Editorial
Die Religionslandschaft im Abendland liegt im Umbruch. Während die Gemeinschaften anderer Religionen wachsen, verlieren die christlichen Konfessionen an Mitgliedern. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass viele Kirchenbauten leer stehen, nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck dienen, umgenutzt oder abgerissen werden. Dabei werden auch bedeutende Bauten nicht geschont, wie der skandalöse Abbruch der St. Raphaelskirche von Rudolf Schwarz in Berlin-Gatow unlängst bewies. Im Januar des letzten Jahres bot Kardinal Sterzinsky vom Erzbistum Berlin gleich sechs Kirchen zum Verkauf an, um aus dem Erlös einen Beitrag an die Entschuldung des Erzbistums zu leisten. Solche Kirchen mutieren dann zu Wohnungen, Büros, Theatersälen oder gar Parkhäusern. Dies sind konkrete Folgen einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, die sich mehr und mehr vom Angebot traditioneller Religionsgemeinschaften abwendet. Nicht christliche Religionsgemienschaften nehmen bestehende Räume ein oder bauen neue, und es entstehen unbekannte Welten. Umsomehr mag verwundern, dass im Abendland nach wie vor neue christliche sakrale Bauten errichtet werden. Dabei sprechen wir hier explizit von Kirchen, die definitionsgemäss auch sakrale Bauten sind, und nicht von anderen Prestigebauten wie etwa Konzertsälen oder Museen, deren Nobilitierung gerne über den missbräuchlich verwendeten Begriff sakraler Anmutung geschieht.
Zweifellos gehört der Bau einer Kirche auch heute zu den faszinierendsten Bauaufgaben. Jenseits einengender Vorgaben verspricht sie einen grossen Gestaltungsfreiraum, erfordert aber im Gegenzug ein vertieftes, ja inniges Ausloten der komplexen symbolischen Werte, die immanent jeden Kirchenbau prägen und architektonisch Gestalt annehmen sollen. Der Weg zum glaubwürdigen Resultat ist schwierig. Dies beweisen neue Kirchenbauten, die sich bei näherer Betrachtung als formalistische Pflichtübung und sakraler Kitsch entpuppen, dies belegen andere, die den Besucher auf Anhieb fesseln und in transzendenter Erfahrung dem Geheimnis der Spiritualität näher bringen. Häufig sind es nicht die spektakulären Gesten, die dem Raum sakrale Würde verleihen. Vielmehr liegt das Potential im subtilen Umgang mit der Materialisierung und den räumlichen Erfindungen, die, wie Walter Förderer einmal formulierte, Weite und Enge, Hohes und Niedriges, Leichtes und Schweres, Licht und Schatten und andere Gestaltungswerte mehr implizieren. Eine tragende Idee ist dabei unentbehrlich. Dann entstehen im günstigen Fall Kirchen, die als sakrale Bauwerke jene Kraft in sich bergen, die jenseits vom leeren spirituellen Gehabe Bestand haben. Sigurd Lewerentz hat es in Klippan vorgemacht. Von dieser Kirche und jüngeren sakralen Bauten, von denen wir meinen, dass sie über die kurzlebige Effekthascherei hinaus den Atem dauernder Sakralbaukunst mitführen, ist in diesem Heft die Rede. (Die Redaktion)