Pläne

Details

Adresse
Bahnhofstrasse 41–43, 5000 Aarau, Schweiz
Bauherrschaft
Aargauer Zeitung
Tragwerksplanung
MWV Bauingenieure
Fotografie
Roger Frei
Weitere Konsulent:innen
Fassadeningenieure: Emmer Pfenninger & Partner, Münchenstein
Wettbewerb
2001
Fertigstellung
2005

Publikationen

Presseschau

07. Juli 2006Brigitte Selden
Neue Zürcher Zeitung

Gläserner Schleier im Stadtraum

Ein Medienhaus von Burkard Meyer Architekten setzt einen Akzent an Aaraus Bahnhofstrasse

Ein Medienhaus von Burkard Meyer Architekten setzt einen Akzent an Aaraus Bahnhofstrasse

Aarau hat in den letzten Jahren mit der Realisierung einiger herausragender Bauten gezeigt, dass die Stadt den Wert guter Architektur erkannt zu haben scheint. Davon zeugen die Markthalle von Miller & Maranta ebenso wie die Kunsthaus-Erweiterung von Herzog & de Meuron. Beide Bauten haben das deutliche Signal gesetzt, dass letztlich nur mit identitätsstiftenden Eingriffen das städtische Gleichgewicht erhalten werden kann. Nun ist vor kurzem mit dem AZ-Medienhaus von Burkard Meyer Architekten ein weiteres Beispiel für eine überzeugende Stadtreparatur hinzugekommen, das sich durch seine sensible räumliche Ausgestaltung im Stadtraum verankert und wie selbstverständlich in die innerstädtische Situation einfügt. Nachdem mit der Markthalle dem Färberplatz eine neue Identität verliehen worden war, gelang auch Burkard Meyer Architekten ein architektonisch und städtebaulich präzise gesetzter Bau.

Klassizistische Geste

Mit ihrem skulpturalen Neubau hatten die Basler Miller & Maranta gezeigt, wie mit einem einzigen Gebäude eine grundlegende urbanistische Fragestellung auf den Punkt gebracht werden kann. Zugleich offenbart der Bau ein Gespür für einen respektvollen Umgang mit den zahlreichen Leerstellen rund um die historischen Gebäude am Rande der Altstadt. Auch Herzog & de Meuron schufen mit dem Um- und Erweiterungsbau am Aargauer Kunsthaus ein Gebäude, welches sich als Resultat einer sorgfältigen Analyse der städtebaulichen Anlage und des architektonischen Kontextes erweist. Im Gegensatz zum ursprünglich im Wettbewerb gewünschten unterirdischen Erweiterungsbau haben sie eine urbanistische Lösung und bauliche Verdichtung in Form eines transparenten Annexbaus geschaffen, mit der das Kunsthaus stärker an die Stadt gebunden wird. Nun wertet der neue Stadtblock von Burkard Meyer Architekten die Bahnhofstrasse durch seine Durchlässigkeit auf und fördert die Verbindung zwischen City und Altstadt. Auf diese Weise haben die Architekten mit dem AZ-Medienhaus ein weiteres Stück Stadt geschaffen, das die von Miller & Maranta sowie Herzog & de Meuron begonnene Transformation des Stadtraums konsequent weiterführt.

Das AZ-Medienhaus tritt mit einer klassischen, ja fast schon klassizistischen Geste auf. Die fein differenzierte Fassade des 70 Meter langen und 25 Meter breiten Baukörpers gliedert sich in Sockelgeschoss, Mittelteil und Attika und reagiert so auf ihre städtische Umgebung. Dabei besteht das Gebäude aus einer ausgeklügelten Doppelkonstruktion. Die äussere Schicht aus Glaselementen ruht wie ein Schleier vor einer zurückversetzten Ebene, die als rötlich lackierte Holzfassade ausgestaltet ist. Mit der Trennung von Aussen- und Innenhülle wird ein Spiel zwischen Oberfläche und Tiefe inszeniert, das seine Entsprechung in den stattlichen Nachbargebäuden aus der vorletzten Jahrhundertwende findet, wie etwa dem Sandsteinbau des Hauptsitzes der Neuen Aargauer Bank, den die Architekten Curjel & Moser 1913 erbauten.

Die geschosshohen Glasflächen sind jeweils auf der linken oberen Ecke nach innen abgeknickt. Mit diesem Kunstgriff, der an einen Faltenwurf erinnert, wird das Spiegelbild aufgebrochen und dem Gebäude ein leichteres und luftigeres Erscheinungsbild verliehen. Mit geringen Abdrehungen in der Fassade vermieden die Architekten zusätzlich eine unnötige Sperrigkeit des Hauses, das sich so mühelos in die Reihe der repräsentativen Bauten entlang der Bahnhofstrasse einfügt und den Nachbarbauten genug Luft lässt. Selbstbewusst reiht sich der Bau in die Schauseite der aus napoleonischer Planung hervorgegangenen Vorstadt ein und setzt einen neuen Akzent an Aaraus Hauptachse. Gleichzeitig verzahnt er sich auf seiner rückwärtigen Seite als städtischer Block mit der kleinteiligen städtischen Struktur. So unterstreichen der Platz vor der Bar und der neu geschaffene Gassenraum den öffentlichen Charakter des Gebäudes. Mit der quer durch das Haus führenden Ladenpassage sind zudem neue Fussgängerverbindungen entstanden. Damit knüpft das AZ-Medienhaus an die vorhandene urbane Struktur an, die in dem sorgsam geplanten Nutzungskonzept mit einem urbanen Mix akkurat weitergeführt wird: Im Erdgeschoss des Gebäudes sind eine Buchhandlung und ein Restaurant untergebracht. Die oberen Geschosse werden von der AZ-Medien- Gruppe genutzt. Im fünften Stockwerk befinden sich sieben komfortable Stadtwohnungen.

