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18. November 2016Nina Egger
Johannes Herold
TEC21

«Eine archäologische Ausgrabung»

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

TEC21: Herr Dillenburger, was hat Sie dazu gebracht, mit 3-D-Druck zu arbeiten?

Benjamin Dillenburger: Angefangen hat es damit, dass wir Entwurfsinstrumente für Architekten entwickelt haben, mit denen Formen erzeugt werden können, für die es keine Möglichkeit zur Fabrikation gab. Das hat dazu geführt, dass wir uns viele Jahre lang erkundigt haben, welche Herstellungsmöglichkeiten es überhaupt gibt, um solche Formen zu bauen. Wir sind dann bei grossformatigem 3-D-Druck gelandet.

TEC21: Was kann 3-D-Druck, was anders unmöglich wäre?

Benjamin Dillenburger: Der 3-D-Drucker stellt einem geometrische Freiheiten zur Verfügung. Er ist in der Lage, Hohlräume, innere Strukturen von Bauteilen und auch Überschneidungen zu drucken und Geometrie generell in einer sehr hohen Auflösung zu materialisieren.

TEC21: Wird durch die innere Struktur Material gespart?

Benjamin Dillenburger: Unter anderem. Immer, wenn wir versuchen, Material zu optimieren, entstehen Formen, die eine grosse Herausforderung an die Fabrikation darstellen. Weil die Geometrie bei der Produktion keine Rolle spielt, ist es leichter, im 3-D-Druck viel Material zu sparen. Neben den geometrischen Freiheiten ermöglicht 3-D-Druck auch kleinste Serien von Bauteilen sowie Komplexität in der Geometrie ohne Extraaufwand in der Herstellung. Es gibt verschiedene 3-D-Druckverfahren, und für manche davon bedeutet das weder extra Maschinenzeitkosten noch extra Druckzeit. Es macht keinen Unterschied, ob man eine Box oder ein hochkomplexes Element druckt.

TEC21: Wie wirken sich die Möglichkeiten des 3-D-Druckers auf den Entwurfsprozess aus?

Benjamin Dillenburger: Im Zusammenspiel von computergestütztem Entwerfen und 3-D-Druck liegt das grösste Potenzial. Mittels Algorithmen kann der Computer automatisch Materialeinsparungen an Bauteilen vornehmen. Wir entwickeln auch eigene Programme, die für spezifische Bauaufgaben optimierte Bauteile herstellen und die zu druckenden Elemente möglichst platzsparend in einer Druckbox zusammenpacken können. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Maschinenlaufzeit. Je effizienter man die 3-D-Druck-Elemente arrangiert, desto kostengünstiger werden sie.

TEC21: Wie lang etwa dauert es vom Entwurfsbeginn bis zum Ende des Druckvorgangs?

Benjamin Dillenburger: Das hängt unter anderem stark vom Entwurfsprozess ab. Wir haben den Raum «Digital Grotesque» entworfen, der hochkomplexe Geometrien beinhaltet. Wir konnten uns viel Zeit lassen, um die Gestaltung der Oberfläche sehr sorgfältig zu komponieren. Der Herstellungsprozess selbst betrug für einen Raum mit einer Grundfläche von 16 m² und einer Höhe von 3.2 m eine Woche. Bestimmte 3-D-Drucker können zum Beispiel in etwa 48 Stunden Elemente drucken, die 4 × 2 × 1 m gross sind.

TEC21: Heisst das, der Entwurf bekommt dann im Verhältnis zur Produktion mehr Zeit?

Benjamin Dillenburger: Der Idealfall ist – und das gilt nicht nur für den 3-D-Druck, sondern für digitale Fabrikation im Allgemeinen –, dass im virtuellen Modell finale Entwurfsentscheidungen später getroffen werden können, weil die Herstellung weniger Zeit beansprucht und sehr schnell an eine veränderte Geometrie angepasst werden kann.

TEC21: Was folgt als Nächstes, wenn ein Druck fertig ist?

Benjamin Dillenburger: Beim Binder-Jet-Verfahren schwimmen die gedruckten Bauteile in einem losen Pulverbett, das die Teile während des Drucks automatisch stützt. Das hat Auswirkungen auf die geometrische Freiheit. Mit diesem Druckverfahren können Auskragungen und Hohlräume realisiert werden. Anschliessend wird der lose Sand entfernt, und man nimmt eine archäologische Ausgrabung des eigenen neuen Designs vor. Beim Sand-Binder-Jet-Druck ist das Resultat mit natürlichem Sandstein vergleichbar. Der nächste Schritt wäre eine Beschichtung, um die Oberfläche zu stabilisieren, und eventuell noch das Lackieren.

TEC21: Woran arbeiten Sie zurzeit?

Benjamin Dillenburger: So wie wir heute Farben mischen, ist es möglich, auf Materialebene verschiedenen Stoffe zu verbinden. Das bedeutet, wir stellen Materialien her, die einen Verlauf aufweisen, zum Beispiel von transparent zu lichtundurchlässig, von weich zu hart, fest zu elastisch, schwer zu leicht – das kann alles in einem Bauteil hergestellt werden. Es eröffnen sich in der Architektur gerade vollkommen neue Möglichkeiten. Das ultimative Ziel unserer Forschung ist, Elemente zu drucken, die auch strukturell als Bauteil funktionieren. Dabei untersuchen wir neue Pulver- und Bindermaterialien.

Momentan ist es sinnvoll, 3-D-Druck in einem sogenannten indirekten Druckverfahren einzusetzen, zum Beispiel für verlorene Schalungen. Dabei wird das gedruckte Element erst in Kombination mit anderen Werkstoffen zum eigentlichen Bauteil. Das hat verschiedene Vorteile: Die Kombination mit Gusstechniken bietet ein viel grösseres Spektrum an verfügbaren Materialien und vereint die Vorzüge beider Seiten – einmal die digitale Fertigung mit nie dagewesenen geometrischen Freiheiten und zum anderen die Materialvielfalt der Gussverfahren, bei denen verschiedene Metall- oder Betonsorten eingesetzt werden können.

TEC21: Wofür eignet sich 3-D-Druck definitiv nicht?

Benjamin Dillenburger: Ich würde behaupten, standardisierte, einfache Bauteile mit hohen Stückzahlen, für die es schon hocheffiziente industrielle Fertigungsmethoden gibt, müssen nicht mit einem Drucker produziert werden. Es wäre vielleicht auch noch zu früh, das Ziel zu haben, ein Haus in einem Stück zu drucken. Architektur ist und bleibt eine Assemblage von verschiedenen Systemen, Gewerken und Materialien, die zusammengefügt werden müssen. Da würde ein 3-D-Drucker, der alles auf einmal drucken kann, keinen Sinn ergeben. Mich interessiert eher die Frage, wie sich 3-D-Druck mit anderen Verfahren kombinieren lässt. Der Idealfall wäre meiner Meinung nach, dass Häuser nicht mehr auf Standardisierungen angewiesen sind, sondern zunehmend spezifisch und individuell gestaltet werden können. Das sind gewichtige Argumente dafür, dass digitale Fabrikation – und im radikalsten Fall 3-D-Druck – eingesetzt werden.

TEC21: Also alles, was kein Massenelement ist. Eine Rohrleitung wird ja milliardenfach produziert und sieht in jedem Haus gleich aus.

Benjamin Dillenburger: Aber die Verlegung der Rohrleitung und die Bauform wiederum können unterschiedlich sein. Der 3-D-Druck kann so etwas wie der Mediator sein bei der Standardisierung von Systemen, die alle eine eigene Logik haben. Ich glaube, der 3-D-Druck wird dann erfolgreich, wenn er in der Lage ist, verschiedene andere Systeme einzubetten.

TEC21: Über welche Grössenordnungen sprechen wir, wenn es um die Kosten geht?

Benjamin Dillenburger: Wir haben hier Verfahren, die im Vergleich zu Frästechniken gleichauf liegen. Dabei handelt es sich um eine noch junge Technologie. Die Maschinenpreise haben sich allein in den letzten zwei bis drei Jahren um den Faktor 10 verringert.

TEC21: Wenn also der 3-D-Drucker nicht mehr so teuer ist, wie steht es mit dem Material?

Benjamin Dillenburger: Das Material ist tatsächlich ein Kostenfaktor, aber auch die Energie, die aufgewendet werden muss, um es zu verarbeiten. Diese wiederum hängt von der Verbindungsmethode ab – ob es sich um die Binder-Jet-Methode handelt oder ob das Material mit Laser oder durch ein Schweisssystem verbunden wird. Das führt logischerweise zu verschiedenen Energiebilanzen.

TEC21: Wie marktreif ist der 3-D-Druck?

Benjamin Dillenburger: Das hängt vom Verfahren ab. Es gibt für den Beton- und Sanddruck bereits Maschinen, die auf dem Markt verfügbar sind. Jetzt geht es eigentlich darum, architektonische Anwendungen für die 3-D-Druck-Technologien zu finden. Eine Schwierigkeit kann dabei sein, dass durch die Möglichkeiten des 3-D-Drucks das, was früher in verschiedenen Gewerken hergestellt wurde, jetzt zusammengefügt werden kann und in dem Fall vielleicht andere Marktstrukturen entstehen. Nach einem regelrechten Hype befinden wir uns momentan in der Phase der Ernüchterung. Jetzt muss sich zeigen, welche Entwicklungen Zukunftspotenzial haben und welche nicht. Danach wird es in der Konsolidierungsphase einen erneuten Innovationsschub geben.

TEC21: Aber kann es nicht sein, dass die Nachfrage noch nicht vorhanden ist, auch wenn die Technologie marktreif ist?

Benjamin Dillenburger: Neue Technologien haben es naturgemäss schwer in der Architektur oder der Bauwirtschaft. Das ist auch gar kein Vorwurf an die Bauindustrie. Natürlich brauchen alle neuen Entwicklungen eine gewisse Zeit, bis sie getestet sind, die Normen erfüllen und ihre Langzeittauglichkeit erwiesen haben. Wir reden ja von Gebäuden, die eine viel längere Lebensdauer haben als zum Beispiel ein Telefon. Deswegen ist es ganz normal, dass neue Technologien länger brauchen, um sich im Bauwesen durchsetzen zu können.

TEC21: Müsste sich der Entwurf ändern, um sich dem 3-D-Druck anzupassen?

Benjamin Dillenburger: Um die Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können, vielleicht ja. Es wird immer wichtiger, möglichst viel im Gebäude vorplanen zu können. Die BIM-Modellierung hat den Anspruch, Fabrikationsprozesse abzubilden – mehr als dies heute der Fall ist. So können die Produktionsdaten schon aus dem BIM-Modell errechnet werden und im Umkehrschluss auch Produktionsbedingungen in die Modelliersoftware integriert werden, um den Entwurfsprozess effizienter zu gestalten und Fehlerquellen zu reduzieren.

TEC21: Was könnte ein Ansporn sein, 3-D-Druck einzusetzen?

Benjamin Dillenburger: Immer wenn der Wunsch besteht, nicht mit standardisierten Bauteilen zu arbeiten, sondern spezifische Lösungen anzubieten, die nicht der Norm entsprechen. Dann führt heutzutage kaum ein Weg mehr an digitaler Fabrikation vorbei. Und 3-D-Druck vereint die Vorteile, die das digitale Bearbeiten mit sich bringt, in radikalster Weise: keine Extrakosten für massgefertigte Elemente, reduzierte manuelle Arbeit, die präzise Übertragung des virtuellen Modells in ein physisches Bauteil, vollkommene Kontrolle in der Herstellung sowie die Skalierbarkeit des Produktionsprozesses.

TEC21: Wir haben in Ihrem Labor transparente Schalungen für Säulen mit Wabenstruktur gesehen. Sie wirken so, als würde sich das Endresultat plastisch oder elastisch verformen lassen.

Benjamin Dillenburger: Die Eigenschaften eines Bauteils können auch über die Geometrie gesteuert werden. Wir sprechen in diesem Fall von 4-D-Druck (vgl. «Die DNA der digitalen Fertigung»). Es gibt Versuche, innere Strukturen so zu drucken, dass sie an manchen Stellen eine elastische Verformung zulassen, während sie an anderen Stellen steif bleiben. Weiter ist es möglich, strom- oder wasserführende sowie transparente Materialien zu drucken und diese in ein komplexes Bauteil zu integrieren. Es geht uns also nicht nur darum, Baustoffe zu optimieren, sondern darum, ganz neue Elemente herzustellen.

TEC21: Ist es vorstellbar, dass ein 3-D-gedrucktes Bauteil auch auf Zug beansprucht wird?

Benjamin Dillenburger: Die meisten 3-D-Druckverfahren sind schichtbasiert. Nun geht es darum, die Verbindung zwischen den Schichten zu optimieren. Im kleinen Massstab gibt es schon Drucker, die dazu in der Lage sind. Wir haben einen Laser-Sinter-Drucker, der mechanisch beanspruchte Teile mit einer festen Verbindung zwischen den Ebenen herstellen kann.

TEC21: Welche Projekte planen Sie als nächste?

Benjamin Dillenburger: Wir arbeiten an mehreren Projekten. Für die Empa planen wir ein grosses Testgebäude, für das wir eine Deckenkonstruktion mithilfe von 3-D-Druck herstellen möchten. Weiter versuchen wir, in unserer Forschung neue Materialien zu erschliessen und verschiedene Druckverfahren auf Skalierbarkeit hin zu testen, damit diese auch in grossem Massstab eingesetzt werden können. Parallel dazu versuchen wir den Architekten neue Entwurfswerkzeuge an die Hand zu geben, damit sie die Möglichkeiten des 3-D-Drucks voll ausschöpfen können.

TEC21: In wie vielen Jahren rechnen Sie damit, dass 3-D-Druck tatsächlich von Architekten als selbstverständliches Werkzeug eingesetzt wird?

