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07. April 2017Nina Egger
TEC21

Strom aus Strom

Etwas aufbewahren, das per Definition immer im Fluss ist? Strom als elektrische Energie zu speichern funktioniert nur bedingt. Durch die Umwandlung in potenzielle, kinetische oder chemische Energie eröffnen sich weitere Möglichkeiten.

Etwas aufbewahren, das per Definition immer im Fluss ist? Strom als elektrische Energie zu speichern funktioniert nur bedingt. Durch die Umwandlung in potenzielle, kinetische oder chemische Energie eröffnen sich weitere Möglichkeiten.

Unsere Infrastruktur ist von einer konstanten Stromversorgung abhängig. In Spitälern hätte selbst ein kurzer Stromausfall tödliche Folgen; in der hoch technisierten, digitalisierten Schweizer Wirtschaft ziehen Ausfälle schwere Verluste nach sich. Steuerungszentralen und Sicherheitsorgane bereiten Notfallszenarien für einen Blackout vor. Die Versorgungssicherheit ist zurzeit eines der wichtigsten politischen Themen, unter anderem im ­Hinblick auf internationale Kooperationen, aber auch auf das revidierte Energiegesetz und die Umsetzung der Energiestrategie 2050.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Technologien, die das Speichern von elektrischer Energie ermöglichen. Zum einen geht es um den kleinen Massstab: Wichtige Institutionen, insbesondere im Gesundheitsbereich, sind mit Notstromaggregaten ausgestattet, die es technisch weiterzuentwickeln gilt. Zum anderen ist das gesamte Stromnetz im landesweiten Massstab betroffen.

Um die Energiestrategie 2050 umzusetzen, muss das Schweizer Energiesystem schrittweise umgebaut werden. Das Massnahmenpaket des Bundes sieht vor, den Energieverbrauch zu senken und erneuerbare Energien wie Solarenergie, Windkraft und Energie aus Biomasse stärker zu nutzen. Doch die effiziente Nutzung von solchen lokal erzeugten, erneuerbaren Energien kann ein elektrisches Energienetz vor grosse Herausforderungen stellen.

Während Photovoltaikanlagen in der Nacht keinen Beitrag leisten, ergibt sich, wenn die Sonne mit voller Kraft vom Himmel strahlt, immer öfter ein Überangebot an Strom. So bleibt zu manchen Zeiten die gewinnbare Energie ungenutzt, weil das Stromnetz den überschüssigen Strom gerade nicht aufnehmen kann. Das Stromnetz verträgt nämlich keine grossen Schwankungen und muss in ständiger Balance zwischen Angebot und Nachfrage gehalten werden (vgl. «Frequenzregelung», Kasten unten). Ähnlich verhält es sich mit Windkraft, wenn bei Netzüberlastung Windräder aus dem Wind gedreht oder abgeschaltet werden, obwohl sie eigentlich gerade Strom produzieren könnten.

Die Produktion von Kleinwasserkraft wiederum hängt vom aktuellen Wasserpegel in den Flüssen und Bächen ab. Das Wetter beeinflusst somit sehr stark, wie viel Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt aus erneuerbaren Quellen bereitgestellt werden kann.

Neben der Anpassung der Nachfrage ist die naheliegende Lösung, den Strom zu speichern, sodass zum Beispiel die bei Tag photovoltaisch gewonnene, überschüssige Sonnenenergie in der Nacht verwendet werden kann.

Über kurz oder lang verfügbar

Energiespeicher lassen sich anhand der Speicherdauer in Kurzzeit- und Langzeitspeicher unterteilen. Dies ermöglicht den Ausgleich von sehr unterschiedlichen Schwankungsmustern. Photovoltaik schwankt im Tages­rhythmus zwischen Maximum und Minimum; bei anderen Erneuerbaren können sich Flauten und produktionsstarke Perioden über Wochen und Monate hinziehen. Der Verbrauch hat sein eigenes Auf und Ab. Je nach betrachteter Zeitskala kommen verschiedene Technologien zum Einsatz. Typische Speicherdauern:

– Subsekundenbereich bis zu wenigen Minuten (für unterbruchsfreie Stromversorgung von elektrischen Anlagen und elektronischen Geräten)
– Stunden bis zu einem Tag
– mehrere Tage
– eine bis zwei Wochen
– saisonaler Ausgleich

Kurzzeitspeicher besitzen einen hohen Speicherwirkungsgrad – annähernd so viel Strom, wie gespeichert wurde, steht auch wieder zur Verfügung – und weisen hohe Zyklenzahlen auf. Die Zyklenzahl gibt an, wie oft ein Speicher bis zum Verschleiss be- und entladen werden kann. Diese Speicher decken Zeiträume von Sekundenbruchteilen bis zu einem Tag ab. Sekundenspeicher sind u. a. Schwungrad, Kondensator und supraleitende magnetische Energiespeicher (also Spulen). Der bekannteste Vertreter der Minuten- bis Tagesspeicher ist der Akkumulator (vgl. «Der Speicher im Haus»). Als Stunden- bis Tagesspeicher kommen Pumpspeicher und Druckluftspeicherkraftwerke zum Einsatz.

Langzeitspeicher haben geringere Speicherwirkungsgrade – somit höhere Verluste – und niedrigere Zyklenzahlen. Dafür können sie Energie über Tage bis Jahre und in wesentlich höherer Menge speichern. Zu ihnen zählen Gas, Brenn- und Kraftstoffe (vgl. «Der Photosynthese auf der Spur») sowie Pumpspeicherkraftwerke (vgl. «Bei Bedarf auf oder ab»). Für den Gebäudepark Schweiz sind die etwas längerfristigen Speichertechnologien relevant, teils in Kombination mit dezent­raler Energieversorgung von Einzelobjekten, teils für die zentrale Versorgung ganzer Gebiete.

Strom direkt als elektrische Energie zu speichern funktioniert, indem er in einem Kondensator ein elektrisches Feld oder in einer Spule ein Magnetfeld erzeugt; daraus wird in der Folge wieder ein elektrischer Fluss angeregt. Beim Kondensator liegt die typische Speicherdauer im Sekundenbereich, und die Leistung ist auf wenige kW beschränkt. Spulen werden nur kurzfristig eingesetzt, weil ihre Kühlung viel Energie benötigt, was bei längeren Zeiträumen die Energiespeicherung ad absurdum führen würde.

Nützlich sind diese beiden Technologien zum Glätten von plötzlichen Spannungsspitzen, zum Beispiel bei einem Blitzeinschlag, die Geräteschaden verursachen könnten. Für grössere und längerfristige Anwendungen eignet sich die direkte Speicherung nicht.

Die Umwandlung in andere Energieformen erweitert den Zeitraum, in dem wieder Strom gewonnen werden kann. Allerdings entstehen bei der Umwandlung immer Verluste. Weiter sinkt der Wirkungsgrad durch Selbstentladung. Ein Schwungrad beispielsweise, das durch Strom in Bewegung versetzt wird und diesen somit als kinetische Energie speichert, wird durch Reibungswiderstände langsamer und kann zunehmend weniger Energie zurückliefern. Mit der Selbstentladung sieht es besser aus, wenn der Strom in potenzielle oder chemische Energie umgewandelt wird. Potenzielle Energie findet man etwa in Speicherseen. Das mit Überschussstrom in den See gepumpte Wasser ist dort konstanter gespeichert als die Bewegungsenergie im Schwungrad. Es hat das Potenzial, mechanisch Energie zu erzeugen, indem Schleusen geöffnet werden, wonach es zu Turbinen fliesst und diese antreibt.

Als elektrochemische Speicher definiert sind Batterien und Akkumulatoren. Nutzt man die zu speichernde elektrische Energie für eine umkehrbare chemische Reaktion, erhält man Brennstoffe wie Methan, aus denen Monate bis Jahre später wieder Energie gewonnen werden kann. Man spricht dann von einem stofflichen chemischen Speicher.

Langzeitspeicher gleichen nicht nur Angebot und Nachfrage aus. Sie haben auch den wirtschaftlichen Vorteil, dass ihre Betreiber Strom kaufen können, wenn er gerade am Preisminimum ist, um ihn später zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen.

TEC21, Fr., 2017.04.07



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TEC21 2017|14-15 Elektrische Energie speichern

07. April 2017Nina Egger
TEC21

Der Speicher im Haus

Batterien sind nicht nur etwas für den Radiowecker oder die Fernbedienung. Mit grösseren Modellen lassen sich – zumindest teilweise – auch Häuser betreiben. Das zeigt das Beispiel eines Mehrfamilienhauses im luzernischen Aesch.

Batterien sind nicht nur etwas für den Radiowecker oder die Fernbedienung. Mit grösseren Modellen lassen sich – zumindest teilweise – auch Häuser betreiben. Das zeigt das Beispiel eines Mehrfamilienhauses im luzernischen Aesch.

Es ist eine Krux: Das Angebot an erneuerbaren Energien wie Solar- oder Windstrom schwankt ständig – und das sowohl tageszeitlich als auch saisonal. Dazu kommen die Nutzerinnen und Nutzer, die ihren Energieverbrauch naturgemäss auch nicht gleichmässig über 24 Stunden und das ganze Jahr verteilen.

Ausgleich schaffen hier Kurzzeitspeicher wie Akkumulatoren, die allgemein gebräuchlich – wenn auch technisch nicht korrekt – synonym Batterien genannt werden. «Echte» Batterien dienen dem einmaligen Gebrauch, Akkumulatoren sind mehrfach wiederaufladbar. Im Gegensatz zu Pumpspeicherkraftwerken (vgl. «Bei Bedarf auf oder ab») mit Leistungen über 1000 MW bewegt sich das Spektrum von Batterien im Bereich von einigen Kilowatt (einzelne Batterien für Elektroautos oder als Photovoltaikspeicher in Gebäuden) bis in den zweistelligen Megawattbereich für Batteriespeicherkraftwerke.

Im Wohnbereich gilt die Faustformel: Pro 1000 kWh/a Verbrauch benötigt man ca. 1 kWp Photovoltaik und 1 kW Speicher, um den Eigenversorgungsgrad durch die PV-Anlage auf sinnvolle 60–80 % zu erhöhen. So muss weniger Strom zugekauft werden, und weniger Überschuss gelangt ins Netz. Die Anlagen sind auf diese Weise nicht überdimensioniert, der finanzielle Aufwand für den Bau und die Ersparnisse im Betrieb halten sich die Waage.

Batterien im Gebäudebereich funktionieren wie jene für Elektroautos oder Wohnwagen. Teilweise erhalten sogar alte Fahrzeugbatterien durch den Einbau in ­Gebäude ein zweites Leben. Die meisten Batteriesysteme bieten neben der Speichermöglichkeit zusätzliche ­Energiemanagementfunktionen. Damit lassen sich Verbrauchsgeräte bei Energieüberschuss zuschalten, immer mit dem Ziel, möglichst viel des eigenen Solarstroms auch selber zu nutzen. Plug-and-play-Konfigurationen sind eingestellt auf Batterieladung während der Hauptproduktionszeit und auf Batterienutzung zu Zeiten, in denen Strom üblicherweise teuer ist.

Alt, doch immer wieder neu

Nach über 150 Jahren am Markt befinden sich Blei­akkumulatoren auf dem Rückzug. Sie fungieren noch immer als Starterbatterien für Kraftfahrzeuge, bei Elektrofahrzeugen wurden sie aber wegen ihres hohen Gewichts und ihrer geringen Energiedichte bereits von Lithium-Ionen-Akkumulatoren verdrängt.

Genau diese sind es auch, die in Gebäuden und grossen Batteriespeicherkraftwerken eingesetzt werden. Es gibt sie in Kombination mit verschiedenen Elektrodenmaterialien, die alle in unterschiedlichen Bereichen punkten. So ist Lithiumtitanat beispielsweise für tiefe Temperaturbereiche ab – 40 °C besonders geeignet. Das Grundprinzip ist immer gleich: Beim Laden wandern Lithiumionen von der positiven Elektrode in die Schichten der negativen, beim Entladen bewegen sie sich wieder zurück. Dieser Prozess kann nicht unendlich oft wiederholt werden und beschränkt damit die Lebensdauer des Akkumulators.

Aktuell gibt es zahlreiche Forschungsprogramme, die sich mit anderen Materialkombinationen befassen – so könnten etwa Thermalbatterien, die Salze als Elektrolyte verwenden, die Energieträger der näheren Zukunft werden.

Camouflage an der Fassade

Eine Kombination von Photovoltaikanlage und Lithium-Ionen-Akkumulatoren besitzt das 2016 fertiggestellte Mehrfamilienhaus Chrüzmatte im Dorfzentrum von Aesch am Hallwilersee. Der Hybridbau aus Holz und Beton des Luzerner Architekten Mark Röösli erfüllt den Minergie-A-Eco-Standard und wurde 2016 mit einem Schweizer Solarpreis-Diplom ausgezeichnet. Er steht auf einem Sockel, der das abfallende Grundstück nivelliert und die Einstellhalle mit 21Parkplätzen beherbergt. Drei Geschosse enthalten acht Zwei- bis Vierzimmerwohnungen, das ausgebaute Dach bietet Platz für zwei Maisonettewohnungen mit je fünfeinhalb Zimmern.

Um ein homogenes Dachbild zu erhalten, ­wurden beide Seiten des Satteldachs vollflächig mit Photovoltaikmodulen gedeckt, mit einer Leistung von insgesamt 51 kWp. Erstaunlich dabei war für die Beteiligten, dass das nach Norden orientierte Dach trotz der relativ starken Neigung von 45° einen substanziellen Teil des Stromertrags liefert, nämlich mehr als die Hälfte von jenem des südlichen Dachs. Gegen Osten, Süden und Norden hat das Haus eine silbergraue Fassade aus Lärchenholz. Speziell ist die Westfassade mit auf Mass gefertigten 204 × 232 cm grossen 11 kWp Glas-Glas-PV-Modulen. Diese wurden im Werk laminiert, um die Holzlattenstruktur zu imitieren. Wegen des Siebdruck-Ätztons gelangt etwas weniger Licht durch die Glasplatten; die Anlage liefert 5 % weniger Strom.

Jährlich produziert die 74 m² grosse PV-Fassade rund 6500 kWh, die 276 m² grosse Anlage auf dem Dach rund 39 400 kWh Solarstrom. Damit deckt die Solarenergie rechnerisch rund 50 % des Gesamtenergiebedarfs des Zehnfamilienhauses – dank der 22–35 cm starken Dämmung, der LED-Beleuchtung und der ­Nutzung energieeffizienter Geräte liegt dieser bei nur 91 300 kWh/a.

Teile und speichere

Um mit den voraussichtlich produzierten rund 45 800 kWh Strom nicht das örtliche Stromnetz zu belasten, sondern ihn möglichst selber zu nutzen, bildete man mit dem benachbarten Gasthof Kreuz eine Eigenverbrauchsgemeinschaft. So konsumiert das Gasthofgebäude jetzt ebenfalls den tagsüber produzierten ­Solarstrom. Drei als Lithium-Ionen-Akkumulatoren ausgeführte Batteriespeicher mit einer Kapazität von insgesamt 41 kWh ergänzen die Anlage. Sie speichern den weiterhin anfallenden Energieüberschuss für den Verbrauch in der Nacht. Schätzungen zufolge können so mindestens 50 % des gesamten produzierten Stroms vor Ort selber direkt oder nach Zwischenspeicherung in der Batterie gebraucht werden. Die andere Hälfte wird in das Netz eingespeist.

Der bewusste Umgang mit den Ressourcen zieht sich durch die gesamte Planung: So können die Mieterinnen und Mieter ein liegenschaftseigenes Elektro­auto nutzen, und um die Motivation zum bewussten Umgang mit Energie zu stärken, schenkt die Eigentümerin jedem und jeder Erwachsenen pro Jahr 1000 kWh Solarstrom. Bei sparsamem Umgang kann das schon ein Drittel des Verbrauchs ausmachen. Die drei Batteriespeicher leisten ihr Übriges zum schmalen ökologischen Fussabdruck.

TEC21, Fr., 2017.04.07



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TEC21 2017|14-15 Elektrische Energie speichern

17. Februar 2017Nina Egger
TEC21

Ein neuer Weg

Bei der nachhaltigen Energieversorgung geht es nicht nur darum, wie viel Energie verbraucht werden darf und wie viel aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden soll. Auch auf welchem ­Einzugsgebiet die Energie verteilt wird, ist eine Frage nach dem rechten Mass.

Bei der nachhaltigen Energieversorgung geht es nicht nur darum, wie viel Energie verbraucht werden darf und wie viel aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden soll. Auch auf welchem ­Einzugsgebiet die Energie verteilt wird, ist eine Frage nach dem rechten Mass.

Klimaschutz hat seine Tücken. Die Schweizer Treibhausgas-Emissionen sollen bis 2020 um 20 % niedriger liegen als 1990, die Energieversorgung aber langfristig gesichert sein – und das trotz dem geregelten Ausstieg aus der Kernenergie. Wie kann also nachhaltige Energienutzung funktionieren? Es geht um drei Dinge: Möglichst wenig Energie verbrauchen, diese effizient nutzen und sie aus CO2-neutralen, nachwachsenden Ressourcen erzeugen. Diese Aufschlüsselung trifft auf Konsumgüter ganz genauso zu wie auf den Gebäudepark. Da dieser die Hälfte des Schweizer Energieverbrauchs ausmacht, ­arbeiten Experten seit Jahrzehnten an seiner Energie­ver­brauchs­optimierung.

Auf den Trend zu immer ­dickeren Wärmedämmungen, die den Verbrauch von Heizöl-(-äquivalenten) reduzieren sollten, folgten die Trends zu effizienten Haushaltsgeräten und haustechnischen Anlagen zum Beispiel mit Wärmerückgewinnung sowie schliesslich zur eigenen Erzeugung von erneuerbarer Energie. Plusenergiehäuser waren das neue goldene Kalb. Aktive Gebäude, wie das 2016 vom Büro Viridén   Partner renovierte Mehrfamilienhaus beim Schaffhauserplatz in Zürich, führen gleich zur nächsten Trendwende: weg von der zentralen Energieerzeugung, hin zu einer Dezentralisierung.
Woher kommt die Energie?

Unter zentraler Energieversorgung versteht man die Produktion von enormen Energiemengen an einzelnen (zentralen) Standorten, die dann – zum Teil über Ländergrenzen hinweg – in viele Richtungen verteilt werden. Durch lange Leitungswege entstehen hierbei hohe Verluste. Als Endkunde ist man überdies von den Importen, Angeboten und Preisen des Energielieferers abhängig. Bei der dezentralen Versorgung gibt es nicht das eine grosse Zentrum, sondern viele kleine.

Zentral versus dezentral ist keine schwarz-weisse Angelegenheit. Es gibt nicht nur russische Gaspipelines und die komplette, abgeschottete Eigenversorgung, wie sie auf der Monte-Rosa-Hütte (vgl. TEC21 49/2015, «Gebäudebetrieb zwischen Anspruch und Wirklichkeit») angestrebt wird. Das Versorgungsgebiet eines zentralen Erzeugers kann landesweit, kantonal oder stadtweit sein. Ein dezentraler Erzeuger gilt auch dann noch als solcher, wenn er Nebengebäude wie ein Gartenhaus oder einen Stall mitversorgt. Der Gedanke lässt sich auf die Nachbarn bis hin zur Arealvernetzung ausweiten.

Letztere wird auf einschlägigen Konferenzen schon seit Jahren als bedeutende Zukunftsvision gehandelt. Ob damit die goldene Mitte gefunden ist, eine Grössenordnung, die die Vorteile von zentraler und dezentraler Energieversorgung zu vereinen schafft, wird in der Schweiz gerade rege und in verschiedenen Komplexitätsgraden erforscht. Die Hochschule Luzern betrachtet in ihrem Projekt «SCCER» Energy Cluster, die Strom, Wärme und Gas teilen (vgl. TEC21 9–10/2015, «Erdwärme: First come first serve?»). Die Empa Dübendorf beschäftigt sich in ihrem Projekt «ehub» mit der Arealvernetzung (vgl. TEC21 22/2016, «Empa NEST – Brutplatz für die Forschung») und am Hönggerberg der ETH Zürich werden thermische Netzknoten im Realbetrieb getestet (vgl. TEC21 34/2015, «Thermische Netze»).

Das Haus als Kraftwerk

Was bedeutet Dezentralisierung aber nun für ein Einzelgebäude? Eventuell gar nichts. Wenn ein Gebäude nur als Verbraucher auftritt, könnte das exakt selbe Gebäude ohne die geringste Änderung statt von einem zentralen Anbieter von einem dezentralen versorgt ­werden – vorausgesetzt beide stellen ihm die gleichen Energieformen (z.B. Wechselstrom auf Niederspannung) zur Verfügung. In einem vernetzen Areal hat das Objekt noch zusätzliche Möglichkeiten. Jedes Gebäude kann als Erzeuger, Verbraucher oder Speicher dienen, muss aber eben nicht alle diese Funktionen gleichzeitig und auch nicht für alle Energieformen erfüllen.

Zur Betrachtung, wie dezentrale Energieversorgung funktioniert und wie es mit ihr weitergehen könnte, sind die aktiven Gebäude innerhalb eines Systems am aufschlussreichsten. Versorgt sich ein Gebäude oder Gebäudekomplex völlig selbst, wie es das Mehrfami­lienhaus von René Schmid in Brütten (vgl. «Egoist») tut, oder dient ein Gebäude als Knoten im Energienetz, wie das Active Energy Building von Falkeis Architekten in Vaduz (vgl. «Altruist»), lässt sich daraus besonders viel lernen. Denn derartige Gebäude bedürfen eines besonders hohen Technikeinsatzes, um ihre Funktion zu erfüllen.

So bieten diese Extrembeispiele mit ihrem vielfältigen technischen Arsenal den Praxistest für ­diverse Methoden der Erzeugung von elektrischer und thermischer Energie, der Maximierung von passiven Gewinnen und Minimierung von Verlusten, der Energiespeicherung und der effizienten Nutzung. An ihnen wird sich im Laufe von den Alltag begleitenden Monitorings zeigen, ob und wie die dezentrale Energie­versorgung über das Areal betrachtet funktionieren kann. Nicht jedes Gebäude muss in Zukunft so aussehen. Aber es hat sein Gutes, dass ein paar es heute tun.

TEC21, Fr., 2017.02.17



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TEC21 2017|07-08 Mein Haus ist mein Kraftwerk

17. Februar 2017Nina Egger
Paul Knüsel
TEC21

Egoist

Hinter der matt anthrazitfarbenen Glasfassade wohnen neun Familien ohne Anschluss an ein Energienetz. Auf den ersten Blick verwundert es, wie das funktioniert, denn Energieerzeuger sind keine zu sehen. Im Keller ­geben 26 Wechselrichter und ein Speicher erste Hinweise auf die Lösung.

Hinter der matt anthrazitfarbenen Glasfassade wohnen neun Familien ohne Anschluss an ein Energienetz. Auf den ersten Blick verwundert es, wie das funktioniert, denn Energieerzeuger sind keine zu sehen. Im Keller ­geben 26 Wechselrichter und ein Speicher erste Hinweise auf die Lösung.

Am Rand des Hofacher-Quartiers von Brütten ZH steht ein Mehrfamilienhaus, das weder an das öffentliche Stromnetz angeschlossen noch auf externe Brennstoffe angewiesen ist. Der ländliche Ersatzneubau mit neun Wohnungen ist ein Pilot- und Demonstrationsprojekt, das neueste Komponenten der Solartechnik mit einem ausgeklügelten Versorgungs-, Speicher- und Regelungssystem kombiniert. Die Bewohner leben ­energetisch autark von der Umgebung, dank gebäudeintegrierter Photovoltaik, Erdsonden und innovativen Speicher­varianten. Dafür wurde der Bau mit dem ­Norman ­Foster Solar Award 2016 (vgl. «Mehr als nur Solar») ausgezeichnet.

