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01. Dezember 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Im Schlund des Wasserdrachen

Die Warnungen vor dem Abstieg in den geheimnisvollen grünen Krater und vor dem Eindringen in die scheinbar unendliche Tiefe des steinernen Schlundes waren...

Die Warnungen vor dem Abstieg in den geheimnisvollen grünen Krater und vor dem Eindringen in die scheinbar unendliche Tiefe des steinernen Schlundes waren...

Die Warnungen vor dem Abstieg in den geheimnisvollen grünen Krater und vor dem Eindringen in die scheinbar unendliche Tiefe des steinernen Schlundes waren eindringlich. Aber der Drang, den Ursachen der rätselhaften Eruptionen auf den Grund zu gehen, war einfach unwiderstehlich. Als die Kinder den versunkenen Kratergarten durchquert hatten und schliesslich 18 Meter unter der Erde auf einen rätselhaften, kreisrunden, ruhigen Wasserspiegel trafen, war es schon zu spät. Unheimliches Donnern aus der Unterwelt, Lichtblitze, und plötzlich begann die Wasseroberfläche zu brodeln ­ das verhiess nichts Gutes. Doch der Weg zurück ans Tageslicht war einfach zu lang.
Die Geschichte von Aqua Magica, dem Park der Magischen Wasser in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen), begann vor Tausenden von Jahren, als tektonische Kräfte die Erdoberfläche und damit nicht nur das Gesicht der Landschaft formten. In der Tiefe entstanden jene Verwerfungslinien, aus denen bis heute salzhaltiges Wasser an die Oberfläche dringt, das als Nährlösung für das wirtschaftliche Wachstum der Region diente. 1745 wurde in Bad Oeynhausen die erste Salzquelle entdeckt, was den Anstoss zum Bau von Salzwerken und zur Entwicklung einer prosperierenden Salzindustrie gab. Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem die therapeutische Heilwirkung des Thermalsolewassers entdeckt worden war, setzte die Entwicklung der Kurbetriebe in der Region Ostwestfalen-Lippe ein.

Nach der Blüte des Kurbetriebes sanken am Ende des 20. Jahrhunderts, mit der Strukturkrise des Gesundheitswesens, die Besucherzahlen in den Kurorten; die Auslastung der zahlreichen Gesundheitszentren und Kurkliniken nahm stark ab, und man beschloss, der Region mit einer Landesgartenschau im Jahr 2000 neue Impulse zu geben.

Als Sieger aus einem 1997 durchgeführten freiraumplanerischen Werkstattverfahren ging das Pariser Landschaftsarchitekturbüro Agence Ter hervor. Henri Bava und Olivier Philippe verfolgten mit ihrem Entwurf «Aqua Magica» für das 35 Hektaren grosse Gelände zwischen den Städten Bad Oeynhausen und Löhne das Ziel, die zwei unsichtbaren Verwerfungslinien und die unterirdischen Wasserkräfte sinnlich erlebbar zu machen ­ mit vernebelten Steinbändern, einer Allee des Weltklimas, heimischen Blütengärten, Sprüh- und Wassergärten.

Ein kleiner, aber zentraler Teil der Parkanlage ist der Wasserkrater, der selbst Jahre nach dem Ende der Gartenschau die Besucherinnen und Besucher noch immer in seinen magischen Bann zieht. Auf ihrem Weg über eine baumlose Wiese stehen sie unvermittelt am Rand des kreisrunden Kraters, der geschickt auf einer Anhöhe positioniert ist; seine Wände sind mit niedrigwüchsigen Weidenarten unterschiedlicher Grünschattierungen bepflanzt. Die strauchartig wachsenden, drei Meter hohen Kupfer-Felsenbirnen, die den Grund der Senke einheitlich bewalden, ragen mit ihren Kronen nicht über den Kraterrand hinaus, wodurch das Massstabsempfinden gezielt verändert wird. Unweigerlich hat man den Eindruck, über die Kronen grosser Bäume hinweg einen weitläufigen Kratergrund zu überblicken.
In der Mitte wird das Kronendach von einem riesig anmutenden Kratertopf überragt, dessen rostrote Corten-Stahlwände sich kontrastreich von der grünen Umgebung abheben. Zwei schmale Eingänge, von schweren Stahltoren verschlossen, versprechen den Zutritt zum Topf, der im Inneren mit Drahtschotterkörben ausgekleidet ist, die an die isolierende Schamottverkleidung in Öfen erinnern.

Die Neugierde ist geweckt: Welcher bedrohliche Saurier wird hinter diesen dicken Mauern am Grunde der verlorenen Welt im Krater wohl gefangen gehalten? Über eine steile Treppe oder eine versteckt angelegte Rampe erreicht man den Kraterboden und taucht zunächst in eine versunkene, stille Gartenwelt ein. Die Felsenbirnen wachsen zwischen langen schmalen Betonbändern, die in der Formation schwimmender Baumstämme den Kratertopf umkreisen. Abwechslungsreiche Farn- und Schattenstaudenpflanzungen bilden einen sattgrünen Teppich, den man auf den Betonstreifen fast balancierend durchquert, bis man schliesslich eines der grossen Stahltore durchschreitet und die stählerne Plattform betritt, die das zentrale Bohrloch fasst.

Wasser tropft von den Gabionen-Wänden des Schachtes auf die stählerne Wendeltreppe bis hinunter in das Schattenreich der Schachtsohle. Der Klang tropfenden Wassers hallt aus der Tiefe.
Dort unten, auf der untersten Plattform, stehen die Kinder am Geländer. Gebannt starren sie auf den kreisrunden schwarzen Wasserspiegel, der plötzlich zu explodieren scheint: 35 Meter hoch schiesst eine eineinhalb Meter breite, schäumende Wassersäule brodelnd durch den Schacht dem Licht entgegen, über den Kraterrand hinaus in den Himmel. Plötzlich fällt sie wieder in sich zusammen, hüllt die Kinder und alles um sie herum in einen dichten Wassernebel, den die Sonnenstrahlen mystisch durchdringen und zum Leuchten bringen.

Immer wieder, in unerwarteten Abständen und unterschiedlichen Intensitäten und Rhythmen, wiederholt sich das wasser-, licht- und klangtechnisch perfekt inszenierte Spektakel in der Tiefe. Es begeistert die verblüfften Zuschauer und setzt bildgewaltige Assoziationen frei: Rund um den Wasserkrater, im ruhigen Schatten des idyllischen Felsenbirnenhains, der gelegentlich von einem Wasserhauch durchweht wird, erzählt man sich Geschichten von Geysiren in entlegenen Weltregionen, von Vulkaneruptionen, von Drachenfontänen in berühmten Barockgärten, von blasenden Walen in den Meeren, Tiefbrunnen in der Wüste und magischen Quellen in zahllosen Märchen.
«Gärten, Parkanlagen und Plätze sollen von ihrer Geschichte erzählen, sie sollen aber auch neue Geschichten erzählen. Sie sind poetische Orte unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft», schrieb der Zürcher Landschaftsarchitekt Dieter Kienast einmal und formulierte damit eines der wichtigsten Kriterien zur Gestaltung guter Gärten.

Der versunkene Garten mit Wasserkrater von Agence Ter in Bad Oeynhausen erzählt auf ästhetische, landschafts- und gartenarchitektonisch versierte Weise auf begrenztem Raum nicht nur eine Geschichte von der Magie des unterirdischen Wassers, dem eine ganze Region seine Identität verdankt.

Mit archetypischen Garten- und Landschaftselementen wie dem kreisrunden Kraterkessel, dem verschwiegenen Hain, dem Schattengarten, dem hortus conclusus, dem Höllenschlund und tiefen Brunnenschacht oder der wilden Fontäne knüpfen die Landschaftsarchitekten an uralte Idealbilder an und verführen die Besucher, die Gedanken schweifen zu lassen ­ zurück in die Gärten, in denen die Geschichtenerzähler die Zuhörer in ihren Bann schlugen.
Dem Garten als Ort der Geschichten gehören Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

NZZ-Folio, Mo., 2003.12.01



verknüpfte Bauwerke
Park der Magischen Wasser

01. Oktober 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein junger Klassiker mit zwei Gesichtern

Keine zwanzig Jahre alt und schon ein Klassiker? Den kleinen städtischen Parc del Clot, inmitten eines dichten Wohn- und Gewerbequartiers aus den sechziger und siebziger Jahren in Barcelona gelegen, darf man getrost als einen Klassiker der Landschaftsarchitektur des späten 20. Jahrhunderts bezeichnen, auch wenn nicht recht klar ist, ob es sich eigentlich um einen Park oder um einen Platz handelt. Doch vielleicht ist es gerade diese Mehrdeutigkeit, die ihn in jüngster Zeit wieder in den Mittelpunkt der Diskussion um die Gestaltung zukünftiger Stadtparks gerückt hat.

Keine zwanzig Jahre alt und schon ein Klassiker? Den kleinen städtischen Parc del Clot, inmitten eines dichten Wohn- und Gewerbequartiers aus den sechziger und siebziger Jahren in Barcelona gelegen, darf man getrost als einen Klassiker der Landschaftsarchitektur des späten 20. Jahrhunderts bezeichnen, auch wenn nicht recht klar ist, ob es sich eigentlich um einen Park oder um einen Platz handelt. Doch vielleicht ist es gerade diese Mehrdeutigkeit, die ihn in jüngster Zeit wieder in den Mittelpunkt der Diskussion um die Gestaltung zukünftiger Stadtparks gerückt hat.

Die Olympischen Spiele von 1992 vor Augen, investierte Barcelona Mitte der achtziger Jahre enorme Energie und Kreativität in ein Programm zur Schaffung von Parks, Plätzen und anderen öffentlichen Einrichtungen zum Wohl der Stadtbevölkerung und zur Erbauung der Touristen. In erster Linie waren es der sorgsame Umgang mit innerstädtischen öffentlichen Räumen, die markante architektonische Gestaltung von Parks und Plätzen sowie die intelligente Integration von bildender Kunst in den öffentlichen Raum, die als beispielhaft galten und die die katalanische Metropole zum international anerkannten Modell für innerstädtische Freiraumgestaltung avancieren liessen.

Eine der wichtigsten Strategien zur Schaffung von neuen Freiräumen, die auch für andere europäische Städte vorbildlich wurde, basierte auf einer Bestimmung aus dem Generalplan für Barcelona aus dem Jahr 1976. Diese sah vor, dass einstige Industrieflächen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Schliessung alter Schlachthöfe, Fabriken, Werkstätten und Steinbrüche oder die Stilllegung von Eisenbahnanlagen setzten Räume frei, die in der dichten Stadt zu Parks und Plätzen umgewandelt werden konnten. Häufig bezog man Teile alter Industrieanlagen in die Gestaltung ein und integrierte darin teilweise öffentliche Einrichtungen wie zum Beispiel Bibliotheken.

Der Parc del Clot entstand zwischen 1985 und 1986 nach den Plänen der Architekten Dani Freixes und Vicente Miranda auf dem ehemaligen Werkstattgelände der Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles (Renfe). Das 27 000 Quadratmeter grosse Areal der staatlichen Eisenbahngesellschaft Spaniens war noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts benutzt worden; es hatte sich ursprünglich am Rand eines nordöstlich vor der Stadt gelegenen Dorfes befunden, das im Lauf der Zeit vom rasanten Stadtwachstum eingeholt wurde.

An die ehemalige Kulisse des Werksgeländes mit seinen Industriehallen und -schloten aus rotem Backstein erinnert heute noch jener Teil der erhaltenen Fassaden, der - romantischen Ruinen im klassischen Landschaftspark gleichend - die nördliche Parkhälfte einfasst, sowie ein imposantes Industriekamin. Es markiert als weithin sichtbares Wahrzeichen die nordöstliche Ecke des Parks, wo eine breite Treppe aus dem tiefer liegenden Stadtquartier durch die alten Torbogen des Fabrikgebäudes in den Park hinaufsteigt. Ein hochgelegter Steg und eine lange Pergola-Passerelle führen von den gegenüberliegenden Seiten des Parks und aus dem angrenzenden Wohnquartier diagonal auf den Schlot zu und durchqueren dabei die beiden unterschiedlich charakterisierten Hälften der Parkanlage: parkartig gestaltet der nördliche Teil, platzartig konzipiert der südliche.

Als ein Zitat von Landschaft ist der Nordteil der Anlage zu lesen, den ein grosser, naturalistisch geformter Rasenhügel akzentuiert. An seinen Flanken breitet sich mediterrane Blütenpracht aus, während der Fuss des Hangs an drei Seiten von einer Art kleinem Waldgürtel, einem dichten Pinienbestand, gefasst wird.

Versteckt hinter dem Waldsaum, in der nördlichen Ecke des Parks, ist ein Teil des alten Gewölbeskeletts der Werkshalle zu entdecken. Vom Dach befreit, wirkt es wie ein uralter Pavillon. Im schattigen Zentrum der mit Efeu berankten Konstruktion, mitten in einem quadratischen Reflexionsbecken, verbreitet die grosse, expressive Bronzeskulptur «Rites of Spring» des amerikanischen Künstlers Bryan Hunt eine meditative Stimmung. Nur vom nahe gelegenen Kinderspielplatz, auch er von Pinien umfasst, dringt immer wieder das Gejauchze ausgelassen spielender Kinder in den Meditationsraum.

Am östlichen Fuss des Hügels, der seine Existenz dem Aushub des Bauschutts verdankt, bestimmt eine kleine Wasserfläche mit stilisiertem Strand die Szene. Einem kleinen Aquädukt gleichend, schiebt sich die alte Backsteinfassade mit ihren Segmentbogenfenstern zwischen den Hügel und die von Bäumen flankierte angrenzende Quartierstrasse. Tatsächlich rinnt entlang der Mauerkrone ein kleiner Wasserlauf; er giesst in das Becken einen 25 Meter breiten Wasservorhang, der für eine erfrischende Geräuschkulisse sorgt und für spürbare Abkühlung in der Hitze.
Ein formaler Kontrast zur abwechslungsreichen Miniaturlandschaft ist die architektonisch gestaltete südliche Hälfte des Parks; sie besteht aus einem tiefer gelegenen Platz, gefasst von zwei grossen Sitztreppenanlagen. Das um etwa drei Meter abgesenkte Niveau entstand, nachdem man die Werkhalle bis auf die Ebene des Untergeschosses abgetragen hatte. Von den Sitztreppen aus, vor allem aber auch von der Pergola-Passerelle, die den Platz in der Höhe überquert, kann man bequem dem Treiben der Jugendlichen auf dem Platz zusehen. Vier grosse Lichtstelen sorgen dafür, dass ihr unermüdliches Ballspiel auch nach Einbruch der Dunkelheit noch lange nicht zu Ende geht. Im gesamten Park sorgt gezielte Illumination für die stimmungsvolle Inszenierung der landschaftlichen und der baulichen Kulissen im Parc del Clot.

Der Park hat bei den Anwohnern von Anfang an grossen Anklang gefunden. Sie schätzen die vielfältige Nutzbarkeit der unterschiedlichen Park- und Platzbereiche, wo nahezu jede Altersgruppe ihre Nische findet. Die Faszination der Menschen für «ihren» Park ist aber auch den einprägsam komponierten Bildern zu verdanken, die besonders im Parkteil an romantische Impressionen aus englischen Landschaftsgärten anknüpfen. Malerische Ruinen, eingebettet in ein arkadisches Ambiente, waren schon im 18. Jahrhundert ein beliebtes Motiv gewesen.

Der Parc del Clot ist ein Park des 20. Jahrhunderts, in dem sich aktuelle und geschichtliche Strukturen komplex überlagern und sich zu neuen Bildern fügen. Gerade wegen des ideenreichen Umgangs mit den vorgefundenen Resten des Industriezeitalters und aufgrund der gelungenen Uminterpretation und Umnutzung der Fabrikruinen avancierte der Park in der internationalen Landschaftsarchitektur zum vielzitierten Vorbild.

Die Multioptionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts schätzt an diesem Park den hybriden Charakter, der beides verspricht: das Idealbild schöner Natur als Zitat von «Landschaft» in der Stadt als auch das Zitat von «Platz», das gutes, kulturell reichhaltiges städtisches Leben verheisst.

NZZ-Folio, Mi., 2003.10.01



verknüpfte Bauwerke
Parc del Clot

01. August 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Heldentod im Schwarzen Garten

„Ich denke, wenn man diesen Garten betritt, der zu dunkel und zu schwarz und zu regelmässig ist, und den Text auf den Bänken dazu liest - da ist es unmöglich, misszuverstehen, worum es geht. Das hoffe ich jedenfalls.“

„Ich denke, wenn man diesen Garten betritt, der zu dunkel und zu schwarz und zu regelmässig ist, und den Text auf den Bänken dazu liest - da ist es unmöglich, misszuverstehen, worum es geht. Das hoffe ich jedenfalls.“

Unmissverständlichkeit zählt zu den Merkmalen der Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer.

Doch während sie sich seit Beginn der achtziger Jahre bevorzugt elektronischer Reklamelaufbänder bedient und meist sehr persönliche, gesellschaftspolitisch engagierte, grell leuchtende Botschaften im öffentlichen Raum der Metropolen zur Diskussion stellt, wählte sie Anfang der neunziger Jahre erstmals einen Garten als Medium. Elektronik schien ihr für das Projekt in Nordhorn, einer niedersächsischen Kreisstadt an der deutsch-niederländischen Grenze, zu unsensibel. Deshalb wagte sie sich, fachmännisch beraten vom amerikanischen Landschaftsarchitekten Dee Johnson und dem örtlichen Stadtgärtner, an die Gestaltung eines Stadtparks beim 1929 errichteten Kriegerdenkmal «Am Langemarckplatz».

Als «Nordhorner Ehrenmal» wurde die Gedenkstätte ursprünglich für die «ruhmreich gefallenen Heldensöhne» der Kriege 1870/71 und 1914-18 errichtet, eine leicht erhöhte, einfach gestaltete Rundanlage. Im Zentrum liegt eine kreisrunde, mit den Namen getöteter Soldaten versehene Kalksandsteinplatte. Darauf stand mittig ein zylindrischer Sockel mit der Skulptur eines nackten, knienden Jünglings. «Die Gefällten sind es, auf denen das Leben steht», lautet bis heute die Inschrift des Sockels.

Aber die Skulptur des Bildhauers Hermann Scheuernstuhl, stilistisch der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, fehlt: Die Nationalsozialisten liessen sie wegen ihrer Nacktheit und angeblich negroider Züge in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1933 verschwinden. Sie erkoren den Platz nach seiner Umbenennung in Langemarckplatz 1938 zu ihrer bevorzugten Heldengedenkstätte. Der neue Name bezog sich auf die verlustreiche Schlacht bei Langemarck in Flandern, wo laut offiziellem Bericht der Obersten Heeresleitung der Deutschen Reichswehr im November 1914 kampf- und opferbereite junge Kriegsfreiwillige, das Deutschlandlied auf den Lippen, im Sturm die feindlichen Stellungen eroberten.

Was während des Dritten Reiches gezielt mythologisiert und zu Propagandazwecken benutzt wurde, widersprach den tatsächlichen Ereignissen und wurde später von Historikern als absichtliche Falschmeldung zur Kriegsverherrlichung entlarvt.

1959 setzte die Stadt die Gedenkstätte instand. An die Stelle der fehlenden Skulptur kam eine vermeintlich neutrale Feuerschale. An der langen Ziegelsteinstützmauer zum tiefer gelegenen Teil des Parks ergänzte man 23 bronzene Tafeln zum Gedenken an die Nordhorner Gefallenen des Zweiten Weltkrieges; hinzu kam eine Tafel zur Erinnerung an die «politisch und rassisch Verfolgten».

Die Auseinandersetzung mit der umstrittenen Geschichte und der Namensgebung des Platzes begann in Nordhorn jedoch erst 1986 und mündete 1989 in den Auftrag an Jenny Holzer, den Ort umzugestalten. Direkt angrenzend an die alte, erhöhte Rundanlage schuf die Künstlerin im tiefer gelegenen Teil des Parks, inmitten der Lichtung zwischen alten Parkbäumen, eine zweite, im Durchmesser wesentlich grössere, kreisrunde Gartenanlage - eine Art «Echo» auf das Existierende.

Der Grundriss der neuen, 3447 Quadratmeter grossen Anlage gleicht dem eines mittelalterlichen Klostergartens, erinnert aber auch absichtlich an eine Zielscheibe. Konzentrisch angelegte, ringförmige Beete werden durch Rundwege voneinander getrennt und durch zwei kreuzförmig auf das mittlere Rundbeet zulaufende Wege in zwölf Teile gegliedert. Die Beeteinfassungen aus rotem Bentheimer Sandstein und die Wegebeläge aus rotem Ziegelsplitt unterstreichen den provozierenden Charakter des Gartens; sie korrespondieren aber auch mit den dunkelroten Ziegelsteinmauern und -treppen der alten Anlage.

Fünf einfache Sandsteinbänke, zwei im alten und drei im neuen Bereich placiert, zählen ebenso zu den gestalterischen Gemeinsamkeiten und erinnern auf den ersten Blick an die Originale von 1929.

Doch der Schein trügt. Neue Inschriften in Deutsch und Englisch beschreiben drastisch das Grauen des Krieges und machen es im Grunde unmöglich, die Bänke zu benutzen: «Vollkommen verbrannt, nur die Zähne unversehrt, sitzt er da, an den Panzer angeschmolzen. Das Metall speichert die Sonne und Hitze von der Explosion. Sein Tod ist noch frisch, er verströmt einen angenehmen Geruch. Man muss ihn wegziehen, wobei die Haut zerreisst. Sein Anblick wirkt auf die Leute unterschiedlich.»

In scharfem Kontrast zur schockierenden Wirkung dieser Texte erscheint das schwarzfruchtige Zierapfelbäumchen Arkansas Black in der Mitte des neuen Gartens geradezu grotesk klischeehaft, zynisch - oder doch ironisch? Im Black Garden wird deutlich, wie schwierig es ist, ein Antidenkmal zu schaffen, das bei niemandem Begeisterung für den Krieg wecken würde.

Die Verknüpfung unterschiedlichster Bedeutungsebenen und die Gratwanderung zwischen eingängiger Botschaft und überkommener Symbolik ist heikel, das blieb auch Jenny Holzer nicht verborgen: «Ich habe den Garten wohl etwas mit Symbolen überladen. Aber als ich hörte, dass schwarze Äpfel wirklich existieren, konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich dachte, es wäre ein logischer Mittelpunkt. Fast jeder kennt diese Bibelstelle: sie scheint von der unbezähmbaren Neugier des Menschen zu handeln, das Falsche zu tun. Also fand ich den Baum in der Mitte richtig.»

Was dem Garten im Schatten alter Parkbäume den Namen und seine eigentümlich melancholische Atmosphäre verleiht, ist die flächendeckende Bepflanzung des leicht abgesenkten Areals mit dunkel- bis schwarzlaubigen und dunkelblütigen Pflanzen. Schwarzes Mondo-Gras, dunkellaubiges Geranium und Kriechender Günsel mit dunkelviolettem Blattwerk bedecken den grössten Teil der Beete. Blutberberitzen, Blutbuchen und Blutpflaumen rahmen die Anlage, setzen punktuelle Akzente. Die dunkelrosa Blüten der Blutpflaumen verbreiten eine fast schwermütige Stimmung.

Zu den eindrucksvollen Höhepunkten im Blühkalender des Schwarzen Gartens zählt aber die Blüte Hunderter schwarzer Tulpen im äusseren Randbereich der Zielscheibe. Nur ein kleines Beet vor der Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus liess die Künstlerin mit weissen Tulpen bepflanzen. Jahr für Jahr wird der Bepflanzungsplan in Zusammenarbeit mit Jenny Holzer an die örtlichen Standortbedingungen angepasst und erweitert.

«Der Garten war für mich ein Ausgangspunkt, eine irgendwie neue Art des Handelns, ein Lern- und Erfahrungsort», beschreibt die Amerikanerin ihre Erlebnisse mit einem für sie neuen Medium, einem lebendigen.

Auch Bewohner und Besucher in Nordhorn müssen im Umgang mit dieser ungewöhnlichen neuen Generation von Antigedenkstätten, dem Garten als Ort des Handelns und Erinnerns, erst ihre Erfahrungen sammeln. Sie lehnen zum Teil Holzers beunruhigende Todesschilderungen im öffentlichen Raum ab.

Damit stehen sie nicht allein; denn in unserer wachstumsorientierten Gesellschaft wird der Umgang mit Vergänglichkeit immer schwieriger. Für die Welt des 21. Jahrhunderts, die sich bevorzugt jung, dynamisch und attraktiv in Szene setzt, ist der Tod oft nur ein unliebsamer Störfall. Man will ihn schnell plausibel erklären und dann möglichst rasch wieder zur Normalität finden. Nur wenn Helden sterben, deren Heldentum bevorzugt an der täglichen Medienpräsenz gemessen wird, horcht die Welt für einen kurzen Augenblick auf.

Der Stadtrat von Nordhorn bewies Rückgrat und beschloss im März 1995 offiziell die Umbenennung der Anlage in Schwarzer Garten.

NZZ-Folio, Fr., 2003.08.01

01. Juni 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Kunst in künstlichem Arkadien

Es scheint, als hätten die biomorphen Skulpturen von Hans Arp beim Schnitt der bizarren Buchsheckenlandschaft Modell gestanden.

Es scheint, als hätten die biomorphen Skulpturen von Hans Arp beim Schnitt der bizarren Buchsheckenlandschaft Modell gestanden.

Tatsächlich aber war diese ehemals in exakte geometrische Formen geschnitten und gehörte zur streng axial gegliederten Parkanlage der Wuppertaler Industriellenfamilie de Weerth. Die liess in der einst sumpfigen Flussauenlandschaft der Erft, südwestlich von Düsseldorf, zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Landsitz erbauen.

Längst verschwunden sind die markanten Blickachsen der Parkanlage, die gemäss dem damals geltenden Ideal der Gartenkunst bis weit in die Umgebung reichten, um Einfluss und Weltoffenheit zu signalisieren. Die alten Parkbäume, darunter viele Exoten, sind zu stattlichen Baumgestalten gewachsen und umstellen das «Rosa Haus», die Industriellenvilla aus dem Jahr 1816, die um 1900 durch eine Flussumleitung endgültig in Insellage geriet.

Hätte sich die Gartendenkmalpflege des historischen Parks Hombroich angenommen, würde der Buchs wohl heute wieder in geometrischem Formschnitt das kultivierte Wesen des einstigen Gartenkunstwerks betonen und damit den Kontrast zur umgebenden, funktional geprägten Agrarlandschaft verdeutlichen. Doch Bernhard Korte, den man Mitte der achtziger Jahre mit der Neugestaltung des Parks und seiner Umgebung beauftragte, wandte sich gegen die Rekonstruktion des architektonischen Gartenstils - ganz im Sinn der damaligen Naturgartenbewegung und in Übereinstimmung mit seinem Auftraggeber: «Herrschaft über die Natur durch Schneiden, Hacken, Brechen und ästhetisches Frömmeln sind nicht mehr unbedingt angesagt», befand der Landschaftsgestalter und entschied sich für den Erhalt der «natürlichen» Formen der ausgewucherten Buchspflanzen.

Der einflussreiche Immobilienmakler und Kunstsammler Karl Heinrich Müller hatte schon seit Mitte der siebziger Jahre von einem privaten Museum geträumt, in dem er abseits von der Grossstadt seinen umfangreichen Bestand an Kunstwerken präsentieren wollte, als «Kunst parallel zur Natur». Der Bildhauer Erwin Heerich, der Maler Gotthard Graubner und der Kunsthändler Sami Tarica berieten Müller beim Ausbau seiner Kunstsammlung und entwickelten gemeinsam Pläne für neue Ausstellungspavillons.

Doch wo gibt es noch unberührte Natur in Europa? 1982 erwarb der Kunstmäzen das knapp 20 Hektaren grosse Gelände bei Hombroich; aber die intensiv genutzte Ackerlandschaft - Kulturlandschaft modernster Prägung - widersprach offensichtlich der gängigen Idealvorstellung von arkadischer Naturlandschaft. Stattdessen wünschte sich Müller einen Garten wie ein impressionistisches Gemälde von Claude Monet, und Bernhard Korte komponierte dieses Landschaftsgemälde; jedoch «nicht aus irgendeinem Designrausch», wie er betonte, sondern naturnah.

Anders als beim verfallenen Park erachtete der Landschaftsgestalter die Rekonstruktion der ehemaligen Auenlandschaft weder als unzeitgemäss noch als «ästhetisches Frömmeln». Das Studium alter Karten, archäologische Auswertung von Luftbildaufnahmen, Pollenanalysen in Humusproben und Grabungen vor Ort lieferten Basisinformationen über eine Zeit, in der die Erft noch weitgehend unbeeinflusst von menschlichem Wirken die Auenlandschaft prägte.

Als Vorbild für die Rekonstruktion der Landschaft diente eine Karte von 1807, als vorindustrielle bäuerliche Mischstrukturen eine scheinbar bukolische, vielfältige Landschaft formten. Folglich wurden die Altwasserarme der Erft wieder freigelegt, der Wasserspiegel zur Vernässung des Areals wieder angehoben, Teiche und neue Inseln angelegt. Um das landschaftsästhetische Idealbild perfekt abzurunden, pflanzte man neben typischen Auengehölzen wie Schwarzpappeln und Erlen auch zahlreiche 30- bis 40-jährige Kopfweiden, Zeugen traditioneller Kulturtechnik und früher landschaftsbestimmende Baumgestalten, wie man sie aus vielen romantischen Landschaftsgemälden kennt.

Glücklicherweise entschlossen sich die Initiatoren des Kunstprojekts nicht dazu, das arkadische Landschaftsbild analog zum landschaftsgestalterischen Ansatz mit traditionell bäuerlicher Architektur des frühen 19. Jahrhunderts zu vervollkommnen; sonst wäre Hombroich womöglich unter Stadtflüchtigen als illusionistisches Bauernhaus- oder Kulturlandschaftsmuseum bekannt geworden, nicht aber als Kunstlandschaftsprojekt.

Zwar blieb die historische Industriellenvilla erhalten, wurde restauriert und umgenutzt als Ausstellungsgebäude für Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen alter Meister, und in einer ehemaligen Scheune richtete der Künstler Anatol Herzfeld sein Atelier ein. Doch zwischen 1982 und 1994 schuf der Düsseldorfer Bildhauer Erwin Heerich elf einfache Ausstellungspavillons, «Kapellen in der Landschaft», wie Karl Heinrich Müller sie nennt, die an Kunstobjekte der Minimal Art erinnern und mit grosser Sensibilität in die harmonisch gestaltete Landschaft eingebettet wurden.

Im Sinn der Ideologie der klassischen Moderne wurden die skulpturalen Bauwerke wie kunstvolle Einzelobjekte in die «fliessende», vermeintlich unberührte Landschaft gesetzt, die durch ein weitläufiges, verschlungenes Wegnetz erschlossen wird. Das Verlassen dieser Wege ist laut Landschaftsschutzbehörde nicht gestattet, und so bewegt man sich auf Kieswegen durch eine Kunstlandschaft aus Architektur und Landschaftsgestaltung, um im Inneren der meist fensterlosen, jedoch von oben beleuchteten Pavillons Kunst- und Kulturgegenstände sowie Gemälde aus verschiedensten Zeiträumen und Kulturkreisen zu besichtigen. Ein besonders intensiver Dialog zwischen Architektur und Landschaft, zwischen Innen- und Aussenraum entsteht im sogenannten Turm, einem kompakten Backsteingebilde auf quadratischem Grundriss, welches plötzlich mitten im Weg steht. Im Inneren des Turms sucht man vergeblich nach Kunst. Durch vier hohe, schmale Fenster, die zunächst wie Gemälde im leeren Raum wirken, geniesst man gerahmte Blicke in den Park: die Farben intensivieren sich scheinbar, man nimmt die Geräusche der Umgebung deutlicher wahr, fühlt, wie die Sinne geschärft werden.

Der Kulturraum Hombroich ist ein Prozess, und so wächst das Projekt weiter, verbindet kulturelle und wissenschaftliche Initiativen miteinander, erobert neuen Raum: Nach dem Erwerb einer stillgelegten Raketenstation 1995 und der Renovation militärischer Gebäude in nächster Nachbarschaft zum Park wurden weitere Gebäude nach den Entwürfen von Erwin Heerich und Per Kirkeby errichtet.

Auch auf dem neuen Konversionsgelände wird sich die Frage nach dem zeitgemässen Umgang mit Natur und Landschaft stellen, und man darf gespannt sein, ob wiederum traditionelle, idyllische Leitbilder aus vergangenen Jahrhunderten als Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart zitiert werden.

NZZ-Folio, So., 2003.06.01



verknüpfte Bauwerke
Museum Insel Hombroich

01. März 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Grüner Pelz auf Stahlskelett

«Ich kann mir vorstellen, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem der Umgang mit Natur und das Einbeziehen von Landschaft in die Urbanisation unumgänglich geworden sind. Jeder Eingriff durch Architektur bedingt immer auch eine Arbeit mit der Natur: Zerstörung und Reparatur. Es wird eine explosionsartige Zunahme von Landschafts- und Gartenarchitektur geben.» Dies prophezeite der Basler Architekt Jacques Herzog vor wenigen Jahren.

