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Presseschau

28. Dezember 2004Axel Simon
TagesAnzeiger

Kunst, Raketen, Architekten und Fischotter

Auf der Insel Hombroich bei Düsseldorf sollen sich Natur, Künste und Wissenschaften vereinen. Eine Begutachtung der neuesten Entwicklungen zwischen lieblicher Aue und verlassener Raketenstation.

Auf der Insel Hombroich bei Düsseldorf sollen sich Natur, Künste und Wissenschaften vereinen. Eine Begutachtung der neuesten Entwicklungen zwischen lieblicher Aue und verlassener Raketenstation.

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15. November 2004Martin Krumbholz
Neue Zürcher Zeitung

Kunstlandschaftsgestaltung

Das Museum Insel Hombroich - ein Labor der Künste

Das Museum Insel Hombroich - ein Labor der Künste

Mitte der achtziger Jahre hat der Immobilienmakler und Kunstsammler Karl-Heinrich Müller in der Auenlandschaft westlich von Düsseldorf das Museum Insel Hombroich gegründet. Seither haben sich am Ort weitere Institutionen niedergelassen, und zahlreiche Kunstschaffende leben und arbeiten auf dem Gelände.
Es ist ein magischer Ort. Schon der Name verwirrt: Man muss nicht mit einem Schiff übersetzen, um die Insel Hombroich zu erreichen; um aber das innerste Stück der weitläufigen Auenlandschaft zu betreten, geht man über Brücken, hinein in eine scheinbar wild wuchernde, urwüchsige Flora. Hier, an der Erft bei Neuss, am Rande der Kölner Bucht, nahm Anfang der achtziger Jahre ein exotisches Projekt seinen Anfang. Der Immobilienmakler Karl-Heinrich Müller, 1936 geboren, Besitzer einer repräsentablen Kunstsammlung, erwarb das Areal und gründete ein Museum: «Insel Hombroich». Das Motto hiess: «Kunst parallel zur Natur».