Grundsätzlich hat Energieautarkie im Siedlungsumfeld nichts verloren. In der Wüste, am Nordpol oder auf dem Mond wäre es etwas anderes. Doch warum soll ein Bau wie ein Eremit ganz für sich allein bleiben, wenn es sicherer und effizienter ist, ihn an ein öffentliches Versorgungsnetz anzuschliessen oder mit den Nachbarn, mit denen er Energie- und Stoffflüsse austauschen könnte, als kleines Netzwerk zusammenzuschliessen?

Beim Mehrfamilienhaus in Brütten ging es aber nicht darum, zu tun, was unter den gegebenen Be­dingungen am vernünftigsten ist, sondern darum, die heutige Technik bis aufs Letzte auszunutzen. Das ­Extrembeispiel soll zeigen, was alles möglich ist. Und das ist nun bewiesenermassen einiges.

Die (nicht sehr geheime) Rezeptur

Um sich zu 100 % selbst mit thermischer und elektrischer Energie versorgen zu können, müssen drei Grundbedingungen erfüllt sein: Der Verbrauch muss so gering wie möglich gehalten werden, die Eigenenergieproduktion muss so hoch wie möglich sein, und um dem zum fluktuierenden Angebot häufig versetzt auftretenden Bedarf gerecht werden zu können, werden Speicher benötigt. Bei Bautypen mit von vornherein geringem Bedarf und einer grossen zur solaren Energiegewinnung geeigneten Oberfläche lässt sich dem etwas leichter nachkommen – eine Scheune mit fünf Glühbirnen als einzigen Verbrauchern wäre ein geringes Problem. Aber ein Mehrfamilienhaus? Da ist das Volumen kompakt – wenig Oberfläche zur Energiegewinnung – und die Belegungsdichte hoch; entsprechend auch die Verbräuche. Kein Wunder also, dass bislang in der Schweiz niemand ein autarkes Mehrfamilienhaus erbaute.

Gezielte Verbrauchsreduktion

Der Energieverbrauch wird durch die gut gedämmte Gebäudehülle und durch hohe Effizienz bei der kon­trollierten Wohnraumlüftung, bei Wand- und Bodenheizung sowie bei technischen Geräten gering gehalten. Der Energiebedarf für Heizen, Brauchwarmwasser, Haushalts- und Betriebsstrom beläuft sich auf 63 300 kWh/a. Mit Wärmepumpe, Lüftung, Kühlung, Hilfsstrom und Energie zur Speicherbefüllung werden insgesamt 119 460 kWh/a verbraucht, exakt die Menge, die erzeugt wird.

Maximale Energieerzeugung

Energie erzeugt wird an allen Ecken und Enden des Gebäudes. Die Photovoltaikanlage am Dach mit 512 m² monokristallinen Solarzellen (79.54 kWp) und die 485 m² mikromorphen Dünnschicht-Solarzellen an der Fassade (46.96 kWp) produzieren zusammen durchschnittlich 92 000 kWh/a. Die Solarpaneele sind dabei speziell auf die Anwendung im architektonischen und gestalterischen Bereich angepasst und weiter entwickelt worden. Ein spezielles Verfahren, eigens für dieses Projekt an der HSLU entwickelt, ermöglicht die Behandlung des Deckglases, wodurch eine matte Oberfläche entsteht. Die verbauten Photovoltaikpaneele sind blendfrei und als Bauplatten verwendbar. Die mikromorphen PV-Fassadenmodule erzeugen selbst im Winter, unabhängig ihrer Ausrichtung, sowie bei niedrig stehender Sonne und viel diffusem Licht einen relativ hohen Stromertrag. Die Gebäudeform ist so beschaffen, dass kein Bauteil Schatten auf die Fassade wirft, was den Einsatz der PV-Fassade optimiert und auch den monolithischen Charakter des Bauwerks stärkt. Der Solarertrag reicht aus, den jährlichen Stromeigenbedarf in den neun Familienhaushalten abzudecken.

Zur elektrischen Energie der Photovoltaikanlagen kommt Wärmeenergie aus Umgebungswärme und aus Erdsonden mit Wärmepumpe und Wärmetauscher hinzu. Der thermische Energiebedarf für Raumheizung und Warmwasser wird aus diesem System gedeckt; es bezieht nur Strom, den das Wohngebäude selbst aus Sonnenenergie produzieren kann. Insgesamt werden 119 460 kWh/a bereitgestellt.

Optimierte Speicherung

Abgestimmt auf Nachfrageprofil und Nutzenergie ist die Speicherung kaskadenartig organisiert. Batterien und Wasserstofftanks dienen der kurz- und langfristigen Stromspeicherung, für überschüssige thermische Energie gibt es Wärmespeicher. Um die Speicher möglichst klein ausführen zu können, wurde der winterliche Solarertrag optimiert.

Als Kurzzeitspeicher für den von der PV-Anlage produzierten Überschuss fungiert eine Lithium-Eisenphosphat-Batterie. Batteriewechselrichter stellen innerhalb des Gebäudes das Stromnetz sicher und ­übernehmen die Primärregelung des Netzes. Gewisse Komponenten sind redundant ausgeführt, um eine hohe Verfügbarkeit zu gewährleisten. Bei einem Energieüberschuss der PV-Anlage wird die Energie in der Batterie zwischengespeichert. Wenn der Strom der PV-Anlage nicht mehr ausreicht, um den aktuellen Bedarf zu decken, kann die Energie rasch aus diesem Kurzzeitspeicher abgerufen werden. Die Batterie ist so ausgelegt, dass sie Lücken von einzelnen Stunden bis etwa drei Tagen überbrücken kann.

Da die Kurzzeitspeicher im Sommer schnell ­geladen sind, wird ein saisonaler Langzeitspeicher ­(Wochen bis Monate) benötigt. In den sonnenarmen Monaten kann die Energie aus dem Langzeitspeicher im Gebäude wieder eingesetzt werden. Über Batterien ist eine Langzeitspeicherung aufgrund der Verluste und hohen spezifischen Kosten für diesen Einsatz allerdings nicht wirtschaftlich realisierbar. Beim Projekt Brütten sind daher zusätzlich weitere Technologien (z.B. Wasserstoffspeicherung) im Einsatz. Diese Langzeitspeichersysteme sind eng mit dem Batteriespeichersystem verbunden und stellen die Versorgung bei längeren Unterdeckungen sicher.

Umwandlung

Als Power-to-Gas (kurz PtG oder P2G, auch «elektrische Energie zu Gas») wird ein elektrochemischer Prozess bezeichnet, in dem durch Wasserelektrolyse unter dem Einsatz von Strom Wasserstoff hergestellt wird. Der Strom wird in drei Schritten behandelt:

1. Produktion von Wasserstoff durch Wasserelek­trolyse, auch Power-to-Gas genannt
2. Speicherung des Wasserstoffes unter Druck
3. Produktion von elektrischem Strom durch eine Brennstoffzelle (Typ PEM)

Der dabei ebenfalls entstehende Sauerstoff kann genutzt oder in die Atmosphäre abgeblasen werden. Bei diesem Prozess entsteht neben dem Wasserstoff bei einem Druck von 30 bar ohne Verdichter gleichzeitig nutzbare Wärme in Form von Kühlwasser mit rund 35 °C.

Der so hergestellte Wasserstoff kann in Druckspeichern saisonal zwischengespeichert werden. Es sind verschiedene Drücke möglich und die Tankanlagen können überirdisch oder unterirdisch erstellt werden. Massgebend sind die Rahmenbedingungen am Aufstellungsort.

Die Brennstoffzelle wandelt Wasserstoff in Elektrizität um. Statt einer klassischen Verbrennung arbeitet eine Brennstoffzelle mit einer elektrochemischen Reaktion und ist emissionsfrei. Das Prinzip einer Brennstoffzelle ist vergleichbar mit dem einer Batterie. Sie verfügt ebenfalls über eine Anode, eine Kathode und einen Elektrolyten. Eine Brennstoffzelle kann selbst aber keine Energie speichern und sie kann auch nicht «aufgeladen» werden. Brennstoffzellen können kontinuierlich Gleichstrom produzieren, solange Brennstoff (Wasserstoff) und Luft zur Verfügung stehen. ­Neben der elektrischen Energie steht nutzbare Wärmeenergie zur Verfügung. Die Stromerzeugung durch die chemische Reaktion ist lautlos.

Thermischer Speicher

Thermische Langzeitspeicher dienen zur Speicherung von grossen Wärmemengen über lange Zeiträume. Der saisonale Wärmespeicher (zwei Wassertanks) wird via Wärmepumpe beladen, sobald zu viel Strom produziert wird. Dieser ist mit dem Brauchwassersystem (Hoch­temperatur) und dem Heizsystem (Niedertemperatur) verbunden.

In Brütten sind die Speicher unter dem Haus angeordnet. Als Speicherbehälter werden zwei konventionelle Stahl-Email-Tanks (Abb.) verwendet, wie sie auch in der Landwirtschaft zur Lagerung der Gülle eingesetzt werden. Die Speicher sind drucklos ausgeführt. Die Ladung und Entladung erfolgt über im Innern angebrachte Rippenrohrwärmetauscher, die Energie an das stehende Wasser im Speicher abgeben oder daraus entziehen. Die Speicher sind im gesamten Umfang 200 mm dick in Wärmedämmung eingepackt. Die Ausdehnung des Speicherwassers wird über eine entsprechende Reservehöhe und einen Überlauf mit Siphon gewährleistet. Ein allfälliger Zugang in den Speicher erfolgt von oben über einen wärmegedämmten Einstiegsschacht und eine eingebaute Schachtleiter. Die maximale Speichertemperatur beträgt rund 65 °C, die minimale 6 °C.

Alles massgeschneidert

Die gebäudeintegrierte Photovoltaik ist auf hohe Leistung und saisonalen Ausgleich dimensioniert. Zur Optimierung waren Speziallösungen bei Geometrie und Hinterlüftung der Dünnschichtmodule sowie bei der Konzeption der Schaltkreise und der Wechselrichteranschlüsse zu finden. Zur Demonstration des energieautarken Wohngebäudes gehört die zurückhaltende Gestaltung: So besitzen die Solarfassaden eine matte, blendfreie Optik. Ebenso ist an den bündigen, verschattungslosen Dachkanten erkennbar, wie Solartechnik und Architektur jeweils als ein Ganzes entworfen sind.

Definierte, simulierte Schnittstellen

Technisch ist die autarke Energieversorgung auf verlässliche Systeme angewiesen. Gewisse Komponenten sind daher redundant ausgelegt. Programmatisch geht es jedoch darum, die Schnittstellen zwischen Produktion und Verbrauch genau zu definieren. Die Knacknuss war hier, ein kompaktes Gebäudevolumen als ausreichende Fläche für die Energiegewinnung zu nutzen und die hohe Belegungsdichte mit einer moderaten Verbrauchsspitze zu kombinieren. Die unterschiedlichsten Lastgänge und Betriebsmodi wurden vorgängig simuliert. Das Energiemanagement steuert Produktion, Speicherung und Haustechnik intelligent; das Gebäudeleitsystem bezieht dafür auch reale Wetterdaten ein.

Die Verbrauchsseite, bestehend aus Haushaltsgeräten, Lüftungsanlage und weiteren haustechnischen Apparaturen, ist auf höchste Energieeffizienz getrimmt. Die Mieterschaft wurde zudem unter anderem aus einem öffentlichen Nachhaltigkeitswettbewerb ausgewählt. Der private Energiekonsum wird im Rahmen eines Austauschs untereinander sowie eines weitergehenden Forschungsvorhabens thematisiert.

Nachahmung (teilweise) erwünscht

Am Mehrfamilienhaus Brütten können sich Techniker und Wissenschaftler erfreuen, was aktuell alles möglich ist. Ein Monitoring wird in den nächsten Jahren zeigen, wie gut die einzelnen Komponenten des Gebäudes zusammenspielen und wo es trotz penibler Planung noch Nachbesserungsbedarf gibt.

Die Grundidee, sich trotz dem Standort mit ­guter Infrastruktur völlig autark mit Energie zu versorgen, dient mehr zur Demonstration denn als Vorbild. In der Schweiz besteht ohnehin eine Anschlusspflicht, die diesem Vorgehen widerspricht. Einzelne Elemente des Konzepts, die der Energiebedarfsminimierung, Energieerzeugung und -speicherung dienen, sind aus sowohl ökologischer als auch ökonomischer Sicht aber sehr wohl nachahmenswert. Hier gilt es, für jede Bauaufgabe und jeden Standort den geeignetsten Weg zu finden.

Nina Egger, Paul Knüsel

TEC21, Fr., 2017.02.17



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TEC21 2017|07-08 Mein Haus ist mein Kraftwerk

17. Februar 2017Nina Egger
Viola John
Wojciech Czaja
TEC21

Altruist

Sieht so die Zukunft aus? Weil Architekten zu Forschern wurden und ein Gebäude zum ­selbstlosen Energieversorger, entstanden allerlei technische ­Neuerungen. Das Wohnhaus ist ein Ideenpool für künftige Energiesysteme.

Sieht so die Zukunft aus? Weil Architekten zu Forschern wurden und ein Gebäude zum ­selbstlosen Energieversorger, entstanden allerlei technische ­Neuerungen. Das Wohnhaus ist ein Ideenpool für künftige Energiesysteme.

Viele Jahre vergehen für Planung und Bau, getragen von Akteuren, die man nicht unbedingt erwarten würde: Im Zentrum von Vaduz entsteht derzeit das Active Energy Building von Falkeis Architects – Anton Falkeis und Cornelia Falkeis-Senn und einem Team von Forschern, Entwicklern, ­Schlossern, Maschinenbauern, Robotikern und vielen mehr. Das Gebäude setzt sich aus zwölf Wohneinheiten zusammen und produziert mehr erneuerbare Energie für Heizung und Kühlung, als es selbst verbraucht. Dabei versorgt es gleichzeitig sich selbst und bildet einen Versorgungsknoten für die Nachbargebäude. Das Energiekonzept des Gebäudes basiert einerseits auf bewährten Prin­zipien und Systemen, beispielsweise Geothermie zur Bereitstellung von Wärmeenergie sowie Photovoltaikzellen für Strom. Andererseits sind einige der ein­gebauten Technologiekomponenten eigens für dieses Gebäude entwickelte Prototypen, deren Anwendung für zukünftige Energiesysteme als Vorlage dienen kann, etwa jene für die Klimaregulierung.

Gebaut wird im Energy Cluster

Das Areal, auf dem das Bauwerk errichtet ist, beinhaltet Wohn- und Bürogebäude, Grünanlagen und überbaute Tiefgaragen. Hier soll durch die ausschliessliche Verwendung von erneuerbaren Energiequellen sowie durch die Verknüpfung mit einem Pumpspeicherwerk und E-Mobility die CO2-Bilanz künftig auf vorbildlich niedrigem Niveau gehalten werden. Das Active Energy Building steht im Verbund mit den anderen Gebäuden des Areals und bildet mit ihnen einen sogenannten ­Energy Cluster (Abb.). Der Vorteil: Die dezentrale Energieversorgung kann innerhalb dieses Netzwerks besser genutzt werden als von einem Einzelobjekt. Denn je nach Nutzung der Wohn- und Büroräume entstehen zu unterschiedlichen Tageszeiten Energiebedarfsspitzen. In Summe sind sich die Energieverbräuche auf dem Areal am Vormittag und Abend dadurch viel ähnlicher, als dies im Einzelfall für Wohngebäude oder Büros zutrifft, wo sich der Bedarf im Tagesverlauf von tiefen Tälern zu hohen Spitzen und wieder talwärts schwingt.

Bewährte Systeme weisen den Weg zu Innovationen in der Energietechnik

Für die Nutzung von Geothermie wird dem Erdreich an zwei Stellen Wärme entnommen bzw. zugeführt. Einmal mit einer Entnahmetiefe von 13 m und einer Förder­leistung von 900 l/min, im anderen Fall mit einer ­Entnahmetiefe von 15 m und einer Förderleistung von 1800 l/min. Die Verteilung der thermischen Energie im Cluster erfolgt je nach Aktivität der Nutzungen.

Für die Bereitstellung von PV-Strom sind die schmale Südseite und das gesamte Dach als aktive Flächen ausgebildet. Um bei jedem Sonnenstand für einen maximalen Energieertrag zu sorgen, spielt die ideale Ausrichtung der PV-Zellen zur Sonne eine grosse Rolle. Daher wurden die energiegewinnenden Elemente so konzipiert, dass sie sich mit dem Sonnenstand mit­drehen (Abb.). Die Photovoltaikflügel wurden speziell für dieses Projekt entwickelt. Die Solarzellen selbst sind zwar weitläufig erhältlich, doch für die ­Konstruktion der gebäudeintegrierten, dreiachsigen Nachführung wurde das Planungsteam um Robotik­ingenieure und Maschinenbauer erweitert.

Für die Klimaregulierung an der Ost- und Westseite des Gebäudes wurden in Zusammenarbeit mit Forschern der Hochschule Luzern spezielle Fassadenmodule mit Latentwärmespeicher entwickelt. Die Tests und Simulationen mit den mit einem Phase-Change-Material (siehe Kasten «Phase Change Materials» unten) auf Paraffinbasis gefüllten Flügelelementen nahmen fast drei Jahre in Anspruch. Die Recherche gestaltete sich schwierig, denn die meisten PCM-Hersteller am Markt rieten von dieser noch kaum erforschten Technologie ab. Nachdem sich keine Partner aus der Industrie gefunden hatten, musste die erforderliche Kompetenz für Forschung, Entwicklung und Umsetzung von falkeis.architects selbst aufgebaut werden.

Als Vorbild dient die Natur

Um die im obersten Geschoss angebrachte Energie- und Klimatechnik aufzunehmen, entwickelten die Planer ein Tragwerk aus Stahl, das sie auf das Gebäude setzten. Die Konstruktion umspannt das Dachgeschoss sowie Teile der Ostfassade und ermöglicht zudem die elf Meter lange, südseitige Auskragung des Attikageschosses.

Die Stahlstruktur basiert auf einem Vorbild aus der Natur: dem Voronoi, das organischen Zellen ähnelt. Zum Beispiel bestehen die Flügel einer Libelle aus einer solchen Struktur aus einzelnen Feldern, die so zusammengesetzt sind, dass sie bei geringem Gewicht eine sehr hohe Stabilität aufweisen. Nur so kann die Libelle fliegen. Als Voronoi-Algorithmus bezeichnet man eine Zerlegung des Raumes in bestimmte Regionen. Jede Region wird durch genau ein Zentrum bestimmt und umfasst alle Punkte des Raumes, die näher am Zentrum der Region liegen als an jedem anderen Zentrum.

Die Voronoi-Tragstruktur besteht aus einzelnen zusammengeschweissten Blechträgern. Hierzu wurden die Einzelteile entweder über Kopfplatten mit Schraubverbindungen gefügt oder an ihren Flanschen mit V-Nähten zusammengeschweisst. Alle Träger weisen eine gleichbleibende Höhe von 80 cm auf, bei variabler Neigung der Stege von bis zu 42°. Sie sind im Stahl­betonverbund mit der Gebäudehülle verschnitten. Die Dach- und Fassadenelemente sind über Metalllaschen untereinander verbunden.

Wie Blütenköpfe drehen sich die PV-Elemente zur Sonne

In die polygonalen Felder der Voronoi-Struktur fügen sich Fenster, Oberlichter und alle beweglichen Elemente ein. Darunter sind mehrere Arten von PV- und PCM-Modulen. An der Lamellenfassade im Süden und auf den Balkonelementen im Osten sind polykristalline Zellen installiert, die zusammen 11 kWp liefern. Elf mit monokristallinen Modulen ausgestattete Oberlichter kommen auf 5.4 kWp. Der Grossteil des PV-Ertrags kommt aber von 13 dreiachsig nachgeführten Photovoltaikflügeln mit Flächen von bis zu 12 m², die in der Voronoi-Struktur des Dachs untergebracht sind. Sie folgen, ähnlich den Blütenköpfen von Blumen, während des Tages dem Sonnenverlauf.

Mit einem seit 2014 installierten Mock-up konnten Forscher der HSLU einen Ertragsfaktor von 2.9 nachweisen. Die 34.79-kWp-Anlage wird somit den jährlichen Solarertrag einer gleich grossen, fix ­montierten Solaranlage nahezu verdreifachen. Damit soll das gesamte Areal mit Solarstrom versorgt werden können. Überschüsse, die nicht genutzt werden, nimmt die Kraftwerks AG ab.

Die Klimaregulierung funktioniert phasenweise verschoben

Sieben mit einem Phase Change Material (PCM) als Latentwärmespeicher ausgestattete Klimaflügel sind an der Ost- und Westseite des Gebäudes in die polygonalen Zwischenräume der Voronoi-Struktur eingepasst. In ihrer Ruheposition liegen die Flügel flach in der Trag­struktur und dienen dem Schutz vor sommerlicher Überwärmung. Mit von Solarstrom betriebenen Spindelmotoren, die die Flügel bis zu 110° aufklappen und dem Himmel beziehungsweise der Sonne entgegenstrecken, wird das Potenzial des Phase Change Materials maximal ausgeschöpft.

Die vier Heizflügel (Abb.) befinden sich an der Westfassade des Gebäudes und klappen in den Morgenstunden auf, während das darin enthaltene PCM noch fest ist. Dank der Ausrichtung zur Sonne wird das Paraffin im Material erhitzt und verflüssigt sich bei einer Temperatur von 32 °C. Sobald das geschmolzene PCM am Ende des Tages den maximalen Wärmeeintrag erreicht hat, schliessen sich die Flügel automatisch und docken mittels eines Ventils an das Lüftungssystem an. Über einen Wärmelufttauscher wird die freigegebene Energiemenge an das Haus abgegeben. Die PCM-Flügel decken rund 10 % der gesamten Heizlast ab.

Genau umgekehrt verhält es sich bei den drei ostseitigen Kühlflügeln (Abb.). Diese liegen untertags plan in der Fassade und klappen sich nachts auf, wenn das Material aufgrund der absorbierten Gebäudewärme vollständig geschmolzen ist. In den Nachtstunden wird die überschüssige Energie abgestrahlt. Bei 21 °C verfestigt sich das Paraffin und erstarrt. Noch vor Sonnenaufgang klappen die abgekühlten und erstarrten PCM-Module wieder ein und tragen zur Kühlung der zweigeschossigen Attikawohnung bei. Auf diese Weise können 16 % der Gesamtkühllast des Hauses eingespart werden.

Sowohl bei den Heiz- als auch bei den ­Kühl­flügeln handelt es sich um polygonale Carbon­faserrahmen, die mit waagerecht montierten Alu­minium­lamellen bestückt sind. Der Querschnitt der stranggepressten Lamellen erinnert an jenen von Flugzeugflügeln: Die Wölbung kann sich leicht verformen und nimmt auf diese Weise die zehnprozentige Volumen­änderung auf, die das darin enthaltene Paraffin zwischen flüssigem und festem Zustand aufweist.

Bei der Konstruktion zählt die digitale Innovation

Für das Tragwerk des Gebäudes kamen zwei verschiedene Stützenmodelle zum Einsatz: eine gleichschenk­lige symmetrische Betonfreiformstütze sowie ein asymmetrisches Modell mit einem diagonalen und einem ­vertikalen Schenkel (Abb.). Durch die mal A-, mal V-förmige Verbauung verdoppelt sich das Repertoire auf insgesamt vier Varianten.

Die genaue Position jeder einzelnen A- und V-Stütze wurde in einem iterativen digitalen Berechnungsverfahren, gesteuert durch einen genetischen Algorithmus, so lange optimiert, bis eine Synthese aus minimalem Materialeinsatz und maximalem Sonneneintrag über die Ost-, Süd- und Westfassaden erreicht war ­(siehe Kasten «Digitaler Entwurf» unten).

Die Stützen verbinden sich untereinander zu komplexen Baumgebilden mit Verästelungen und Verzweigungen. Mit jeder Etage nimmt nicht nur die abzutragende Eigen- und Nutzlast ab, sondern auch die Zahl der dafür verantwortlichen Stützen. Die Spannweiten zwischen den Fuss- beziehungsweise Kopfpunkten betragen bis zu 12 m.