Irritierende Perspektiven

Die Glashülle ist nicht nur ein prachtvolles Gewand, sondern auch Klimapuffer und Konvektionsgehäuse. In dem Raum zwischen Glashaut und Holzschicht lassen sich die Fenster der Büros und der Wohnungen bei jeder Witterung öffnen. Der Schutz vor Strassenlärm und Wärme wird so zu einem mehrdeutigen Filter. Konstruktiv und räumlich ist das AZ-Medienhaus einfach aufgebaut. Der dreibündige Grundriss ist stützenfrei, mit einer tragenden, verkleideten Aussenwand und einem tragenden inneren Kern. Innerhalb des Bundes befinden sich zwei Lichthöfe, die in den Geschossen zu ungewöhnlichen Aus- und Durchblicken führen und das Gebäude auch innen eng mit dem Stadtraum verbinden. Die Belebtheit der Strasse wird so in das Innere geholt. Der Schleier der spiegelnden Fensterscheiben löst ein Changieren zwischen innen und aussen aus, das je nach Standort ganz unterschiedlich erlebt werden kann.

22. Januar 2006Roderick Hönig
hochparterre

Der Dick- und Dünnhäuter

Das AZ Medienhaus ist auf den ersten Blick ein fragiler Dünnhäuter. Doch unter der Glashaut liegt ein dickwandiges Holzmöbel. Burkard Meyer Architekten spielen bei ihrem Geschäftshaus in Aarau souverän mit den Materialien und der Wahrnehmung – das Haus ist aber auch ein passgenauer Lückenfüller, der feine Wurzeln in den Stadtkörper schlägt.

Das AZ Medienhaus ist auf den ersten Blick ein fragiler Dünnhäuter. Doch unter der Glashaut liegt ein dickwandiges Holzmöbel. Burkard Meyer Architekten spielen bei ihrem Geschäftshaus in Aarau souverän mit den Materialien und der Wahrnehmung – das Haus ist aber auch ein passgenauer Lückenfüller, der feine Wurzeln in den Stadtkörper schlägt.

Spiegeln die Gläser nun oder verzerren sie? Je nach Verhältnis, das man zu den Medien hat, stimmt beides. Auf der Glasfassade des Wohn- und Geschäftshauses der AZ Mediengruppe tanzen die Nachbarhäuser auf und ab. Die kristalline Haut verwirrt das Auge des Passanten, weil die linke obere Ecke der schweren Scheiben jeweils – wie ein Eselsohr in einem Buch – nach innen geknickt ist. Das Bild zwischen den weissen Deckenelementen wird deshalb nur teilweise parallel zurückgeworfen. In der Ecke rutscht es quasi in den Spalt hinein und mischt sich mit Himmel und Wolken. Der faszinierende optische Effekt macht das Haus leichter und luftiger und aus einer auf den ersten Blick profanen Glas- eine überraschende Medienfassade, die ohne Elektronik auskommt.Fragile Bänder aus Verbund-Sicherheitsglas hüllen den rund 70 Meter tiefen Block an der Aarauer Bahnhofstrasse geschossweise ein. Sie übernehmen die Fassadenlinien der mächtigen Nachbargebäude, die tragende Schicht liegt bis zu einen Meter hinter der Fassadenlinie. Diese Trennung in Innen- und Aussenhülle spielt Oberfläche und Tiefe aus und lässt dem gewichtigen Nachbarn, dem steinernen Bankhaus von Robert Curjel und Karl Moser aus dem Jahre 1913, den Vortritt.

Entschleunigter Windkanal

Die Hülle ist aber nicht nur ein abstraktes Prachtgewand, sondern auch Klimapuffer und Konvektionsgehäuse: Der Raum zwischen der Glashaut und dem Holzmöbel ist eine Art entschleunigter Windkanal in den sich die Büro- und Wohnungsfenster bei jedem Wetter öffnen lassen. Draussen bleiben (zumindest teilweise) der Strassenlärm, UV-Strahlen und ein Teil der Wärmelast. Die Trennung und räumliche Staffelung der Klima- und Wetterschicht machen sich Burkard Meyer immer wieder zum Thema: Für den Swisscom Tower (2000) in Winterthur entwickelten die Architekten raumhohe Kastenfenster mit Lichtumlenker und Sonnenschutz im Zwischenraum, beim Wohn- und Geschäftshaus Falken (2006) in Baden sind es vom Wind bewegte Vorhänge zwischen den Schichten, die in Kombination mit dem innen liegenden Blendschutz helfen, die Tageslicht- und passive Sonnenenergie zu nutzen. Die Badener Architekten pendeln lustvoll und mit zunehmendem Interesse zwischen Dick- und Dünnhäuter.

