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Presseschau

26. Mai 2001Christian Kühn
Spectrum

Flach auf dem Bauch

Architektonischer Triumph oder doch nur gefälliges Kunsthandwerk des Medienzeitalters? Hans Holleins Bürohaus in der Wiener Leopoldstadt: vom Sieg des lebenslangen Marketingfeldzugs eines Architekten über seine Architektur.

Architektonischer Triumph oder doch nur gefälliges Kunsthandwerk des Medienzeitalters? Hans Holleins Bürohaus in der Wiener Leopoldstadt: vom Sieg des lebenslangen Marketingfeldzugs eines Architekten über seine Architektur.

Der Wiener Donaukanal ist innerstädtisches Entwicklungsgebiet, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Vielleicht liegt es nur am Namen: Würde man den Bereich zwischen Roßauer Brücke und Aspernbrücke in Anlehnung an den ersten Bezirk nicht „Kanal“, sondern „Innere Donau“ nennen - wie es letztes Jahr eine Gruppe jüngerer Wiener Architekten in einer Entwicklungs-studie über den gesamten Verlauf des Donaukanals vorgeschlagen hat -, dann könnte ein ähnlicher Effekt eintreten wie beim „Entlastungsgerinne“, das den Wienern erst nach seiner Verwandlung in eine Donauinsel samt Copa Cagrana ans Herz gewachsen ist.

Tatsächlich findet derzeit am nördlichen Ufer des Schwedenplatzes eine Aufwertung der Bausubstanz statt, die eine Umbenennung in „Innere Donau“ rechtfertigen würde. Die massive Betonscheibe des IBM-Hauses wird von Rudolf Prochazka in eine leicht gekrümmte Glashaut eingekleidet, die Uniqa-Versicherung saniert einen ganzen Baublock und wird hier nach Plänen des Büros Neumann ein Hochhaus errichten, wobei im Erdgeschoß eine großzügige öffentliche Zone entsteht: Hier sollen sich die Wiener so zu Hause fühlen, daß sie auch ihre Pensionsmilliarden gerne beim Hausherrn anlegen.

Wenn der neue Wiener Planungsstadtrat, Rudolf Schicker, seine Ankündigung wahr macht, die Entwicklung im Bereich der „Inneren Donau“ zu fördern und dabei in Zukunft bei der Bewilligung von Aufzonungen die Bauträger dazu zu verpflichten, einen Teil ihrer Widmungsgewinne in die Sanierung des öffentlichen Raums zu investieren, dann könnte der Schwedenplatz zu einem der interessantesten Punkte der Stadt werden.

Als erster Neubau fertiggestellt wurde jüngst das Bürohaus von Hans Hollein, das ursprünglich für die Generali-Versicherung geplant war und nun an den News-Verlag vermietet wurde. Hollein gewann 1995 das Gutachterverfahren unter anderem gegen Jean Nouvel, der ein eher kompaktes Gebäude mit einer mehrschichtigen, an den Ecken abgerundeten und im Sockelbereich konkav nach innen gezogenen Glasfassade vorgeschlagen hatte. Die unterschiedlich transparenten, leicht gekrümmten Gläser sollten „ein lustvolles Spiel von Realität und Virtualität“ in Gang setzen.

Hollein setzte dagegen auf die skulpturale Wirkung einer dreidimensionalen Collage, die aus diversen Versatzstücken der Umgebung gebildet ist. Auf die gründerzeitliche Bebauung der Taborstraße reagiert Hollein mit einem die Traufhöhe aufnehmenden, mit Stein verkleideten Block mit Lochfassade. Dann springt das Gebäude etwas zurück und setzt sich zum Donaukanal hin in einem Block fort, der die Fassadenteilung der früheren Bundesländerversicherung von Georg Lippert aus dem Jahr 1961 in leicht modifizierter Form übernimmt. Zur Häuserzeile an der Oberen Donaustraße schließt Hollein wieder mit einem Zwischenelement an, in dem ein Fluchtstiegenhaus untergebracht ist.

