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Presseschau

27. Oktober 2018Wojciech Czaja
Der Standard

Lernen mit dem Lustprinzip

Vor einer Woche wurde der Österreichische Bauherrenpreis 2018 vergeben. Eines der sechs ausgezeichneten Projekte ist der Schulcampus in der Seestadt Aspern, der so viel Wohlbefinden aus einem herauskitzelt wie schon lange keine Schule mehr.

Vor einer Woche wurde der Österreichische Bauherrenpreis 2018 vergeben. Eines der sechs ausgezeichneten Projekte ist der Schulcampus in der Seestadt Aspern, der so viel Wohlbefinden aus einem herauskitzelt wie schon lange keine Schule mehr.

In der Aula rennen die Kids hin und her. Manche hocken mit der Jause auf den Treppen. Andere flanieren auf den Galerien, als würden sie über einen Catwalk schreiten, und blicken in die Tiefe des schulischen Pausengeschehens. Eine der gläsernen Türen steht sperrangelweit offen. „Eigentlich immer“, meint Schuldirektorin Silvia Böck am Schreibtisch sitzend, lächelt wie ein Sonnenschein, verkörpert die Atmosphäre dieses Hauses mit allen ihr zur Verfügung stehenden Gesichtsmuskeln. „Wenn man einmal hier ist, will man nie wieder weg. Das ist die schönste Schule Wiens. Sie hat etwas Skandinavisches. Kommen Sie! Ich beweise es Ihnen.“

Der Bildungscampus in der Seestadt Aspern ist Resultat eines offenen Wettbewerbs, der Anfang 2013 entschieden wurde. Das pädagogische Raumkonzept, das umgesetzt wurde, war Teil der bewusst offen und experimentell gestalteten Ausschreibung und sollte die teilnehmenden Architekten dazu anspornen, einen noch nie dagewesenen Schultypus zu entwickeln. Im Sommer letzten Jahres wurde die Schule, die im Endausbau 1100 Kinder aufnehmen wird können, fertiggestellt und in Betrieb genommen.

„Wir haben ganz schön große Augen gemacht, als wir die Ausschreibung gelesen haben“, sagt Hemma Fasch. Sie leitet mit ihren beiden Partnern Jakob Fuchs und Fred Hofbauer das Wiener Architekturbüro Fasch & Fuchs und konnte sich im Wettbewerb gegen ihre Mitstreiter durchsetzen. „Das hat nach einem richtig großen Schritt in der pädagogischen Entwicklung geklungen. Das hat uns natürlich angespornt. Im Rückblick, denke ich, haben wir gute Arbeit geleistet, denn das Projekt wurde ohne große Abstriche genauso umgesetzt, wie wir es geplant hatten.“

Die Klassen der Unterstufe sind in sogenannte Cluster unterteilt. Jeder Cluster besteht aus vier über Schiebetüren erweiterbaren Schulklassen und einem zentralen Pausenraum, dem sogenannten Marktplatz. Der Vorteil an diesem Konzept ist, dass die Kinder nicht nur in den Pausen, sondern auch im Unterricht leichter in Kontakt treten und miteinander projektbezogen arbeiten können.

Ein absolutes Novum ist die Organisation der Oberstufe: Jede Schulstufe verfügt im zweiten Obergeschoß über eine Homebase, eine Art Riesen-WG für 70, 80 Kinder gleichen Alters – mit Tischen, Stühlen, Regalen, Schränken, gemütlichen Sofas und Leselampen an der Wand. Der Unterricht findet in sogenannten Departments statt. Ähnlich wie an einer Universität ist jeder Fachgruppe (Sprachen, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik) ein eigener Lernbereich, ein eigener Studiensaal zugeordnet.

Die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe haben somit keine Stammklassen mehr, sondern wandern je nach Unterrichtsfach von einem Teil des Gebäudes zum anderen. Damit zwingt das System jene zur Bewegung, die in der Vergangenheit oft einen halben Tag lang auf 63 Quadratmetern zusammengepfercht wurden. Zugleich ist es wirtschaftlich und effizient und bietet den Lehrkräften, die an Bücher, Computer und allerlei Unterrichtsmittel gebunden sind, den Komfort, stationär arbeiten zu können.