Benjamin Dillenburger: Wenn man sich anschaut, wie lang es gedauert hat, bis CNC-Fräsen in der Fertigung von Elementen alltäglich geworden sind, kann das schon – unter anderem wegen der Normung und Prüfung der Materialien – noch Jahre dauern. Fünf Jahre vielleicht? Unser nationaler Forschungsschwerpunkt «Digitale Fabrikation» ist auf zwölf Jahre angelegt. Wir überlegen uns oft: Wie sieht das Bauen in zwölf Jahren aus? Wenn wir um den gleichen Zeitraum zurückschauen und sehen, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat, dann stimmt das optimistisch für die Zukunft. Es gibt noch unglaublich grosses Potenzial an Erneuerungen in der Art und Weise, wie wir bauen. Wie gesagt, das ist kein Vorwurf an die Bauindustrie. Bauen ist einfach ein sehr komplexer Prozess. Aber je leistungsfähiger unsere Informationstechnologie wird, sei es in der Planung oder in der Fabrikation, desto schneller werden wir neue Kräfte freisetzen können.

TEC21, Fr., 2016.11.18



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18. November 2016Johannes Herold
TEC21

Die DNA der digitalen Fertigung

Bit, Byte, Nano und Bot sind die Bausteine der Fertigung in der Zukunft. Der 3-D-Druck ist nur der Anfang einer Entwicklung, die schneller und tiefer greifend sein wird als alles bisher Dagewesene.

Bit, Byte, Nano und Bot sind die Bausteine der Fertigung in der Zukunft. Der 3-D-Druck ist nur der Anfang einer Entwicklung, die schneller und tiefer greifend sein wird als alles bisher Dagewesene.

Hype oder Revolution? 3-D-Druck ist beides. Dennoch vermittelt diese Technologie eine Vorstellung davon, was wir von der Zukunft der Produktionstechnik zu erwarten haben. Eine kurze, nicht repräsentative Zusammenschau von Publikationen zum Thema zeigt, dass der 3-D-Druck einen beachtlichen Stellenwert einnehmen wird. So vermutet Pete Basiliere (Gartner IT Research)[1], dass innerhalb der nächsten Dekade 3-D-Drucker weit verbreitet und akzeptiert sein werden. Bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre werden sie von den Konsumenten bereitwillig genutzt. Was zum Durchbruch noch fehlt, ist die «Killer-Anwendung», die für die private Verwendung sinnvoll wäre. Vielleicht sind es perfekt angepasste Brillen oder Schuhe? Oder andere individuelle Dinge des täglichen Bedarfs?

Noch sind 3-D-Drucker langsam, die Oberflächen grob, gute Geräte teuer und somit für eine grössere Verbreitung wenig geeignet. Wohl aber ist der Einsatz von High-End-Geräten[2] im medizinischen Bereich, zur Produktion von Bauteilen für die Flugzeugindustrie oder bei der Herstellung von Prototypen bereits heute wirtschaftlich sinnvoll. Im Architekturbüro erleichtern gedruckte Modelle den Variantenvergleich; komplexe digitale Entwürfe sind überhaupt nur mittels dieser Drucktechnologie mit vertretbarem Aufwand herzustellen.

Reparatur statt Wegwerfkultur

Viele Publikationen sehen eine wahre Flut von Anwendungen auf uns zukommen: Wir produzieren zum Beispiel Ersatzteile selbst, um Geräte länger nutzen zu können, besonders, wenn diese nicht mehr hergestellt werden. Dafür stellen Unternehmen druckfertige 3-D-Daten zur Verfügung. Wir mutieren von Verbrauchern zu Machern. Bereits heute stehen 3-D-Printshops oder sogenannte FabLabs (gut ausgestattete Werkstätten für die digitale Produktion) zur Verfügung. Hier können Modelle mit unterschiedlichen Materialien und Technologien hergestellt werden.

3-D-Drucker werden möglicherweise in Bibliotheken genutzt oder in Gemeinschaftsräumen grösserer Liegenschaften aufgestellt werden. Dieser Wandel der Technologie wirft auch rechtliche Fragen auf, wie zum Beispiel: Wem gehören die Rechte an den Daten? Wer haftet für den Fall eines Unglücks, das sich aufgrund eines fehlerhaft produzierten Ersatzteils ereignet? Auch der Zugang zu Daten, um Waffen herzustellen, ist möglich – und problematisch.

Multiplikator Internet

Die Verbindung offener Standards mit dem Internet als Plattform für den Austausch birgt ein immenses Potenzial. Dies bedeutet keine Addition, sondern stellt einen dramatischen Multiplikator dar. Ideen können gemeinsam weiter entwickelt werden, individuelle Produkte sind möglich, die wiederum über das Internet vertrieben werden können. Die Produktionsmittel sind kein kostspieliges Unterfangen mehr und die Vertriebskanäle für alle zugänglich. Dies führte schon in der Musikindustrie oder im Verlagswesen zu tief greifenden Umbrüchen. Weitere Beispiele sind Amazon, Uber oder Airbnb. Die nächste industrielle Revolution ist unterwegs, doch im Unterscheid zu früheren Entwicklungen ist nicht eine einzige Technologie die Ursache dafür, sondern das Zusammenspiel vom Internet der Dinge, von Robotik, 3-D-Druck, Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz.

Betrachten wir einmal das Zusammenspiel von Computer, Kommunikation und Sensoren in sogenannten MEMS (Micro-Electro-Mechanical Systems). Im iPhone beispielsweise ist ein Sensor für die Beschleunigung eingebaut. Blutdruckmessgeräte oder Insulinspritzen, die am Körper getragen werden, reagieren auf die ermittelten Werte. Der nächste grosse Schritt geht in Richtung Verkleinerung, hin zu NEMS (Nano-Electro-Mechanical Systems), also Schaltern oder Robotern in Nanogrösse, zum Beispiel zur Behandlung von Krebs durch Injektion von Medikamenten direkt in die betroffenen Zellen. Weiter ermöglichen viele (neue) Materialien bisher nicht gekannte Produktionsweisen auf der Basis digitaler Modelle (vgl. «Eine archäologische Ausgrabung») Diese Werkstoffe werden in Zukunft nicht mehr in verschiedenen Geräten eingesetzt, sondern sind in einem Drucker vereint, der mit unterschiedlichen Druckverfahren umgehen kann.

Als Weiterentwicklung werden Werkstoffe auf Nanoebene so programmiert, dass sie ihre Form nach dem Ausdrucken ändern können, z. B. Möbel, die sich selbst zusammenbauen, oder Würfel, die sich selbst zusammensetzen. Bereits gedrucktes Material kann also durch Hinzufügen eines Stimulus wie Wasser oder Wärme selbstständig in eine vorher definierte neue Form oder Struktur entfaltet werden oder sich an gegebene Bedingungen anpassen. Da hier der Faktor Zeit miteinbezogen wird, wird dieses Verfahren als 4-D-Druck bezeichnet. Mit diesem neuen Verfahren wird es zum Beispiel möglich, Wasserrohre zu produzieren, die sich aufweiten oder zusammenziehen und dadurch eine Pumpbewegung erzeugen.

In seinem TED-Talk[3] erläutert Skylar Tibbits, Leiter des «Self-Assembly Lab» am MIT, die Entstehung von «4D Printing»: «Die Idee hinter 4-D-Druck ist, dass man vom dreidimensionalen Drucken verschiedener Materialien ausgeht – man kann also mehrere Werkstoffe verwenden – und eine neue Fähigkeit dazu nimmt, die Transformation, sodass sich die Teile direkt und selbstständig von einer Form zur anderen verändern. In unserem Labor versuchen wir, programmierbare Materialien für Bauumgebungen zu entwickeln. Wir glauben, dass es für wenige Schlüsselbereiche kurzfristig Anwendungen gibt. Aber vorstellbar wäre der Einsatz bei extremen Umgebungsbedingungen: Hier ist es schwierig, etwas zu bauen; unsere gegenwärtigen Bautechniken funktionieren nicht, es ist zu gross, zu gefährlich, zu teuer oder es gibt zu viele Einzelteile. Der Weltraum ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. Wir versuchen, neue Szenarien für den Weltraum zu entwickeln, die komplett neu konfigurierbare und selbstformende Strukturen aufweisen und die sich von einem hochfunktionalen System zum nächsten verwandeln.»

Drucker drucken Drucker

Werfen wir einen kurzen Blick auf zukünftige Technologien: In Computern könnten sogenannte Graphene Silizium als Ausgangsmaterial für Transistoren ablösen. Dies würde Taktraten von bis zu 1000 GHz ermöglichen (heute 3 GHz[4] bei einem PC). Mit 5G werden Daten 1000-mal schneller als mit dem heutigen Standard 4G übertragen, Li-Fi plus Glasfaser erlaubt die ultraschnelle Signalübermittlung mittels Licht. 3-D-Drucker schliesslich produzieren Kleidungsstücke, Carbonfasern oder Graphene. Damit wird es auch möglich, dass sich Maschinen – ähnlich wie die Natur – selbst replizieren. Die Bausteine dafür und die Technologie dazu sind bereits vorhanden.

In ihrem Buch «iDisrupted» beschreiben John Straw und Michael Baxter fünf Einflussfaktoren für den Durchbruch des 3-D-Drucks: eine ausreichende Nachfrage, einen offenen Standard, neue Materialien, die Fähigkeit von Druckern, Drucker herzustellen, und die Tatsache, dass 3-D-Drucker ein einzigartiges Werkzeug für Erfinder sind.[1] Angenommen, die Nachfrage nimmt zu, können wir feststellen, dass mit REPRAP ein offener Standard im 3-D-Druck vorliegt. Dieser ermöglicht die Beteiligung vieler an Innovationen. Damit werden die Karten neu gemischt: Zu der reinen Technologie kommt nun das Potenzial des Internets hinzu. Über den Austausch entwickelt die Online-Gemeinschaft ein immenses Potenzial, dessen «Ergebnis nicht prognostizierbar ist, doch vorhersehbar innovativ sein wird».[1] Daraus können folgende drei Thesen abgeleitet werden:

– Ideen basieren auf anderen Ideen, der Schlüssel zur Innovation liegt in der Kooperation (Natur, Evolution, menschliche Zellen).
– Das Internet ist ein Multiplikator für Ideen (Brainstorming, wisdom of crowds) und Ressourcen (Crowdfunding, Wikipedia).
– Wenn Technologien zusammenfliessen, kann dies zu einer erheblichen Beschleunigung von Innovationen und massenhaften Anwendungen führen, die vorher nicht möglich oder denkbar erschienen. So entwickelte sich Apple innerhalb von zehn Jahren von einer beinahe bankrotten Firma zum heute wertvollsten börsennotierten Unternehmen.

Von 3-D zu 4.0

Welche Bedeutung wird dem 3-D-Druck zukommen? Das parametrische Entwerfen führt zu Formen, von denen ein physisches Modell mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr herstellbar ist. Anhand dieser Modelle werden die Varianten eines Entwurfs diskutiert oder die Suche nach Lösungen mit den Projektpartnern besprochen. In etwas grösserem Massstab ist die Fertigung von Einzelstücken vorstellbar, die nach individuellen Wünschen und Erfordernissen hergestellt werden, ohne dabei den Kostenrahmen zu sprengen. Der nächste Dimensionssprung betrifft die Produktion von Baugruppen, Modulen oder ganzen Häusern. Wie diese digitale Fabrikation in der Architektur aussehen könnte, wird u. a. an der ETH Zürich erforscht. Der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) Digitale Fabrikation rückt die Digitale Vor-Ort-Fabrikation und massgeschneiderte digitale Vorfabrikation in den Mittelpunkt.

Um die Ziele des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts zu erreichen, arbeiten Forschende verschiedener Disziplinen zusammen. Sie stammen aus den Bereichen Architektur, Tragwerksentwurf, Materialwissenschaft, Informatik, Regelungstechnik und Robotik. Ein viel grösserer Einfluss auf das Bauen als 3-D-Druck wird in den kommenden fünf Jahren der massiv zunehmenden Verwendung von Robotern in der Produktion zuzuschreiben sein. Hier stehen wir vor einer neuen Dimension im Bauprozess. Die Schweiz ist, zumindest im europäischen Vergleich, hinsichtlich der Faktoren Technologie, Bildung, Forschung, Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit gut aufgestellt.

Das Arbeiten in einer digitalen Welt bringt eine Reihe von Veränderungen mit sich, angefangen vom lebenslangen Lernen über neue Abläufe bis hin zu wachsenden Anforderungen im Bezug auf Kompetenzen und Fähigkeiten. Die Frage ist nicht: «Sind wir dazu bereit?», sondern: «Wie gehen wir damit um?»


Anmerkungen:
[01] J. Straw and M. Baxter, iDisrupted, New Generation Publishing, 2014.
[02] Knochen, Gelenke, Gewebe, Zähne oder Organe; Einspritzdüsen für Flugzeugtriebwerke.
[03] www.ted.com/talks/skylar_tibbits_the_emergence_of_4d_printing?language=de, Februar 2013.
[04] Um die Leistung einordnen zu können: Ein normaler PC mit einem Pentium-4-Prozessor bei einer Taktfrequenz von drei Gigahertz kann nach Angaben von IBM etwa sechs GigaFLOPS (109 FLOPS) erreichen. Heutige Supercomputer erreichen eine Rechenleistung von 93 PetaFLOPS (1015 FLOPS).
[05] Roland Berger Industrie 4.0 Readiness Index, in «The role of Switzerland within a European manufacturing revolution», März 2015.

TEC21, Fr., 2016.11.18



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TEC21 2016|47 Drucken in der dritten Dimension

22. April 2016Johannes Herold
TEC21

Kulturschmiede

Die Alte Schmiede Baden hat eine neue Nutzung erhalten, und Ladner Meier Architekten haben ihr einen Neubau hinzugefügt. Die Kultur erobert das das ehemalige Industrieareal und füllt es mit neuem Leben.

Die Alte Schmiede Baden hat eine neue Nutzung erhalten, und Ladner Meier Architekten haben ihr einen Neubau hinzugefügt. Die Kultur erobert das das ehemalige Industrieareal und füllt es mit neuem Leben.

