Editorial

Die Besten 05

Der Dezember ist der Monat des Hasen. Dann zeichnen Hochparterre und das Schweizer Fernsehen die Besten dieses Jahres aus. Trophäen in Gold, Silber und Bronze aus dem Atelier von Bruna Hauert gehen an Beiträge aus Architektur, Landschaft und Design. Zu den Preisträgern gibt es Filme in der Sendung Kulturplatz vom 28. Dezember um 22.50 Uhr auf SF 1. Und für jeden und jede gibt es am 20. Dezember um 18.30 Uhr eine Feier mit Hasenrede, Laudatio und Ausstellung im Museum für Gestaltung in Zürich. Den Ehrenkorb schliesslich füllt das vorliegende Heft, das Kritiken, Bilder und Pläne aller neun Hasen präsentiert.

Und noch mehr: Die letzte Nummer dieses Jahres ist ganz und gar den Besten gewidmet. Zu lesen sind Geschichten und Nominationen von früher in den ‹Funden›, weitere Nominationen als ‹Fin de Chantiers›, zu sehen sind beratende Jurys in den ‹Leuten›, die Bücherseite gehört ganz und gar dem Hasen und als Gast sitzt Endo Anaconda, der ‹Stille Has›, an der ‹Barkante›.

Inhalt

06 Funde
09 Stadtwanderer: Die Hasenrede
11 Jakobsnotizen: Lakonische Hasenkunde
13 Auf- und Abschwünge: Hasen, Jäger und Verkehr

Prämierte
16 Architektur gold: Wohnüberbauung in Leimbach
22 Architektur silber: Kindergärten in Dietikon
26 Architektur bronze: Kirche in Zuchwil
30 Landschaftsarchitektur gold: Innenhof der Swisstopo
34 Landschaftsarchitektur silber: Stadthausgarten in Siders
38 Landschaftsarchitektur bronze: Lettenareal Zürich
40 Design gold: Kollektion zum Einrichten
44 Design silber: Wasserstoff-Fahrzeug
48 Design bronze: Stiefel von Anita Moser

Leute
50 Die drei Jurierungen Bücher
52 Ein Kinderbuch und ein Hasencomic, ein altes Hasenrezept, die Biografie von Hazy Osterwald, ein Fachbuch über den Lepus europaeus, über ein Hasenbild und den Playboy

Nominierte
54 Aufbahrungsraum in Mendrisio, Überbauung in Le Grand-Saconnex, Sanierung Ziegenalp beim Lukmanier, Berufsschule in Zürich, Giardino am Luganersee, Schule in Münchenstein, Büroumgebung in Genf, Wahlenpark Zürich, ein Katamaran, eine Giesskanne, ein Schrank und eine Leuchte

An der Barkante
61 Mit Endo Anaconda, dem Stillen Has, in Bern

Der Verlag spricht
63 Projekte, Impressum

Ziegen unter rotem Dach

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger werden. Lebten 1983 insgesamt 12 322 Ziegen in Graubünden, so sind es heute noch 9351 Tiere. Sie brauchen dennoch neue Ställe und Alpen. Zum Beispiel auf der Alp Puzzetta bei Fourns in der Nähe des Lukmanierpasses auf 1850 m ü. M. Die Alp steht dort schon seit vielen Generationen. Sie reichte für zeitgenössisches Wirtschaften nicht mehr und also schlugen Marlene Gujan und Conrad Pally vor, die alten Gebäude abzubrechen. Ihre neue Alp ist ein Holzständerbau, seine Hülle aus Alu strahlt in dunklem Rot, die präzise gesetzten Nähte, die scharf ausgeschnittenen Fenster geben dem Blechkleid einen eleganten Ton. Die abgetreppte Form ist nicht nur der Topografie geschuldet, sondern auch der Ziegenwirtschaft. Im oberen Teil ist der Melkstand für die 350 Ziegen, dann geht die Milch eine Stufe hinab, wo sie Käse, Joghurt, Quark oder Trinkmilch wird. Die Alp Puzzetta ist ein Pilotprojekt, denn es müssen viele Alpen abgebrochen oder saniert werden. Bauen aber genügt nicht, es braucht auch Vorstellungen, wie aus der Ziegenmilch und ihren Produkten mehr Geld gewonnen werden kann.

