Lebenswelten, antisemitische Bedrohung, Emanzipationskurs stichwortartig nebeneinander her. Dabei findet man ein Gleichgewicht zwischen historischen Dokumenten, Zeitbildern, Judaica und den Hilfsmitteln moderner Ausstellungstechnik. Dazwischen bietet das «Museum für die ganze Familie» überall Grotten und Spielecken «nur für Kinder», wobei Letztere die Terminals des «Learning Center» im Foyer mehr faszinieren dürften. Mit der notwendigen Zurückhaltung bei den erzählerischen Mitteln werden Nationalsozialismus, Massenflucht und Massenmord sowie die Zeit nach 1945 bis hin zur jüdischen Gegenwart in Deutschland dokumentiert.


Annäherungen

In Berlin gab es schon einmal ein Jüdisches Museum. Es eröffnete an der Oranienburger Strasse 1933 nur wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Den Fundus für die Ausstellungen bildeten die Sammlungen der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die damals als eine der bedeutendsten in Europa rund 140 000 Mitglieder zählte. Schon nach sechs Jahren kam nach dem Novemberpogrom 1938 das Ende für das erste Jüdische Museum der Stadt. 1945 lebten noch 8000 Juden in Berlin. Bald werden in ganz Deutschland wieder 100 000 Juden leben, Berlin entwickelt sich wieder zum jüdischen Zentrum und ist nach einer Erhebung des Jüdischen Weltkongresses in New York nicht zuletzt wegen der Zuwanderer aus dem Osten die prozentual am schnellsten wachsende Jüdische Gemeinschaft ausserhalb Israels.

Das neue Jüdische Museum knüpft als «Sinnbild jüdischer Kultur» an die Tradition seines Vorgängers an. Von einem Wandel in der deutsch-jüdischen Beziehung haben manche im Vorfeld der Eröffnung, etwas hochgegriffen, geredet. Von einem neuen Fokus Deutschlands auf die jüdische Geschichte kann man sprechen, weil das Museum erstmals seit 1945 eine andere Sicht auf die jüdische Geschichte zeigt, insofern die Shoah als ein Kapitel in einer langen Zeitspanne dargestellt ist und die Rolle der Juden nicht auf die der Opfer beschränkt ist. Im Übrigen kommt dem Haus als erster überregional ausgerichteter derartiger Einrichtung in Deutschland Bedeutung nicht allein als historisches Museum zu, sondern als Ort der zukünftigen Annäherung, der Toleranz lehrt im Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen. An diesem hohen Anspruch muss sich die Ausstellung messen lassen.

12. September 2001Gerald Felber
Salzburger Nachrichten

Jüdisches Leben in Deutschland

Das neue Jüdische Museum in Berlin von Daniel Libeskind erzählt vom zweitausendjährigen Zusammenleben, nicht reduziert auf den Holocaust.

Das neue Jüdische Museum in Berlin von Daniel Libeskind erzählt vom zweitausendjährigen Zusammenleben, nicht reduziert auf den Holocaust.

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05. September 2001ORF.at

Nicht nur Opfer der Geschichte

Das Jüdische Museum Berlin - ein deutsches Geschichtsmuseum.

Das Jüdische Museum Berlin - ein deutsches Geschichtsmuseum.

Als das Jüdische Museum Berlin noch leer stand, strömten Hunderttausende in den bizarren Zick-Zack-Bau des US-Architekten Daniel Libeskind. Wenn an diesem Sonntag (9.9.) das Haus mit seiner Dauerausstellung eröffnet wird, erhält die deutsche Hauptstadt einen neuen Publikumsmagneten. Museumsdirektor W. Michael Blumenthal gibt sich mit Einzelheiten zu der Schau mit ihren mehr als 3.900 Exponaten bis zuletzt reserviert. „Sie würden nur über Kabel stolpern“, begründet er das Verbot für eine Vorbesichtigung.

Erst nach einem Konzert mit Daniel Barenboim und dem Chicago Symphony Orchestra will der frühere US-Finanzminister 850 Gäste aus aller Welt erstmals durch den eingerichteten Libeskind-Bau führen. Zu dem Festakt werden unter anderem Bundespräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Gerhard Schröder und der frühere US-Außenminister Henry Kissinger erwartet. Für die Zeit danach richten sich die Museumsleute auf einen Ansturm ein: Bis zu 6.000 Besucher täglich sollen an 363 Tagen im Jahr die Ausstellung über 2000 Jahre deutsch-jüdische Geschichte besichtigen können.