Ein Gefühl der Weite

Spazieren gehen und Kunst sehen: Beides gehört hier zusammen. Die in das inzwischen auf 72 Hektaren angewachsene Areal hineingesetzten Pavillons hat der jüngst verstorbene Bildhauer Erwin Heerich entworfen: Im Grunde sind es aufgeblasene Skulpturen, begehbare Objekte. Die unverputzten Backsteinwände, die hohen Türen, die unterschiedlichen, oft asymmetrischen Grundrisse und Dächer machen ihre eigentümliche Charakteristik aus. Müller nennt sie «Kapellen in der Landschaft». Man kommt mit festem Schuhwerk auf herbstlich-feuchten Wegen daher, blinzelt den raren Sonnenstrahlen zu, die sich zwischen schweren Wolkenfeldern Bahn brechen und sucht die Kunst-Stätten auf als in die Landschaft hineingeworfene Oasen der Spiritualität. Die Türen sind massiv und entsprechend schwer, man öffnet sie nicht ohne Mühe. Es gibt kein künstliches Licht: Von oben oder von der Seite her strömt oder, je nachdem, sickert das Tageslicht.
Allzu viele Menschen sind an diesem Tag nicht unterwegs, im Sommer sollen es aber bis zu 1200 täglich sein, im Schnitt 70 000 Besucher im Jahr. Heute ist der Tag der Kunststudenten: Sie sitzen oder stehen da mit ihren Blöcken und zeichnen Objekte oder Topographien nach. Oft ist man mit den Objekten aber auch im intimen Dialog allein; Museumswärter sind nicht zu sehen. Das Haus mit dem Namen «Schnecke» beherbergt ein exquisites grafisches Kabinett mit Zeichnungen unter anderem von Klimt und Corinth, mit wunderbaren Radierungen bis hin zu Rembrandt.
Der Maler Gotthard Graubner, selbst in Hombroich ansässig, zeichnet für die Hängung verantwortlich. Die Kunstwerke hat er nicht mit Legenden versehen: Gefordert ist der unbefangene, nicht an Prominenz und Prestige orientierte Blick des Besuchers, der das Werk um seiner selbst willen betrachtet. Man kann also schon einmal an einem unauffällig gehängten Aquarell von Cézanne vorbeigehen. Hombroich protzt nicht, arbeitet nicht mit Ausrufezeichen, es will die Kunst einfach bestmöglich zur Geltung bringen, unabhängig von Rang und Namen. Die eher sparsame Bestückung der Heerich-Pavillons - sie nennen sich «Labyrinth» oder «Zwölf-Räume-Haus» - sorgt für ein Gefühl der Weite, ebenso wie die Fusswege, die zwischen ihnen zurückzulegen sind. Der «Turm» ist sogar ganz leer und soll es bleiben, auch wenn es genügend Sammler gäbe, die für die Insel-Gebäude gern ihre Schätze zur Verfügung stellten. An Wechselausstellungen ist nicht gedacht: Müllers Sammlung, inzwischen in eine Stiftung verwandelt, versteht sich als ein intaktes Ganzes. Ihre Schwerpunkte (klassische Moderne, ostasiatische Kunst) wurden systematisch ausgebaut. Sie hat ihren Schauplatz gefunden und soll ihn nach Möglichkeit noch in hundert Jahren behaupten.
Aber mit der Idee des Natur-Museums ist längst nicht alles erfasst, was Hombroich ausmacht. Hombroich versteht sich als Labor, als Forum aller Künste. Längst finden hier Konzerte und Lesungen statt, ein Austausch der Disziplinen ist im Gange; Atelierbesuche, Workshops, Symposien werden organisiert. Es gibt ein Institut für Literatur und Kunst mit einer vorzüglichen Handschriftensammlung («Rosa Haus») und sogar ein Institut für Biophysik. Gleichzeitig wird die Erweiterung des Geländes vorangetrieben.
Spätestens an dieser Stelle ist ein Schauplatzwechsel fällig: Stichwort «Raketenstation». 1994 hat Müller das zwei Kilometer entfernt gelegene frühere Militärareal erworben, auf dem bis zum Ende des Kalten Kriegs tatsächlich Pershing- Raketen stationiert waren. Geht oder fährt man von der Insel über die Rübenäcker dorthin, gelangt man an eine Bahnlinie mit einer geschlossenen Schranke. Man muss seinen Namen und irgendein Zauberwort in eine Rufsäule sprechen, eine Stimme aus dem Jenseits ertönt, bellt ein Placet oder auch nicht; wenn man Glück hat, hebt sich nach einer guten Weile die Schranke. Das wie aus der Zeit gefallene Ritual passt zur Magie der Szene, auch die Insel Hombroich galt einmal als verwunschener Ort, ein Einsiedler hauste hier, bis Müller mit der Menschenfreundlichkeit seiner Konzeption den Bann sozusagen brach.
Zur «Raketenstation» gehört naturgemäss die Abschottung. Inzwischen ist das Areal geöffnet, die Insignien des Militärischen wurden teils gelöscht, teils - wie der hohe Wachturm, Hangars und Container - erhalten. Das Geschichtliche hat sich dem Ort eingeprägt. «Da unten zwischen den Rübenäckern verlief die napoleonische Ost-West- Verbindung», sagt der Schriftsteller Thomas Kling, der seit zehn Jahren auf der Station lebt. «Und das war hier bestimmt einmal der Hinrichtungsplatz, hier muss der Galgen gestanden haben», insistiert er mit Blick aus dem Fenster des ehemaligen Bunkers, den er jetzt bewohnt, er habe das auf preussischen Karten von 1812 rekonstruiert. Das hätte auch dem Dramatiker Heiner Müller gefallen, der sich zu den Freunden von Hombroich zählte, zu den «Insulanern», wie sie sich gern nennen.