Die Freiformgeometrie mit der gedrehten Naht verleiht den Säulen ein weiches, organisches Erscheinungsbild. Zu verdanken ist die hohe Zeichnungsfähigkeit des ­Materials dem selbstverdichtenden High-Performance-­Beton (HP-Beton) mit hohem Quarzanteil, harter Gesteinskörnung und beigemischten Polypro­pylen­fasern (PP-Fasern). Entwickelt wurde die Betonrezeptur ­namens «alphapact P080» in Kooperation mit Holcim Schweiz.

Für den ungleichmässigen Querschnitt der ­Stütze wurde eine dreiteilige Gussform als Schalung entwickelt, die auf Basis der 3-D-Daten aus Epoxidharz gegossen wurde und keinerlei Hinterschneidungen enthält. ­Eingeschweisste und einbetonierte Anker- und Anschlussplatten mit integrierten Messpunkten erleichterten nicht nur die Montage vor Ort, sondern sorgten auch dafür, dass die geringe Bautoleranz von zwei Millimetern sogar noch unterschritten werden konnte.

Ein interessantes Experiment

Das Active Energy Building ist zweifellos interessant hinsichtlich seiner technischen Funktionen und Entstehungsgeschichte. Seine Erstellung erforderte einen hohen planerischen und bautechnischen Aufwand, was nur durch die finanzielle Unterstützung der Bauherren möglich wurde, die als Forschungsmäzene wirkten.

Das Ehepaar Marxer, das den Auftrag für das Bauwerk erteilte, appellierte an den Erfindungsreichtum der Architekten und bot ihnen die Chance, die Grenzen des technisch Möglichen auszureizen. Das ­Active Energy Building ist nicht als klassisches Architekturprojekt zu verstehen, sondern als ein Experiment, das zur Architektur- und Wohnbauforschung beiträgt. Nach dem Bezug des neuen Gebäudes wird über einen Zeitraum von zwei Jahren ein externes Monitoring zur weiteren Optimierung der Energieproduktion und -einsparung eingesetzt werden. Schon jetzt gibt es dank dem Active Energy Building einige neue Patente für Bauelemente. Es bleibt spannend und abzuwarten, wie sich die Forschungsergebnisse zukünftig auf die Baubranche auswirken werden.

TEC21, Fr., 2017.02.17



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18. November 2016Nina Egger
Johannes Herold
TEC21

«Eine archäologische Ausgrabung»

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

TEC21: Herr Dillenburger, was hat Sie dazu gebracht, mit 3-D-Druck zu arbeiten?

Benjamin Dillenburger: Angefangen hat es damit, dass wir Entwurfsinstrumente für Architekten entwickelt haben, mit denen Formen erzeugt werden können, für die es keine Möglichkeit zur Fabrikation gab. Das hat dazu geführt, dass wir uns viele Jahre lang erkundigt haben, welche Herstellungsmöglichkeiten es überhaupt gibt, um solche Formen zu bauen. Wir sind dann bei grossformatigem 3-D-Druck gelandet.

TEC21: Was kann 3-D-Druck, was anders unmöglich wäre?

Benjamin Dillenburger: Der 3-D-Drucker stellt einem geometrische Freiheiten zur Verfügung. Er ist in der Lage, Hohlräume, innere Strukturen von Bauteilen und auch Überschneidungen zu drucken und Geometrie generell in einer sehr hohen Auflösung zu materialisieren.

TEC21: Wird durch die innere Struktur Material gespart?

Benjamin Dillenburger: Unter anderem. Immer, wenn wir versuchen, Material zu optimieren, entstehen Formen, die eine grosse Herausforderung an die Fabrikation darstellen. Weil die Geometrie bei der Produktion keine Rolle spielt, ist es leichter, im 3-D-Druck viel Material zu sparen. Neben den geometrischen Freiheiten ermöglicht 3-D-Druck auch kleinste Serien von Bauteilen sowie Komplexität in der Geometrie ohne Extraaufwand in der Herstellung. Es gibt verschiedene 3-D-Druckverfahren, und für manche davon bedeutet das weder extra Maschinenzeitkosten noch extra Druckzeit. Es macht keinen Unterschied, ob man eine Box oder ein hochkomplexes Element druckt.

TEC21: Wie wirken sich die Möglichkeiten des 3-D-Druckers auf den Entwurfsprozess aus?

Benjamin Dillenburger: Im Zusammenspiel von computergestütztem Entwerfen und 3-D-Druck liegt das grösste Potenzial. Mittels Algorithmen kann der Computer automatisch Materialeinsparungen an Bauteilen vornehmen. Wir entwickeln auch eigene Programme, die für spezifische Bauaufgaben optimierte Bauteile herstellen und die zu druckenden Elemente möglichst platzsparend in einer Druckbox zusammenpacken können. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Maschinenlaufzeit. Je effizienter man die 3-D-Druck-Elemente arrangiert, desto kostengünstiger werden sie.

TEC21: Wie lang etwa dauert es vom Entwurfsbeginn bis zum Ende des Druckvorgangs?

Benjamin Dillenburger: Das hängt unter anderem stark vom Entwurfsprozess ab. Wir haben den Raum «Digital Grotesque» entworfen, der hochkomplexe Geometrien beinhaltet. Wir konnten uns viel Zeit lassen, um die Gestaltung der Oberfläche sehr sorgfältig zu komponieren. Der Herstellungsprozess selbst betrug für einen Raum mit einer Grundfläche von 16 m² und einer Höhe von 3.2 m eine Woche. Bestimmte 3-D-Drucker können zum Beispiel in etwa 48 Stunden Elemente drucken, die 4 × 2 × 1 m gross sind.

TEC21: Heisst das, der Entwurf bekommt dann im Verhältnis zur Produktion mehr Zeit?

Benjamin Dillenburger: Der Idealfall ist – und das gilt nicht nur für den 3-D-Druck, sondern für digitale Fabrikation im Allgemeinen –, dass im virtuellen Modell finale Entwurfsentscheidungen später getroffen werden können, weil die Herstellung weniger Zeit beansprucht und sehr schnell an eine veränderte Geometrie angepasst werden kann.

TEC21: Was folgt als Nächstes, wenn ein Druck fertig ist?

Benjamin Dillenburger: Beim Binder-Jet-Verfahren schwimmen die gedruckten Bauteile in einem losen Pulverbett, das die Teile während des Drucks automatisch stützt. Das hat Auswirkungen auf die geometrische Freiheit. Mit diesem Druckverfahren können Auskragungen und Hohlräume realisiert werden. Anschliessend wird der lose Sand entfernt, und man nimmt eine archäologische Ausgrabung des eigenen neuen Designs vor. Beim Sand-Binder-Jet-Druck ist das Resultat mit natürlichem Sandstein vergleichbar. Der nächste Schritt wäre eine Beschichtung, um die Oberfläche zu stabilisieren, und eventuell noch das Lackieren.

TEC21: Woran arbeiten Sie zurzeit?

Benjamin Dillenburger: So wie wir heute Farben mischen, ist es möglich, auf Materialebene verschiedenen Stoffe zu verbinden. Das bedeutet, wir stellen Materialien her, die einen Verlauf aufweisen, zum Beispiel von transparent zu lichtundurchlässig, von weich zu hart, fest zu elastisch, schwer zu leicht – das kann alles in einem Bauteil hergestellt werden. Es eröffnen sich in der Architektur gerade vollkommen neue Möglichkeiten. Das ultimative Ziel unserer Forschung ist, Elemente zu drucken, die auch strukturell als Bauteil funktionieren. Dabei untersuchen wir neue Pulver- und Bindermaterialien.

Momentan ist es sinnvoll, 3-D-Druck in einem sogenannten indirekten Druckverfahren einzusetzen, zum Beispiel für verlorene Schalungen. Dabei wird das gedruckte Element erst in Kombination mit anderen Werkstoffen zum eigentlichen Bauteil. Das hat verschiedene Vorteile: Die Kombination mit Gusstechniken bietet ein viel grösseres Spektrum an verfügbaren Materialien und vereint die Vorzüge beider Seiten – einmal die digitale Fertigung mit nie dagewesenen geometrischen Freiheiten und zum anderen die Materialvielfalt der Gussverfahren, bei denen verschiedene Metall- oder Betonsorten eingesetzt werden können.

TEC21: Wofür eignet sich 3-D-Druck definitiv nicht?

Benjamin Dillenburger: Ich würde behaupten, standardisierte, einfache Bauteile mit hohen Stückzahlen, für die es schon hocheffiziente industrielle Fertigungsmethoden gibt, müssen nicht mit einem Drucker produziert werden. Es wäre vielleicht auch noch zu früh, das Ziel zu haben, ein Haus in einem Stück zu drucken. Architektur ist und bleibt eine Assemblage von verschiedenen Systemen, Gewerken und Materialien, die zusammengefügt werden müssen. Da würde ein 3-D-Drucker, der alles auf einmal drucken kann, keinen Sinn ergeben. Mich interessiert eher die Frage, wie sich 3-D-Druck mit anderen Verfahren kombinieren lässt. Der Idealfall wäre meiner Meinung nach, dass Häuser nicht mehr auf Standardisierungen angewiesen sind, sondern zunehmend spezifisch und individuell gestaltet werden können. Das sind gewichtige Argumente dafür, dass digitale Fabrikation – und im radikalsten Fall 3-D-Druck – eingesetzt werden.

TEC21: Also alles, was kein Massenelement ist. Eine Rohrleitung wird ja milliardenfach produziert und sieht in jedem Haus gleich aus.

Benjamin Dillenburger: Aber die Verlegung der Rohrleitung und die Bauform wiederum können unterschiedlich sein. Der 3-D-Druck kann so etwas wie der Mediator sein bei der Standardisierung von Systemen, die alle eine eigene Logik haben. Ich glaube, der 3-D-Druck wird dann erfolgreich, wenn er in der Lage ist, verschiedene andere Systeme einzubetten.

TEC21: Über welche Grössenordnungen sprechen wir, wenn es um die Kosten geht?

Benjamin Dillenburger: Wir haben hier Verfahren, die im Vergleich zu Frästechniken gleichauf liegen. Dabei handelt es sich um eine noch junge Technologie. Die Maschinenpreise haben sich allein in den letzten zwei bis drei Jahren um den Faktor 10 verringert.

TEC21: Wenn also der 3-D-Drucker nicht mehr so teuer ist, wie steht es mit dem Material?

Benjamin Dillenburger: Das Material ist tatsächlich ein Kostenfaktor, aber auch die Energie, die aufgewendet werden muss, um es zu verarbeiten. Diese wiederum hängt von der Verbindungsmethode ab – ob es sich um die Binder-Jet-Methode handelt oder ob das Material mit Laser oder durch ein Schweisssystem verbunden wird. Das führt logischerweise zu verschiedenen Energiebilanzen.

TEC21: Wie marktreif ist der 3-D-Druck?

Benjamin Dillenburger: Das hängt vom Verfahren ab. Es gibt für den Beton- und Sanddruck bereits Maschinen, die auf dem Markt verfügbar sind. Jetzt geht es eigentlich darum, architektonische Anwendungen für die 3-D-Druck-Technologien zu finden. Eine Schwierigkeit kann dabei sein, dass durch die Möglichkeiten des 3-D-Drucks das, was früher in verschiedenen Gewerken hergestellt wurde, jetzt zusammengefügt werden kann und in dem Fall vielleicht andere Marktstrukturen entstehen. Nach einem regelrechten Hype befinden wir uns momentan in der Phase der Ernüchterung. Jetzt muss sich zeigen, welche Entwicklungen Zukunftspotenzial haben und welche nicht. Danach wird es in der Konsolidierungsphase einen erneuten Innovationsschub geben.

TEC21: Aber kann es nicht sein, dass die Nachfrage noch nicht vorhanden ist, auch wenn die Technologie marktreif ist?

Benjamin Dillenburger: Neue Technologien haben es naturgemäss schwer in der Architektur oder der Bauwirtschaft. Das ist auch gar kein Vorwurf an die Bauindustrie. Natürlich brauchen alle neuen Entwicklungen eine gewisse Zeit, bis sie getestet sind, die Normen erfüllen und ihre Langzeittauglichkeit erwiesen haben. Wir reden ja von Gebäuden, die eine viel längere Lebensdauer haben als zum Beispiel ein Telefon. Deswegen ist es ganz normal, dass neue Technologien länger brauchen, um sich im Bauwesen durchsetzen zu können.

TEC21: Müsste sich der Entwurf ändern, um sich dem 3-D-Druck anzupassen?

Benjamin Dillenburger: Um die Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können, vielleicht ja. Es wird immer wichtiger, möglichst viel im Gebäude vorplanen zu können. Die BIM-Modellierung hat den Anspruch, Fabrikationsprozesse abzubilden – mehr als dies heute der Fall ist. So können die Produktionsdaten schon aus dem BIM-Modell errechnet werden und im Umkehrschluss auch Produktionsbedingungen in die Modelliersoftware integriert werden, um den Entwurfsprozess effizienter zu gestalten und Fehlerquellen zu reduzieren.

TEC21: Was könnte ein Ansporn sein, 3-D-Druck einzusetzen?

Benjamin Dillenburger: Immer wenn der Wunsch besteht, nicht mit standardisierten Bauteilen zu arbeiten, sondern spezifische Lösungen anzubieten, die nicht der Norm entsprechen. Dann führt heutzutage kaum ein Weg mehr an digitaler Fabrikation vorbei. Und 3-D-Druck vereint die Vorteile, die das digitale Bearbeiten mit sich bringt, in radikalster Weise: keine Extrakosten für massgefertigte Elemente, reduzierte manuelle Arbeit, die präzise Übertragung des virtuellen Modells in ein physisches Bauteil, vollkommene Kontrolle in der Herstellung sowie die Skalierbarkeit des Produktionsprozesses.

TEC21: Wir haben in Ihrem Labor transparente Schalungen für Säulen mit Wabenstruktur gesehen. Sie wirken so, als würde sich das Endresultat plastisch oder elastisch verformen lassen.

Benjamin Dillenburger: Die Eigenschaften eines Bauteils können auch über die Geometrie gesteuert werden. Wir sprechen in diesem Fall von 4-D-Druck (vgl. «Die DNA der digitalen Fertigung»). Es gibt Versuche, innere Strukturen so zu drucken, dass sie an manchen Stellen eine elastische Verformung zulassen, während sie an anderen Stellen steif bleiben. Weiter ist es möglich, strom- oder wasserführende sowie transparente Materialien zu drucken und diese in ein komplexes Bauteil zu integrieren. Es geht uns also nicht nur darum, Baustoffe zu optimieren, sondern darum, ganz neue Elemente herzustellen.

TEC21: Ist es vorstellbar, dass ein 3-D-gedrucktes Bauteil auch auf Zug beansprucht wird?

Benjamin Dillenburger: Die meisten 3-D-Druckverfahren sind schichtbasiert. Nun geht es darum, die Verbindung zwischen den Schichten zu optimieren. Im kleinen Massstab gibt es schon Drucker, die dazu in der Lage sind. Wir haben einen Laser-Sinter-Drucker, der mechanisch beanspruchte Teile mit einer festen Verbindung zwischen den Ebenen herstellen kann.

TEC21: Welche Projekte planen Sie als nächste?

Benjamin Dillenburger: Wir arbeiten an mehreren Projekten. Für die Empa planen wir ein grosses Testgebäude, für das wir eine Deckenkonstruktion mithilfe von 3-D-Druck herstellen möchten. Weiter versuchen wir, in unserer Forschung neue Materialien zu erschliessen und verschiedene Druckverfahren auf Skalierbarkeit hin zu testen, damit diese auch in grossem Massstab eingesetzt werden können. Parallel dazu versuchen wir den Architekten neue Entwurfswerkzeuge an die Hand zu geben, damit sie die Möglichkeiten des 3-D-Drucks voll ausschöpfen können.

TEC21: In wie vielen Jahren rechnen Sie damit, dass 3-D-Druck tatsächlich von Architekten als selbstverständliches Werkzeug eingesetzt wird?

Benjamin Dillenburger: Wenn man sich anschaut, wie lang es gedauert hat, bis CNC-Fräsen in der Fertigung von Elementen alltäglich geworden sind, kann das schon – unter anderem wegen der Normung und Prüfung der Materialien – noch Jahre dauern. Fünf Jahre vielleicht? Unser nationaler Forschungsschwerpunkt «Digitale Fabrikation» ist auf zwölf Jahre angelegt. Wir überlegen uns oft: Wie sieht das Bauen in zwölf Jahren aus? Wenn wir um den gleichen Zeitraum zurückschauen und sehen, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat, dann stimmt das optimistisch für die Zukunft. Es gibt noch unglaublich grosses Potenzial an Erneuerungen in der Art und Weise, wie wir bauen. Wie gesagt, das ist kein Vorwurf an die Bauindustrie. Bauen ist einfach ein sehr komplexer Prozess. Aber je leistungsfähiger unsere Informationstechnologie wird, sei es in der Planung oder in der Fabrikation, desto schneller werden wir neue Kräfte freisetzen können.

TEC21, Fr., 2016.11.18



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20. November 2015Nina Egger
Jörg Worlitschek
TEC21

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Am Wärmemarkt passen Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. Erst der Einsatz thermischer Speicher ermöglicht es, die benötigte Leistung zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. So kann das Angebot voll genutzt und die Nachfrage voll gedeckt werden.

Am Wärmemarkt passen Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. Erst der Einsatz thermischer Speicher ermöglicht es, die benötigte Leistung zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. So kann das Angebot voll genutzt und die Nachfrage voll gedeckt werden.

Mit rund 46 % des Gesamtenergie­verbrauches der Schweiz nehmen Gebäude eine entscheidende Rolle in der Energiewende ein. Rund 70 % des Energieverbrauchs in privaten Haushalten gehen auf die Produktion und die Ver­teilung der Raumwärme zurück. Die Speicherung von thermischer Energie, in Form von Kälte oder von Wärme, wächst daher immer mehr zu einer Schlüsseltechnologie der Gebäudetechnik heran.

Thermische Energiespeicher werden in jedem Gebäude eingesetzt, ohne dass wir diese bewusst als solche wahrnehmen. Die ständige Verfügbarkeit von warmem Wasser ist für uns ebenso selbstverständlich wie die stets vorliegende angenehme Raumtemperatur in den Wohnräumen. Möglich wird das nur durch den Einsatz thermischer Speicher, sei es durch Warm­wasserspeicher oder durch die thermische Trägheit der Gebäude und ihrer Wärmedämmung.

Thermische Energiespeicher können überall dort eingesetzt werden, wo eine zeitliche oder örtliche Diskrepanz zwischen Energieangebot und Energienachfrage vorliegt. Ein gutes Beispiel sind das Heizen und die Brauchwassererwärmung mit Solarthermie. Die nutzbare Wärme der Sonne fällt tagsüber und vorwiegend im Sommer an, wobei die Nachfrage nach thermischer Energie eher nachts und vor allem im Winter anfällt. Durch thermische Energiespeicher können Angebot und Nachfrage angepasst werden, indem die tagsüber anfallende thermische Solarenergie gespeichert und nachts abgegeben oder aber die Energie über den gesamten Sommer gespeichert und im Winter an den Verbraucher abgegeben wird. Neben dem Gebäude­bereich werden thermische Energiespeicher auch in der Prozesstechnik und Elektrizitätserzeugung eingesetzt.

TEC21, Fr., 2015.11.20



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TEC21 2015|47 Thermischer Energiespeicher

21. August 2015Nina Egger
TEC21

«Die Trägheit löst hier einige Probleme»

An der ETH Hönggerberg Zürich benötigen 10 000 Personen jährlich 27 GWh Wärme und 16 GWh Kälte. Zur Deckung wird das Anergienetz seit 2013 laufend ausgebaut. Zwei beteiligte Planer berichten von ihrer Arbeit.

An der ETH Hönggerberg Zürich benötigen 10 000 Personen jährlich 27 GWh Wärme und 16 GWh Kälte. Zur Deckung wird das Anergienetz seit 2013 laufend ausgebaut. Zwei beteiligte Planer berichten von ihrer Arbeit.

Herr Gautschi, Herr Häusermann, Sie haben das thermische Netz der ETH Zürich am Hönggerberg geplant. Welchem Zweck dient es?
Gautschi: Die bestehende Heizzentrale der ETH war abzulösen, weil der Heizkessel saniert werden musste. Es kam die Frage auf, wie die Energieversorgung am Hönggerberg in Zukunft aussehen kann. Ziel war, die CO2-Emissionen bis 2020 um 50?% zu reduzieren. Über verschiedene Varianten wurde das realisierte Anergienetz entwickelt. Anergie ist Energie, die nicht direkt eine Arbeit verrichten kann.

Ein Wärmenetz auf niedrigen Energieniveau.
Gautschi: Genau. Wasser in Form von 8 bis 20?°C wird erst durch eine Wärmepumpe veredelt.
Auf der Kälteseite stimmt der Begriff Anergie physikalisch nicht, denn man kann mit kaltem Wasser direkt kühlen. Anergienetz war ein Übungstitel, im Markt spricht man sonst von kalter Fernwärme. Am Hönggerberg haben wir eine thermische Vernetzung, bei der wir die Gebäude über diesen Veredelungsprozess heizen, aber auch direkt kühlen. Die Synergie liegt in der Prozesskälte, der Laborkälte und der Klimakälte, die über dieses Netz produziert werden.

Es gibt dort gleichzeitig Kälte- und Wärmebedarf.
Gautschi: Teilweise gleichzeitig, teilweise auch saisonal verlagert. Gerade im Sommer brauchen wir vor allem Wasser, um Klimakälte zu produzieren. Zugleich können wir so die Erdspeicher für die Übergangszeit und den Winter regenerieren. Derzeit gibt es drei von voraussichtlich fünf Erdspeichern.

Momentan existiert ein einzelner Ring, an dem alle drei Speicher angeschlossen sind. Ein lineares oder sternförmiges Netz stand nie zur Diskussion?
Gautschi: Nein. Wir hatten den Vorteil, dass wir bereits einen Energiekanal hatten, der kreisförmig unter diesem Areal durchführt. Es gibt eine Ringleitung im Energiekanal, an der alle Speicher und Energiecluster angehängt sind. Sie sind völlig dynamisch und offen, nicht Gebäuden zugeordnet.

Läuft das Ringnetz bidirektional? Und wie viele Leitungen gibt es für die Temperaturniveaus?
Gautschi: Ja, bidirektional. Eigentlich ist es ein Zweileiter, aber wir haben einen dritten Leiter als Korrekturleiter eingeplant. Ganz am Anfang war das Thema, dass wir Abwärme auf sehr hohem Temperaturniveau direkt in die Kältezentrale bzw. zum Rückkühler bringen, wo die Abwärme vernichtet wird. Wir wollten diese hohen Abwärmen nicht im Zweileiter, weil die Temperaturschichtung zerstört würde. Und der Ring hat hydraulisch grosse Vorteile.

Was sind diese Vorteile?
Gautschi: Wir können den Druckverlust halbieren. Und eine allfällige Erweiterung ist einfacher. Wenn wir andere Stadtteile versorgen würden, sähen wir nicht einen grossen Ring,
sondern eher einzelne Arealringe, die mit anderen Arealringen vernetzt werden, wie eine Kette.

Das wäre dann ein vermaschtes Netz (vgl. Glossar S. 26).
Gautschi: Genau das ist jetzt Thema bei einem grösseren Netz: bei der Familiengenossenschaft am Fuss des Uetlibergs in Zürich.

Um auf die hydraulischen Vorteile zurückzukommen: der Druckverlust halbiert sich, weil ein Fluss in beide Richtungen möglich ist.
Gautschi: Das ist der eine Vorteil. Der andere Vorteil ist die Redundanz. Wenn wir irgendwo ein Problem hätten, eine undichte Leitung, dann könnten wir einseitig versorgen.