«Ich kann mir vorstellen, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem der Umgang mit Natur und das Einbeziehen von Landschaft in die Urbanisation unumgänglich geworden sind. Jeder Eingriff durch Architektur bedingt immer auch eine Arbeit mit der Natur: Zerstörung und Reparatur. Es wird eine explosionsartige Zunahme von Landschafts- und Gartenarchitektur geben.» Dies prophezeite der Basler Architekt Jacques Herzog vor wenigen Jahren.

Viele Baumeister suchen seither unter Stichwörtern wie «Verlandschaftlichung», «Inversion», «Dekontextualisierung» oder «Hybridisierung» nach gelungenen Symbiosen zwischen Landschaft und Stadt, Garten und Haus, Pflanze und Bauwerk - mit oder ohne landschaftsarchitektonische Beihilfe.

Ein solcher Versuch, im Herzen des neu entstehenden Stadtteils Zürich Nord ein hybrides Bauwerk aus Natur und Architektur zu schaffen, ist die riesige, 100 Meter lange, 34 Meter breite und 17 Meter hohe «grüne Oper» in Zürich Oerlikon; sie wurde kürzlich vom Zürcher Architekturbüro Burckhardt + Partner in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten Raderschall realisiert.

Bei der Ausschreibung des Wettbewerbes 1997 ging es dem zuständigen Amt «Grün Stadt Zürich» eigentlich um landschaftsgestalterische Ideen für den MFO-Park, benannt nach der Maschinenfabrik Oerlikon. Als einer von vier neuen Quartierparks sollte er im ehemals industriell genutzten und zukünftig dicht bebauten Wohn- und Arbeitsquartier nutzbare Freifläche und Erholungsraum schaffen.

Die verantwortlichen Architekten bei Burckhardt + Partner, Heinz Moser und Roger Nussbaumer, waren aber aus städtebaulichen Überlegungen der Ansicht, dass es an dieser Stelle keiner grünen Freifläche bedurfte, sondern eines baulichen Volumens, das die Urbanität des Ortes intensivieren sollte. Die Konzeption eines Park-Hauses als «grösste Gartenlaube der Welt», wie es im Informationsblatt der Architekten heisst, drängte sich als Ausweg aus diesem Dilemma auf.

Während die Landschaftsarchitekten des nahe gelegenen Oerliker Parks absichtlich kein fertiges Grünobjekt herstellten und darauf vertrauen, dass in einem jahrelangen, natürlichen Prozess aus dichtgepflanzten Baumfeldern dereinst ein eindrucksvolles, lebendiges Baumvolumen als grüne Halle entstehen wird, ähnlich dem berühmten Jardin du Luxembourg in Paris, griffen Burckhardt + Partner zu probaten architektonischen Mitteln, um schneller ihr gewünschtes Ziel zu erreichen. Sie placierten auf der Freifläche mit ausgefeilter Technologie aus 290 000 Kilogramm Stahl, 32 Kilometern Stahlseilen und Litzen sowie 870 Quadratmetern Holz- und Gitterrosten ein mächtiges, raumhaltiges Gittergerüst, das offenbar nicht wirklich für eine leicht geneigte Fläche konzipiert wurde und deshalb wie ein Möbelstück auf eine artifiziell erhöhte Bodenplatte gestellt wurde.

Das Stahlskelett ist bereits seit seiner Einweihung im vergangenen Sommer begehbar, soll nebenbei an die verloren gegangene industrielle Identität des Quartiers erinnern und bietet wie ein überdimensionales Klettergerüst verblüffende Raumerlebnisse.

Vor allem nachts, wenn der transparente Innenraum von Neonleuchten und hellen Strahlern in fahlgrünes Licht getaucht wird, kommt der kulissenartige, an Lagerhallen erinnernde Charakter des Bauwerks zum Tragen. Der Eindruck eines Bühnenraums wird verstärkt durch die balkonartig in die Halle ragenden Aussichtsplattformen, vor allem aber durch ein rechteckiges, leicht abgesenktes und mit grünem Glassplitt ausgelegtes Feld im hinteren Teil der Halle. Mit dem dekorativ aufgestellten Sitzmobiliar im Stil hölzerner Loungechairs und einem kleinen kreisrunden Wassertrog wirkt dieses Feld im grellen Licht der Strahler wie die absurde, sinnentleerte Hotellobby aus einem Bühnenstück von Samuel Beckett.

Aus 17 Metern Höhe schaut man vom holzbeplankten Aussichtsdeck auf dem Dach der «grünen Oper» mit gewissem Schaudern tief hinunter in die grüne Lobby und wartet darauf, dass die ersten Besucher unwissentlich zu Darstellern im skurrilen Bühnenbild werden und sich in Szene setzen.

Die Zuschauer geniessen indes am exponierten Ort auf dem Dach der Halle den Eindruck, sie befänden sich an Deck eines Containerschiffes, das in der Stadt gestrandet ist, und suchen nach markanten Orientierungspunkten in der näheren Umgebung. Schon jetzt zählt das Holzdeck in luftiger Höhe zu den beliebtesten Treffpunkten der Jugendlichen aus der Umgebung, und manchen fasziniert das kribbelige Gefühl beim Blick durch die lichten Gitterroste in die Tiefe, während andere sich angesichts der leicht zugänglichen Stahlkonstruktion schon erste Mutproben ausdenken.

Und die Natur? Abgesehen von einem guten Dutzend schmaler Hecken, die am Boden den Innen- mit dem Aussenraum verbinden, sollen 1200 Rank- und Kletterpflanzen in 100 verschiedenen Arten im Lauf der kommenden Jahre an der mit Stahlseilen bespannten äusseren Fassade der «grünen Oper» haushoch wuchern und das riesige, auf kleinen Füsschen stehende Bauwerk mit einem dichten grünen Pelz überziehen.

Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem und eine Batterie von Pflanztrögen in der obersten Etage des Stahlgerüstes müssen sicherstellen, dass die Natur, angesichts der anspruchsvollen Vision der Erfinder und der harten Standortfaktoren, in luftiger Höhe nicht einfach ihren Geist aufgibt und der grüne Tarnanzug am Ende nicht womöglich löchrig wird: «Unsere grüne Oper ist aus Stahl und blühenden Pflanzen leicht gefügt. Sie ist zu jeder Stunde lebendig und passt sich Aussenwelt, Natur und Witterung jederzeit an», versprechen die Architekten; sie stellen sich vor, dass die riesige Stellage mit vielfältigen Events bespielt wird.

Der Mut und die Experimentierfreudigkeit der Stadt Zürich auf der Suche nach zeitgemässen Ausdrucksformen in der Landschaftsarchitektur waren in den letzten Jahren beeindruckend und sind in Zukunft notwendig; denn ausdrucksvolle urbane Freiräume - bevorzugt unverbaut und unverstellt - zählen zu den Luxusgütern der Städte von morgen.

Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen, denn erst wenn ein Verwaltungsgebäude am südlichen, offenen Ende der Halle einmal abgerissen ist, kann mit dem Bau eines begrünten, 17 Meter hohen Stangenwaldes fortgefahren werden.
Noch formt die gelbliche Ziegelfassade des alten Verwaltungsbaus die eine fehlende Innenwand der Oper und wirkt wie die konsequente, geradezu irritierend authentische Fortführung der ausgedehnten, ebenfalls gelblichen Bodenfläche aus wassergebundenem Kalkmergel im Inneren der Halle.

Doch bald wird auch dieser Bau fallen, und man darf gespannt sein, welches neue, an das Alte erinnernde Industriedenkmal - begrünt oder unbegrünt - an seiner Stelle entstehen wird.

NZZ-Folio, Sa., 2003.03.01



verknüpfte Bauwerke
MFO Park

01. Januar 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Dattelpalmen im Dreiecksnetz

In der Anlage der ersten botanischen Gärten, lange bevor sich die Botanik im 18. und 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Disziplin entwickelte, manifestierte sich einerseits das wissenschaftliche Interesse universitärer Forscher an Arzneipflanzen und ihrer Heilwirkung. Die Grundrisse der «Horti medici» aus dem 16. Jahrhundert erinnerten andererseits in ihrer formalen Ästhetik aber auch an klösterliche Kräuter- und Heilpflanzengärten und folgten in ihrer Aufteilung nicht nur funktionalen Kriterien. In ihrer klaren geometrischen Gliederung spiegelten sie ideale, meist aus der klassischen Antike hergeleitete Weltbilder wider.

In der Anlage der ersten botanischen Gärten, lange bevor sich die Botanik im 18. und 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Disziplin entwickelte, manifestierte sich einerseits das wissenschaftliche Interesse universitärer Forscher an Arzneipflanzen und ihrer Heilwirkung. Die Grundrisse der «Horti medici» aus dem 16. Jahrhundert erinnerten andererseits in ihrer formalen Ästhetik aber auch an klösterliche Kräuter- und Heilpflanzengärten und folgten in ihrer Aufteilung nicht nur funktionalen Kriterien. In ihrer klaren geometrischen Gliederung spiegelten sie ideale, meist aus der klassischen Antike hergeleitete Weltbilder wider.

Der Botanische Garten von Padua, entstanden 1545, zählt zu den frühesten Anlagen seiner Art und gilt als Vorbild für viele andere in Europa. Sein kreisrunder, hierarchisch gestufter Grundriss, dem ein viergeteiltes, exakt quadratisches Beet eingeschrieben ist, stand sinnbildlich für die mikrokosmische Versammlung der ganzen Natur unter der ordnenden Herrschaft des Menschen im Zeitalter der Renaissance.

Das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur hat sich genau wie das ehemals geschlossene Weltbild in den vergangenen Jahrhunderten grundlegend verändert. Das schlägt sich auch im Erscheinungsbild der wenigen botanischen Gärten nieder, die heute noch entstehen.


Ein engmaschiges Wegnetz erschliesst den mediterranen Hanggarten.

Der neue, fünfzehn Hektaren grosse Jardí Botànic de Barcelona, 1999 am Südwesthang des Montjuïc mit herrlichem Blick auf die katalanische Metropole realisiert, ist zwar genau wie seine Vorgänger in erster Linie ein Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Wesen der ­ in diesem Fall mediterranen ­ Pflanzenwelt. Doch seine Gestaltung, entwickelt von der Landschaftsarchitektin Bet Figueras in Zusammenarbeit mit dem Architekten Carlos Ferrater, spricht unverkennbar die Sprache des beginnenden 21. Jahrhunderts, geprägt von komplexen, unregelmässigen Geometrien in der Flächenaufteilung und einer vorbehaltlosen Verwendung grosser Sichtbeton- und Rohstahlelemente als Weg- und Mauerflächen in der Landschaft.

Bereits auf dem breiten, durch ein komplexes Fugenbild gegliederten Betonweg zum Eingang des Botanischen Gartens durchschreitet man im Schatten von Schirmpinien zum ersten Mal im übertragenen Sinne die acht Landschaftszonen, in denen rund um den Globus ähnliche mediterran geprägte Klimaverhältnisse mit langen, trockenen Sommermonaten und milden, regnerischen Wintermonaten herrschen: Die katalanischen Bezeichnungen für Australien, Kalifornien, Chile, Südafrika sowie für die Mittelmeerregionen Kanarische Inseln, östliches Mittelmeer, Nordafrika und Iberische Halbinsel sind in grossen stählernen Lettern in den Boden eingelassen. Der Erforschung, dem Schutz und der Präsentation der typischen Pflanzengemeinschaften aus diesen Zonen ist der Botanische Garten gewidmet.

Ist man durch das grosse stählerne Eingangstor mit der Beschriftung JBB eingetreten und hat das flache, in die Topographie eingefügte Eingangsgebäude hinter sich gelassen, eröffnet sich ein beeindruckender Blick über den geometrisch geformten See hinweg in die frisch bepflanzte Hanglage. Diese baut sich mit vielen Wegen, dreieckigen, zackigen Stützmauern aus rostrotem Cortenstahl und hellgrauem Sichtbeton wie eine Terrassenlandschaft vor dem Betrachter auf, ähnlich einem Amphitheater. Es ging den Gestaltern tatsächlich darum, mit den Mauern die Hanglage zu sichern und auf abstrahierte Weise an die kunstvoll terrassierten, heute gefährdeten Kulturlandschaften des Mittelmeerraumes zu erinnern.

Die ungewöhnliche Aufteilung des gesamten Areals in unterschiedlich bepflanzte Dreiecksflächen resultiert aus dem Grundkonzept, über die Topographie ein Netz aus Dreiecken zu spannen. Dieses passt sich ­ analog zu trigonometrischen


Ein langer Steg über das zentrale, expressiv geformte Wasserbecken bildet den stimmungsvollen Auftakt zum Rundgang.

Vermessungsnetzen ­ flexibel der Geländesituation an. So entstand ein neuartiges, hybride wirkendes Landschaftsbild aus künstlicher, computergenerierter Gitterstruktur und darin verwobenen Naturfragmenten. Das ausgedehnte Netz aus breiten Betonwegen bildet im Wesentlichen das Dreiecksnetz im Gelände ab und gewährleistet eine bequeme Erschliessung, ergänzt durch kurze, steile Treppen.

Ein langer Holzsteg über das grosse, expressiv geformte Wasserbecken bildet den stimmungsvollen Auftakt zum Rundgang durch die verschiedenen Vegetationszonen. Hangseitig ragen spitzwinklige Stahlwände in die Wasserfläche, die wie ein Spiegel das angrenzende Landschaftsbild mit den markanten nordafrikanischen Dattelpalmen optisch verdoppelt. Vor den rostroten Flächen des Cortenstahls kommen zudem die frischgrünen Teichbinsen- und Rohrkolbengewächse besonders zur Geltung.

Der Weg führt aus der Geländemulde den Hang hinauf, von wo aus sich der Blick in die umgebende Landschaft, auf das Meer, das Mündungsgebiet des Llobregat und die Bergketten am Horizont immer mehr öffnet. Noch sind die Stauden und Sträucher auf vielen Flächen erst spärlich entwickelt, und die Wege wirken noch etwas überdimensioniert. Doch das wird sich in den kommenden Jahren mit dem Wuchs der Vegetation ändern. Die Besucher sollen erleben, wie sich die Pflanzengemeinschaften mit der Zeit verändern.

Schon jetzt ist es ein besonderes Erlebnis, die verschiedenen Vegetationsbilder zu durchwandeln, begleitet von aromatischen Düften und dem Geschrei grüner Papageien, die sich in Schwärmen über die ersten Früchte des Gartens hermachen.

NZZ-Folio, Mi., 2003.01.01



verknüpfte Bauwerke
Jardí Botànic

03. Oktober 2002Udo Weilacher
NZZ-Folio

Geparkter Buchs am Börsenplatz

Als in Lyon das Palais du Commerce, erbaut von René Dardel, im August 1860 von Napoleon III. feierlich eröffnet wurde, galt der Prunkbau als Sinnbild für den Erfolg kaiserlich-liberaler Wirtschaftspolitik und als Lobpreisung des Glanzes der 2. Republik. Damit die opulent verzierte Nordfassade des Bauwerks richtig zur Geltung kommen konnte, schuf man im dichtbebauten Stadtgefüge einen kleinen Vorplatz, die Place de la Bourse.

Als in Lyon das Palais du Commerce, erbaut von René Dardel, im August 1860 von Napoleon III. feierlich eröffnet wurde, galt der Prunkbau als Sinnbild für den Erfolg kaiserlich-liberaler Wirtschaftspolitik und als Lobpreisung des Glanzes der 2. Republik. Damit die opulent verzierte Nordfassade des Bauwerks richtig zur Geltung kommen konnte, schuf man im dichtbebauten Stadtgefüge einen kleinen Vorplatz, die Place de la Bourse.

Drei Republiken später geriet die Handels- und Bankenstadt infolge des Golfkrieges von 1991 wieder einmal in eine wirtschaftliche Stagnationsphase, und das hatte nicht nur für die Place de la Bourse, sondern für das gesamte Stadtbild von Lyon gravierende Folgen: Man nutzte die Pause im Bauboom, um 1992 den Entwicklungsplan «Lyon 2010» zu beschliessen. Damit verfolgte man das ehrgeizige Ziel, die Attraktivität der Stadt deutlich zu steigern, ohne die vorhandenen städtebaulichen und architektonischen Qualitäten zu gefährden.

Die Um- und Neugestaltung der innerstädtischen Freiflächen zählte neben dem Plan zur Behandlung der Flussufer und dem Beleuchtungsplan zu den wichtigsten Massnahmen. Viele der einst so attraktiven städtischen Plätze, wie die Place de la République, die Place Antonin Poncet, die Place des Terreaux oder die Place de Célestine, sowie die Fussgängerzone Rue de la République waren mittlerweile - wie in den meisten Grossstädten Europas - zu tristen Parkplatzflächen verkommen.

Keiner der heute so attraktiven Plätze in der historischen Stadtmitte von Lyon wäre ansprechend zu gestalten gewesen, hätte man den ruhenden Verkehr nicht konsequent in unterirdische Parkgaragen verbannt. Für mehr als 3000 Autos mussten deshalb zentrumsnahe Tiefgaragenplätze geschaffen werden, und selbst dabei legte man noch auf architektonische Gestaltung grossen Wert. An der Place de Célestine, anspruchsvoll umgewandelt von den Landschaftsarchitekten Michel Desvigne und Christine Dalnoky, kann der Besucher heute durch ein Periskop des Künstlers Daniel Buren einen interessanten Blick in die Unterwelt werfen und sieht keineswegs nur eine zweckmässig beleuchtete Blechlawine.

Auch unter der neu gestalteten, 2150 m² grossen Place de la Bourse, einem Projekt des französischen Landschaftsarchitekten Alexandre Chemetoff, befinden sich 560 unterirdische Stellplätze. An der Oberfläche «parken» hingegen in sieben parallelen Reihen zwischen der Rue de la Bourse und der Rue de la République 126 kugelig geschnittene Buchsbäume in überproportionierten Tontöpfen. Die Töpfe werden über Öffnungen im Boden automatisch bewässert und signalisieren deutlich, dass sich unter der Oberfläche des innerstädtischen Platzes kein gewachsener Boden befindet.

Das Bekenntnis zum städtischen Charakter der Freiräume und die Ablehnung vordergründig dekorativer Naturimitationen zur Kaschierung technischer Bauten im Untergrund kennzeichnet alle neuen Plätze in Lyon. Mit Ausnahme der Place de la Bourse wurde zudem auf die intensive Begrünung der erneuerten Stadträume weitgehend verzichtet. Dadurch kommen die charakteristischen Raumproportionen und die prächtigen Hausfassaden besonders zur Geltung.

Gerade im Kontrast zu den Stadträumen erlebt man die Grünflächen der Stadt, die Baumkulissen entlang den Flussläufen und die Parklandschaft am Fuss der Kathedrale, besonders intensiv. In gleicher Weise wirkt die Place de la Bourse im Gefüge der zurückhaltend begrünten Umgebung wie eine wertvolle, überraschend grüne Ruheinsel mitten in der Stadt.

Ein leise sprudelnder Brunnen, ausgeführt als einfacher massiver Granitblock, wurde am Rand der ruhigeren Rue de Bourse auf die Granitplattenfläche des Platzes gesetzt und spiegelt mit seiner quadratischen Wasseroberfläche bewegte Lichtreflexe in die Baumkronen der Ahorne. Die Bäume wachsen nur am Nordrand des Platzes, wo in der Konstruktion der Tiefgarage entsprechend dimensionierte Pflanztröge integriert wurden. Chemetoff legte Wert darauf, die Pflanzen der Höhe nach gestaffelt so zu setzen, dass sie die Fassade der Handelskammer nicht verdecken. An dieser Schaufassade wurden niedrigwüchsige Felsenbirnen und geschnittene Kirschlorbeerhecken in lineare Pflanzbeete gesetzt.

Die frei wachsenden Baumkronen stehen in lockerem Kontrast zu den streng geschnittenen Buchsbäumen und Heckenbändern. In diese wurden immer wieder Nischen eingefügt, wo Parkbänke die Passanten zum Sitzen einladen. Wenn es Nacht wird in Lyon, zeigt sich, mit welchem Erfolg der Beleuchtungsplan umgesetzt wurde: An den schönsten Plätzen der Stadt verzichtete man auf grelle Schaufensterbeleuchtungen zugunsten einer unaufdringlichen, gezielten Illumination der prächtigen Gebäudefassaden. An der Place de la Bourse erstrahlt die Schauseite von René Dardels Prachtbau in gedämpftem Licht, und Bodenstrahler auf dem Platz sorgen für stimmungsvolle Beleuchtung des Grüns.

Der gelungenen Zusammenarbeit von Architekten, Landschaftsarchitekten, Künstlern und Ingenieuren ist es zu verdanken, dass die innerstädtische «Mission presqu’île» für das historische Stadtzentrum so erfolgreich war. Heute gilt Lyon international als Vorbild für gekonnte innerstädtische Freiraumgestaltung

NZZ-Folio, Do., 2002.10.03

01. August 2002Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein Park als Erdskulptur

Eine der grossen Erfolgsstories in der Geschichte der Gartenkunst ist die Entwicklung des Parks.

Eine der grossen Erfolgsstories in der Geschichte der Gartenkunst ist die Entwicklung des Parks.

Von den exklusiven Gärten der italienischen Renaissance und des französischen Barock bis zu den malerischen englischen Landschaftsgärten des 18. und den öffentlichen Volksparks des 20. Jahrhunderts, den grünen Herzen der steinernen Städte. Bis heute verbindet sich mit dem Begriff Stadtpark die tiefe Sehnsucht nach einem Stück harmonisch gestalteter Natur als wohltuendem Ausgleich zum hektischen urbanen Leben.

Als vor wenigen Wochen der neue Henriette-Herz-Park zwischen Potsdamer Platz und Tiergarten in Berlin eröffnet wurde, sahen sich viele Besucher vor ein Rätsel gestellt, denn dieser kleine Park hat formal nichts mehr mit jenem historisch gewachsenen Bild der Parklandschaft zu tun, das sich in vielen Köpfen als das Idealbild der Natur schlechthin festgesetzt hat. Die niederländischen Landschaftsarchitekten Maike van Stiphout und Bruno Doedens (DS), die gemeinsam mit dem Bildhauer Shlomo Koren die neue Anlage entwarfen, sind der Überzeugung, dass der Park von heute nicht mehr als Ersatznatur und Gegenbild zur Stadt, sondern als ihr integraler Bestandteil zu betrachten sei und deshalb Formen annehmen könne, die nicht den jahrhundertealten Vorbildern entlehnt sein müssen.

Dass die Grösse der Fläche für die Ausdruckskraft einer Park- oder Gartenanlage keine Rolle spielt, ist zwar längst bekannt, wird aber an Projekten wie dem Henriette-Herz-Park besonders augenfällig. Eingespannt zwischen den architektonischen Wahrzeichen mächtiger Wirtschaftskonzerne, wirkt die 9000 Quadratmeter grosse, dreieckige Grünfläche auf dem Plan wie ein versprengtes urbanes Fragment, welches über flankierende Baumreihen und Alleen wieder Anschluss an den angrenzenden Tiergarten sucht. Nur mit dessen Hilfe kann es sich offensichtlich gegen den Bedeutungsüberschuss der Baumassen am Potsdamer Platz behaupten.

Anstatt sich aber der Parkgestaltung von Peter Joseph Lenné aus Mitte des 19. Jahrhunderts vollkommen anzupassen, setzten die Landschaftsarchitekten auf kraftvollen Kontrast und verhalfen dem Henriette-Herz-Park mit einer überraschend grosszügigen abstrakten Geste sowie mit einer subtilen Manipulation der Topographie zu ausdrucksstarker Identität. Der grüne Zwischenraum verwandelte sich auf diese Weise in einen respektablen Dialogpartner für die umgebenden architektonischen Kolosse.

Es scheint, als habe eine gewaltige tektonische Kraft das Zentrum der Fläche um fast zwei Meter in die Höhe gedrückt und dabei so viel Oberflächenspannung erzeugt, dass man mit einem kreuzförmigen Entlastungsschnitt die grüne Rasenhaut vor dem unkontrollierten gewaltsamen Zerreissen bewahren wollte. Die Einschnitte wurden als vertiefte Wege ausgebildet, die den Betrachter zum erhöhten Zentrum führen, während die Schnitt- oder Bruchränder mit schweren Platten aus rotem finnischem Granit errichtet wurden. Indem man alle Bodenbeläge in der Anlage dem Granit farblich anglich, erzielte man einen einheitlichen Charakter der Wege- und Mauerflächen.

Im Zentrum angelangt, bietet sich vom erhöhten Standpunkt ein Überblick über die städtische Gesamtsituation. Zugleich wird man an dieser Schlüsselstelle mit den aufragenden rötlichen Schnittkanten und damit mit jener eigentümlichen Kraft konfrontiert, die den Park in eine minimalistische, begehbare Bodenskulptur transformiert hat.

Es ist nicht nur der farbliche Kontrast zwischen grünem Rasen und rotem Gestein, der der Anlage ihre Ausdruckskraft verleiht. Vielmehr verursachen die schrägen Erdoberflächen im Kontrast zu den umliegenden Bauwerken ein Gefühl, als ob sich der Boden unter den eigenen Füssen bewegen und die Statik der Umgebung erschüttern würde. Oder ist das Gewicht der umliegenden Bauten die Ursache für die tektonische Hebung der Erdoberfläche im angrenzenden Park?

Viele Assoziationen werden angesichts der gekippten Rasenplatten wach, und manchem mag sogar plötzlich Caspar David Friedrichs Gemälde «Das Eismeer» vor Augen sein, in dem sich der Mensch mit Naturgewalten konfrontiert sieht, die den Glauben an dauerhafte Beständigkeit erschüttern. Der Henriette-Herz-Park bezieht zwar einen erheblichen Teil seiner assoziativen Kraft aus dem mehr oder minder bewussten Bezug zum erhabenen Landschaftserlebnis, ist jedoch in seinem abstrakten ästhetischen Ausdruck weniger der romantischen Malerei des 19. als vielmehr der amerikanischen Land-Art des 20. Jahrhunderts verpflichtet.

Während die jungen Pioniere dieser einflussreichen Kunsttendenz aus Protest gegen die Welt des grenzenlosen Konsums und der globalen Vermarktung die Städte in den sechziger Jahren als Inbegriff der Entfremdung verliessen, um in abgelegenen Wüstengebieten ihre erlebbaren Raum- und Erdskulpturen zu schaffen, kehrt die Land-Art im Projekt von DS Landschaftsarchitekten und Shlomo Koren in verwandelter Form wieder in den urbanen Kontext zurück, um ihre subversive Kraft inmitten scheinbar festgefügter Konsumwelten zu entfalten.

Dem lauten Reklamegebaren der schnelllebigen städtischen Umwelt setzen die Gestalter einen ausdrucksvollen skulpturalen Ort entgegen, der durch seine Beschränkung auf sehr einfache abstrakte, aber umso kraftvollere Elemente das Tempo verlangsamt, einen Ruheraum schafft und ganz nebenbei auch noch dem städtischen Bewohner den alltäglichen Luxus bietet, es sich für eine Weile auf den Rasenflächen bequem machen und die Gedanken schweifen lassen zu können.

NZZ-Folio, Do., 2002.08.01



verknüpfte Bauwerke
Henriette-Herz-Park

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Presseschau 12

01. Dezember 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Im Schlund des Wasserdrachen

Die Warnungen vor dem Abstieg in den geheimnisvollen grünen Krater und vor dem Eindringen in die scheinbar unendliche Tiefe des steinernen Schlundes waren...

Die Warnungen vor dem Abstieg in den geheimnisvollen grünen Krater und vor dem Eindringen in die scheinbar unendliche Tiefe des steinernen Schlundes waren...

Die Warnungen vor dem Abstieg in den geheimnisvollen grünen Krater und vor dem Eindringen in die scheinbar unendliche Tiefe des steinernen Schlundes waren eindringlich. Aber der Drang, den Ursachen der rätselhaften Eruptionen auf den Grund zu gehen, war einfach unwiderstehlich. Als die Kinder den versunkenen Kratergarten durchquert hatten und schliesslich 18 Meter unter der Erde auf einen rätselhaften, kreisrunden, ruhigen Wasserspiegel trafen, war es schon zu spät. Unheimliches Donnern aus der Unterwelt, Lichtblitze, und plötzlich begann die Wasseroberfläche zu brodeln ­ das verhiess nichts Gutes. Doch der Weg zurück ans Tageslicht war einfach zu lang.
Die Geschichte von Aqua Magica, dem Park der Magischen Wasser in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen), begann vor Tausenden von Jahren, als tektonische Kräfte die Erdoberfläche und damit nicht nur das Gesicht der Landschaft formten. In der Tiefe entstanden jene Verwerfungslinien, aus denen bis heute salzhaltiges Wasser an die Oberfläche dringt, das als Nährlösung für das wirtschaftliche Wachstum der Region diente. 1745 wurde in Bad Oeynhausen die erste Salzquelle entdeckt, was den Anstoss zum Bau von Salzwerken und zur Entwicklung einer prosperierenden Salzindustrie gab. Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem die therapeutische Heilwirkung des Thermalsolewassers entdeckt worden war, setzte die Entwicklung der Kurbetriebe in der Region Ostwestfalen-Lippe ein.

Nach der Blüte des Kurbetriebes sanken am Ende des 20. Jahrhunderts, mit der Strukturkrise des Gesundheitswesens, die Besucherzahlen in den Kurorten; die Auslastung der zahlreichen Gesundheitszentren und Kurkliniken nahm stark ab, und man beschloss, der Region mit einer Landesgartenschau im Jahr 2000 neue Impulse zu geben.

Als Sieger aus einem 1997 durchgeführten freiraumplanerischen Werkstattverfahren ging das Pariser Landschaftsarchitekturbüro Agence Ter hervor. Henri Bava und Olivier Philippe verfolgten mit ihrem Entwurf «Aqua Magica» für das 35 Hektaren grosse Gelände zwischen den Städten Bad Oeynhausen und Löhne das Ziel, die zwei unsichtbaren Verwerfungslinien und die unterirdischen Wasserkräfte sinnlich erlebbar zu machen ­ mit vernebelten Steinbändern, einer Allee des Weltklimas, heimischen Blütengärten, Sprüh- und Wassergärten.

Ein kleiner, aber zentraler Teil der Parkanlage ist der Wasserkrater, der selbst Jahre nach dem Ende der Gartenschau die Besucherinnen und Besucher noch immer in seinen magischen Bann zieht. Auf ihrem Weg über eine baumlose Wiese stehen sie unvermittelt am Rand des kreisrunden Kraters, der geschickt auf einer Anhöhe positioniert ist; seine Wände sind mit niedrigwüchsigen Weidenarten unterschiedlicher Grünschattierungen bepflanzt. Die strauchartig wachsenden, drei Meter hohen Kupfer-Felsenbirnen, die den Grund der Senke einheitlich bewalden, ragen mit ihren Kronen nicht über den Kraterrand hinaus, wodurch das Massstabsempfinden gezielt verändert wird. Unweigerlich hat man den Eindruck, über die Kronen grosser Bäume hinweg einen weitläufigen Kratergrund zu überblicken.
In der Mitte wird das Kronendach von einem riesig anmutenden Kratertopf überragt, dessen rostrote Corten-Stahlwände sich kontrastreich von der grünen Umgebung abheben. Zwei schmale Eingänge, von schweren Stahltoren verschlossen, versprechen den Zutritt zum Topf, der im Inneren mit Drahtschotterkörben ausgekleidet ist, die an die isolierende Schamottverkleidung in Öfen erinnern.

Die Neugierde ist geweckt: Welcher bedrohliche Saurier wird hinter diesen dicken Mauern am Grunde der verlorenen Welt im Krater wohl gefangen gehalten? Über eine steile Treppe oder eine versteckt angelegte Rampe erreicht man den Kraterboden und taucht zunächst in eine versunkene, stille Gartenwelt ein. Die Felsenbirnen wachsen zwischen langen schmalen Betonbändern, die in der Formation schwimmender Baumstämme den Kratertopf umkreisen. Abwechslungsreiche Farn- und Schattenstaudenpflanzungen bilden einen sattgrünen Teppich, den man auf den Betonstreifen fast balancierend durchquert, bis man schliesslich eines der grossen Stahltore durchschreitet und die stählerne Plattform betritt, die das zentrale Bohrloch fasst.

Wasser tropft von den Gabionen-Wänden des Schachtes auf die stählerne Wendeltreppe bis hinunter in das Schattenreich der Schachtsohle. Der Klang tropfenden Wassers hallt aus der Tiefe.
Dort unten, auf der untersten Plattform, stehen die Kinder am Geländer. Gebannt starren sie auf den kreisrunden schwarzen Wasserspiegel, der plötzlich zu explodieren scheint: 35 Meter hoch schiesst eine eineinhalb Meter breite, schäumende Wassersäule brodelnd durch den Schacht dem Licht entgegen, über den Kraterrand hinaus in den Himmel. Plötzlich fällt sie wieder in sich zusammen, hüllt die Kinder und alles um sie herum in einen dichten Wassernebel, den die Sonnenstrahlen mystisch durchdringen und zum Leuchten bringen.

Immer wieder, in unerwarteten Abständen und unterschiedlichen Intensitäten und Rhythmen, wiederholt sich das wasser-, licht- und klangtechnisch perfekt inszenierte Spektakel in der Tiefe. Es begeistert die verblüfften Zuschauer und setzt bildgewaltige Assoziationen frei: Rund um den Wasserkrater, im ruhigen Schatten des idyllischen Felsenbirnenhains, der gelegentlich von einem Wasserhauch durchweht wird, erzählt man sich Geschichten von Geysiren in entlegenen Weltregionen, von Vulkaneruptionen, von Drachenfontänen in berühmten Barockgärten, von blasenden Walen in den Meeren, Tiefbrunnen in der Wüste und magischen Quellen in zahllosen Märchen.
«Gärten, Parkanlagen und Plätze sollen von ihrer Geschichte erzählen, sie sollen aber auch neue Geschichten erzählen. Sie sind poetische Orte unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft», schrieb der Zürcher Landschaftsarchitekt Dieter Kienast einmal und formulierte damit eines der wichtigsten Kriterien zur Gestaltung guter Gärten.

