Pläne

Details

Adresse
Ischernstrasse, 4528 Zuchwil, Schweiz
Bauherrschaft
Neuapostolische Kirche
Funktion
Sakralbauten
Fertigstellung
2005
Baukosten
2,5 Mio EUR

Publikationen

Presseschau

11. Dezember 2005Benedikt Loderer
hochparterre

Das barocke Verfahren

Hase in Bronze. Dieser Hasenpreis geht nach Zuchwil bei Solothurn, wo er, der von Natur aus ein Animist ist, trotzdem zur Kirche geht, in die neuapostolische. Er ist beeindruckt von diesem Aufsehen erregenden Bau der smarch Architekten aus Bern. Er spürt, dass es auch heute noch standfeste Glaubensgebäude gibt.

Hase in Bronze. Dieser Hasenpreis geht nach Zuchwil bei Solothurn, wo er, der von Natur aus ein Animist ist, trotzdem zur Kirche geht, in die neuapostolische. Er ist beeindruckt von diesem Aufsehen erregenden Bau der smarch Architekten aus Bern. Er spürt, dass es auch heute noch standfeste Glaubensgebäude gibt.

Ein seltsames Gebilde steht hinter dem Bahnhof von Solothurn an der Durchgangsstrasse. Ein Gebäudebeutel? Eine Betonzange? Eine liegende Langhalsflasche? Nein, eine neuapostolische Kirche. Ihre fliessenden, gerundeten Formen erinnern an einen Bau aus den frühen Siebzigerjahren, als die Formerfindung der späten Moderne auf ihrem Höhepunkt stand. Das auffällige Gebilde steht in der mittelländischen Agglomeration auf einem Zufallsgrundstück, das auch für ein Wohnhaus noch Platz hat. Nähert man sich von Westen, taucht die Eingangsfront mit ihrem waagrechten, hell gefassten, schwebenden Recht-eckschlitz in der Strassenachse auf, von der andern Seite sieht dies der Besucher erst im letzten Augenblick. Doch eigentlich fehlt nur der Glockenturm und das Kreuz und man würde das Aussergewöhnliche, weil es so sonderbar ist, sofort als Kirche lesen.

Wegkirche

Eine Wegkirche, so wie bei Rudolf Schwarz (auch ein Gläubiger). Draussen beginnt der Weg auf dem ausgreifenden, kirchenbreiten Vorplatz, der sich wie ein erstarrter, breiter Betonstrom vom Eingang her leicht absteigend gegen die Ankommenden wälzt. Noch hat man das Gefühl, man gehe auf einen Ausstellungsraum zu, dann betritt man das dreiseitig raumhoch verglaste Foyer. Ein kühler Ort, wo man begrüsst, herumsteht und schwatzt. Doch man ist erst darunter, noch nicht drin, denn der auskragende Schwung des Vordachs (des Flaschenhalses?) fährt mit wuchtiger Eleganz über die Köpfe hinweg und stoppt mit einem schmalen, liegenden Fenster, das aber am Foyer keinen Anteil hat. Das Foyer ist auf seiner vierten Seite ausgerundet, die senkrechte Wand löst auf und geht mit einer Kurve vom Boden in die Decke über. Hier macht der Weg eine Pause und endet an einem schwungvollen Betonfels. Aber nur kurz, denn in der Gebäudeachse liegt der Durchlass zum Kirchenraum, eine Verengung und Kanalisierung. Die Stimmung ändert sich vom Profanen zum Sakralen, niemand schwatzt mehr. Im Zugangskanal wird es dämmrig, aber die Altarwand, auf die man geradeaus blickt, leuchtet als helles Band dem Besucher entgegen. Davor steht der blockhafte, hinterleuchtete Altar. Wie schon im Foyer geht der Boden in sanftem Schwung in die Altarwand über und sie verschwindet hinter der Deckenkante. Denn von oben senkt sich die Decke dem Altar entgegen und zwischen Wand und Decke bleibt ein Abstand, in dem auf die ganze Raumbreite ein unsichtbares Oberlicht sitzt. Die Altarwand wird mit Streiflicht aus einer verborgenen Quelle belichtet, ein altes barockes Verfahren.

Das Kircheninnere ist ein abgeschlossener Bezirk, ohne Bezug nach aussen. Die neuapostolische Gemeinde ist in einem Gefäss versammelt, auf den Altar gerichtet, hier hat der Weg sein Ziel. Blickt man zurück, so schimmert das Frontfenster bläulich hinter der ansteigenden Bankbestuhlung. Hier geht es um die Verengung des Raums, das Zusammenpressen zur schmalen Schicht, nicht um Be-leuchtung. Der Raum lebt von zwei Dingen: der Lichtführung und dem Ineinanderschwung von Decke und Boden.