Der höchste Gebäudeteil ist ein schlanker, leicht geneigter Turm, der von einer leuchtenden Anzeigetafel gekrönt wird, einem 14 Millionen Schilling (zirka eine Million Euro) teuren Gerät mit beeindrucken der Leuchtkraft, auf dem sich im abwechselnden Aufleuchten der Titel „profil“, „Format“, „News“ und „TV-Media“ der jeweils aktuelle Stand der Konzentration in der österreichischen Medienlandschaft ablesen läßt.

Im unteren Bereich hat Hollein die Ecke zum Schwedenplatz bis zum fünften Stock in Glas aufgelöst und schräg aus der Fassade gezogen, eine Bewegung, mit der die Neigung des Turms ausbalanciert wird. An die Fassade zur Taborstraße hat Hollein auf einer Stele noch einen metallisch schillernden, aber ansonsten am klassischen Vorbild orientierten Markuslöwen plaziert.

An derselben Fassadenseite hat Hollein einen Erker angebracht, der aus einem der Bürogeschoße des News-Verlags herausragt und nicht - wie oft vermutet wird - des Fellnersche Büro, sondern einen Besprechungsraum aufnimmt. (Die Verlagsleitung residiert im obersten Stockwerk des schlanken Turms mit beneidenswertem Blick über Wien.) Auf das Dach des vorderen Bauteils hat Hollein unter ein metallisches, vielfach gekrümmtes Dach einen Veranstaltungsraum gesetzt, dessen Kontur in der Frontalansicht die ebenfalls leicht konkave Dachlinie des Lippertschen Baus nebenan aufnimmt.

Hollein versteht sich als Bildhauer im Großen. Architektonische Elemente verschmelzen ihm zu einer skulpturalen Masse, die geformt, geschichtet, angeschnitten und aufgedoppelt wird, bis eine Balance hergestellt ist. Stadträumlich hat das Ergebnis hier durchaus Sinn, wenn man es darauf anlegt, die unglückliche städtebauliche Situation zu kaschieren, die halbherzig zwischen der zurückgesetzten modernistischen Scheibe des Lippertschen Baus und der geschlossenen Verbauung an der Oberen Donaustraße entstanden ist.

Für sich betrachtet, fehlt dem Gebäude aber die Substanz. Es erinnert ein wenig an die Geschichte von dem Mann, der sich seinen Maßanzug vom Schneider abholen möchte. Der Anzug wirft bei der Anprobe überall Falten, und als sich der Kunde beim Schneider beschweren will, bekommt er zur Antwort, daß er den Anzug nur nicht zu tragen verstehe: Eine Schulter nach vor, die Hüfte etwas heben, den linken Arm nach unten strecken, und so weiter. Stolz und faltenlos geht der Mann auf die Straße. Da kommen zwei Passanten: „Schau, so ein armer Behinderter.“ Darauf der andere: „Ja, aber einen phantastischen Schneider hat er!“

Das ist nun sicher eine Grundsatzfrage. Ich wünsche mir bei einem Gebäude zumindest die Auseinandersetzung mit dem Zweck jenseits eines eindimensionalen Funktionalismus, ich wünsche mir rationale und ökonomische Konstruktion und im Sinne Jean Nouvels eine Erforschung der neuesten, nicht nur technischen, sondern auch poetischen Möglichkeiten der Gebäudehülle, also kurz: zeitgemäße Tektonik.

Keines dieser Kriterien kann Holleins Bau erfüllen. Aber vielleicht ist meine Forderung altmodisch. Hollein hat bereits in den sechziger Jahren geschrieben, daß es beinahe gleichgültig sei, ob die Akropolis oder die Pyramiden in Wirklichkeit existieren, da die meisten Menschen sie ohnehin nur von Bildern und nicht aus eigener Erfahrung kennen würden. Eigentlich müsse man Gebäude gar nicht bauen: Es sei ausreichend, sie zu simulieren. Die Schlußfolgerung, die Hollein damals zog, war die Idee einer „absoluten Architektur“, die nur nach ihren eigenen Gesetzen zu bilden sei, und wenn man schon ein Haus bauen müsse, dann würde es irgendwann „seine Verwendung finden“. So betrachtet, ist es vertretbar, unter „Fassade“ nicht mehr zu verstehen als die Oberflächenschicht einer Skulptur, die ihrerseits gar nicht als Skulptur, sondern nur auf einer photographischen Abbildung zur Wirkung zu kommen braucht.