Gibt es für dieses Energienetz ein Monitoring?
Gautschi: Aus dem Monitoring werden circa monatlich die Daten ausgelesen und dann beurteilt. Diese Daten werden in weitere Systeme und auch in die Entwicklung des Anergienetzes einfliessen.
Häusermann: Die Komponenten sind gut erforscht. Es geht darum, die Technologien zu verbinden, die Hydraulik besser zu verstehen und die Hilfsenergie der Pumpenströme zu optimieren.

Wie löst man Probleme in der Hydraulik – gerade bei Bidirektionalität?
Häusermann: Wir geben die Strömung nicht vor. Das Wasser sucht sich den Weg des geringsten Widerstands, und so ergeben sich die Strömungen. Regeln wollen wir das nicht. Wenn eine Zentrale Wasser braucht, holt sie es sich. Es ist nicht vorgegeben, woher es kommt. Wenn zum Beispiel eine Zentrale im Heizbetrieb ist und eine im Kühlen, dann kommt die Wärme direkt von der Zentrale, die kühlt.

Wie sieht es denn mit den Drücken und Geschwindigkeiten im Netz aus?
Gautschi: Das Anergienetz ist ausgelegt auf maximal 1 m/s, da wir dann sehr wenig Druckverluste haben. Vor allem die Anschlussleitung und die Erdsonde generieren Druckverluste, wie bei einem kleineren konventionellen System.
Häusermann: Wir haben zwar relativ geringe Geschwindigkeiten, aber für die grosse Wassermenge grosse Pumpen. Eine Erkenntnis aus dem Betrieb war, dass wir die Pumpen sehr langsam hochfahren, um keine Druckschwankungen im Netz zu erzeugen.

Die Druckverluste können auch zu Kavitation führen. Wenn der Verdampfungspartialdruck unterschritten wird, bilden sich Dampfbläschen, die die Pumpen zerstören können, wenn sie schlagartig kollabieren.
Häusermann: Zu Beginn war der Systemdruck auf 4 bar. Verschiedene Tests unter Extrembedingungen haben gezeigt, dass bei gewissen hydraulischen Konstellationen Kavitation auftreten kann. Kurzfristig konnte das Problem mittels leicht höherem Systemdruck stabilisiert werden. Mittlerweile sorgt der Energiemanager dafür, dass die einzelnen Cluster nicht auf Spitzenlasten gefahren werden. Kavitation konnte durch die eingeleiteten Massnahmen seither nicht mehr nachgewiesen werden.

Wie funktioniert die Mess-, Steuer- und Regelungstechnologie des Systems und des Energiemanagers?
Gautschi: Die Zusammenarbeit mit der ETH ist da sehr gut. Der Energiemanager schaltet die Pumpen möglichst nicht gleichzeitig ein, um Spitzen zu vermeiden, weil es bei den Wärmepumpen hydraulisch ein Problem gäbe, wenn sie in Unterdruck gingen. Überraschend war, dass wir am Anfang schneller als erwartet in Betrieb gekommen sind. Wir hatten bei den Inbetriebnahmen mit grösseren Problemen gerechnet, als das wirklich der Fall war.
Häusermann: Die Trägheit löst hier auch einige Probleme. Allein in der Ringleitung sind rund 600 Kubikmeter Wasser. Das ist eine riesige Speichermasse, die wir verwenden können. Zu Beginn wollten wir zu viel regeln. Wir regeln jetzt weniger, und das System wird dadurch um einiges stabiler.

Das Netz hat im aktuellen Ausbaustand eine Ringleitung und drei Zentralen. Wie geht es weiter?
Gautschi: Der Ring hat den Endausbau erreicht und wird nicht mehr erweitert. Es werden sicher zwei weitere Cluster angehängt und wahrscheinlich zwei Erdspeicher. Aktuell ist in Diskussion, dass wir zusätzlich mit einer Transitleitung einen Teil von Affoltern versorgen. Wir haben den Ring nur in einem Ausnahmefall erweitert: für den Bereich HW (studentisches Wohnen am Hönggerberg).
Häusermann: Der Grund war, dass wir an diesem Standort eine Zentrale und einen Erdspeicher haben und keine zwei Komponenten einander direkt zuordnen wollen. Das heisst: Die Ringleitung wurde verlängert, sodass auch dieser Erdspeicher im Heizbetrieb sein kann, während die Zentrale kühlt. Sie werden sich nicht gegenseitig beeinflussen. Wenn eine neue Komponente, ein Cluster oder Ähnliches angeschlossen wird, ändert sich wieder alles. Es resultiert entweder ein höherer Kälte- oder Wärmeverbrauch als davor.
Gautschi: Es ist wichtig, dass der Energiemanager die verschiedenen Zentralen untereinander koordiniert. Das System ist in dieser Hinsicht sehr flexibel.
Häusermann: Die Bilanz müssen wir kontrollieren. Es macht keinen Sinn, nach einem Jahr schon auf Tendenzen zu reagieren, das System ist sehr träge.

Über die Jahre sollten Energiebedarf und -eintrag ungefähr gleich sein. Wie würden Sie reagieren, falls die Sonden das Erdreich langsam abkühlen?
Gautschi: Dann braucht es einen Plan B, zum Beispiel weitere Quellen, die man einbeziehen kann. Oder man reduziert die Entnahme aus dem Netz. Oder man versucht, im Sommer hohe Temperaturen in den Erdspeicher einzulagern. Bei der ETH haben wir eher das Problem, dass die Abwärme jedes Jahr zunimmt.

Heisst das, Sie könnten das Erdreich aufwärmen?
Gautschi: Ja. Deshalb versuchen wir, weitere Nutzer ans System zu hängen, um eine saisonal verlagerte Kühlmaschine zu erwirken.
Häusermann: Wir möchten am Ende der Heizperiode ein kaltes Netz, damit wir die Kälte im Sommer zur Kühlung einsetzen können. Und am Sommerende möchten wir wieder ein warmes Netz, damit die Wärmepumpen mit guten Wirkungsgraden laufen. Diese Schwankung ist gewollt.

Was war das Spannendste an dem Projekt?
Gautschi: Etwas Neues entwickeln zu dürfen. In der Strategieentwicklung waren wir völlig frei. Es war sehr spannend zu schauen, mit welcher Software wir das berechnen könnten, weil es auf dem Markt nichts gab. Wir sind dauernd daran, verschiedene Ansätze zu konsolidieren, um dann wirklich einmal ein funktionierendes Programm zu haben, mit
dem wir Gesamtsysteme simulieren können. Heute kann man Speicher und Ringleitungen simulieren, aber die Bidirektionalität, die Dynamik ist nicht ganz einfach abzubilden.
Wir glauben, dass wir auch in Zukunft die Flüsse im Anergienetz selbst nicht genauer simulieren müssen. Wichtig sind der Druckverlust und die Grösse der Erdspeicher, wie auch der dynamische Abgleich der verschiedenen Cluster, inklusive der richtigen Dimensionierung der Pumpenanlagen. Da reden wir nicht von klar definierten Betriebskennlinien, sondern es gibt einen Bereich, in dem die Pumpe funktionieren muss (vgl. «Maschen und Knoten»).
Häusermann: Es ist spannend, wenn man auf einem Areal mit einer so hohen Energiedichte Wärme und Kälte benötigt. Mit diesem System haben wir die Möglichkeit, die Wärme zu verlagern und sie dann zu verwenden, wenn sie gebraucht wird. Wir haben unterschiedliche Temperaturniveaus und können sie so kombinieren und vernetzen, dass wir ihr Potenzial maximal ausnutzen. Und jetzt haben wir Monitoringdaten aus zweieinhalb Jahren, die nachweisen, dass das System vielleicht sogar noch besser funktioniert als berechnet.

TEC21, Fr., 2015.08.21



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Presseschau 12

07. April 2017Nina Egger
TEC21

Strom aus Strom

Etwas aufbewahren, das per Definition immer im Fluss ist? Strom als elektrische Energie zu speichern funktioniert nur bedingt. Durch die Umwandlung in potenzielle, kinetische oder chemische Energie eröffnen sich weitere Möglichkeiten.

Etwas aufbewahren, das per Definition immer im Fluss ist? Strom als elektrische Energie zu speichern funktioniert nur bedingt. Durch die Umwandlung in potenzielle, kinetische oder chemische Energie eröffnen sich weitere Möglichkeiten.

Unsere Infrastruktur ist von einer konstanten Stromversorgung abhängig. In Spitälern hätte selbst ein kurzer Stromausfall tödliche Folgen; in der hoch technisierten, digitalisierten Schweizer Wirtschaft ziehen Ausfälle schwere Verluste nach sich. Steuerungszentralen und Sicherheitsorgane bereiten Notfallszenarien für einen Blackout vor. Die Versorgungssicherheit ist zurzeit eines der wichtigsten politischen Themen, unter anderem im ­Hinblick auf internationale Kooperationen, aber auch auf das revidierte Energiegesetz und die Umsetzung der Energiestrategie 2050.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Technologien, die das Speichern von elektrischer Energie ermöglichen. Zum einen geht es um den kleinen Massstab: Wichtige Institutionen, insbesondere im Gesundheitsbereich, sind mit Notstromaggregaten ausgestattet, die es technisch weiterzuentwickeln gilt. Zum anderen ist das gesamte Stromnetz im landesweiten Massstab betroffen.

Um die Energiestrategie 2050 umzusetzen, muss das Schweizer Energiesystem schrittweise umgebaut werden. Das Massnahmenpaket des Bundes sieht vor, den Energieverbrauch zu senken und erneuerbare Energien wie Solarenergie, Windkraft und Energie aus Biomasse stärker zu nutzen. Doch die effiziente Nutzung von solchen lokal erzeugten, erneuerbaren Energien kann ein elektrisches Energienetz vor grosse Herausforderungen stellen.

Während Photovoltaikanlagen in der Nacht keinen Beitrag leisten, ergibt sich, wenn die Sonne mit voller Kraft vom Himmel strahlt, immer öfter ein Überangebot an Strom. So bleibt zu manchen Zeiten die gewinnbare Energie ungenutzt, weil das Stromnetz den überschüssigen Strom gerade nicht aufnehmen kann. Das Stromnetz verträgt nämlich keine grossen Schwankungen und muss in ständiger Balance zwischen Angebot und Nachfrage gehalten werden (vgl. «Frequenzregelung», Kasten unten). Ähnlich verhält es sich mit Windkraft, wenn bei Netzüberlastung Windräder aus dem Wind gedreht oder abgeschaltet werden, obwohl sie eigentlich gerade Strom produzieren könnten.

Die Produktion von Kleinwasserkraft wiederum hängt vom aktuellen Wasserpegel in den Flüssen und Bächen ab. Das Wetter beeinflusst somit sehr stark, wie viel Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt aus erneuerbaren Quellen bereitgestellt werden kann.

Neben der Anpassung der Nachfrage ist die naheliegende Lösung, den Strom zu speichern, sodass zum Beispiel die bei Tag photovoltaisch gewonnene, überschüssige Sonnenenergie in der Nacht verwendet werden kann.

Über kurz oder lang verfügbar

Energiespeicher lassen sich anhand der Speicherdauer in Kurzzeit- und Langzeitspeicher unterteilen. Dies ermöglicht den Ausgleich von sehr unterschiedlichen Schwankungsmustern. Photovoltaik schwankt im Tages­rhythmus zwischen Maximum und Minimum; bei anderen Erneuerbaren können sich Flauten und produktionsstarke Perioden über Wochen und Monate hinziehen. Der Verbrauch hat sein eigenes Auf und Ab. Je nach betrachteter Zeitskala kommen verschiedene Technologien zum Einsatz. Typische Speicherdauern:

– Subsekundenbereich bis zu wenigen Minuten (für unterbruchsfreie Stromversorgung von elektrischen Anlagen und elektronischen Geräten)
– Stunden bis zu einem Tag
– mehrere Tage
– eine bis zwei Wochen
– saisonaler Ausgleich

Kurzzeitspeicher besitzen einen hohen Speicherwirkungsgrad – annähernd so viel Strom, wie gespeichert wurde, steht auch wieder zur Verfügung – und weisen hohe Zyklenzahlen auf. Die Zyklenzahl gibt an, wie oft ein Speicher bis zum Verschleiss be- und entladen werden kann. Diese Speicher decken Zeiträume von Sekundenbruchteilen bis zu einem Tag ab. Sekundenspeicher sind u. a. Schwungrad, Kondensator und supraleitende magnetische Energiespeicher (also Spulen). Der bekannteste Vertreter der Minuten- bis Tagesspeicher ist der Akkumulator (vgl. «Der Speicher im Haus»). Als Stunden- bis Tagesspeicher kommen Pumpspeicher und Druckluftspeicherkraftwerke zum Einsatz.

Langzeitspeicher haben geringere Speicherwirkungsgrade – somit höhere Verluste – und niedrigere Zyklenzahlen. Dafür können sie Energie über Tage bis Jahre und in wesentlich höherer Menge speichern. Zu ihnen zählen Gas, Brenn- und Kraftstoffe (vgl. «Der Photosynthese auf der Spur») sowie Pumpspeicherkraftwerke (vgl. «Bei Bedarf auf oder ab»). Für den Gebäudepark Schweiz sind die etwas längerfristigen Speichertechnologien relevant, teils in Kombination mit dezent­raler Energieversorgung von Einzelobjekten, teils für die zentrale Versorgung ganzer Gebiete.

Strom direkt als elektrische Energie zu speichern funktioniert, indem er in einem Kondensator ein elektrisches Feld oder in einer Spule ein Magnetfeld erzeugt; daraus wird in der Folge wieder ein elektrischer Fluss angeregt. Beim Kondensator liegt die typische Speicherdauer im Sekundenbereich, und die Leistung ist auf wenige kW beschränkt. Spulen werden nur kurzfristig eingesetzt, weil ihre Kühlung viel Energie benötigt, was bei längeren Zeiträumen die Energiespeicherung ad absurdum führen würde.

Nützlich sind diese beiden Technologien zum Glätten von plötzlichen Spannungsspitzen, zum Beispiel bei einem Blitzeinschlag, die Geräteschaden verursachen könnten. Für grössere und längerfristige Anwendungen eignet sich die direkte Speicherung nicht.

Die Umwandlung in andere Energieformen erweitert den Zeitraum, in dem wieder Strom gewonnen werden kann. Allerdings entstehen bei der Umwandlung immer Verluste. Weiter sinkt der Wirkungsgrad durch Selbstentladung. Ein Schwungrad beispielsweise, das durch Strom in Bewegung versetzt wird und diesen somit als kinetische Energie speichert, wird durch Reibungswiderstände langsamer und kann zunehmend weniger Energie zurückliefern. Mit der Selbstentladung sieht es besser aus, wenn der Strom in potenzielle oder chemische Energie umgewandelt wird. Potenzielle Energie findet man etwa in Speicherseen. Das mit Überschussstrom in den See gepumpte Wasser ist dort konstanter gespeichert als die Bewegungsenergie im Schwungrad. Es hat das Potenzial, mechanisch Energie zu erzeugen, indem Schleusen geöffnet werden, wonach es zu Turbinen fliesst und diese antreibt.

Als elektrochemische Speicher definiert sind Batterien und Akkumulatoren. Nutzt man die zu speichernde elektrische Energie für eine umkehrbare chemische Reaktion, erhält man Brennstoffe wie Methan, aus denen Monate bis Jahre später wieder Energie gewonnen werden kann. Man spricht dann von einem stofflichen chemischen Speicher.

Langzeitspeicher gleichen nicht nur Angebot und Nachfrage aus. Sie haben auch den wirtschaftlichen Vorteil, dass ihre Betreiber Strom kaufen können, wenn er gerade am Preisminimum ist, um ihn später zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen.

TEC21, Fr., 2017.04.07



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TEC21 2017|14-15 Elektrische Energie speichern

07. April 2017Nina Egger
TEC21

Der Speicher im Haus

Batterien sind nicht nur etwas für den Radiowecker oder die Fernbedienung. Mit grösseren Modellen lassen sich – zumindest teilweise – auch Häuser betreiben. Das zeigt das Beispiel eines Mehrfamilienhauses im luzernischen Aesch.

Batterien sind nicht nur etwas für den Radiowecker oder die Fernbedienung. Mit grösseren Modellen lassen sich – zumindest teilweise – auch Häuser betreiben. Das zeigt das Beispiel eines Mehrfamilienhauses im luzernischen Aesch.

Es ist eine Krux: Das Angebot an erneuerbaren Energien wie Solar- oder Windstrom schwankt ständig – und das sowohl tageszeitlich als auch saisonal. Dazu kommen die Nutzerinnen und Nutzer, die ihren Energieverbrauch naturgemäss auch nicht gleichmässig über 24 Stunden und das ganze Jahr verteilen.

Ausgleich schaffen hier Kurzzeitspeicher wie Akkumulatoren, die allgemein gebräuchlich – wenn auch technisch nicht korrekt – synonym Batterien genannt werden. «Echte» Batterien dienen dem einmaligen Gebrauch, Akkumulatoren sind mehrfach wiederaufladbar. Im Gegensatz zu Pumpspeicherkraftwerken (vgl. «Bei Bedarf auf oder ab») mit Leistungen über 1000 MW bewegt sich das Spektrum von Batterien im Bereich von einigen Kilowatt (einzelne Batterien für Elektroautos oder als Photovoltaikspeicher in Gebäuden) bis in den zweistelligen Megawattbereich für Batteriespeicherkraftwerke.

Im Wohnbereich gilt die Faustformel: Pro 1000 kWh/a Verbrauch benötigt man ca. 1 kWp Photovoltaik und 1 kW Speicher, um den Eigenversorgungsgrad durch die PV-Anlage auf sinnvolle 60–80 % zu erhöhen. So muss weniger Strom zugekauft werden, und weniger Überschuss gelangt ins Netz. Die Anlagen sind auf diese Weise nicht überdimensioniert, der finanzielle Aufwand für den Bau und die Ersparnisse im Betrieb halten sich die Waage.

Batterien im Gebäudebereich funktionieren wie jene für Elektroautos oder Wohnwagen. Teilweise erhalten sogar alte Fahrzeugbatterien durch den Einbau in ­Gebäude ein zweites Leben. Die meisten Batteriesysteme bieten neben der Speichermöglichkeit zusätzliche ­Energiemanagementfunktionen. Damit lassen sich Verbrauchsgeräte bei Energieüberschuss zuschalten, immer mit dem Ziel, möglichst viel des eigenen Solarstroms auch selber zu nutzen. Plug-and-play-Konfigurationen sind eingestellt auf Batterieladung während der Hauptproduktionszeit und auf Batterienutzung zu Zeiten, in denen Strom üblicherweise teuer ist.

Alt, doch immer wieder neu

Nach über 150 Jahren am Markt befinden sich Blei­akkumulatoren auf dem Rückzug. Sie fungieren noch immer als Starterbatterien für Kraftfahrzeuge, bei Elektrofahrzeugen wurden sie aber wegen ihres hohen Gewichts und ihrer geringen Energiedichte bereits von Lithium-Ionen-Akkumulatoren verdrängt.

Genau diese sind es auch, die in Gebäuden und grossen Batteriespeicherkraftwerken eingesetzt werden. Es gibt sie in Kombination mit verschiedenen Elektrodenmaterialien, die alle in unterschiedlichen Bereichen punkten. So ist Lithiumtitanat beispielsweise für tiefe Temperaturbereiche ab – 40 °C besonders geeignet. Das Grundprinzip ist immer gleich: Beim Laden wandern Lithiumionen von der positiven Elektrode in die Schichten der negativen, beim Entladen bewegen sie sich wieder zurück. Dieser Prozess kann nicht unendlich oft wiederholt werden und beschränkt damit die Lebensdauer des Akkumulators.

Aktuell gibt es zahlreiche Forschungsprogramme, die sich mit anderen Materialkombinationen befassen – so könnten etwa Thermalbatterien, die Salze als Elektrolyte verwenden, die Energieträger der näheren Zukunft werden.

Camouflage an der Fassade

Eine Kombination von Photovoltaikanlage und Lithium-Ionen-Akkumulatoren besitzt das 2016 fertiggestellte Mehrfamilienhaus Chrüzmatte im Dorfzentrum von Aesch am Hallwilersee. Der Hybridbau aus Holz und Beton des Luzerner Architekten Mark Röösli erfüllt den Minergie-A-Eco-Standard und wurde 2016 mit einem Schweizer Solarpreis-Diplom ausgezeichnet. Er steht auf einem Sockel, der das abfallende Grundstück nivelliert und die Einstellhalle mit 21Parkplätzen beherbergt. Drei Geschosse enthalten acht Zwei- bis Vierzimmerwohnungen, das ausgebaute Dach bietet Platz für zwei Maisonettewohnungen mit je fünfeinhalb Zimmern.

Um ein homogenes Dachbild zu erhalten, ­wurden beide Seiten des Satteldachs vollflächig mit Photovoltaikmodulen gedeckt, mit einer Leistung von insgesamt 51 kWp. Erstaunlich dabei war für die Beteiligten, dass das nach Norden orientierte Dach trotz der relativ starken Neigung von 45° einen substanziellen Teil des Stromertrags liefert, nämlich mehr als die Hälfte von jenem des südlichen Dachs. Gegen Osten, Süden und Norden hat das Haus eine silbergraue Fassade aus Lärchenholz. Speziell ist die Westfassade mit auf Mass gefertigten 204 × 232 cm grossen 11 kWp Glas-Glas-PV-Modulen. Diese wurden im Werk laminiert, um die Holzlattenstruktur zu imitieren. Wegen des Siebdruck-Ätztons gelangt etwas weniger Licht durch die Glasplatten; die Anlage liefert 5 % weniger Strom.

Jährlich produziert die 74 m² grosse PV-Fassade rund 6500 kWh, die 276 m² grosse Anlage auf dem Dach rund 39 400 kWh Solarstrom. Damit deckt die Solarenergie rechnerisch rund 50 % des Gesamtenergiebedarfs des Zehnfamilienhauses – dank der 22–35 cm starken Dämmung, der LED-Beleuchtung und der ­Nutzung energieeffizienter Geräte liegt dieser bei nur 91 300 kWh/a.

Teile und speichere

Um mit den voraussichtlich produzierten rund 45 800 kWh Strom nicht das örtliche Stromnetz zu belasten, sondern ihn möglichst selber zu nutzen, bildete man mit dem benachbarten Gasthof Kreuz eine Eigenverbrauchsgemeinschaft. So konsumiert das Gasthofgebäude jetzt ebenfalls den tagsüber produzierten ­Solarstrom. Drei als Lithium-Ionen-Akkumulatoren ausgeführte Batteriespeicher mit einer Kapazität von insgesamt 41 kWh ergänzen die Anlage. Sie speichern den weiterhin anfallenden Energieüberschuss für den Verbrauch in der Nacht. Schätzungen zufolge können so mindestens 50 % des gesamten produzierten Stroms vor Ort selber direkt oder nach Zwischenspeicherung in der Batterie gebraucht werden. Die andere Hälfte wird in das Netz eingespeist.

Der bewusste Umgang mit den Ressourcen zieht sich durch die gesamte Planung: So können die Mieterinnen und Mieter ein liegenschaftseigenes Elektro­auto nutzen, und um die Motivation zum bewussten Umgang mit Energie zu stärken, schenkt die Eigentümerin jedem und jeder Erwachsenen pro Jahr 1000 kWh Solarstrom. Bei sparsamem Umgang kann das schon ein Drittel des Verbrauchs ausmachen. Die drei Batteriespeicher leisten ihr Übriges zum schmalen ökologischen Fussabdruck.

TEC21, Fr., 2017.04.07



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TEC21 2017|14-15 Elektrische Energie speichern

17. Februar 2017Nina Egger
TEC21

Ein neuer Weg

Bei der nachhaltigen Energieversorgung geht es nicht nur darum, wie viel Energie verbraucht werden darf und wie viel aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden soll. Auch auf welchem ­Einzugsgebiet die Energie verteilt wird, ist eine Frage nach dem rechten Mass.

Bei der nachhaltigen Energieversorgung geht es nicht nur darum, wie viel Energie verbraucht werden darf und wie viel aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden soll. Auch auf welchem ­Einzugsgebiet die Energie verteilt wird, ist eine Frage nach dem rechten Mass.