Kleid und KörperJedes glitzernde Ballkleid ist aber wertlos, wenn es keinen eleganten Körper inszenieren kann. Hinter den Bogengläsern in Aarau leuchtet ein Körper, der mit rötlich lackierten Holzzementplatten verkleidet ist. Sie bilden die innere Aussenhaut des Hauses. Erst in den Innenräumen sind die Leibungen mit massiver, rot gebeizter Eiche ausgeschlagen. Der Effekt ist vielschichtig: Je nach Tageszeit und Lichtverhältnis schimmern die Platten mal bordeauxrot, mal kastanienbraun, mal sind sie deutlich zu sehen, mal verschwommen. Die Erinnerung an ein hochpoliertes Stil-Möbel in der Glasvitrine ist gewollt: Die seidige Lackierung der roten Tafeln ist eine Referenz an die ausgetäfelten Sitzungszimmer der historischen Bankgebäude in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Der Unterschied ist, dass diese eleganten Gründerzeit-Sitzungszimmer in der Regel mit edlen Hölzern und nicht mit Holzzementplatten ausgekleidet sind. Weil die Brandschutz-Vorschriften während des Bauprozesses beim AZ-Haus geändert wurden, war die geplante Edelholzverkleidung der Klimafassade plötzlich nicht mehr erlaubt. Die Architekten machten aus der Not eine Tugend und gaben dem Maler Bruno Giuliani in Wettingen einen unkonventionellen Auftrag: Giuliani sollte die 2000 Quadratmeter Duripanelplatten von Hand und in sechsfacher Lasur maserieren.

Ob des unerwarteten Pragmatismus reibt sich der verwunderte Architekturflaneur die Augen: Was ist mit der ‹konstruktiven Ehrlichkeit›, die jahrelang hoch aufs Schild der Schweizer Architektur gehoben wurde, fragt er sich. Wieso erlauben sich Burkard Meyer in Aarau einfach nur so zu tun, wie wenn? Der Architekt Adrian Meyer verweist auf die Tradition der optischen Verwischung im Barock, bei der die Imitation von Materialien nicht nur ökonomische Ursachen hatte, sondern oftmals zur Überhöhung einer expressiven Absicht diente. Nicht nur damals suchten die Architekten nach den Beziehungen zwischen Wirklichkeit und Realität. Zum Beispiel auch beim Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe aus dem Jahre 1929 ist nicht alles so, wie es scheint. Die schweren Steinwände beispielsweise scheinen das Dach zu tragen. Tatsächlich sind die Wände aber alle Hohlkonstruktionen und die sich selbst wegspiegelnden Kreuzstützen tragen die Deckenlast ausserhalb der Wände durch den ebenfalls hohlen Sockel auf die Fundamente ab. «Ein wunderbares und heu-te noch zeitgemässes Beispiel der optischen Verwischung, wie es auch der Barock schon kannte», sagt Meyer dazu.

Ein Stück Stadt

Kein Schein, sondern städtebauliche Präzisionsarbeit ist die Form und die Platzierung des rund 70 Meter langen und 25 Meter breiten Baukörpers. Ins schmale Grundstück, auf dem früher das Haus des Aargauer Tagblatts stand, passt sich das mächtige Volumen mit sorgfältig gesetzten Knicken ein und lässt den Umgebungsbauten Luft zum Atmen. Auch mit seiner Traufhöhe von 19 Metern übernimmt das Haus den städtischen Massstab. Das und die Glasfassade lassen den neuen Stadtblock trotz seines beachtlichen Volumen nicht sperrig wirken. Dazu kommt, dass die neue Ladenpassage quer durchs Haus neue Fussgängerverbindungen schafft. Die Knicke in der Fassade schaffen einen Platz vor der Bar und einen Gassenraum, der für mehr als nur für den einfachen Durchgang dient. Das Gefüge ist aber nicht nur ein räumlich exakt austariertes, sondern auch die Nutzungen (Buchladen, Restaurant, Büros und Wohnungen) sind städtisch und klug verteilt. In seinem Buch ‹Stadt und Architektur› (HP 6-7/04) schreibt Adrian Meyer über die beiden Fassadentypen, die das Bü-ro immer wieder thematisiert: «Dick- und Dünnhäuter stehen für ein scheinbar gegenläufiges Interesse bei einigen unserer Projekte (…) Der Dickhäuter entzieht sich in aller Regel einer Mehrdeutigkeit seiner Wahrnehmung. Er vertritt viel eher das Körperliche, Dauerhafte und Widerstandsfähige (…) Dünnhäuter lassen mehrfache Lesbarkei-ten zu. Sie spielen das Spiel des Uneindeutigen durch ihren Wechselbezug von Tiefe und Oberfläche.» Das AZ-Medien-haus wäre demnach eine Mischform, ein Kind beider Eltern: Ein Dick- und Dünnhäuter.



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