Den Gedanken, daß die Bedeutung und die Rolle eines Bauwerks auf dem Effekt der medialen Vermittlung beruhen, hat Hollein auf eine spezifische Art weitergedacht. Als er 1999 von einem Wodkahersteller zu einem Beitrag zur Serie „Absolut Originals“ eingeladen wurde, die als Inserat im „Time-Magazine“ erschien, wurde als Text ein Interview abgedruckt, in dem Hollein gefragt wurde, ob er schon einmal an einer Werbekampagne teilgenommen habe. „Nein“, war die Antwort, aber „als Architekt ist man dauernd auf einem Werbefeldzug für sich selbst.“ Holleins Beitrag bestand in einer Photomontage des Haas-Hauses, dessen vorderer Turm durch eine riesige Wodkaflasche ersetzt wurde.
„Alles ist Architektur“: Auch das ist ein Satz Holleins aus den sechziger Jahren. „Absolut“ im ursprünglichen Sinn ist diese Architektur freilich längst nicht mehr, sondern dienstbares Kunsthandwerk des Medienzeitalters.

In dieser - und nur in dieser - Hinsicht ist Holleins News-Gebäude tatsächlich ein Triumph. Sein lebenslanger Marketingfeldzug ist so gelungen, daß auch ein ansonsten klar argumentierender Kritiker wie Jan Tabor im „Falter“ vor diesem Gebäude flach auf dem Bauch liegt (und für diese gymnastische Übung von seinem Kollegen Dietmar Steiner im „profil“ in einer noch gesteigerten Eloge auf Holleins Gesamtwerk umgehend als Wiens „originellster Architekturkritiker“ apostrophiert wird). In Bauchlage ist freilich die Sicht etwas beschränkt: So undifferenziert von Österreichs bestem Architekten seit 1945 und von einem Meisterwerk zu sprechen fördert nicht gerade die Kritikfähigkeit des Publikums. Innerhalb von Holleins Oeuvre ist das Gebäude etwa im Vergleich zu dem für seine Zeit innovativen Mönchengladbacher Museum oder zu dem tatsächlich riskanten und räumlich irritierenden Museum moderner Kunst in Frankfurt bieder und gefällig. Und jemanden kurzerhand zum besten, wichtigsten und erfolgreichsten Architekten des Landes zu küren ist noch unseriöser als die sonst im News-Verlag üblichen Rankings zu allen möglichen Themen.

Diese Verflachung der kritischen Auseinandersetzung hat Konsequenzen. Nicht zufällig heißt der Hollein des kleinen Mannes Friedensreich Hundertwasser. Mit ihm teilt Hollein die ungebremste Verzierungslust und das collageartige Vorgehen. Wenn in Zukunft in der breiten Öffentlichkeit reflexartig an dieser Art von Architektur Maß genommen wird, läuft der Diskurs in die falsche Richtung.

10. April 2001Gert Walden
Neue Zürcher Zeitung

Ambivalente Architektur

Hans Holleins Media Tower in Wien

Hans Holleins Media Tower in Wien

Wiens Zentrum liegt nicht an der Donau, sondern am Donaukanal, der die Grenze zwischen der Innenstadt und dem angrenzenden 2. Bezirk markiert. Diese Trennlinie der Quartiere ist nicht nur eine topographische; zwischen den beiden Bezirken verläuft auch eine soziale Schranke. Entsprechend war auch die Schauseite am Kanal von der Innenstadt hinüber zum 2. Bezirk von schlichten, nach dem Weltkrieg verunstalteten Gründerzeithäusern geprägt. Aber immerhin blieb eine durchgehend ruhige Bebauungshöhe eingehalten, die erst von den Verwaltungsbauten der sechziger und siebziger Jahre durchbrochen wurde.