Klimaschutz hat seine Tücken. Die Schweizer Treibhausgas-Emissionen sollen bis 2020 um 20 % niedriger liegen als 1990, die Energieversorgung aber langfristig gesichert sein – und das trotz dem geregelten Ausstieg aus der Kernenergie. Wie kann also nachhaltige Energienutzung funktionieren? Es geht um drei Dinge: Möglichst wenig Energie verbrauchen, diese effizient nutzen und sie aus CO2-neutralen, nachwachsenden Ressourcen erzeugen. Diese Aufschlüsselung trifft auf Konsumgüter ganz genauso zu wie auf den Gebäudepark. Da dieser die Hälfte des Schweizer Energieverbrauchs ausmacht, ­arbeiten Experten seit Jahrzehnten an seiner Energie­ver­brauchs­optimierung.

Auf den Trend zu immer ­dickeren Wärmedämmungen, die den Verbrauch von Heizöl-(-äquivalenten) reduzieren sollten, folgten die Trends zu effizienten Haushaltsgeräten und haustechnischen Anlagen zum Beispiel mit Wärmerückgewinnung sowie schliesslich zur eigenen Erzeugung von erneuerbarer Energie. Plusenergiehäuser waren das neue goldene Kalb. Aktive Gebäude, wie das 2016 vom Büro Viridén   Partner renovierte Mehrfamilienhaus beim Schaffhauserplatz in Zürich, führen gleich zur nächsten Trendwende: weg von der zentralen Energieerzeugung, hin zu einer Dezentralisierung.
Woher kommt die Energie?

Unter zentraler Energieversorgung versteht man die Produktion von enormen Energiemengen an einzelnen (zentralen) Standorten, die dann – zum Teil über Ländergrenzen hinweg – in viele Richtungen verteilt werden. Durch lange Leitungswege entstehen hierbei hohe Verluste. Als Endkunde ist man überdies von den Importen, Angeboten und Preisen des Energielieferers abhängig. Bei der dezentralen Versorgung gibt es nicht das eine grosse Zentrum, sondern viele kleine.

Zentral versus dezentral ist keine schwarz-weisse Angelegenheit. Es gibt nicht nur russische Gaspipelines und die komplette, abgeschottete Eigenversorgung, wie sie auf der Monte-Rosa-Hütte (vgl. TEC21 49/2015, «Gebäudebetrieb zwischen Anspruch und Wirklichkeit») angestrebt wird. Das Versorgungsgebiet eines zentralen Erzeugers kann landesweit, kantonal oder stadtweit sein. Ein dezentraler Erzeuger gilt auch dann noch als solcher, wenn er Nebengebäude wie ein Gartenhaus oder einen Stall mitversorgt. Der Gedanke lässt sich auf die Nachbarn bis hin zur Arealvernetzung ausweiten.

Letztere wird auf einschlägigen Konferenzen schon seit Jahren als bedeutende Zukunftsvision gehandelt. Ob damit die goldene Mitte gefunden ist, eine Grössenordnung, die die Vorteile von zentraler und dezentraler Energieversorgung zu vereinen schafft, wird in der Schweiz gerade rege und in verschiedenen Komplexitätsgraden erforscht. Die Hochschule Luzern betrachtet in ihrem Projekt «SCCER» Energy Cluster, die Strom, Wärme und Gas teilen (vgl. TEC21 9–10/2015, «Erdwärme: First come first serve?»). Die Empa Dübendorf beschäftigt sich in ihrem Projekt «ehub» mit der Arealvernetzung (vgl. TEC21 22/2016, «Empa NEST – Brutplatz für die Forschung») und am Hönggerberg der ETH Zürich werden thermische Netzknoten im Realbetrieb getestet (vgl. TEC21 34/2015, «Thermische Netze»).

Das Haus als Kraftwerk

Was bedeutet Dezentralisierung aber nun für ein Einzelgebäude? Eventuell gar nichts. Wenn ein Gebäude nur als Verbraucher auftritt, könnte das exakt selbe Gebäude ohne die geringste Änderung statt von einem zentralen Anbieter von einem dezentralen versorgt ­werden – vorausgesetzt beide stellen ihm die gleichen Energieformen (z.B. Wechselstrom auf Niederspannung) zur Verfügung. In einem vernetzen Areal hat das Objekt noch zusätzliche Möglichkeiten. Jedes Gebäude kann als Erzeuger, Verbraucher oder Speicher dienen, muss aber eben nicht alle diese Funktionen gleichzeitig und auch nicht für alle Energieformen erfüllen.

Zur Betrachtung, wie dezentrale Energieversorgung funktioniert und wie es mit ihr weitergehen könnte, sind die aktiven Gebäude innerhalb eines Systems am aufschlussreichsten. Versorgt sich ein Gebäude oder Gebäudekomplex völlig selbst, wie es das Mehrfami­lienhaus von René Schmid in Brütten (vgl. «Egoist») tut, oder dient ein Gebäude als Knoten im Energienetz, wie das Active Energy Building von Falkeis Architekten in Vaduz (vgl. «Altruist»), lässt sich daraus besonders viel lernen. Denn derartige Gebäude bedürfen eines besonders hohen Technikeinsatzes, um ihre Funktion zu erfüllen.

So bieten diese Extrembeispiele mit ihrem vielfältigen technischen Arsenal den Praxistest für ­diverse Methoden der Erzeugung von elektrischer und thermischer Energie, der Maximierung von passiven Gewinnen und Minimierung von Verlusten, der Energiespeicherung und der effizienten Nutzung. An ihnen wird sich im Laufe von den Alltag begleitenden Monitorings zeigen, ob und wie die dezentrale Energie­versorgung über das Areal betrachtet funktionieren kann. Nicht jedes Gebäude muss in Zukunft so aussehen. Aber es hat sein Gutes, dass ein paar es heute tun.

TEC21, Fr., 2017.02.17



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TEC21 2017|07-08 Mein Haus ist mein Kraftwerk

17. Februar 2017Nina Egger
Paul Knüsel
TEC21

Egoist

Hinter der matt anthrazitfarbenen Glasfassade wohnen neun Familien ohne Anschluss an ein Energienetz. Auf den ersten Blick verwundert es, wie das funktioniert, denn Energieerzeuger sind keine zu sehen. Im Keller ­geben 26 Wechselrichter und ein Speicher erste Hinweise auf die Lösung.

Hinter der matt anthrazitfarbenen Glasfassade wohnen neun Familien ohne Anschluss an ein Energienetz. Auf den ersten Blick verwundert es, wie das funktioniert, denn Energieerzeuger sind keine zu sehen. Im Keller ­geben 26 Wechselrichter und ein Speicher erste Hinweise auf die Lösung.

Am Rand des Hofacher-Quartiers von Brütten ZH steht ein Mehrfamilienhaus, das weder an das öffentliche Stromnetz angeschlossen noch auf externe Brennstoffe angewiesen ist. Der ländliche Ersatzneubau mit neun Wohnungen ist ein Pilot- und Demonstrationsprojekt, das neueste Komponenten der Solartechnik mit einem ausgeklügelten Versorgungs-, Speicher- und Regelungssystem kombiniert. Die Bewohner leben ­energetisch autark von der Umgebung, dank gebäudeintegrierter Photovoltaik, Erdsonden und innovativen Speicher­varianten. Dafür wurde der Bau mit dem ­Norman ­Foster Solar Award 2016 (vgl. «Mehr als nur Solar») ausgezeichnet.

Grundsätzlich hat Energieautarkie im Siedlungsumfeld nichts verloren. In der Wüste, am Nordpol oder auf dem Mond wäre es etwas anderes. Doch warum soll ein Bau wie ein Eremit ganz für sich allein bleiben, wenn es sicherer und effizienter ist, ihn an ein öffentliches Versorgungsnetz anzuschliessen oder mit den Nachbarn, mit denen er Energie- und Stoffflüsse austauschen könnte, als kleines Netzwerk zusammenzuschliessen?

Beim Mehrfamilienhaus in Brütten ging es aber nicht darum, zu tun, was unter den gegebenen Be­dingungen am vernünftigsten ist, sondern darum, die heutige Technik bis aufs Letzte auszunutzen. Das ­Extrembeispiel soll zeigen, was alles möglich ist. Und das ist nun bewiesenermassen einiges.

Die (nicht sehr geheime) Rezeptur

Um sich zu 100 % selbst mit thermischer und elektrischer Energie versorgen zu können, müssen drei Grundbedingungen erfüllt sein: Der Verbrauch muss so gering wie möglich gehalten werden, die Eigenenergieproduktion muss so hoch wie möglich sein, und um dem zum fluktuierenden Angebot häufig versetzt auftretenden Bedarf gerecht werden zu können, werden Speicher benötigt. Bei Bautypen mit von vornherein geringem Bedarf und einer grossen zur solaren Energiegewinnung geeigneten Oberfläche lässt sich dem etwas leichter nachkommen – eine Scheune mit fünf Glühbirnen als einzigen Verbrauchern wäre ein geringes Problem. Aber ein Mehrfamilienhaus? Da ist das Volumen kompakt – wenig Oberfläche zur Energiegewinnung – und die Belegungsdichte hoch; entsprechend auch die Verbräuche. Kein Wunder also, dass bislang in der Schweiz niemand ein autarkes Mehrfamilienhaus erbaute.

Gezielte Verbrauchsreduktion

Der Energieverbrauch wird durch die gut gedämmte Gebäudehülle und durch hohe Effizienz bei der kon­trollierten Wohnraumlüftung, bei Wand- und Bodenheizung sowie bei technischen Geräten gering gehalten. Der Energiebedarf für Heizen, Brauchwarmwasser, Haushalts- und Betriebsstrom beläuft sich auf 63 300 kWh/a. Mit Wärmepumpe, Lüftung, Kühlung, Hilfsstrom und Energie zur Speicherbefüllung werden insgesamt 119 460 kWh/a verbraucht, exakt die Menge, die erzeugt wird.

Maximale Energieerzeugung

Energie erzeugt wird an allen Ecken und Enden des Gebäudes. Die Photovoltaikanlage am Dach mit 512 m² monokristallinen Solarzellen (79.54 kWp) und die 485 m² mikromorphen Dünnschicht-Solarzellen an der Fassade (46.96 kWp) produzieren zusammen durchschnittlich 92 000 kWh/a. Die Solarpaneele sind dabei speziell auf die Anwendung im architektonischen und gestalterischen Bereich angepasst und weiter entwickelt worden. Ein spezielles Verfahren, eigens für dieses Projekt an der HSLU entwickelt, ermöglicht die Behandlung des Deckglases, wodurch eine matte Oberfläche entsteht. Die verbauten Photovoltaikpaneele sind blendfrei und als Bauplatten verwendbar. Die mikromorphen PV-Fassadenmodule erzeugen selbst im Winter, unabhängig ihrer Ausrichtung, sowie bei niedrig stehender Sonne und viel diffusem Licht einen relativ hohen Stromertrag. Die Gebäudeform ist so beschaffen, dass kein Bauteil Schatten auf die Fassade wirft, was den Einsatz der PV-Fassade optimiert und auch den monolithischen Charakter des Bauwerks stärkt. Der Solarertrag reicht aus, den jährlichen Stromeigenbedarf in den neun Familienhaushalten abzudecken.

Zur elektrischen Energie der Photovoltaikanlagen kommt Wärmeenergie aus Umgebungswärme und aus Erdsonden mit Wärmepumpe und Wärmetauscher hinzu. Der thermische Energiebedarf für Raumheizung und Warmwasser wird aus diesem System gedeckt; es bezieht nur Strom, den das Wohngebäude selbst aus Sonnenenergie produzieren kann. Insgesamt werden 119 460 kWh/a bereitgestellt.

Optimierte Speicherung

Abgestimmt auf Nachfrageprofil und Nutzenergie ist die Speicherung kaskadenartig organisiert. Batterien und Wasserstofftanks dienen der kurz- und langfristigen Stromspeicherung, für überschüssige thermische Energie gibt es Wärmespeicher. Um die Speicher möglichst klein ausführen zu können, wurde der winterliche Solarertrag optimiert.

Als Kurzzeitspeicher für den von der PV-Anlage produzierten Überschuss fungiert eine Lithium-Eisenphosphat-Batterie. Batteriewechselrichter stellen innerhalb des Gebäudes das Stromnetz sicher und ­übernehmen die Primärregelung des Netzes. Gewisse Komponenten sind redundant ausgeführt, um eine hohe Verfügbarkeit zu gewährleisten. Bei einem Energieüberschuss der PV-Anlage wird die Energie in der Batterie zwischengespeichert. Wenn der Strom der PV-Anlage nicht mehr ausreicht, um den aktuellen Bedarf zu decken, kann die Energie rasch aus diesem Kurzzeitspeicher abgerufen werden. Die Batterie ist so ausgelegt, dass sie Lücken von einzelnen Stunden bis etwa drei Tagen überbrücken kann.

Da die Kurzzeitspeicher im Sommer schnell ­geladen sind, wird ein saisonaler Langzeitspeicher ­(Wochen bis Monate) benötigt. In den sonnenarmen Monaten kann die Energie aus dem Langzeitspeicher im Gebäude wieder eingesetzt werden. Über Batterien ist eine Langzeitspeicherung aufgrund der Verluste und hohen spezifischen Kosten für diesen Einsatz allerdings nicht wirtschaftlich realisierbar. Beim Projekt Brütten sind daher zusätzlich weitere Technologien (z.B. Wasserstoffspeicherung) im Einsatz. Diese Langzeitspeichersysteme sind eng mit dem Batteriespeichersystem verbunden und stellen die Versorgung bei längeren Unterdeckungen sicher.

Umwandlung

Als Power-to-Gas (kurz PtG oder P2G, auch «elektrische Energie zu Gas») wird ein elektrochemischer Prozess bezeichnet, in dem durch Wasserelektrolyse unter dem Einsatz von Strom Wasserstoff hergestellt wird. Der Strom wird in drei Schritten behandelt:

1. Produktion von Wasserstoff durch Wasserelek­trolyse, auch Power-to-Gas genannt
2. Speicherung des Wasserstoffes unter Druck
3. Produktion von elektrischem Strom durch eine Brennstoffzelle (Typ PEM)

Der dabei ebenfalls entstehende Sauerstoff kann genutzt oder in die Atmosphäre abgeblasen werden. Bei diesem Prozess entsteht neben dem Wasserstoff bei einem Druck von 30 bar ohne Verdichter gleichzeitig nutzbare Wärme in Form von Kühlwasser mit rund 35 °C.

Der so hergestellte Wasserstoff kann in Druckspeichern saisonal zwischengespeichert werden. Es sind verschiedene Drücke möglich und die Tankanlagen können überirdisch oder unterirdisch erstellt werden. Massgebend sind die Rahmenbedingungen am Aufstellungsort.

Die Brennstoffzelle wandelt Wasserstoff in Elektrizität um. Statt einer klassischen Verbrennung arbeitet eine Brennstoffzelle mit einer elektrochemischen Reaktion und ist emissionsfrei. Das Prinzip einer Brennstoffzelle ist vergleichbar mit dem einer Batterie. Sie verfügt ebenfalls über eine Anode, eine Kathode und einen Elektrolyten. Eine Brennstoffzelle kann selbst aber keine Energie speichern und sie kann auch nicht «aufgeladen» werden. Brennstoffzellen können kontinuierlich Gleichstrom produzieren, solange Brennstoff (Wasserstoff) und Luft zur Verfügung stehen. ­Neben der elektrischen Energie steht nutzbare Wärmeenergie zur Verfügung. Die Stromerzeugung durch die chemische Reaktion ist lautlos.

Thermischer Speicher

Thermische Langzeitspeicher dienen zur Speicherung von grossen Wärmemengen über lange Zeiträume. Der saisonale Wärmespeicher (zwei Wassertanks) wird via Wärmepumpe beladen, sobald zu viel Strom produziert wird. Dieser ist mit dem Brauchwassersystem (Hoch­temperatur) und dem Heizsystem (Niedertemperatur) verbunden.

In Brütten sind die Speicher unter dem Haus angeordnet. Als Speicherbehälter werden zwei konventionelle Stahl-Email-Tanks (Abb.) verwendet, wie sie auch in der Landwirtschaft zur Lagerung der Gülle eingesetzt werden. Die Speicher sind drucklos ausgeführt. Die Ladung und Entladung erfolgt über im Innern angebrachte Rippenrohrwärmetauscher, die Energie an das stehende Wasser im Speicher abgeben oder daraus entziehen. Die Speicher sind im gesamten Umfang 200 mm dick in Wärmedämmung eingepackt. Die Ausdehnung des Speicherwassers wird über eine entsprechende Reservehöhe und einen Überlauf mit Siphon gewährleistet. Ein allfälliger Zugang in den Speicher erfolgt von oben über einen wärmegedämmten Einstiegsschacht und eine eingebaute Schachtleiter. Die maximale Speichertemperatur beträgt rund 65 °C, die minimale 6 °C.

Alles massgeschneidert

Die gebäudeintegrierte Photovoltaik ist auf hohe Leistung und saisonalen Ausgleich dimensioniert. Zur Optimierung waren Speziallösungen bei Geometrie und Hinterlüftung der Dünnschichtmodule sowie bei der Konzeption der Schaltkreise und der Wechselrichteranschlüsse zu finden. Zur Demonstration des energieautarken Wohngebäudes gehört die zurückhaltende Gestaltung: So besitzen die Solarfassaden eine matte, blendfreie Optik. Ebenso ist an den bündigen, verschattungslosen Dachkanten erkennbar, wie Solartechnik und Architektur jeweils als ein Ganzes entworfen sind.

Definierte, simulierte Schnittstellen

Technisch ist die autarke Energieversorgung auf verlässliche Systeme angewiesen. Gewisse Komponenten sind daher redundant ausgelegt. Programmatisch geht es jedoch darum, die Schnittstellen zwischen Produktion und Verbrauch genau zu definieren. Die Knacknuss war hier, ein kompaktes Gebäudevolumen als ausreichende Fläche für die Energiegewinnung zu nutzen und die hohe Belegungsdichte mit einer moderaten Verbrauchsspitze zu kombinieren. Die unterschiedlichsten Lastgänge und Betriebsmodi wurden vorgängig simuliert. Das Energiemanagement steuert Produktion, Speicherung und Haustechnik intelligent; das Gebäudeleitsystem bezieht dafür auch reale Wetterdaten ein.

Die Verbrauchsseite, bestehend aus Haushaltsgeräten, Lüftungsanlage und weiteren haustechnischen Apparaturen, ist auf höchste Energieeffizienz getrimmt. Die Mieterschaft wurde zudem unter anderem aus einem öffentlichen Nachhaltigkeitswettbewerb ausgewählt. Der private Energiekonsum wird im Rahmen eines Austauschs untereinander sowie eines weitergehenden Forschungsvorhabens thematisiert.

Nachahmung (teilweise) erwünscht

Am Mehrfamilienhaus Brütten können sich Techniker und Wissenschaftler erfreuen, was aktuell alles möglich ist. Ein Monitoring wird in den nächsten Jahren zeigen, wie gut die einzelnen Komponenten des Gebäudes zusammenspielen und wo es trotz penibler Planung noch Nachbesserungsbedarf gibt.

Die Grundidee, sich trotz dem Standort mit ­guter Infrastruktur völlig autark mit Energie zu versorgen, dient mehr zur Demonstration denn als Vorbild. In der Schweiz besteht ohnehin eine Anschlusspflicht, die diesem Vorgehen widerspricht. Einzelne Elemente des Konzepts, die der Energiebedarfsminimierung, Energieerzeugung und -speicherung dienen, sind aus sowohl ökologischer als auch ökonomischer Sicht aber sehr wohl nachahmenswert. Hier gilt es, für jede Bauaufgabe und jeden Standort den geeignetsten Weg zu finden.

Nina Egger, Paul Knüsel

TEC21, Fr., 2017.02.17



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TEC21 2017|07-08 Mein Haus ist mein Kraftwerk

17. Februar 2017Nina Egger
Viola John
Wojciech Czaja
TEC21

Altruist

Sieht so die Zukunft aus? Weil Architekten zu Forschern wurden und ein Gebäude zum ­selbstlosen Energieversorger, entstanden allerlei technische ­Neuerungen. Das Wohnhaus ist ein Ideenpool für künftige Energiesysteme.

Sieht so die Zukunft aus? Weil Architekten zu Forschern wurden und ein Gebäude zum ­selbstlosen Energieversorger, entstanden allerlei technische ­Neuerungen. Das Wohnhaus ist ein Ideenpool für künftige Energiesysteme.

Viele Jahre vergehen für Planung und Bau, getragen von Akteuren, die man nicht unbedingt erwarten würde: Im Zentrum von Vaduz entsteht derzeit das Active Energy Building von Falkeis Architects – Anton Falkeis und Cornelia Falkeis-Senn und einem Team von Forschern, Entwicklern, ­Schlossern, Maschinenbauern, Robotikern und vielen mehr. Das Gebäude setzt sich aus zwölf Wohneinheiten zusammen und produziert mehr erneuerbare Energie für Heizung und Kühlung, als es selbst verbraucht. Dabei versorgt es gleichzeitig sich selbst und bildet einen Versorgungsknoten für die Nachbargebäude. Das Energiekonzept des Gebäudes basiert einerseits auf bewährten Prin­zipien und Systemen, beispielsweise Geothermie zur Bereitstellung von Wärmeenergie sowie Photovoltaikzellen für Strom. Andererseits sind einige der ein­gebauten Technologiekomponenten eigens für dieses Gebäude entwickelte Prototypen, deren Anwendung für zukünftige Energiesysteme als Vorlage dienen kann, etwa jene für die Klimaregulierung.

Gebaut wird im Energy Cluster

Das Areal, auf dem das Bauwerk errichtet ist, beinhaltet Wohn- und Bürogebäude, Grünanlagen und überbaute Tiefgaragen. Hier soll durch die ausschliessliche Verwendung von erneuerbaren Energiequellen sowie durch die Verknüpfung mit einem Pumpspeicherwerk und E-Mobility die CO2-Bilanz künftig auf vorbildlich niedrigem Niveau gehalten werden. Das Active Energy Building steht im Verbund mit den anderen Gebäuden des Areals und bildet mit ihnen einen sogenannten ­Energy Cluster (Abb.). Der Vorteil: Die dezentrale Energieversorgung kann innerhalb dieses Netzwerks besser genutzt werden als von einem Einzelobjekt. Denn je nach Nutzung der Wohn- und Büroräume entstehen zu unterschiedlichen Tageszeiten Energiebedarfsspitzen. In Summe sind sich die Energieverbräuche auf dem Areal am Vormittag und Abend dadurch viel ähnlicher, als dies im Einzelfall für Wohngebäude oder Büros zutrifft, wo sich der Bedarf im Tagesverlauf von tiefen Tälern zu hohen Spitzen und wieder talwärts schwingt.

Bewährte Systeme weisen den Weg zu Innovationen in der Energietechnik

Für die Nutzung von Geothermie wird dem Erdreich an zwei Stellen Wärme entnommen bzw. zugeführt. Einmal mit einer Entnahmetiefe von 13 m und einer Förder­leistung von 900 l/min, im anderen Fall mit einer ­Entnahmetiefe von 15 m und einer Förderleistung von 1800 l/min. Die Verteilung der thermischen Energie im Cluster erfolgt je nach Aktivität der Nutzungen.

Für die Bereitstellung von PV-Strom sind die schmale Südseite und das gesamte Dach als aktive Flächen ausgebildet. Um bei jedem Sonnenstand für einen maximalen Energieertrag zu sorgen, spielt die ideale Ausrichtung der PV-Zellen zur Sonne eine grosse Rolle. Daher wurden die energiegewinnenden Elemente so konzipiert, dass sie sich mit dem Sonnenstand mit­drehen (Abb.). Die Photovoltaikflügel wurden speziell für dieses Projekt entwickelt. Die Solarzellen selbst sind zwar weitläufig erhältlich, doch für die ­Konstruktion der gebäudeintegrierten, dreiachsigen Nachführung wurde das Planungsteam um Robotik­ingenieure und Maschinenbauer erweitert.