Wettlauf gegen die Zeit

Nicht der Holocaust steht im Mittelpunkt des Museums, auch wenn die Ermordung der Juden einen zentralen Platz einnimmt. „Das Jüdische Museum ist ein deutsches Geschichtsmuseum“, sagt Blumenthal. „Man kann die deutsche Geschichte nicht ohne den Holocaust erzählen.“ Schon das als zerborstener David-Stern für 120 Millionen Mark (61,4 Mill. Euro/844 Mill. Schilling) errichtete Museumsgebäude in Berlin-Kreuzberg ist ein deutlicher Hinweis auf den Massenmord. „Doch unsere Aufgabe als Staatsmuseum ist es auch, die Besucher daran zu erinnern, dass die deutschen Juden normale, schaffende Bürger waren.“

Bis zuletzt hatten der Museumsgestalter Ken Gorbey und Dutzende Wissenschafter und Techniker an der 3.000 Quadratmeter großen Ausstellung gefeilt. „Es war ein Wettlauf gegen die Zeit“, sagt der 59-jährige Neuseeländer, der sich als Gestalter des Te-Papa-Nationalmuseums seiner Heimat einen weltweiten Ruf erworben hat.

Kein „jüdisches Disneyland“

Gorbey hat die Berliner Schau als „erzählendes Museum“ konzipiert und dabei auch nicht auf Multimedia verzichtet. Das hat ihm den Verdacht eingetragen, er plane ein „jüdisches Disneyland“. Doch Gorbey weist die Kritik zurück: „Das alte Museum behauptet stets, alles besser zu wissen als der Besucher.“ Mit modernen Mittel sollen vor allem Menschen angelockt werden, die sonst nicht ins Museum gehen - die Jugendlichen und auch ihre Großeltern.

„Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Frage: Was bedeutet es, heute ein Jude zu sein?“, sagt Blumenthal. Auf 13 Stationen wird mit Objekten aus dem Alltag, Dokumenten und Kunstwerken das Leben der Juden in Deutschland nacherzählt - von den Anfängen unter den Römern, dem Leben im Mittelater bis hin zur gescheiterten Integration im 19. Jahrhundert, der Aufbruchstimmung in der Weimarer Republik und der Verfolgung unter den Nazis. Zum Abschluss wird das Leben der Juden im heutigen Deutschland dargestellt.

Vielfalt des Alltags

Als erstes Originalobjekt stoßen die Besucher beim Rundgang auf eine im 10. Jahrhundert entstandene Abschrift eines Dekretes aus dem 4. Jahrhundert. In diesem sehr frühen Dokument über jüdisches Leben in Deutschland hatte der römische Kaiser Konstantin die Juden von Köln aufgefordert, sich trotz religiöser Pflichten an der Gemeindearbeit zu beteiligen.

Neben Kultgegenständen wie beispielsweise Beschneidungsbesteck für junge Knaben aus mehreren Epochen sind auch Alltagsobjekte zu sehen - von den Brillengläsern des Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) bis zu Preisschildern aus dem Kaufhaus Wertheim. Als Beispiel für das moderne jüdische Leben sind Kühlschrank-Sticker für die Trennung von koscherem Essen oder Barbie-Puppen in jüdischer Hochzeitstracht ausgestellt. „Wir wollen das Leben der Juden in seiner Vielfalt zeigen und nicht nur als Opfer der Geschichte“, sagt Blumenthal.

In der Obhut des Bundes

Der 1926 in Oranienburg bei Berlin geborene Museumsdirektor kehrte 1997 als Retter in der Not in seine frühere Heimat zurück. Damals drohte das Projekt an der Frage zu scheitern, ob das Museum autonom oder Teil des Berliner Stadtmuseums sein sollte. Blumenthal setzte sich erfolgreich für die Autonomie ein und führte es schließlich in die Obhut des Bundes über, der jährlich 25 Millionen Mark zahlt.

01. Mai 2001Udo Weilacher
NZZ-Folio

Blitzschlag im Paradiesgarten

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren.

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren.

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren. Der Architekt hatte nämlich neben dem barocken Bauwerk des Berliner Stadtmuseums ein unsichtbares, komplexes und zugleich zerrüttetes Beziehungsgeflecht zwischen deutscher und jüdischer Geschichte aufgespürt, das er in ein zehnfach gefaltetes, mit Zinkblech ummanteltes und aufgeschlitztes skulpturales Bauwerk übersetzte.