Architekt Georg Lippert hatte 1959 mit dem Haus der Bundesländer-Versicherung ein zeitgeistiges, zart ausschwingendes Gebäude entworfen, das den Eingang zum 2. Bezirk markierte. Das stimmte noch bis vor kurzem. Denn zurzeit wird unmittelbar angrenzend an der Taborstrasse der neue Media Tower von Hans Hollein bezogen, der ziemlich rabiat mit dem alten Lippert-Bau konkurriert und ihn quasi als Dominante zu verdrängen sucht.

Hollein hatte den Auftrag für den Media Tower mit seinem gebärdenreichen Projekt schon 1994 in einem Wettbewerb, an dem auch Jean Nouvel, Adolf Krischanitz und Heinz Neumann beteiligt waren, für sich entscheiden können. Die Intention Holleins, mit der vorgegebenen Höhenlinie zu brechen, wurde vom Auftraggeber, der Generali-Versicherung, und von der Stadtverwaltung honoriert. Österreichs Stararchitekt placierte auf dem schmalen Grundstück zwei unterschiedlich hohe Türme, wobei der höhere ausserdem um drei Grad aus der Vertikalen geschwenkt wurde. Diese minimale Abweichung, dieses Auskragen verleiht dem Turm mit seiner hermetisch abschliessenden Spiegelverglasung und dem Info-Screen eine Signifikanz, die mehr als nur eine vordergründige Assoziation mit Pisa erweckt. Die konstruktiv aufwendige Schräglage verleiht dem 80 Meter hohen Turm aus der frontalen Sicht von der Innenstadt her das Flair des Solitären. Die künstlerisch generierte Abweichung vom Orthogonalen in der Grossform, welche als subjektiver Gestus für den urbanen Kontext überzeugt, findet sich konsequent geplant immer wieder im gesamten Objekt.

Das Ausgreifen in den Raum, um die zweidimensionale Stadtansicht des Gebäudes in eine mehrschichtige Ecklösung zu verwandeln, wird von der in den oberen Etagen angehängten Box eines Besprechungsraumes unterstützt. Zu ebener Erde wiederholt die Kleinform der mehrgeschossigen Stahl-Glas-Konstruktion wie eine transparente Plakatwand die Idee von der Konstitution einer neuen Ecksituation am Eingang zum 2. Bezirk. Allerdings ereignet sich gerade in der Eingangssituation des Guten zu viel. Das Entrée selbst mutiert letztlich zum kleinen Hinterbühneneingang vor der grossen Inszenierung des Meisters. Holleins Solitär aus zwei Türmen - ein Widerspruch nur im Sprachlichen - basiert in seiner skulpturalen Konfiguration auf der Vorstellung vom Schürfen oder Graben aus dem übergeordneten Volumen, um einen ambivalenten Raum zu schaffen. Während der höhere Turm als Landmark für alle Sichtachsen der Stadt verantwortlich ist, erweist Hollein mit dem um 24 Meter niedrigeren Baukörper seine Reverenz gegenüber der Innenstadt, die zusätzlich durch die aufgesetzte Kleinarchitektur eines Konferenzsaales akzentuiert wird.