hochparterre, Mo., 2005.12.12

12. Dezember 2005 Köbi Gantenbein



verknüpfte Bauwerke
Ziegenalp Puzzetta - Sanierung

Marke im Bildungsquartier

«Das Projekt ‹mark› besticht durch eine städtebaulich überzeugende Ausformung des Gebäudevolumens und eine spannende Materialisierung sowie ein für eine moderne Berufsschule adäquates Gepräge», stand 1997 im Wettbewerbsbericht. Und der fertige Bau? Das Gebäude, bestehend aus fünf Unterrichtsgeschossen und fünf aufgetürmten Sporthallen, steht selbstbewusst am Sihlquai und markiert das ‹Bildungsquartier› im Kreis 5 (HP 5/05). Die laut Bericht ‹spannende Materialisierung› hat sich gewandelt: Nicht dunkelgrau verputzt sind die Aussenwände, sondern sie bestehen aus Sichtbetonelementen. Deren Struktur diktierte den Architekten den Rhythmus der Öffnungen, gab ihnen aber insbesondere am Turmbau auch die Freiheit, Fenster dort anzuordnen, wo sie benötigt wurden, ohne dass der Bau in Fragmente zerfallen würde. Beton prägt auch das Innere an Stützen und Wänden und als Kunststein auch am Boden. Damit folgten die Architekten «der Zürcher Tradition der zwinglianischen Bescheidenheit», wie sie einer Zeitung sagten. Und der rote Turm auf dem Dach? Er ist die Kunst und setzt einen virtuosen Kontrapunkt zum massiven Betonturm.

hochparterre, Mo., 2005.12.12

12. Dezember 2005 Werner Huber



verknüpfte Bauwerke
Schulgebäude TBZ Sihlquai

Das barocke Verfahren

Hase in Bronze. Dieser Hasenpreis geht nach Zuchwil bei Solothurn, wo er, der von Natur aus ein Animist ist, trotzdem zur Kirche geht, in die neuapostolische. Er ist beeindruckt von diesem Aufsehen erregenden Bau der smarch Architekten aus Bern. Er spürt, dass es auch heute noch standfeste Glaubensgebäude gibt.

Ein seltsames Gebilde steht hinter dem Bahnhof von Solothurn an der Durchgangsstrasse. Ein Gebäudebeutel? Eine Betonzange? Eine liegende Langhalsflasche? Nein, eine neuapostolische Kirche. Ihre fliessenden, gerundeten Formen erinnern an einen Bau aus den frühen Siebzigerjahren, als die Formerfindung der späten Moderne auf ihrem Höhepunkt stand. Das auffällige Gebilde steht in der mittelländischen Agglomeration auf einem Zufallsgrundstück, das auch für ein Wohnhaus noch Platz hat. Nähert man sich von Westen, taucht die Eingangsfront mit ihrem waagrechten, hell gefassten, schwebenden Recht-eckschlitz in der Strassenachse auf, von der andern Seite sieht dies der Besucher erst im letzten Augenblick. Doch eigentlich fehlt nur der Glockenturm und das Kreuz und man würde das Aussergewöhnliche, weil es so sonderbar ist, sofort als Kirche lesen.