Die Matrix, die dem Entwurf des zeichenhaften Gebäudes zugrunde liegt, führte auch zu einer bemerkenswerten Gartengestaltung, die trotz ihren Qualitäten viel weniger öffentliche Aufmerksamkeit erregte als der eindrucksvolle Museumsbau, der im September 2001 mit einer Dauerausstellung eröffnet werden soll.

Bereits im Lageplan von Haus und Garten tauchen eine Reihe von Verbindungslinien auf, die der Architekt zwischen den Berliner Wirkungsstätten berühmter Schriftsteller, Künstler, Musiker, Poeten und Wissenschafter aufspannte, die sich in der Geschichte um die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und deutscher Kultur verdient machten. Während die Bezugslinien zu Walter Benjamin, Arnold Schönberg oder Max Liebermann auf subtile Weise die Gestaltung des Bauwerkes prägen, tauchen sie im Garten als Pflaster- und Plattenbänder, Baumreihen und Wegverbindungen auf oder trennen Flächen unterschiedlicher Beläge voneinander.

Abstraktionsvermögen wird vom Betrachter sowohl im Museum als auch im Garten gefordert, wenn er mit «voids», mit Leerräumen, konfrontiert wird, die an die Vernichtung jüdischen Lebens und an den damit verbundenen kulturellen Verlust erinnern. Bedrückende Leere und spärliche Beleuchtung charakterisieren die Innenräume - sie übertreffen in ihrer Wirkung bei weitem die «voids» im Garten, interpretiert als geometrisch geformte und versprengt angeordnete Kiesfelder.

Anders als im Innenraum fällt es im Aussenraum schwer, alltägliche Gestaltungselemente mit inhaltlicher Bedeutung und atmosphärischer Spannung aufzuladen. So wird im Garten offenkundig, wie diffizil es ist, auf den tieferen Sinngehalt des Alltäglichen hinzuweisen und die Welt ausserhalb des Gartens, wo Pflastersteine scheinbar nichts als Strassenbelag und Schienenstränge vermeintlich nur Eisenbahngeleise sind, zwanglos mit einzubeziehen.

In einem nahe gelegenen Robinienwäldchen, das spontan auf Trümmerschutt entstand, haben sich die Landschaftsarchitekten zu einer ostentativ mythologischen Deutung des Vorgefundenen entschlossen und führen eine steinerne Wasserrinne in Schlangenform zwischen den Bäumen hindurch.

Von der «Umkehrung des Paradiesgedankens» ist im Erläuterungstext die Rede. «Auch Brachland und Wildkräuter sind heute wertvolle Wildnis», lautet die Erklärung, und so wird spontane Natur in der Stadt zum neuen Paradies erklärt. Die ungeheure Präsenz des metallischen Blitzes und der Gedanke an die darin verarbeitete Tragödie eines ganzen Volkes lässt jedoch kaum den unbeschwerten Genuss arkadischer Restflächenromantik zu.

Besonders einprägsam sind die Garten- und Platzräume dort, wo sich Inhalt, Form und Raum zu bedeutsamen Orten verdichten, wie im Paul-Celan-Hof oder im E.T.A.-Hoffmann-Garten, beide vom Architekten entworfen. Das bizarre Muster des Bodenbelages im Paul-Celan-Hof besteht aus Schiefer-, Basalt-, Granit- und Marmorfragmenten und wurde nach einer Grafik von Gisèle Lestrange Celan, der Frau des jüdischen Dichters, gestaltet.

Auf drei Seiten umschliessen die hohen Aussenmauern des Museums den Hof und erzeugen ein Gefühl der Enge, wie es in den typischen Berliner Höfen herrscht. Dieses Gefühl und das zersplitterte Gefüge der Bodengrafik, deren unterschiedliche Grautöne vom matten Zinkblech der Fassaden reflektiert werden, verstärken die Empfindungen von Ausweglosigkeit und Zerrissenheit. Diese lösen sich erst, wenn man den schmalen Durchbruch im Gebäude entdeckt und auf der anderen Seite in den Garten gelangt. Dort empfängt den Besucher eine Paulownia, ein Blauglockenbaum, den Paul Celan offenbar besonders schätzte.

Den zentralen Blickfang im Hauptteil der Anlage bildet der E.T.A.-Hoffmann-Garten, der untrennbar mit dem zentralen Erschliessungssystem des Gebäudes verbunden ist. Folgt man nämlich im Museum der zweiten von insgesamt drei programmatischen «Strassen», dann gelangt man in diesen abstrakten Garten, eigentlich ein im Raster angelegter «Hain» aus 49 Betonsäulen. Jede von ihnen ist mit Ölweiden bepflanzt, die gemeinsam in sechs Meter Höhe das Laubdach des versteinerten Waldes bilden. Für Libeskind steht dieser für das Exil und die Emigration der Juden aus Deutschland.