Die ehemaligen Fabrikationsgebäude der ABB in Baden bieten ideale Voraussetzungen, um neue kulturelle Angebote zu etablieren und Bildungszentren anzusiedeln. So ist die Be­bauung im Quartier zwischen dem nahe gelegenen Bahnhof und dem Areal im Norden der Stadt geprägt von unterschiedlichsten Neunutzungen, die zeigen, wie bestehende Gebäude und Freiflächen umgestaltet werden können. Das Zentrum Trafo mit dem gleichnamigen Platz, das Engineering-Gebäude Quadro oder die Aktionshalle Nordportal stehen stellvertretend für viele weitere Beispiele. Zusammen mit den neu errichteten Wohnüberbauungen wandelt sich das Quartier zusehends in einen lebendigen Stadtteil. Besonders am Schmiedeplatz sind zahlreiche Einrichtungen der BerufsBildungBaden (BBB) angesiedelt. So war es naheliegend, das Jugendkulturlokal Merkker, für das neue Räume gefunden werden mussten, in der Alten Schmiede unterzubringen.

Die Schmiedehalle ist von der Bruggerstrasse zurückgesetzt am Nordrand des Fabrikareals gelegen. Bautechnisch ist sie ein mit Sichtbackstein in Läuferschichten ausgefachter, 8 × 10-feldriger Stahlfachwerkbau unter einem ziegelgedeckten Satteldach. Der offene Dachstuhl ist gänzlich aus Stahl gebaut und verfügt über eine für die ursprüngliche Nutzung als Schmiede typische hohe Firstlaterne (vgl. «Tragwerk auf Mass», S. 29).

Als bedeutendes industriegeschichtliches Zeug­nis wurde die Haupthalle im Jahr 2011 unter kantonalen Denkmalschutz gestellt. Somit durften die Trag­kon­struktion und die historische Gebäudehülle der ­Haupthalle nicht verändert werden. Aufgrund ihrer vormaligen Nutzung war die Schmiede stark mit Schadstoffen belastet.

Über einen Projektwettbewerb suchte die Stadt Baden geeignete und kostengünstige Vorschläge für multifunktionale, kombinierbare Räume zum Betrieb eines Jugendkulturlokals mit Gastronomie, einer Veranstaltungshalle mit Aussenraum sowie für Bandübungsräume und Ateliers. Das Angebot sollte Jugendlichen und jungen Erwachsenen Freiräume für ihre Kreativität und Freizeitgestaltung bieten.

Mit einer Raumorganisation, die grösstmögliche Nutzungsflexibilität erlaubte, gewannen Ladner Meier Architekten im Jahr 2012 den Wettbewerb. Der dazu eingesetzte Stahlbau unterstreicht die ursprüngliche industrielle Nutzung des Standorts.

Die Instandsetzung umfasste Massnahmen wie eine intensive Staubreinigung der Tragkonstruktion und das Ausgraben und Entsorgen des belasteten Boden­belags sowie der Verschmutzungen im Untergrund.

Für die Dacheindeckung kamen erstmals In­dustrieziegel zum Einsatz. Mit dem Ziel, den Originalzustand so weit wie möglich zu erhalten, wurden diese abgetragen, gereinigt und wieder eingebaut. Gleiches gilt für die vorhandenen Leuchten, in deren Gehäuse LED-Leuchtmittel verwendet wurden.

Raumkombinationen

Da die Halle auch nach dem Umbau nur unbeheizt und temporär genutzt wird, wurde eine neue Tragkonstruktion aus Stahl nach dem Haus-im-Haus-Prinzip eingestellt. Damit der Raumeindruck der Werkhalle erhalten bleibt, wurde das neue Volumen möglichst knapp gehalten und im hinteren Teil der Halle angeordnet. Die Einbauten sind wärmegedämmt und verkleidet mit Faserzementplatten, die den Ausdruck des früheren Durisol-Systems formal übernehmen. Sie beherbergen den Veranstaltungssaal, den Technik- und Backstagebereich sowie eine Bar. Grosse Indus­­trieschiebetore öffnen den neuen Veranstaltungsraum zur Halle hin. Die direkte Anbindung der Halle durch die Bar und das Foyer ermöglicht Nutzungen über ­mehrere Räume hinweg.

Zum Schutz des Bestands wurden die Stützen mit einem Abstand von etwa 1.5 m zur bestehenden Fassade angeordnet. Das Stützensystem nimmt einen Stahlrost auf, der den gesamten Veranstaltungsraum überspannt. Um die Einbauten unter dem Niveau des horizontal verlaufenden Zugbands der Dachkonstruktion zu halten, kam eine Mischbauweise mit Flachdeckenträger ge­ringer Konstruktionshöhe zum Einsatz. Dieses basiert auf Stahlträgern, deren überbreiter Untergurt als Auflager vorgefertigter Stahlbetondecken­elemente dient. Die Deckenplatten wurden mit eingelegten Akustikeinlagen angeliefert und erfüllen so neben der tragenden auch eine bauphysikalische Funktion. In Verbindung mit einer Ortbetonschicht bilden diese Elemente einen tragfähigen Stahl-Beton-Verbund. Die Decke über dem Erdgeschoss bildet eine Art Tisch aus, über dem das Obergeschoss weitgehend frei gestaltet werden kann. Die Stabilität des Baukörpers wird durch Aussteifungsverbände gewährleistet.

Der flache Anbau auf der Längsseite, die der Strasse zugewandt ist, stand nicht unter Denkmalschutz und konnte abgerissen werden. An seiner Stelle markiert ein vertikales Volumen die neue Nutzung. Übungsräume, Foyer, Bar, Beiz und Atelier sind hier untergebracht.

In den Obergeschossen stehen vielseitig nutzbare, flexibel unterteilbare Kulturräume zur Verfügung. Die Proberäume sind durch eine aussen liegende Treppenanlage sowie einen Lift separat erschlossen. Der frei gewordene Bereich vor der Halle dient gleichzeitig als Vorplatz und Zugang.

Raffinierte und sorgfältige Details

Wie sich im Lauf der Bauarbeiten zeigte, waren hier umfangreiche Massnahmen zur Entsorgung der Alt­lasten erforderlich, die weit hinab ins Erdreich führten. Um die dafür ohnehin erforderliche Grube zu­sätzlich zu nutzen, wurden unter der Bodenplatte des Vorplatzes weitere Räume eingebaut. Die Hallenlängswand des ­Erdgeschosses erhielt neue Öffnungen als Fluchtwege. Somit ist die Halle auch für eine grosse Personenbelegung nutzbar.

Der dunkel gehaltene Anbau bildet das vertikale Gegenstück zum horizontalen Bestand. Als Referenz an den Industriebau prägen Elemente aus Gusseisen das Bild der Fassade. Sie sind in tragende Stahlrahmen eingehängt. Die Tragstruktur ist in gleicher Weise wie in der Halle mit Flachdeckenträger und vorgefertigten Betonelementen ausgebildet. Ein Kern aus Stahlbeton nimmt den Fahrstuhl auf und steift die Stahlkonstruktion aus. Wie auch in der Halle stellen der Anstrich und die ausreichend dimensionierte Stahlkonstruktion den Brandschutz sicher.

Der Anbau steht selbstbewusst für eine Neu­interpretation des industriellen Bauens. Der nach dem Abriss des flachen Anbaus frei gewordene Vorplatz betont die Komposition von Bestand und Neubau: Die Gestaltung der Aussenraums mit betonierten Bänken ist augenfällig, in der Halle selbst sind die Veränderungen erst auf den zweiten Blick erkennbar. Raffiniert verzahnen sich Alt und Neu im Innern.

Die Alte Schmiede ist eine Entdeckungsreise wert – auch für weniger junge Menschen. Insbesondere der Umgang mit dem Bestand sowie die sorgfältig geplanten Eingriffe und Details verdienen Beachtung, und das filigrane Fachwerk aus Stahl ist ein wertvoller Zeuge einer frühen Industrialisierung. Der Stahlbau ist ausführlich im aktuellen steeldoc 01/16 beschrieben. Das Resultat ist Ergebnis des Engagements der Beteiligten weit über das übliche Mass hinaus.

TEC21, Fr., 2016.04.22



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TEC21 2016|17 Arithmetik des massvollen Eingriffs

19. Juli 2010Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
Steeldoc

Ein Spiegel der Natur

Der neue Firmensitz von Richemont schreibt sich in den umgebenden Garten ein, als sei das Gebäude Teil eines Ganzen. Farbe, Licht, Spiegelung, Transparenz und Schattenspiel – Natur und Raum sind zu einem facettenreichen Ensemble gefügt, das die Grenzen dazwischen verschwimmen lässt.

Der neue Firmensitz von Richemont schreibt sich in den umgebenden Garten ein, als sei das Gebäude Teil eines Ganzen. Farbe, Licht, Spiegelung, Transparenz und Schattenspiel – Natur und Raum sind zu einem facettenreichen Ensemble gefügt, das die Grenzen dazwischen verschwimmen lässt.

Tatami ist das japanische Einheitsmass, das dem einer Schlafmatte entspricht. Aus dem Vielfachen dieses Moduls ist das japanische Haus zusammengesetzt. Es spiegelt damit die Natur – denn auch die Natur ist eingeschrieben in die Gesetze des Kosmos: das Kleine ist das Grosse. Ob der Architekt Jean Nouvel diesem Prinzip zu entsprechen versuchte, ist Spekulation. Der Architekt gibt zu, vom Ort mit den Jahrhunderte alten Zedern und den leichtblättrigen Laubbäumen in den Bann gezogen worden zu sein: die Stille, das Zeitlose, das leicht abfallende grüne Terrain, im Blick der Genfersee und zwischen dem alten Baumbestand die historischen Holzhäuser, denen der Neubau Nachbar werden soll. Wie bauen, um diesem magischen Ort die Seele nicht zu rauben?

Der weltweit tätige Konzern Richemont investiert vor allem in Luxusgüter sowie in Gold- und Diamantenminen. Für seinen europäischem Standort im Nobelvorort Bellevue bei Genf erwarb das Unternehmen einen privaten Park mit insgesamt acht denkmalgeschützten Holzhäusern aus dem Jahr 1869. Diese Häuser sollten mit diversen Nutzungen ausgestattet werden, wobei für den eigentlichen Hauptsitz ein Neubau im Park vorgesehen war. Entstanden ist eine leichte, hochtransparente und vielschichtige Architektur, die sich ihrer Umgebung vollständig hingibt. Die Entmaterialisierung wird durch das Spiel von Reflektion, halbtransparenten und mit Pflanzen und Schattenmotiven bedruckten Gläsern, Durch- und Einblicken zelebriert. Es entsteht ein Gefl echt aus Raum, Ausblicken und Naturschauspiel. Die Räume werden je nach Funktion mit Gläsern unterschiedlicher Durchsichtigkeit und Beschaffenheit begrenzt.

Modulares Stahlgitter

Insgesamt wurden drei Neubauten aus Stahl realisiert – zwei kubische Volumen sowie ein langgestreckter, abgestufter Baukörper. Das Längsgebäude setzt sich aus zwei parallelen Raumschichten zusammen, die durch eine mittlere Schicht aus Licht- und Grünräumen verbunden sind. Dem abfallenden Terrain folgt die Geometrie der Bauvolumen durch die Abstufung einzelner Geschosshöhen, so dass sich drei Teilvolumen abzeichnen.

Das feingliedrige Stahlgitter folgt einem streng modularen Raster. Ein Betonkern für die Treppenanlagen steift das Stahlskelett aus, so dass keine Windverbände notwendig sind. Um den kleinstmöglichen Querschnitt der Stützen im Fassadenbereich zu erreichen, wurde ein Vollstahlprofi l gewählt. Damit haben die tragenden Vertikalstützen dieselbe Abmessung wie die Fassadenrahmen, nämlich acht Zentimeter. Die Stützen sind mit einer Thermobeschichtung behandelt und brandsicher dimensioniert.

Die Geschossdecken bestehen aus Walzprofilen mit breitem Flansch und einer Verbunddecke aus Holoribblech mit Betonüberguss von 16 Zentimetern. Der Deckenverbund zwischen Blech und Beton wird entweder durch runde Kopfbolzen oder durch Warzenblech geschaffen.

Die Dachstruktur über dem langgestreckten Innenhof des Hauptgebäudes ist aus geschweissten Rechteck-Hohlprofilen gefertigt, um die Verbindungen der Konstruktion möglichst unsichtbar zu halten. Während die Vollstahlstützen ohne Behandlung einen Feuerwiderstand von 30 Minuten aufweisen, mussten die Deckenträger mit einem dämmschichtbildenden Brandschutzanstrich versehen werden.

Brückenlabyrinth

In der Zwischenzone des Gebäudes verbindet ein Brückensystem die beiden Raumschichten auf zwei Ebenen. Die Passerellen sind aus Stahlblech gefertigt, das mit Längs- und Querrippen versteift ist. Je nach Nutzung sind die Passerellen zwischen 90 und 130 Zentimeter breit und haben bis zu 5,60 Meter Spannweite. Die Plattformen bestehen aus zwei übereinanderliegenden orthotropen Platten, die verschraubt sind. Die Geländer bestehen nur aus einer fugenlosen Glasscheibe. Sämtliche Brückenteile sind mit einer Brandschutzbeschichtung für 30 Minuten Widerstand geschützt.

Die beiden kubischen Neubauten, welche sich im nördlichen Teil des Parks befi nden, nehmen den Dialog mit dem Hauptgebäude auf und sind im selben Prinzip gebaut. Die bestehenden Holzhäuser dienten den Architekten als Anschauungsmaterial und Inspiration für die Materialwahl und Detailgestaltung. Im Untergrund verbinden eine Parkgarage und diverse Zugänge die Gebäude untereinander.

Steeldoc, Mo., 2010.07.19



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steeldoc 2010/02 Innovative Bürobauten

19. Juli 2010Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
Steeldoc

Klimaneutrale Arbeitsoase

Der neue Geschäftssitz des Pharmakonzerns Merck Serono ist ein Manifest für optimale Arbeitsbedingungen und nachhaltiges Bauen. Dank Spitzentechnologie und Konzepten für mehr Life-Balance wurden anregende Arbeitsplätze und Erholungsräume geschaffen, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen.

Der neue Geschäftssitz des Pharmakonzerns Merck Serono ist ein Manifest für optimale Arbeitsbedingungen und nachhaltiges Bauen. Dank Spitzentechnologie und Konzepten für mehr Life-Balance wurden anregende Arbeitsplätze und Erholungsräume geschaffen, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen.