Diese Dualität aus Skulpturalem und Orthogonalem setzt sich innen fort. Im kleineren, orthogonal angelegten Turm löst Hollein die sture Stapelung von Etagen auf. Eine mehrgeschossige Halle mit ihren schrägen Betonsäulen und gekurvten Decken bringt Spannung und auch die für Hollein charakteristische Atmosphäre des Höhlenartigen in einen sogenannten Zweckbau ein, der sich in Sachen Büroorganisation nicht wesentlich von simpleren Bauten unterscheidet. Hollein versucht eben mit den Möglichkeiten der Architektur, Wahrnehmungen zu verändern, Abläufe zu irritieren und sich mit utilitaristischen Arbeitskonzepten zu konfrontieren. Auch im höheren Turm möchte er dieses Ziel erreichen. Dort ist selbst im Inneren die minimale Schrägstellung der Betonstützen erlebbar. Sie verschieben das plane Rahmenwerk für die wohl beste Aussicht auf Wien um eine Nuance, damit die plane Frontalität der Betrachtung auch von den Benutzern hinterfragt wird. Das Experiment Holleins mit der dreidimensionalen Wahrnehmung hat sich insgesamt für Wien gelohnt. In ihrer Komplexität demonstrieren die beiden Türme, was mit dieser Architektur in der Stadt erreicht werden kann, wenn der Auftraggeber bereit ist, auch entsprechende Budgets aufzubringen.

07. Februar 2001Jan Tabor
Falter

Schöne Aussichten

Hans Holleins „News“-Tower in der Taborstraße ist das bessere Haas-Haus und ein wichtiger Impuls für das städtebauliche Krisengebiet am Donaukanal. Eine Begehung.

Hans Holleins „News“-Tower in der Taborstraße ist das bessere Haas-Haus und ein wichtiger Impuls für das städtebauliche Krisengebiet am Donaukanal. Eine Begehung.

Ohne es zu wissen, nehmen wir, die aufmerksamen Leser der beiden besten österreichischen Nachrichtenmagazine, an einem in der Geschichte der komparativen Architekturpsychologie einzigartigen Experiment teil. Zahlreich sind die wissenschaftlichen Studien und praktischen Erfahrungen, die eindeutig belegen, dass die Qualität der architektonischen Gestaltung am Herstellungsort (Schulen, Büros, Betriebe, Redaktionen) die Qualität des Hergestellten (Produkte, Leistungen, Artikel) überaus positiv beeinflussen können. Freilich gilt es auch umgekehrt für die schlechte Architektur. Dies sogar viel stärker.

Wahrscheinlich ist die Zeit noch zu kurz gewesen, um bei News und Format bereits nennenswerte Verbesserungen feststellen zu können. Erst vor zwei Wochen zogen die Brüder Fellner mit ihren 500 Mitarbeitern aus einem der plumpsten Bürohäuser in Wien in eines der elegantesten um: vom Galaxie-Turm auf der Praterstraße in den Hollein-Tower am Donaukanal, für den ich die Bezeichnung Philemon-Baucis-Tower vorschlage.

Einerseits ist es zeitgemäß, Hochhäuser mit sagenhaften Namen zu veredeln, siehe Galaxie oder Andromeda, andererseits stehen die beiden selbstständigen Türme aneinander angelehnt wie ein altes verliebtes Paar, wachsen sie ineinander wie einst Philemon und Baucis, Lieblinge der Götter. Natürlich ginge auch Pyramus und Thisbe, deren Elternhäuser dicht aneinander gedrängt in Babylon standen, aber die sind zu wenig bekannt. Don Quichote und Sancho Pansa wären formal-metaphorisch irreführend, Hellmuth und Wolfgang zu sarkastisch. Romeo und Julia würden schon wegen des auffälligen Balkons gut passen, sind aber bereits zu oft verwendet worden.

Das neue Meisterbauwerk von Hans Hollein hat einen möglicherweise weitreichenden politischen Defekt, für den der Architekt aber nichts kann: Auf dem schlanken, dem höheren der beiden verschiedenartigen Türme - nennen wir ihn Baucis - befindet sich eine Neuheit: „Die Wiener können sich über eine weitere Attraktion freuen: Am Dach des Hauses prangt der in der Innenstadt sichtbare NEWS-Infoscreen, der Wien schon bald mit den besten Nachrichten versorgt“, jubelt das News-Editorial (Nr. 2/01). Sobald das Wunderding der Medienwelt, mit 60 Quadratmeter Bildfläche angeblich Europas größte und modernste elektronische Infowand, softwaremäßig voll beherrscht wird, werden den Innenstadtpassanten die attraktiven Magazincovers - und mit ihnen auch der ewige Coverfeschak Haider - nicht erspart bleiben, wo auch immer sie in der City gerade flanieren.