Wegkirche

Eine Wegkirche, so wie bei Rudolf Schwarz (auch ein Gläubiger). Draussen beginnt der Weg auf dem ausgreifenden, kirchenbreiten Vorplatz, der sich wie ein erstarrter, breiter Betonstrom vom Eingang her leicht absteigend gegen die Ankommenden wälzt. Noch hat man das Gefühl, man gehe auf einen Ausstellungsraum zu, dann betritt man das dreiseitig raumhoch verglaste Foyer. Ein kühler Ort, wo man begrüsst, herumsteht und schwatzt. Doch man ist erst darunter, noch nicht drin, denn der auskragende Schwung des Vordachs (des Flaschenhalses?) fährt mit wuchtiger Eleganz über die Köpfe hinweg und stoppt mit einem schmalen, liegenden Fenster, das aber am Foyer keinen Anteil hat. Das Foyer ist auf seiner vierten Seite ausgerundet, die senkrechte Wand löst auf und geht mit einer Kurve vom Boden in die Decke über. Hier macht der Weg eine Pause und endet an einem schwungvollen Betonfels. Aber nur kurz, denn in der Gebäudeachse liegt der Durchlass zum Kirchenraum, eine Verengung und Kanalisierung. Die Stimmung ändert sich vom Profanen zum Sakralen, niemand schwatzt mehr. Im Zugangskanal wird es dämmrig, aber die Altarwand, auf die man geradeaus blickt, leuchtet als helles Band dem Besucher entgegen. Davor steht der blockhafte, hinterleuchtete Altar. Wie schon im Foyer geht der Boden in sanftem Schwung in die Altarwand über und sie verschwindet hinter der Deckenkante. Denn von oben senkt sich die Decke dem Altar entgegen und zwischen Wand und Decke bleibt ein Abstand, in dem auf die ganze Raumbreite ein unsichtbares Oberlicht sitzt. Die Altarwand wird mit Streiflicht aus einer verborgenen Quelle belichtet, ein altes barockes Verfahren.

Das Kircheninnere ist ein abgeschlossener Bezirk, ohne Bezug nach aussen. Die neuapostolische Gemeinde ist in einem Gefäss versammelt, auf den Altar gerichtet, hier hat der Weg sein Ziel. Blickt man zurück, so schimmert das Frontfenster bläulich hinter der ansteigenden Bankbestuhlung. Hier geht es um die Verengung des Raums, das Zusammenpressen zur schmalen Schicht, nicht um Be-leuchtung. Der Raum lebt von zwei Dingen: der Lichtführung und dem Ineinanderschwung von Decke und Boden.

Das Glaubensgebäude

Dieselbe Ablesbarkeit gibt es auch an den Längsfassaden, auf denen das Bildungsgesetz des Kirchenraums nachgezeichnet
ist. Helle Bänder ziehen den Verlauf von Decke und Boden nach und fassen Binnenfelder von dunklem Waschbeton ein. Die Untersichten und das Dach hingegen bleiben Sichbetonflächen. Der auskragende Kirchenraum wird von einer gespreizten, v-förmigen Stütze über Grund gehalten, ein die Kurven als Motiv wiederholendes Betonband. Das Programm ist das einer Dorfkirche. Ein grosser Raum für den Gottesdienst, eine Sakristei (genauer Ältestenzimmer), ein Kinderhort und ein Foyer im oberen Geschoss, Unterrichtsräume, Blumenzimmer und Keller mit Infrastruktur im unteren.

Es handelt sich also um eine traditionelle Kirche, streng symmetrisch, klar gerichtet, funktionell eindeutig. Keine Mehrzweckveranstaltung, nur eine Kirche. Sie ist zeitgenössisch, doch ist sie das Gefäss unerschütterlicher Gewissheiten. Es steckt eine spürbare Kraft in diesem Kirchenbau: Man glaubt, dass die Neuapostolen glauben.

Kommentar der Jury:
Am Anfang war die Geste zweier ineinander greifender Hände. Smarch Architekten haben aus diesem Bild und einem beschränkten Budget einen Aufsehen erregenden Bau gemacht, der im Innern die Ruhe und Kontemplation bietet, die einem Sakralbau gebührt. Der Kirchenraum wirkt geborgen und in sich gekehrt, verfügt aber dank der raffinieren Lichtführung dennoch über dramaturgische Spannung. Die Jury lobt, wie konsequent Statik, Materialisierung, Lichtführung und räumlicher Ablauf aus dem anfänglichen Bild entwickelt sind und ihm auch gebaut noch entsprechen. Aussen wie innen ist dieses formale und räumliche Experiment gelungen; die Kirche ist in
ihrer durchmischten Umgebung an der Durchgangsstrasse eine Attraktion – was durchwegs positiv gemeint ist. Die Jury vergibt diesem Bau deshalb den bronzenen Hasen – auch, weil solch mutige Expressivität in der Schweiz so gut wie alleine da steht.

hochparterre, So., 2005.12.11

11. Dezember 2005 Benedikt Loderer



verknüpfte Bauwerke
Neuapostolische Kirche

4 | 3 | 2 | 1