So gut die Architektur ist, so noch viel wunderbarer ist das räumliche Experiment, das die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) mit diesem Bau gewagt hat. Kein Wunder also, dass der Bildungscampus in der Seestadt Aspern vor einer Woche mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2018 ausgezeichnet wurde. Er ist eines von insgesamt sechs Projekten, die heuer vor den Vorhang geholt wurden, um nicht wie sonst üblich die Architektinnen und Gestalter zu prämieren, sondern die hinter den Kulissen agierenden Bauherren und Auftraggeberinnen – für ihren Mut, für ihre Bestellqualität, für ihre Wahrnehmung einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

„Der Bauherrenpreis hat es sich zum Ziel gemacht, diejenigen zu würdigen, die Architektur und Baukultur überhaupt erst ermöglichen, indem sie die Initiative ergreifen und die Gestaltung unserer gebauten Umwelt finanzieren“, sagt Maria Auböck, Präsidentin der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs (ZV), die den Bauherrenpreis seit 1967 jährlich vergibt. „Unter den 106 Einreichungen aus allen Bundesländern hat sich gezeigt, dass die beiden gesellschaftlichen Kernthemen Schulbau und Wohnbau dominieren und dass in diesen beiden Kategorien besonders überraschende, innovative Konzepte zu finden waren.“

Der Österreichische Bauherrenpreis, der auf eine Initiative von Hans Hollein zurückgeht, ist in seiner Art ein weltweites Unikum. In Deutschland, Schweiz und Slowenien wird derzeit an ähnlichen Formaten gearbeitet. „Aber wir“, so Auböck, „sind bereits seit 51 Jahren auf Flughöhe.“ Am 10. Dezember 2018 ist der Landeanflug geplant. Dann werden die siegreichen Projekte im Wiener Ringturm zu sehen sein.

20. Oktober 2018Franziska Leeb
Spectrum

Wider den baulichen Wahnsinn

Sechs Preisträger machen aus unserem Land noch keine Baukulturnation. Sie sind rare Musterbeispiele, für die dringend Nachahmer gefragt wären. Zur Verleihung des Österreichischen Bauherrenpreises.

Sechs Preisträger machen aus unserem Land noch keine Baukulturnation. Sie sind rare Musterbeispiele, für die dringend Nachahmer gefragt wären. Zur Verleihung des Österreichischen Bauherrenpreises.

Ob überdimensionale Baustrukturen von Großinvestoren, die gewachsene Stadtmorphologien zerstören, scheußliche Gewerbegebiete, die für die Entvölkerung malerischer Innenstädte sorgen, oder der ökonomische, ökologische und gestalterische Wahnsinn der Zersiedelung durch Einfamilienhäuser: Für all das sind – vom Investor bis zum Häuslbauer – Bauherren verantwortlich. Im Idealfall verstehen sie etwas von Architektur und vom Bauen. Immer öfter dirigieren das Bauen jedoch externe Bauherrenvertreter und Juristen und sind Bauherren als Personen nicht greifbar. Dann werden Architektur und Baukultur von kurzsichtigem Verwertungsdenken und schnelle Renditen in die Mangel genommen.

Daher ist es recht und billig, einmal pro Jahr jene Gebäude samt ihren Auftraggebern und Planern zu ehren, die in gedeihlicher Kooperation der Akteure entstanden, architektonisch vorbildlich sind und einen positiven Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten. Seit über 50 Jahren verleiht die Zentralvereinigung der Architektinnen (ZV) den Österreichischen Bauherrenpreis. Sechs Siegerprojekte ermittelte heuer die mit der Architekturpublizistin Gabriele Kaiser sowie den Architekten Stefan Marte und Andreas Bründler besetzte Jury.

Dass sich darunter zwei Schulbauten befinden, überrascht nicht, haben doch die gesellschaftliche Debatte über das Bildungswesen und geänderte Abläufe im Schulalltag den Diskurs über die adäquate Schularchitektur befördert. Beiden gingen EU-weit ausgeschriebene Wettbewerbe voran. Bei der Bundesschule Aspern in der Wiener Seestadt war mit der Bundesimmobiliengesellschaft eine im Schulbau routinierte Bauherrin zugange. Sie erarbeitete ein Raum- und Funktionsprogramm, mit dem Österreich an internationale pädagogische Standards im Schulbau anschließt und das Fasch und Fuchs Architekten in eine ebenso international konkurrenzfähige lichtdurchflutete, stimulierende Lernlandschaft übersetzten.