Der versunkene Garten mit Wasserkrater von Agence Ter in Bad Oeynhausen erzählt auf ästhetische, landschafts- und gartenarchitektonisch versierte Weise auf begrenztem Raum nicht nur eine Geschichte von der Magie des unterirdischen Wassers, dem eine ganze Region seine Identität verdankt.

Mit archetypischen Garten- und Landschaftselementen wie dem kreisrunden Kraterkessel, dem verschwiegenen Hain, dem Schattengarten, dem hortus conclusus, dem Höllenschlund und tiefen Brunnenschacht oder der wilden Fontäne knüpfen die Landschaftsarchitekten an uralte Idealbilder an und verführen die Besucher, die Gedanken schweifen zu lassen ­ zurück in die Gärten, in denen die Geschichtenerzähler die Zuhörer in ihren Bann schlugen.
Dem Garten als Ort der Geschichten gehören Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

NZZ-Folio, Mo., 2003.12.01



verknüpfte Bauwerke
Park der Magischen Wasser

01. Oktober 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein junger Klassiker mit zwei Gesichtern

Keine zwanzig Jahre alt und schon ein Klassiker? Den kleinen städtischen Parc del Clot, inmitten eines dichten Wohn- und Gewerbequartiers aus den sechziger und siebziger Jahren in Barcelona gelegen, darf man getrost als einen Klassiker der Landschaftsarchitektur des späten 20. Jahrhunderts bezeichnen, auch wenn nicht recht klar ist, ob es sich eigentlich um einen Park oder um einen Platz handelt. Doch vielleicht ist es gerade diese Mehrdeutigkeit, die ihn in jüngster Zeit wieder in den Mittelpunkt der Diskussion um die Gestaltung zukünftiger Stadtparks gerückt hat.

Keine zwanzig Jahre alt und schon ein Klassiker? Den kleinen städtischen Parc del Clot, inmitten eines dichten Wohn- und Gewerbequartiers aus den sechziger und siebziger Jahren in Barcelona gelegen, darf man getrost als einen Klassiker der Landschaftsarchitektur des späten 20. Jahrhunderts bezeichnen, auch wenn nicht recht klar ist, ob es sich eigentlich um einen Park oder um einen Platz handelt. Doch vielleicht ist es gerade diese Mehrdeutigkeit, die ihn in jüngster Zeit wieder in den Mittelpunkt der Diskussion um die Gestaltung zukünftiger Stadtparks gerückt hat.

Die Olympischen Spiele von 1992 vor Augen, investierte Barcelona Mitte der achtziger Jahre enorme Energie und Kreativität in ein Programm zur Schaffung von Parks, Plätzen und anderen öffentlichen Einrichtungen zum Wohl der Stadtbevölkerung und zur Erbauung der Touristen. In erster Linie waren es der sorgsame Umgang mit innerstädtischen öffentlichen Räumen, die markante architektonische Gestaltung von Parks und Plätzen sowie die intelligente Integration von bildender Kunst in den öffentlichen Raum, die als beispielhaft galten und die die katalanische Metropole zum international anerkannten Modell für innerstädtische Freiraumgestaltung avancieren liessen.

Eine der wichtigsten Strategien zur Schaffung von neuen Freiräumen, die auch für andere europäische Städte vorbildlich wurde, basierte auf einer Bestimmung aus dem Generalplan für Barcelona aus dem Jahr 1976. Diese sah vor, dass einstige Industrieflächen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Schliessung alter Schlachthöfe, Fabriken, Werkstätten und Steinbrüche oder die Stilllegung von Eisenbahnanlagen setzten Räume frei, die in der dichten Stadt zu Parks und Plätzen umgewandelt werden konnten. Häufig bezog man Teile alter Industrieanlagen in die Gestaltung ein und integrierte darin teilweise öffentliche Einrichtungen wie zum Beispiel Bibliotheken.

Der Parc del Clot entstand zwischen 1985 und 1986 nach den Plänen der Architekten Dani Freixes und Vicente Miranda auf dem ehemaligen Werkstattgelände der Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles (Renfe). Das 27 000 Quadratmeter grosse Areal der staatlichen Eisenbahngesellschaft Spaniens war noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts benutzt worden; es hatte sich ursprünglich am Rand eines nordöstlich vor der Stadt gelegenen Dorfes befunden, das im Lauf der Zeit vom rasanten Stadtwachstum eingeholt wurde.

An die ehemalige Kulisse des Werksgeländes mit seinen Industriehallen und -schloten aus rotem Backstein erinnert heute noch jener Teil der erhaltenen Fassaden, der - romantischen Ruinen im klassischen Landschaftspark gleichend - die nördliche Parkhälfte einfasst, sowie ein imposantes Industriekamin. Es markiert als weithin sichtbares Wahrzeichen die nordöstliche Ecke des Parks, wo eine breite Treppe aus dem tiefer liegenden Stadtquartier durch die alten Torbogen des Fabrikgebäudes in den Park hinaufsteigt. Ein hochgelegter Steg und eine lange Pergola-Passerelle führen von den gegenüberliegenden Seiten des Parks und aus dem angrenzenden Wohnquartier diagonal auf den Schlot zu und durchqueren dabei die beiden unterschiedlich charakterisierten Hälften der Parkanlage: parkartig gestaltet der nördliche Teil, platzartig konzipiert der südliche.

Als ein Zitat von Landschaft ist der Nordteil der Anlage zu lesen, den ein grosser, naturalistisch geformter Rasenhügel akzentuiert. An seinen Flanken breitet sich mediterrane Blütenpracht aus, während der Fuss des Hangs an drei Seiten von einer Art kleinem Waldgürtel, einem dichten Pinienbestand, gefasst wird.

Versteckt hinter dem Waldsaum, in der nördlichen Ecke des Parks, ist ein Teil des alten Gewölbeskeletts der Werkshalle zu entdecken. Vom Dach befreit, wirkt es wie ein uralter Pavillon. Im schattigen Zentrum der mit Efeu berankten Konstruktion, mitten in einem quadratischen Reflexionsbecken, verbreitet die grosse, expressive Bronzeskulptur «Rites of Spring» des amerikanischen Künstlers Bryan Hunt eine meditative Stimmung. Nur vom nahe gelegenen Kinderspielplatz, auch er von Pinien umfasst, dringt immer wieder das Gejauchze ausgelassen spielender Kinder in den Meditationsraum.

Am östlichen Fuss des Hügels, der seine Existenz dem Aushub des Bauschutts verdankt, bestimmt eine kleine Wasserfläche mit stilisiertem Strand die Szene. Einem kleinen Aquädukt gleichend, schiebt sich die alte Backsteinfassade mit ihren Segmentbogenfenstern zwischen den Hügel und die von Bäumen flankierte angrenzende Quartierstrasse. Tatsächlich rinnt entlang der Mauerkrone ein kleiner Wasserlauf; er giesst in das Becken einen 25 Meter breiten Wasservorhang, der für eine erfrischende Geräuschkulisse sorgt und für spürbare Abkühlung in der Hitze.
Ein formaler Kontrast zur abwechslungsreichen Miniaturlandschaft ist die architektonisch gestaltete südliche Hälfte des Parks; sie besteht aus einem tiefer gelegenen Platz, gefasst von zwei grossen Sitztreppenanlagen. Das um etwa drei Meter abgesenkte Niveau entstand, nachdem man die Werkhalle bis auf die Ebene des Untergeschosses abgetragen hatte. Von den Sitztreppen aus, vor allem aber auch von der Pergola-Passerelle, die den Platz in der Höhe überquert, kann man bequem dem Treiben der Jugendlichen auf dem Platz zusehen. Vier grosse Lichtstelen sorgen dafür, dass ihr unermüdliches Ballspiel auch nach Einbruch der Dunkelheit noch lange nicht zu Ende geht. Im gesamten Park sorgt gezielte Illumination für die stimmungsvolle Inszenierung der landschaftlichen und der baulichen Kulissen im Parc del Clot.

Der Park hat bei den Anwohnern von Anfang an grossen Anklang gefunden. Sie schätzen die vielfältige Nutzbarkeit der unterschiedlichen Park- und Platzbereiche, wo nahezu jede Altersgruppe ihre Nische findet. Die Faszination der Menschen für «ihren» Park ist aber auch den einprägsam komponierten Bildern zu verdanken, die besonders im Parkteil an romantische Impressionen aus englischen Landschaftsgärten anknüpfen. Malerische Ruinen, eingebettet in ein arkadisches Ambiente, waren schon im 18. Jahrhundert ein beliebtes Motiv gewesen.

Der Parc del Clot ist ein Park des 20. Jahrhunderts, in dem sich aktuelle und geschichtliche Strukturen komplex überlagern und sich zu neuen Bildern fügen. Gerade wegen des ideenreichen Umgangs mit den vorgefundenen Resten des Industriezeitalters und aufgrund der gelungenen Uminterpretation und Umnutzung der Fabrikruinen avancierte der Park in der internationalen Landschaftsarchitektur zum vielzitierten Vorbild.

Die Multioptionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts schätzt an diesem Park den hybriden Charakter, der beides verspricht: das Idealbild schöner Natur als Zitat von «Landschaft» in der Stadt als auch das Zitat von «Platz», das gutes, kulturell reichhaltiges städtisches Leben verheisst.

NZZ-Folio, Mi., 2003.10.01



verknüpfte Bauwerke
Parc del Clot

01. August 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Heldentod im Schwarzen Garten

„Ich denke, wenn man diesen Garten betritt, der zu dunkel und zu schwarz und zu regelmässig ist, und den Text auf den Bänken dazu liest - da ist es unmöglich, misszuverstehen, worum es geht. Das hoffe ich jedenfalls.“

„Ich denke, wenn man diesen Garten betritt, der zu dunkel und zu schwarz und zu regelmässig ist, und den Text auf den Bänken dazu liest - da ist es unmöglich, misszuverstehen, worum es geht. Das hoffe ich jedenfalls.“

Unmissverständlichkeit zählt zu den Merkmalen der Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer.

Doch während sie sich seit Beginn der achtziger Jahre bevorzugt elektronischer Reklamelaufbänder bedient und meist sehr persönliche, gesellschaftspolitisch engagierte, grell leuchtende Botschaften im öffentlichen Raum der Metropolen zur Diskussion stellt, wählte sie Anfang der neunziger Jahre erstmals einen Garten als Medium. Elektronik schien ihr für das Projekt in Nordhorn, einer niedersächsischen Kreisstadt an der deutsch-niederländischen Grenze, zu unsensibel. Deshalb wagte sie sich, fachmännisch beraten vom amerikanischen Landschaftsarchitekten Dee Johnson und dem örtlichen Stadtgärtner, an die Gestaltung eines Stadtparks beim 1929 errichteten Kriegerdenkmal «Am Langemarckplatz».

Als «Nordhorner Ehrenmal» wurde die Gedenkstätte ursprünglich für die «ruhmreich gefallenen Heldensöhne» der Kriege 1870/71 und 1914-18 errichtet, eine leicht erhöhte, einfach gestaltete Rundanlage. Im Zentrum liegt eine kreisrunde, mit den Namen getöteter Soldaten versehene Kalksandsteinplatte. Darauf stand mittig ein zylindrischer Sockel mit der Skulptur eines nackten, knienden Jünglings. «Die Gefällten sind es, auf denen das Leben steht», lautet bis heute die Inschrift des Sockels.

Aber die Skulptur des Bildhauers Hermann Scheuernstuhl, stilistisch der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, fehlt: Die Nationalsozialisten liessen sie wegen ihrer Nacktheit und angeblich negroider Züge in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1933 verschwinden. Sie erkoren den Platz nach seiner Umbenennung in Langemarckplatz 1938 zu ihrer bevorzugten Heldengedenkstätte. Der neue Name bezog sich auf die verlustreiche Schlacht bei Langemarck in Flandern, wo laut offiziellem Bericht der Obersten Heeresleitung der Deutschen Reichswehr im November 1914 kampf- und opferbereite junge Kriegsfreiwillige, das Deutschlandlied auf den Lippen, im Sturm die feindlichen Stellungen eroberten.

Was während des Dritten Reiches gezielt mythologisiert und zu Propagandazwecken benutzt wurde, widersprach den tatsächlichen Ereignissen und wurde später von Historikern als absichtliche Falschmeldung zur Kriegsverherrlichung entlarvt.

1959 setzte die Stadt die Gedenkstätte instand. An die Stelle der fehlenden Skulptur kam eine vermeintlich neutrale Feuerschale. An der langen Ziegelsteinstützmauer zum tiefer gelegenen Teil des Parks ergänzte man 23 bronzene Tafeln zum Gedenken an die Nordhorner Gefallenen des Zweiten Weltkrieges; hinzu kam eine Tafel zur Erinnerung an die «politisch und rassisch Verfolgten».

Die Auseinandersetzung mit der umstrittenen Geschichte und der Namensgebung des Platzes begann in Nordhorn jedoch erst 1986 und mündete 1989 in den Auftrag an Jenny Holzer, den Ort umzugestalten. Direkt angrenzend an die alte, erhöhte Rundanlage schuf die Künstlerin im tiefer gelegenen Teil des Parks, inmitten der Lichtung zwischen alten Parkbäumen, eine zweite, im Durchmesser wesentlich grössere, kreisrunde Gartenanlage - eine Art «Echo» auf das Existierende.

Der Grundriss der neuen, 3447 Quadratmeter grossen Anlage gleicht dem eines mittelalterlichen Klostergartens, erinnert aber auch absichtlich an eine Zielscheibe. Konzentrisch angelegte, ringförmige Beete werden durch Rundwege voneinander getrennt und durch zwei kreuzförmig auf das mittlere Rundbeet zulaufende Wege in zwölf Teile gegliedert. Die Beeteinfassungen aus rotem Bentheimer Sandstein und die Wegebeläge aus rotem Ziegelsplitt unterstreichen den provozierenden Charakter des Gartens; sie korrespondieren aber auch mit den dunkelroten Ziegelsteinmauern und -treppen der alten Anlage.

Fünf einfache Sandsteinbänke, zwei im alten und drei im neuen Bereich placiert, zählen ebenso zu den gestalterischen Gemeinsamkeiten und erinnern auf den ersten Blick an die Originale von 1929.

Doch der Schein trügt. Neue Inschriften in Deutsch und Englisch beschreiben drastisch das Grauen des Krieges und machen es im Grunde unmöglich, die Bänke zu benutzen: «Vollkommen verbrannt, nur die Zähne unversehrt, sitzt er da, an den Panzer angeschmolzen. Das Metall speichert die Sonne und Hitze von der Explosion. Sein Tod ist noch frisch, er verströmt einen angenehmen Geruch. Man muss ihn wegziehen, wobei die Haut zerreisst. Sein Anblick wirkt auf die Leute unterschiedlich.»

In scharfem Kontrast zur schockierenden Wirkung dieser Texte erscheint das schwarzfruchtige Zierapfelbäumchen Arkansas Black in der Mitte des neuen Gartens geradezu grotesk klischeehaft, zynisch - oder doch ironisch? Im Black Garden wird deutlich, wie schwierig es ist, ein Antidenkmal zu schaffen, das bei niemandem Begeisterung für den Krieg wecken würde.

Die Verknüpfung unterschiedlichster Bedeutungsebenen und die Gratwanderung zwischen eingängiger Botschaft und überkommener Symbolik ist heikel, das blieb auch Jenny Holzer nicht verborgen: «Ich habe den Garten wohl etwas mit Symbolen überladen. Aber als ich hörte, dass schwarze Äpfel wirklich existieren, konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich dachte, es wäre ein logischer Mittelpunkt. Fast jeder kennt diese Bibelstelle: sie scheint von der unbezähmbaren Neugier des Menschen zu handeln, das Falsche zu tun. Also fand ich den Baum in der Mitte richtig.»

Was dem Garten im Schatten alter Parkbäume den Namen und seine eigentümlich melancholische Atmosphäre verleiht, ist die flächendeckende Bepflanzung des leicht abgesenkten Areals mit dunkel- bis schwarzlaubigen und dunkelblütigen Pflanzen. Schwarzes Mondo-Gras, dunkellaubiges Geranium und Kriechender Günsel mit dunkelviolettem Blattwerk bedecken den grössten Teil der Beete. Blutberberitzen, Blutbuchen und Blutpflaumen rahmen die Anlage, setzen punktuelle Akzente. Die dunkelrosa Blüten der Blutpflaumen verbreiten eine fast schwermütige Stimmung.

Zu den eindrucksvollen Höhepunkten im Blühkalender des Schwarzen Gartens zählt aber die Blüte Hunderter schwarzer Tulpen im äusseren Randbereich der Zielscheibe. Nur ein kleines Beet vor der Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus liess die Künstlerin mit weissen Tulpen bepflanzen. Jahr für Jahr wird der Bepflanzungsplan in Zusammenarbeit mit Jenny Holzer an die örtlichen Standortbedingungen angepasst und erweitert.

«Der Garten war für mich ein Ausgangspunkt, eine irgendwie neue Art des Handelns, ein Lern- und Erfahrungsort», beschreibt die Amerikanerin ihre Erlebnisse mit einem für sie neuen Medium, einem lebendigen.

Auch Bewohner und Besucher in Nordhorn müssen im Umgang mit dieser ungewöhnlichen neuen Generation von Antigedenkstätten, dem Garten als Ort des Handelns und Erinnerns, erst ihre Erfahrungen sammeln. Sie lehnen zum Teil Holzers beunruhigende Todesschilderungen im öffentlichen Raum ab.

Damit stehen sie nicht allein; denn in unserer wachstumsorientierten Gesellschaft wird der Umgang mit Vergänglichkeit immer schwieriger. Für die Welt des 21. Jahrhunderts, die sich bevorzugt jung, dynamisch und attraktiv in Szene setzt, ist der Tod oft nur ein unliebsamer Störfall. Man will ihn schnell plausibel erklären und dann möglichst rasch wieder zur Normalität finden. Nur wenn Helden sterben, deren Heldentum bevorzugt an der täglichen Medienpräsenz gemessen wird, horcht die Welt für einen kurzen Augenblick auf.

Der Stadtrat von Nordhorn bewies Rückgrat und beschloss im März 1995 offiziell die Umbenennung der Anlage in Schwarzer Garten.

NZZ-Folio, Fr., 2003.08.01

01. Juni 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Kunst in künstlichem Arkadien

Es scheint, als hätten die biomorphen Skulpturen von Hans Arp beim Schnitt der bizarren Buchsheckenlandschaft Modell gestanden.

Es scheint, als hätten die biomorphen Skulpturen von Hans Arp beim Schnitt der bizarren Buchsheckenlandschaft Modell gestanden.

Tatsächlich aber war diese ehemals in exakte geometrische Formen geschnitten und gehörte zur streng axial gegliederten Parkanlage der Wuppertaler Industriellenfamilie de Weerth. Die liess in der einst sumpfigen Flussauenlandschaft der Erft, südwestlich von Düsseldorf, zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Landsitz erbauen.

Längst verschwunden sind die markanten Blickachsen der Parkanlage, die gemäss dem damals geltenden Ideal der Gartenkunst bis weit in die Umgebung reichten, um Einfluss und Weltoffenheit zu signalisieren. Die alten Parkbäume, darunter viele Exoten, sind zu stattlichen Baumgestalten gewachsen und umstellen das «Rosa Haus», die Industriellenvilla aus dem Jahr 1816, die um 1900 durch eine Flussumleitung endgültig in Insellage geriet.

Hätte sich die Gartendenkmalpflege des historischen Parks Hombroich angenommen, würde der Buchs wohl heute wieder in geometrischem Formschnitt das kultivierte Wesen des einstigen Gartenkunstwerks betonen und damit den Kontrast zur umgebenden, funktional geprägten Agrarlandschaft verdeutlichen. Doch Bernhard Korte, den man Mitte der achtziger Jahre mit der Neugestaltung des Parks und seiner Umgebung beauftragte, wandte sich gegen die Rekonstruktion des architektonischen Gartenstils - ganz im Sinn der damaligen Naturgartenbewegung und in Übereinstimmung mit seinem Auftraggeber: «Herrschaft über die Natur durch Schneiden, Hacken, Brechen und ästhetisches Frömmeln sind nicht mehr unbedingt angesagt», befand der Landschaftsgestalter und entschied sich für den Erhalt der «natürlichen» Formen der ausgewucherten Buchspflanzen.

Der einflussreiche Immobilienmakler und Kunstsammler Karl Heinrich Müller hatte schon seit Mitte der siebziger Jahre von einem privaten Museum geträumt, in dem er abseits von der Grossstadt seinen umfangreichen Bestand an Kunstwerken präsentieren wollte, als «Kunst parallel zur Natur». Der Bildhauer Erwin Heerich, der Maler Gotthard Graubner und der Kunsthändler Sami Tarica berieten Müller beim Ausbau seiner Kunstsammlung und entwickelten gemeinsam Pläne für neue Ausstellungspavillons.

Doch wo gibt es noch unberührte Natur in Europa? 1982 erwarb der Kunstmäzen das knapp 20 Hektaren grosse Gelände bei Hombroich; aber die intensiv genutzte Ackerlandschaft - Kulturlandschaft modernster Prägung - widersprach offensichtlich der gängigen Idealvorstellung von arkadischer Naturlandschaft. Stattdessen wünschte sich Müller einen Garten wie ein impressionistisches Gemälde von Claude Monet, und Bernhard Korte komponierte dieses Landschaftsgemälde; jedoch «nicht aus irgendeinem Designrausch», wie er betonte, sondern naturnah.

Anders als beim verfallenen Park erachtete der Landschaftsgestalter die Rekonstruktion der ehemaligen Auenlandschaft weder als unzeitgemäss noch als «ästhetisches Frömmeln». Das Studium alter Karten, archäologische Auswertung von Luftbildaufnahmen, Pollenanalysen in Humusproben und Grabungen vor Ort lieferten Basisinformationen über eine Zeit, in der die Erft noch weitgehend unbeeinflusst von menschlichem Wirken die Auenlandschaft prägte.

Als Vorbild für die Rekonstruktion der Landschaft diente eine Karte von 1807, als vorindustrielle bäuerliche Mischstrukturen eine scheinbar bukolische, vielfältige Landschaft formten. Folglich wurden die Altwasserarme der Erft wieder freigelegt, der Wasserspiegel zur Vernässung des Areals wieder angehoben, Teiche und neue Inseln angelegt. Um das landschaftsästhetische Idealbild perfekt abzurunden, pflanzte man neben typischen Auengehölzen wie Schwarzpappeln und Erlen auch zahlreiche 30- bis 40-jährige Kopfweiden, Zeugen traditioneller Kulturtechnik und früher landschaftsbestimmende Baumgestalten, wie man sie aus vielen romantischen Landschaftsgemälden kennt.

Glücklicherweise entschlossen sich die Initiatoren des Kunstprojekts nicht dazu, das arkadische Landschaftsbild analog zum landschaftsgestalterischen Ansatz mit traditionell bäuerlicher Architektur des frühen 19. Jahrhunderts zu vervollkommnen; sonst wäre Hombroich womöglich unter Stadtflüchtigen als illusionistisches Bauernhaus- oder Kulturlandschaftsmuseum bekannt geworden, nicht aber als Kunstlandschaftsprojekt.

Zwar blieb die historische Industriellenvilla erhalten, wurde restauriert und umgenutzt als Ausstellungsgebäude für Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen alter Meister, und in einer ehemaligen Scheune richtete der Künstler Anatol Herzfeld sein Atelier ein. Doch zwischen 1982 und 1994 schuf der Düsseldorfer Bildhauer Erwin Heerich elf einfache Ausstellungspavillons, «Kapellen in der Landschaft», wie Karl Heinrich Müller sie nennt, die an Kunstobjekte der Minimal Art erinnern und mit grosser Sensibilität in die harmonisch gestaltete Landschaft eingebettet wurden.

Im Sinn der Ideologie der klassischen Moderne wurden die skulpturalen Bauwerke wie kunstvolle Einzelobjekte in die «fliessende», vermeintlich unberührte Landschaft gesetzt, die durch ein weitläufiges, verschlungenes Wegnetz erschlossen wird. Das Verlassen dieser Wege ist laut Landschaftsschutzbehörde nicht gestattet, und so bewegt man sich auf Kieswegen durch eine Kunstlandschaft aus Architektur und Landschaftsgestaltung, um im Inneren der meist fensterlosen, jedoch von oben beleuchteten Pavillons Kunst- und Kulturgegenstände sowie Gemälde aus verschiedensten Zeiträumen und Kulturkreisen zu besichtigen. Ein besonders intensiver Dialog zwischen Architektur und Landschaft, zwischen Innen- und Aussenraum entsteht im sogenannten Turm, einem kompakten Backsteingebilde auf quadratischem Grundriss, welches plötzlich mitten im Weg steht. Im Inneren des Turms sucht man vergeblich nach Kunst. Durch vier hohe, schmale Fenster, die zunächst wie Gemälde im leeren Raum wirken, geniesst man gerahmte Blicke in den Park: die Farben intensivieren sich scheinbar, man nimmt die Geräusche der Umgebung deutlicher wahr, fühlt, wie die Sinne geschärft werden.

Der Kulturraum Hombroich ist ein Prozess, und so wächst das Projekt weiter, verbindet kulturelle und wissenschaftliche Initiativen miteinander, erobert neuen Raum: Nach dem Erwerb einer stillgelegten Raketenstation 1995 und der Renovation militärischer Gebäude in nächster Nachbarschaft zum Park wurden weitere Gebäude nach den Entwürfen von Erwin Heerich und Per Kirkeby errichtet.

Auch auf dem neuen Konversionsgelände wird sich die Frage nach dem zeitgemässen Umgang mit Natur und Landschaft stellen, und man darf gespannt sein, ob wiederum traditionelle, idyllische Leitbilder aus vergangenen Jahrhunderten als Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart zitiert werden.

NZZ-Folio, So., 2003.06.01



verknüpfte Bauwerke
Museum Insel Hombroich

01. März 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Grüner Pelz auf Stahlskelett

«Ich kann mir vorstellen, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem der Umgang mit Natur und das Einbeziehen von Landschaft in die Urbanisation unumgänglich geworden sind. Jeder Eingriff durch Architektur bedingt immer auch eine Arbeit mit der Natur: Zerstörung und Reparatur. Es wird eine explosionsartige Zunahme von Landschafts- und Gartenarchitektur geben.» Dies prophezeite der Basler Architekt Jacques Herzog vor wenigen Jahren.

«Ich kann mir vorstellen, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem der Umgang mit Natur und das Einbeziehen von Landschaft in die Urbanisation unumgänglich geworden sind. Jeder Eingriff durch Architektur bedingt immer auch eine Arbeit mit der Natur: Zerstörung und Reparatur. Es wird eine explosionsartige Zunahme von Landschafts- und Gartenarchitektur geben.» Dies prophezeite der Basler Architekt Jacques Herzog vor wenigen Jahren.

Viele Baumeister suchen seither unter Stichwörtern wie «Verlandschaftlichung», «Inversion», «Dekontextualisierung» oder «Hybridisierung» nach gelungenen Symbiosen zwischen Landschaft und Stadt, Garten und Haus, Pflanze und Bauwerk - mit oder ohne landschaftsarchitektonische Beihilfe.

Ein solcher Versuch, im Herzen des neu entstehenden Stadtteils Zürich Nord ein hybrides Bauwerk aus Natur und Architektur zu schaffen, ist die riesige, 100 Meter lange, 34 Meter breite und 17 Meter hohe «grüne Oper» in Zürich Oerlikon; sie wurde kürzlich vom Zürcher Architekturbüro Burckhardt + Partner in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten Raderschall realisiert.

Bei der Ausschreibung des Wettbewerbes 1997 ging es dem zuständigen Amt «Grün Stadt Zürich» eigentlich um landschaftsgestalterische Ideen für den MFO-Park, benannt nach der Maschinenfabrik Oerlikon. Als einer von vier neuen Quartierparks sollte er im ehemals industriell genutzten und zukünftig dicht bebauten Wohn- und Arbeitsquartier nutzbare Freifläche und Erholungsraum schaffen.

Die verantwortlichen Architekten bei Burckhardt + Partner, Heinz Moser und Roger Nussbaumer, waren aber aus städtebaulichen Überlegungen der Ansicht, dass es an dieser Stelle keiner grünen Freifläche bedurfte, sondern eines baulichen Volumens, das die Urbanität des Ortes intensivieren sollte. Die Konzeption eines Park-Hauses als «grösste Gartenlaube der Welt», wie es im Informationsblatt der Architekten heisst, drängte sich als Ausweg aus diesem Dilemma auf.

Während die Landschaftsarchitekten des nahe gelegenen Oerliker Parks absichtlich kein fertiges Grünobjekt herstellten und darauf vertrauen, dass in einem jahrelangen, natürlichen Prozess aus dichtgepflanzten Baumfeldern dereinst ein eindrucksvolles, lebendiges Baumvolumen als grüne Halle entstehen wird, ähnlich dem berühmten Jardin du Luxembourg in Paris, griffen Burckhardt + Partner zu probaten architektonischen Mitteln, um schneller ihr gewünschtes Ziel zu erreichen. Sie placierten auf der Freifläche mit ausgefeilter Technologie aus 290 000 Kilogramm Stahl, 32 Kilometern Stahlseilen und Litzen sowie 870 Quadratmetern Holz- und Gitterrosten ein mächtiges, raumhaltiges Gittergerüst, das offenbar nicht wirklich für eine leicht geneigte Fläche konzipiert wurde und deshalb wie ein Möbelstück auf eine artifiziell erhöhte Bodenplatte gestellt wurde.

Das Stahlskelett ist bereits seit seiner Einweihung im vergangenen Sommer begehbar, soll nebenbei an die verloren gegangene industrielle Identität des Quartiers erinnern und bietet wie ein überdimensionales Klettergerüst verblüffende Raumerlebnisse.

Vor allem nachts, wenn der transparente Innenraum von Neonleuchten und hellen Strahlern in fahlgrünes Licht getaucht wird, kommt der kulissenartige, an Lagerhallen erinnernde Charakter des Bauwerks zum Tragen. Der Eindruck eines Bühnenraums wird verstärkt durch die balkonartig in die Halle ragenden Aussichtsplattformen, vor allem aber durch ein rechteckiges, leicht abgesenktes und mit grünem Glassplitt ausgelegtes Feld im hinteren Teil der Halle. Mit dem dekorativ aufgestellten Sitzmobiliar im Stil hölzerner Loungechairs und einem kleinen kreisrunden Wassertrog wirkt dieses Feld im grellen Licht der Strahler wie die absurde, sinnentleerte Hotellobby aus einem Bühnenstück von Samuel Beckett.

Aus 17 Metern Höhe schaut man vom holzbeplankten Aussichtsdeck auf dem Dach der «grünen Oper» mit gewissem Schaudern tief hinunter in die grüne Lobby und wartet darauf, dass die ersten Besucher unwissentlich zu Darstellern im skurrilen Bühnenbild werden und sich in Szene setzen.

Die Zuschauer geniessen indes am exponierten Ort auf dem Dach der Halle den Eindruck, sie befänden sich an Deck eines Containerschiffes, das in der Stadt gestrandet ist, und suchen nach markanten Orientierungspunkten in der näheren Umgebung. Schon jetzt zählt das Holzdeck in luftiger Höhe zu den beliebtesten Treffpunkten der Jugendlichen aus der Umgebung, und manchen fasziniert das kribbelige Gefühl beim Blick durch die lichten Gitterroste in die Tiefe, während andere sich angesichts der leicht zugänglichen Stahlkonstruktion schon erste Mutproben ausdenken.

Und die Natur? Abgesehen von einem guten Dutzend schmaler Hecken, die am Boden den Innen- mit dem Aussenraum verbinden, sollen 1200 Rank- und Kletterpflanzen in 100 verschiedenen Arten im Lauf der kommenden Jahre an der mit Stahlseilen bespannten äusseren Fassade der «grünen Oper» haushoch wuchern und das riesige, auf kleinen Füsschen stehende Bauwerk mit einem dichten grünen Pelz überziehen.

Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem und eine Batterie von Pflanztrögen in der obersten Etage des Stahlgerüstes müssen sicherstellen, dass die Natur, angesichts der anspruchsvollen Vision der Erfinder und der harten Standortfaktoren, in luftiger Höhe nicht einfach ihren Geist aufgibt und der grüne Tarnanzug am Ende nicht womöglich löchrig wird: «Unsere grüne Oper ist aus Stahl und blühenden Pflanzen leicht gefügt. Sie ist zu jeder Stunde lebendig und passt sich Aussenwelt, Natur und Witterung jederzeit an», versprechen die Architekten; sie stellen sich vor, dass die riesige Stellage mit vielfältigen Events bespielt wird.

Der Mut und die Experimentierfreudigkeit der Stadt Zürich auf der Suche nach zeitgemässen Ausdrucksformen in der Landschaftsarchitektur waren in den letzten Jahren beeindruckend und sind in Zukunft notwendig; denn ausdrucksvolle urbane Freiräume - bevorzugt unverbaut und unverstellt - zählen zu den Luxusgütern der Städte von morgen.

Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen, denn erst wenn ein Verwaltungsgebäude am südlichen, offenen Ende der Halle einmal abgerissen ist, kann mit dem Bau eines begrünten, 17 Meter hohen Stangenwaldes fortgefahren werden.
Noch formt die gelbliche Ziegelfassade des alten Verwaltungsbaus die eine fehlende Innenwand der Oper und wirkt wie die konsequente, geradezu irritierend authentische Fortführung der ausgedehnten, ebenfalls gelblichen Bodenfläche aus wassergebundenem Kalkmergel im Inneren der Halle.

Doch bald wird auch dieser Bau fallen, und man darf gespannt sein, welches neue, an das Alte erinnernde Industriedenkmal - begrünt oder unbegrünt - an seiner Stelle entstehen wird.

NZZ-Folio, Sa., 2003.03.01



verknüpfte Bauwerke
MFO Park

01. Januar 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Dattelpalmen im Dreiecksnetz

In der Anlage der ersten botanischen Gärten, lange bevor sich die Botanik im 18. und 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Disziplin entwickelte, manifestierte sich einerseits das wissenschaftliche Interesse universitärer Forscher an Arzneipflanzen und ihrer Heilwirkung. Die Grundrisse der «Horti medici» aus dem 16. Jahrhundert erinnerten andererseits in ihrer formalen Ästhetik aber auch an klösterliche Kräuter- und Heilpflanzengärten und folgten in ihrer Aufteilung nicht nur funktionalen Kriterien. In ihrer klaren geometrischen Gliederung spiegelten sie ideale, meist aus der klassischen Antike hergeleitete Weltbilder wider.

In der Anlage der ersten botanischen Gärten, lange bevor sich die Botanik im 18. und 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Disziplin entwickelte, manifestierte sich einerseits das wissenschaftliche Interesse universitärer Forscher an Arzneipflanzen und ihrer Heilwirkung. Die Grundrisse der «Horti medici» aus dem 16. Jahrhundert erinnerten andererseits in ihrer formalen Ästhetik aber auch an klösterliche Kräuter- und Heilpflanzengärten und folgten in ihrer Aufteilung nicht nur funktionalen Kriterien. In ihrer klaren geometrischen Gliederung spiegelten sie ideale, meist aus der klassischen Antike hergeleitete Weltbilder wider.

Der Botanische Garten von Padua, entstanden 1545, zählt zu den frühesten Anlagen seiner Art und gilt als Vorbild für viele andere in Europa. Sein kreisrunder, hierarchisch gestufter Grundriss, dem ein viergeteiltes, exakt quadratisches Beet eingeschrieben ist, stand sinnbildlich für die mikrokosmische Versammlung der ganzen Natur unter der ordnenden Herrschaft des Menschen im Zeitalter der Renaissance.

Das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur hat sich genau wie das ehemals geschlossene Weltbild in den vergangenen Jahrhunderten grundlegend verändert. Das schlägt sich auch im Erscheinungsbild der wenigen botanischen Gärten nieder, die heute noch entstehen.


Ein engmaschiges Wegnetz erschliesst den mediterranen Hanggarten.

Der neue, fünfzehn Hektaren grosse Jardí Botànic de Barcelona, 1999 am Südwesthang des Montjuïc mit herrlichem Blick auf die katalanische Metropole realisiert, ist zwar genau wie seine Vorgänger in erster Linie ein Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Wesen der ­ in diesem Fall mediterranen ­ Pflanzenwelt. Doch seine Gestaltung, entwickelt von der Landschaftsarchitektin Bet Figueras in Zusammenarbeit mit dem Architekten Carlos Ferrater, spricht unverkennbar die Sprache des beginnenden 21. Jahrhunderts, geprägt von komplexen, unregelmässigen Geometrien in der Flächenaufteilung und einer vorbehaltlosen Verwendung grosser Sichtbeton- und Rohstahlelemente als Weg- und Mauerflächen in der Landschaft.

Bereits auf dem breiten, durch ein komplexes Fugenbild gegliederten Betonweg zum Eingang des Botanischen Gartens durchschreitet man im Schatten von Schirmpinien zum ersten Mal im übertragenen Sinne die acht Landschaftszonen, in denen rund um den Globus ähnliche mediterran geprägte Klimaverhältnisse mit langen, trockenen Sommermonaten und milden, regnerischen Wintermonaten herrschen: Die katalanischen Bezeichnungen für Australien, Kalifornien, Chile, Südafrika sowie für die Mittelmeerregionen Kanarische Inseln, östliches Mittelmeer, Nordafrika und Iberische Halbinsel sind in grossen stählernen Lettern in den Boden eingelassen. Der Erforschung, dem Schutz und der Präsentation der typischen Pflanzengemeinschaften aus diesen Zonen ist der Botanische Garten gewidmet.

Ist man durch das grosse stählerne Eingangstor mit der Beschriftung JBB eingetreten und hat das flache, in die Topographie eingefügte Eingangsgebäude hinter sich gelassen, eröffnet sich ein beeindruckender Blick über den geometrisch geformten See hinweg in die frisch bepflanzte Hanglage. Diese baut sich mit vielen Wegen, dreieckigen, zackigen Stützmauern aus rostrotem Cortenstahl und hellgrauem Sichtbeton wie eine Terrassenlandschaft vor dem Betrachter auf, ähnlich einem Amphitheater. Es ging den Gestaltern tatsächlich darum, mit den Mauern die Hanglage zu sichern und auf abstrahierte Weise an die kunstvoll terrassierten, heute gefährdeten Kulturlandschaften des Mittelmeerraumes zu erinnern.

Die ungewöhnliche Aufteilung des gesamten Areals in unterschiedlich bepflanzte Dreiecksflächen resultiert aus dem Grundkonzept, über die Topographie ein Netz aus Dreiecken zu spannen. Dieses passt sich ­ analog zu trigonometrischen


Ein langer Steg über das zentrale, expressiv geformte Wasserbecken bildet den stimmungsvollen Auftakt zum Rundgang.

Vermessungsnetzen ­ flexibel der Geländesituation an. So entstand ein neuartiges, hybride wirkendes Landschaftsbild aus künstlicher, computergenerierter Gitterstruktur und darin verwobenen Naturfragmenten. Das ausgedehnte Netz aus breiten Betonwegen bildet im Wesentlichen das Dreiecksnetz im Gelände ab und gewährleistet eine bequeme Erschliessung, ergänzt durch kurze, steile Treppen.

Ein langer Holzsteg über das grosse, expressiv geformte Wasserbecken bildet den stimmungsvollen Auftakt zum Rundgang durch die verschiedenen Vegetationszonen. Hangseitig ragen spitzwinklige Stahlwände in die Wasserfläche, die wie ein Spiegel das angrenzende Landschaftsbild mit den markanten nordafrikanischen Dattelpalmen optisch verdoppelt. Vor den rostroten Flächen des Cortenstahls kommen zudem die frischgrünen Teichbinsen- und Rohrkolbengewächse besonders zur Geltung.

Der Weg führt aus der Geländemulde den Hang hinauf, von wo aus sich der Blick in die umgebende Landschaft, auf das Meer, das Mündungsgebiet des Llobregat und die Bergketten am Horizont immer mehr öffnet. Noch sind die Stauden und Sträucher auf vielen Flächen erst spärlich entwickelt, und die Wege wirken noch etwas überdimensioniert. Doch das wird sich in den kommenden Jahren mit dem Wuchs der Vegetation ändern. Die Besucher sollen erleben, wie sich die Pflanzengemeinschaften mit der Zeit verändern.

Schon jetzt ist es ein besonderes Erlebnis, die verschiedenen Vegetationsbilder zu durchwandeln, begleitet von aromatischen Düften und dem Geschrei grüner Papageien, die sich in Schwärmen über die ersten Früchte des Gartens hermachen.

NZZ-Folio, Mi., 2003.01.01



verknüpfte Bauwerke
Jardí Botànic

03. Oktober 2002Udo Weilacher
NZZ-Folio

Geparkter Buchs am Börsenplatz

Als in Lyon das Palais du Commerce, erbaut von René Dardel, im August 1860 von Napoleon III. feierlich eröffnet wurde, galt der Prunkbau als Sinnbild für den Erfolg kaiserlich-liberaler Wirtschaftspolitik und als Lobpreisung des Glanzes der 2. Republik. Damit die opulent verzierte Nordfassade des Bauwerks richtig zur Geltung kommen konnte, schuf man im dichtbebauten Stadtgefüge einen kleinen Vorplatz, die Place de la Bourse.

Als in Lyon das Palais du Commerce, erbaut von René Dardel, im August 1860 von Napoleon III. feierlich eröffnet wurde, galt der Prunkbau als Sinnbild für den Erfolg kaiserlich-liberaler Wirtschaftspolitik und als Lobpreisung des Glanzes der 2. Republik. Damit die opulent verzierte Nordfassade des Bauwerks richtig zur Geltung kommen konnte, schuf man im dichtbebauten Stadtgefüge einen kleinen Vorplatz, die Place de la Bourse.

Drei Republiken später geriet die Handels- und Bankenstadt infolge des Golfkrieges von 1991 wieder einmal in eine wirtschaftliche Stagnationsphase, und das hatte nicht nur für die Place de la Bourse, sondern für das gesamte Stadtbild von Lyon gravierende Folgen: Man nutzte die Pause im Bauboom, um 1992 den Entwicklungsplan «Lyon 2010» zu beschliessen. Damit verfolgte man das ehrgeizige Ziel, die Attraktivität der Stadt deutlich zu steigern, ohne die vorhandenen städtebaulichen und architektonischen Qualitäten zu gefährden.

Die Um- und Neugestaltung der innerstädtischen Freiflächen zählte neben dem Plan zur Behandlung der Flussufer und dem Beleuchtungsplan zu den wichtigsten Massnahmen. Viele der einst so attraktiven städtischen Plätze, wie die Place de la République, die Place Antonin Poncet, die Place des Terreaux oder die Place de Célestine, sowie die Fussgängerzone Rue de la République waren mittlerweile - wie in den meisten Grossstädten Europas - zu tristen Parkplatzflächen verkommen.

Keiner der heute so attraktiven Plätze in der historischen Stadtmitte von Lyon wäre ansprechend zu gestalten gewesen, hätte man den ruhenden Verkehr nicht konsequent in unterirdische Parkgaragen verbannt. Für mehr als 3000 Autos mussten deshalb zentrumsnahe Tiefgaragenplätze geschaffen werden, und selbst dabei legte man noch auf architektonische Gestaltung grossen Wert. An der Place de Célestine, anspruchsvoll umgewandelt von den Landschaftsarchitekten Michel Desvigne und Christine Dalnoky, kann der Besucher heute durch ein Periskop des Künstlers Daniel Buren einen interessanten Blick in die Unterwelt werfen und sieht keineswegs nur eine zweckmässig beleuchtete Blechlawine.

Auch unter der neu gestalteten, 2150 m² grossen Place de la Bourse, einem Projekt des französischen Landschaftsarchitekten Alexandre Chemetoff, befinden sich 560 unterirdische Stellplätze. An der Oberfläche «parken» hingegen in sieben parallelen Reihen zwischen der Rue de la Bourse und der Rue de la République 126 kugelig geschnittene Buchsbäume in überproportionierten Tontöpfen. Die Töpfe werden über Öffnungen im Boden automatisch bewässert und signalisieren deutlich, dass sich unter der Oberfläche des innerstädtischen Platzes kein gewachsener Boden befindet.

Das Bekenntnis zum städtischen Charakter der Freiräume und die Ablehnung vordergründig dekorativer Naturimitationen zur Kaschierung technischer Bauten im Untergrund kennzeichnet alle neuen Plätze in Lyon. Mit Ausnahme der Place de la Bourse wurde zudem auf die intensive Begrünung der erneuerten Stadträume weitgehend verzichtet. Dadurch kommen die charakteristischen Raumproportionen und die prächtigen Hausfassaden besonders zur Geltung.

Gerade im Kontrast zu den Stadträumen erlebt man die Grünflächen der Stadt, die Baumkulissen entlang den Flussläufen und die Parklandschaft am Fuss der Kathedrale, besonders intensiv. In gleicher Weise wirkt die Place de la Bourse im Gefüge der zurückhaltend begrünten Umgebung wie eine wertvolle, überraschend grüne Ruheinsel mitten in der Stadt.

Ein leise sprudelnder Brunnen, ausgeführt als einfacher massiver Granitblock, wurde am Rand der ruhigeren Rue de Bourse auf die Granitplattenfläche des Platzes gesetzt und spiegelt mit seiner quadratischen Wasseroberfläche bewegte Lichtreflexe in die Baumkronen der Ahorne. Die Bäume wachsen nur am Nordrand des Platzes, wo in der Konstruktion der Tiefgarage entsprechend dimensionierte Pflanztröge integriert wurden. Chemetoff legte Wert darauf, die Pflanzen der Höhe nach gestaffelt so zu setzen, dass sie die Fassade der Handelskammer nicht verdecken. An dieser Schaufassade wurden niedrigwüchsige Felsenbirnen und geschnittene Kirschlorbeerhecken in lineare Pflanzbeete gesetzt.

Die frei wachsenden Baumkronen stehen in lockerem Kontrast zu den streng geschnittenen Buchsbäumen und Heckenbändern. In diese wurden immer wieder Nischen eingefügt, wo Parkbänke die Passanten zum Sitzen einladen. Wenn es Nacht wird in Lyon, zeigt sich, mit welchem Erfolg der Beleuchtungsplan umgesetzt wurde: An den schönsten Plätzen der Stadt verzichtete man auf grelle Schaufensterbeleuchtungen zugunsten einer unaufdringlichen, gezielten Illumination der prächtigen Gebäudefassaden. An der Place de la Bourse erstrahlt die Schauseite von René Dardels Prachtbau in gedämpftem Licht, und Bodenstrahler auf dem Platz sorgen für stimmungsvolle Beleuchtung des Grüns.

Der gelungenen Zusammenarbeit von Architekten, Landschaftsarchitekten, Künstlern und Ingenieuren ist es zu verdanken, dass die innerstädtische «Mission presqu’île» für das historische Stadtzentrum so erfolgreich war. Heute gilt Lyon international als Vorbild für gekonnte innerstädtische Freiraumgestaltung

NZZ-Folio, Do., 2002.10.03

01. August 2002Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein Park als Erdskulptur

Eine der grossen Erfolgsstories in der Geschichte der Gartenkunst ist die Entwicklung des Parks.

Eine der grossen Erfolgsstories in der Geschichte der Gartenkunst ist die Entwicklung des Parks.

Von den exklusiven Gärten der italienischen Renaissance und des französischen Barock bis zu den malerischen englischen Landschaftsgärten des 18. und den öffentlichen Volksparks des 20. Jahrhunderts, den grünen Herzen der steinernen Städte. Bis heute verbindet sich mit dem Begriff Stadtpark die tiefe Sehnsucht nach einem Stück harmonisch gestalteter Natur als wohltuendem Ausgleich zum hektischen urbanen Leben.

Als vor wenigen Wochen der neue Henriette-Herz-Park zwischen Potsdamer Platz und Tiergarten in Berlin eröffnet wurde, sahen sich viele Besucher vor ein Rätsel gestellt, denn dieser kleine Park hat formal nichts mehr mit jenem historisch gewachsenen Bild der Parklandschaft zu tun, das sich in vielen Köpfen als das Idealbild der Natur schlechthin festgesetzt hat. Die niederländischen Landschaftsarchitekten Maike van Stiphout und Bruno Doedens (DS), die gemeinsam mit dem Bildhauer Shlomo Koren die neue Anlage entwarfen, sind der Überzeugung, dass der Park von heute nicht mehr als Ersatznatur und Gegenbild zur Stadt, sondern als ihr integraler Bestandteil zu betrachten sei und deshalb Formen annehmen könne, die nicht den jahrhundertealten Vorbildern entlehnt sein müssen.

Dass die Grösse der Fläche für die Ausdruckskraft einer Park- oder Gartenanlage keine Rolle spielt, ist zwar längst bekannt, wird aber an Projekten wie dem Henriette-Herz-Park besonders augenfällig. Eingespannt zwischen den architektonischen Wahrzeichen mächtiger Wirtschaftskonzerne, wirkt die 9000 Quadratmeter grosse, dreieckige Grünfläche auf dem Plan wie ein versprengtes urbanes Fragment, welches über flankierende Baumreihen und Alleen wieder Anschluss an den angrenzenden Tiergarten sucht. Nur mit dessen Hilfe kann es sich offensichtlich gegen den Bedeutungsüberschuss der Baumassen am Potsdamer Platz behaupten.

Anstatt sich aber der Parkgestaltung von Peter Joseph Lenné aus Mitte des 19. Jahrhunderts vollkommen anzupassen, setzten die Landschaftsarchitekten auf kraftvollen Kontrast und verhalfen dem Henriette-Herz-Park mit einer überraschend grosszügigen abstrakten Geste sowie mit einer subtilen Manipulation der Topographie zu ausdrucksstarker Identität. Der grüne Zwischenraum verwandelte sich auf diese Weise in einen respektablen Dialogpartner für die umgebenden architektonischen Kolosse.

Es scheint, als habe eine gewaltige tektonische Kraft das Zentrum der Fläche um fast zwei Meter in die Höhe gedrückt und dabei so viel Oberflächenspannung erzeugt, dass man mit einem kreuzförmigen Entlastungsschnitt die grüne Rasenhaut vor dem unkontrollierten gewaltsamen Zerreissen bewahren wollte. Die Einschnitte wurden als vertiefte Wege ausgebildet, die den Betrachter zum erhöhten Zentrum führen, während die Schnitt- oder Bruchränder mit schweren Platten aus rotem finnischem Granit errichtet wurden. Indem man alle Bodenbeläge in der Anlage dem Granit farblich anglich, erzielte man einen einheitlichen Charakter der Wege- und Mauerflächen.

Im Zentrum angelangt, bietet sich vom erhöhten Standpunkt ein Überblick über die städtische Gesamtsituation. Zugleich wird man an dieser Schlüsselstelle mit den aufragenden rötlichen Schnittkanten und damit mit jener eigentümlichen Kraft konfrontiert, die den Park in eine minimalistische, begehbare Bodenskulptur transformiert hat.

Es ist nicht nur der farbliche Kontrast zwischen grünem Rasen und rotem Gestein, der der Anlage ihre Ausdruckskraft verleiht. Vielmehr verursachen die schrägen Erdoberflächen im Kontrast zu den umliegenden Bauwerken ein Gefühl, als ob sich der Boden unter den eigenen Füssen bewegen und die Statik der Umgebung erschüttern würde. Oder ist das Gewicht der umliegenden Bauten die Ursache für die tektonische Hebung der Erdoberfläche im angrenzenden Park?

Viele Assoziationen werden angesichts der gekippten Rasenplatten wach, und manchem mag sogar plötzlich Caspar David Friedrichs Gemälde «Das Eismeer» vor Augen sein, in dem sich der Mensch mit Naturgewalten konfrontiert sieht, die den Glauben an dauerhafte Beständigkeit erschüttern. Der Henriette-Herz-Park bezieht zwar einen erheblichen Teil seiner assoziativen Kraft aus dem mehr oder minder bewussten Bezug zum erhabenen Landschaftserlebnis, ist jedoch in seinem abstrakten ästhetischen Ausdruck weniger der romantischen Malerei des 19. als vielmehr der amerikanischen Land-Art des 20. Jahrhunderts verpflichtet.

Während die jungen Pioniere dieser einflussreichen Kunsttendenz aus Protest gegen die Welt des grenzenlosen Konsums und der globalen Vermarktung die Städte in den sechziger Jahren als Inbegriff der Entfremdung verliessen, um in abgelegenen Wüstengebieten ihre erlebbaren Raum- und Erdskulpturen zu schaffen, kehrt die Land-Art im Projekt von DS Landschaftsarchitekten und Shlomo Koren in verwandelter Form wieder in den urbanen Kontext zurück, um ihre subversive Kraft inmitten scheinbar festgefügter Konsumwelten zu entfalten.

Dem lauten Reklamegebaren der schnelllebigen städtischen Umwelt setzen die Gestalter einen ausdrucksvollen skulpturalen Ort entgegen, der durch seine Beschränkung auf sehr einfache abstrakte, aber umso kraftvollere Elemente das Tempo verlangsamt, einen Ruheraum schafft und ganz nebenbei auch noch dem städtischen Bewohner den alltäglichen Luxus bietet, es sich für eine Weile auf den Rasenflächen bequem machen und die Gedanken schweifen lassen zu können.

NZZ-Folio, Do., 2002.08.01



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Henriette-Herz-Park

01. Mai 2002Udo Weilacher
NZZ-Folio

Leere Sockel im Buchsparterre

Besuchte man Mitte des vergangenen Jahrhunderts den Industriemagnaten Carl Martin Leonhard Bodmer und seine Frau Anna Vogel auf ihrem Landsitz in Rüschlikon, bog man von der Hauptstrasse in eine Allee und liess sich von den Linden hangabwärts in den üppig von Koniferen gefassten, schattigen Ehrenhof vor das Portal der grossbürgerlichen, neobarocken Villa geleiten.

Besuchte man Mitte des vergangenen Jahrhunderts den Industriemagnaten Carl Martin Leonhard Bodmer und seine Frau Anna Vogel auf ihrem Landsitz in Rüschlikon, bog man von der Hauptstrasse in eine Allee und liess sich von den Linden hangabwärts in den üppig von Koniferen gefassten, schattigen Ehrenhof vor das Portal der grossbürgerlichen, neobarocken Villa geleiten.

Wem sich die Eingangspforte und schliesslich sogar die grossen Türen vom schönen Salon zur sonnigen Gartenterrasse öffneten, der konnte zwischen zwei Bäumen hindurch über das flankierende Buchsparterre mit Rosen hinweg in den zentralen Gartenraum blicken: auf einen grosszügigen quadratischen Rasenteppich, seitlich gefasst von zwei Kastanienalleen und mit einem Brunnen in der Zentralachse, hinter dem sich am Horizont das malerische Alpenpanorama aufspannte. Bis heute ist der Grünraum aus den zwanziger Jahren das Herz der gesamten Anlage, doch der Brunnen ist ebenso verschwunden wie der Blick in die Alpen, den eine Kulisse aus Ahornbäumen versperrt.

Wer heute das neue Centre for Global Dialogue der Swiss Re aufsucht, fährt an der Allee zum ehemaligen Bodmergut eher achtlos vorüber und verlässt die Strasse erst da, wo kleine Baumgruppen und formgeschnittene Hecken die Vorfahrt zum eleganten Seminargebäude der Architekten Meili & Peter markieren. Es könnte in seiner stilistischen Zurückhaltung kaum in grösserem Kontrast zur nahe gelegenen Villa stehen, welche die Architekten Richard von Sinner und Hans Beyeler 1926/27 historisierend im Stil bernischer Landschlösser des 18. Jahrhunderts errichteten.

Was Alt und Neu jedoch verknüpft, ist der vermutlich vom Gartenarchitekten Vivell entworfene Park, in dem sich von jeher architektonisch formale, «französische» Gestaltungselemente mit landschaftlich freien, «englisch» gestalteten Gartenteilen in reizvollem Kontrast verbanden. Diesem Gartenensemble wurde im Zuge der Neu- und Umbauten eine aktuelle gestalterische Schicht gekonnt hinzugefügt, zwischen 1996 und 1998 geplant von den Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast Vogt Partner und bis zum Jahr 2000 realisiert von Vogt Landschaftsarchitekten.

Kennzeichnend für die neue Gestaltung ist Respekt vor dem historischen Parkkonzept, dezente Akzentuierung vorhandener Parkelemente und taktvolle Neuinterpretation jener Gartenteile, die den Lauf der Zeit oder die jüngsten Baumassnahmen nicht überstanden. Mit Neupflanzungen verstärkt wurde etwa die pittoreske Kieferngruppe auf dem Rasenhügel beim neuen Haupteingang, den ein schmaler, gewundener Parkweg erschliesst. Auf der Kuppe des Hügels, den das Tagungszentrum waagrecht durchkreuzt wie ein Luxusliner eine Ozeanwelle, ahnt man noch nichts vom tiefer gelegenen zentralen Gartenraum. Eine minimalistische Betonskulptur von Sol LeWitt hat sich kammförmig im Hügel verankert und lenkt den Blick zum Zürichsee.

Erst an der meterhohen Stützmauer weiter unten überblickt man die beiden Buchsparterres mit ihren leeren Sockeln im Zentrum. Die schlecht erhaltenen Statuetten konnten nicht wiederhergestellt werden, doch anstatt sie zu reproduzieren, liess man die Sockel leer und verlieh den rechteckigen Parterres damit einen neuen, unarchitektonischen Ausdruck. Unterschiedliche Buchsarten in verschiedenen Grüntönen zeichnen rätselhafte amorphe Formen, deren Bezüge zur neobarocken Anlage man vergeblich sucht.

Auf überlieferten Grundrissen entstanden auch zwei lange Reflexionsbecken, die ins schattige Grün der beiden alten Kastanienalleen stimmungsvolle Lichtreflexe werfen und in der Spiegelung die irritierende Leere der Sockel in den Parterres verdoppeln. Das westliche Wasserbecken führt an jene Schlüsselstelle, wo sich das Seminargebäude durch die Kastanien an den zentralen Grünraum schiebt, um Anschluss an das Herz des Parks zu finden.

Vom grossen Seminarraum im weit auskragenden Obergeschoss geniesst man den Blick in die Baumkronen und auf die Rasenfläche, die im Frühling von vierhunderttausend Krokussen in einen farbenfrohen Blütenteppich verwandelt werden soll. Eine willkommene Abwechslung inmitten der monochromen Inszenierung aus fein abgestuften Grüntönen und unterschiedlichen Blatttexturen.

Im Erdgeschoss gelingt an der Schnittstelle zwischen Alt und Neu die genussvolle Zuwendung zum Garten nur an der Glasfront der Bibliothek, die sich nach Osten jener Baumhalle öffnet, wo früher der Brunnen den Blickpunkt bildete. Ulrich Rückriem akzentuierte diesen Ort mit einer flach in den Boden eingelassenen, kraftvollen und farbig dezent vom Kiesbelag abgesetzten Natursteinskulptur.

Dem Zürichsee entgegen gelangt man auf die grosse Aussichtsterrasse, die die Hangkante topographisch gekonnt betont. Den Ausblick in die Landschaft werden auch in Zukunft zwei markante Dreiergruppen von Säulenpappeln rahmen. Gehölze, die den Blick versperrten, liess man roden und bepflanzte den Hang stattdessen mit einer Komposition aus Blütensträuchern und Stauden, die zu jeder Jahreszeit einen abwechslungsreichen Anblick bieten sollen.

In den südostexponierten Geländevorsprung bauten die Architekten ein von der Terrasse aus kaum sichtbares Teehaus mit Aussichtsterrasse, das man über eine schmale Treppe oder über den hangparallelen Panoramaweg durch die Blütensträucher erreicht. Vom Teehaus führt einen der Weg zurück und hinauf zum ehemaligen Gärtnerhaus an der Strasse.

Hier begegnen sich nochmals architektonische Vergangenheit und Gegenwart auf engstem Raum, treffend prononciert durch ausdrucksvolle Baumgruppen.

NZZ-Folio, Mi., 2002.05.01



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Seminarzentrum und Gästehaus

01. März 2002Udo Weilacher
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Der Baum, der alles gesehen hat

Die Frachtmaschine der israelischen El-Al mit vier Personen und fast 115 Tonnen Ladung an Bord legte auf dem Flug LY 1862 von New York nach Tel Aviv in Amsterdam eine Zwischenlandung ein, um aufzutanken.

Die Frachtmaschine der israelischen El-Al mit vier Personen und fast 115 Tonnen Ladung an Bord legte auf dem Flug LY 1862 von New York nach Tel Aviv in Amsterdam eine Zwischenlandung ein, um aufzutanken.

Kurz nach dem Start vom Flughafen Schiphol verlor der Jumbo nacheinander zwei Triebwerke, war wegen beschädigter Landeklappen kaum mehr zu kontrollieren und stürzte um 18 Uhr 35 südöstlich von Amsterdam in die 11-geschossigen Wohnhochhäuser von Bijlmermeer, wo 47 Menschen getötet und viele verletzt wurden.

Gemäss den Grundsätzen des modernen Städtebaus hatte man 1966 die Trabantenstadt in flachem Polderland als «Stadt von morgen» geplant und realisiert, mit grossen Scheibenhochhäusern, die sich um parkartig gestaltete Grünanlagen mit hexagonalen Grundrissen gruppierten. Entgegen den Planungsabsichten mied jedoch die weisse Mittelklasse Amsterdams die neuen Wohnsilos und überliess Bijlmermeer vor allem den Immigranten aus Surinam sowie den Angehörigen von etwa 90 unterschiedlichen schwarzen Bevölkerungsgruppen aus ehemaligen Kolonien der Niederlande. Als die Boeing 747 am 4. Oktober 1992 wie eine Bombe in die Häuserblocks einschlug, traf sie mitten ins Herz einer sozialen Problemzone, die viele abschätzig als «das grösste Ghetto Westeuropas» bezeichneten.

Am Absperrzaun um die Unglücksstelle bekundete schon bald eine wachsende Anzahl von Briefen, Gedichten, Fotos, Blumen, Kränzen und Plüschtieren Trauer und Bestürzung über die unfassbare Katastrophe. Besonders «der Baum, der alles gesehen hat», eine grosse Pappel in der Nähe der Absturzstelle, wurde spontan zum Treffpunkt und zur Gedenkstätte für die Hinterbliebenen. Der stumme grüne Augenzeuge wurde zum berührenden Mittelpunkt eines «wachsenden Denkmals», das vom Genfer Architekten Georges Descombes und vom niederländischen Architekturstudio Herman Hertzberger auf Initiative der Stadtverwaltung in Abstimmung mit den Betroffenen ab Ende 1992 konzipiert wurde.

Allen Beteiligten ging es bei diesem heiklen Projekt von Anfang an darum, auf keinen Fall ein traditionelles Mahnmal zu errichten, das nur einer alljährlichen Zeremonie der Kranzniederlegung dienen würde. Vielmehr sollte der besinnliche Ort dem Bedürfnis nach einer gewissen Ruhe und persönlicher Begegnung dienen, vor allem aber ganz pragmatisch zum Ausgangspunkt einer Wohnumfeldverbesserung im Problemviertel werden.

Das Gesamtkonzept der Architekten basiert auf der Planung eines Quartierparks, der sich weiterentwickeln soll. Im Zentrum des wachsenden Denkmals stehen vier Hauptbestandteile: der Baum und seine direkte Umgebung, die Spur des verwüsteten Gebäudes, die Markierung der zerstörten Wegverbindungen und eine neue Promenade als Rückgrat einer vielfältig nutzbaren Grünanlage. Wer entlang diesem Hauptweg, von einer Baumreihe begleitet, auf den Unglücksort zugeht, bewegt sich auf dem Trassee, das die Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge damals benutzten. Es widerspricht in seinem streng linearen Verlauf dem Charakter des übrigen Wegnetzes und wird von niedrigen Mauern begleitet, in die Bänke und Tische integriert wurden.

Diese sollen zum Aufenthalt im Schatten der neuen Bäume einladen, doch es scheint, als würden die Bewohner die weiten, teilweise sanft modellierten Rasenflächen zum Picknick und für Feste bevorzugen. In diesen Flächen findet man immer wieder grossformatige Betonplatten als Markierung der offenen Enden jenes zerrissenen Wegnetzes, das die Wohngebäude vor ihrer Zerstörung erschloss. Nach der Vorstellung der Gestalter soll in der Blumenwiese das Muster der Wohnwege durch gezieltes Mähen zwischen den Betonplatten wieder sichtbar werden.

Weiter entlang dem Weg kreuzt man auf einer Brücke den tiefen Abdruck des zerstörten Wohnblocks. Georges Descombes und seine Partner entschlossen sich dazu, mit einem negativen Volumen, einem streng gefassten Wasserkanal, den Verlust des Gebäudevolumens zu versinnbildlichen. Von Westen senkt sich der Abdruck wie eine Rampe langsam ab und führt hinunter zur Oberfläche des stehenden Gewässers. Erst jetzt bemerkt man die sanfte Kräuselung der Wasseroberfläche, verursacht durch ein Rinnsal an der seitlichen Betonwand des Kanals. Ein winziger Quellbrunnen spendet Wasser und markiert unauffällig den Ort des Einschlags.

Unumstritten bildet jedoch der Baum den Schwerpunkt der gesamten Anlage. Hier sammeln sich wie um einen Altar zahllose Blumen und Andenken. Die Grundfläche des quadratischen Platzes um die Pappel ist mit Mosaiken belegt, welche die Anwohner mit Glas- und Keramikstückchen gestalteten. Ein architektonisch entworfenes, überdachtes Wandelement mit Metallgittern und beschrifteten Betonelementen übernimmt die Funktion des ersten provisorischen Zaunes als Träger für Briefe oder Blumen. Wie ein wehender Schleier zieht sich eine strukturierte weisse Betonwand in geschwungener Bewegung um den südlichen Teil des kleinen Platzes, fasst den Raum und bietet Sitzmöglichkeiten im wachsenden Denkmal.