Für die Klimaregulierung an der Ost- und Westseite des Gebäudes wurden in Zusammenarbeit mit Forschern der Hochschule Luzern spezielle Fassadenmodule mit Latentwärmespeicher entwickelt. Die Tests und Simulationen mit den mit einem Phase-Change-Material (siehe Kasten «Phase Change Materials» unten) auf Paraffinbasis gefüllten Flügelelementen nahmen fast drei Jahre in Anspruch. Die Recherche gestaltete sich schwierig, denn die meisten PCM-Hersteller am Markt rieten von dieser noch kaum erforschten Technologie ab. Nachdem sich keine Partner aus der Industrie gefunden hatten, musste die erforderliche Kompetenz für Forschung, Entwicklung und Umsetzung von falkeis.architects selbst aufgebaut werden.

Als Vorbild dient die Natur

Um die im obersten Geschoss angebrachte Energie- und Klimatechnik aufzunehmen, entwickelten die Planer ein Tragwerk aus Stahl, das sie auf das Gebäude setzten. Die Konstruktion umspannt das Dachgeschoss sowie Teile der Ostfassade und ermöglicht zudem die elf Meter lange, südseitige Auskragung des Attikageschosses.

Die Stahlstruktur basiert auf einem Vorbild aus der Natur: dem Voronoi, das organischen Zellen ähnelt. Zum Beispiel bestehen die Flügel einer Libelle aus einer solchen Struktur aus einzelnen Feldern, die so zusammengesetzt sind, dass sie bei geringem Gewicht eine sehr hohe Stabilität aufweisen. Nur so kann die Libelle fliegen. Als Voronoi-Algorithmus bezeichnet man eine Zerlegung des Raumes in bestimmte Regionen. Jede Region wird durch genau ein Zentrum bestimmt und umfasst alle Punkte des Raumes, die näher am Zentrum der Region liegen als an jedem anderen Zentrum.

Die Voronoi-Tragstruktur besteht aus einzelnen zusammengeschweissten Blechträgern. Hierzu wurden die Einzelteile entweder über Kopfplatten mit Schraubverbindungen gefügt oder an ihren Flanschen mit V-Nähten zusammengeschweisst. Alle Träger weisen eine gleichbleibende Höhe von 80 cm auf, bei variabler Neigung der Stege von bis zu 42°. Sie sind im Stahl­betonverbund mit der Gebäudehülle verschnitten. Die Dach- und Fassadenelemente sind über Metalllaschen untereinander verbunden.

Wie Blütenköpfe drehen sich die PV-Elemente zur Sonne

In die polygonalen Felder der Voronoi-Struktur fügen sich Fenster, Oberlichter und alle beweglichen Elemente ein. Darunter sind mehrere Arten von PV- und PCM-Modulen. An der Lamellenfassade im Süden und auf den Balkonelementen im Osten sind polykristalline Zellen installiert, die zusammen 11 kWp liefern. Elf mit monokristallinen Modulen ausgestattete Oberlichter kommen auf 5.4 kWp. Der Grossteil des PV-Ertrags kommt aber von 13 dreiachsig nachgeführten Photovoltaikflügeln mit Flächen von bis zu 12 m², die in der Voronoi-Struktur des Dachs untergebracht sind. Sie folgen, ähnlich den Blütenköpfen von Blumen, während des Tages dem Sonnenverlauf.

Mit einem seit 2014 installierten Mock-up konnten Forscher der HSLU einen Ertragsfaktor von 2.9 nachweisen. Die 34.79-kWp-Anlage wird somit den jährlichen Solarertrag einer gleich grossen, fix ­montierten Solaranlage nahezu verdreifachen. Damit soll das gesamte Areal mit Solarstrom versorgt werden können. Überschüsse, die nicht genutzt werden, nimmt die Kraftwerks AG ab.

Die Klimaregulierung funktioniert phasenweise verschoben

Sieben mit einem Phase Change Material (PCM) als Latentwärmespeicher ausgestattete Klimaflügel sind an der Ost- und Westseite des Gebäudes in die polygonalen Zwischenräume der Voronoi-Struktur eingepasst. In ihrer Ruheposition liegen die Flügel flach in der Trag­struktur und dienen dem Schutz vor sommerlicher Überwärmung. Mit von Solarstrom betriebenen Spindelmotoren, die die Flügel bis zu 110° aufklappen und dem Himmel beziehungsweise der Sonne entgegenstrecken, wird das Potenzial des Phase Change Materials maximal ausgeschöpft.

Die vier Heizflügel (Abb.) befinden sich an der Westfassade des Gebäudes und klappen in den Morgenstunden auf, während das darin enthaltene PCM noch fest ist. Dank der Ausrichtung zur Sonne wird das Paraffin im Material erhitzt und verflüssigt sich bei einer Temperatur von 32 °C. Sobald das geschmolzene PCM am Ende des Tages den maximalen Wärmeeintrag erreicht hat, schliessen sich die Flügel automatisch und docken mittels eines Ventils an das Lüftungssystem an. Über einen Wärmelufttauscher wird die freigegebene Energiemenge an das Haus abgegeben. Die PCM-Flügel decken rund 10 % der gesamten Heizlast ab.

Genau umgekehrt verhält es sich bei den drei ostseitigen Kühlflügeln (Abb.). Diese liegen untertags plan in der Fassade und klappen sich nachts auf, wenn das Material aufgrund der absorbierten Gebäudewärme vollständig geschmolzen ist. In den Nachtstunden wird die überschüssige Energie abgestrahlt. Bei 21 °C verfestigt sich das Paraffin und erstarrt. Noch vor Sonnenaufgang klappen die abgekühlten und erstarrten PCM-Module wieder ein und tragen zur Kühlung der zweigeschossigen Attikawohnung bei. Auf diese Weise können 16 % der Gesamtkühllast des Hauses eingespart werden.

Sowohl bei den Heiz- als auch bei den ­Kühl­flügeln handelt es sich um polygonale Carbon­faserrahmen, die mit waagerecht montierten Alu­minium­lamellen bestückt sind. Der Querschnitt der stranggepressten Lamellen erinnert an jenen von Flugzeugflügeln: Die Wölbung kann sich leicht verformen und nimmt auf diese Weise die zehnprozentige Volumen­änderung auf, die das darin enthaltene Paraffin zwischen flüssigem und festem Zustand aufweist.

Bei der Konstruktion zählt die digitale Innovation

Für das Tragwerk des Gebäudes kamen zwei verschiedene Stützenmodelle zum Einsatz: eine gleichschenk­lige symmetrische Betonfreiformstütze sowie ein asymmetrisches Modell mit einem diagonalen und einem ­vertikalen Schenkel (Abb.). Durch die mal A-, mal V-förmige Verbauung verdoppelt sich das Repertoire auf insgesamt vier Varianten.

Die genaue Position jeder einzelnen A- und V-Stütze wurde in einem iterativen digitalen Berechnungsverfahren, gesteuert durch einen genetischen Algorithmus, so lange optimiert, bis eine Synthese aus minimalem Materialeinsatz und maximalem Sonneneintrag über die Ost-, Süd- und Westfassaden erreicht war ­(siehe Kasten «Digitaler Entwurf» unten).

Die Stützen verbinden sich untereinander zu komplexen Baumgebilden mit Verästelungen und Verzweigungen. Mit jeder Etage nimmt nicht nur die abzutragende Eigen- und Nutzlast ab, sondern auch die Zahl der dafür verantwortlichen Stützen. Die Spannweiten zwischen den Fuss- beziehungsweise Kopfpunkten betragen bis zu 12 m.

Die Freiformgeometrie mit der gedrehten Naht verleiht den Säulen ein weiches, organisches Erscheinungsbild. Zu verdanken ist die hohe Zeichnungsfähigkeit des ­Materials dem selbstverdichtenden High-Performance-­Beton (HP-Beton) mit hohem Quarzanteil, harter Gesteinskörnung und beigemischten Polypro­pylen­fasern (PP-Fasern). Entwickelt wurde die Betonrezeptur ­namens «alphapact P080» in Kooperation mit Holcim Schweiz.

Für den ungleichmässigen Querschnitt der ­Stütze wurde eine dreiteilige Gussform als Schalung entwickelt, die auf Basis der 3-D-Daten aus Epoxidharz gegossen wurde und keinerlei Hinterschneidungen enthält. ­Eingeschweisste und einbetonierte Anker- und Anschlussplatten mit integrierten Messpunkten erleichterten nicht nur die Montage vor Ort, sondern sorgten auch dafür, dass die geringe Bautoleranz von zwei Millimetern sogar noch unterschritten werden konnte.

Ein interessantes Experiment

Das Active Energy Building ist zweifellos interessant hinsichtlich seiner technischen Funktionen und Entstehungsgeschichte. Seine Erstellung erforderte einen hohen planerischen und bautechnischen Aufwand, was nur durch die finanzielle Unterstützung der Bauherren möglich wurde, die als Forschungsmäzene wirkten.

Das Ehepaar Marxer, das den Auftrag für das Bauwerk erteilte, appellierte an den Erfindungsreichtum der Architekten und bot ihnen die Chance, die Grenzen des technisch Möglichen auszureizen. Das ­Active Energy Building ist nicht als klassisches Architekturprojekt zu verstehen, sondern als ein Experiment, das zur Architektur- und Wohnbauforschung beiträgt. Nach dem Bezug des neuen Gebäudes wird über einen Zeitraum von zwei Jahren ein externes Monitoring zur weiteren Optimierung der Energieproduktion und -einsparung eingesetzt werden. Schon jetzt gibt es dank dem Active Energy Building einige neue Patente für Bauelemente. Es bleibt spannend und abzuwarten, wie sich die Forschungsergebnisse zukünftig auf die Baubranche auswirken werden.

TEC21, Fr., 2017.02.17



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18. November 2016Nina Egger
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«Eine archäologische Ausgrabung»

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

TEC21: Herr Dillenburger, was hat Sie dazu gebracht, mit 3-D-Druck zu arbeiten?

Benjamin Dillenburger: Angefangen hat es damit, dass wir Entwurfsinstrumente für Architekten entwickelt haben, mit denen Formen erzeugt werden können, für die es keine Möglichkeit zur Fabrikation gab. Das hat dazu geführt, dass wir uns viele Jahre lang erkundigt haben, welche Herstellungsmöglichkeiten es überhaupt gibt, um solche Formen zu bauen. Wir sind dann bei grossformatigem 3-D-Druck gelandet.

TEC21: Was kann 3-D-Druck, was anders unmöglich wäre?

Benjamin Dillenburger: Der 3-D-Drucker stellt einem geometrische Freiheiten zur Verfügung. Er ist in der Lage, Hohlräume, innere Strukturen von Bauteilen und auch Überschneidungen zu drucken und Geometrie generell in einer sehr hohen Auflösung zu materialisieren.

TEC21: Wird durch die innere Struktur Material gespart?

Benjamin Dillenburger: Unter anderem. Immer, wenn wir versuchen, Material zu optimieren, entstehen Formen, die eine grosse Herausforderung an die Fabrikation darstellen. Weil die Geometrie bei der Produktion keine Rolle spielt, ist es leichter, im 3-D-Druck viel Material zu sparen. Neben den geometrischen Freiheiten ermöglicht 3-D-Druck auch kleinste Serien von Bauteilen sowie Komplexität in der Geometrie ohne Extraaufwand in der Herstellung. Es gibt verschiedene 3-D-Druckverfahren, und für manche davon bedeutet das weder extra Maschinenzeitkosten noch extra Druckzeit. Es macht keinen Unterschied, ob man eine Box oder ein hochkomplexes Element druckt.

TEC21: Wie wirken sich die Möglichkeiten des 3-D-Druckers auf den Entwurfsprozess aus?

Benjamin Dillenburger: Im Zusammenspiel von computergestütztem Entwerfen und 3-D-Druck liegt das grösste Potenzial. Mittels Algorithmen kann der Computer automatisch Materialeinsparungen an Bauteilen vornehmen. Wir entwickeln auch eigene Programme, die für spezifische Bauaufgaben optimierte Bauteile herstellen und die zu druckenden Elemente möglichst platzsparend in einer Druckbox zusammenpacken können. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Maschinenlaufzeit. Je effizienter man die 3-D-Druck-Elemente arrangiert, desto kostengünstiger werden sie.

TEC21: Wie lang etwa dauert es vom Entwurfsbeginn bis zum Ende des Druckvorgangs?

Benjamin Dillenburger: Das hängt unter anderem stark vom Entwurfsprozess ab. Wir haben den Raum «Digital Grotesque» entworfen, der hochkomplexe Geometrien beinhaltet. Wir konnten uns viel Zeit lassen, um die Gestaltung der Oberfläche sehr sorgfältig zu komponieren. Der Herstellungsprozess selbst betrug für einen Raum mit einer Grundfläche von 16 m² und einer Höhe von 3.2 m eine Woche. Bestimmte 3-D-Drucker können zum Beispiel in etwa 48 Stunden Elemente drucken, die 4 × 2 × 1 m gross sind.

TEC21: Heisst das, der Entwurf bekommt dann im Verhältnis zur Produktion mehr Zeit?

Benjamin Dillenburger: Der Idealfall ist – und das gilt nicht nur für den 3-D-Druck, sondern für digitale Fabrikation im Allgemeinen –, dass im virtuellen Modell finale Entwurfsentscheidungen später getroffen werden können, weil die Herstellung weniger Zeit beansprucht und sehr schnell an eine veränderte Geometrie angepasst werden kann.

TEC21: Was folgt als Nächstes, wenn ein Druck fertig ist?

Benjamin Dillenburger: Beim Binder-Jet-Verfahren schwimmen die gedruckten Bauteile in einem losen Pulverbett, das die Teile während des Drucks automatisch stützt. Das hat Auswirkungen auf die geometrische Freiheit. Mit diesem Druckverfahren können Auskragungen und Hohlräume realisiert werden. Anschliessend wird der lose Sand entfernt, und man nimmt eine archäologische Ausgrabung des eigenen neuen Designs vor. Beim Sand-Binder-Jet-Druck ist das Resultat mit natürlichem Sandstein vergleichbar. Der nächste Schritt wäre eine Beschichtung, um die Oberfläche zu stabilisieren, und eventuell noch das Lackieren.

TEC21: Woran arbeiten Sie zurzeit?

Benjamin Dillenburger: So wie wir heute Farben mischen, ist es möglich, auf Materialebene verschiedenen Stoffe zu verbinden. Das bedeutet, wir stellen Materialien her, die einen Verlauf aufweisen, zum Beispiel von transparent zu lichtundurchlässig, von weich zu hart, fest zu elastisch, schwer zu leicht – das kann alles in einem Bauteil hergestellt werden. Es eröffnen sich in der Architektur gerade vollkommen neue Möglichkeiten. Das ultimative Ziel unserer Forschung ist, Elemente zu drucken, die auch strukturell als Bauteil funktionieren. Dabei untersuchen wir neue Pulver- und Bindermaterialien.

Momentan ist es sinnvoll, 3-D-Druck in einem sogenannten indirekten Druckverfahren einzusetzen, zum Beispiel für verlorene Schalungen. Dabei wird das gedruckte Element erst in Kombination mit anderen Werkstoffen zum eigentlichen Bauteil. Das hat verschiedene Vorteile: Die Kombination mit Gusstechniken bietet ein viel grösseres Spektrum an verfügbaren Materialien und vereint die Vorzüge beider Seiten – einmal die digitale Fertigung mit nie dagewesenen geometrischen Freiheiten und zum anderen die Materialvielfalt der Gussverfahren, bei denen verschiedene Metall- oder Betonsorten eingesetzt werden können.

TEC21: Wofür eignet sich 3-D-Druck definitiv nicht?

Benjamin Dillenburger: Ich würde behaupten, standardisierte, einfache Bauteile mit hohen Stückzahlen, für die es schon hocheffiziente industrielle Fertigungsmethoden gibt, müssen nicht mit einem Drucker produziert werden. Es wäre vielleicht auch noch zu früh, das Ziel zu haben, ein Haus in einem Stück zu drucken. Architektur ist und bleibt eine Assemblage von verschiedenen Systemen, Gewerken und Materialien, die zusammengefügt werden müssen. Da würde ein 3-D-Drucker, der alles auf einmal drucken kann, keinen Sinn ergeben. Mich interessiert eher die Frage, wie sich 3-D-Druck mit anderen Verfahren kombinieren lässt. Der Idealfall wäre meiner Meinung nach, dass Häuser nicht mehr auf Standardisierungen angewiesen sind, sondern zunehmend spezifisch und individuell gestaltet werden können. Das sind gewichtige Argumente dafür, dass digitale Fabrikation – und im radikalsten Fall 3-D-Druck – eingesetzt werden.

TEC21: Also alles, was kein Massenelement ist. Eine Rohrleitung wird ja milliardenfach produziert und sieht in jedem Haus gleich aus.

Benjamin Dillenburger: Aber die Verlegung der Rohrleitung und die Bauform wiederum können unterschiedlich sein. Der 3-D-Druck kann so etwas wie der Mediator sein bei der Standardisierung von Systemen, die alle eine eigene Logik haben. Ich glaube, der 3-D-Druck wird dann erfolgreich, wenn er in der Lage ist, verschiedene andere Systeme einzubetten.

TEC21: Über welche Grössenordnungen sprechen wir, wenn es um die Kosten geht?

Benjamin Dillenburger: Wir haben hier Verfahren, die im Vergleich zu Frästechniken gleichauf liegen. Dabei handelt es sich um eine noch junge Technologie. Die Maschinenpreise haben sich allein in den letzten zwei bis drei Jahren um den Faktor 10 verringert.

TEC21: Wenn also der 3-D-Drucker nicht mehr so teuer ist, wie steht es mit dem Material?

Benjamin Dillenburger: Das Material ist tatsächlich ein Kostenfaktor, aber auch die Energie, die aufgewendet werden muss, um es zu verarbeiten. Diese wiederum hängt von der Verbindungsmethode ab – ob es sich um die Binder-Jet-Methode handelt oder ob das Material mit Laser oder durch ein Schweisssystem verbunden wird. Das führt logischerweise zu verschiedenen Energiebilanzen.

TEC21: Wie marktreif ist der 3-D-Druck?

Benjamin Dillenburger: Das hängt vom Verfahren ab. Es gibt für den Beton- und Sanddruck bereits Maschinen, die auf dem Markt verfügbar sind. Jetzt geht es eigentlich darum, architektonische Anwendungen für die 3-D-Druck-Technologien zu finden. Eine Schwierigkeit kann dabei sein, dass durch die Möglichkeiten des 3-D-Drucks das, was früher in verschiedenen Gewerken hergestellt wurde, jetzt zusammengefügt werden kann und in dem Fall vielleicht andere Marktstrukturen entstehen. Nach einem regelrechten Hype befinden wir uns momentan in der Phase der Ernüchterung. Jetzt muss sich zeigen, welche Entwicklungen Zukunftspotenzial haben und welche nicht. Danach wird es in der Konsolidierungsphase einen erneuten Innovationsschub geben.

TEC21: Aber kann es nicht sein, dass die Nachfrage noch nicht vorhanden ist, auch wenn die Technologie marktreif ist?

Benjamin Dillenburger: Neue Technologien haben es naturgemäss schwer in der Architektur oder der Bauwirtschaft. Das ist auch gar kein Vorwurf an die Bauindustrie. Natürlich brauchen alle neuen Entwicklungen eine gewisse Zeit, bis sie getestet sind, die Normen erfüllen und ihre Langzeittauglichkeit erwiesen haben. Wir reden ja von Gebäuden, die eine viel längere Lebensdauer haben als zum Beispiel ein Telefon. Deswegen ist es ganz normal, dass neue Technologien länger brauchen, um sich im Bauwesen durchsetzen zu können.

TEC21: Müsste sich der Entwurf ändern, um sich dem 3-D-Druck anzupassen?

Benjamin Dillenburger: Um die Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können, vielleicht ja. Es wird immer wichtiger, möglichst viel im Gebäude vorplanen zu können. Die BIM-Modellierung hat den Anspruch, Fabrikationsprozesse abzubilden – mehr als dies heute der Fall ist. So können die Produktionsdaten schon aus dem BIM-Modell errechnet werden und im Umkehrschluss auch Produktionsbedingungen in die Modelliersoftware integriert werden, um den Entwurfsprozess effizienter zu gestalten und Fehlerquellen zu reduzieren.

TEC21: Was könnte ein Ansporn sein, 3-D-Druck einzusetzen?

Benjamin Dillenburger: Immer wenn der Wunsch besteht, nicht mit standardisierten Bauteilen zu arbeiten, sondern spezifische Lösungen anzubieten, die nicht der Norm entsprechen. Dann führt heutzutage kaum ein Weg mehr an digitaler Fabrikation vorbei. Und 3-D-Druck vereint die Vorteile, die das digitale Bearbeiten mit sich bringt, in radikalster Weise: keine Extrakosten für massgefertigte Elemente, reduzierte manuelle Arbeit, die präzise Übertragung des virtuellen Modells in ein physisches Bauteil, vollkommene Kontrolle in der Herstellung sowie die Skalierbarkeit des Produktionsprozesses.

TEC21: Wir haben in Ihrem Labor transparente Schalungen für Säulen mit Wabenstruktur gesehen. Sie wirken so, als würde sich das Endresultat plastisch oder elastisch verformen lassen.

Benjamin Dillenburger: Die Eigenschaften eines Bauteils können auch über die Geometrie gesteuert werden. Wir sprechen in diesem Fall von 4-D-Druck (vgl. «Die DNA der digitalen Fertigung»). Es gibt Versuche, innere Strukturen so zu drucken, dass sie an manchen Stellen eine elastische Verformung zulassen, während sie an anderen Stellen steif bleiben. Weiter ist es möglich, strom- oder wasserführende sowie transparente Materialien zu drucken und diese in ein komplexes Bauteil zu integrieren. Es geht uns also nicht nur darum, Baustoffe zu optimieren, sondern darum, ganz neue Elemente herzustellen.

TEC21: Ist es vorstellbar, dass ein 3-D-gedrucktes Bauteil auch auf Zug beansprucht wird?

Benjamin Dillenburger: Die meisten 3-D-Druckverfahren sind schichtbasiert. Nun geht es darum, die Verbindung zwischen den Schichten zu optimieren. Im kleinen Massstab gibt es schon Drucker, die dazu in der Lage sind. Wir haben einen Laser-Sinter-Drucker, der mechanisch beanspruchte Teile mit einer festen Verbindung zwischen den Ebenen herstellen kann.

TEC21: Welche Projekte planen Sie als nächste?

Benjamin Dillenburger: Wir arbeiten an mehreren Projekten. Für die Empa planen wir ein grosses Testgebäude, für das wir eine Deckenkonstruktion mithilfe von 3-D-Druck herstellen möchten. Weiter versuchen wir, in unserer Forschung neue Materialien zu erschliessen und verschiedene Druckverfahren auf Skalierbarkeit hin zu testen, damit diese auch in grossem Massstab eingesetzt werden können. Parallel dazu versuchen wir den Architekten neue Entwurfswerkzeuge an die Hand zu geben, damit sie die Möglichkeiten des 3-D-Drucks voll ausschöpfen können.

TEC21: In wie vielen Jahren rechnen Sie damit, dass 3-D-Druck tatsächlich von Architekten als selbstverständliches Werkzeug eingesetzt wird?

Benjamin Dillenburger: Wenn man sich anschaut, wie lang es gedauert hat, bis CNC-Fräsen in der Fertigung von Elementen alltäglich geworden sind, kann das schon – unter anderem wegen der Normung und Prüfung der Materialien – noch Jahre dauern. Fünf Jahre vielleicht? Unser nationaler Forschungsschwerpunkt «Digitale Fabrikation» ist auf zwölf Jahre angelegt. Wir überlegen uns oft: Wie sieht das Bauen in zwölf Jahren aus? Wenn wir um den gleichen Zeitraum zurückschauen und sehen, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat, dann stimmt das optimistisch für die Zukunft. Es gibt noch unglaublich grosses Potenzial an Erneuerungen in der Art und Weise, wie wir bauen. Wie gesagt, das ist kein Vorwurf an die Bauindustrie. Bauen ist einfach ein sehr komplexer Prozess. Aber je leistungsfähiger unsere Informationstechnologie wird, sei es in der Planung oder in der Fabrikation, desto schneller werden wir neue Kräfte freisetzen können.