Der Bauplatz ist komplex: Nahe am Gleisfeld des Genfer Stadtbahnhofs ist das historische Industrieareal seit den 50er Jahren zu einem blockartigen, städtischen Gebilde herangewachsen. Etliche Gebäude stehen unter Denkmalschutz und sollten in das neue Gesamtkonzept integriert werden. Das Pharma-Unternehmen Merck Serono übernahm das ehemalige Areal der Firma Sécheron SA und baute es zu einem «Campus» um, der alte und neue Bausubstanz in ein städtisches Gesamtwerk integriert. Zwischen den Bauten für Forschung und Verwaltung sind gedeckte und offene Gemeinschaftszonen angeordnet. Eine Hauptachse, die «Mainstreet», wird zum zentralen Element, das den Campus an den öffentlichen Raum anbindet.

Die amerikanischen Architekten Murphy/Jahn nutzten das Image des Konzerns in der Spitzenforschung, um innovative Technologie für ein nachhaltiges Klimakonzept einzusetzen. Tageslicht, natürliche Belüftung, passive Solarenergie und die Idee, dass ein Gebäude sich selbst reguliert, standen bei der Planung im Vordergrund, statt wie üblich «just design and style». Die natürlichen Ressourcen werden maximal genutzt, wobei sich die technischen Installationen sinnvoll ergänzen, sowohl beim Heizen, als auch bei beim Kühlen. Dies führt zu einem Hightech-Gebäude, das jedoch ein Minimum an Energie verbraucht.

Stadt in der Stadt

Der bestehende Gebäudekomplex wurde im Zuge einer Sanierung vollständig entkernt und mit dem Neubau ergänzt, der mit Ausnahme der letzten Etage und der Dachkonstruktion in Massivbauweise ausgeführt ist. Dominiert wird das Stadtgeviert von einem mäandernden Neubau, der sich in mehreren Stufen durch die Freiräume der Parzelle bewegt. Er überragt die bestehenden Gebäude um drei bis vier Geschosse und hüllt sich in eine mannigfach reflektierende gläserne Haut, so dass die Orientierung zum Hauptbau hin auf dem ganzen Areal gewährleistet ist.

In den Zwischenräumen liegen weit gespannte Passerellen sowie Treppen- und Liftanlagen in Stahl. Die Dachkonstruktion dient auch als Aufhängevorrichtung für die Stahl- und Metallfassaden des Gebäudes. Die durchlässige Hülle ist ein wichtiger Teil des Klimakonzeptes. Um die Fassaden noch transparenter erscheinen zu lassen, sind schräge Glaselemente aus extraweissem Glas mit einer Überlappung von einem Meter wie Schindeln übereinander geschichtet. Sie verbergen die Lüftungsöffnungen, die sich dezentral bedienen lassen und sichern damit die Zuluft. Der Sonnenschutz liegt aussen. In den Büros weisen die Decken eine Betonkernaktivierung auf, die Doppelböden integrieren die Installation der Gebäudetechnik und dienen überdies zur Quelllüftung. In Verbindung mit Wärmetauschern und Wärmepumpen sowie Kühlaggregaten wird das Seewasser zum Heizen und Kühlen genutzt.

Markantes Segel

Das Kernstück der Anlage bildet das Forum – ein 25 Meter hoher Glasbau in Form eines Viertelkreises, dessen fächerförmiges Dach sich hydraulisch öffnen lässt. Es handelt sich hier um das weltweit grösste zu öffnende Glasdach. Das 1000 Quadratmeter grosse Forumdach ebenso wie die 12 Meter hohen, acht Meter breiten, drehbaren Glastore und der aussenliegende Sonnenschutz sind wichtige Bestandteile des Klimakonzeptes des Gebäudes. Die maximale Öffnungshöhe des Daches beträgt 4,7 Meter. Die Primärstruktur des Daches liegt im Freien – das Isolierglas ist davon mit einem Abstand von 25 Zentimeter abgehängt. Die Hauptträger bilden eine Reihe radial angeordneter Hohlkastenträger, die bei geöffnetem Dach bis zu 26 Meter frei auskragen. Je nach Beanspruchung sind sie zwischen 140 und 50 Zentimeter hoch und haben unterschiedliche Blechdicken. Ein Randträger verbindet alle Hauptträger.

Ein Drehrohr mit einem Durchmesser von 35 Zentimeter, das an ein Hydrauliksystem angebunden ist, erlaubt das Öffnen und Schliessen des Daches. Damit ist die ganze Dachkonstruktion ausgesteift. Die Drehachse ist auf zehn Stahlrohrstützen aufgelagert.

Abhebesicherungen im Drehrohr verhindern ein Abheben der Drehachse im Falle eines Erdbebens. Das Gegengewicht des Daches ist ein ausgesteifter Hohlkastenträger, teilweise mit Beton gefüllt und wiegt 110 Tonnen. Der Ober- und Untergurt des Kastens wird aus Blechen gebildet, die mit T-Trägern versteift sind. Die Montage des Forumdachs erfolgte abschnittweise nur mit Hilfe eines Autokrans und Hubbühnen – ein Traggerüst war nicht erforderlich.

Lichte Freiräume

Die Haupttragelemente der Forumfassade bestehen aus einem Druckring, vorgespannten Seilen und etwa 25 Meter hohen Stahlstützen. Der Druckring ist gelenkig an den Deckenrändern angeschlossen, mit den Spiralseilen bildet er im Grundriss eine speichenradartige Struktur. Die Sekundärträger sind Holhlkastenquerschnitte, die gelenkig mit den Stahlstützen verbunden sind. Zwischen den Horizonalträgern sind vertikal Glasschwerter angeordnet, welche die Windlasten aufnehmen.

Beeindruckend sind die 12 Meter hohen Glastore, die an Stahlrohren als Drehachsen fixiert sind. Die horizontalen Windlasten der Türen übernehmen auskragende und gevoutete Stahlschwerter.

Der Stahl- und Metallbau bleibt grösstenteils sichtbar und zeichnet sich durch die sorgfältige Detaillierung aus. Stahl wirkt bei diesem innovativen Bürogebäude als Botschafter für Grosszügigkeit, Eleganz und Präzision. Die Konstruktion besticht durch ihre filigrane Erscheinung und reagiert mit Leichtigkeit auf die hohen technischen Anforderungen. Das Projekt wurde deshalb vom Stahlbau Zentrum Schweiz mit dem Prix Acier 2009 ausgezeichnet.

Gebaute Firmenphilosophie

Die Mainstreet als Hauptachse durch den Gebäudekomplex bietet eine Vielzahl an Galerien, Passerellen und Treppenanlagen zur Unterstützung der Kommunikation und der freien Zirkulation. Im Foyer empfängt den Besucher eine wandhohe Lichtinstallation namens «Layers of Life», die durch vorgelagerte Galerien mit transluzenten Böden unterstrichen wird. Diese Installation kombiniert und verdichtet die Elemente Wasser und Wachs mit einer Spiegelwand und Mulitmedia-Design. Symbolisiert wird damit die menschliche DNA. Blöcke aus natürlichem, gelben Bienenwachs sind, entsprechend der abstrahierten Form eines Gen-Codes, auf einer Gesamtfläche von rund 400 Quadratmetern angeordnet. Hinter dieser Wachswand bilden künstlicher Regen und eine Spiegelwand weitere Schichten, welche durch Unterbrüche in der Wachswand sichtbar und sinnlich erfahrbar werden.

Steeldoc, Mo., 2010.07.19



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04. Dezember 2009Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
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Lichter Baukasten

Zwischen den Bäumen eines Parks im Quartier de la Maladière von Neuenburg wirkt der Baukörper der neuen Schule fast wie eine Skulptur von Bernard Tschumi. Die tragende Gebäudehülle aus Stahl ist gleichzeitig eine erdbebensichere Struktur und ermöglicht grösste Gestaltungsfreiheit sowohl für die Fassade als auch im Innern.

Zwischen den Bäumen eines Parks im Quartier de la Maladière von Neuenburg wirkt der Baukörper der neuen Schule fast wie eine Skulptur von Bernard Tschumi. Die tragende Gebäudehülle aus Stahl ist gleichzeitig eine erdbebensichere Struktur und ermöglicht grösste Gestaltungsfreiheit sowohl für die Fassade als auch im Innern.

Das Quartier de la Maladière ist ein aufstrebendes Wohn- und Geschäftsviertel der Stadt Neuenburg. Die Lage des Schulhauses im Park eines ehemaligen Friedhofes ist exquisit. Das Volumen geht deshalb durch eine differenzierte kubische Komposition auf die Vorzüge der Umgebung ein. Einmal bietet es durch einen Rücksprung des Sockelgeschosses einen grosszügigen, gedeckten Vorplatz für den Eingangsbereich, während im Obergeschoss eine Terrasse mit Weitblick entsteht.

Das strenge Fassadenraster mit grosszügigen, quadratischen Öffnungen entspricht der tragenden Gebäudestruktur und bietet gleichzeitig den Rahmen für eine verspielte, farbige Flächengestaltung. Durch Stapelung der Räume über vier Geschosse bleibt viel von der Grundstücksfläche unverbaut. Dass diese Tragstruktur gleichzeitig auch beispielhaft punkto Erdbebensicherheit ist, zeichnete sich erst während des Planungsprozesses ab.

Erfrischend anders

Das klassische Raumprogramm für ein Schulgebäude wurde hier so spielerisch und abwechslungsreich wie möglich umgesetzt. Jedes Schulzimmer hat eine besondere Ausrichtung und Lichtatmosphäre. Untergeschoss und Erdgeschoss nehmen die Turn halle, den Kindergarten, den Mehrzwecksaal sowie die Wohnung des Abwarts auf. In den beiden Obergeschossen befinden sich die eigentlichen Räume der Primarschule. Die 12 Klassenzimmer sind, entsprechend der Ausformung des Baukörpers, in Längs- oder Querrichtung angeordnet – anders als dies typischerweise in Schulgebäuden anzutreffen ist. Je nach Lage werden sie von bis zu drei Fassaden umschlossen, durch deren quadratische Fenster viel Tageslicht in die Schulräume gelangt.

Das Fassadenbild wird durch das markante Raster der aussen bündigen Fenster gleicher Grösse sowie der sichtbaren Trennfugen zwischen den Fassadenpaneelen aus glasfaserverstärktem Kunststoff geprägt. Die Farbgestaltung der Paneele mit hellen Gelb- und Grüntönen variiert das Thema Rahmen.

Komplexes Raumgefüge

Im Prinzip ist die Tragstruktur ein Stahlskelett auf einer Betonwanne. Um die komplexe kubische Form des Volumens auszusteifen, wurden in jeder Fassadenebene Vierendeel-Rahmen aus massivem Stahlblech eingesetzt, welche über drei Geschosse reichen und zwei oder mehr Fensterachsen einfassen. Diese Rahmen mit steif verbundenen Ecken wirken wie Scheiben – damit sind diagonale Verbände sowohl in der Vertikalen wie auch in der Horizontalen überflüssig. Gleichzeitig nehmen diese Scheiben die Lasten der Auskragung auf. Dadurch kann auch das Innere vollkommen frei von aussteifenden Elementen gestaltet werden.

Die insgesamt fünf Fassadenscheiben bestehen aus biegesteif verbundenen Stahlblechteilen, die gelenkig auf die Betonwände des Untergeschosses gesetzt sind. Um eine hohe Qualität der Schweissnähte zu gewährleisten, wurden Teilstücke bereits in der Werkstatt vorgefertigt und auf der Baustelle zu ganzen Fassadenteilen zusammengeschraubt. Hilfskonstruktionen stützen die Rahmen bis zur endgültigen Aufrichtung. Danach erfolgt die Montage des übrigen Stahltragwerks aus Lochstegträgern und Profilstützen. Die in das Stahltragwerk eingebauten Verbunddecken bestehen aus Trapezblech mit Ortbeton.

Mit Stahl gegen Erdbeben

Die Erdbebensicherheit ist neben der freien Grundrisseinteilung ein weiterer Vorteil des gewählten Tragsystems. Ausschlaggebend dafür sind seine Leichtigkeit und die Fähigkeit, Schwingungen abzudämpfen. Dies kann durch die optimale Abstimmung der Steifigkeiten der tragenden Bauelemente erreicht werden. Die Stahlbauweise bietet aufgrund der günstigen physikalischen Eigenschaften, wie z.B. hohe plastische Verformbarkeit, generell entscheidende Vorteile gegenüber anderen Konstruktionen. Im vorliegenden Fall leiten die dreistöckigen Vierendeel-Rahmen die Schwingungen in beiden Richtungen über die Fassade ab. Die Verbindungen der Stahlrahmen selbst wurden steif ausgebildet, die Anschlüsse an die übrige Konstruktion halbsteif und die Auflagerpunkte der Stahlrahmen auf der Betonwand des Untergeschosses gelenkig. So ist die Tragstruktur zwar ausgesteift, aber insgesamt duktil.

Die Gebäudehülle ist hoch wärmegedämmt und erfüllt damit auch den Minergiestandard. Die weitgehend trockene Bauweise unter Verwendung von Profilen aus Recyclingstahl, die hohe Flexibilität in der Anordnung der Räume und die Möglichkeit, die Konstruktion am Ende des Lebenszyklus einfach zurückzubauen, sprechen für die Nachhaltigkeit dieses Gebäudes.

Steeldoc, Fr., 2009.12.04



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steeldoc 2009/03 Schule und Bildung

Haute Couture

In einem kleinen Waldstück mitten in der Stadt Genf steht diese federleichte Voliere, die sich in ihrer Struktur ganz den umstehenden Bäumen angleicht. Die aus Stahlrohr verschweissten Baumstützen folgen nur scheinbar einem natürlichen Wuchs – dahinter steckt ein raffiniertes Modell für die Optimierung des Tragsystems.

In einem kleinen Waldstück mitten in der Stadt Genf steht diese federleichte Voliere, die sich in ihrer Struktur ganz den umstehenden Bäumen angleicht. Die aus Stahlrohr verschweissten Baumstützen folgen nur scheinbar einem natürlichen Wuchs – dahinter steckt ein raffiniertes Modell für die Optimierung des Tragsystems.