Erst kurz nach der Einweihung des Bijlmer-Monuments am 6. Jahrestag des Flugzeugabsturzes erfuhren die Betroffenen, dass die Unglücksmaschine - entgegen jahrelangen Beteuerungen der Verantwortlichen - nicht mit Blumen, Parfum und Unterhaltungselektronik, sondern mit Giftstoffen und Munition beladen war. Für die Überlebenden der Katastrophe, die seither mit schweren gesundheitlichen Folgeschäden zu kämpfen haben, wird «der Baum, der alles gesehen hat», auch in Zukunft ein besonderer, dezent gestalteter Ort der erbitterten Anklage bleiben.

NZZ-Folio, Fr., 2002.03.01



verknüpfte Bauwerke
Bijlmer-Quartierparks.

01. Januar 2002Udo Weilacher
NZZ-Folio

Spuren in Stahl

Archäologen wissen um den Wert des Bodens als Gedächtnis der Erde: Mit seismographischer Empfindlichkeit registriert die Landschaft jede Veränderung und reift zur Kulturlandschaft, in der sich die Spuren der Geschichte unsichtbar überlagern.

Archäologen wissen um den Wert des Bodens als Gedächtnis der Erde: Mit seismographischer Empfindlichkeit registriert die Landschaft jede Veränderung und reift zur Kulturlandschaft, in der sich die Spuren der Geschichte unsichtbar überlagern.

Archäologen wissen um den Wert des Bodens als Gedächtnis der Erde: Mit seismographischer Empfindlichkeit registriert die Landschaft jede Veränderung und reift zur Kulturlandschaft, in der sich die Spuren der Geschichte unsichtbar überlagern. Wäre man geübt im Lesen der Landschaft, würde man viele der friedlichen Landschaftsbilder Mitteleuropas mit ganz anderen Augen sehen. Nicht selten liegt unter der Oberfläche arkadisch anmutender Wald- und Weidelandschaften ein Schlachtfeld - so auch im Osnabrücker Land nahe der kleinen Ortschaft Bramsche-Kalkriese.

Hier fand ein britischer Leutnant und Hobbyarchäologe 1987, wonach jahrhundertelang erfolglos gesucht worden war: den fast 30 Quadratkilometer grossen Schauplatz der legendären Varusschlacht, in der drei römische Legionen von den Germanen unter der Führung des Cheruskerfürsten Arminius im Jahre 9 n. Chr. vernichtend geschlagen wurden. Der römische Versuch einer Expansion ins nördliche Germanien fand damit sein Ende, und der zweifelhafte Heldenmythos um den Befreier Germaniens, im Volksmund Hermann genannt, nahm seinen Anfang.

Die archäologischen Grabungen sind noch längst nicht abgeschlossen, doch das grosse öffentliche Interesse an der Varusschlacht verlangte nach einem Museum mit Park, in dem man den Besuchern einen Blick in die Geschichte bietet. Die Zürcher Architekten Gigon/Guyer und die Landschaftsarchitekten Zulauf + Partner aus Baden gewannen 1998 den Projektwettbewerb mit einem stringenten, abstrakt angelegten Entwurf von überzeugender Ausdruckskraft.

Den Auftakt bildet der mit grossformatigen rostroten Stahlplatten verkleidete Museumsbau, der in der Hauptansicht einem liegenden L gleicht. Vom 26 Meter hohen Aussichtsturm bietet sich dem Besucher ein guter Überblick über den zwanzig Hektaren grossen Park, den die Landschaftsarchitekten als ausgedehnte Lichtung im Baumbestand konzipierten. Grossflächige Aufforstungen veränderten im Laufe der Zeit das Landschaftsbild, das ehemals von dem bewaldeten Kalkrieser Bergrücken im Süden und der Moorniederung im Norden geprägt wurde.

Auf dem Rückmarsch von einem Sommerlager an der Weser waren die Legionen des Publius Quinctilius Varus mit ihrem Gefolge - 15 000 bis 20 000 Männer, Frauen und Kinder - gezwungen, sich auf einem schmalen Geländeabschnitt zwischen Waldrand und Moor zu bewegen. Im Wald, verschanzt hinter einem zwei Meter hohen Schutzwall aus Rasensoden, lauerten die Germanenverbände dem Tross auf und fielen den sonst kampftechnisch überlegenen Römern in die ungeschützte Flanke.

Den einstigen Verlauf des germanischen Schutzwalls markieren 2,8 Meter hohe Eisenstangen, die in jenen Abschnitten dichter gesteckt wurden, wo archäologische Grabungen die Linienführung der Verteidigungsanlage bereits verifizierten. Hinter der mäandrierenden Stangenreihe wird - um die noch unerforschten Grabungshorizonte nicht zu zerstören - mit flachwurzelnden Zitterpappeln, Birken und Weiden ein temporärer Waldbestand aufgeforstet. Erst wenn die archäologischen Grabungen auch dort beendet sind, können wieder langlebigere Waldbaumarten gepflanzt werden. So wird der Fortschritt der Grabungstätigkeiten am Landschaftsbild deutlich ablesbar.

Schmale Waldpfade versinnbildlichen das Wegsystem der Germanen, während der Weg der Römer nördlich des Schutzwalls aus 685 grossen Corten-Stahlplatten gebildet wird. Die 2 × 1 Meter grossen, unregelmässig verlegten Platten rufen Assoziationen an gefallene Schilde, Panzerungen oder Grabplatten wach und vermitteln ein eigentümliches Gefühl von gebrochener Stärke. 35 Platten wurden mit Inschriften und Zitaten römischer Geschichtsschreiber versehen und wirken wie unauffällige Bildunterschriften am Ort des Geschehens.

Nur an der sogenannten Zeitinsel unternahmen die Landschaftsarchitekten in Zusammenarbeit mit fachkundigen Beratern den Versuch, ein Stück Landschaft aus dem Jahre 9 n. Chr. mit Schutzwall, Wald und Moorloch zu rekonstruieren. Eingefasst in einen Rahmen aus Stahlspundwänden, wirkt die Landschaftsrekonstruktion wie in einem Guckkasten und steht im Kontrast zu den abstrakten Eingriffen in der Umgebung, die der Phantasie mehr Spielraum lassen.

Spielraum für neue Perspektiven und veränderte Wahrnehmungen der Landschaft wollten die Architekten in Zusammenarbeit mit den Designern Ruedi Baur und Lars Müller dem Besucher auch in drei minimalistisch gestalteten Pavillons bieten: Die rostroten Kisten, ebenfalls mit Corten-Stahlplatten verkleidet, liegen wie verstreute Ableger des Hauptgebäudes in der Landschaft. Während im Pavillon des Sehens und im Pavillon des Hörens verfremdete visuelle und akustische Erlebnisse geboten werden, die auch in einem anderen Kontext stehen könnten, wird im Pavillon des Verstehens gekonnt eine inhaltliche Brücke zum heutigen Zeitgeschehen geschlagen.

Auf einer Seite des Gehäuses blickt man durch Sehschlitze auf das ehemalige Schlachtfeld, während an der gegenüberliegenden Wand auf Videobildschirmen bewegte Bilder aktueller Kriege laufen. Manchem Besucher wird in diesem Pavillon schlagartig bewusst, dass er sich nicht an einer antiken Heldengedenkstätte befindet, sondern an einem Ort, an dem Tausende auf gleiche grausame Weise den Tod fanden, wie es noch heute, fast 2000 Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Wald, überall auf der Welt geschieht.

NZZ-Folio, Di., 2002.01.01



verknüpfte Bauwerke
Museum mit Park

01. November 2001Udo Weilacher
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Die Unnatur im Garten

Wer an einen schönen Garten denkt, denkt sicher nicht an Beton.

Wer an einen schönen Garten denkt, denkt sicher nicht an Beton.

«Wer an einen schönen Garten denkt, denkt sicher nicht an Beton. Im Gegenteil - das harte, graue, künstlich hergestellte Steinmaterial erscheint vielen Menschen als Inbegriff der „Unnatur“», hiess es unter der Überschrift «Beton macht den Garten wohnlich» in «Schöner Wohnen» 1967. Darin wurde ein radikal modern gestalteter Privatgarten in Aarau beschrieben, den der renommierte Zürcher Gartenarchitekt Ernst Cramer 1961 in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Josef Schmidlin erbaut hatte.

Die stilistische Vorliebe des Architekten für Werke von Frank Lloyd Wright und Richard Neutra dokumentiert sich in dem eleganten, einfach gehaltenen Einfamilienhaus, das er in moderner Flachbauweise in Beton errichtete. Auf dem Lageplan hat man zunächst Mühe, den orthogonal organisierten Hausgrundriss mit seinen fliessenden Raumkonstellationen vom Grundriss des Gartens zu unterscheiden. Haus und Garten bilden auf einer Fläche von nur gerade 900 m² bis heute eine untrennbare Einheit, die durch vielfältig gestaltete Raumsequenzen eine unerwartete Grosszügigkeit ausstrahlt.

Am nördlichen Eingang des Gebäudes unterstützte der Gartenarchitekt die Geschlossenheit der Fassaden mit einer Wacholderpflanzung, die den Zugang verengt. Eine geschnittene Hainbuchenhecke fasst die westliche Grundstücksgrenze, riegelt den südexponierten Garten aber nicht etwa hermetisch ab, sondern markiert präzise wie ein L-förmiger Paravent die Raumkante. Die südliche Raumbegrenzung des Gartens bildet dagegen eine freistehende, skulptural gestaltete Sichtschutzwand.

Aus einzeln angefertigten Sichtbetonstelen verschiedener rechteckiger Querschnitte setzte Cramer die etwa sechs Meter lange Wand zusammen. Durch die unterschiedlichen Vorsprünge der einzelnen Stelen sowie durch die breiten Fugen zwischen den Elementen ergibt sich ein reizvolles Schattenspiel, welches den räumlichen Abschluss eines atriumartigen Gartenraumes bildet, den Cramer mit einem einzigen, handverlesenen Trompetenbaum akzentuierte. Um die Tiefe des Raumes zu betonen, wurden quer zur Blickrichtung aus dem Esszimmer in unterschiedlichen Abständen zwei massive, etwa zwei Meter lange Sichtbetonblöcke gesetzt.

Ein vier Meter langer dritter Block befindet sich gegenüber dem Trompetenbaum als Sitzmöglichkeit im Inneren des dreiseitig umschlossenen Hofes. Der Bodenbelag dieser zentralen Aufenthaltsfläche besteht aus grossen, vor Ort gegossenen Betonplatten. In einige rechteckige Aussparungen wurden entweder dekorative Stauden gepflanzt oder im Sinne eines Trockengartens grosse Kieselsteine eingefüllt. Der kleine Gartenraum, errichtet mit minimalen Mitteln und einfachsten, rohen Materialien, wirkt wie ein abstraktes Bühnenbild.

Nach dem Prinzip der Überlagerung ergab sich aus dem Layout des Hausgrundrisses und des Gartenhofes das Format eines dreissig Quadratmeter grossen, unbepflanzten Wasserbassins an der Südwestfassade des Hauses. Es dient dem Kinderspiel und reflektiert bewegte Lichtspiegelungen an die Hauswand sowie in den angrenzenden Sitzplatz beim Wohnzimmer. Zugleich trennt die Wasserfläche den zentralen Rasenbereich vom überdachten Gartensitzplatz beim Haus, den man über eine einfache Brücke aus Beton erreicht. In die aufgeständerte Überdachung wurde eine etwa dreimal drei Meter grosse, unverglaste Öffnung geschnitten, die den Blick in den Himmel rahmt und ein quadratisches, dekorativ mit Blütenstauden bepflanztes Beet belichtet. Den gesamten L-förmigen Gartenraum begrenzt auf der Ostseite eine Reihe mit drei Platanen, die nach Cramers Konzept kastenförmig zu einem grünen Schirm geschnitten werden sollten. Hinter diesem Schirm befindet sich am Fusse einer kleinen Böschung der Platz zum Wäschetrocknen und der Sandkasten für die Kinder. Kreisrunde Stufen und Betonplatten führen hinunter in diesen zweckgebundenen Bereich des Gartens.

Ernst Cramer brach bereits zu Beginn der fünfziger Jahre mutig mit der traditionellen malerischen Gartengestaltung und fand seine Inspiration in der modernen Kunst und Architektur. Nach den erschütternden Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges schloss er sich der Suche des Schweizerischen Werkbundes nach der guten Form an und entwickelte die Vision, neue Gärten für den modernen Menschen zu schaffen. Der kleine Garten Schmidlin ist als einer der gelungensten Gärten aus dieser Phase bis heute erhalten geblieben, und es ist kein Zufall, dass er in Teilen noch heute den Charakter einer bewohnbaren, skulptural gestalteten Landschaft trägt: Auf der Suche nach Neuem war Cramer 1960 nach Brasilia gereist, verarbeitete in den folgenden Jahren seine Begeisterung für moderne Architektur und entwickelte einige seiner markantesten Elemente wie etwa den Reflection Pool oder die skulpturale Setzung kubischer Betonelemente in aufsehenerregenden Projekten konsequent weiter.

In der Schweizer Gartenarchitektur setzte der Zürcher vor allem durch seinen vorbehaltlosen Umgang mit Beton neue Massstäbe. Mit dem Garten in Aarau erbrachte er zudem den Beweis, dass es möglich ist, mit modernen Materialien und einer abstrakten Formensprache einen lebenswerten, architektonischen Garten zu schaffen, der nicht den bürgerlichen Klischeevorstellungen eines pittoresken Hausgartens entsprechen muss.Vielen Landschaftsarchitekten gilt Cramers Schaffen deshalb heute, wo das Dogma der einseitig ökologisch orientierten Gartengestaltung offenbar überwunden ist, wieder als besonders vorbildlich.


[Diesen Monat erscheint von Udo Weilacher der Band «Visionäre Gärten. Die modernen Landschaften von Ernst Cramer» im Birkhäuser Verlag, Basel. ISBN 3-7643-6567-6.]

NZZ-Folio, Do., 2001.11.01



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Privatgarten in Aarau

01. September 2001Udo Weilacher
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Bauminsel und Waldlichtung

Im London des 18. Jahrhunderts sowie in anderen Städten in England und Schottland zählten die Squares zu den wichtigsten öffentlichen Grünanlagen inmitten wohlhabender Stadtquartiere.

Im London des 18. Jahrhunderts sowie in anderen Städten in England und Schottland zählten die Squares zu den wichtigsten öffentlichen Grünanlagen inmitten wohlhabender Stadtquartiere.

Die schmucken Garteninseln entstanden bereits im späten 17. Jahrhundert und waren mit ausgewählten Baum- und Straucharten bepflanzt, die von den Anwohnern liebevoll gepflegt wurden. Diese repräsentative «grüne Mitte», eine Mischung aus Platz und Park, fand schon bald in Europa und Nordamerika Verbreitung und wird noch heute gerne als planerisches Vorbild für Quartierparks zitiert, so auch in der neuen, rasterartig angelegten «Expo-Siedlung» am 106 Meter hohen Kronsberg bei Hannover. Aber taugen die jahrhundertealten, auf Repräsentationszwecke angelegten Vorbilder tatsächlich noch für das 21. Jahrhundert?

Die Landschaftsarchitekten Irene Lohaus und Peter Carl aus Hannover bezogen sich 1996 bei ihrer Planung der neuen Quartierparks Nord und Mitte auf das englische Vorbild, weil sie die knapp 1 und 1,4 Hektaren grossen Flächen für Plätze als zu gross und für Parks zu klein erachteten. Zudem sollten die neuen Parks - genau wie die alten englischen Vorbilder - eine gewisse Intimität ausstrahlen und mit ihrem Eigencharakter den Anwohnern als identitätsstiftende Orte dienen. Zwei gegensätzliche Konzepte charakterisieren die beiden Anlagen. Eine grosse rundliche Waldlinse, eingelagert in eine steinerne, annähernd quadratische Platzfläche, kennzeichnet den Quartierpark Nord. Im Gegensatz dazu präsentiert sich der etwas grössere Quartierpark Mitte als Lichtung mit leicht verdrehtem quadratischem Grundriss, ausgestanzt aus einem dicht gepflanzten Hain aus Mehlbeerbäumen.

Was die Planungsaufgabe erschwerte, aber die realisierten Projekte umso spannender macht, ist die um fünf Prozent nach Westen geneigte Hanglage, in der beide Anlagen entstanden. Hier erweist sich die mit Kiefern und Rasen bepflanzte, 1,50 Meter hohe Erdlinse des mittleren Parks als intelligenter Kunstgriff. Anstatt die gesamte Fläche zwanghaft zu nivellieren, erzeugt der uhrglasförmig aufgewölbte Erdkörper eine Vielfalt unterschiedlicher Geländedispositionen und Nutzungsmöglichkeiten. Wo der Kiefernhain auf fast ebener Fläche stockt, wurde ein langes «Spielband» geschaffen, auf dessen Sandfläche die Kinder eine Sammlung gängiger Spielgeräte finden.

Auch der Platzfläche, die wegen der zentral eingefügten Rundform in den Eckbereichen zwangsläufig ein wenig zu grosszügig geraten ist, widmeten die Landschaftsarchitekten besondere Aufmerksamkeit. Dem Gefälle folgend, ist die spärlich mit Kleingehölzen und Ölweiden bepflanzte Fläche mit unterschiedlich breiten Bändern aus grossformatigen Betonplatten belegt, zwischen denen in Längsrichtung drei Zentimeter breite Grünfugen zur Regenwasserversickerung ausgebildet wurden.

Zuweilen schieben sich aus den Plattenbändern massive Betonbalken horizontal aus dem Hang und dienen vordergründig als Sitzmöglichkeiten. Vor allem aber akzentuieren sie die Topographie und hinterlassen breite Spuren aus Kalkschotter, in denen sich ebenso wie in den Grünfugen eine abwechslungsreiche Spontanvegetation eingefunden hat. Das Regenwasser wird am Hangfuss in Rigolen aufgefangen und anschliessend in einen unterirdischen Klangraum getropft. Im Unterschied zu diesem einfühlsamen akustischen Experiment am Westrand wirkt die östliche Platzbegrenzung, eine lange Corten-Stahl-Pergola, die mit Glyzinien berankt werden soll, eher modisch.

Die Begrenzung des Quartierparks Mitte mit einer geschnittenen Hainbuchenhecke ist zwar weniger aufsehenerregend, dafür umso überzeugender. Ebenso kraftvoll wirkt der Hain aus Mehlbeeren, die im engen Raster mit etwa vier Meter Abstand gepflanzt wurden. Das 1999 eingefügte Kunstwerk - «(4×) 28 Worte» - von Dieter Froelich, eine Serie von beschrifteten Steintafeln, die im Schatten des Hains verlegt wurden, tritt räumlich nicht in Erscheinung, aber akzentuiert den Ort unauffällig. Die Grenze zwischen dichtem Hain und zentraler Lichtung wird zusätzlich durch die Absenkung der inneren Rasenfläche um einen Meter verstärkt.

Über umlaufende Treppenstufen und fünf eingefügte Rampen gelangt man von der wassergebundenen Rahmenfläche in das Innere des Parks. Hier schaffen Stahlbänder entlang den Höhenlinien ebene, nutzbare Rasenterrassen, die mit einzelnen Zierapfelbäumen, Spielgeräten und mobilen Sitzgelegenheiten bestückt sind. In den Wettbewerbsentwurf für den Park hatte man am nördlichen Rand der Lichtung ursprünglich eine Kindertagesstätte integriert, die die gesamte Parkfläche mitbenutzen sollte. Diese Idee stiess jedoch nicht auf die Akzeptanz der verantwortlichen Behörden. Die Architekten Heerwagen Lohmann Uffelmann errichteten zwar eine schlichte zweigeschossige Kindertagesstätte am Nordwestrand der Lichtung, grenzten aber mit einem Zaun einen augenscheinlich besser kontrollierbaren Bereich für die Kinder ab, was der Grosszügigkeit der Gesamtkonzeption des Parks jedoch kaum Abbruch tut.

Anders als die englischen Squares sind die beiden Parks in Hannover-Kronsberg nicht nur hübsche grüne Oasen, sondern nutzbare städtische Freiräume. In ihnen begegnet man zwei der wichtigsten Archetypen in der Geschichte der Kulturlandschaft: Bauminsel und Waldlichtung. Die Kraft dieser Landschaftsarchetypen, gepaart mit einer qualitätvollen freiraumgestalterischen Sprache der heutigen Zeit, prägt die unverwechselbaren, fast poetischen Charaktere der beiden neuen Parks.

NZZ-Folio, Sa., 2001.09.01

01. Juli 2001Udo Weilacher
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Im Märchengarten

Stets ein wenig reserviert gegen modische Neuerungen aus dem benachbarten Ausland, entwickelten Gartenarchitekten aus Dänemark und eine schlichte, aber kraftvolle und elegante Formensprache.

Stets ein wenig reserviert gegen modische Neuerungen aus dem benachbarten Ausland, entwickelten Gartenarchitekten aus Dänemark und eine schlichte, aber kraftvolle und elegante Formensprache.

Stets ein wenig reserviert gegen modische Neuerungen aus dem benachbarten Ausland, entwickelten Gartenarchitekten aus Dänemark und Schweden wie Gundmund Nyeland Brandt und Carl Theodor Sørensen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine schlichte, aber kraftvolle und elegante Formensprache in Garten und Landschaft, die - ähnlich wie dänisches Design - als zeitlos modern gilt.

Die Natur spielte bei den Schöpfungen der grossen Gartenarchitekten des Nordens eine wichtige Rolle. Vor allem gegen die kräftigen Atlantikwinde, die über das sanft gewellte Jütland und die dänischen Inseln fegen, mussten von jeher mit freiwachsenden oder streng geschnittenen Hecken und Baumgruppen windgeschützte Räume geschaffen werden.

Fast könnte man glauben, der Wind habe die scharfen Ecken und Kanten in den bevorzugt geometrisch konstruierten Gartenplänen der Dänen vollends abgeschliffen und die bekannten stromlinienförmigen Figuren geformt. Wo der Seewind ungebremst angreifen kann, modelliert er tatsächlich bis heute die Silhouetten der Gehölzgruppen zu markanten, manchmal bizarren Gestalten, die wie ruhelose Geister die Landschaft und die Phantasie der Menschen bevölkern.

Das Fragment einer solchen windgeformten Hecke aus Mehlbeerbäumen blieb auch im parkartigen Garten des AMU-Berufsbildungszentrums in Holstebro erhalten und erzählt noch heute ein Stück ursprünglicher Landschaftsgeschichte, obwohl das Areal längst Teil eines ausgedehnten Gewerbegebietes geworden ist und mittlerweile durch einen Lärmschutzdamm von der angrenzenden Umfahrungsstrasse und der freien Landschaft abgeschirmt wird. 1994 erteilte man dem dänischen Landschaftsarchitekten und Poeten Torben Schønherr den Auftrag, den grossen Lärmschutzwall zu begrünen und zwischen den flachen Flügelbauten des neuen Ausbildungszentrums einen pflegeleichten Garten zu schaffen.

Die Bepflanzung des Lärmschutzwalls löste der Landschaftsarchitekt auf traditionell dänische Weise, indem er über den sanft modellierten Hügel eine präzise kniehoch geschnittene, dichte Matte aus Laubgehölzen legte, die mit ihren organisch geschnittenen Rändern von aussen in den Gartenraum hinein greift. Doch damit war der eigentliche Auftrag, einen bedeutungsvollen Ort zu schaffen, noch nicht erfüllt, denn in all seinen Projekten sucht Schønherr nach einer Kombination von Poesie und Garten. «Für mich bestehen Gedichte und Gärten aus dem gleichen Stoff - vom Nichts ins Nichts - und ich liebe diese Verbindung sehr.»

Für Aussenstehende hat es allerdings schon etwas Klischeehaftes an sich, dass der Däne auf seiner Suche nach poetischen Landschaftselementen ausgerechnet auf ein Motiv stiess, das nicht nur in Hans Christian Andersens Märchen, sondern auch in Johan Ludvig Heibergs romantischem dänischen Nationalschauspiel «Elverhøj» von 1828 eine zentrale Rolle spielt: den Elfenhügel, legendärer Sitz des Elfenkönigs mit seinem Gefolge.

In besonderen Nächten, so heisst es, schwebt der Hügel auf Feuersäulen in die Höhe und erlaubt dem Sterblichen einen verlockenden, zuweilen aber verhängnisvollen Blick ins Reich der Elfen, denn wer dieses betritt, kehrt nie wieder zurück. Tatsächlich begegnet man in der dänischen Kulturlandschaft immer wieder oft meterhohen Erdhügeln. Um diese Megalithgräber aus der Frühgeschichte ranken sich zahlreiche Märchen und Legenden.

In Holstebro hat Torben Schønherr einen fünf Meter hohen, exakt geometrisch konstruierten Erdhügel mit einem Durchmesser von 30 Metern erschaffen. Er überzog die archetypische Formation mit einer Rasenhaut und teilte die Erdskulptur mit einem messerscharfen, leicht geneigten Schnitt. Die Schnittfläche verkleidete er mit polierten rötlichen Granitplatten, die in der grünen Rasenlandschaft einen markanten Akzent setzen. Den Grundriss der zweiten Hälfte des Erdhügels markiert ein flacher Wasserspiegel, der über einen kurzen Wasserkanal von einer kleinen, streng gefassten Quelle gespeist wird.

Vor der rötlichen Wand des angeschnittenen Hügels steht in der Wasserfläche die mehrere Meter hohe rostige Cortenstahl-Skulptur des Bildhauers Erik Heide. Wie ein Wächter baut sich die Gestalt vor dem Betrachter auf und verwehrt ihm scheinbar den Eintritt ins Reich der Elfen. Inspiriert von diesem Bild, glaubt man fast, auch in der Reihe der knorrig windgeschliffenen Mehlbeerbäume menschliche Gestalten zu erkennen, die dem Kommando des Wächters gehorchen.

«Die universelle Sekunde» lautet der Titel des Landschaftsprojekts, mit dem Schønherr mitten im sonst so funktional gestalteten Gewerbegebiet auf formal kraftvolle und dennoch fast spielerisch einfache Weise etwas über den Ursprung der Erde und den anfänglichen Stillstand der Zeit ausdrücken will. Erik Heides Skulptur, so beschreibt es ein Begleittext, stehe als Symbol für den Menschen, denn nur der Mensch sei in der Lage, das Konzept des Universellen zu formulieren.
Die archaische Formensprache, der sich der Gestalter im Garten bediente, die unbändige Kraft alter Legenden und der unwiderstehliche Reiz von Hans Christian Andersens Märchen verlocken den Betrachter aber fast zwangsläufig zu ganz anderen Lesarten, und es ist fast so wie beim verbotenen Blick in den erleuchteten Elfenhügel bei Nacht: Weh dem, der sich darin verliert!

NZZ-Folio, So., 2001.07.01



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„Die universelle Sekunde“

01. Mai 2001Udo Weilacher
NZZ-Folio

Blitzschlag im Paradiesgarten

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren.

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren.

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren. Der Architekt hatte nämlich neben dem barocken Bauwerk des Berliner Stadtmuseums ein unsichtbares, komplexes und zugleich zerrüttetes Beziehungsgeflecht zwischen deutscher und jüdischer Geschichte aufgespürt, das er in ein zehnfach gefaltetes, mit Zinkblech ummanteltes und aufgeschlitztes skulpturales Bauwerk übersetzte.

Die Matrix, die dem Entwurf des zeichenhaften Gebäudes zugrunde liegt, führte auch zu einer bemerkenswerten Gartengestaltung, die trotz ihren Qualitäten viel weniger öffentliche Aufmerksamkeit erregte als der eindrucksvolle Museumsbau, der im September 2001 mit einer Dauerausstellung eröffnet werden soll.

Bereits im Lageplan von Haus und Garten tauchen eine Reihe von Verbindungslinien auf, die der Architekt zwischen den Berliner Wirkungsstätten berühmter Schriftsteller, Künstler, Musiker, Poeten und Wissenschafter aufspannte, die sich in der Geschichte um die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und deutscher Kultur verdient machten. Während die Bezugslinien zu Walter Benjamin, Arnold Schönberg oder Max Liebermann auf subtile Weise die Gestaltung des Bauwerkes prägen, tauchen sie im Garten als Pflaster- und Plattenbänder, Baumreihen und Wegverbindungen auf oder trennen Flächen unterschiedlicher Beläge voneinander.

Abstraktionsvermögen wird vom Betrachter sowohl im Museum als auch im Garten gefordert, wenn er mit «voids», mit Leerräumen, konfrontiert wird, die an die Vernichtung jüdischen Lebens und an den damit verbundenen kulturellen Verlust erinnern. Bedrückende Leere und spärliche Beleuchtung charakterisieren die Innenräume - sie übertreffen in ihrer Wirkung bei weitem die «voids» im Garten, interpretiert als geometrisch geformte und versprengt angeordnete Kiesfelder.

Anders als im Innenraum fällt es im Aussenraum schwer, alltägliche Gestaltungselemente mit inhaltlicher Bedeutung und atmosphärischer Spannung aufzuladen. So wird im Garten offenkundig, wie diffizil es ist, auf den tieferen Sinngehalt des Alltäglichen hinzuweisen und die Welt ausserhalb des Gartens, wo Pflastersteine scheinbar nichts als Strassenbelag und Schienenstränge vermeintlich nur Eisenbahngeleise sind, zwanglos mit einzubeziehen.

In einem nahe gelegenen Robinienwäldchen, das spontan auf Trümmerschutt entstand, haben sich die Landschaftsarchitekten zu einer ostentativ mythologischen Deutung des Vorgefundenen entschlossen und führen eine steinerne Wasserrinne in Schlangenform zwischen den Bäumen hindurch.

Von der «Umkehrung des Paradiesgedankens» ist im Erläuterungstext die Rede. «Auch Brachland und Wildkräuter sind heute wertvolle Wildnis», lautet die Erklärung, und so wird spontane Natur in der Stadt zum neuen Paradies erklärt. Die ungeheure Präsenz des metallischen Blitzes und der Gedanke an die darin verarbeitete Tragödie eines ganzen Volkes lässt jedoch kaum den unbeschwerten Genuss arkadischer Restflächenromantik zu.

Besonders einprägsam sind die Garten- und Platzräume dort, wo sich Inhalt, Form und Raum zu bedeutsamen Orten verdichten, wie im Paul-Celan-Hof oder im E.T.A.-Hoffmann-Garten, beide vom Architekten entworfen. Das bizarre Muster des Bodenbelages im Paul-Celan-Hof besteht aus Schiefer-, Basalt-, Granit- und Marmorfragmenten und wurde nach einer Grafik von Gisèle Lestrange Celan, der Frau des jüdischen Dichters, gestaltet.

Auf drei Seiten umschliessen die hohen Aussenmauern des Museums den Hof und erzeugen ein Gefühl der Enge, wie es in den typischen Berliner Höfen herrscht. Dieses Gefühl und das zersplitterte Gefüge der Bodengrafik, deren unterschiedliche Grautöne vom matten Zinkblech der Fassaden reflektiert werden, verstärken die Empfindungen von Ausweglosigkeit und Zerrissenheit. Diese lösen sich erst, wenn man den schmalen Durchbruch im Gebäude entdeckt und auf der anderen Seite in den Garten gelangt. Dort empfängt den Besucher eine Paulownia, ein Blauglockenbaum, den Paul Celan offenbar besonders schätzte.

Den zentralen Blickfang im Hauptteil der Anlage bildet der E.T.A.-Hoffmann-Garten, der untrennbar mit dem zentralen Erschliessungssystem des Gebäudes verbunden ist. Folgt man nämlich im Museum der zweiten von insgesamt drei programmatischen «Strassen», dann gelangt man in diesen abstrakten Garten, eigentlich ein im Raster angelegter «Hain» aus 49 Betonsäulen. Jede von ihnen ist mit Ölweiden bepflanzt, die gemeinsam in sechs Meter Höhe das Laubdach des versteinerten Waldes bilden. Für Libeskind steht dieser für das Exil und die Emigration der Juden aus Deutschland.

Zwar vermittelt die Zahlensymbolik, die sich hinter den 7 mal 7 Säulen verbirgt, eine tiefe Verwurzelung des fremdartigen Gartens in der jüdischen Kultur, doch ein Gefühl der Sicherheit kann sich in der erdrückenden Enge und Starrheit der Säulen nicht einstellen. Zudem sind die Grundfläche der ummauerten Anlage und damit auch die 49 Säulen um 10 Prozent aus der Waagerechten geneigt, was die Verunsicherung noch erheblich verstärkt.

In diesem Gesamtkunstwerk aus Architektur und Garten sind Poesie und Schrecken so untrennbar miteinander verbunden wie in Vergangenheit und Gegenwart des Judentums.

NZZ-Folio, Di., 2001.05.01



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Jüdisches Museum

01. März 2001Udo Weilacher
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Fragmente der Gartengeschichte

Vor fünf Jahren wurde das französische Städtchen Terrasson-la-Villedieu im Périgord, malerisch im Tal der Vézère gelegen, mit einer neuen Attraktion ins Licht des touristischen Interesses gerückt. «Les jardins de l'imaginaire», entworfen von Kathryn Gustafson, zählen laut regionalem Tourismusverband neben drei klassischen Gärten zu den «quatre jardins exceptionnels en Dordogne».

Vor fünf Jahren wurde das französische Städtchen Terrasson-la-Villedieu im Périgord, malerisch im Tal der Vézère gelegen, mit einer neuen Attraktion ins Licht des touristischen Interesses gerückt. «Les jardins de l'imaginaire», entworfen von Kathryn Gustafson, zählen laut regionalem Tourismusverband neben drei klassischen Gärten zu den «quatre jardins exceptionnels en Dordogne».