Alles andere als Routine ist ein Schulbau in kleineren Gemeinden wie Lauterach in Vorarlberg, wo es den politisch Verantwortlichen Courage abverlangt, neue Wege zu gehen. In einem langjährigen Entwicklungsprozess wurden ab 2005 die pädagogischen und räumlichen Grundlagen in mehreren Arbeitsgruppen entwickelt. Es ist den intensiven Diskussionen und der Testplanung im Vorfeld zu danken, dass das Bestandsgebäude aus den 1930er-Jahren nicht kurzerhand einem Neubau weichen musste, sondern in eine Erweiterungsplanung integriert wurde. Man betrat zweifach Neuland: mit dem offenen Raumkonzept, aber auch architektonisch, da die Wettbewerbssieger, das Grazer Architekturbüro Feyferlik/Fritzer, mit einem lockeren Pavillon-Gefüge mit direkt von außen betretbaren Unterrichtsclustern landläufigen Vorstellungen von typisch „Vorarlberger Architektur“ nicht entsprachen. „Die Architektur macht den Kindern nichts vor, sondern schenkt ihnen einfach Raum für Erfahrung“, resümierte die Jury. Ums Vormachen geht es oft im Tourismus, wo mit auf alt getrimmtem Holz Klischees vom gemütlichen Urlaub in der Alpenrepublik bedient werden. Hotelier Robert Hollmann ging mit den Architekten Winkler und Ruck einen anderen Weg. Die in Holzblockbauweise und mit Sockeln und Stiegenhäusern aus brettgeschaltem dunklem Beton auf wenig Grundfläche errichteten Häuser Luki, Toni und Franzi auf der Turracher Höhe zelebrieren traditionelle Handwerkskunst und bringen Archaik und Moderne souverän in Einklang. Aus einer Katastrophe geboren ist ein Siegerprojekt, das sich als Ausflugsdestination empfiehlt. Am Rindberg in Sibratsgfäll im Bregenzer Wald setzte 1999 heftiger Regen einen ganzen Hang samt Almdorf in Bewegung. Die große Rutschung hinterließ tiefe Spuren in der Landschaft und im Bewusstsein der Einwohner, und es ist gewiss, dass der Boden weiter in Bewegung bleiben wird. Zur Bewältigung und Akzeptanz dieser Situation trägt die „Georunde Rindberg“ bei, ein Erinnerungspfad, initiiert vom ehemaligen Bürgermeister Konrad Stadelmann und gestaltet vom Architekturbüro Innauer-Matt mit dem Designteam Super BfG. Acht Installationen in der Landschaft zeichnen die Geschehnisse nach und deuten die Geschichte positiv um. Auch so kann Dorferneuerung praktiziert werden.

„Was immer Sie vorschlagen, ich sage Ja.“ So ein Deal wird auch für erfolgsverwöhnte Architekten wie Wolf D. Prix selten angeboten. Und so kam es, dass ein schillerndes, mit Edelstahlschindeln verkleidetes Gebilde von Coop Himmelb(l)au gleich einem aufgehenden Teigling an der Westautobahn bei Asten hinter den Leitplanken emporwächst. Backmittelerzeuger Peter Augendopler macht hier in der „Wunderkammer des Brotes“ seine aus Tausenden Exponaten bestehende Sammlung zum Thema Brot zugänglich und konnte mit der exzellenten Präsentation im kühn nach oben gedrechselten Ausstellungsraum die Jury für sich gewinnen.

Solche Inszenierungen haben im Wohnbau nichts verloren, wenngleich der Name des steirischen Preisträgers glamourös und die Ausbildung des Wohn- und Geschäftshauses im Grazer Lendviertel von höchster Eleganz ist. Die „Prinzessin Veranda“ bildet mit dem weißen Kleid ihrer Fassadenschicht aus Loggien und Veranden einen eleganten Ruhepol im zerfransten Quartier. Licht in den tiefen Baukörper kommt über ein elliptisches Atrium, von dem Laubengänge die Wohnungen erschließen. Für die leicht zu merkende Binsenweisheit „Wohnungsbau ist Städtebau“ findet sich hier ein heute rares Musterbeispiel, dazu gute Grundrisse, konsequente Materialisierung und hohe Detailqualität: Geht so etwas wirklich nur dann, wenn – wie es die Schöpfer der Prinzessin, das Architekturbüro Pentaplan, es seit 20 Jahren erfolgreich praktizieren – Planer und Projektentwickler in Personalunion agieren?

Die sechs Bauherrenpreisträger setzen Maßstäbe, und dafür wurden sie jüngst im Orpheum in Graz gefeiert. Sogar der Bundespräsident sandte eine Grußbotschaft: „Raumordnungsfragen und Stadtentwicklungen beeinflussen alle Bereiche der Gesellschaft. Sie prägen den öffentlichen Raum, unser Lebensumfeld, das soziale Lebensgefühl.“ Fußballspielen und Skifahren haben jedenfalls deutlich weniger Auswirkungen. Für die Bauherren des Jahres bräuchte es wohl ein ähnliches Begleitbrimborium mit TV-Show und Publikumsvoting, wie es den Sportlern des Jahres zuteilwird, damit sie zu breitenwirksamen Vorbildern und Helden der Nation werden

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