Das kleine Waldstück «Bois de la Bâtie» liegt auf einem Hügel der Stadt Genf. 1874 als öffentlicher Park mit einem Teich und einer künstlich angelegten Insel eröffnet, wurden nun unter einem Dach zwei neue Vo lieren errichtet, um im Falle einer drohenden Vogelgrippe den über hundert Vögeln des Parks Schutz zu bieten. Auf verschlungenen Wegen nähern sich die Besucher dem leichten, netzumspannten Raum, der mit dem umgebenden Wald zu einer Einheit verschmolzen scheint. Dieser behutsame, fast unsichtbare Eingriff in die Natur, die Klarheit der Struktur sowie die materialoptimierte konstruktive Umsetzung würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Formfindung im Raumgitter

Das Dach entwickelt sich in freier Form und wird von Baumstützen getragen. Die Kontur dieses Daches folgt der Begrenzung durch die umstehenden Bäume und formt damit ebenfalls eine Art Baumkrone. Die insgesamt 16 Baumstützen scheinen natürlich gewachsen zu sein, gleicht doch kein «Baum» dem anderen. Sie sind jedoch durch ein streng modulares System definiert, welches den Aufwand für Fertigung und Montage reduziert. So folgt jeder «Baum» dem Rastermass des Raumgitters in Form eines stehenden Quaders mit einer Grundlänge von drei mal drei und einer Höhe von neun Metern. Dieses Raumgitter liefert die notwendigen Bezugspunkte für die Planung, Herstellung und Montage vor Ort.

Die Baumstützen wurden mit Rundrohren in verschiedenen Wandstärken ausgeführt – abhängig von den jeweils aufzunehmenden Kräften. Der gleichbleibende Durchmesser führt zu geometrisch bestimmten Verbindungen ohne hierarchische Ordnung und vermeidet dadurch komplexe Verschneidungen, so dass die konstruktive Umsetzung zügig und schlüssig möglich ist. Auch die Anschlusspunkte für Dach und Bodenplatte folgen diesem Raumgitter. So sind zwölf verschiedene Punkte für das Dach und vier für die Lastabtragung im Fundament möglich. Die Lage der Astgabeln, welche zugleich die unterschiedlichen Typen der «Bäume» bestimmen, folgt ebenfalls dem Raumgitter. Die horizontale Aussteifung des gesamten Gebäudes wird durch vier Baumstützen in V-Form gewährleistet, die systematisch verteilt zwischen den anderen zwölf angeordnet sind.

Das optimierte Stützenmodell

Die natürliche Schlichtheit dieser Baumstützen ist das Ergebnis eines ausgefeilten Entwicklungsprozesses: In Anlehnung an die Erkenntnisse von Antonio Gaudí diente in einer ersten Phase ein Modell mit hängenden Ketten zur Überprüfung des Systems. Ausgehend von einem realen Versuchsmodell wurde anschliessend mit Hilfe eines virtuellen Modells die Geometrie der baumartigen Stützen überprüft. Das virtuelle Modell wurde auch für die Untersuchung von Beanspruchungen herangezogen, welche auf die Tragstruktur einwirken können, wie Schnee, Wind oder Erdbeben.

Der digitale Prozess des Entwerfens lieferte die Grundlage für die dreidimensionalen Werkzeichnungen und für die Bearbeitung der Rohre mittels computergesteuerter Maschinen. Bei der Montage der Elemente in der Werkhalle und vor Ort kam das Raumgitter als Schablone erneut zum Einsatz. Handarbeit erforderte lediglich das Vernähen der Netzbahnen aus Edelstahl, welche als Hülle zwischen Dach und Bodenplatte gespannt wurden. Diese filigrane, fast unsichtbare Membran hüllt die in Grünund Weisstönen gestrichene Baumstruktur in eine Art Spinnengewebe, das wiederum den Bezug zur umgebenden Natur unterstützt.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10



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steeldoc 2009/02 Pavillons - klein und fein

Happy landing

Wie eben erst gelandet, stützt sich das spektakuläre Einfamilienhaus am Steilhang des Genfer Sees ab. Die flugerprobte Bauherrschaft hat ihre Berufspassion auch in ihrem Wohnsitz umgesetzt: wie über eine Gangway steigt man seitlich in diesen schwebenden Wohnkörper aus Stahl und Glas ein und geniesst von hier einen unverbauten Blick aus der Höhe.

Wie eben erst gelandet, stützt sich das spektakuläre Einfamilienhaus am Steilhang des Genfer Sees ab. Die flugerprobte Bauherrschaft hat ihre Berufspassion auch in ihrem Wohnsitz umgesetzt: wie über eine Gangway steigt man seitlich in diesen schwebenden Wohnkörper aus Stahl und Glas ein und geniesst von hier einen unverbauten Blick aus der Höhe.

Nach einer zweijährigen berufsbedingten und privaten Reisezeit ohne festen Wohnsitz, suchten die Bauherren nach einem erschwinglichen und ansprechenden Domizil. Ein schmales Hanggrundstück mit Blick auf den Genfer See und die Alpen wurde als Bauplatz erworben mit der Auflage, dass lediglich ein geringer Teil des Terrains überbaut und das Haus nicht höher werden sollte, als die angrenzende Strasse. Angesichts dieser engen Vorgaben schlug das Architektenteam auf geständerten Quader aus Stahl und Glas. Diese schwebende Konstruktion lässt die Topographie praktisch unberührt und schafft so viel Freiraum für die Nutzung des Geländes als Garten.

Freie Grundrissnutzung

Die Räume mit ihren unterschiedlichen Nutzungen reihen sich im langgestreckten Baukörper nacheinander auf – dabei wechseln sich Nasszonen und Raumeinheiten ab. Die modulare Stahlstruktur definiert die Raumsequenzen. Die Küche in Kombination mit dem Esszimmer und der Wohnraum bilden den Abschluss zum See hin. Um Platz zu sparen, wurden Elemente wie Wandschränke, Cheminée sowie die Gebäudetechnik in die querliegenden Zwischenwände integriert. Mit Ausnahme der zum See gerichteten Stirnseite mit raumhohen Schiebefenstern sind alle Fenster festverglast. Für die erforderliche Luftzufuhr sorgen Klappen, die hinter den vertikalen Rahmen angeordnet sind.

Typologie Brücke

Die Box wurde wie eine Brücke als Vierendeel-Rahmentragwerk in vier Modulen konzipiert. Sie ist in Richtung Berg auf einer Betonwand und seeseitig auf zwei schlanken, schräggestellten Stützen aufgelagert. Die horizontale Steifigkeit in Querrichtung ist durch eine Blechverbunddecke in der Boden-Ebene und einen Dachverband unter dem Dachblech gewährleistet. Die Kräfte aus der Dachebene werden in der hinteren Stirnfassade durch einen Vertikalverband, im vorderen Bereich durch Rahmenwirkung in die Schrägstützen und weiter in die Fundamente geführt. Somit bleibt das Innere frei von Stützen oder tragenden Wänden und ermöglicht dadurch die optimale Ausnutzung des Grundrisses. Die Erschliessung erfolgt seitlich über eine hydraulische, einziehbare Treppe. Im Bereich der Böschungsmauer des Terrains steht ein Kellerraum zur Verfügung, der jedoch nur über eine Aussentreppe zugänglich ist.

Diese ungewöhnlich reduzierte und gleichzeitig raffinierte und sorgfältig detaillierte Lösung eines Wohnhauses in Brückenform würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10



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Presseschau 12

18. November 2016Nina Egger
Johannes Herold
TEC21

«Eine archäologische Ausgrabung»

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

3-D-Druck für die Bauindustrie entwickelt sich rasant. In der Forschung ist die ETH Zürich vorn mit dabei. Assistenzprofessor Benjamin ­Dillenburger erläutert, was ihn und seine Kollegen aktuell beschäftigt.

TEC21: Herr Dillenburger, was hat Sie dazu gebracht, mit 3-D-Druck zu arbeiten?

Benjamin Dillenburger: Angefangen hat es damit, dass wir Entwurfsinstrumente für Architekten entwickelt haben, mit denen Formen erzeugt werden können, für die es keine Möglichkeit zur Fabrikation gab. Das hat dazu geführt, dass wir uns viele Jahre lang erkundigt haben, welche Herstellungsmöglichkeiten es überhaupt gibt, um solche Formen zu bauen. Wir sind dann bei grossformatigem 3-D-Druck gelandet.

TEC21: Was kann 3-D-Druck, was anders unmöglich wäre?

Benjamin Dillenburger: Der 3-D-Drucker stellt einem geometrische Freiheiten zur Verfügung. Er ist in der Lage, Hohlräume, innere Strukturen von Bauteilen und auch Überschneidungen zu drucken und Geometrie generell in einer sehr hohen Auflösung zu materialisieren.

TEC21: Wird durch die innere Struktur Material gespart?

Benjamin Dillenburger: Unter anderem. Immer, wenn wir versuchen, Material zu optimieren, entstehen Formen, die eine grosse Herausforderung an die Fabrikation darstellen. Weil die Geometrie bei der Produktion keine Rolle spielt, ist es leichter, im 3-D-Druck viel Material zu sparen. Neben den geometrischen Freiheiten ermöglicht 3-D-Druck auch kleinste Serien von Bauteilen sowie Komplexität in der Geometrie ohne Extraaufwand in der Herstellung. Es gibt verschiedene 3-D-Druckverfahren, und für manche davon bedeutet das weder extra Maschinenzeitkosten noch extra Druckzeit. Es macht keinen Unterschied, ob man eine Box oder ein hochkomplexes Element druckt.

TEC21: Wie wirken sich die Möglichkeiten des 3-D-Druckers auf den Entwurfsprozess aus?

Benjamin Dillenburger: Im Zusammenspiel von computergestütztem Entwerfen und 3-D-Druck liegt das grösste Potenzial. Mittels Algorithmen kann der Computer automatisch Materialeinsparungen an Bauteilen vornehmen. Wir entwickeln auch eigene Programme, die für spezifische Bauaufgaben optimierte Bauteile herstellen und die zu druckenden Elemente möglichst platzsparend in einer Druckbox zusammenpacken können. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Maschinenlaufzeit. Je effizienter man die 3-D-Druck-Elemente arrangiert, desto kostengünstiger werden sie.

TEC21: Wie lang etwa dauert es vom Entwurfsbeginn bis zum Ende des Druckvorgangs?

Benjamin Dillenburger: Das hängt unter anderem stark vom Entwurfsprozess ab. Wir haben den Raum «Digital Grotesque» entworfen, der hochkomplexe Geometrien beinhaltet. Wir konnten uns viel Zeit lassen, um die Gestaltung der Oberfläche sehr sorgfältig zu komponieren. Der Herstellungsprozess selbst betrug für einen Raum mit einer Grundfläche von 16 m² und einer Höhe von 3.2 m eine Woche. Bestimmte 3-D-Drucker können zum Beispiel in etwa 48 Stunden Elemente drucken, die 4 × 2 × 1 m gross sind.

TEC21: Heisst das, der Entwurf bekommt dann im Verhältnis zur Produktion mehr Zeit?

Benjamin Dillenburger: Der Idealfall ist – und das gilt nicht nur für den 3-D-Druck, sondern für digitale Fabrikation im Allgemeinen –, dass im virtuellen Modell finale Entwurfsentscheidungen später getroffen werden können, weil die Herstellung weniger Zeit beansprucht und sehr schnell an eine veränderte Geometrie angepasst werden kann.

TEC21: Was folgt als Nächstes, wenn ein Druck fertig ist?

Benjamin Dillenburger: Beim Binder-Jet-Verfahren schwimmen die gedruckten Bauteile in einem losen Pulverbett, das die Teile während des Drucks automatisch stützt. Das hat Auswirkungen auf die geometrische Freiheit. Mit diesem Druckverfahren können Auskragungen und Hohlräume realisiert werden. Anschliessend wird der lose Sand entfernt, und man nimmt eine archäologische Ausgrabung des eigenen neuen Designs vor. Beim Sand-Binder-Jet-Druck ist das Resultat mit natürlichem Sandstein vergleichbar. Der nächste Schritt wäre eine Beschichtung, um die Oberfläche zu stabilisieren, und eventuell noch das Lackieren.

TEC21: Woran arbeiten Sie zurzeit?

Benjamin Dillenburger: So wie wir heute Farben mischen, ist es möglich, auf Materialebene verschiedenen Stoffe zu verbinden. Das bedeutet, wir stellen Materialien her, die einen Verlauf aufweisen, zum Beispiel von transparent zu lichtundurchlässig, von weich zu hart, fest zu elastisch, schwer zu leicht – das kann alles in einem Bauteil hergestellt werden. Es eröffnen sich in der Architektur gerade vollkommen neue Möglichkeiten. Das ultimative Ziel unserer Forschung ist, Elemente zu drucken, die auch strukturell als Bauteil funktionieren. Dabei untersuchen wir neue Pulver- und Bindermaterialien.

Momentan ist es sinnvoll, 3-D-Druck in einem sogenannten indirekten Druckverfahren einzusetzen, zum Beispiel für verlorene Schalungen. Dabei wird das gedruckte Element erst in Kombination mit anderen Werkstoffen zum eigentlichen Bauteil. Das hat verschiedene Vorteile: Die Kombination mit Gusstechniken bietet ein viel grösseres Spektrum an verfügbaren Materialien und vereint die Vorzüge beider Seiten – einmal die digitale Fertigung mit nie dagewesenen geometrischen Freiheiten und zum anderen die Materialvielfalt der Gussverfahren, bei denen verschiedene Metall- oder Betonsorten eingesetzt werden können.

TEC21: Wofür eignet sich 3-D-Druck definitiv nicht?