Nachwuchsförderung

Kling nimmt mit seiner Frau, der Bildhauerin Ute Langanky, im Bunker ein Wohnrecht auf Lebenszeit in Anspruch. «Bestimmte Künstler möchten wir gern mit einem Fuss auf der Insel festbinden», sagt der Geschäftsführer der Stiftung Hombroich, Wilhelm Petzold. Kling hat es nicht bereut, aus der Metropole Düsseldorf hierher gezogen zu sein, in die Natur, die unschuldig zu nennen in Anbetracht der besonderen Umstände allerdings schwer fällt. Mit dem Pflanzenbestimmungsbuch nähert der Lyriker sich einem der schwierigsten Sujets: dem Naturgedicht. Als Städter müsse man die Natur lernen wie eine Fremdsprache, sagt er.
Gegen die Umbenennung der «Raketenstation» hat Kling sich jedenfalls erfolgreich verwahrt. «Friedensstation», das war einmal ein Vorschlag. «Reiner Kitsch ist das doch, ich bitte Sie!» An die Frontseite des Areals hat der japanische Architekt Tadao Ando sein kürzlich eröffnetes, futuristisch-beschwingt wirkendes Museum im Auftrag der Langen-Foundation placiert (die Industriellenfamilie Langen gehört ebenfalls zu den Insulanern). Doch dahinter ist noch genug zu sehen von der Geschichtlichkeit des Ortes. Bunker und Hangars sind umgewidmet zu Wohnungen und Ateliers für hier residierende Künstler; auf den Plätzen dazwischen stehen einige ihrer Werke, grossformatige Skulpturen.
1995 begründete Thomas Kling die Reihe «Hombroich: Literatur»; jeweils im September lesen vier Autoren aus ihren Werken - auf den «anständigen Vortrag» legt der Mentor wert. In den ersten Jahren habe es durchaus so etwas wie einen Generationenkonflikt gegeben zwischen den älteren, auf der Insel angesiedelten Künstlern wie Heerich, Graubner, Anatol Herzfeld und den auf der Raketenstation ansässigen jungen Literaten, Komponisten, Bildhauern. Kling hat sich der Nachwuchsförderung verschrieben, will an Aufmerksamkeit und Hilfe weitergeben, was er selbst erfahren hat. Mit dem Begriff «Philosophie», den man auf der Insel oft hört, wo Weltanschauliches und Spirituelles gleichsam in der Luft liegt, geht Kling zurückhaltend um. Für ihn handelt es sich um soziale Phänomene.
Zurück auf der Insel. «Die Insel ist urweiblich», hat Karl-Heinrich Müller einmal erklärt. Darüber kann man lange nachdenken, es gäbe sicher auch manches dagegen einzuwenden. Mitten im Grünen prangt der weiträumige Stuhlkreis von Anatol Herzfeld, in der Art eines Kleist'schen Femegerichts. Liegt es nur am verhangenen Himmel, dass er so unheimlich wirkt, dass der heitere Titel «Parlament» kaum so recht zu passen scheint? Und wie ist es mit dem Expansionsdrang der Insel? Waltet auch hier ein weibliches Prinzip? Das grosse freie Gelände zwischen Insel und Raketenstation soll in den nächsten Jahren dem Projekt zugeschlagen werden: ein gigantisches Betätigungsfeld für renommierte Architekten aus aller Welt. Hier könnte ein kulturelles Utopia entstehen, das Besucherströme verschlingt und mit der ursprünglichen Idylle der Kunstoase Hombroich nur noch den Namen gemeinsam hat.

01. Juni 2003Udo Weilacher
NZZ-Folio

Kunst in künstlichem Arkadien

Es scheint, als hätten die biomorphen Skulpturen von Hans Arp beim Schnitt der bizarren Buchsheckenlandschaft Modell gestanden.

Es scheint, als hätten die biomorphen Skulpturen von Hans Arp beim Schnitt der bizarren Buchsheckenlandschaft Modell gestanden.

Tatsächlich aber war diese ehemals in exakte geometrische Formen geschnitten und gehörte zur streng axial gegliederten Parkanlage der Wuppertaler Industriellenfamilie de Weerth. Die liess in der einst sumpfigen Flussauenlandschaft der Erft, südwestlich von Düsseldorf, zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Landsitz erbauen.

Längst verschwunden sind die markanten Blickachsen der Parkanlage, die gemäss dem damals geltenden Ideal der Gartenkunst bis weit in die Umgebung reichten, um Einfluss und Weltoffenheit zu signalisieren. Die alten Parkbäume, darunter viele Exoten, sind zu stattlichen Baumgestalten gewachsen und umstellen das «Rosa Haus», die Industriellenvilla aus dem Jahr 1816, die um 1900 durch eine Flussumleitung endgültig in Insellage geriet.