Rein architektonisch betrachtet, ist der auf dem Dach aufgesetzte, in seiner wolkenkratzenden Dominanz leicht befremdlich wirkende Screen kein Fehler. Ganz im Gegenteil: Er sieht nicht nur aus wie der sprichwörtliche Punkt auf dem i, formal ist er das auch - dem schlanken Turm verleiht das Bildboard einen attraktiven, zeitgemäß-metropolitanen Akzent, den die gerade im Bereich der City städtebaulich entsetzlich verhunzte Donaukanalzone dringend gebraucht hat. Dass das moderne Stadtbild ohne verschiedenartige Lichtobjekte als Informationsträger und Reklamen unvollständig bleibt, wussten bereits die Erbauer des Ringturms (Arch. Erich Boltenstern, 1955) und setzten auf das erste wirkliche Hochhaus in Wien den legendären leuchtenden Wettervorhersagemast: ein symbolischer Leuchtturm auf dem Weg in die neue, schöne westliche Welt.

Mit seinem Neubau setzt Hans Hollein jenen richtigen Städtebau am Donaukanal fort, der mit dem Bau des Ringturms begonnen und zugleich für fast ein halbes Jahrhundert wieder aufgehört hat. Es ist keine Übertreibung, wenn man die städtebauliche Situierung und die ihr kongenial angepasste Gebäudeform, die Hollein für den Anfang der Taborstraße gefunden hat, als ähnlich genial bezeichnet wie die Situierung und die Formung der Urania von Max Fabiani (1910) auf einer städtebaulich ähnlich bedeutenden Stelle. Obwohl die Bauten nicht auf derselben Uferseite gelegen sind, ist es den Architekten in beiden Fällen gelungen, einen städtebaulichen Brückenschlag zwischen dem Kai und dem zweiten Bezirk zu bilden. Gleichartig ist nicht nur die prägnante Situation, gleichartig ist auch die vielfältige und vielseitige Turmform, die in den vielen Blickwinkeln steht und vortrefflich besteht. Es sind Gebäude, die von allen Seiten schön anzusehen sind.

Der Bau der Urania war von den jüdischen Bewohnern der Leopoldstadt, im Volksmund antisemitisch „Mazzesinsel“ genannt, begrüßt worden - nicht nur als eindrucksvolles Bausymbol des Bildungsbürgertums, das die Urania tatsächlich war, sondern als eine städtebauliche Geste gegenüber dem jüdischen Bezirk. Falls sie das wirklich war und keine schöne Illusion, so blieb es bei dieser einen Geste. Bereits in der Zeit des Ringstraßenbaus galt die Leopoldstadt als ein Innenstadt-Erweiterungsgebiet, in dem die im städtebaulichen Nichts endende Ringstraße später einmal fortgesetzt würde. Unmittelbar nach dem „Anschluss“, das heißt tatsächlich bereits im Frühjahr 1938, wetteiferten die ostmärkischen Architekten mit Entwürfen für riesige Gauanlagen mit Parteiforen und Aufmarschachsen anstelle der demolierten Leopoldstadt - „Wien an die Donau“ lautete die NS-Stadtentwicklungsparole. All diese megalomanischen NS-Fantasien setzten die gänzliche Demolierung der Leopoldstadt voraus; die Deportation der jüdischen Einwohner (deren Anteil in der Leopoldstadt damals über 40 Prozent lag) galt ebenfalls längst als ausgemacht, wie die Anschriften an jüdischen Geschäften bezeugen. Zum Glück für die Leopoldstadt hegte Hitler andere Absichten: Er verbot jegliche Erweiterungspläne in Wien und ordnete die Schrumpfung Groß-Wiens (mit eingemeindetem Umland samt Klosterneuburg, Schwechat oder Korneuburg) auf 1,3 Millionen Einwohner an.