Benjamin Dillenburger: Ich würde behaupten, standardisierte, einfache Bauteile mit hohen Stückzahlen, für die es schon hocheffiziente industrielle Fertigungsmethoden gibt, müssen nicht mit einem Drucker produziert werden. Es wäre vielleicht auch noch zu früh, das Ziel zu haben, ein Haus in einem Stück zu drucken. Architektur ist und bleibt eine Assemblage von verschiedenen Systemen, Gewerken und Materialien, die zusammengefügt werden müssen. Da würde ein 3-D-Drucker, der alles auf einmal drucken kann, keinen Sinn ergeben. Mich interessiert eher die Frage, wie sich 3-D-Druck mit anderen Verfahren kombinieren lässt. Der Idealfall wäre meiner Meinung nach, dass Häuser nicht mehr auf Standardisierungen angewiesen sind, sondern zunehmend spezifisch und individuell gestaltet werden können. Das sind gewichtige Argumente dafür, dass digitale Fabrikation – und im radikalsten Fall 3-D-Druck – eingesetzt werden.

TEC21: Also alles, was kein Massenelement ist. Eine Rohrleitung wird ja milliardenfach produziert und sieht in jedem Haus gleich aus.

Benjamin Dillenburger: Aber die Verlegung der Rohrleitung und die Bauform wiederum können unterschiedlich sein. Der 3-D-Druck kann so etwas wie der Mediator sein bei der Standardisierung von Systemen, die alle eine eigene Logik haben. Ich glaube, der 3-D-Druck wird dann erfolgreich, wenn er in der Lage ist, verschiedene andere Systeme einzubetten.

TEC21: Über welche Grössenordnungen sprechen wir, wenn es um die Kosten geht?

Benjamin Dillenburger: Wir haben hier Verfahren, die im Vergleich zu Frästechniken gleichauf liegen. Dabei handelt es sich um eine noch junge Technologie. Die Maschinenpreise haben sich allein in den letzten zwei bis drei Jahren um den Faktor 10 verringert.

TEC21: Wenn also der 3-D-Drucker nicht mehr so teuer ist, wie steht es mit dem Material?

Benjamin Dillenburger: Das Material ist tatsächlich ein Kostenfaktor, aber auch die Energie, die aufgewendet werden muss, um es zu verarbeiten. Diese wiederum hängt von der Verbindungsmethode ab – ob es sich um die Binder-Jet-Methode handelt oder ob das Material mit Laser oder durch ein Schweisssystem verbunden wird. Das führt logischerweise zu verschiedenen Energiebilanzen.

TEC21: Wie marktreif ist der 3-D-Druck?

Benjamin Dillenburger: Das hängt vom Verfahren ab. Es gibt für den Beton- und Sanddruck bereits Maschinen, die auf dem Markt verfügbar sind. Jetzt geht es eigentlich darum, architektonische Anwendungen für die 3-D-Druck-Technologien zu finden. Eine Schwierigkeit kann dabei sein, dass durch die Möglichkeiten des 3-D-Drucks das, was früher in verschiedenen Gewerken hergestellt wurde, jetzt zusammengefügt werden kann und in dem Fall vielleicht andere Marktstrukturen entstehen. Nach einem regelrechten Hype befinden wir uns momentan in der Phase der Ernüchterung. Jetzt muss sich zeigen, welche Entwicklungen Zukunftspotenzial haben und welche nicht. Danach wird es in der Konsolidierungsphase einen erneuten Innovationsschub geben.

TEC21: Aber kann es nicht sein, dass die Nachfrage noch nicht vorhanden ist, auch wenn die Technologie marktreif ist?

Benjamin Dillenburger: Neue Technologien haben es naturgemäss schwer in der Architektur oder der Bauwirtschaft. Das ist auch gar kein Vorwurf an die Bauindustrie. Natürlich brauchen alle neuen Entwicklungen eine gewisse Zeit, bis sie getestet sind, die Normen erfüllen und ihre Langzeittauglichkeit erwiesen haben. Wir reden ja von Gebäuden, die eine viel längere Lebensdauer haben als zum Beispiel ein Telefon. Deswegen ist es ganz normal, dass neue Technologien länger brauchen, um sich im Bauwesen durchsetzen zu können.

TEC21: Müsste sich der Entwurf ändern, um sich dem 3-D-Druck anzupassen?

Benjamin Dillenburger: Um die Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können, vielleicht ja. Es wird immer wichtiger, möglichst viel im Gebäude vorplanen zu können. Die BIM-Modellierung hat den Anspruch, Fabrikationsprozesse abzubilden – mehr als dies heute der Fall ist. So können die Produktionsdaten schon aus dem BIM-Modell errechnet werden und im Umkehrschluss auch Produktionsbedingungen in die Modelliersoftware integriert werden, um den Entwurfsprozess effizienter zu gestalten und Fehlerquellen zu reduzieren.

TEC21: Was könnte ein Ansporn sein, 3-D-Druck einzusetzen?

Benjamin Dillenburger: Immer wenn der Wunsch besteht, nicht mit standardisierten Bauteilen zu arbeiten, sondern spezifische Lösungen anzubieten, die nicht der Norm entsprechen. Dann führt heutzutage kaum ein Weg mehr an digitaler Fabrikation vorbei. Und 3-D-Druck vereint die Vorteile, die das digitale Bearbeiten mit sich bringt, in radikalster Weise: keine Extrakosten für massgefertigte Elemente, reduzierte manuelle Arbeit, die präzise Übertragung des virtuellen Modells in ein physisches Bauteil, vollkommene Kontrolle in der Herstellung sowie die Skalierbarkeit des Produktionsprozesses.

TEC21: Wir haben in Ihrem Labor transparente Schalungen für Säulen mit Wabenstruktur gesehen. Sie wirken so, als würde sich das Endresultat plastisch oder elastisch verformen lassen.

Benjamin Dillenburger: Die Eigenschaften eines Bauteils können auch über die Geometrie gesteuert werden. Wir sprechen in diesem Fall von 4-D-Druck (vgl. «Die DNA der digitalen Fertigung»). Es gibt Versuche, innere Strukturen so zu drucken, dass sie an manchen Stellen eine elastische Verformung zulassen, während sie an anderen Stellen steif bleiben. Weiter ist es möglich, strom- oder wasserführende sowie transparente Materialien zu drucken und diese in ein komplexes Bauteil zu integrieren. Es geht uns also nicht nur darum, Baustoffe zu optimieren, sondern darum, ganz neue Elemente herzustellen.

TEC21: Ist es vorstellbar, dass ein 3-D-gedrucktes Bauteil auch auf Zug beansprucht wird?

Benjamin Dillenburger: Die meisten 3-D-Druckverfahren sind schichtbasiert. Nun geht es darum, die Verbindung zwischen den Schichten zu optimieren. Im kleinen Massstab gibt es schon Drucker, die dazu in der Lage sind. Wir haben einen Laser-Sinter-Drucker, der mechanisch beanspruchte Teile mit einer festen Verbindung zwischen den Ebenen herstellen kann.

TEC21: Welche Projekte planen Sie als nächste?

Benjamin Dillenburger: Wir arbeiten an mehreren Projekten. Für die Empa planen wir ein grosses Testgebäude, für das wir eine Deckenkonstruktion mithilfe von 3-D-Druck herstellen möchten. Weiter versuchen wir, in unserer Forschung neue Materialien zu erschliessen und verschiedene Druckverfahren auf Skalierbarkeit hin zu testen, damit diese auch in grossem Massstab eingesetzt werden können. Parallel dazu versuchen wir den Architekten neue Entwurfswerkzeuge an die Hand zu geben, damit sie die Möglichkeiten des 3-D-Drucks voll ausschöpfen können.

TEC21: In wie vielen Jahren rechnen Sie damit, dass 3-D-Druck tatsächlich von Architekten als selbstverständliches Werkzeug eingesetzt wird?

Benjamin Dillenburger: Wenn man sich anschaut, wie lang es gedauert hat, bis CNC-Fräsen in der Fertigung von Elementen alltäglich geworden sind, kann das schon – unter anderem wegen der Normung und Prüfung der Materialien – noch Jahre dauern. Fünf Jahre vielleicht? Unser nationaler Forschungsschwerpunkt «Digitale Fabrikation» ist auf zwölf Jahre angelegt. Wir überlegen uns oft: Wie sieht das Bauen in zwölf Jahren aus? Wenn wir um den gleichen Zeitraum zurückschauen und sehen, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat, dann stimmt das optimistisch für die Zukunft. Es gibt noch unglaublich grosses Potenzial an Erneuerungen in der Art und Weise, wie wir bauen. Wie gesagt, das ist kein Vorwurf an die Bauindustrie. Bauen ist einfach ein sehr komplexer Prozess. Aber je leistungsfähiger unsere Informationstechnologie wird, sei es in der Planung oder in der Fabrikation, desto schneller werden wir neue Kräfte freisetzen können.

TEC21, Fr., 2016.11.18



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TEC21 2016|47 Drucken in der dritten Dimension

18. November 2016Johannes Herold
TEC21

Die DNA der digitalen Fertigung

Bit, Byte, Nano und Bot sind die Bausteine der Fertigung in der Zukunft. Der 3-D-Druck ist nur der Anfang einer Entwicklung, die schneller und tiefer greifend sein wird als alles bisher Dagewesene.

Bit, Byte, Nano und Bot sind die Bausteine der Fertigung in der Zukunft. Der 3-D-Druck ist nur der Anfang einer Entwicklung, die schneller und tiefer greifend sein wird als alles bisher Dagewesene.

Hype oder Revolution? 3-D-Druck ist beides. Dennoch vermittelt diese Technologie eine Vorstellung davon, was wir von der Zukunft der Produktionstechnik zu erwarten haben. Eine kurze, nicht repräsentative Zusammenschau von Publikationen zum Thema zeigt, dass der 3-D-Druck einen beachtlichen Stellenwert einnehmen wird. So vermutet Pete Basiliere (Gartner IT Research)[1], dass innerhalb der nächsten Dekade 3-D-Drucker weit verbreitet und akzeptiert sein werden. Bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre werden sie von den Konsumenten bereitwillig genutzt. Was zum Durchbruch noch fehlt, ist die «Killer-Anwendung», die für die private Verwendung sinnvoll wäre. Vielleicht sind es perfekt angepasste Brillen oder Schuhe? Oder andere individuelle Dinge des täglichen Bedarfs?

Noch sind 3-D-Drucker langsam, die Oberflächen grob, gute Geräte teuer und somit für eine grössere Verbreitung wenig geeignet. Wohl aber ist der Einsatz von High-End-Geräten[2] im medizinischen Bereich, zur Produktion von Bauteilen für die Flugzeugindustrie oder bei der Herstellung von Prototypen bereits heute wirtschaftlich sinnvoll. Im Architekturbüro erleichtern gedruckte Modelle den Variantenvergleich; komplexe digitale Entwürfe sind überhaupt nur mittels dieser Drucktechnologie mit vertretbarem Aufwand herzustellen.

Reparatur statt Wegwerfkultur

Viele Publikationen sehen eine wahre Flut von Anwendungen auf uns zukommen: Wir produzieren zum Beispiel Ersatzteile selbst, um Geräte länger nutzen zu können, besonders, wenn diese nicht mehr hergestellt werden. Dafür stellen Unternehmen druckfertige 3-D-Daten zur Verfügung. Wir mutieren von Verbrauchern zu Machern. Bereits heute stehen 3-D-Printshops oder sogenannte FabLabs (gut ausgestattete Werkstätten für die digitale Produktion) zur Verfügung. Hier können Modelle mit unterschiedlichen Materialien und Technologien hergestellt werden.

3-D-Drucker werden möglicherweise in Bibliotheken genutzt oder in Gemeinschaftsräumen grösserer Liegenschaften aufgestellt werden. Dieser Wandel der Technologie wirft auch rechtliche Fragen auf, wie zum Beispiel: Wem gehören die Rechte an den Daten? Wer haftet für den Fall eines Unglücks, das sich aufgrund eines fehlerhaft produzierten Ersatzteils ereignet? Auch der Zugang zu Daten, um Waffen herzustellen, ist möglich – und problematisch.

Multiplikator Internet

Die Verbindung offener Standards mit dem Internet als Plattform für den Austausch birgt ein immenses Potenzial. Dies bedeutet keine Addition, sondern stellt einen dramatischen Multiplikator dar. Ideen können gemeinsam weiter entwickelt werden, individuelle Produkte sind möglich, die wiederum über das Internet vertrieben werden können. Die Produktionsmittel sind kein kostspieliges Unterfangen mehr und die Vertriebskanäle für alle zugänglich. Dies führte schon in der Musikindustrie oder im Verlagswesen zu tief greifenden Umbrüchen. Weitere Beispiele sind Amazon, Uber oder Airbnb. Die nächste industrielle Revolution ist unterwegs, doch im Unterscheid zu früheren Entwicklungen ist nicht eine einzige Technologie die Ursache dafür, sondern das Zusammenspiel vom Internet der Dinge, von Robotik, 3-D-Druck, Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz.

Betrachten wir einmal das Zusammenspiel von Computer, Kommunikation und Sensoren in sogenannten MEMS (Micro-Electro-Mechanical Systems). Im iPhone beispielsweise ist ein Sensor für die Beschleunigung eingebaut. Blutdruckmessgeräte oder Insulinspritzen, die am Körper getragen werden, reagieren auf die ermittelten Werte. Der nächste grosse Schritt geht in Richtung Verkleinerung, hin zu NEMS (Nano-Electro-Mechanical Systems), also Schaltern oder Robotern in Nanogrösse, zum Beispiel zur Behandlung von Krebs durch Injektion von Medikamenten direkt in die betroffenen Zellen. Weiter ermöglichen viele (neue) Materialien bisher nicht gekannte Produktionsweisen auf der Basis digitaler Modelle (vgl. «Eine archäologische Ausgrabung») Diese Werkstoffe werden in Zukunft nicht mehr in verschiedenen Geräten eingesetzt, sondern sind in einem Drucker vereint, der mit unterschiedlichen Druckverfahren umgehen kann.