Die amerikanische Landschaftsarchitektin bediente sich bei der Konzeption des sechs Hektaren grossen Parks aus dem reichen Gartenrepertoire früherer Jahrhunderte, und das hat seinen Grund: Als Terrasson zu Beginn der neunziger Jahre den Wettbewerb für einen Landschaftspark in Hanglage oberhalb der Stadt auslobte, hatten die Initiatoren einen Garten vor Augen, der die Finesse berühmter italienischer Renaissancegärten mit der Grandezza legendärer französischer Barockanlagen und der zeitlosen Eleganz japanischer Meditationsgärten verbinden sollte.

Bereits im Wettbewerbsplan mit seinen eleganten, wie im textilen Faltenwurf fliessenden Grundformen wurde deutlich, dass Gustafson nicht historische Einzelmotive seriell aneinanderreihen wollte. Sie entwarf vielmehr eine Art Gesamtkunstwerk, das sie in die teilweise skulptural modellierte Topographie einbettete. Den Steilhang liess sie mit sanft gewellten Terrassen überziehen und diese monochrom mit Stauden und Gräsern bepflanzen. Von weitem erinnert das Relief an die Spuren eines Pfluges und somit an die ehemalige landwirtschaftliche Nutzung des Terrains.

Wie ein erzählerischer Faden zieht sich der Hauptweg durch einen Eichenwald und offene Wiesenflächen den Hang hinauf. Ein Potpourri designerischer Accessoires, vom goldenen Ariadnefaden «Fil d'or» in den Bäumen bis zu grossen Windspielen entlang der «Axe des vents» oder Glöckchen in den Eichen des «Bois sacré», soll die Bedeutung der Garten- und Bildsequenzen unterstreichen.

Wasser - das Lebenselixier eines jeden Gartens - spielt im gesamten Park eine tragende Rolle und erzählt Geschichten aus allen Epochen der Gartenkunst. Mal füllt es eine scheinbar endlose, barock anmutende Wasserachse, dann wieder - am südlichsten Punkt des Parks - belebt es einen Wassergarten, der an die klassischen Renaissancegärten erinnert, in denen der Wasserlauf als Sinnbild des Lebens im Mittelpunkt stand.

Während im historischen Vorbild das lebenspendende Element bevorzugt in einer geheimnisvollen Quellgrotte entsprang, beginnt der Fluss in den Jardins de l'imaginaire irgendwo am Waldrand und fliesst über eine architektonisch gestaltete Wassertreppe zwischen blauen Duft- und Blütensträuchern hinunter in den «Fôret des jets». Hier schiesst aus einem gepflasterten Tableau ein ganzer Wald aus Wasserfontänen in die Höhe; ein zauberhaftes Motiv, das vor allem in den manieristischen Gärten der Renaissance meisterhaft in Szene gesetzt wurde.

In den berühmten Gärten des 16. und 17. Jahrhunderts fand der Lauf des Wassers sein Ende meist in einem prachtvollen Wasserparterre oder in einem grossen ruhigen Wasserspiegel, der das Meer und zugleich das Ende des Lebensweges versinnbildlichte. In Gustafsons Garten endet der Lauf unvermittelt in einem Rückhaltebecken aus Beton auf der untersten Gartenterrasse. Nur wenige Schritte weiter gelangt man zur stählernen Pergola der «Roseraie», einem von Rosen umrankten Raum auf etwa tausend Quadratmetern Grundfläche. Auch diese Struktur ist der Topographie angepasst und wirkt von weitem wie ein fliegender Blütenteppich, unter dem die Besucher den duftenden Schatten geniessen können.

Noch einmal taucht das Motiv des Flusslaufes auf, diesmal jedoch auch für jene lesbar, die in der Gartenkunstgeschichte weniger bewandert sind. Den fünf grossen Strömen der Erde, Euphrat, Nil, Ganges, Mississippi und Amazonas, widmet die Landschaftsarchitektin je einen kleinen Brunnen, aufgereiht entlang des Weges durch den «Bois sacré». In fünf Steinplatten wurde jeweils das Delta eines Flusses eingraviert. Ein wenig Wasser rinnt auch hier durch die Gravuren und belebt die verästelte Grafik.

Verblüfft erkennt man am Hang des Parks schon von weitem einen zu Eis erstarrten, halbmondförmigen Stausee. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um das weitgespannte Glasdach des Wintergartens, der vom Architekten Ian Ritchie stammt. Würden nicht Wasserkanal und Geländer vom Betreten des Daches abhalten, wäre die Illusion perfekt. Die massiven Wände des Bauwerks wurden aus Gabionen errichtet, die einerseits an das traditionelle Trockenmauerwerk in terrassierten Rebhängen erinnern und den Bau zugleich wie einen gewaltigen Findling wirken lassen.

Sein massiges Äusseres steht in reizvollem Kontrast zum lichtdurchfluteten Inneren der Orangerie, in der Zitrusgewächse ihren Duft verströmen. Zugleich soll das Gebäude einen Buchladen, ein Café und einen Ausstellungsraum integrieren. Die Form des Dachs spiegelt sich oberhalb des Gebäudes im «Théâtre de verdure», dem Freilichttheater, das als halbmondförmige Lichtung in den Hang modelliert und mit einfachen, elegant geschwungenen Bänken aus schwarz lackiertem Stahl möbliert wurde.

«Die Gärten der Welt lassen sich nicht kaufen. Aber erklären können wir sie», sagt Kathryn Gustafson über ihren ehrgeizigen Entwurf. Doch am Ende erklären die Jardins de l'Imaginaire nur sich selbst. Der Rest bleibt Imagination, und das ist gut so.

NZZ-Folio, Do., 2001.03.01



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„Les jardins de l'imaginaire“

01. Januar 2001Udo Weilacher
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Fugen im Panoramablick

Für die alpenländische Bergwelt hätte man den Kieler Philosophieprofessor und Gartentheoretiker Christian Cay Laurenz Hirschfeld kaum begeistern können....

Für die alpenländische Bergwelt hätte man den Kieler Philosophieprofessor und Gartentheoretiker Christian Cay Laurenz Hirschfeld kaum begeistern können....

Für die alpenländische Bergwelt hätte man den Kieler Philosophieprofessor und Gartentheoretiker Christian Cay Laurenz Hirschfeld kaum begeistern können. «Wenn die Natur ein Land gebildet hat, das mit einer erstaunlichen Grösse und Mannigfaltigkeit heroischer Gegenstände eine vorzügliche Annehmlichkeit der Aussichten vereinigt, so ist es die Schweiz», schrieb der Verfasser der «Theorie der Gartenkunst» 1779. «Ich rede nicht von den wilden Gegenden, wo die Natur nichts als ihre Schrecknisse und Schauer gehäuft hat, sondern von den milden Strichen, die von dem Anblick jener fürchterlichen Gebirge entweder entlegen sind oder nur in der Ferne ihre schimmernden Gipfel sich erheben und vom äussersten Horizont her eine gewisse feierliche Majestät verbreiten sehen.»

Hirschfeld ahnte nicht, dass kaum 50 Jahre nach Erscheinen seines Standardwerks eine romantische Naturbegeisterung am Erhabenen die Menschen massenhaft in die Berge treiben und die rasante Entwicklung des Alpentourismus in Gang setzen würde. Diesem Ansturm fiel vielerorts nicht nur der Landschaftscharakter zum Opfer, sondern auch die Sensibilität des Menschen für die unterschiedlichen Qualitäten der Natur.

Der Tessiner Landschaftsarchitekt Paolo Bürgi verfolgt mit einem ungewöhnlichen Landschaftsprojekt auf der Cardada bei Locarno das ehrgeizige Ziel, unsere verkümmerte Wahrnehmung wieder zu schärfen. Den Anlass zum Projekt bot der Neubau der Luftseilbahn von Orselina zur Cardada. Bereits 1952 wurde die erste Seilbahn auf dieser Strecke in Betrieb genommen. Nach mehrfacher Erhöhung der Transportkapazität beschloss man 1996, die Anlage komplett zu erneuern, und erteilte dem Tessiner Architekten Mario Botta den Auftrag für das Grossprojekt.

Im Juni 2000 wurde die neue Bahn offiziell eingeweiht und schafft seither noch effizienter die Menschen auf 1340 Meter Höhe. Dort erwartet die Besucher nicht nur das übliche Programm aus Wintersporteinrichtungen, Gastronomie, Spazier- und Wanderwegen. Paolo Bürgi stellte sich die Frage, wie er die Sensibilität der Besucher steigern könne, ohne einfach nur weitere Attraktionen zu liefern. Er schuf deshalb ein Ensemble aus einem Spielspazierweg, einem Aussichtssteg, einer geologischen Beobachtungsstation und einem musikalischen Wald.

Beim Verlassen der futuristisch anmutenden Bergstation betritt man unvermutet einen streng gestalteten Teppich aus Granit. Die grossformatigen Platten, ein traditionelles Baumaterial in Tessiner Gärten, sind in einem präzisen Fischgrätenmuster ausgelegt, dessen Rasenfugen sich zur Hangkante hin immer mehr verbreitern. Aus einem einzigen Baumstamm liess Bürgi einen schlichten Brunnen schneiden, dessen kantige Grundform auf die strenge Einfachheit des Bodenbelags reagiert. Den Abschluss des attraktiven Teppichs bildet eine lange, breite Holzbank, deren Grundform ebenso winklig geometrisch ist wie die des Plattenbelages. Die abgewinkelte Form deutet die Teilung des Weges an. Nach links führt er in Richtung «Promontorio paesaggistico».

Nach wenigen hundert Metern verbreitert sich der Weg zu einem geometrisch geformten Platz. Er bildet das Widerlager für einen langen schmalen Steg aus Stahl, der durch die Wipfel der Fichten ragt. Auf Granitplatten führt der Weg ins Licht. Kleine Zeichen im Plattenbelag des Stegs begleiten den Besucher, bis er unter den eleganten Pylonen hindurch das trichterartig verbreiterte Ende des Stegs erreicht. Die Aussicht über den Lago Maggiore im Tal ist überwältigend.

Kleine Erläuterungstafeln an der Brüstung erklären die rätselhaften Symbole, die einem auf dem Weg begegnen, und erzählen von der Entstehung des Lebens. Wem das zu didaktisch ist, der geniesst einfach nur die Aussicht oder hört auf das Lachen der Kinder, die sich auf dem Spielspazierweg vergnügen. Dieser kreuzt unterhalb des Steges den
bewaldeten Hang und ist mit Spielgeräten bestückt, die die Sinne der Kinder ansprechen sollen.

Wer den Gipfel der Cimetta erreicht, gelangt in 1670 Meter Höhe zum «Osservatorio geologico», der wohl interessantesten landschaftlichen Intervention in Bürgis Konzeption. Hier hat der Landschaftsarchitekt eine grosse, kreisrunde Plattform eingelassen, in die sich die Felsbänder seitlich hineinfressen. Der Fels wird durch diesen einfachen Eingriff aus seiner Umgebung hervorgehoben und wirkt fast skulptural: bizarre Fundstücke auf einem randlosen Präsentierteller.

Die Oberfläche der Plattform ist mit einem feinen, grauen Sandbelag in zwei unterschiedliche Helligkeitsstufen unterteilt. Eine rote Linie trennt die beiden Kreissegmente, auf denen polierte Gesteinsproben aufgereiht sind, die sich in ihrer Anzahl und Färbung voneinander unterscheiden. Die Linie symbolisiert die insubrische Linie, auch periadriatische Naht genannt. Sie bezeichnet die grosse südliche Alpenlängstalung, eine Art geologische Trennungsfuge, die vor etwa zweihundert Millionen Jahren zwischen den Zentral- und den Südalpen entstand. Dort treffen jene unterschiedlichen Gesteine aufeinander, von denen Proben auf der Observationsplattform präsentiert werden.

Paolo Bürgi offenbart eine unsichtbare Dimension der grandiosen Alpenlandschaft, die sich der Ausbeutung durch den Tourismus nach wie vor entzieht: die Zeit. Auch an diesem, durch seine archaische Form fast meditativ anmutenden Ort wird der Besucher mit seinen Gedanken nicht alleine gelassen. Bürgi bedient sich des traditionellen Alpenpanoramas: Kleine Informationstafeln an der Brüstung liefern geologische Informationen. Jene, die nicht wie gewohnt nach raschem Informationskonsum den Berg wieder verlassen, haben hier die Chance, dem Wesen der Landschaft tatsächlich ein Stückchen näher zu kommen.

NZZ-Folio, Mo., 2001.01.01

01. November 2000Udo Weilacher
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Der Eisberg im Fliedermeer

Wenn die Kreppmyrte in heissen Sommern ihrem Ruf als «Flieder des Südens» alle Ehre macht und mehr als 50 Lagerstroemia indica über der Place du Général-Leclerc...

Wenn die Kreppmyrte in heissen Sommern ihrem Ruf als «Flieder des Südens» alle Ehre macht und mehr als 50 Lagerstroemia indica über der Place du Général-Leclerc...

Wenn die Kreppmyrte in heissen Sommern ihrem Ruf als «Flieder des Südens» alle Ehre macht und mehr als 50 Lagerstroemia indica über der Place du Général-Leclerc ihr violett-rosa Blütendach aufspannen, vergisst man fast, dass man sich auf dem Bahnhofsplatz in Tours befindet. Im Zentrum des Platzes rauscht Wasser, der Klangteppich überlagert den Lärm der Autos, die nicht nur den Platz umkreisen, sondern auch unter ihm geparkt werden. Lässt man sich auf einer der vielen Bänke im Schatten der kleinen, malerischen Blütenbäume nieder, dann blendet der dichte, etwa eineinhalb Meter hohe Heckenrahmen aus streng geschnittenen Eiben an den Rändern des Platzes den umgebenden Strassenverkehr auch visuell aus.

Selbst die Lüftungsschächte der Tiefgarage verschwinden im Grün der Eiben. Die Illusion eines Fliedergartens mitten in der Stadt könnte perfekt sein, wenn sich am Boden ein Teppich aus Gräsern oder Stauden ausbreiten würde. Statt dessen wachsen die kleinen knorrigen Baumstämme mit ihrer glatten grauen Borke aus einer homogenen Granitfläche, und diagonal durch den rasterförmig gepflanzten Hain zieht sich eine breite Schneise, die sich zwischen den zwei grossen städtebaulichen Brennpunkten aufspannt: dem alten, stattlichen Bahnhofsgebäude im Süden und dem futuristischen, stromlinienförmigen Kongressgebäude Le Vinci im Norden.

Ihre Neugestaltung verdankt die Place du Général-Leclerc einem Architekturwettbewerb zum Bau des neuen Centre international des Congrès Le Vinci und einer Tiefgarage unter dem angrenzenden Platz aus dem Jahr 1989. Der junge französische Landschaftsarchitekt Yves Brunier war ein Mitarbeiter im erfolgreichen Wettbewerbsteam von Jean Nouvel und entwickelte die neue, urbane Identität des Platzes. Nachdem Nouvel den Wettbewerb gewonnen hatte und mit dem Bau des Kongressgebäudes beauftragt worden war, beschloss die Stadt, die Platzgestaltung als gesonderten Auftrag an Yves Brunier und seine Partnerin, die Landschaftsarchitektin Isabell Auricoste, zu vergeben. Nach drei Jahren Planungs- und Bauzeit wurde das bemerkenswerte Projekt 1992 fertiggestellt, zu spät für Yves Brunier: er starb 1991 im Alter von 29 Jahren an Aids.

Brunier, der nach seinem Studium in Paris zunächst bei Rem Koolhaas arbeitete und in dessen Büro OMA seine Blitzkarriere begann, suchte nicht nach harmonischen Naturbildern in der Stadt. Er kultivierte in seinen Entwürfen vielmehr eine schöpferische Strategie, in der das scheinbar Widersprüchliche des urbanen Alltags, die Brüche zwischen Natur und Kultur zu neuen Sinnzusammenhängen verschmolzen. Nirgendwo kam diese Methode deutlicher zum Ausdruck als in Bruniers künstlerischen Bildcollagen, mit denen er den Charakter seiner geplanten landschaftsarchitektonischen Interventionen treffsicher ausdrückte.

Analog zu seinen Collagen setzten sich seine Projekte konzeptionell meist aus Fragmenten unterschiedlicher Bilder, Situationen oder Ideen zusammen, die er zu erfrischend unkonventionellen Kompositionen verband, ohne dass die Einzelelemente ihre Identität verloren. Bruniers Arbeiten spiegelten damit eine Zerrissenheit und einen Schwebezustand wieder, die nicht nur für sein Leben prägend waren, sondern auch das aktuelle Lebensgefühl der modernen Gesellschaft charakterisieren.

Die Place du Général-Leclerc ist sowohl Vexierbild als auch Collage. In einer rasterförmigen Grundstruktur sind von den Bäumen bis zu den Bänken alle Elemente fest im flächendeckenden Granitbelag verankert. Auch der direkte seitliche Verbindungsweg zwischen dem Bahnhof und dem nahe gelegenen Park ist durch eine Eibenhecke vom eigentlichen Platz getrennt und mit linear aufgereihten Magnolien gesäumt. Zum Hybrid zwischen öffentlichem Platz und Garten wird die Anlage erst durch die Kombination zwischen kontrollierter urbaner Härte und verschwenderischer Blütenpracht.

Beim zentralen Gestaltungselement, dem Brunnen, kommt hingegen deutlich das Collagenhafte des Projektes zum Ausdruck. In die diagonale Schneise, eingespannt zwischen den gläsernen Fassaden des Kongressgebäudes und des Kopfbahnhofes, setzte Brunier einen grossen, etwa 23 Meter langen Brunnen, dessen mandelförmiger Grundriss im Plan wie ein eigenwilliger, aus der Ordnung ausscherender Fremdkörper wirkt.

Der Brunnen ist zugleich eine grosse Lichtöffnung für die unterirdische Parkgarage. Über dieser Öffnung liegt ein imposanter bläulich-grünlicher Glaskörper, der wie ein umgekippter Schiffsrumpf das Oberlicht schliesst. Aus einer ganzen Batterie von Düsen spritzen kräftige Wasserstrahlen rundum auf den Glaskörper, spülen und kühlen ihn. Aus der Tiefgarage betrachtet, entsteht fast der Eindruck, ein Fluss ströme über das Dach hinweg. Ein imposantes Schauspiel, wäre da nicht die allzu massive Tragkonstruktion des Glaskörpers, die die Wirkung erheblich beeinträchtigt.

«Glacis d'eau», vermerkte Yves Brunier unter seiner Aquarellskizze zum Projekt und wünschte sich einen grossen Eisberg mitten im Platz. Die eisige Farbe des Glaskörpers, die kühle Luft und das kräftige Rauschen bestimmen die Atmosphäre, verstärkt durch den Kontrast zwischen Heiss und Kalt: Mitten im rötlichen Blütenmeer der sonnenhungrigen Lagerstroemia scheint der bläuliche Brunnen noch eisiger, und im Hintergrund der Gischt wirkt Jean Nouvels Bauwerk plötzlich wie die Brücke eines Ozeandampfers, der sich in den Platz schiebt.

Nachts prägt eine sanfte, indirekte Lichtführung den fliessenden Charakter der Place du Général-Leclerc. Dann wird der Eisberg von innen beleuchtet und liegt wie ein schweres fluoreszierendes Ungetüm mitten im Platz. Nur die bunten Neonreklamen über den Baumkronen signalisieren das pulsierende nächtliche Leben der Stadt.

NZZ-Folio, Mi., 2000.11.01



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Place du Général-Leclerc

01. September 2000Udo Weilacher
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Garten in abstrakter Faltung

Die Szenerie ist surrealistisch: fast traumwandlerisch bewegt sich das Publikum durch ein landschaftsarchitektonisch konzipiertes, fast fünf Hektaren grosses...

Die Szenerie ist surrealistisch: fast traumwandlerisch bewegt sich das Publikum durch ein landschaftsarchitektonisch konzipiertes, fast fünf Hektaren grosses...

Die Szenerie ist surrealistisch: fast traumwandlerisch bewegt sich das Publikum durch ein landschaftsarchitektonisch konzipiertes, fast fünf Hektaren grosses Bühnenbild aus langgestreckten, bis zu acht Meter Rasenpyramiden. Aus Zuschauern werden Protagonisten, die in geometrisch geformten Erdfaltungen verschwinden, Stufenpyramiden erkunden oder den Schatten kleiner Baumgruppen geniessen, um in Ruhe die bewegte Verdoppelung der abstrakten Szene auf dem Wasserspiegel des Waldweihers zu beobachten. Über allem liegt der Klangteppich des 21. Jahrhunderts: sphärische Musik, das Geplauder der Besucher und zuweilen die heulenden Turbinen eines startenden Flugzeugs.

«Sie bringen eine vollkommen neue Landschaft, Sie erzeugen ein Raumgefühl, das ich bisher unter freiem Himmel noch nie empfunden habe. Sie beweisen, dass mit klugem Geist und genauer Handhabe des Handwerkes mit dem kostbaren Material Erde nicht unbedingt so geschaffen werden muss, wie dies die Kräfte der Naturelemente tun. Sie schaffen nicht die Imitation einer natürlichen Gegebenheit, sondern Sie erzeugen ein Werk, wie wir abstrakten Maler und Bildhauer dies mit konkreten Mitteln seit Jahren versuchen.» Dieser begeisterte Brief von Hans Fischli hätte dem «Berggarten» an der Internationalen Gartenschau 2000 in Graz gelten können. Doch der damalige Direktor der Kunstgewerbeschule Zürich würdigte 1959 ein kongeniales Werk des Zürcher Gartenarchitekten Ernst Cramer an der Ersten Schweizerischen Gartenbau-Ausstellung im Zürichhorn.

Der temporäre «Garten des Poeten» an der G/59, eine abstrakte Komposition aus vier Rasenpyramiden, einem gestuften Erdkegel und einem flachen, rechteckigen Wasserspiegel mit einer Eisenplastik von Bernhard Luginbühl, gilt als Vorläufer des «Berggartens» von Kienast Vogt und Partner. Ernst Cramer war mit den kultur- und gartenhistorischen Vorbildern seiner Erdbauwerke, den altägyptischen Pyramiden und den Tumili des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau vertraut. Während sich die Pückler-Pyramiden in Form und Funktion noch eng an die altägyptischen Grabbauten anlehnten, bestand sein Garten aus pyramidalen Formen mit drei ungleichen Seitenflächen, die als zweckfreie Kunstbauwerke verstanden werden sollten. Cramers primäres Interesse galt der Entwicklung einer modernen gestalterischen Sprache im Garten, und dieses radikale Werk wurde 1964 vom Museum of Modern Art in New York als Pionierleistung moderner Gartenarchitektur gewürdigt.

Kienast schätzte Cramers moderne, visionäre Landschaften und entwickelte dessen radikale Gestaltungsansätze konsequent weiter. 40 Jahre nach der G/59 konnte Kienast zusätzlich von der Kenntnis der Land Art profitieren, die Ende der sechziger Jahre mit spektakulären «Earthworks» in den amerikanischen Wüstengebieten Furore gemacht hatte. Waren Cramers Erdkörper noch freistehende Einzelbauwerke, wurde in Graz aus 29 000 Kubikmetern Erdmasse eine artifizielle, begehbare Bodenskulptur geschaffen. Ein etwa fünf Meter hoher, steiler Rasenwall umgrenzt den «Hortus conclusus» wie eine Klostermauer, in die mit Sichtbetonscheiben zwei markante Öffnungen geschnitten wurden. Zwischen den 26 grossen Erdformationen, die von geometrisch geschnittenen Wegen durchquert werden, finden sich Reste einer monotonen Fichtenkultur, die bereits existierte. Anstatt den ökologisch minderwertigen Bewuchs einfach zu roden, wurden Lichtungen geschaffen und die Bäume aufgeastet. Durch den schattigen Filter der schlanken Fichtenstämme betrachtet, kommen die sonnigen Hänge der Pyramiden besonders zur Geltung. Grosse Einzelbäume, teilweise neu gepflanzt, viele bereits vorhanden, bilden die natürliche Staffage des nördlichen Gartenbereiches und akzentuieren die verschiedenen Raumsequenzen. Der Dialog zwischen architektonischer Grundkonzeption und Natürlichkeit, der schon fast zum Stilmerkmal der Projekte von Kienast Vogt und Partner geworden ist, kommt auch am Waldweiher zustande. Er wurde in eine geometrische Grundform gefügt, ist zugleich Reflexionsbecken und Lebensraum und ergänzt das Vexierbild aus Kunst und Natur. Zwei Pyramiden, deren abgetreppte Seitenflächen als Sitztribüne für Besucher ausgebildet wurden, bieten einen Ausblick über die futuristische Landschaft.

Um die Lust der Gartenschaubesucher auf Duft und Farbe zu stillen und um eine Monotonie der Rasenlandschaft zu vermeiden, bepflanzten die Landschaftsarchitekten einzelne Pyramidenflächen einheitlich mit jeweils unterschiedlichen Sträuchern, Blüten- und Blattschmuckstauden. Blausterne, Lavendel, Frauenmantel, Efeu und Zwergbambus, teilweise in Mustern gesetzt, sollen das Jahr über für unterschiedlichste Blühereignisse sorgen. An anderer Stelle entstand aus grossen bruchrauhen Kalkblöcken eine fast 1000 Quadratmeter grosse, leicht geneigte Fläche, auf der viele trockenheitsresistente und wärmeliebende Pflanzen ihren bevorzugten Standort gefunden haben. Die traditionelle Form des Alpinums fand so zu einer zeitgemässen Interpretation.

Anders als der «Garten des Poeten» wird der «Berggarten» nach dem Ende der Ausstellung als öffentliche Parkanlage erhalten bleiben. In einer Streitschrift gegen die weit verbreitete gestalterische Geschwätzigkeit der Gartenschauen wünschte sich Dieter Kienast «alltägliche, sinnliche, stimmungsvolle, grüne und farbige, grosse und kleine, helle und dunkle, offene und geschlossene, geordnete und wilde Gärten voller Poesie». In Graz hat er sich diesen Wunsch erfüllt.

NZZ-Folio, Fr., 2000.09.01

01. Juli 2000Udo Weilacher
NZZ-Folio

Weisse Erinnerung auf grünem Grund

Die klare, geometrische Formensprache des israelischen Künstlers Dani Karavan wird gerne mit dem Kunstverständnis der Renaissance verglichen. Strahlend weisse Betonskulpturen, meist in Form wohlproportionierter platonischer Körper, eindrucksvoll im Kontext von Stadt und Landschaft in Szene gesetzt, haben dem fast 70-jährigen Bildhauer zu internationalem Ansehen verholfen.

Die klare, geometrische Formensprache des israelischen Künstlers Dani Karavan wird gerne mit dem Kunstverständnis der Renaissance verglichen. Strahlend weisse Betonskulpturen, meist in Form wohlproportionierter platonischer Körper, eindrucksvoll im Kontext von Stadt und Landschaft in Szene gesetzt, haben dem fast 70-jährigen Bildhauer zu internationalem Ansehen verholfen.

Am Duisburger Innenhafen sucht man Karavans künstlerische Handschrift vergeblich. Dort verwandelte er die Reste banaler Büro- und Lagerhausbauten in eine skulpturale Landschaft aus Natur- und Architekturelementen, in einen «Garten der Erinnerung», der den konventionellen Vorstellungen von einem Park auf den ersten Blick völlig widerspricht. «Es ist richtig, dass die Gebäude im Grossen und Ganzen keinen besonderen architektonischen Wert haben, aber sie sind von einer gewissen Schönheit und enthalten architektonische Elemente wie Säulen, Wände, Eingänge, Türen und Treppen, die, wenn freigelegt und so vom praktischen Aspekt abgegrenzt, eine neue Bedeutung und emotionsgeladene, plastische und ästhetische Werte gewinnen», erklärt der Künstler.

Mit der Strukturkrise des Ruhrgebietes in den achtziger Jahren geriet auch der grösste Binnenhafen Europas in einen unaufhaltsamen Abwärtstrend. Zahlreiche Unternehmen wanderten aus dem Duisburger Innenhafen ab, und es stellte sich
wie überall im Pott die Frage nach der künftigen Nutzung des 89 Hektaren grossen, citynahen Areals. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, die 1999 zu Ende ging, sollte der einstige Getreideumschlagplatz mitsamt seiner Infrastruktur in einen multifunktionalen Dienstleistungspark umgewandelt werden. Ein Stadtpark war als grünes Herzstück geplant. Nach der Erstellung eines Masterplanes sowie umfangreichen Umbau- und Sanierungsarbeiten an erhaltenswerten Speichern, Mühlen, Lagergebäuden durch renommierte Architekten wie Sir Norman Foster und Herzog & de Meuron avancierte das Hafengebiet in kürzester Zeit zur begehrten Firmen- und Wohnadresse und zu einem beliebten Ort für Kunst, Kultur und Freizeit.

Zvi Heckers neues jüdisches Gemeindezentrum, ein bemerkenswertes Exempel expressiver Sakralarchitektur, bildet den identitätsstiftenden Kern in Karavans «Garten der Erinnerung» und ist in der physischen und metaphysischen Struktur des Ortes fest verankert. Fast scheint es, als habe Dani Karavan angesichts der tonangebenden skulpturalen Architektur in Form eines aufgeschlagenen Buches darauf verzichtet, seine klassischen Betonskulpturen der Stadtlandschaft
hinzuzufügen. Das allein reicht aber als Begründung für die ungewöhnliche Strategie des Künstlers nicht aus. Vielmehr ging es ihm darum, auf der Erinnerung an Gewesenes etwas Neues zu errichten und sein Werk am spezifischen Ort inhaltlich und formal zu verwurzeln.

Alle Elemente im Park, mit Ausnahme der neu gepflanzten Bäume, die frei verteilt gesetzt wurden, richten sich daher nach den Grundrisslinien abgerissener Bauten oder reagieren auf die gefächerte Grundkonfiguration des jüdischen Gemeindezentrums. In weissen Betonbändern und niedrigen Stützmauern zeichnete Karavan die Umrisse ehemaliger Gebäude nach und schnitt in dieses Liniensystem Verbindungswege ein, deren Bodenbeläge in einigen Fällen aus vorgefundenem Abbruchmaterial hergestellt wurden. Zwei isolierte Treppentürme, die mit ihren abgespreizten Armierungseisen scheinbar noch immer die Verbindung zu ihren abgerissenen Anschlussbauten suchen, verfremdete er bis
zur Grenze des Grotesken, indem er sie weiss kalken liess und auf einem der Türme - man denkt unwillkürlich an den mittelalterlichen «Torre Guinigi» in Lucca - eine Kiefer pflanzte.

Bekannte Bilder überlagern sich im Kopf. Die Fragmente eines stählernen Fachwerksystems ragen wie filigrane weisse Antennen aus der Wiesenfläche und deuten die ehemalige räumliche Dimension einer Halle an, während am Ufer des Hafenbeckens die weiss gestrichene Betonrahmenkonstruktion einer Lagerhalle samt Oberlichter stehenblieb und im Inneren mit Robinien bepflanzt wurde. Davor liegen drei Getreidefelder als historischer Querverweis. Das surrealistisch anmutende Ensemble aus weissen Architekturfragmenten auf grünem Teppich wird nach einem Konzept von Uwe Belzner und Stefan Hofmann nachts effektvoll illuminiert.

Mit drei gesonderten Elementen ergänzte Karavan die bizarre Szenerie: Eine künstliche, in weissen Beton gefasste Rasenwelle, ein Steingarten als Trockenbiotop aus grossen Betonbrocken mit bizarrem «Bewuchs» aus Armierungseisen und eine grosse Industriewaage, die podestartig das Zentrum des Parks akzentuiert. Die Parkbesucher werden von dem rostigen Industrie-Relikt geradezu magisch angezogen und dazu verlockt, auf die Waage zu steigen. Hier manifestiert sich die Geschichte des Ortes besonders deutlich, und es drängt sich jene Frage auf, die dem ganzen Park zugrunde liegt: die
Grundsatzfrage nach dem rechten Mass, der Gewichtung, der Bewertung von Geschichte und Erinnerung, Unrecht und Gerechtigkeit.

«Meine Arbeiten entstehen in der Regel, um von Menschen benutzt zu werden. Ohne Menschen existiert meine Kunst nicht. Meine Arbeiten sind nicht zum Betrachten, sondern zum Erleben da.» In einer degradierten Industrieregion, die den Aufbruch in die Zukunft wagt und den Umgang mit scheinbar wertlosen Zeugnissen der jüngsten Geschichte erlernt, wirft der Künstler mit seiner aussergewöhnlichen Parkskulptur viele Fragen auf, die erst mit der Zeit befriedigend beantwortet werden können.

NZZ-Folio, Sa., 2000.07.01



verknüpfte Bauwerke
Garten der Erinnerung

01. Mai 2000Udo Weilacher
NZZ-Folio

Seeschlacht im Heckenlabyrinth

Wer glaubt, die wesentliche Aufgabe eines Landschaftsarchitekten sei es, für grüne Freiraumdekoration zu sorgen, den belehrt der Pariser Professor und...

Wer glaubt, die wesentliche Aufgabe eines Landschaftsarchitekten sei es, für grüne Freiraumdekoration zu sorgen, den belehrt der Pariser Professor und...