Hätte sich die Gartendenkmalpflege des historischen Parks Hombroich angenommen, würde der Buchs wohl heute wieder in geometrischem Formschnitt das kultivierte Wesen des einstigen Gartenkunstwerks betonen und damit den Kontrast zur umgebenden, funktional geprägten Agrarlandschaft verdeutlichen. Doch Bernhard Korte, den man Mitte der achtziger Jahre mit der Neugestaltung des Parks und seiner Umgebung beauftragte, wandte sich gegen die Rekonstruktion des architektonischen Gartenstils - ganz im Sinn der damaligen Naturgartenbewegung und in Übereinstimmung mit seinem Auftraggeber: «Herrschaft über die Natur durch Schneiden, Hacken, Brechen und ästhetisches Frömmeln sind nicht mehr unbedingt angesagt», befand der Landschaftsgestalter und entschied sich für den Erhalt der «natürlichen» Formen der ausgewucherten Buchspflanzen.

Der einflussreiche Immobilienmakler und Kunstsammler Karl Heinrich Müller hatte schon seit Mitte der siebziger Jahre von einem privaten Museum geträumt, in dem er abseits von der Grossstadt seinen umfangreichen Bestand an Kunstwerken präsentieren wollte, als «Kunst parallel zur Natur». Der Bildhauer Erwin Heerich, der Maler Gotthard Graubner und der Kunsthändler Sami Tarica berieten Müller beim Ausbau seiner Kunstsammlung und entwickelten gemeinsam Pläne für neue Ausstellungspavillons.

Doch wo gibt es noch unberührte Natur in Europa? 1982 erwarb der Kunstmäzen das knapp 20 Hektaren grosse Gelände bei Hombroich; aber die intensiv genutzte Ackerlandschaft - Kulturlandschaft modernster Prägung - widersprach offensichtlich der gängigen Idealvorstellung von arkadischer Naturlandschaft. Stattdessen wünschte sich Müller einen Garten wie ein impressionistisches Gemälde von Claude Monet, und Bernhard Korte komponierte dieses Landschaftsgemälde; jedoch «nicht aus irgendeinem Designrausch», wie er betonte, sondern naturnah.

Anders als beim verfallenen Park erachtete der Landschaftsgestalter die Rekonstruktion der ehemaligen Auenlandschaft weder als unzeitgemäss noch als «ästhetisches Frömmeln». Das Studium alter Karten, archäologische Auswertung von Luftbildaufnahmen, Pollenanalysen in Humusproben und Grabungen vor Ort lieferten Basisinformationen über eine Zeit, in der die Erft noch weitgehend unbeeinflusst von menschlichem Wirken die Auenlandschaft prägte.

Als Vorbild für die Rekonstruktion der Landschaft diente eine Karte von 1807, als vorindustrielle bäuerliche Mischstrukturen eine scheinbar bukolische, vielfältige Landschaft formten. Folglich wurden die Altwasserarme der Erft wieder freigelegt, der Wasserspiegel zur Vernässung des Areals wieder angehoben, Teiche und neue Inseln angelegt. Um das landschaftsästhetische Idealbild perfekt abzurunden, pflanzte man neben typischen Auengehölzen wie Schwarzpappeln und Erlen auch zahlreiche 30- bis 40-jährige Kopfweiden, Zeugen traditioneller Kulturtechnik und früher landschaftsbestimmende Baumgestalten, wie man sie aus vielen romantischen Landschaftsgemälden kennt.

Glücklicherweise entschlossen sich die Initiatoren des Kunstprojekts nicht dazu, das arkadische Landschaftsbild analog zum landschaftsgestalterischen Ansatz mit traditionell bäuerlicher Architektur des frühen 19. Jahrhunderts zu vervollkommnen; sonst wäre Hombroich womöglich unter Stadtflüchtigen als illusionistisches Bauernhaus- oder Kulturlandschaftsmuseum bekannt geworden, nicht aber als Kunstlandschaftsprojekt.