Als vollständige oder weitgehende Demolierungen tauchten diese Fantasien in den ersten Jahren nach dem Kriegsende wieder auf. Nachdem es letztlich doch nicht gelungen war, den unliebsamen Bezirk mittels Stadtplanung wegzuradieren, wurde er durch Neubauten, hauptsächlich jene von Georg Lippert, regelrecht abgeriegelt, dahinter versteckt wie hinter einer riesigen Gettomauer. Die städtebaulich unsinnige Anordnung der großen Bürohausscheiben auf den vom früheren NS-Architekten Lippert geplanten Bundesländer-, IBM- und Raiffeisen-Verwaltungsgebäuden lässt sich nur als Trotzreaktion deuten.

Von oben, vom Philemon-Tower aus, sieht man die mächtige Barrierewirkung der Lippert'schen Bauten besonders deutlich. Hans Hollein hat eine Bresche in diese verdammte städtebauliche Mauer am Donaukanal geschlagen. Den Baucis-Tower kann man auch als umgekehrtes Imperativzeichen lesen, als Architektur gewordenen Aufruf und Maßstab dafür, wie man ab nun am Donaukanal städtebaulich fortfahren soll. Vergleicht man rückblickend den Entwurf eines geradezu zärtlich abgerundeten, ephemer wirkenden Glashauses von Jean Nouvel (den ich bei dem Wettbewerb vor vier Jahren bevorzugt hätte) mit den scharf geschnittenen, aneinander gestellten und ineinander verflochtenen, unterschiedlich großen und gestalteten Bauvolumina, so zeigt sich, dass die Entscheidung der Jury für den Wettbewerbsentwurf von Hans Hollein richtig war.

Das fulminante Spiel mit den Volumina, den harten Kanten und brechenden Linien könnte für manieriert gehalten werden. Es ist aber ein überaus sinnvolles Spiel, weil dadurch am Beginn der Taborstraße eine Art Trichtersituation entstanden ist, die den wichtigsten Eingang mit der City visuell verknüpft. Jetzt erst erkennen auch Nichtwiener, dass hier die City weitergeht und nicht bereits die Peripherie beginnt. Verglichen mit der gegenüberliegenden Seite am Schwedenplatz, entsteht gar die schöne Illusion, die eigentliche City beginne erst hier. Bemerkenswert ist außerdem, wie Hollein die Oberflächenästhetik des auf der anderen Seite der Taborstraße stehenden Bundesländer-Bürohauses (jetzt Uniqua) übernommen hat, diese Fassadenstruktur verändert und beide Gebäude zu einem einheitlich wirkenden Ensemble zusammengefasst hat. Der Neubau wertet den Altbau erheblich auf, behebt weitgehend dessen städtebaulich falsche Situierung und hebt dessen große architektonische Qualität hervor.

Das 1959/61 gebaute Bundesländer-Haus steht unter Denkmalschutz und zählt zu den interessantesten Bauwerken aus dem Wien der Sechziger. Für den Stahlbetonskelettbau wurde zum ersten Mal in Wien die so genannte curtain wall, die Vorhangwand, verwendet (eine Fassadentechnik, die 1911 von Walter Gropius für die Fagus-Werke in Afeld/Lein erfunden wurde). Dank dem Vorplatz beim Philemon-Baucis-Tower entsteht zusammen mit dem Vorplatz vorm Lippert-Haus ein kleiner, aber deutlich formulierter städtischer Platz. Das Verblüffende ist, dass hier kein monumental wirkendes so genanntes Stadttor entstanden ist, sondern ein in jeder Hinsicht passabler Stadteingang.