Wer glaubt, die wesentliche Aufgabe eines Landschaftsarchitekten sei es, für grüne Freiraumdekoration zu sorgen, den belehrt der Pariser Professor und Landschaftsarchitekt Bernard Lassus eines Besseren. In Rochefort-sur-Mer wurde er als Künstler, Konservator, Archäologe, Botaniker und Gärtner tätig, um die Corderie Royale, das wichtigste Industriebauwerk des einst florierenden Marine- und Handelsstützpunktes, aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Sein Ziel war es, die Bedeutung des Ortes wieder spürbar zu machen, statt sie ihm aufzupfropfen, und einen aktuellen, bedeutungsvollen «Jardin des Retours» zu schaffen.

Die Planstadt Rochefort war 1666 zu einer Zeit entstanden, als Frankreich mit England um die Seeherrschaft und die Macht über die Neue Welt rang. Jean-Baptiste Colbert, einer der fähigsten Minister Ludwigs XIV., liess das Marinearsenal aus strategischem Kalkül nicht an der Atlantikküste, sondern 16 Kilometer landeinwärts an der Charente anlegen und sicherte die Rasterstadt mit einem Festungsgürtel. Vor den Festungsmauern am Flussufer befanden sich Hafenanlagen und Docks, wo berühmte Schiffe vom Stapel liefen, die nicht nur kriegerische Geschichte machten. Auch für Naturforscher und Kaufleute begann in Rochefort die Reise ins Ungewisse.

1711 kehrte Roland-Michel de la Galissonière von seiner Amerikareise zurück und importierte die ersten Samen einer grossblütigen Magnolie, die zu seinen Ehren magnolia grandiflora galissoniensis heisst. Der junge Marquis und spätere Admiral setzte damit eine Tradition fort, die mit der Stadt Rochefort und dem Namen seines Grossvaters, Michel Bégon, eng verbunden war. Bégon war einflussreicher Politiker und begeisterter Botaniker. Auch er hatte einer neu entdeckten tropischen Pflanze, der Begonie, seinen Namen verliehen. Sie zählte schon bald zu den beliebtesten Zier- und Zimmerpflanzen der Welt, und heute befindet sich in Rochefort eine der wichtigsten Begoniensammlungen Europas: die Sammlung Millérioux.

Michel Bégon war einer der namhaften Köpfe der Corderie Royale. In dem 400 Meter langen, barocken Industriebauwerk wurden Taue für die Takelage der Segelschiffe hergestellt. Hinter der Corderie befand sich der grosse «Jardin de Marine», in dem sich neuentdeckte Pflanzen akklimatisieren konnten. Nach der Stilllegung des Arsenals im Jahr 1926 und Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg versank die Corderie Royale allmählich im grünen Dickicht und verschwand aus dem allgemeinen Bewusstsein. Erst 1974 besann man sich auf das kulturelle Erbe der Stadt und begann mit der Restaurierung und Umnutzung des Gebäudeensembles. 1982 gewannen Bernard Lassus und sein Team den Wettbewerb zur Gestaltung des Areals der Corderie. Lassus' Gestaltungsansatz für den weitläufigen Uferpark basierte auf der behutsamen Freilegung
vorhandener Substanz und deren Verknüpfung mit der Gegenwart.

Ein Augenmerk des Landschaftsarchitekten galt dem Zugang zur Corderie Royale. Im Laufe der Zeit war in Vergessenheit geraten, dass die Hauptfassade des Bauwerkes nicht der Stadt, sondern dem Fluss zugewandt war. Deshalb liess Lassus breite Sichtschneisen in den uferseitigen Gehölzsaum schlagen und die beiden Trockendocks von Bewuchs und Schlamm befreien. Auch verzichtete man darauf, den Zugang zur Corderie stadtseits geradlinig auf den Bau zu zu führen, weil damit die wahre Bedeutung der Rückfassade verunklärt worden wäre. Statt dessen gelangt man heute über eine 140 Meter lange, mit Tulpenbäumen bepflanzte Rampe von der höher gelegenen Terrasse des Jardin de Bégon parallel zum Gebäude hinunter zum Jardin de Galissonière, der von einer Reihe exotisch wirkender Chamaerops-Fächerpalmen akzentuiert wird. Beide Baumarten zählen zur Gruppe der Pflanzen, deren Einfuhr für die mitteleuropäische Kulturgeschichte so wichtig war wie die siegreich heimkehrenden Kriegsschiffe.

Die Schiffe finden sich im «Labyrinth des Batailles Navales» wieder. Auch hier verknüpft Lassus ein klassisches Element der Gartenkunst, ein Heckenlabyrinth, mit heutiger Technologie und schafft damit einen spielerischen Zugang zur Geschichte. In der kunstvoll geschnittenen Heckenlandschaft, die das wogende Meer darstellt, begegnet der Besucher den Modellen berühmter Kriegsschiffe. Mit einem Cyberhelm ausgerüstet, soll man sogar virtuelle historische Seeschlachten schlagen können. Nach dem virtuellen Gefecht gelangt man zu den beiden südlichen Docks, die von weitem mit einer Sammlung historischer Flaggen markiert werden. Bernard Lassus liess nach eingehenden Recherchen alle Flaggen des 18. Jahrhunderts originalgetreu nachbilden.

Auch im Takelagen-Park, etwas oberhalb am Fluss gelegen, begegnet man nicht nur der Kunst des Tauwerkes, sondern auch historischen Flaggen und den Betonnachbildungen jener Körbe, in denen die Pflanzen einst aus Übersee vor Wind und Wetter geschützt nach Frankreich verschifft wurden. In einem der Docks wurde die mit zwölf Kanonen bestückte Fregatte «Hermione» im Originalmassstab nachgebaut. An Bord des Schiffes, das auch an der legendären Seeschlacht von Chesapeake Bay teilnahm, gelangte der Marquis de La Fayette 1780 nach Amerika, um den Unabhängigkeitskampf der neuen Nation zu unterstützen.

Hat man einen von Geschichte durchtränkten Ort erst einmal wieder freigelegt, ist es schwierig, ihn nicht mit zu vielen Reminiszenzen zu überladen. Bernard Lassus war in Rochefort um die richtige Balance bemüht. Auf weiten Rasenflächen und entlang des Uferweges entspannt man sich von der Fracht historischer Substanz, lässt den Fluss an sich vorbeiströmen und schickt die Gedanken auf ferne Reisen.

NZZ-Folio, Mo., 2000.05.01



verknüpfte Bauwerke
Park Corderie Royale

01. März 2000Udo Weilacher
NZZ-Folio

Der Zaubergarten von Chandigarh

«Lasst dies eine neue Stadt sein, ein Symbol für die Freiheit Indiens. Unbeirrt von den Traditionen der Vergangenheit . . . ein Ausdruck für den Glauben...

«Lasst dies eine neue Stadt sein, ein Symbol für die Freiheit Indiens. Unbeirrt von den Traditionen der Vergangenheit . . . ein Ausdruck für den Glauben...

«Lasst dies eine neue Stadt sein, ein Symbol für die Freiheit Indiens. Unbeirrt von den Traditionen der Vergangenheit . . . ein Ausdruck für den Glauben der Nation an die Zukunft», so forderte der erste Premierminister des unabhängigen Indien, Jawaharlal Nehru, für die neue Provinzhauptstadt des Punjab. Chandigarh, eine der wenigen realisierten Planstädte des 20. Jahrhunderts, entwickelte sich unter der Federführung von Le Corbusier in den fünfziger und sechziger Jahren wahrhaftig zu einem eindrucksvollen städtebaulichen Monument für das moderne Indien. Im funktional gegliederten Stadtraster mit den Ikonen moderner Stahlbetonarchitektur und den grosszügigen Grünräumen ist das Wesen des traditionellen indischen Lebens nur mit Mühe sichtbar. Und doch existiert es in hochkonzentrierter Form im rätselhaften «Rock Garden» am nordwestlichen Rand der Verwaltungsstadt.

Denn zur gleichen Zeit, wie Le Corbusiers grandiose Visionen gebaute Realität wurden, begann Nek Chand, ein bescheidener Strasseninspektor des Chandigarh Public Works Department, mit der Verwirklichung seines Traumes von einem märchenhaften Königreich im verwilderten Buschwerk der Peripherie. In der Planstadt, wo im Unterschied zu anderen indischen Städten jegliche Baumassnahme der amtlichen Genehmigung bedurfte, war weder die Rodung von Gestrüpp noch der Bau einer kleinen Hütte ohne Bewilligung möglich. So arbeitete Nek Chand im Verborgenen, oft nachts. Seit 1958 sammelte er Steine, Schutt und Material, das beim Abbruch alter Siedlungen und beim Bau der neuen Stadt anfiel, und karrte alles per Fahrrad auf seine Baustelle.

Nach siebenjähriger Sammeltätigkeit begann der eigenwillige Aussenseiter mit der Erschaffung phantasievoller Skulpturen aus Zement, die er mit farbigen Textilresten, Keramikscherben, Glassplittern und anderen Werkstoffen aus seinem Materiallager kunstvoll veredelte. Die Skulpturen- und Steinsammlung beanspruchte mit der Zeit soviel Raum, dass Nek Chand immer mehr Fläche kultivieren musste, um die Wildnis nach Dienstschluss in ein würdiges Zuhause für seine Kreationen zu verwandeln.

Als die Behörden 1972 im Zuge geplanter Baumassnahmen den Busch roden wollten, standen sie unvermittelt einem bunten Volk von etwa zweitausend Skulpturen gegenüber. Die Konfrontation mit dieser illegal erschaffenen Welt löste grosse behördliche Empörung aus. Innerhalb kurzer Zeit wusste aber auch ganz Chandigarh von Nek Chands wundervollem Garten, und mit Unterstützung lokaler Unternehmer, die ihm Transportmittel und Material zur Verfügung stellten, konnte der Bau einer Reihe kleinerer Ausstellungshöfe und damit die erste Phase des Projektes erfolgreich abgeschlossen werden.

Wenige Jahre später beugte sich die Verwaltung dem öffentlichen Druck und eröffnete 1976 den Rock Garden als städtische Einrichtung, für deren Betreuung und Ausbau Nek Chand von nun an offiziell zuständig war. Ausgestattet mit eigenem Budget, fünfzig Arbeitskräften, Baugerät, Wasser- und Stromanschluss, machte sich der frischgebackene «Sub-Divisional Engineer, Rock Garden», mit unbändiger Schaffenskraft an die zweite Ausbauphase seines Gartens. Schliesslich fühlte er sich von Gott berufen, der Menschheit ein Geschenk zu machen und ein Zeichen für Toleranz und Frieden zu setzen. Neue, grössere Ausstellungshöfe wurden errichtet, Gebäude und unzählige Menschen- und Tierskulpturen entstanden, ein labyrinthisches System aus Wegen und Wasserläufen entwickelte sich, und last, not least musste die Materialbeschaffung besser organisiert werden: Ein ausgeklügeltes Recyclingprogramm gewährleistete die effiziente Sammlung und Verwertung von allem, was noch irgendwie hätte von Nutzen sein können, vom Fahrradsattel bis zur Leuchtstoffröhre.

Im Gegensatz zu den Bauplänen der modernen Idealstadt existiert der komplexe Plan des Rock Garden nur im Kopf von Nek Chand. Wer sein Reich das erstemal durch das kleine Eingangsportal in der hohen, von Gänsen bekrönten Gartenmauer betritt, hat nicht die geringste Ahnung, was ihn an der nächsten Biegung des engen Hohlweges, dort drüben hinter dem Gartentor oder im folgenden Hof erwartet. Vielleicht blickt eine ganze Affenherde freundlich auf einen herab, Mädchengestalten tragen in endlosem Zug ihre Wasserkrüge auf dem Kopf zum Brunnen, oder Hunderte von zierlichen Gestalten vollführen ihren rituellen Tanz für eine der zahllosen indischen Gottheiten, die in den Figuren wiederum eine ihrer vielfältigen Inkarnationen finden. So ausufernd wie die altindischen Helden- und Göttersagen Mahabharata und Ramayana, so überbordend ist die Phantasiewelt des Rock Garden.

Etwa zehn Hektaren Fläche umfasst mittlerweile der Garten, den man seit der dritten Ausbauphase ab 1983 getrost als Park bezeichnen kann. Durch eine tiefe, künstlich angelegte Schlucht, vorbei an einem tosenden Wasserfall, im Schatten der Bäume und zahlreicher palastartiger Bauten auf dem Hügel erreicht man eine grosse Lichtung im Park. Mit seinen farbigen Keramikbelägen und einer rustikal zementierten Arkadenkonstruktion erinnert die Szenerie den Europäer fast ein wenig an den Parc Güell in Barcelona. In jedem der fünfzig hohen Bögen ist eine Schaukel aufgehängt, auf der sich die Kinder ausgelassen vergnügen, während Tempel, Amphitheater und Grotten zu neuen Erkundungen locken. Eine Vielzahl meterhoher Skulpturen bevölkert das Bild, und ein hoher, beleuchteter Turm soll demnächst ein weithin sichtbares Signal für Nek Chands Paradies setzen. Wie alle Paradiese ist auch dieses trotz seiner internationalen Bekanntheit bedroht. Nur dem mutigen Widerstand der Anwohner ist es zu verdanken, dass die phantasievolle Gegenwelt zur modernen Idealstadt von den Behörden nicht schon längst einem Strassenbauprojekt weichen musste.

NZZ-Folio, Mi., 2000.03.01



verknüpfte Bauwerke
Rock Garden

01. Januar 2000Udo Weilacher
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Eine kosmogene Parklandschaft

Kann ein Garten die Phantasie fesseln und zugleich das dynamische Wesen des expandierenden Universums offenbaren? Charles Jencks, namhafter Architekturtheoretiker und bekennender Postmodernist, ist davon überzeugt: «Künstler und Architekten müssen, wenn sie die neue Welt in ihrer Dynamik und Fruchtbarkeit darstellen wollen, entweder neue Sprachen suchen oder bestehende Sprachen weiterentwickeln. Das Leben der Formen in der Kunst ist das Mass der Kosmogenese. In diesem Sinne ist eine Ästhetik der Kreativität die letzte Instanz des kosmischen Prozesses.»

Kann ein Garten die Phantasie fesseln und zugleich das dynamische Wesen des expandierenden Universums offenbaren? Charles Jencks, namhafter Architekturtheoretiker und bekennender Postmodernist, ist davon überzeugt: «Künstler und Architekten müssen, wenn sie die neue Welt in ihrer Dynamik und Fruchtbarkeit darstellen wollen, entweder neue Sprachen suchen oder bestehende Sprachen weiterentwickeln. Das Leben der Formen in der Kunst ist das Mass der Kosmogenese. In diesem Sinne ist eine Ästhetik der Kreativität die letzte Instanz des kosmischen Prozesses.»

Hinter dem Begriff Kosmogenese steht Jencks' Auffassung, dass das Universum, entgegen den traditionellen Modellen von Religion und Wissenschaft, nicht etwa ein präziser Mechanismus sei, sondern ein Prozess, dessen Geschichte durch kreative, überraschende Organisationssprünge geprägt werde. In seinem 1997 erschienenen Buch «The Architecture of the Jumping Universe» erläutert der amerikanische Architekt seine faszinierenden Theorien, die er an renommierten Architekturschulen in England und den USA lehrt.

In der rauhen Hügellandschaft des südschottischen Dumfriesshire verwirklicht Charles Jencks seit etwa zehn Jahren einen aussergewöhnlichen privaten Park, in dem die Erkenntnisse seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit Komplexitätstheorien in Erdformationen, Skulpturen und Gartenmotiven Gestalt annehmen. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1995 wirkte Jencks' Ehefrau Maggie Keswick, renommierte Expertin der Geschichte chinesischer Gartenkunst und Geomantie, nicht nur wesentlich an der Umgestaltung des etwa 120 Hektar grossen Familiensitzes mit, sondern entwickelte zusammen mit ihrem Mann, unterstützt von Wissenschaftern und Künstlern, neue Formen und Metaphern für die Geschichte des Kosmos. So entstand eine eigentümliche Kombination chinesischer Gestaltungselemente mit Motiven der Chaostheorie und der Kosmologie. Die «Symmetry Break Terrace», eine grosszügige Geländeterrasse vor dem Herrenhaus, ist zunächst eine visuelle Metapher für die wichtigsten Organisationssprünge, die das Universum seit seiner Entstehung vollzogen hat: von der Energie zur Materie, zum Leben und schliesslich zum Bewusstsein. Gartenhistorisch ist die Terrasse zudem Teil des «Earth Dragon» chinesischer Tradition und darüber hinaus eine Neuinterpretation des klassischen «Ha-Ha», einer für den Besucher unsichtbaren Geländestufe, mit der schon in den traditionellen englischen Landschaftsgärten der Eindruck erweckt wurde, der Garten ginge grenzenlos in die Wald- und Weidelandschaft über. In Jencks' Garten bilden zwei wellenförmig miteinander verschnittene Stützmauern aus Naturstein dieses raffinierte Grenzelement. Seine Fortsetzung, und damit die Metapher für den letzten Organisationssprung zur Stufe des Bewusstseins, bildet eine geschnittene Eibenhecke, die in weitem Bogen das Herrenhaus auf der Anhöhe umfängt.

Folgt man dem Weg vom Herrenhaus hinab in die breite Talsohle des Flusses Nith, erreicht man den ummauerten «Physics Garden». Diesen Küchengarten, den Maggie Keswick in traditioneller Weise funktional gestaltete, widmet Jencks der menschlichen DNA und den sechs Sinnen. Sechs, nicht fünf, denn er fügt als sechsten Sinn des Menschen die Intuition hinzu und reichert den Garten mit Skulpturen und chiffrierten Sinnsprüchen an. Vier grosse Aluminiumskulpturen versinnbildlichen die DNA-Doppelhelix und repräsentieren den Geschmackssinn, den Gehörsinn, den Tastsinn und eben die Intuition. Der Geruchssinn und das Sehen sind hingegen figürlich als überdimensionale Nase und in Form einer Grotte mit optischen Installationen dargestellt. In den von niedrigen Buchshecken eingefassten Beeten gedeihen Pflanzen, die den jeweiligen Sinn besonders stimulieren. So ist die Skulptur des Tastsinns umgeben von Disteln, Brennnesseln und Eselsohr, während die begehbare Erdmulde um die Nase mit aromatisch duftenden Pflanzen wie Oregano, Lavendel und Thymian bepflanzt ist. Im «Physics Garden» steht weniger die Kultivierung von Küchenkräutern als vielmehr die ästhetische Verarbeitung umfassenden Wissens im Mittelpunkt, und es verwundert nicht, dass Maggie Keswick gelegentlich bei Ian Hamilton Finlay im wenige Stunden entfernten «Little Sparta» zu Gast war.

Wohltuenden Ausgleich zur gestalterischen und konzeptionellen Fülle des «Physics Garden» findet man wenige Schritte weiter zwischen atemberaubend elegant geformten Erdhügeln und grandiosen Wasserflächen. In ihrer Komposition erinnern sie an den klassischen englischen Landschaftsgarten Studley Royal aus dem achtzehnten Jahrhundert. Von der Spitze des etwa 15 Meter hohen «Snail Mound», eines mit Rasen begrünten Erdkegels, geniesst man einen herrlichen Blick in den von Bäumen und Sträuchern gesäumten Landschaftsgarten und die umliegenden Lowlands. Das Pendant zum Schneckenhügel, den man über zwei spiralförmig geführte, in paradoxer Weise manchmal leicht abfallende Wege besteigt, ist der «Snake Mound». Diese über 120 Meter lange s-förmige Erdwelle aus elegant gespannten Erdschleifen fasst räumlich die «Slug Lakes», drei Seen, die wie Himmelsspiegel in der Landschaft liegen. Auch in diesem Teil des Parks verbinden sich auf der Basis der Komplexitätstheorie Elemente klassischer englischer Gartenkunst mit fast extraterrestrisch anmutender Land Art zu hybrider Landschaftsarchitektur, die die Sprache der Gartengestaltung weiterentwickelt und ein neues, dynamisches Weltbild vermittelt.

NZZ-Folio, Sa., 2000.01.01



verknüpfte Bauwerke
Park Jencks

01. November 1999Udo Weilacher
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Monte Thyssino und Piazza Metallica

Kaum eine Seillänge, nur wenige Griffe in den Spalten der senkrechten Wand trennen den Kletterer von seinem Ziel, dem Gipfel des «Monte Thyssino», der...

Kaum eine Seillänge, nur wenige Griffe in den Spalten der senkrechten Wand trennen den Kletterer von seinem Ziel, dem Gipfel des «Monte Thyssino», der...

Kaum eine Seillänge, nur wenige Griffe in den Spalten der senkrechten Wand trennen den Kletterer von seinem Ziel, dem Gipfel des «Monte Thyssino», der seinen Namen dem deutschen Stahlmagnaten August Thyssen verdankt und auf keiner Alpenkarte verzeichnet ist. Der 1842 geborene Fabrikant hatte als 28jähriger sein erstes Stahlwerk im Ruhrgebiet errichtet. Als er in der Hochindustrialisierungsphase 1902 das Hüttenwerk Meiderich bei Duisburg gründete, zählte Thyssen längst zu den mächtigsten Grossindustriellen im Pott. Bis zur Stilllegung produzierte das Meidericher Werk, zuletzt in fünf Hochöfen, 37 Millionen Tonnen Roheisen. Wer nicht mit Stahl sein Brot verdiente, dem blieben die Werkstore mehr als acht Jahrzehnte lang verschlossen. August Thyssen, der 1926 starb, hätte sicher nie gedacht, dass dereinst Freizeitkletterer eine 14 Meter hohe Kohlebunkerwand mit Gipfelkreuz nach ihm benennen würden, und er hätte sich auch nicht träumen lassen, dass auf der Industriefläche seines Hüttenwerkes einmal der grösste Landschaftspark des Ruhrgebietes entstehen würde.

Der weltweite Strukturwandel in der Schwerindustrie degradierte das Ruhrgebiet zur Krisenregion. 1985 legte man Duisburg-Meiderich still und entliess rund 8000 Stahlarbeiter. Übrig blieben verzweifelte Arbeiterfamilien und 200 Hektar postindustrielle, zerstörte Landschaft, deren Bild bis heute von zahllosen Industrieruinen, riesigen Maschinenhallen, Hochöfen, Kühltürmen und anderen Landmarken geprägt wird. Vor etwa zehn Jahren integrierte man das Sanierungsprojekt «Landschaftspark Duisburg-Nord» in die Projektliste der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA) und initiierte ein Wettbewerbsverfahren mit fünf internationalen Planungsteams.

Der preisgekrönte «syntaktische Entwurf» der deutschen Landschaftsarchitekten Latz + Partner basierte auf der Idee, die Spuren der Industriekultur nicht zu verwischen, sondern durch gezielte Eingriffe neu zu interpretieren. Die Brüche und Narben in der geschundenen Landschaft sollten nicht repariert, sondern als Erinnerungsstücke aus dem Schutt herauskristallisiert werden. Die Landschaftsarchitekten entwarfen keinen gestalterischen Gesamtplan, sondern legten fast archäologisch eine landschaftlich-konzeptionelle Schicht nach der anderen frei, entwickelten vier verschiedene Parkkonzepte und liessen die sich anschliessend überlagern. Der Wasserpark besteht aus dem Geflecht der Kanäle, Klär- und Sammelbecken, während der Bahnpark die alten Gleisanlagen nutzt. Strassen, Transportwege und Brücken bilden als Verbindungspromenaden ebenso eine eigene Ebene wie die Vielzahl verschiedener Nutzungsfelder und Gärten. Mit speziellen Verknüpfungselementen, Rampen, Treppen, Terrassen oder Gärten werden die vier Ebenen des Parks visuell, funktional, ideell oder symbolisch miteinander verknüpft.

Wer heute, zum IBA-Finale, Duisburg-Nord besucht, kann getrost einen ganzen Tag verbringen, ohne dass er sich mit einer Klettertour oder einem Tauchlehrgang im gefluteten Gasometer die Zeit vertreiben muss. Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen und andere Kulturereignisse beleben die Open-air-Bühnen vor imposanter Industriekulisse und füllen die ehemalige Gebläsehalle, die Giesshalle des Hochofens 2 oder die eindrucksvolle Kraftzentrale, eine Art Kathedrale der Arbeit. Nach Sonnenuntergang lädt der Park, effektvoll illuminiert vom englischen Lichtkünstler Jonathan Park, zu nächtlichen Erkundungstouren ein. Vom Hochofen 5, einem 80 Meter hohen Moloch aus Stahl, durch dessen Eingeweide man nach oben steigt, geniesst man einen herrlichen Ausblick über Park und Ruhrgebiet.

Im Schatten des Hochofens liegt der Cowperplatz, benannt nach den grossen Winderhitzern. Die Fläche wurde rasterartig mit Obstbäumen bepflanzt, was Denkmalschützer angesichts der industriellen Vergangenheit zunächst als völlig unpassend empfanden. Ebenso experimentell und provokativ sind die «Bunkergärten» in den Erzbunkern der ehemaligen Sinteranlage. Mit Spezialsägen schnitt man Zugänge in die massiven Betonkammern und gestaltete darin unterschiedlichste Gärten und Kinderspielbereiche. Von einem langen blauen Steg aus sind die Gartenkammern auch von oben einsehbar.

Nicht nur gepflegte, domestizierte Natur kommt im Park zu ihrem Recht. Auf dem gesamten Areal entwickelte sich neben reizvoller Alltagsnatur auch eine spezielle, teilweise sehr seltene Vegetation, die ihre Existenz den aussergewöhnlichen Umweltbedingungen verdankt. Mit Zuschlagstoffen aus Übersee reisten exotische Pflanzen nach Duisburg und fanden hier ihre neue Heimat. Die Industrienatur avancierte zum wichtigen Gestaltungselement und erforderte ein Umdenken, nicht nur im gärtnerischen Management. Das traditionelle Naturverständnis hinterfragt Peter Latz auch mit der «Piazza Metallica», die aus 49 jeweils acht Tonnen schweren Stahlplatten komponiert ist. Die 2,2 2,2 Meter grossen Elemente dienten ursprünglich als Giessbettauskleidung und mussten den Erosionskräften von flüssigem, mehr als eintausenddreihundert Grad heissem Eisen standhalten. «Dabei entstanden fluviatile Systeme, die einem Gletscherschliff sehr ähnlich sind, also urtümliche Formationen, die durch die Gewalt flüssiger Elemente entstanden sind. Das finde ich als Natursymbol wesentlich interessanter als irgendeine dusselige Birke!» sagt Peter Latz. Längst zählt sein Landschaftspark Duisburg-Nord international zu den wichtigsten Landschaftsarchitekturprojekten der Jahrtausendwende.

NZZ-Folio, Mo., 1999.11.01



verknüpfte Bauwerke
Landschaftspark Duisburg-Nord

01. September 1999Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein Waldpark mit Computerschnittstelle

Die niederländische Landschaft ist eine Erfindung ihrer Bewohner. In jahrhundertelangem Kampf trotzten sie systematisch den Naturgewalten des Meeres nutzbares...

Die niederländische Landschaft ist eine Erfindung ihrer Bewohner. In jahrhundertelangem Kampf trotzten sie systematisch den Naturgewalten des Meeres nutzbares...

Die niederländische Landschaft ist eine Erfindung ihrer Bewohner. In jahrhundertelangem Kampf trotzten sie systematisch den Naturgewalten des Meeres nutzbares Land ab. Der rational-technologisch geprägte Umgang mit Natur und Landschaft charakterisiert auch die niederländische Landschaftsarchitektur, zu deren renommiertesten Vertretern das Rotterdamer Büro West 8 zählt. Prominenter Kopf und Gründer von West 8, benannt nach der vorherrschenden Windrichtung und -stärke in Rotterdam, ist der 39jährige Landschaftsarchitekt Adriaan Geuze. Mit seinem Team aus Landschaftsarchitekten, Architekten, Designern und Botanikern zeichnet er verantwortlich für eine Reihe von Projekten, die mit ihrer experimentierfreudigen Kombination aus künstlerisch-landschaftsarchitektonischer Radikalität und ökologischer Sensibilität internationales Aufsehen erregten.

Für die Zentrale der Interpolis-Versicherung in Tilburg, ein mächtiger Neubau des niederländischen Architekturbüros Abe Bonnema, schuf West 8 1998 einen etwa zwei Hektar grossen Stadtpark. Das dreieckige Areal spannt sich zwischen dem 170 Meter langen Versicherungsgebäude im Norden, den Neubauten des Tivoli-Parkhauses und des Musikzentrums Popcluster im Osten und der Wohnbebauung im Südwesten auf. Stechpalmenhecken und ein dunkelgrün lackierter Stahlzaun bilden die Begrenzung zu den Strassen der Umgebung. Natur und Künstlichkeit im Dialog: bald zieren stählerne Ilexblätter die Zaunstäbe, bald wurden die Blattformen aus den Stahlplatten ausgestanzt.

Unter dem brückenartig aufgeständerten Gebäudetrakt beim monumentalen Bürohauseingang befindet sich auch der zentrale Parkeingang. Eine holzgedeckte Brücke, architektonisch aufgefaltet, spannt den Bogen vom schattigen Vorplatz zum sonnigen Stadtgarten. Sie überquert ein grosses, an das Gebäude grenzendes Plateau, das mit schweren, bruchrauhen Schieferplatten verkleidet ist. Nach den Plänen der Architekten sollte hier ein grosses Wasserbecken den Bau mit seinen beiden über 80 Meter hohen Türmen spiegeln. West 8 setzte aber mit einer kargen Felslandschaft, gegliedert durch lineare Bruchkanten, ein Gegengewicht zur Architektur. Ein lichter Hain aus Magnolien, besonders sein weisser Frühlingsflor, nimmt dem schwarzen Plateau die Schwere. Das surreale Environment wird durch einen gerichteten Schwarm grünspanfarbener Stellagen ergänzt; ein «Kunst am Bau»-Projekt des niederländischen Künstlers Niek Kemps, das auf Drängen des Bauherrn appliziert wurde.

Der Schwarm kreuzt die Richtung der Brücke und unterstreicht die Verbindung zwischen Platz und Park. Man glaubt, bemalte Glasplatten seien hier auf Trocken- oder Transportgestellen vorübergehend abgestellt worden. Tatsächlich tragen die stählernen Stellagen grosse grünliche Glasscheiben, bedruckt mit halbtransparenten Bildern von Werkstätten, Arbeits- und Lagerräumen. Vielleicht ein erster Hinweis, dass dieser Park nicht nur dem Freizeitvergnügen gewidmet ist?

Am Ende der Brücke betritt man den weichen Bodenbelag aus rotbraunem Rindenmulch. Angelehnt an den Grundriss des Bürogebäudes, sind Wege- und Rasenflächen im architektonisch zersplitterten Layout konzipiert. Dieses entwickelt sich durch tektonische Verwerfungen entlang der betonierten Grundrisslinien, die manchmal zu dunkelgrauen Stütz- und Sitzmauern werden, zu einem räumlichen Gefüge. Eingelassene Holzroste sollen zum Verweilen auf den Mauern einladen, während man die bewährte Parkbank in der Anlage vergeblich sucht.

Zwischen 20 und 85 Meter lange, schmale Wassertische setzen bemerkenswerte Akzente und unterstreichen subtil den ständigen Perspektivenwechsel im Park. Auch sie bestehen aus schiefergrauen Betonwannen, deren Querschnitt sich nach oben erweitert und breite Beckenränder ausbildet. Wind fegt über die Wasserflächen, kräuselt deren Spiegel und versetzt die zarten Seerosenblüten in Schwingung. Die Wassertische, heisst es im Erläuterungstext, bilden als Lebensraum für Wasserlilien und Frösche das zentrale Thema des Gartens.

Eigentlich braucht die Komposition von West 8 keine derartig pseudo-ökologischen Rechtfertigungen. Das ausgelassene Spiel der Kinder am Wasser, die konzentrierten Boulespieler auf ihrer Sandbahn und die Erholungssuchenden beim Picknick auf den Rasenflächen sind wesentlich überzeugender. Noch ist der locker gepflanzte Nadelwald zu jung, als dass er ausreichend Schatten oder gar dem grossen Bürokomplex, wie vorgesehen, räumlich die Stirn bieten könnte. Die Douglasienpflanzung wirkt ein wenig öde, und es braucht Phantasie, sich den nordisch anmutenden Waldpark in Zukunft vorzustellen. Einen unverwechselbaren Charakter hat der Park schon heute, aber er soll nicht nur Erholungsfläche sein. Strom- und Computeranschlüsse sollen, sofern die Sicherheitsaspekte einmal geklärt sein werden, den Mitarbeitern den Zugang zum Hauptcomputer der Firma ermöglichen und ihnen die Arbeit im Park erlauben.

Das Verhalten des Menschen, seine Umweltansprüche, sein Lebensstil und sein Selbstverständnis haben sich so stark gewandelt, dass das alte Leitbild städtischen Grünraumes, besonders des Stadtparks des 19. Jahrhunderts, ausgedient hat. Der Mensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts, erkennt Geuze, ist selbstbewusst, mobil, nutzt die Potentiale neuer Technologien und nimmt erfinderisch alle Arten von Freiräumen in Besitz. Den Meistern der hyperrealistischen Pop-Landschaften ist in Tilburg ein ungewöhnlich selbstverständlicher Park gelungen.