Zwar blieb die historische Industriellenvilla erhalten, wurde restauriert und umgenutzt als Ausstellungsgebäude für Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen alter Meister, und in einer ehemaligen Scheune richtete der Künstler Anatol Herzfeld sein Atelier ein. Doch zwischen 1982 und 1994 schuf der Düsseldorfer Bildhauer Erwin Heerich elf einfache Ausstellungspavillons, «Kapellen in der Landschaft», wie Karl Heinrich Müller sie nennt, die an Kunstobjekte der Minimal Art erinnern und mit grosser Sensibilität in die harmonisch gestaltete Landschaft eingebettet wurden.

Im Sinn der Ideologie der klassischen Moderne wurden die skulpturalen Bauwerke wie kunstvolle Einzelobjekte in die «fliessende», vermeintlich unberührte Landschaft gesetzt, die durch ein weitläufiges, verschlungenes Wegnetz erschlossen wird. Das Verlassen dieser Wege ist laut Landschaftsschutzbehörde nicht gestattet, und so bewegt man sich auf Kieswegen durch eine Kunstlandschaft aus Architektur und Landschaftsgestaltung, um im Inneren der meist fensterlosen, jedoch von oben beleuchteten Pavillons Kunst- und Kulturgegenstände sowie Gemälde aus verschiedensten Zeiträumen und Kulturkreisen zu besichtigen. Ein besonders intensiver Dialog zwischen Architektur und Landschaft, zwischen Innen- und Aussenraum entsteht im sogenannten Turm, einem kompakten Backsteingebilde auf quadratischem Grundriss, welches plötzlich mitten im Weg steht. Im Inneren des Turms sucht man vergeblich nach Kunst. Durch vier hohe, schmale Fenster, die zunächst wie Gemälde im leeren Raum wirken, geniesst man gerahmte Blicke in den Park: die Farben intensivieren sich scheinbar, man nimmt die Geräusche der Umgebung deutlicher wahr, fühlt, wie die Sinne geschärft werden.

Der Kulturraum Hombroich ist ein Prozess, und so wächst das Projekt weiter, verbindet kulturelle und wissenschaftliche Initiativen miteinander, erobert neuen Raum: Nach dem Erwerb einer stillgelegten Raketenstation 1995 und der Renovation militärischer Gebäude in nächster Nachbarschaft zum Park wurden weitere Gebäude nach den Entwürfen von Erwin Heerich und Per Kirkeby errichtet.

Auch auf dem neuen Konversionsgelände wird sich die Frage nach dem zeitgemässen Umgang mit Natur und Landschaft stellen, und man darf gespannt sein, ob wiederum traditionelle, idyllische Leitbilder aus vergangenen Jahrhunderten als Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart zitiert werden.

28. September 1996Walter Zschokke
Spectrum

Und es fing ganz harmlos an

Zwischen Naturgenuß und spielerischer Erforschung von Räumen: Bei Neuss in Nordrhein-Westfalen entsteht das „MuseumInsel Hombroich“ - Kunstsammlung, Naturpark, Architekturwanderpfad und Kulturlabor. Eine Zwischenbilanz.

Zwischen Naturgenuß und spielerischer Erforschung von Räumen: Bei Neuss in Nordrhein-Westfalen entsteht das „MuseumInsel Hombroich“ - Kunstsammlung, Naturpark, Architekturwanderpfad und Kulturlabor. Eine Zwischenbilanz.

Venedig am letzten Tag dieses mageren Sommers. Vormittags liegt über den Dächern feuchtkalter Nebel, der die Kuppeln und Türme der Kirchen umfängt. Gegen Mittag schaffen es einige Sonnenstrahlen, den Nebel zu durchdringen, doch am Nachmittag stellt sich, zuerst nieselnd, dann stärker nässend, Regen ein, als Abgesang auf einen Sommer, der nicht groß war.

Im Westen der Lagunenstadt, ausgezeichnet durch den überraschend weiträumigen Campo Santa Margarita, befindet sich das Quartiere dei Carmini, ein Wohngebiet, in dem keine Touristenläden und Speiselokale die Gassen und Kanäle säumen. Am Rio dei Carmini, mit Blick auf den Vorplatz der gleichnamigen Kirche, steht der Palazzo Vendramin, noch geprägt von der Romantik des Zerfalls, der jahrelang den Ruf Venedigs ausmachte. Durchfeuchtete Mauern, fehlende Baluster, brökkelnder Verputz und Taubenkot täuschen die Augen der Laien.