Lapidar gesagt: Hans Hollein ist es diesmal eindeutig gelungen, in der Wiener Innenstadt ein architektonisch eindeutiges Zeichen zeitgenössischer Stadtauffassung zu verwirklichen. Wenn man sich an all die Varianten für das Haas-Haus am Stephansplatz erinnert, so fällt auf, dass darunter auch einige waren, die starke konzeptuelle Ähnlichkeiten mit seinem Neubau am Donaukanal aufweisen. Ungestört von Kiebitzen aller Art, die das Entstehen des Haas-Hauses mit Unmengen von guten Vorschlägen begleiteten, konnte Hollein hier das bessere, das vollkommene Haas-Haus verwirklichen.

Im News-Editorial wird begeistert von jenem weit auskragenden Balkon berichtet, der dem niedrigen, eher untersetzten Turm an der Außenfassade zugehängt wurde - als wäre die eisenbahnwaggongroße Glaskabine ein riesiger Panoramalift. Es sei ein „toller Arbeitsplatz“ und der „wahrscheinlich spektakulärste Konferenzraum Wiens“, freuen sich die News-Leute. Der auffallende balkonartige Seitenanbau am Philemon ist eine von vielen gestalterischen Kleinigkeiten, die der ungemein fragil wirkenden und vielfältigen Komposition jene außerordentliche architektonische Qualität verleihen. Der Anbau ist visuell notwendig, er gleicht die abweichenden Senkrechtachsen beider Türme und die Schräge des ebenfalls hervorkragenden Unterbaus am Eck aus.

Ursprünglich hatte ich den „über Wien schwebenden Konferenzraum“ tatsächlich für einen Aufzug gehalten, für ein delikates architekturgeschichtliches Zitat, eine ironische Referenz auf den berühmten Direktionsaufzug, den sich der böhmische Schuhkönig Bata 1937 an seinem neuen, streng funktionalistischen Bürohochhaus in Zlin hatte anbringen lassen. Er wollte mit seinem fahrenden Büro dort stehen bleiben, wo er seine in den Großraumbüros arbeitenden Angestellen durch plötzliches Erscheinen erschrecken wollte. Gott sei Dank stimmt es nicht. Herausgeber Wolfgang Fellner regiert in einem festen Büro im Baucis-Tower, im letzten, 18. Stock gleich unter dem sechzig Quadratmeter großen Bildboard, dem größten und modernsten in Europa.

Hinauf mit einem der vier Aufzüge. In der Liftkabine lese ich das Wandgedicht „Süße, leck meine Füße, wenn du es nicht kannst, dann“ - was dann, das teilt uns der poetisch sublimierende Mann (vermutlich ein Kulturredakteur) leider nicht mit. Das Büro des Herausgebers ist verhältnismäßig klein, nüchtern und gediegen eingerichtet. Der Rundblick ist nach allen Seiten offen und wird durch die leichte Neigung des Turmes noch verstärkt: völlig neuartig, ein Genuss sondergleichen. Die Beengtheit am Gipfel des schmalen Turmes bewirkt, dass man der Aussicht, dem Fernblick, dem Überblick, dem Höhenfluggefühl nicht entkommen kann, wo immer man auch steht. Unter allen Bauwerken gelten Türme als die eindrucksvollsten Machtsymbole. Und obwohl sich Hans Hollein redlich bemüht hat, Symbolik zu vermeiden, ist sie unübersehbar. „Das neue Wahrzeichen der Wiener City“ (News-Editorial) ist das Wahrzeichen einer neuen Macht.

Höhenrausch ist Machtrausch. Wer es erreicht hat, so hoch zu kommen, der kann nicht mehr herunterfallen, höchstens noch höher hinaufsteigen. Soeben, rechtzeitig zum Umzug, hat ein Gericht die Übernahme des profil durch die Herren im neuen Geschlechterturm am Donaukanal bewilligt. Man sieht von weit und breit: Dort oben, im Baucis-Tower, sitzt der zweite, der zweifache Citizen Kane of Austria, der neue Hans Dichand. Der alte Dichand hat mit seinem Pressehochhaus in der Muthgasse (Architekten J. Wickenburg und H. Kompolschek, 1963) ja vorgezeigt, wie vortrefflich Zeitungsmacht mit dem klassischen Machtsymbol Turm zusammenspielt.

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