Das Glaubensgebäude

Dieselbe Ablesbarkeit gibt es auch an den Längsfassaden, auf denen das Bildungsgesetz des Kirchenraums nachgezeichnet
ist. Helle Bänder ziehen den Verlauf von Decke und Boden nach und fassen Binnenfelder von dunklem Waschbeton ein. Die Untersichten und das Dach hingegen bleiben Sichbetonflächen. Der auskragende Kirchenraum wird von einer gespreizten, v-förmigen Stütze über Grund gehalten, ein die Kurven als Motiv wiederholendes Betonband. Das Programm ist das einer Dorfkirche. Ein grosser Raum für den Gottesdienst, eine Sakristei (genauer Ältestenzimmer), ein Kinderhort und ein Foyer im oberen Geschoss, Unterrichtsräume, Blumenzimmer und Keller mit Infrastruktur im unteren.

Es handelt sich also um eine traditionelle Kirche, streng symmetrisch, klar gerichtet, funktionell eindeutig. Keine Mehrzweckveranstaltung, nur eine Kirche. Sie ist zeitgenössisch, doch ist sie das Gefäss unerschütterlicher Gewissheiten. Es steckt eine spürbare Kraft in diesem Kirchenbau: Man glaubt, dass die Neuapostolen glauben.

Kommentar der Jury:
Am Anfang war die Geste zweier ineinander greifender Hände. Smarch Architekten haben aus diesem Bild und einem beschränkten Budget einen Aufsehen erregenden Bau gemacht, der im Innern die Ruhe und Kontemplation bietet, die einem Sakralbau gebührt. Der Kirchenraum wirkt geborgen und in sich gekehrt, verfügt aber dank der raffinieren Lichtführung dennoch über dramaturgische Spannung. Die Jury lobt, wie konsequent Statik, Materialisierung, Lichtführung und räumlicher Ablauf aus dem anfänglichen Bild entwickelt sind und ihm auch gebaut noch entsprechen. Aussen wie innen ist dieses formale und räumliche Experiment gelungen; die Kirche ist in
ihrer durchmischten Umgebung an der Durchgangsstrasse eine Attraktion – was durchwegs positiv gemeint ist. Die Jury vergibt diesem Bau deshalb den bronzenen Hasen – auch, weil solch mutige Expressivität in der Schweiz so gut wie alleine da steht.



verknüpfte Zeitschriften
hochparterre 2005-12

11. Oktober 2005Hubertus Adam
Neue Zürcher Zeitung

Fest und flüssig

(SUBTITLE) Ein skulpturaler Kirchenneubau in Zuchwil

Ein markanter Betonbau erhebt sich seit jüngstem unweit des Bahnhofs Solothurn. Es handelt sich dabei um die neuapostolische Kirche von Zuchwil des Berner Büros Smarch von Beat Mathys und Ursula Stücheli. Den jungen Architekten ist es gelungen, trotz bescheidenem Budget eine eindrucksvolle Form für einen Sakralraum zu finden.

Ein markanter Betonbau erhebt sich seit jüngstem unweit des Bahnhofs Solothurn. Es handelt sich dabei um die neuapostolische Kirche von Zuchwil des Berner Büros Smarch von Beat Mathys und Ursula Stücheli. Den jungen Architekten ist es gelungen, trotz bescheidenem Budget eine eindrucksvolle Form für einen Sakralraum zu finden.

Nur selten erhalten heute Architekten die Möglichkeit, eine Kirche zu bauen. In früheren Jahrhunderten gab es Baumeister, die fast nur Gotteshäuser bauten. Diese Tradition setzten Architekten wie Dominikus Böhm, Otto Bartning oder Emil Steffann nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Seit den sechziger Jahren entstanden auch in den schnell wachsenden Schweizer Agglomerationen vorbildliche Kirchenbauten nach Entwürfen von Walter M. Förderer, Franz Füegg, Ernst Gisel oder Ernst Studer. Wenn hierzulande heute Gotteshäuser errichtet werden, so zumeist als Ersatz für zerstörte Gebäude (wie die Kapellen von Mario Botta in Mogno und Peter Zumthor in Sumvitg) oder als konfessionell nicht determinierte Bauten wie etwa der «Ort der Besinnung» des Architekturbüros Guignard & Saner an der Gotthardautobahn im Kanton Uri.

Trotz dem Rückgang konfessioneller Bindung, der neuerdings die grossen Amtskirchen in Deutschland zum Verkauf oder sogar zum Abriss ihrer Liegenschaften zwingt, kann man nur bedingt von einer wachsenden Religionsferne sprechen. Vielmehr sucht sich das Bedürfnis nach Spiritualität neue Formen, und sei es ein Massenevent wie der Weltjugendtag in Köln. Folgerichtig sind religiöse Gemeinschaften, die zu den Amtskirchen auf Distanz gegangen sind, von Austritten kaum betroffen. Das gilt auch für die grösste freikirchliche Gemeinschaft in der Schweiz, die Neuapostolische Kirche, die in Zuchwil bei Solothurn gerade ein neues, aufsehenerregendes Kirchengebäude weihen konnte.