TEC21, Fr., 2016.11.18



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20. November 2015Nina Egger
Jörg Worlitschek
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Am Wärmemarkt passen Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. Erst der Einsatz thermischer Speicher ermöglicht es, die benötigte Leistung zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. So kann das Angebot voll genutzt und die Nachfrage voll gedeckt werden.

Am Wärmemarkt passen Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. Erst der Einsatz thermischer Speicher ermöglicht es, die benötigte Leistung zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. So kann das Angebot voll genutzt und die Nachfrage voll gedeckt werden.

Mit rund 46 % des Gesamtenergie­verbrauches der Schweiz nehmen Gebäude eine entscheidende Rolle in der Energiewende ein. Rund 70 % des Energieverbrauchs in privaten Haushalten gehen auf die Produktion und die Ver­teilung der Raumwärme zurück. Die Speicherung von thermischer Energie, in Form von Kälte oder von Wärme, wächst daher immer mehr zu einer Schlüsseltechnologie der Gebäudetechnik heran.

Thermische Energiespeicher werden in jedem Gebäude eingesetzt, ohne dass wir diese bewusst als solche wahrnehmen. Die ständige Verfügbarkeit von warmem Wasser ist für uns ebenso selbstverständlich wie die stets vorliegende angenehme Raumtemperatur in den Wohnräumen. Möglich wird das nur durch den Einsatz thermischer Speicher, sei es durch Warm­wasserspeicher oder durch die thermische Trägheit der Gebäude und ihrer Wärmedämmung.

Thermische Energiespeicher können überall dort eingesetzt werden, wo eine zeitliche oder örtliche Diskrepanz zwischen Energieangebot und Energienachfrage vorliegt. Ein gutes Beispiel sind das Heizen und die Brauchwassererwärmung mit Solarthermie. Die nutzbare Wärme der Sonne fällt tagsüber und vorwiegend im Sommer an, wobei die Nachfrage nach thermischer Energie eher nachts und vor allem im Winter anfällt. Durch thermische Energiespeicher können Angebot und Nachfrage angepasst werden, indem die tagsüber anfallende thermische Solarenergie gespeichert und nachts abgegeben oder aber die Energie über den gesamten Sommer gespeichert und im Winter an den Verbraucher abgegeben wird. Neben dem Gebäude­bereich werden thermische Energiespeicher auch in der Prozesstechnik und Elektrizitätserzeugung eingesetzt.

TEC21, Fr., 2015.11.20



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TEC21 2015|47 Thermischer Energiespeicher

21. August 2015Nina Egger
TEC21

«Die Trägheit löst hier einige Probleme»

An der ETH Hönggerberg Zürich benötigen 10 000 Personen jährlich 27 GWh Wärme und 16 GWh Kälte. Zur Deckung wird das Anergienetz seit 2013 laufend ausgebaut. Zwei beteiligte Planer berichten von ihrer Arbeit.

An der ETH Hönggerberg Zürich benötigen 10 000 Personen jährlich 27 GWh Wärme und 16 GWh Kälte. Zur Deckung wird das Anergienetz seit 2013 laufend ausgebaut. Zwei beteiligte Planer berichten von ihrer Arbeit.

Herr Gautschi, Herr Häusermann, Sie haben das thermische Netz der ETH Zürich am Hönggerberg geplant. Welchem Zweck dient es?
Gautschi: Die bestehende Heizzentrale der ETH war abzulösen, weil der Heizkessel saniert werden musste. Es kam die Frage auf, wie die Energieversorgung am Hönggerberg in Zukunft aussehen kann. Ziel war, die CO2-Emissionen bis 2020 um 50?% zu reduzieren. Über verschiedene Varianten wurde das realisierte Anergienetz entwickelt. Anergie ist Energie, die nicht direkt eine Arbeit verrichten kann.

Ein Wärmenetz auf niedrigen Energieniveau.
Gautschi: Genau. Wasser in Form von 8 bis 20?°C wird erst durch eine Wärmepumpe veredelt.
Auf der Kälteseite stimmt der Begriff Anergie physikalisch nicht, denn man kann mit kaltem Wasser direkt kühlen. Anergienetz war ein Übungstitel, im Markt spricht man sonst von kalter Fernwärme. Am Hönggerberg haben wir eine thermische Vernetzung, bei der wir die Gebäude über diesen Veredelungsprozess heizen, aber auch direkt kühlen. Die Synergie liegt in der Prozesskälte, der Laborkälte und der Klimakälte, die über dieses Netz produziert werden.

Es gibt dort gleichzeitig Kälte- und Wärmebedarf.
Gautschi: Teilweise gleichzeitig, teilweise auch saisonal verlagert. Gerade im Sommer brauchen wir vor allem Wasser, um Klimakälte zu produzieren. Zugleich können wir so die Erdspeicher für die Übergangszeit und den Winter regenerieren. Derzeit gibt es drei von voraussichtlich fünf Erdspeichern.

Momentan existiert ein einzelner Ring, an dem alle drei Speicher angeschlossen sind. Ein lineares oder sternförmiges Netz stand nie zur Diskussion?
Gautschi: Nein. Wir hatten den Vorteil, dass wir bereits einen Energiekanal hatten, der kreisförmig unter diesem Areal durchführt. Es gibt eine Ringleitung im Energiekanal, an der alle Speicher und Energiecluster angehängt sind. Sie sind völlig dynamisch und offen, nicht Gebäuden zugeordnet.

Läuft das Ringnetz bidirektional? Und wie viele Leitungen gibt es für die Temperaturniveaus?
Gautschi: Ja, bidirektional. Eigentlich ist es ein Zweileiter, aber wir haben einen dritten Leiter als Korrekturleiter eingeplant. Ganz am Anfang war das Thema, dass wir Abwärme auf sehr hohem Temperaturniveau direkt in die Kältezentrale bzw. zum Rückkühler bringen, wo die Abwärme vernichtet wird. Wir wollten diese hohen Abwärmen nicht im Zweileiter, weil die Temperaturschichtung zerstört würde. Und der Ring hat hydraulisch grosse Vorteile.

Was sind diese Vorteile?
Gautschi: Wir können den Druckverlust halbieren. Und eine allfällige Erweiterung ist einfacher. Wenn wir andere Stadtteile versorgen würden, sähen wir nicht einen grossen Ring,
sondern eher einzelne Arealringe, die mit anderen Arealringen vernetzt werden, wie eine Kette.

Das wäre dann ein vermaschtes Netz (vgl. Glossar S. 26).
Gautschi: Genau das ist jetzt Thema bei einem grösseren Netz: bei der Familiengenossenschaft am Fuss des Uetlibergs in Zürich.

Um auf die hydraulischen Vorteile zurückzukommen: der Druckverlust halbiert sich, weil ein Fluss in beide Richtungen möglich ist.
Gautschi: Das ist der eine Vorteil. Der andere Vorteil ist die Redundanz. Wenn wir irgendwo ein Problem hätten, eine undichte Leitung, dann könnten wir einseitig versorgen.

Gibt es für dieses Energienetz ein Monitoring?
Gautschi: Aus dem Monitoring werden circa monatlich die Daten ausgelesen und dann beurteilt. Diese Daten werden in weitere Systeme und auch in die Entwicklung des Anergienetzes einfliessen.
Häusermann: Die Komponenten sind gut erforscht. Es geht darum, die Technologien zu verbinden, die Hydraulik besser zu verstehen und die Hilfsenergie der Pumpenströme zu optimieren.

Wie löst man Probleme in der Hydraulik – gerade bei Bidirektionalität?
Häusermann: Wir geben die Strömung nicht vor. Das Wasser sucht sich den Weg des geringsten Widerstands, und so ergeben sich die Strömungen. Regeln wollen wir das nicht. Wenn eine Zentrale Wasser braucht, holt sie es sich. Es ist nicht vorgegeben, woher es kommt. Wenn zum Beispiel eine Zentrale im Heizbetrieb ist und eine im Kühlen, dann kommt die Wärme direkt von der Zentrale, die kühlt.

Wie sieht es denn mit den Drücken und Geschwindigkeiten im Netz aus?
Gautschi: Das Anergienetz ist ausgelegt auf maximal 1 m/s, da wir dann sehr wenig Druckverluste haben. Vor allem die Anschlussleitung und die Erdsonde generieren Druckverluste, wie bei einem kleineren konventionellen System.
Häusermann: Wir haben zwar relativ geringe Geschwindigkeiten, aber für die grosse Wassermenge grosse Pumpen. Eine Erkenntnis aus dem Betrieb war, dass wir die Pumpen sehr langsam hochfahren, um keine Druckschwankungen im Netz zu erzeugen.

Die Druckverluste können auch zu Kavitation führen. Wenn der Verdampfungspartialdruck unterschritten wird, bilden sich Dampfbläschen, die die Pumpen zerstören können, wenn sie schlagartig kollabieren.
Häusermann: Zu Beginn war der Systemdruck auf 4 bar. Verschiedene Tests unter Extrembedingungen haben gezeigt, dass bei gewissen hydraulischen Konstellationen Kavitation auftreten kann. Kurzfristig konnte das Problem mittels leicht höherem Systemdruck stabilisiert werden. Mittlerweile sorgt der Energiemanager dafür, dass die einzelnen Cluster nicht auf Spitzenlasten gefahren werden. Kavitation konnte durch die eingeleiteten Massnahmen seither nicht mehr nachgewiesen werden.

Wie funktioniert die Mess-, Steuer- und Regelungstechnologie des Systems und des Energiemanagers?
Gautschi: Die Zusammenarbeit mit der ETH ist da sehr gut. Der Energiemanager schaltet die Pumpen möglichst nicht gleichzeitig ein, um Spitzen zu vermeiden, weil es bei den Wärmepumpen hydraulisch ein Problem gäbe, wenn sie in Unterdruck gingen. Überraschend war, dass wir am Anfang schneller als erwartet in Betrieb gekommen sind. Wir hatten bei den Inbetriebnahmen mit grösseren Problemen gerechnet, als das wirklich der Fall war.
Häusermann: Die Trägheit löst hier auch einige Probleme. Allein in der Ringleitung sind rund 600 Kubikmeter Wasser. Das ist eine riesige Speichermasse, die wir verwenden können. Zu Beginn wollten wir zu viel regeln. Wir regeln jetzt weniger, und das System wird dadurch um einiges stabiler.

Das Netz hat im aktuellen Ausbaustand eine Ringleitung und drei Zentralen. Wie geht es weiter?
Gautschi: Der Ring hat den Endausbau erreicht und wird nicht mehr erweitert. Es werden sicher zwei weitere Cluster angehängt und wahrscheinlich zwei Erdspeicher. Aktuell ist in Diskussion, dass wir zusätzlich mit einer Transitleitung einen Teil von Affoltern versorgen. Wir haben den Ring nur in einem Ausnahmefall erweitert: für den Bereich HW (studentisches Wohnen am Hönggerberg).
Häusermann: Der Grund war, dass wir an diesem Standort eine Zentrale und einen Erdspeicher haben und keine zwei Komponenten einander direkt zuordnen wollen. Das heisst: Die Ringleitung wurde verlängert, sodass auch dieser Erdspeicher im Heizbetrieb sein kann, während die Zentrale kühlt. Sie werden sich nicht gegenseitig beeinflussen. Wenn eine neue Komponente, ein Cluster oder Ähnliches angeschlossen wird, ändert sich wieder alles. Es resultiert entweder ein höherer Kälte- oder Wärmeverbrauch als davor.
Gautschi: Es ist wichtig, dass der Energiemanager die verschiedenen Zentralen untereinander koordiniert. Das System ist in dieser Hinsicht sehr flexibel.
Häusermann: Die Bilanz müssen wir kontrollieren. Es macht keinen Sinn, nach einem Jahr schon auf Tendenzen zu reagieren, das System ist sehr träge.

Über die Jahre sollten Energiebedarf und -eintrag ungefähr gleich sein. Wie würden Sie reagieren, falls die Sonden das Erdreich langsam abkühlen?
Gautschi: Dann braucht es einen Plan B, zum Beispiel weitere Quellen, die man einbeziehen kann. Oder man reduziert die Entnahme aus dem Netz. Oder man versucht, im Sommer hohe Temperaturen in den Erdspeicher einzulagern. Bei der ETH haben wir eher das Problem, dass die Abwärme jedes Jahr zunimmt.

Heisst das, Sie könnten das Erdreich aufwärmen?
Gautschi: Ja. Deshalb versuchen wir, weitere Nutzer ans System zu hängen, um eine saisonal verlagerte Kühlmaschine zu erwirken.
Häusermann: Wir möchten am Ende der Heizperiode ein kaltes Netz, damit wir die Kälte im Sommer zur Kühlung einsetzen können. Und am Sommerende möchten wir wieder ein warmes Netz, damit die Wärmepumpen mit guten Wirkungsgraden laufen. Diese Schwankung ist gewollt.

Was war das Spannendste an dem Projekt?
Gautschi: Etwas Neues entwickeln zu dürfen. In der Strategieentwicklung waren wir völlig frei. Es war sehr spannend zu schauen, mit welcher Software wir das berechnen könnten, weil es auf dem Markt nichts gab. Wir sind dauernd daran, verschiedene Ansätze zu konsolidieren, um dann wirklich einmal ein funktionierendes Programm zu haben, mit
dem wir Gesamtsysteme simulieren können. Heute kann man Speicher und Ringleitungen simulieren, aber die Bidirektionalität, die Dynamik ist nicht ganz einfach abzubilden.
Wir glauben, dass wir auch in Zukunft die Flüsse im Anergienetz selbst nicht genauer simulieren müssen. Wichtig sind der Druckverlust und die Grösse der Erdspeicher, wie auch der dynamische Abgleich der verschiedenen Cluster, inklusive der richtigen Dimensionierung der Pumpenanlagen. Da reden wir nicht von klar definierten Betriebskennlinien, sondern es gibt einen Bereich, in dem die Pumpe funktionieren muss (vgl. «Maschen und Knoten»).
Häusermann: Es ist spannend, wenn man auf einem Areal mit einer so hohen Energiedichte Wärme und Kälte benötigt. Mit diesem System haben wir die Möglichkeit, die Wärme zu verlagern und sie dann zu verwenden, wenn sie gebraucht wird. Wir haben unterschiedliche Temperaturniveaus und können sie so kombinieren und vernetzen, dass wir ihr Potenzial maximal ausnutzen. Und jetzt haben wir Monitoringdaten aus zweieinhalb Jahren, die nachweisen, dass das System vielleicht sogar noch besser funktioniert als berechnet.

TEC21, Fr., 2015.08.21



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TEC21 2015|34 Thermische Netze

30. November 2014Nina Egger
TEC21

«Wir konnten nur ­etwas Schönes bauen»

Die neue Wetter­radarstation auf der Plaine Morte diente kurz nach Fertigstellung der Bauarbeiten als Sitzungszimmer für ein Interview.

Die neue Wetter­radarstation auf der Plaine Morte diente kurz nach Fertigstellung der Bauarbeiten als Sitzungszimmer für ein Interview.

Wetterradare, die Niederschläge in Echtzeit erfassen, sind die wichtigsten Instrumente zur Wetterbeobachtung. Im Rahmen des Bundesratsbeschlusses vom 26. Mai 2010 zum Folgebericht OWARNA (Optimierung der Warnung und Alarmierung) beauftragte der Bundesrat das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz, das Niederschlagsmessnetz zu verbessern und zu ergänzen. Die Lebensdauer der bestehenden Radarstationen auf dem Monte Lema (1625 m ü. M.), auf La Dôle (1675 m ü. M.) und auf dem Albis (925 m ü. M.) war bereits abgelaufen, daher hat MeteoSchweiz sie seit Anfang 2011 durch Geräte der neuesten Generation ersetzt. Da bislang die Berge im Wallis und in Graubünden teilweise den «Blick» der Radaranlagen in die Alpentäler versperrten, wurde innerhalb des Projekts Rad4Alp OWARNA der Bau von zwei zusätzlichen Wetterradaren genehmigt.

Der neue Wetterradar auf dem Weissfluhgipfel in Graubünden befindet sich aktuell im Bau, bis Ende 2016 wird der Betrieb aufgenommen. Der Radar auf der Pointe de la Plaine Morte, auf 2930 m ü. M. oberhalb von Crans-Montana, ist bereits fertiggestellt und seit Mai 2014 in Betrieb. Die beiden neuen Wetterradaranlagen erhöhen nicht nur die Verfügbarkeit der flächendeckenden Radarinformation, falls eine der anderen Anlagen in der Schweiz ausfallen sollte, sondern leisten einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Warnungen vor Starkniederschlägen, Gewittern und Hochwassern, besonders in inneralpinen Regionen.

Wie die Grafik rechts oben zeigt, kann der neue Wetterradar auf der Pointe de la Plaine Morte die Niederschläge über dem Wallis näher am Boden und feiner aufgelöst vermessen. Den Radarstationen La Dôle bei Genf und Monte Lema im Tessin war dies bislang nur beschränkt möglich. Für die Gebiete rund um die Walliser, Berner und Freiburger Alpen sowie für die Ortschaften in den entsprechenden Bergtälern bringt der Radar Pointe de la Plaine Morte somit eine Verbesserung der Niederschlagsmessung. Um die Betriebstauglichkeit des Radars auf der Pointe de la Plaine Morte unter allen Umständen – Blitze, Eisbefall, Schneeverwehungen, Erdbeben, Stürme – sicherzustellen, wurden Experten zurate gezogen (vgl. «Wenn es bebt und blitzt», S. 25, und «Virtueller Windkanal», S. 28). Bei ihren Analysen stützten sie sich auf die Wetterdaten von MeteoSchweiz und die für ihr Fachgebiet jeweils gültigen Normen. Die Auswirkungen der besonderen Höhenlage und die geforderte Betriebssicherheit des Radars verlangten ihnen besondere, individuell angepasste, empirische, aber dennoch präzise Lösungswege ab. Ihre Ergebnisse beeinflussten die Planung von Tragwerk und Fassade massgeblich. Darüber hinaus wurde auch auf das optische Erscheinungsbild der technischen Anlage Wert gelegt. Im Interview berichten der beteiligte Architekt Fredy Studer, Bauingenieur Rolf Liechti und Fassadenplaner Markus Schmid von der Entstehung der Radarstation auf der Pointe de la Plaine Morte.

TEC21: MeteoSchweiz hat den Fachentscheid gefällt, das Wetterradarnetz um einen Standort in Graubünden und einen im Wallis zu ergänzen. Herr Studer, für die darauf folgende Ausschreibung haben Sie den Zuschlag bekommen. Wie ist das Planungsteam für die Station auf der Pointe de la Plaine Morte zustande gekommen?
Studer: Der Bauingenieur war bei mir im Generalplanerteam, die anderen Fachplaner wurden durch die Bauherrschaft (BBL) bestimmt. Diese waren bereits an der Erneuerung der bestehenden Wetterradaranlagen beteiligt.

Welche Disziplinen standen stark im Dialog – oder sich in der Planung besonders im Weg?
Liechti: In dieser hohen Lage gab es keine vergleichbaren Wetterradaranlagen, daher war das ganze Team bei der Planung, Entwicklung und Ausführung sehr stark gefordert. Die Konstruktion ist eigentlich ideal für das Zusammenspiel der verschiedenen Fachrichtungen. Wir haben genügend Platz für die technische Infrastruktur, der Zylinder wird auch als Steigzone genutzt, und durch das Schrägstellen der nach der Sonne ausgerichteten Photovoltaikanlage entstand Raum für die ganze Technik.

Es gab doch bestimmt trotzdem Herausforderungen?
Studer: Vor allem die dort oben herrschenden Windgeschwindigkeiten, die hohe Verfügbarkeit der Radaranlage und nicht zuletzt die Höhenlage an sich waren Anforderungen, die es zu bewältigen galt.

In der Anfangsphase war es ein Herantasten und Erspüren. Niemand wusste ganz genau, wie die Radarstation aussehen soll. Die Definition war ursprünglich anders: ein Turm von 2 bis 5 m Höhe mit einer Plattform zur Anbringen eines Wetterradars und ein Betriebsraum von 3 × 5 × 5 m.
Liechti: Wir mussten auch neue Anlagenteile für die Betriebssicherheit entwickeln.

Welche Faktoren waren bei der Planung der Gebäudehülle wichtig?
Studer: Die Anlage sollte sich architektonisch und ästhetisch in das Landschaftbild integrieren. Aus betrieblicher Sicht musste nur das Radom über die höchste Erhebung ragen. So konnte die Anlage seitlich an der Pointe de la Plaine Morte platziert werden, wo sie weniger dominant wirkt – das war auch eine Forderung der Bauherrschaft.
Liechti: Höhe und Form werden durch zwei entscheidende Faktoren bestimmt. Zum einen muss der Radar mit seiner Ausbreitung einen Minimalabstand zu einem Menschen aufweisen, damit man sich in seiner Nähe aufhalten kann, ohne durch die Strahlung beeinträchtigt zu werden. Und zum anderen ist der Hohlleiter in seiner Länge und in der maximalen Anzahl seiner Knicke begrenzt, damit die Qualität der Daten vom Radar optimal ins System übertragen werden kann. Deswegen ist auch der Betriebsraum nicht am Boden positioniert, sondern in der Höhe, möglichst nah am Radar.

Wie ist es letztendlich zu dieser Form ähnlich einer Spielfigur gekommen? Warum ist das Gebäude zum Beispiel nicht eckig?
Studer: Das Radom ist aufgrund seiner angestammten Funktion von vornherein rund. Beim übrigen Gebäude leitet sich die Form von der Aerodynamik ab. In der Simulation sieht man sehr schön, welche Kräfte durch die hohen Windgeschwindigkeiten hier wirken. Für mich war überraschend, dass dabei der Windsog massgebend ist, nicht der Winddruck (vgl. «Virtueller Windkanal», S. 28). Der Zylinder ist ideal – damit weist das Bauwerk den nötigen Rauminhalt auf, gleichzeitig aber eine möglichst kleine Oberfläche, die wenig Angriffsfläche für Wind, Schnee und Vereisungen bietet. Alle Fassadenteile sind angewinkelt, damit so wenig Schnee wie möglich auf der Station liegen bleiben kann.

Ich sitze gerade auf einer Einstiegsluke. Hat man sie wegen des Schneefalls mit eingeplant?
Liechti: Die zusätzliche Ein-und Ausstiegsluke war eine Auflage des Nutzers – als alternativer Zugang bei Schneeverwehungen und Vereisungen des Haupteingangs. Diese Erkenntnisse hat man alle sukzessive gewonnen.
Studer: Wir sollten hier auch die Photovoltaik-anlage erwähnen. Für sie musste der Ausstieg aufs Dach ebenfalls neu entwickelt werden. Bei dem ständigen Wind liesse sich eine normale Türe wegen des Winddrucks nicht öffnen. Der Ausstieg wurde aus drei demontierbaren Paneelen konstruiert.

Abgesehen vom Ausstieg zur PV-Anlage sind auch die Ansprüche an die PV-Paneele selbst andere als sonst. Wie ist man damit umgegangen?
Studer: Die Photovoltaikanlage musste den gleichen Anforderungen genügen wie die Fassade. Die Anlage produziert ca. 9000 kWh, was einem Energiebedarf von zwei Einfamilienhäusern entspricht. Hat es noch weitere Anforderungen gegeben, dass diese Baustelle umweltgerecht sein soll? Wie steht es mit der Rezyklierbarkeit?
Studer: Der Stahlbau und der Fassadenbau können wiederverwendet werden.
Schmid: Es wurde aber nicht nur auf Rezyklierbarkeit geachtet. An diesem Standort müssen die Baumaterialien eine möglichst lange Lebensdauer aufweisen. Weil man sie gut vorfabrizieren kann, kamen Holzelemente zum Einsatz. Sie sind vergleichsweise leicht und können mit dem Helikopter hochgeflogen werden.