NZZ-Folio, Mi., 1999.09.01



verknüpfte Bauwerke
Stadtpark Interpolis - Versicherung

01. Juli 1999Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein versunkener Hortus conclusus

Jeder Garten repräsentiert im Grunde das Wunschbild vom Garten Eden. Solange sich der Mensch den Naturmächten hilflos ausgesetzt fühlte, zog er sich gerne hinter schützende Mauern in sein irdisches Paradies zurück. In den Gartenoasen ägyptischer Gottkönige entfaltete sich ebenso wie im mittelalterlichen hortus conclusus die kultivierte, die gute Natur, während draussen die wilde, böse Natur ihr Unwesen trieb. Der Quell des Lebens, das Wasser, stand dabei immer als Teich oder Brunnen im Mittelpunkt schattiger Baum- und Blütenpracht.

Jeder Garten repräsentiert im Grunde das Wunschbild vom Garten Eden. Solange sich der Mensch den Naturmächten hilflos ausgesetzt fühlte, zog er sich gerne hinter schützende Mauern in sein irdisches Paradies zurück. In den Gartenoasen ägyptischer Gottkönige entfaltete sich ebenso wie im mittelalterlichen hortus conclusus die kultivierte, die gute Natur, während draussen die wilde, böse Natur ihr Unwesen trieb. Der Quell des Lebens, das Wasser, stand dabei immer als Teich oder Brunnen im Mittelpunkt schattiger Baum- und Blütenpracht.

Wer vor dem südlichen Eingangstor der Fondation Louis Jeantet de Médicine an der verkehrsreichen Route de Florissant in Genf steht, vermutet hinter der massiven Betonwand zunächst keinen Garten. Erst ein Blick durch die schmale Fensteröffnung des Edelstahltores lässt eine versunkene Gartenoase erahnen. Wem das wehrhafte Schiebetor Einlass gewährt, den führt ein schiefergedeckter Steg zwei Meter hinunter in einen kleinen quadratischen Patio, den 4,5 Meter hohe Mauern umgeben. Das Tor schliesst sich wieder und scheint das Eindringen der säkularisierten Aussenwelt zu verhindern. Ein Klostergarten?

Dezentes Geplätscher erfüllt den 15 mal 15 Meter grossen Hof, dessen Boden mit rechteckigen schwarzen Schieferplatten belegt ist, zwischen denen sattgrünes Sternmoos wächst. Das bewegte, geordnete Gefüge der Schieferplatten erinnert an geflösste Baumstämme, die ein Fluss am Stauwehr zusammengetrieben hat. Der Boden scheint zu fliessen. Nur wo der Bauherr aus funktionalen Erwägungen nachträglich Platten einfügen liess, ist jegliche Bewegung erstarrt. Der Moosteppich zwischen den Platten verstärkt den Eindruck eines kühlen Wassergartens inmitten der Hitze der Stadt. Ringsum trennt ein Wasserkanal von einem Meter Breite wie eine Schattenfuge die mit Stahlkanten gefasste Bodenplatte von den Betonwänden. Aus regelmässig eingefügten Aussparungen der Wände fliesst Wasser glitzernd über geriffelte Edelstahleinlagen in den Wasserkanal. Kleine Scharlach-Kirschbäume breiten ihre aufrecht trichterförmig wachsenden Äste aus und entfalten in etwa vier Meter Höhe ihr sommergrünes Schattendach. Im April, wenn die Kirschbäume ihre verschwenderischen rosa Blüten zeigen, glaubt man einen japanischen Meditationsgarten zu betreten. Im Herbst kontrastiert das orange bis scharlachrote Herbstlaub mit dem Grau des schlichten «béton brut».

Das Fehlen von Sitzgelegenheiten im Patio lässt darauf schliessen, dass der Garten nicht als Ort des Verweilens geplant war. Vielmehr bildet er einen Verbindungs- und Empfangsraum für ein neues, unterirdisches Auditorium, das man vom Patio aus ebenerdig durch eine Schwingtür erreicht. Die Fondation Jeantet schrieb 1993 einen Architekturwettbewerb aus mit dem Ziel, Konzepte für den Umbau der Villa Edelstein zum neuen Stiftungsgebäude zu entwickeln. Ausserdem sollte im Untergeschoss des angrenzenden Wohngebäudes ein neues Auditorium entstehen und über einen Garten mit der Villa verbunden werden.

Das Genfer Architekturbüro Domino gewann den Wettbewerb und schloss sich für die Gestaltung der Aussenanlagen mit dem Pariser Landschaftsarchitekturbüro Agence TER von Henri Bava, Michel Hoëssler und Olivier Philippe zusammen. Da sich die Villa im städtebaulichen Kontext gegen die hohen Wohngebäude der Umgebung kaum behaupten konnte und vom ursprünglichen Villengarten offenbar nur ein kleiner Rest geblieben war, entschloss sich das Architektenteam, den Bau im Stil der italienischen Neorenaissance auf einen grossen monolithischen Betonsockel zu setzen, der die gesamte Grundstücktiefe einnimmt. Nur ein Saum von bestehenden und neu gepflanzten Bäumen sowie ein schmales Beet mit Bambus schirmen die Terrasse teilweise gegen angrenzende Wohngebäude ab.

Der Unterbau bildet nicht nur die neue Referenzebene, auf der sich die Villa selbstbewusst präsentiert. Er übernimmt auch die Funktion einer grenzbildenden Terrasse, die sich aus dem nach Süden um etwa 2,5 Meter abfallenden Gelände wie eine Schublade herausschiebt und auf das neue Auditorium hinweist. Ursprünglich sollten alle Oberflächen mit schwarzem Schiefer verkleidet werden. Aus Kostengründen wählte man schliesslich für die Seitenmauern Sichtbeton und versah nur die Bodenflächen mit einer Schieferabdeckung. Der Einblick von der Route de Florissant ins Innere des Grundstücks wird durch die gebaute Topographie verwehrt.

Ziel der Landschaftsarchitekten war es, den Garten nicht als grüne Dekoration, sondern als zentralen Bestandteil der neuen Gebäudekonstellation zu entwickeln. Der Patio wurde daher aus dem Gebäudesockel ausgestanzt. Sein Negativvolumen bezieht sich direkt auf die Proportionen der Villa, übernimmt im Grundriss die Aussenmasse des Stiftungsgebäudes. Betritt man von der Villa aus die Terrasse, hat man das Gefühl, auf einer erhöhten Bühne in der Stadt zu stehen. Von hier oben wirkt der Garten wie eine minimalistische Installation, eine abstrakte Intarsie im Bühnenboden, umrandet von zwei U-förmigen, ebenerdig eingelassenen Wasserbecken. Diese reflektieren den Himmel und inszenieren eindrucksvoll den Rand des Patios, dessen grün-schwarzer Bodenbelag durch den halbtransparenten Schleier der Baumkronen schimmert.

Zu Beginn war geplant, die Wasserbecken als grossvolumige, 4,5 Meter tiefe und 1 Meter breite Wasserreservoirs auszubilden. Dann hätte man die Innenwände perforiert, und das Wasser wäre in den Innenhof geflossen. Man verzichtete dann zwar auf das kostspielige Konzept, bildete jedoch 1,5 Meter tiefe Becken aus und liess das Wasser wie geplant durch Einkerbungen in das Innere des Senkgartens strömen. Wo sich die Wasserbecken überschneiden, führen zwei sehr schmale Treppen hinunter in den Garten. Zu diesen markanten Abgängen hat sich der Landschaftsarchitekt Henri Bava von den Ufertreppen an der Ile de la Cité in Paris inspirieren lassen. Man wollte erreichen, dass immer nur eine Person die Treppe benutzen und den Garten betreten würde. Tatsächlich bieten die Treppen gerade genügend Raum, dass man allein hinabsteigen kann, begleitet von zwei schmalen Wasserrinnen. Deren Auskleidung mit strukturiertem Edelstahl erzeugt ein lebendig glitzerndes Muster des fliessenden Wassers, ein Motiv, das man auch von den «chadars», den Kaskaden der indischen Mogulgärten, kennt.

Nachts, wenn die Bodenleuchten die Bäume und Wände von unten anstrahlen und das Wasser illuminieren, hat man das Gefühl, in eine geheimnisvolle, stille Unterwasserwelt einzutauchen. Ein städtischer Garten Eden. Der Paradiesgarten hat als Archetypus von seiner ursprünglichen Kraft nichts eingebüsst.

NZZ-Folio, Do., 1999.07.01



verknüpfte Bauwerke
Garten Fondation Jeantet

01. Mai 1999Udo Weilacher
NZZ-Folio

Eine Spur in die Zukunft

«Für mich ist der Garten einer der seltenen übriggebliebenen Plätze auf dieser Erde, wo Erinnerungen, Emotionen, Leben und Tod sich vermischen. Er muss...

«Für mich ist der Garten einer der seltenen übriggebliebenen Plätze auf dieser Erde, wo Erinnerungen, Emotionen, Leben und Tod sich vermischen. Er muss...

«Für mich ist der Garten einer der seltenen übriggebliebenen Plätze auf dieser Erde, wo Erinnerungen, Emotionen, Leben und Tod sich vermischen. Er muss immer ein Platz bleiben, der beides, Herz und Geist, signifikant verändert.» Das schrieb 1966 der Pariser Landschaftsarchitekt Christophe Girot. Als Mitte des 18. Jahrhunderts vor den Toren Berlins mit dem Bau erster Invalidenhäuser begonnen und den preussischen Kriegsversehrten etwa 135 Hektaren Land zur gärtnerischen Bewirtschaftung bestimmt wurden, geschah dies nicht allein zum Zweck der Selbstversorgung. Mühselig verwandelten die Invaliden den unfruchtbaren Boden in eine Gartenlandschaft und verarbeiteten dabei die schrecklichen Erinnerungen an den Krieg.

Fast 100 Jahre später, 1843, wurde auf Anweisung des Kriegsministers ein Teil der Gartenlandschaft in den «Invalidenpark» umgewandelt. Damit wollte man sechs Hektaren vor der drohenden Überbauung durch die wachsende Friedrich-Wilhelm-Stadt sichern und den Invaliden zum Aufenthalt im Freien erhalten. Peter Joseph Lenné, der bedeutendste deutsche Gartenkünstler des 19. Jahrhunderts, gestaltete den Park landschaftlich und integrierte ihn in sein umfassendes Konzept der «Schmuck- und Grenzzüge» für Berlin. Im Mittelpunkt der nun öffentlich zugänglichen Anlage stand ab 1854 die monumentale Invalidensäule mit preussischem Adler, errichtet im Auftrag des preussischen Militärwesens zum Gedenken an die Gefallenen der Revolution von 1848. Der Bau des Hospitals im nördlichen und der Gnadenkirche im südlichen Teil halbierten die Parkfläche gegen Ende des Jahrhunderts nochmals. In völlige Bedeutungslosigkeit versank der Ort, als ihn der Zweite Weltkrieg verwüstet hatte und die historischen Bauruinen infolge der Teilung Berlins den Grenzanlagen weichen mussten.

Die Wiedervereinigung Deutschlands bot Berlin die Chance, dem verwahrlosten, teilweise als Lager- und Parkplatz genutzten Areal ein neues Gesicht zu geben. In Kenntnis der langen Militärgeschichte und unter Wahrung des alten Baumbestandes und der historischen Mauerfundamente sollte ein zeitgemässer städtischer Park entstehen. Dass im angrenzenden früheren Invalidenhospital bald das Bundeswirtschaftsministerium residieren würde, steigerte den Wunsch nach einer repräsentativen Anlage. Der Entwurf von Christophe Girot ging 1992 aus einem Wettbewerb als Gewinner hervor, weil er auf jegliche Rekonstruktion verzichtete und in einem klaren, zweiteiligen Gestaltungskonzept einen städtischen Platz geschickt mit einem landschaftlichen Park verknüpfte.

Den Blickfang bildet ein rechteckiges, 56 x 74 m grosses Wasserbecken, aus dem eine Granitwand als begehbare Skulptur auftaucht. Anstatt sich an der einstigen preussischen Mittelachse des Invalidenparks zu orientieren, richtet Girot Wasserbecken und Wandscheibe in Nord-Süd-Richtung aus. Er bezieht sich damit auf ein universales Koordinatensystem, schliesst aber die Erinnerung an die Trennung zwischen Ost und West nicht aus.

Neben dem Ausscheren aus ehemals militärischer Ordnung wird im Plan das markante geometrische Spiel von Belag und Vegetation deutlich, mit dem die Überblendung vom harten Stadtplatz an der verkehrsreichen Invalidenstrasse zur nördlichen, ruhigeren Parkhälfte, mit altem Baumbestand, Rhododendren und Liegewiese, gemeistert wird.

Eigentlich beginnt die Parkwiese bereits mitten im Granitbelag des Platzes, als etwa 50 cm breite «Rasenfuge». Nähert man sich dem Park, verbreitert sie sich stufenweise zum Rasenband und schliesslich zur Rasenfläche. Oder ist es die Granitfläche, die sich nach Norden hin immer mehr verjüngt und in der letzten Plattenreihe auflöst? Fächerblattbäume und schlichte Parkbänke, in Reihen angeordnet, ergänzen das reizvolle Spiel der Flächen um ein dreidimensionales, vom Bodenbelag unabhängiges Liniensystem. Im Gegensatz zur lockeren Stellung der alten Bäume werden die regelmässig gesetzten Ginkgos in Zukunft ihr unverwechselbares, schattenspendendes Blätterdach über dem Platz aufspannen.

Was im Plan kaum ersichtlich ist, hat in Realität besondere Bedeutung: Girots gekonnte Modellierung des ursprünglich fast ebenen Geländes. Vom Gehweg an der Invalidenstrasse führen vier Stufen hinab zur Platzfläche, während der zentrale Wasserspiegel etwa auf Strassenniveau aufgespannt wird. Der Platz steigt gleichmässig nach Norden hin an und geht in den ebenerdigen Park über. Vier Meter breite, den Platz flankierende Rampen führen die Steigung der Granitfläche fort und enden am Nordrand des Parks in etwa 60 cm Höhe über dem Niveau des Parks. Christophe Girot grenzte den Park mit einem schützenden Rahmen gegen sein Umfeld ab. In Abweichung vom Wettbewerbsentwurf ist der Kinderspielplatz nicht in den Wald eingebettet. Das intelligent und farbenfroh gestaltete Kinderparadies befindet sich, mit einer niedrigen Betonmauer vom Park abgetrennt, an dessen Nordrand.

Die Kinder haben jedoch längst den gesamten Park erobert, plantschen vergnügt im flachen Wasserbecken oder kraxeln an der «Sprungschanze», wie sie Girots Mauerskulptur nennen. Der Landschaftsarchitekt spricht lieber von einer «Spur in die Zukunft» und erläutert, dass der Aufstieg bereits 20 Meter vor der eigentlichen Mauer, mit einem ins Erdreich gegrabenen Weg, beginnt. In exakter Verlängerung der Mauer liess Girot einen Streifen der historischen Grundmauern der Gnadenkirche freilegen, öffnete ein begehbares Fenster in die Vergangenheit. Die rampenartig angelegte «Spur in die Zukunft» führt von hier direkt zum höchsten Punkt der Mauer, 3,2 m über dem Wasserspiegel. Man überblickt noch einmal den dialektisch gestalteten Invalidenpark. Girot ahnte bereits zu Beginn der Projektarbeit, dass seine Skulptur nach der Einweihung am Tag der deutschen Einheit 1997 eines der vielen Symbole deutscher Wiedervereinigung in Berlin werden würde.

Tatsächlich erschwert die mittlerweile allzu oft bemühte Wiedervereinigungs- und Politsymbolik in Berlin die unbefangene Begegnung mit Girots Mauerobjekt. Erst in der Nacht verwandelt sich die Skulptur vollends zum glanzvollen Mittelpunkt des Parks und vertreibt letzte vordergründige Symbolik. Dann wird der über die Stirnseite der Wand ins Becken rauschende Wasserschleier von Bodenstrahlern effektvoll illuminiert, und die polierte Granitverkleidung reflektiert die Lichter der Stadt. Ein ehemals mit Militärgeschichte beladener, zeitweise vergessener Ort ist unter altem Namen mit neuem Gesicht ins öffentliche Leben einer Stadt mit Zukunft zurückgekehrt.

NZZ-Folio, Sa., 1999.05.01



verknüpfte Bauwerke
Invalidenpark

01. März 1999Udo Weilacher
NZZ-Folio

Natur und Architektur im Dialog

«Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage», bemerkte der kürzlich verstorbene Landschaftsarchitekt Dieter Kienast, «denn er fordert das, was in unserer...

«Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage», bemerkte der kürzlich verstorbene Landschaftsarchitekt Dieter Kienast, «denn er fordert das, was in unserer...

«Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage», bemerkte der kürzlich verstorbene Landschaftsarchitekt Dieter Kienast, «denn er fordert das, was in unserer Gesellschaft am seltensten und kostbarsten ist: Zeit, Zuwendung und Raum.» Für den international renommierten Professor, der unter anderem für die Freiraumgestaltung an der Expo 2000 in Hannover und der Tate Gallery of Modern Art in London verantwortlich war, definierte sich ein Garten nicht primär über die Grundstücksgrösse, sondern auch über den Grad der gärtnerischen Zuwendung und gedanklichen Auseinandersetzung.

Die Gestaltung des 800 Quadratmeter grossen Hausgartens der Familie Landolt in Riehen verdeutlicht, dass es dazu keiner verschwenderischen Formenvielfalt bedarf. «Die Anreicherung des Raumes geschieht von selbst, während wir Sorge dafür tragen müssen, den tragfähigen Rahmen zu schaffen», erklärte Kienast.

Seine Projekte leben vom dualen Prinzip von Ordnung und Chaos, was bereits im Gartenplan sichtbar wird. Eine einfache architektonische Komposition aus orthogonal angelegten Wegen, Staudenbeeten und Wasserbecken sowie präzise
konstruierten Mauern und Heckenwänden bildet das Ordnungsprinzip, während wie auf einer zweiten, kontrastierenden Ebene ein lockeres Arrangement aus bestehenden und zu pflanzenden Bäumen schwebt. Das Layout des Gartens
integriert mühelos den Grundriss des Wohnhauses, das der Basler Architekt Rudolf Preiswerk in den dreissiger Jahren errichtete. 1995 wurden die Architekten Herzog & de Meuron mit dem Hausumbau beauftragt und zogen auf Ersuchen der Bauherren den Zürcher Gartenarchitekten Dieter Kienast hinzu.

Die Familie wünschte sich «einen fröhlichen Garten, der blühen und duften sollte, ein Revier zum Erholen, einen meditativen Ort und keine überbordende Fülle aus Farben und Formen.» Kienast entwickelte deshalb in Einklang mit der markanten Konzeption der Architekten die Idee, im subtilen Dialog von Natur und Architektur den Garten in einen unverwechselbaren Ort poetischer Sinnlichkeit zu verwandeln. Ein Gartenrundgang verdeutlicht, dass sich hinter dem dialektischen Gestaltungskonzept des Plans eine reizvolle Raumkomposition verbirgt. Neben der Strassenfront des zweistöckigen Wohnhauses steigt eine enge Treppe zum Hauseingang an der Westfassade hinauf. Den markiert die bizarre Gestalt einer Robinie, die dem auskragenden Obergeschoss elegant auszuweichen scheint. Graziles Geäst und spröde Baumrinde spiegeln sich auf dunklen Glasoberflächen rahmenloser Fenster.

Alle Gartenwege sind mit 1 1 Meter grossen Betonplatten belegt. Kienasts Werke lehren, dass Beton und Stahl der Gartenschönheit keineswegs abträglich sind. «Matériaux bruts» können im Garten die Sensibilität für Natur sogar steigern. Die Betonplatten rücken entlang der Westfassade eine Handbreit auseinander und gönnen dem Frauenmantel gerade genug Lebensraum, um sein fächerförmiges Blattwerk zu entfalten. Oder sind es die zarten Stauden, die die schweren Platten zur Seite schieben? Der frischgrüne Streifen weist den Weg zum Hauptteil des Gartens, der durch eine Thujahecke räumlich gefasst wird. In ihrem Schutz entwickelt sich in einer zweiten Schicht eine neue, geschnittene Buchenhecke, deren variantenreiche Grüntöne sich in jahreszeitlichem Wechsel vom dunklen Immergrün abheben.

Vor der südlichen Fensterfront des Wohnzimmers spannt der Plattenweg eine quadratische Fläche auf, die dreifach geteilt ist: ein Wasserbecken, ein zentrales Rasenfeld und ein Blumenbeet. Letzteres flankiert die westliche Rasenkante und ist in streifenförmigem Schema mit Anemonen, Astern, Christrosen, Frauenmantel, Funkien, Rosen, Schneeball und Storchschnabel bepflanzt. Wenn die Blütenpracht in Weiss-, Blau- und Grüntönen erwacht, haucht sie der strengen Grundkonzeption Leben ein und entlarvt die präzise Tuschelinie auf dem Plan als abstraktes Konstrukt. «Strenge allein», so Dieter Kienast, «kann sehr dogmatisch sein.» Die rechte Seite des Rasenteppichs begrenzt ein 15 3 Meter grosses Wasserbecken. Schwere, 30 Zentimeter hohe U-Stahlträger sind exakt zu einem Rahmen verschweisst.

Man ahnt die Vorliebe des Romantikers Kienast für die sachlichen Werke der Minimal art und erkennt, dass Einfachheit in der Form keinesfalls Einfachheit des ästhetischen Erlebnisses bedeutet. Die Wasseroberfläche reicht haarscharf bis an die Oberkante des rostroten bis schwärzlichen Rohstahls, wirkt wie eines der rahmenlosen Fenster und spiegelt den Himmel. Mehr noch, sie registriert die Lebendigkeit des Gartens: Frühlingswind, Froschsprung, Seerosenblüte, Mondlicht, Libellentanz, Blütenregen, Laubfall, Nachtfrost, Schneedecke. Ganz in der Nähe präsentiert ein einzelner Blütenhartriegel im Juni seinen schlichten weissen Flor. Er akzentuiert den Mittelgrund des Gartenbildes, während der Baumbestand als Hintergrund und Rahmen dient.

Die Vormittagssonne entlockt den Gewürzpflanzen im Kräutergarten aromatische Düfte, die durch das Fenster an der südöstlichen Ecke des Hauses in die Küche strömen. Die angrenzende Glasfront der grossen, über beide Geschosse reichenden Halle wendet sich dagegen von der Sonne nach Nordosten ab. Ein intensiver grüner Schimmer dringt aus dem Farngarten im Schatten alter Bäume ins Innere und vermittelt das Gefühl, im Freien zu sein. Nur der Kontrast zwischen dem dunklen Schiefergrau des inneren und dem hellen Betongrau des äusseren Plattenbelages signalisiert, dass es nicht um das Verwischen des Überganges zwischen Innen und Aussen geht.

Es sind die Grenzen, die Brüche, die Kienast in seinem Werk kultivierte. Auch sein eigenes Leben, gestand der feinfühlige Routinier, war bestimmt von Brüchen, die für Spannung, aber zugleich für die Erweiterung sinnlicher Felder sorgten. Für Kienast musste der Aussenraum ein sinnlicher Ort sein. Die Familie Landolt geniesst heute gleich mehrere poetische Gartenräume, schenkt ihnen liebevolle Zuwendung und wird erleben, wie sie mit der Zeit immer mehr ihren unverwechselbaren Zauber entfalten.

NZZ-Folio, Mo., 1999.03.01



verknüpfte Bauwerke
Garten Landolt

01. Januar 1999Udo Weilacher
NZZ-Folio

Ein Garten als politisches Manifest

In der kargen Moorlandschaft nahe den Pentland Hills in den schottischen Lowlands begann vor 33 Jahren die Geschichte eines kleinen Parks, der mittlerweile...

In der kargen Moorlandschaft nahe den Pentland Hills in den schottischen Lowlands begann vor 33 Jahren die Geschichte eines kleinen Parks, der mittlerweile...

In der kargen Moorlandschaft nahe den Pentland Hills in den schottischen Lowlands begann vor 33 Jahren die Geschichte eines kleinen Parks, der mittlerweile zu den Klassikern zeitgenössischer Gartengestaltung zählt. An der Entstehung dieses Gesamtkunstwerkes war weder ein genialer Gartenkünstler noch ein Landschaftsarchitekt beteiligt. Der Poet und Künstler Ian Hamilton Finlay, geboren 1925 und vor mehr als 30 Jahren bereits als Vertreter der konkreten Poesie international bekannt, zog 1966 mit Frau und Kind in das verlassene und verfallene Farmhaus von Stonypath. Nahezu mittellos und völlig unerfahren in der Gartengestaltung, aber beseelt von einer Vision, verwandelte er mit primitiven Mitteln das verwilderte, mehr als anderthalb Hektaren grosse Anwesen in einen Dichtergarten. Finlays Liebe zur konkreten Poesie verlangte mehr als einen Nutzgarten zur Versorgung der jungen Familie. Er begann deshalb damit, Artefakte im Garten zu placieren. Wer heute «Little Sparta» besucht, folgt dem holprigen Feldweg durch die Schafweiden, muss drei Gatter überwinden und gelangt in ein paradiesisch anmutendes Gartenreich mit einer fein abgestimmten Komposition aus Bäumen, Sträuchern, Blütenstauden und Kunstwerken.

Genau wie in den frühen Englischen Landschaftsgärten der Dichter, Philosophen und Politiker des 18. Jahrhunderts ist auch in Finlays «Little Sparta» die Auswahl und Setzung der Skulpturen nicht dem Zufall überlassen, sondern verweist auf ein weltanschauliches Programm gegen die totale Säkularisierung unserer Kultur.

Die Erkundung der vielfältig gestalteten Gartenräume mit klingenden Namen wie «Roman Garden», «Epicurean Garden» oder «Julie's Garden» ist wie ein Streifzug durch die Sagenwelt des klassischen Altertums, angereichert mit Relikten der gesamten europäischen Kulturgeschichte. Im Baumhain stösst man auf Säulenfragmente und Pyramiden, Steine tragen eingravierte Sinnsprüche, Büsten von Epikur und Hypnos schaffen geweihte Orte, und der ehemals profane Geräteschuppen hat sich in einen Gartentempel des Apollon verwandelt. In Finlays Kampf gegen die Oberflächlichkeit der heutigen Zeit hat sein Garten neoklassizistische Züge angenommen. Der Rückbesinnung auf klassische Traditionen und Werte liegt die Überzeugung zugrunde, dass der Mensch im Interesse der kulturellen Weiterentwicklung jederzeit volle Verantwortung für sein Tun tragen muss und sich nicht willenlos der aktuellen Tendenz zur politischen, ökologischen und sozialen «Correctness» fügen darf. Finlay scheut keine Auseinandersetzung, wenn es gilt, diese Überzeugung zu verteidigen. Als sein Gartentempel 1983 als Wirtschaftsgebäude besteuert werden sollte, begann ein aufsehenerregender Kampf gegen die Finanzbehörde. Das «Monument to the First Battle of Little Sparta» zeugt vom unerschütterlichen Willen, säkularen Mächten die Stirn zu bieten.

In seiner Kunst schöpft der streitbare Poet besonders aus der Französischen Revolution, die er als perfektes Beispiel für die Dialektik zwischen Kultur und Natur betrachtet. Mit den in Stein gehauenen Gedichten, Sinnsprüchen und Zitaten legt Finlay eine eigene Bedeutungsschicht in Landschaft und Garten und provoziert beim Betrachter vielfältige Assoziationen und Interpretationen. So liess er beispielsweise ein Zitat des französischen Revolutionärs Louis-Antoine Saint-Just Wort für Wort in einzelne Steinblöcke hauen: THE PRESENT ORDER IS THE DISORDER OF THE FUTURE. SAINT-JUST. Wer in der Lage wäre, die Steine zu vertauschen, könnte das Zitat und seine Bedeutung ständig verändern. Im Sinne eines offenen Kunstwerks gibt dieses Spiel dem Betrachter die Gelegenheit, die Perspektive zu wechseln, neue Bedeutungen zu erfahren, «Revolution» zu begreifen. Die konventionellen Standpunkte zeitgenössischen Denkens verlieren plötzlich an Stabilität.

Finlay hält jedoch nichts von intellektueller Indoktrination und zwingt dem Besucher die Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten nicht auf. Wer Rat braucht, dem erläutert er geduldig, was es mit der einen oder anderen scheinbar rätselhaften Inschrift im Garten auf sich hat. Dem sehr zurückgezogen lebenden Poeten macht es aber ebenso viel Freude, wenn sich die Besucher einfach nur von der Blütenpracht begeistern lassen.

Die kriegerische Symbolik, auf die man in Finlays Gartenreich trifft, verstört manchen unvorbereiteten Gast und ist nicht unumstritten. Sie versinnbildlicht mit scharfem Witz die zeitgenössische Interpretation Arkadiens: Eine kleine Flugzeugträger-Skulptur, eine Art aktuelle Übersetzung der römischen Galeere im Garten der Villa d'Este in Tivoli, ruft Erinnerungen an die Kriegsschauplätze dieser Welt wach und dient als Futterplatz für Vögel. Der «Panzerleader» kriecht aus dem Blumenbeet hervor und ist doch nur eine harmlose Schildkröte aus Bronze, die naturgemäss ihren Panzer mit sich führt. Finlay erinnert daran, dass die arkadisch anmutende Kulturlandschaft ein Resultat des ewigen Kampfes zwischen Mensch und Natur, des dauernden Krieges der Menschen gegeneinander ist.

Diese in seinen Augen notwendige gewaltsame Komponente kultureller Entwicklung will Finlay nicht tabuisieren. Er zielt in die Problemzonen einer Gesellschaft, die alles Gewalttätige gerne verdrängen und vergessen möchte. Verständlicherweise stösst diese Art der offenen Kritik auch auf Ablehnung, weil sie das bürgerliche Weltbild zu erschüttern droht, und so kann Finlay von manchem Disput berichten, aus dem er nicht immer als Sieger hervorging.

Finlays Garten hat wie sein gesamtes künstlerisches Werk in aller Welt heftige Kritiker und begeisterte Bewunderer gefunden. «Little Sparta» ist weder ein modischer Skulpturenpark noch eine naiv-skurrile Eremitage. Hier wurde ein Stück Landschaft gärtnerisch kultiviert und zugleich durch minimale poetisch-skulpturale Interventionen in einen sinnlichen und bedeutungsvollen Ort verwandelt, der die kulturell geprägte Wahrnehmung des Betrachters beeinflusst. Dem Garten liegt eine präzise inhaltliche Konzeption zugrunde, und darin unterscheidet er sich von mancher aktuellen Garten- und Landschaftsgestaltung, die sich nur auf Zweckdenken oder formale Geschwätzigkeit stützt.

NZZ-Folio, Fr., 1999.01.01

Profil

1984 – 1986 Ausbildung zum Gärtner im Garten- und Landschaftsbau
1986 – 1993 Studium der Landespflege an der TU München-Weihenstephan, Vertiefung: Landschaftsarchitektur Diplom bei Peter Latz.
1989 – 1990 Auslandstudium an der California State Polytechnic University Pomona / Los Angeles, Department of Landscape Architecture. „Special Recognition“ - Auszeichnung.
1991 Gründung der Kunst-Initiative „Zeichen + Landschaft e.V.“ in Freising Weihenstephan
1993 – 1997 Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Landschaft und Garten bei Dieter Kienast, Universität Karlsruhe, D
1997 – 1999 Assistent an der Professur für Landschaftsarchitektur, Dieter Kienast, Abteilung Architektur, ETH-Hönggerberg Zürich
Seit 1997 Konzeption und Organisation der Votragsreihe GRENZLAND an der Professur für Landschaftsarchitektur, ETHZ
Seit 1997 Doktorand an der ETH Zürich zum Thema „Ernst Cramer, Schweizer Gartenarchitekt 1898-1980“
1999 – 2002 Oberassistent an der Professur für Landschaftsarchitektur, Prof. Girot, Abteilung Architektur, ETH-Hönggerberg Zürich
1999 – 2002 Lehrbeauftragter und Oberassistent für Landschaftsarchitektur an der Professur für Landschaftsarchitektur, ETH-Hönggerberg Zürich
2002 – 2009 Professor für Landschaftsarchitektur und Entwerfen an der Leibniz Universität Hannover
Seit 2009 Professor an der TU München, Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und Transformation

Lehrtätigkeit

1999 – 2002 Oberassistent an der Professur für Landschaftsarchitektur, Prof. Girot, Abteilung Architektur, ETH-Hönggerberg Zürich
1999 – 2002 Lehrbeauftragter und Oberassistent für Landschaftsarchitektur an der Professur für Landschaftsarchitektur, ETH-Hönggerberg Zürich
2002 – 2009 Professor für Landschaftsarchitektur und Entwerfen an der Leibniz Universität Hannover
Seit 2009 Professor an der TU München, Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und Transformation

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
Eingetragen in der Architektenkammer Bayern als Landschaftsarchitekt
Mitglied beim Deutschen Werkbund (DWB)
Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL)
Mitglied im Beirat des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover
seit 2012 Mitglied im Auswahlgremium zur Verleihung des Sckell-Ehrenrings der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
seit 2006 Mitglied des Editorial Advisory Boards der internationalen Fachzeitschrift für Landschaftsarchitektur JoLA
seit 2009 Oversea Member des Editorial Board der Zeitschrift „Chinese Landscape Architecture“
Mitglied im Alumni-Club Landschaft TUM (1. Vorsitz seit 2011)

Auszeichnungen

2017 Stipendium im Rahmen der Mellon Initiative in Urban Landscape Studies am Dumbarton Oaks Research Centre (Harvard University) in Washington, D.C.
2011 Auszeichnung durch die Foundation of Landscape Studies in New York mit dem John Brinckerhoff Jackson Book Prize 2011
2001 Auszeichnung der Dissertation mit der Medaille der ETH Zürich

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