Wenn man vom Bahnhof Solothurn in Richtung Südosten geht, erreicht man die Nachbargemeinde Zuchwil und das ungewöhnliche Bauwerk schon nach wenigen Schritten. Die Gegend erweist sich als disparat, alles andere als attraktiv: Bahngeleise und Strassen, Gewerbeflächen, vorstädtische Wohnbauten - eine Situation, die kaum Inspiration vermittelt. Und so suchte das Berner Architekturbüro Smarch von Beat Mathys und Ursula Stücheli auch nicht krampfhaft nach Kontextualität, sondern entwarf eine markante, bildhafte Form aus Beton. Das parallel zur Strasse über einer Geländesenke errichtete Volumen wirkt skulptural und lässt vielfache Assoziationen zu. Vor allem mit einem Wal oder einem Fisch vergleichen die Passanten die Kirche.

«Hand in Hand»

Doch der Ausgangspunkt der Architekten war ein anderer: «Hand in Hand» hiess das Projekt, mit dem das Büro Smarch im Herbst 2002 den Wettbewerb gewann. Erste Entwürfe von Beat Mathys zeigen zwei in schützender Geste zusammengeführte Hände. Dieser Grundgedanke wurde in eine Betonstruktur übersetzt. Die auskragende Plattform des Kirchensaals schwingt hinter dem Altar in die indirekt von oben beleuchtete Rückwand ein - eine Bewegung, die von der geschwungenen Decke aufgegriffen wird. Zum Eingang im Osten hin senkt sich die Decke: Die nach hinten ansteigende Ebene der Sitzreihen, vom Zugang in den Saal durchbrochen, und das Gewölbe nähern sich einander an, so dass sich ein mit schmalen Fenstern versehenes Vordach über dem verglasten Eingangsbereich ergibt. Von aussen kann man durch die Vorhalle hindurch entlang der Mittelachse bis zum Altar sehen.

Der Kirchenraum selbst ist als bergendes Gefäss konzipiert, in das man gleichsam durch den Flaschenhals eintritt. Zum Altar hin weitet sich der Raum - und hier, im liturgischen Zentrum, fällt von oben indirektes Licht in das Innere. Dessen stets sich verändernde Intensität moduliert die hell erstrahlende Betonwand; besonders reizvoll ist die Oberfläche in der Kehle zwischen Boden und Altarwand. Aufsteigende Luftbläschen haben innerhalb der Schalung mit einem unfreiwilligen Muster ihre Spuren im noch feuchten Beton hinterlassen. Dieser «Bauschaden» war den Architekten hochwillkommen, weil die Muster in spröder Schönheit letztlich die dem Beton innewohnenden Kräfte offenbaren. Sie zeigen die Erstarrung einer geschmeidigen Masse, sie zeigen, wie Flüssiges fest, Weiches hart wird. Diese Ambivalenz ist grundlegend für die Form der Kirche, und Mathys und Stücheli variieren das Thema an den Seitenwänden aus Waschbeton. Indem der Beton innen und aussen abgespritzt wurde, tritt die Geröllmasse der Steine deutlich zutage. Gebäudeform und Oberfläche tragen nicht zuletzt zu einer hervorragenden Akustik bei.

Der Entwurf von Smarch überzeugt nicht nur in der Grossform, sondern auch durch die Organisation der einzelnen Räume. Zwischen Foyer und eigentlichem Kirchensaal finden sich Aufenthaltsbereiche, seitlich gelangt man über eine Treppe auf das tiefer gelegte Bodenniveau. Hier im Sockel befinden sich Versorgungsräume und ein Unterrichtszimmer. Durch die Glasscheiben fällt der Blick auf die Autos, die von den Besuchern, welche zum Teil längere Anfahrtswege haben, unterhalb der Kirche parkiert werden. Über den Parkplätzen scheint das Bauvolumen auf einer winkelförmigen Stütze gleichsam zu schweben.

Bewegung und Innehalten

Wie auch in ihren anderen Bauten, dem Regionalbahnhof in Worb und der kurz vor der Fertigstellung stehenden «Welle» der neuen Passerelle des Hauptbahnhofs Bern, operierten hier Mathys und Stücheli mit einer von Dynamik und Bewegung geprägten Architektur, die dem Schweizer Baugeschehen neue Wege weist, die bei der neuen Kirche von Zuchwil den Gläubigen aber auch das Innehalten ermöglicht. Hier zeigen sie nicht zuletzt, wie viel an räumlichen Ideen mit einem bescheidenen Budget von 3,5 Millionen Franken umgesetzt werden kann. Dass dabei manches Detail nicht den sonst üblichen helvetischen Perfektionsgrad erreicht, ist verständlich. Eine gewisse Sprödheit indes mag man in dieser Umgebung durchaus begrüssen. Elaborierte Präzision wäre eher deplaciert.

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