Zwar vermittelt die Zahlensymbolik, die sich hinter den 7 mal 7 Säulen verbirgt, eine tiefe Verwurzelung des fremdartigen Gartens in der jüdischen Kultur, doch ein Gefühl der Sicherheit kann sich in der erdrückenden Enge und Starrheit der Säulen nicht einstellen. Zudem sind die Grundfläche der ummauerten Anlage und damit auch die 49 Säulen um 10 Prozent aus der Waagerechten geneigt, was die Verunsicherung noch erheblich verstärkt.

In diesem Gesamtkunstwerk aus Architektur und Garten sind Poesie und Schrecken so untrennbar miteinander verbunden wie in Vergangenheit und Gegenwart des Judentums.

28. Januar 1999Ute Woltron
Der Standard

Gesprengter Davidstern als Haus der Leere

(SUBTITLE) Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin

Berlin - Ein Haus als Monument: Dieses Wochenende sperrt das Jüdische Museum in Berlin für die Honoratioren seine Pforten auf, die Öffentlichkeit muß noch...

Berlin - Ein Haus als Monument: Dieses Wochenende sperrt das Jüdische Museum in Berlin für die Honoratioren seine Pforten auf, die Öffentlichkeit muß noch...

Berlin - Ein Haus als Monument: Dieses Wochenende sperrt das Jüdische Museum in Berlin für die Honoratioren seine Pforten auf, die Öffentlichkeit muß noch warten, sie erhält ab 30. Jänner Einlaß. Wer allerdings in das metallbeschichtete Haus hineingelangen will, dem wird dieses Unterfangen nicht leicht gemacht. Der Besucher muß sich erst genauer mit der Architektur auseinandersetzen, bevor sie Einlaß gewährt.

Daniel Libeskind, der in Polen geborene, in Amerika aufgewachsene und nun bereits seit fast einem Jahrzehnt in Deutschland ansässige Architekt des soeben fertiggestellten Museums-Monuments hat den Eingang zum dekonstruktivistisch-expressionistischen Gebäude ins knapp zweihundert Jahre ältere Nachbarhaus verlegt, in dem auch das Berlin-Museum untergebracht ist.

Das neue, auffällige Bauwerk ist Raum und Gebäudekubatur ohne Ein- und Ausgang, erschlossen nur durch einen unterirdischen Gang. Im Grundriß zeigt sich das Haus als dekonstruierter, verfremdet wieder zusammengesetzter Davidstern. Von außen ist sein Innenleben nicht ablesbar, lediglich Fensterschlitze und kleine Aus- bzw. Eingucke zerreißen das ansonsten silbrig-homogen verkleidete Mauerbollwerk.

Architekt Libeskind hat drei symbolische Achsen in das Innere dieser komplizierten, winkeligen Räumlichkeit geschlagen. Für welche sich der Besucher zuerst entscheidet, bleibt ihm selbst überlassen.

Auch die Wegeführung macht es dem Eindringling also nicht leicht. Die „Achse des Exils“ mündet in den „E.T.A. Hoffmann Garten“ - ein Labyrinth aus betongegossenen, schräg aufragenden Kuben. Die „Achse der Vernichtung“ führt über - den Schritt verunsichernde - Schrägen und finstere Gänge in einen völlig leeren Raum, der lediglich von einem feinen Lichtstrahl diffus erleuchtet wird. Die dritte und letzte „Achse der Kontinuität“ geleitet den Besucher schließlich in die Ausstellungsräume, die, so Michael Blumenthal, der Direktor des neuen Museums, allerdings erst ab Oktober 2000 bespielt werden. Die Baukosten beliefen sich auf 845 Millionen Schilling (61,4 Millionen Euro).

Während man im Jüdischen Museum bereits erste - aufgrund der schwierigen Baulichkeit gespannt erwartete - Ausstellungskonzepte erarbeitet, harrt das Berliner Mahnmal-Projekt weiterhin einer Entscheidung.

27. Januar 1999Andreas Brenner
TagesAnzeiger

Glücksfall

Überraschend, spielerisch, schmerzlich: Das neue, von Daniel Libeskind entworfene Jüdische Museum in Berlin macht Eindruck.

Überraschend, spielerisch, schmerzlich: Das neue, von Daniel Libeskind entworfene Jüdische Museum in Berlin macht Eindruck.

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