Als Weiterentwicklung werden Werkstoffe auf Nanoebene so programmiert, dass sie ihre Form nach dem Ausdrucken ändern können, z. B. Möbel, die sich selbst zusammenbauen, oder Würfel, die sich selbst zusammensetzen. Bereits gedrucktes Material kann also durch Hinzufügen eines Stimulus wie Wasser oder Wärme selbstständig in eine vorher definierte neue Form oder Struktur entfaltet werden oder sich an gegebene Bedingungen anpassen. Da hier der Faktor Zeit miteinbezogen wird, wird dieses Verfahren als 4-D-Druck bezeichnet. Mit diesem neuen Verfahren wird es zum Beispiel möglich, Wasserrohre zu produzieren, die sich aufweiten oder zusammenziehen und dadurch eine Pumpbewegung erzeugen.

In seinem TED-Talk[3] erläutert Skylar Tibbits, Leiter des «Self-Assembly Lab» am MIT, die Entstehung von «4D Printing»: «Die Idee hinter 4-D-Druck ist, dass man vom dreidimensionalen Drucken verschiedener Materialien ausgeht – man kann also mehrere Werkstoffe verwenden – und eine neue Fähigkeit dazu nimmt, die Transformation, sodass sich die Teile direkt und selbstständig von einer Form zur anderen verändern. In unserem Labor versuchen wir, programmierbare Materialien für Bauumgebungen zu entwickeln. Wir glauben, dass es für wenige Schlüsselbereiche kurzfristig Anwendungen gibt. Aber vorstellbar wäre der Einsatz bei extremen Umgebungsbedingungen: Hier ist es schwierig, etwas zu bauen; unsere gegenwärtigen Bautechniken funktionieren nicht, es ist zu gross, zu gefährlich, zu teuer oder es gibt zu viele Einzelteile. Der Weltraum ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. Wir versuchen, neue Szenarien für den Weltraum zu entwickeln, die komplett neu konfigurierbare und selbstformende Strukturen aufweisen und die sich von einem hochfunktionalen System zum nächsten verwandeln.»

Drucker drucken Drucker

Werfen wir einen kurzen Blick auf zukünftige Technologien: In Computern könnten sogenannte Graphene Silizium als Ausgangsmaterial für Transistoren ablösen. Dies würde Taktraten von bis zu 1000 GHz ermöglichen (heute 3 GHz[4] bei einem PC). Mit 5G werden Daten 1000-mal schneller als mit dem heutigen Standard 4G übertragen, Li-Fi plus Glasfaser erlaubt die ultraschnelle Signalübermittlung mittels Licht. 3-D-Drucker schliesslich produzieren Kleidungsstücke, Carbonfasern oder Graphene. Damit wird es auch möglich, dass sich Maschinen – ähnlich wie die Natur – selbst replizieren. Die Bausteine dafür und die Technologie dazu sind bereits vorhanden.

In ihrem Buch «iDisrupted» beschreiben John Straw und Michael Baxter fünf Einflussfaktoren für den Durchbruch des 3-D-Drucks: eine ausreichende Nachfrage, einen offenen Standard, neue Materialien, die Fähigkeit von Druckern, Drucker herzustellen, und die Tatsache, dass 3-D-Drucker ein einzigartiges Werkzeug für Erfinder sind.[1] Angenommen, die Nachfrage nimmt zu, können wir feststellen, dass mit REPRAP ein offener Standard im 3-D-Druck vorliegt. Dieser ermöglicht die Beteiligung vieler an Innovationen. Damit werden die Karten neu gemischt: Zu der reinen Technologie kommt nun das Potenzial des Internets hinzu. Über den Austausch entwickelt die Online-Gemeinschaft ein immenses Potenzial, dessen «Ergebnis nicht prognostizierbar ist, doch vorhersehbar innovativ sein wird».[1] Daraus können folgende drei Thesen abgeleitet werden:

– Ideen basieren auf anderen Ideen, der Schlüssel zur Innovation liegt in der Kooperation (Natur, Evolution, menschliche Zellen).
– Das Internet ist ein Multiplikator für Ideen (Brainstorming, wisdom of crowds) und Ressourcen (Crowdfunding, Wikipedia).
– Wenn Technologien zusammenfliessen, kann dies zu einer erheblichen Beschleunigung von Innovationen und massenhaften Anwendungen führen, die vorher nicht möglich oder denkbar erschienen. So entwickelte sich Apple innerhalb von zehn Jahren von einer beinahe bankrotten Firma zum heute wertvollsten börsennotierten Unternehmen.

Von 3-D zu 4.0

Welche Bedeutung wird dem 3-D-Druck zukommen? Das parametrische Entwerfen führt zu Formen, von denen ein physisches Modell mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr herstellbar ist. Anhand dieser Modelle werden die Varianten eines Entwurfs diskutiert oder die Suche nach Lösungen mit den Projektpartnern besprochen. In etwas grösserem Massstab ist die Fertigung von Einzelstücken vorstellbar, die nach individuellen Wünschen und Erfordernissen hergestellt werden, ohne dabei den Kostenrahmen zu sprengen. Der nächste Dimensionssprung betrifft die Produktion von Baugruppen, Modulen oder ganzen Häusern. Wie diese digitale Fabrikation in der Architektur aussehen könnte, wird u. a. an der ETH Zürich erforscht. Der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) Digitale Fabrikation rückt die Digitale Vor-Ort-Fabrikation und massgeschneiderte digitale Vorfabrikation in den Mittelpunkt.

Um die Ziele des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts zu erreichen, arbeiten Forschende verschiedener Disziplinen zusammen. Sie stammen aus den Bereichen Architektur, Tragwerksentwurf, Materialwissenschaft, Informatik, Regelungstechnik und Robotik. Ein viel grösserer Einfluss auf das Bauen als 3-D-Druck wird in den kommenden fünf Jahren der massiv zunehmenden Verwendung von Robotern in der Produktion zuzuschreiben sein. Hier stehen wir vor einer neuen Dimension im Bauprozess. Die Schweiz ist, zumindest im europäischen Vergleich, hinsichtlich der Faktoren Technologie, Bildung, Forschung, Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit gut aufgestellt.

Das Arbeiten in einer digitalen Welt bringt eine Reihe von Veränderungen mit sich, angefangen vom lebenslangen Lernen über neue Abläufe bis hin zu wachsenden Anforderungen im Bezug auf Kompetenzen und Fähigkeiten. Die Frage ist nicht: «Sind wir dazu bereit?», sondern: «Wie gehen wir damit um?»


Anmerkungen:
[01] J. Straw and M. Baxter, iDisrupted, New Generation Publishing, 2014.
[02] Knochen, Gelenke, Gewebe, Zähne oder Organe; Einspritzdüsen für Flugzeugtriebwerke.
[03] www.ted.com/talks/skylar_tibbits_the_emergence_of_4d_printing?language=de, Februar 2013.
[04] Um die Leistung einordnen zu können: Ein normaler PC mit einem Pentium-4-Prozessor bei einer Taktfrequenz von drei Gigahertz kann nach Angaben von IBM etwa sechs GigaFLOPS (109 FLOPS) erreichen. Heutige Supercomputer erreichen eine Rechenleistung von 93 PetaFLOPS (1015 FLOPS).
[05] Roland Berger Industrie 4.0 Readiness Index, in «The role of Switzerland within a European manufacturing revolution», März 2015.

TEC21, Fr., 2016.11.18



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TEC21 2016|47 Drucken in der dritten Dimension

22. April 2016Johannes Herold
TEC21

Kulturschmiede

Die Alte Schmiede Baden hat eine neue Nutzung erhalten, und Ladner Meier Architekten haben ihr einen Neubau hinzugefügt. Die Kultur erobert das das ehemalige Industrieareal und füllt es mit neuem Leben.

Die Alte Schmiede Baden hat eine neue Nutzung erhalten, und Ladner Meier Architekten haben ihr einen Neubau hinzugefügt. Die Kultur erobert das das ehemalige Industrieareal und füllt es mit neuem Leben.

Die ehemaligen Fabrikationsgebäude der ABB in Baden bieten ideale Voraussetzungen, um neue kulturelle Angebote zu etablieren und Bildungszentren anzusiedeln. So ist die Be­bauung im Quartier zwischen dem nahe gelegenen Bahnhof und dem Areal im Norden der Stadt geprägt von unterschiedlichsten Neunutzungen, die zeigen, wie bestehende Gebäude und Freiflächen umgestaltet werden können. Das Zentrum Trafo mit dem gleichnamigen Platz, das Engineering-Gebäude Quadro oder die Aktionshalle Nordportal stehen stellvertretend für viele weitere Beispiele. Zusammen mit den neu errichteten Wohnüberbauungen wandelt sich das Quartier zusehends in einen lebendigen Stadtteil. Besonders am Schmiedeplatz sind zahlreiche Einrichtungen der BerufsBildungBaden (BBB) angesiedelt. So war es naheliegend, das Jugendkulturlokal Merkker, für das neue Räume gefunden werden mussten, in der Alten Schmiede unterzubringen.

Die Schmiedehalle ist von der Bruggerstrasse zurückgesetzt am Nordrand des Fabrikareals gelegen. Bautechnisch ist sie ein mit Sichtbackstein in Läuferschichten ausgefachter, 8 × 10-feldriger Stahlfachwerkbau unter einem ziegelgedeckten Satteldach. Der offene Dachstuhl ist gänzlich aus Stahl gebaut und verfügt über eine für die ursprüngliche Nutzung als Schmiede typische hohe Firstlaterne (vgl. «Tragwerk auf Mass», S. 29).

Als bedeutendes industriegeschichtliches Zeug­nis wurde die Haupthalle im Jahr 2011 unter kantonalen Denkmalschutz gestellt. Somit durften die Trag­kon­struktion und die historische Gebäudehülle der ­Haupthalle nicht verändert werden. Aufgrund ihrer vormaligen Nutzung war die Schmiede stark mit Schadstoffen belastet.

Über einen Projektwettbewerb suchte die Stadt Baden geeignete und kostengünstige Vorschläge für multifunktionale, kombinierbare Räume zum Betrieb eines Jugendkulturlokals mit Gastronomie, einer Veranstaltungshalle mit Aussenraum sowie für Bandübungsräume und Ateliers. Das Angebot sollte Jugendlichen und jungen Erwachsenen Freiräume für ihre Kreativität und Freizeitgestaltung bieten.

Mit einer Raumorganisation, die grösstmögliche Nutzungsflexibilität erlaubte, gewannen Ladner Meier Architekten im Jahr 2012 den Wettbewerb. Der dazu eingesetzte Stahlbau unterstreicht die ursprüngliche industrielle Nutzung des Standorts.

Die Instandsetzung umfasste Massnahmen wie eine intensive Staubreinigung der Tragkonstruktion und das Ausgraben und Entsorgen des belasteten Boden­belags sowie der Verschmutzungen im Untergrund.

Für die Dacheindeckung kamen erstmals In­dustrieziegel zum Einsatz. Mit dem Ziel, den Originalzustand so weit wie möglich zu erhalten, wurden diese abgetragen, gereinigt und wieder eingebaut. Gleiches gilt für die vorhandenen Leuchten, in deren Gehäuse LED-Leuchtmittel verwendet wurden.

Raumkombinationen

Da die Halle auch nach dem Umbau nur unbeheizt und temporär genutzt wird, wurde eine neue Tragkonstruktion aus Stahl nach dem Haus-im-Haus-Prinzip eingestellt. Damit der Raumeindruck der Werkhalle erhalten bleibt, wurde das neue Volumen möglichst knapp gehalten und im hinteren Teil der Halle angeordnet. Die Einbauten sind wärmegedämmt und verkleidet mit Faserzementplatten, die den Ausdruck des früheren Durisol-Systems formal übernehmen. Sie beherbergen den Veranstaltungssaal, den Technik- und Backstagebereich sowie eine Bar. Grosse Indus­­trieschiebetore öffnen den neuen Veranstaltungsraum zur Halle hin. Die direkte Anbindung der Halle durch die Bar und das Foyer ermöglicht Nutzungen über ­mehrere Räume hinweg.

Zum Schutz des Bestands wurden die Stützen mit einem Abstand von etwa 1.5 m zur bestehenden Fassade angeordnet. Das Stützensystem nimmt einen Stahlrost auf, der den gesamten Veranstaltungsraum überspannt. Um die Einbauten unter dem Niveau des horizontal verlaufenden Zugbands der Dachkonstruktion zu halten, kam eine Mischbauweise mit Flachdeckenträger ge­ringer Konstruktionshöhe zum Einsatz. Dieses basiert auf Stahlträgern, deren überbreiter Untergurt als Auflager vorgefertigter Stahlbetondecken­elemente dient. Die Deckenplatten wurden mit eingelegten Akustikeinlagen angeliefert und erfüllen so neben der tragenden auch eine bauphysikalische Funktion. In Verbindung mit einer Ortbetonschicht bilden diese Elemente einen tragfähigen Stahl-Beton-Verbund. Die Decke über dem Erdgeschoss bildet eine Art Tisch aus, über dem das Obergeschoss weitgehend frei gestaltet werden kann. Die Stabilität des Baukörpers wird durch Aussteifungsverbände gewährleistet.

Der flache Anbau auf der Längsseite, die der Strasse zugewandt ist, stand nicht unter Denkmalschutz und konnte abgerissen werden. An seiner Stelle markiert ein vertikales Volumen die neue Nutzung. Übungsräume, Foyer, Bar, Beiz und Atelier sind hier untergebracht.

In den Obergeschossen stehen vielseitig nutzbare, flexibel unterteilbare Kulturräume zur Verfügung. Die Proberäume sind durch eine aussen liegende Treppenanlage sowie einen Lift separat erschlossen. Der frei gewordene Bereich vor der Halle dient gleichzeitig als Vorplatz und Zugang.

Raffinierte und sorgfältige Details

Wie sich im Lauf der Bauarbeiten zeigte, waren hier umfangreiche Massnahmen zur Entsorgung der Alt­lasten erforderlich, die weit hinab ins Erdreich führten. Um die dafür ohnehin erforderliche Grube zu­sätzlich zu nutzen, wurden unter der Bodenplatte des Vorplatzes weitere Räume eingebaut. Die Hallenlängswand des ­Erdgeschosses erhielt neue Öffnungen als Fluchtwege. Somit ist die Halle auch für eine grosse Personenbelegung nutzbar.