Kommen wir zum Bauablauf. Wie haben Sie die Unternehmer gefunden, um so einen speziellen Bau auszuführen?
Studer: Grundsätzlich wurden auf Wunsch der Bauherrschaft regionale Unternehmen berücksichtigt. Sie mussten bereits Erfahrungen im hochalpinen Raum mitbringen. Die valablen Unternehmer wurden anschliessend zur Offerierung eingeladen. Die Anbieter mussten in einem technischen Vorbericht darlegen, wie sie die Arbeiten umsetzen wollten.
Liechti: Dieser technische Bericht wurde bei der Offertbewertung sehr stark gewertet – uns war es wichtig zu sehen, was die Unternehmer bezüglich Bauplatzinstallation, Transportkonzept, Qualitätskonzept, Witterungskonzept und Terminen planten. Ein weiteres wichtiges Kriterium für uns waren die Referenzen.
Studer: Es waren viele spezialisierte Unternehmen am Werk wie der deutsche Radarlieferant Selex und die RUAG, ein spezialisierter Rüstungsbetrieb, die den Radar und das Radom montiert haben.

Apropos Spezialisten: Sämtliche Teile, die verbaut wurden, sind per Helikopter hier heraufgeflogen worden.
Studer: Es war den Unternehmern freigestellt, auf welchem Weg sie das Baumaterial transportieren wollten. Am Schluss setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Bergweg nicht wirklich befahrbar und ausserdem viel zu unsicher war. Daher wurde sämtliches Baumaterial, über 300 t, per Helikopter auf die Baustelle transportiert.

Wie viel Gewicht kann ein Transporthelikopter maximal befördern?
Studer: Es kamen verschiedene Helikoptertypen zum Einsatz: für die Bauarbeiten der Eurocopter Ecureuil mit einer Zuladung von 600 kg und für schwere Lasten der SuperPuma mit einer Zuladung von 2500 kg.

Das ist ja kaum einmal ein Kubikmeter Beton!
Studer: Pro Flug waren das ca. 300 l Beton.
Liechti: Es waren zwei Helikopter gleichzeitig im Einsatz. Man konnte das Material auf der Strasse ziemlich weit nach oben transportieren und hatte dadurch nur noch etwa fünf Minuten pro Rotation. Das heisst, alle 2.5 Minuten wurde ein neuer Krankübel angeliefert. So hatten die Arbeiter auf der Baustelle Zeit, den Beton wieder zu verarbeiten, bis der nächste angekommen ist.
Studer: Noch zu den Arbeitsbedingungen generell: Zum Teil hatten wir Temperaturen von –25 °C. Die Arbeiter trugen Thermoanzüge und konnten maximal zwei Stunden arbeiten, bis sie wieder in die Wärme mussten. Der letzte Winter war besonders extrem.
Liechti: Das Team verfügte ständig über aktuellste Wetterdaten für den Standort. Das hat uns sehr geholfen, denn es mussten doch immer wieder wichtige Entscheidungen getroffen werden: Können wir jetzt noch betonieren? Wann wollen wir das machen? Jede Betonieretappe wurde zuerst mit dem Baumeister, mit der Bauleitung und mit mir besprochen. Es war sehr wichtig, dass man auf die entsprechenden Daten zurückgreifen konnte.

Wie regelmässig fanden Baukontrollen und Besprechungen statt?
Liechti: Grösstenteils nach Bedarf – zum Beispiel, wenn eine Armierungsabnahme durchgeführt werden musste oder wenn bei der Stahlkonstruktion die einzelnen Etappen kontrolliert und abgenommen wurden. Am Anfang war der Baumeister allein, dann kam der Stahlbauer dazu, und erst als der Rohbau stand, kamen weitere Unternehmungen ins Spiel. Später, als mehrere verschiedene Fachrichtungen vor Ort waren, wurden die Besprechungen etwas häufiger.
Studer: Sämtliche Arbeitsschritte wurden durch die Bauleitung und die Unternehmer dokumentiert. Es bestand ein sehr intensiver Austausch zwischen der Bauleitung und den Unternehmungen.

Gab es auf der Baustelle spezielle Sicherheitsvorkehrungen, abgesehen von den allgemein üblichen?
Studer: Der ganze Turm wurde als Faraday’scher Käfig ausgebildet, zum Schutz gegen Blitzeinschläge.
Liechti: In einem Raster zwischen 80 cm und 1 m wurden die Armierungseisen verschweisst, horizontal und vertikal, damit dieser Faraday’sche Käfig entstand. Selbst während der Bautätigkeiten wurden die einzelnen Bauteile geschützt. Dieses Konzept wurde von einem Blitzschutzexperten, der auch im Team mitwirkte, am Anfang entwickelt. Auch das Gerüst wurde seinen Angaben entsprechend geschützt.

Was für ein anspruchsvoller Stahlbau!
Liechti: Im Gegensatz zu Stahlkonstruktion und Fassadenbau, die vorfabriziert wurden, wurde der zylindrische Turm vor Ort betoniert. Dies bedingte, dass Toleranzen bei Stahlbau und Fassadenbau eingeplant werden mussten. Der Baumeister bemühte sich natürlich, den Turm rund zu schalen. Aber weil wir hier auf dieser Höhe auf der Sonnenseite gegenüber der Schattenseite sehr grosse Temperaturdifferenzen haben und die Schalung sehr dunkel ist, hat es diese dauernd zusammengedrückt. Am Ende kam beinahe eine Ellipse heraus statt eines runden Turms. Vom grössten zum kleinsten Durchmesser haben wir Abweichungen von bis zu 6 cm festgestellt. Das hat dann wiederum bei der Stahlkonstruktion zu Problemen geführt, denn hier war die Vorgabe eine Toleranz von maximal 2 cm. Der Stahlbauer hat auf 2 cm genau konstruiert und musste dann seine Vorgaben nach den ersten Kontrollen anpassen.

Ich nehme an, der Fassadenbau war auch nicht ganz einfach.
Schmid: Da haben Sie recht. Der Standort verlangte nach einem möglichst hohen Grad an Vorfabrikation, aber gleichzeitig durften die Bauteile das Transportgewicht des Helikopters nicht übersteigen. Da haben wir als tragende Dämmebene auf Holzkastenelemente gesetzt. Sie konnten relativ grossformatig geplant werden und liessen sich gut auf das Stahlgerippe applizieren. Zudem bieten diese Produkte ausgezeichnete Dämmwerte und einen einfachen Untergrund für die zusätzliche Aussenhaut aus Aluminiumverbundprofilen. Trotzdem hatte der Unternehmer kein leichtes Spiel. Die runden Oberflächen, teils nach aussen geneigt, teils sogar über Kopf, verlangte den Monteuren in Kombination mit den äusseren Bedingungen sehr viel ab.

Was passiert mit den Daten, die der Radar sammelt?
Studer: Die durch den Radarreflektor empfangenen Daten werden über den Hohlleiter an das Datenrack weitergeleitet.
Liechti: Via Glasfaserkabel gelangen sie hinunter zur Bergstation und dann zu MeteoSchweiz.
Studer: Parallel zum Bau der neuen Wetterradaranlage wurde während zwei Jahren in den Sommermonaten über 4.5 km die neue Haupterschliessung gebaut. Das bestehende Stromkabel musste altershalber ersetzt werden.

Ist die Anlage bemannt?
Studer: Die Radarstation ist unbemannt und auf eine ununterbrochene Betriebsdauer von 365 Tagen im Jahr ausgelegt. Ein- oder zweimal im Jahr werden Unterhaltsarbeiten durchgeführt. Ansonsten steht das Gebäude leer und wird durch die Bergstation in der Nähe überwacht.

Demnach ist die Gebäudetechnik wohl auf die Anlagentechnik ausgelegt, nicht auf einen Nutzer.
Studer: Ja. Die Raumkonditionen sind je nach Ebene und Funktion unterschiedlich. Die Beheizung dient als Absicherung gegen zu tiefe Minustemperaturen. Dazu werden Elektroheizkörper mit je 2 kW Leistung eingesetzt. Die relative Raumfeuchte im Radom darf 80 % nicht überschreiten. Die Ansteuerung erfolgt über einen Raumthermostat im Innern des Radoms.

Welche anderen Aspekte waren bei Planung und Bau der Radaranlage wichtig?
Liechti: Vom Nutzen her hat die Radaranlage doch einen recht hohen Stellenwert – da soll natürlich möglichst alles perfekt funktionieren. Das Gebäude muss auch ästhetisch befriedigen, die Details müssen stimmen. Es muss sichergestellt sein, dass man nicht vom Eis getroffen wird, wenn man sich in der Nähe aufhält. Die Sicherheit ist ein wichtiger Aspekt. Und das alles hat bei der Ausführung schon die einen oder anderen Details bedingt. Wenn ich an die Fassade denke – da haben wir noch ziemlich nachgerüstet. Wahrscheinlich wird die Station jetzt in Zukunft auch noch tausendfach fotografiert werden.
Schmid: Die Gebäudeform erfordert sehr viel Präzision, damit die Fugen der Aussenhülle überall gleichmässig sind und die Kreuzpunkte einwandfrei passen. Da brauchte es vor Ort einige Versuche, bis alles stimmte. Es geht ja nicht nur um Ästhetik, auch die Witterungsbeständigkeit ist von sauberen und dichten Fugen abhängig.
Studer: Auf das ästhetische Erscheinungsbild der technischen Anlage wurde sehr grosser Wert gelegt. Die Anlage befindet sich in einer wunderschönen Landschaft oberhalb der Plaine Morte. So konnten wir nur etwas Schönes bauen.

TEC21, So., 2014.11.30



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TEC21 2014|48 Radarstation Plaine Morte – Bauen im Grenzbereich

11. Juli 2014Nina Egger
Claudia Carle
TEC21

«Oft mangelt es an Wissen»

Häufig schöpfen private Bauherrschaften die Möglichkeiten für mehr ­Energieeffizienz nicht aus. Architekten sollten daher verstärkt auf die Option der Energieberatung hinweisen, von der sie auch selbst proftieren.

Häufig schöpfen private Bauherrschaften die Möglichkeiten für mehr ­Energieeffizienz nicht aus. Architekten sollten daher verstärkt auf die Option der Energieberatung hinweisen, von der sie auch selbst proftieren.

TEC21: Frau Kulemann, die Geschäftsstelle Energie-Coaching der Stadt Zürich führt bis zu 200 Beratungen pro Jahr durch. Wer nimmt dieses Angebot vor allem in Anspruch?
Christine Kulemann: Primär sind das kleinere, private Eigentümerschaften, ab und zu auch Baugenossenschaften oder Verwaltungen. Es melden sich aber auch immer mehr Architekten an.

Aus welchen Motiven kommen die Hauseigentümer zu Ihnen?
Kulemann: Bei der Anmeldung wird als häufigster Grund «Umweltbewusstsein» angegeben (vgl. Grafik S. 23). Die meisten Leute, die zu uns in die Beratung kommen, interessieren sich für die Energieproblematik, wissen auf diesem Gebiet aber selbst zu wenig und suchen daher Hilfe. Der Fall, dass bei jemandem die Heizung ausgestiegen ist und er dann spontan zum Energie-Coaching kommt, ist eher selten. Letzteres hat aber den Vorteil, dass der Eigentümer dann wirklich etwas machen muss. In den anderen Fällen führt eine Beratung ja nicht unbedingt tatsächlich zu einer energetischen Sanierung.

Was sind aus Ihrer Erfahrung die wichtigsten Faktoren, die private Hausbesitzer davon abhalten, die vorgeschlagenen Massnahmen auch umzusetzen?
Kulemann: Ein wichtiger Faktor ist die Finanzierung (vgl. Grafik S. 23). Wenn zum Beispiel bei Stockwerk-Eigentümergemeinschaften der Erneuerungsfonds gefüllt ist, wird in der Regel saniert. Fehlt das Geld, wird das Vorhaben eher verschoben. Es wäre hilfreich und sinnvoll, wenn Rücklagen für Sanierungen obligatorisch wären und keine steuerlichen Nachteile bringen würden. Derzeit werden Rücklagen bei den Steuern als Vermögen angerechnet, sodass das Ansparen zu höheren Steuerzahlungen führt.

Wenn man sich die vom Energie-Coaching begleiteten Projekte anschaut, fällt auf, dass viele etappenweise durchgeführt wurden. Hat das auch in erster Linie finanzielle Gründe?
Kulemann: Ja, oft ist das finanziell gar nicht anders möglich. Zudem hat dieses Vorgehen steuerliche Vorteile, weil man so die Sanierungskosten in mehreren Jahren abziehen kann. Das ist ein grosser Anreiz und bringt in der Regel auch mehr ein als die Fördergelder. Für die meisten Gebäude ist eine Etappierung auch deshalb sinnvoll, weil selten alle Teile gleichzeitig erneuerungsbedürftig sind. Zum anderen kann man so in der Regel im bewohnten Zustand sanieren.

Andererseits wird die Sanierung dadurch insgesamt teurer und bereitet unter Umständen an den «Nahtstellen» der einzelnen Massnahmen Probleme.
Kulemann: Ja, daher muss man vorher das Gebäude als Ganzes betrachten und alle Massnahmen planen. Ersetzt man dann in einem ersten Schritt die Fenster, weiss man schon, dass sie in einer anderen Ebene liegen werden, wenn man in fünf Jahren noch die Fassade dämmt, und wird den Anschluss entsprechend planen. Das ist sehr wichtig.

TEC21: Argumentieren Sie auch über die Amortisationsdauer solcher Energiesparmassnahmen?
Kulemann: Eher nein, weil das nicht besonders attraktiv ist. Die Amortisationsdauer liegt zum Beispiel bei einer Aussenwand etwa zwischen 25 und 30 Jahren. Wir planen aber, nächstes Jahr die Betriebsoptimierung als weiteres Angebot einzuführen. Da würden wir zum Beispiel die Regelung der Heizung sowie den Strom- und Wasserverbrauch überprüfen und optimieren. Diese Massnahme könnte in zwei bis drei Jahren amortisiert sein, weil die Betriebskosteneinsparungen ohne grössere Sanierungsmassnahmen und entsprechende Investitionen erreicht werden.

Was sind neben den finanziellen Faktoren weitere Hemmnisse für die Durchführung von energetischen Sanierungen?
Kulemann: Oft liegt es an einem Mangel an Wissen bei den Bauherrschaften: wie man vorgehen könnte, was es zu beachten gibt und was es bringt. Beispielsweise wissen viele nicht, dass bei einem ungedämmten Dach bereits die Dämmung des unbeheizten Estrichbodens eine sinnvolle Massnahme ist und damit rund 10 bis 20 % Heizenergie eingespart werden können.

Das heisst, dass die Architekten den Bauherrschaften zu wenig klar machen, welche Möglichkeiten es zur Steigerung der Energieeffizienz gäbe?
Kulemann: Ziel ist nicht, dass Architekten energetische Beratungen vollständig selber übernehmen. Das Berufsbild des Architekten ist bereits sehr umfassend, und hinzu kommt, dass für den Entwurf andere Stärken als für die Umsetzung gefragt sind. Mit den energetischen Anforderungen ist in den letzten Jahren vielmehr das neue Berufsbild «Energieberater/in Gebäude» entstanden. Dieses gilt es zu etablieren. Dafür ist wichtig, dass Architektinnen und Architekten die Eigentümerschaft darauf hinweisen, dass es Möglichkeiten für mehr Energieeffizienz gibt, und sie bei Bedarf dazu motivieren, einen Energieberater beizuziehen, ähnlich wie eine Bauphysikerin oder einen Statiker. Die Eigentümer haben in der Regel grosses Vertrauen in ihre Architekten und gehen davon aus, dass er oder sie alles weiss und macht. Das wird kaum hinterfragt, und deshalb sollten die Architekten in der Ausbildung stärker lernen, dass Entwurf und Energieeffizienz Hand in Hand gehen können.

Ist das Vertrauen in den Architekten grösser als in den Energieberater?
Kulemann: Nein, aber viele Eigentümerinnen und Eigentümer wissen nicht, dass die energetische Beratung nicht zum klassischen Berufsbild des Architekten gehört und dass es hierfür extra Fachpersonen gibt.

Vermutlich profitieren auch die Architekten selbst von einem Energie-Coaching?
Kulemann: Ja, manche bekommen dabei gratis eine Weiterbildung.

Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass sich manche Architekten auch nicht von einem Energieberater hineinreden lassen wollen.
Kulemann: Das kommt sicher auch vor. Dann werden die Projekte vermutlich meist ohne Energieberatung umgesetzt. Wenn eine Architektin oder ein Architekt im Projekt dabei ist, ist es aus unserer Erfahrung für den Wissenstransfer von Vorteil, wenn der Energie-Coach einen technischen Hintergrund hat und sich etwa mit dem Thema Heizung gut auskennt. Dann wird die fachliche Unterstützung geschätzt.

Bei der Sanierung öffentlicher Gebäude muss in Zürich der Minergie-Standard erreicht werden, und man kann sich fragen, ob das in jedem Fall verhältnismässig ist. Welche Zielvorgaben haben Sie bei der Beratung privater Eigentümer?
Kulemann: Unser Ziel ist in erster Linie, die Gebäude auf Kurs 2000 Watt zu bringen, sprich sowohl den Energieverbrauch als auch die Treibhausgasemissionen zu senken. Dafür empfehlen wir eine gute Dämmung und vor allem die Umstellung auf erneuerbare Energien. Ziel ist nicht, auf Teufel komm raus jedes Gebäude mit 20 cm Dämmung und mehr einzupacken. Unsere Energie-Coachs versuchen, zusammen mit der Architektin oder dem Architekten eine Lösung zu finden, die sowohl energetisch als auch architektonisch gut ist.

Das Erreichen des Minergie-Standards ist kein Ziel in der Beratung?
Kulemann: Nicht mehr. Am Anfang war es so, das hat sich jedoch geändert, weil Minergie nicht bei allen Gebäuden realisierbar ist, z.B. aus Denkmalschutzgründen oder weil sich nicht in jedes Gebäude die vorgeschriebene Komfortlüftung wirtschaftlich einbauen lässt. Zudem stehen viele Eigentümerschaften einer Komfortlüftung kritisch gegenüber und sind häufig auch nicht bereit, die meist mit einer Minergie-Sanierung verbundenen Mehrkosten zu tragen.

TEC21, Fr., 2014.07.11



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TEC21 2014|28-29 Energetisch sanieren

16. Mai 2014Nina Egger
TEC21

Heiss, aber harmlos

Russ und Asche sind unerwünschte Nebenprodukte, wenn es darum geht, die Wärme- und Rauchausbreitung eines Brands nachzustellen.
Ein neues Verfahren simuliert Brände verunreinigungs- und zerstörungsfrei.

Russ und Asche sind unerwünschte Nebenprodukte, wenn es darum geht, die Wärme- und Rauchausbreitung eines Brands nachzustellen.
Ein neues Verfahren simuliert Brände verunreinigungs- und zerstörungsfrei.

Um die Gefahr durch einen Brand zu minimieren, wird der Entstehung und Ausbreitung eines Brands baulich vorgebeugt. Sollte es dennoch dazu kommen, dass es brennt, gibt es Massnahmen, die gewährleisten, dass sich alle Anwesenden ausreichend schnell in Sicherheit bringen können. Für die Zeit der Evakuierung muss eine raucharme Schicht vorhanden sein, in der sich die Personen fortbewegen können. Daher muss in einem Konzept die Rauch- und Wärmeausbreitung geplant werden.

Wenn ein Brandschutzkonzept objektspezifisch zu erstellen ist, wird es rechnerisch nachgewiesen und mit einer Computersimulation überprüft. Zur Verifizierung der numerischen Simulation bietet sich zusätzlich ein Versuch am gebauten Objekt an.

Dazu gibt es drei Arten von Rauchtests, die alle wertvolle Resultate, aber auch Probleme mit sich bringen. Mit dem Kaltrauchtest kann lediglich die Funktionalität der Rauchabzüge überprüft werden, es gibt keine Rauchschichtung. Warmrauchtests stellen zwar die Rauchschichtung dar, aber wegen der zu geringen Temperatur keine realistische. Die Wärmeverteilung entspricht nicht der eines realen Brands.

Beim Realbrandversuch werden bislang flüssige Kohlenwasserstoffe in Form von sogenannten «poolfires» verbrannt. Damit lassen sich zwar die Wärmeentwicklung nachbilden und Temperaturen im Versuchsraum untersuchen, aber es bleiben Rückstände der Verbrennung an den Wänden und der Decke zurück. Die Beseitigung der Verunreinigungen stellt einen zusätzlichen finanziellen Aufwand dar.

In einer Forschungsarbeit hat ein Team der Basler&Hofmann AG Zürich in Zusammenarbeit mit der University of Edinburgh einen neuen Realbrandversuch entwickelt, mit dem ein breites thermisches Spektrum und die Rauchausbreitung nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ untersucht werden können. Ziel war es, die Verschmutzung des Untersuchungsraums und eine mögliche Gefährdung der Anwesenden sowie die potenzielle Beschädigung von Bauteilen zu vermeiden.

Die mobile Anlage in der Grösse eines Tischs besteht aus einem Gasbrenner und der Nebelmaschine sowie im Raum verteilten Sensoren zur Temperaturaufzeichnung. Dem Propangas im Brenner wird gezielt und unter Druck so viel Sauerstoff zugeführt, dass die Verbrennung im stöchiometrischen Gleichgewicht passiert. Stöchiometrisch bedeutet, dass in der chemischen Reaktionsgleichung kein Rest bleibt. Alle Atome, aus denen sich die Moleküle des Ausgangszustands zusammensetzen, werden im Endzustand gebraucht.

Die Kardinalgleichung für die Verbrennung von Propangas lautet: C3H8+5O2->3CO2+4H2O. Für jedes Mol Propan müssen also 5 Mol O2 zugeführt werden, um eine vollständige Verbrennung zu gewährleisten. Bei Methan wäre das Verhältnis für die stöchiometrische Verbrennung 1 : 2. Abgesehen davon, dass die stöchiometrische Verbrennung sauber ist, wird dabei fast ausschliesslich (98 %) konvektive Wärme freigesetzt. Diese ist die für Rauch- und Wärmeabzugsanlagen relevante Wärmeform. Bei einem Naturbrand von 1.9 MW ist ca. ein Drittel der Wärme Strahlungswärme. Das heisst, im Realbrandversuch müssen 1.25 MW konvektive Wärme erzeugt werden, um den Naturbrand nachzustellen. Durch die geringe Strahlungswärme müssen die den Test durchführenden Personen seitlich der Flamme kaum Abstand halten.

Um den Rauch eines natürlichen Brands nachzustellen, wird oberhalb des Brandherds ein hitzebeständiges, niederschlagsfreies Nebelfluid zugeführt. Unter der Hitzeeinwirkung des Brenners verhält es sich genauso, wie Rauchgas es tun würde. Damit wird die Rauchschichtung, die es bei einem Naturbrand gäbe, sicht- und messbar.

Die Wärmefreisetzung wird stufenweise geregelt, wodurch die ganze Bandbreite eines Brands abgedeckt wird. Beliebige Brandverläufe werden auf diese Weise nachgebildet. Die Messung der Temperaturen und die Darstellung des Rauchs sind dadurch realitätsnäher, als dies bei konstanter Hitze der Fall wäre.

Der neu entwickelte Realbrandversuch weist die raucharme Schicht während der Evakuationsphase realistisch nach. Der Versuch kann in Gebäuden, Tiefgaragen und Tunnels durchgeführt werden. Er überprüft die Realitätsnähe von Simulationen, wenn diese aufgrund einer komplexen Gebäudegeometrie die Realität nicht exakt genug abbilden können.

TEC21, Fr., 2014.05.16



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TEC21 2014|20 Spiel mit dem Feuer

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