Der Möglichkeitssinn von Architekten sieht hinter diesen vordergründigen Mängeln eine hohe und lange Sala terrena, darüber eine prächtige Halle und daran anschließend Zimmer und Säle mit wechselnder Ausstattung. In ein paar Jahren wird auch dieses Bauwerk erneuert sein, sodaß über die Schönheit der Räumlichkeiten keine Zweifel mehr bestehen werden.

Dieser Tage hat sich in dem Palast eine Ausstellung niedergelassen, die als deutscher Beitrag im Rahmen der 6. Architekturbiennale ein spezifisches kulturelles Unternehmen dokumentiert, das in besonderer Weise in der Tradition des deutschen Idealismus steht. Im Spannungsfeld von Architektur, Skulptur, Landschaftspflege und Kunstpräsentation hat es in den letzten Jahren in kunstinteressierten Kreisen unter dem Namen „Museum Insel Hombroich“ von sich reden gemacht. Dieses Hombroich liegt in der Nähe der alten Mittelstadt Neuss in Niedersachsen.

Es fing ganz harmlos an. Der Kunstsammler Karl-Heinrich Müller kaufte für seine wachsende Sammlung die frühhistoristischen Gebäude eines Gutes, die von der Erft umflossen werden, einem Flüßlein, das sein Wasser in den Rhein trägt. Später erwarb Müller angrenzende landwirtschaftliche Flächen der Erftauen. Der Bildhauer Erwin Heerich von der Kunsthochschule in Düsseldorf, dessen konkrete Skulpturen in der Sammlung vertreten sind, entwarf für den sich entwickelnden Landschaftspark Pavillons in wachsender Zahl, die als Ausstellungsräume dienen und durch ein Netz von Kieswegen erschlossen werden.

Diese Pavillons sind gleichermaßen Räume für Kunst sowie begehbare, konkrete Skulpturen, deren Formfindungsprinzipien meist einfachen Regeln folgen, die aber durch konsequente Reduktion in materialer und proportionaler Hinsicht große Ausdruckskraft erlangen. Die Mauern aus wiederverwendeten Ziegeln sind im Inneren dematerialisierend weiß und glatt verputzt; verzinkter Stahl, Holz und Stegplatten dienen für die Dachkonstruktion. Oft sind es einfache Raumkonzeptionen, die in der Verdichtung größerer Aneinanderfügungen und beim Wechsel außen- innen beziehungsweise innen- außen starke Wirkung erlangen.

Der Pflanzenbewuchs des Landschaftsparks ist mittlerweile recht weit gediehen. Mehrere zehntausend Besucher genießen jährlich den Spaziergang durch die 24 Hektar renaturierter Landschaft und den Blick auf die zu ihrem Gehalt rückgeführte Kunst, die ohne Beschriftung, oft in kühner Gegenüberstellung von Jung und Alt, Fern und Nah auf die Sinne wirken kann. Der Hamburger „Spiegel“ nennt die Anlage ein „Gesamtkunstwerk“ und ein „künstliches Paradies“, und wenn es ums Märchenerzählen ginge, könnten alle Beteiligten glücklich bis an ihr Lebensende dort weiterwerkeln.

Doch der Schritt ins letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts brachte eine neue Konfrontation: Einen knappen Kilometer entfernt befand sich eine obsolet gewordene Raketenstation, die 1994 erworben werden konnte. Diese nun wirklich aktuelle Herausforderung erfaßte die beteiligten Künstler und Architekten. Die vorhandenen Baulichkeiten, Unterkünfte, Hangars und Kommandobüros, wurden zu Ateliers, Wohngebäuden, Werkstätten und einer Veranstaltungshalle umgenutzt.

In der Folge soll hier ein „Kulturlabor“ entstehen. Zu diesem Zweck haben Erwin Heerich und weitere Architekten und Künstler Projekte erarbeitet. Von Alvaro Siza stammt der Entwurf für ein biophysikalisches Institut; Claudio Silvestrin plante ein klosterartiges Seminargebäude; Oliver Kruse und Katsuhito Nishikawa realisierten ein Gästehaus für solitäre Menschen, von dem mehrere Einheiten zu einem größeren Wohn- und Atelierhaus addiert werden sollen.

Tadao Ando projektierte ein Ausstellungsgebäude für klassisch- moderne Kunst der Jahrhundertwende, und von Raimund Abraham liegt der Entwurf für ein Gebäude vor, mit einem Musikstudio sowie Übungs- und Wohnräumen für Musiker und Komponisten.

Die neuinterpretierte Raketenstation soll zu einem Begegnungs-, Arbeits- und Forschungszentrum von Künstlern verschiedener Disziplinen werden. Teilweise begehbare Großskulpturen von Heinz Baumüller, Eduardo Chillida und Katsuhito Nishikawa sollen voraussichtlich errichtet werden.

Sehr vieles, auch sehr Verschiedenes kommt hier zusammen. Das Spannende scheint mir aber die Dialektik des Ortes zu sein, einer Zone, die während Jahrzehnten auf Karten und Luftphotographien inexistent war, ein Unort, abgegrenzt durch Stacheldraht, in der Ebene unsichtbar gemacht durch hohe Erdwälle.

Über die Konzentration künstlerischer und raumschaffender Kräfte kommt es hier zu einer Umdeutung und kulturellen Verdichtung, die mit großer Geschwindigkeit abzulaufen vermag, nachdem nun die Bedrohung entfallen ist.

Natürlich lassen sich für ein derartiges Unternehmen immer Vorläufer und Vergleichsbeispiele finden, seien dies die vom Bayernkönig Ludwig II. beschäftigten Künstler des späten Historismus, die Kolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt oder die Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau, das Bauhaus in Weimar und später Dessau oder die Werkstätten auf Burg Giebichenstein.

In fast allen Fällen entstand daraus ein kultureller Knoten, eine Verdichtung oder Akademie im weitesten Sinne, in der Interessierte zu Kunst und Architektur fanden und bereits erfahrene Künstler auch als Lehrer weiter reiften.

Natürlich gibt es in Hombroich Unterschiede in Qualität und Ausdruck, und ein Leben in klösterlicher Abgeschiedenheit werden internationale Künstler nur für einige Tage oder Wochen suchen, um danach wieder in die große Welt zurückzukehren. Dennoch sind die meisten der vorliegenden Entwürfe recht vielversprechend.

Das Faszinierende ist einerseits das Umdeuten von scheinbar wertloser, unnütz gewordener Bausubstanz, die äußerst optimiert aus industriellen Halbfabrikaten zusammengebaut worden war. Andererseits ist es die Beschäftigung der Künstler mit Raum, ob es sich nun um die Arbeit Heinz Baumüllers handelt oder die bereits ansehnliche Reihe von ausgeführten Entwürfen Erwin Heerichs.

Wenn man die Reihe der Bauten im Landschaftspark Insel Hombroich durchgeht und nun die Entwürfe für das Gelände der Raketenstation studiert, läßt sich eine spannende Entwicklung feststellen, die sich vom gebundenen Entwerfen in einem abstrakten Gitter zu lösen beginnt, einerseits den Weg einer seriellen Variation und dichten Aneinanderfügung beschreitet, aber andererseits auch die spezifische Interpretation des Ortes und der Nutzung zum Programmgemacht hat.

Letzteres zeigt sich an dem von Erwin Heerich entworfenen Gebäude zur Unterbringung eines Reliefs von Lucio Fontana: Drei U-Elemente und zwei parallele Scheiben erzeugen einen gegliederten Raum, der von den offenen, einspringenden Ecken sein Licht erhält. Der schmale Zugang bildet den scharf geschnittenen Übergang vom Umraum zum Innenraum.

Auf diese Weise wird ein Erfahrungsraum geschaffen, der Besuchern ein spielerisches Erforschen von Räumen, Raumstimmungen, Licht, Enge und Weite, aber auch der Wirkung von Kunstwerken im und mit dem Raum ermöglicht.

Abgesehen vom Naturgenuß, vom Spazieren an der frischen Luft, sind es die einfachen räumlichen Konstellationen, die Akustik und die Abstraktion dieser Räume, die eine Wahrnehmung mit niedrigem Rauschpegel erlauben. Es mag diese Klarheit sein, die als Faszinosum die Besucher anzieht und diese beruhigt und erholt wieder an ihre Arbeits- und Wohnplätze entläßt.

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