Der dunkel gehaltene Anbau bildet das vertikale Gegenstück zum horizontalen Bestand. Als Referenz an den Industriebau prägen Elemente aus Gusseisen das Bild der Fassade. Sie sind in tragende Stahlrahmen eingehängt. Die Tragstruktur ist in gleicher Weise wie in der Halle mit Flachdeckenträger und vorgefertigten Betonelementen ausgebildet. Ein Kern aus Stahlbeton nimmt den Fahrstuhl auf und steift die Stahlkonstruktion aus. Wie auch in der Halle stellen der Anstrich und die ausreichend dimensionierte Stahlkonstruktion den Brandschutz sicher.

Der Anbau steht selbstbewusst für eine Neu­interpretation des industriellen Bauens. Der nach dem Abriss des flachen Anbaus frei gewordene Vorplatz betont die Komposition von Bestand und Neubau: Die Gestaltung der Aussenraums mit betonierten Bänken ist augenfällig, in der Halle selbst sind die Veränderungen erst auf den zweiten Blick erkennbar. Raffiniert verzahnen sich Alt und Neu im Innern.

Die Alte Schmiede ist eine Entdeckungsreise wert – auch für weniger junge Menschen. Insbesondere der Umgang mit dem Bestand sowie die sorgfältig geplanten Eingriffe und Details verdienen Beachtung, und das filigrane Fachwerk aus Stahl ist ein wertvoller Zeuge einer frühen Industrialisierung. Der Stahlbau ist ausführlich im aktuellen steeldoc 01/16 beschrieben. Das Resultat ist Ergebnis des Engagements der Beteiligten weit über das übliche Mass hinaus.

TEC21, Fr., 2016.04.22



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TEC21 2016|17 Arithmetik des massvollen Eingriffs

19. Juli 2010Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
Steeldoc

Ein Spiegel der Natur

Der neue Firmensitz von Richemont schreibt sich in den umgebenden Garten ein, als sei das Gebäude Teil eines Ganzen. Farbe, Licht, Spiegelung, Transparenz und Schattenspiel – Natur und Raum sind zu einem facettenreichen Ensemble gefügt, das die Grenzen dazwischen verschwimmen lässt.

Der neue Firmensitz von Richemont schreibt sich in den umgebenden Garten ein, als sei das Gebäude Teil eines Ganzen. Farbe, Licht, Spiegelung, Transparenz und Schattenspiel – Natur und Raum sind zu einem facettenreichen Ensemble gefügt, das die Grenzen dazwischen verschwimmen lässt.

Tatami ist das japanische Einheitsmass, das dem einer Schlafmatte entspricht. Aus dem Vielfachen dieses Moduls ist das japanische Haus zusammengesetzt. Es spiegelt damit die Natur – denn auch die Natur ist eingeschrieben in die Gesetze des Kosmos: das Kleine ist das Grosse. Ob der Architekt Jean Nouvel diesem Prinzip zu entsprechen versuchte, ist Spekulation. Der Architekt gibt zu, vom Ort mit den Jahrhunderte alten Zedern und den leichtblättrigen Laubbäumen in den Bann gezogen worden zu sein: die Stille, das Zeitlose, das leicht abfallende grüne Terrain, im Blick der Genfersee und zwischen dem alten Baumbestand die historischen Holzhäuser, denen der Neubau Nachbar werden soll. Wie bauen, um diesem magischen Ort die Seele nicht zu rauben?

Der weltweit tätige Konzern Richemont investiert vor allem in Luxusgüter sowie in Gold- und Diamantenminen. Für seinen europäischem Standort im Nobelvorort Bellevue bei Genf erwarb das Unternehmen einen privaten Park mit insgesamt acht denkmalgeschützten Holzhäusern aus dem Jahr 1869. Diese Häuser sollten mit diversen Nutzungen ausgestattet werden, wobei für den eigentlichen Hauptsitz ein Neubau im Park vorgesehen war. Entstanden ist eine leichte, hochtransparente und vielschichtige Architektur, die sich ihrer Umgebung vollständig hingibt. Die Entmaterialisierung wird durch das Spiel von Reflektion, halbtransparenten und mit Pflanzen und Schattenmotiven bedruckten Gläsern, Durch- und Einblicken zelebriert. Es entsteht ein Gefl echt aus Raum, Ausblicken und Naturschauspiel. Die Räume werden je nach Funktion mit Gläsern unterschiedlicher Durchsichtigkeit und Beschaffenheit begrenzt.

Modulares Stahlgitter

Insgesamt wurden drei Neubauten aus Stahl realisiert – zwei kubische Volumen sowie ein langgestreckter, abgestufter Baukörper. Das Längsgebäude setzt sich aus zwei parallelen Raumschichten zusammen, die durch eine mittlere Schicht aus Licht- und Grünräumen verbunden sind. Dem abfallenden Terrain folgt die Geometrie der Bauvolumen durch die Abstufung einzelner Geschosshöhen, so dass sich drei Teilvolumen abzeichnen.

Das feingliedrige Stahlgitter folgt einem streng modularen Raster. Ein Betonkern für die Treppenanlagen steift das Stahlskelett aus, so dass keine Windverbände notwendig sind. Um den kleinstmöglichen Querschnitt der Stützen im Fassadenbereich zu erreichen, wurde ein Vollstahlprofi l gewählt. Damit haben die tragenden Vertikalstützen dieselbe Abmessung wie die Fassadenrahmen, nämlich acht Zentimeter. Die Stützen sind mit einer Thermobeschichtung behandelt und brandsicher dimensioniert.

Die Geschossdecken bestehen aus Walzprofilen mit breitem Flansch und einer Verbunddecke aus Holoribblech mit Betonüberguss von 16 Zentimetern. Der Deckenverbund zwischen Blech und Beton wird entweder durch runde Kopfbolzen oder durch Warzenblech geschaffen.

Die Dachstruktur über dem langgestreckten Innenhof des Hauptgebäudes ist aus geschweissten Rechteck-Hohlprofilen gefertigt, um die Verbindungen der Konstruktion möglichst unsichtbar zu halten. Während die Vollstahlstützen ohne Behandlung einen Feuerwiderstand von 30 Minuten aufweisen, mussten die Deckenträger mit einem dämmschichtbildenden Brandschutzanstrich versehen werden.

Brückenlabyrinth

In der Zwischenzone des Gebäudes verbindet ein Brückensystem die beiden Raumschichten auf zwei Ebenen. Die Passerellen sind aus Stahlblech gefertigt, das mit Längs- und Querrippen versteift ist. Je nach Nutzung sind die Passerellen zwischen 90 und 130 Zentimeter breit und haben bis zu 5,60 Meter Spannweite. Die Plattformen bestehen aus zwei übereinanderliegenden orthotropen Platten, die verschraubt sind. Die Geländer bestehen nur aus einer fugenlosen Glasscheibe. Sämtliche Brückenteile sind mit einer Brandschutzbeschichtung für 30 Minuten Widerstand geschützt.

Die beiden kubischen Neubauten, welche sich im nördlichen Teil des Parks befi nden, nehmen den Dialog mit dem Hauptgebäude auf und sind im selben Prinzip gebaut. Die bestehenden Holzhäuser dienten den Architekten als Anschauungsmaterial und Inspiration für die Materialwahl und Detailgestaltung. Im Untergrund verbinden eine Parkgarage und diverse Zugänge die Gebäude untereinander.

Steeldoc, Mo., 2010.07.19



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steeldoc 2010/02 Innovative Bürobauten

19. Juli 2010Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
Steeldoc

Klimaneutrale Arbeitsoase

Der neue Geschäftssitz des Pharmakonzerns Merck Serono ist ein Manifest für optimale Arbeitsbedingungen und nachhaltiges Bauen. Dank Spitzentechnologie und Konzepten für mehr Life-Balance wurden anregende Arbeitsplätze und Erholungsräume geschaffen, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen.

Der neue Geschäftssitz des Pharmakonzerns Merck Serono ist ein Manifest für optimale Arbeitsbedingungen und nachhaltiges Bauen. Dank Spitzentechnologie und Konzepten für mehr Life-Balance wurden anregende Arbeitsplätze und Erholungsräume geschaffen, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen.

Der Bauplatz ist komplex: Nahe am Gleisfeld des Genfer Stadtbahnhofs ist das historische Industrieareal seit den 50er Jahren zu einem blockartigen, städtischen Gebilde herangewachsen. Etliche Gebäude stehen unter Denkmalschutz und sollten in das neue Gesamtkonzept integriert werden. Das Pharma-Unternehmen Merck Serono übernahm das ehemalige Areal der Firma Sécheron SA und baute es zu einem «Campus» um, der alte und neue Bausubstanz in ein städtisches Gesamtwerk integriert. Zwischen den Bauten für Forschung und Verwaltung sind gedeckte und offene Gemeinschaftszonen angeordnet. Eine Hauptachse, die «Mainstreet», wird zum zentralen Element, das den Campus an den öffentlichen Raum anbindet.

Die amerikanischen Architekten Murphy/Jahn nutzten das Image des Konzerns in der Spitzenforschung, um innovative Technologie für ein nachhaltiges Klimakonzept einzusetzen. Tageslicht, natürliche Belüftung, passive Solarenergie und die Idee, dass ein Gebäude sich selbst reguliert, standen bei der Planung im Vordergrund, statt wie üblich «just design and style». Die natürlichen Ressourcen werden maximal genutzt, wobei sich die technischen Installationen sinnvoll ergänzen, sowohl beim Heizen, als auch bei beim Kühlen. Dies führt zu einem Hightech-Gebäude, das jedoch ein Minimum an Energie verbraucht.

Stadt in der Stadt

Der bestehende Gebäudekomplex wurde im Zuge einer Sanierung vollständig entkernt und mit dem Neubau ergänzt, der mit Ausnahme der letzten Etage und der Dachkonstruktion in Massivbauweise ausgeführt ist. Dominiert wird das Stadtgeviert von einem mäandernden Neubau, der sich in mehreren Stufen durch die Freiräume der Parzelle bewegt. Er überragt die bestehenden Gebäude um drei bis vier Geschosse und hüllt sich in eine mannigfach reflektierende gläserne Haut, so dass die Orientierung zum Hauptbau hin auf dem ganzen Areal gewährleistet ist.

In den Zwischenräumen liegen weit gespannte Passerellen sowie Treppen- und Liftanlagen in Stahl. Die Dachkonstruktion dient auch als Aufhängevorrichtung für die Stahl- und Metallfassaden des Gebäudes. Die durchlässige Hülle ist ein wichtiger Teil des Klimakonzeptes. Um die Fassaden noch transparenter erscheinen zu lassen, sind schräge Glaselemente aus extraweissem Glas mit einer Überlappung von einem Meter wie Schindeln übereinander geschichtet. Sie verbergen die Lüftungsöffnungen, die sich dezentral bedienen lassen und sichern damit die Zuluft. Der Sonnenschutz liegt aussen. In den Büros weisen die Decken eine Betonkernaktivierung auf, die Doppelböden integrieren die Installation der Gebäudetechnik und dienen überdies zur Quelllüftung. In Verbindung mit Wärmetauschern und Wärmepumpen sowie Kühlaggregaten wird das Seewasser zum Heizen und Kühlen genutzt.

Markantes Segel

Das Kernstück der Anlage bildet das Forum – ein 25 Meter hoher Glasbau in Form eines Viertelkreises, dessen fächerförmiges Dach sich hydraulisch öffnen lässt. Es handelt sich hier um das weltweit grösste zu öffnende Glasdach. Das 1000 Quadratmeter grosse Forumdach ebenso wie die 12 Meter hohen, acht Meter breiten, drehbaren Glastore und der aussenliegende Sonnenschutz sind wichtige Bestandteile des Klimakonzeptes des Gebäudes. Die maximale Öffnungshöhe des Daches beträgt 4,7 Meter. Die Primärstruktur des Daches liegt im Freien – das Isolierglas ist davon mit einem Abstand von 25 Zentimeter abgehängt. Die Hauptträger bilden eine Reihe radial angeordneter Hohlkastenträger, die bei geöffnetem Dach bis zu 26 Meter frei auskragen. Je nach Beanspruchung sind sie zwischen 140 und 50 Zentimeter hoch und haben unterschiedliche Blechdicken. Ein Randträger verbindet alle Hauptträger.

Ein Drehrohr mit einem Durchmesser von 35 Zentimeter, das an ein Hydrauliksystem angebunden ist, erlaubt das Öffnen und Schliessen des Daches. Damit ist die ganze Dachkonstruktion ausgesteift. Die Drehachse ist auf zehn Stahlrohrstützen aufgelagert.

Abhebesicherungen im Drehrohr verhindern ein Abheben der Drehachse im Falle eines Erdbebens. Das Gegengewicht des Daches ist ein ausgesteifter Hohlkastenträger, teilweise mit Beton gefüllt und wiegt 110 Tonnen. Der Ober- und Untergurt des Kastens wird aus Blechen gebildet, die mit T-Trägern versteift sind. Die Montage des Forumdachs erfolgte abschnittweise nur mit Hilfe eines Autokrans und Hubbühnen – ein Traggerüst war nicht erforderlich.

Lichte Freiräume

Die Haupttragelemente der Forumfassade bestehen aus einem Druckring, vorgespannten Seilen und etwa 25 Meter hohen Stahlstützen. Der Druckring ist gelenkig an den Deckenrändern angeschlossen, mit den Spiralseilen bildet er im Grundriss eine speichenradartige Struktur. Die Sekundärträger sind Holhlkastenquerschnitte, die gelenkig mit den Stahlstützen verbunden sind. Zwischen den Horizonalträgern sind vertikal Glasschwerter angeordnet, welche die Windlasten aufnehmen.

Beeindruckend sind die 12 Meter hohen Glastore, die an Stahlrohren als Drehachsen fixiert sind. Die horizontalen Windlasten der Türen übernehmen auskragende und gevoutete Stahlschwerter.

Der Stahl- und Metallbau bleibt grösstenteils sichtbar und zeichnet sich durch die sorgfältige Detaillierung aus. Stahl wirkt bei diesem innovativen Bürogebäude als Botschafter für Grosszügigkeit, Eleganz und Präzision. Die Konstruktion besticht durch ihre filigrane Erscheinung und reagiert mit Leichtigkeit auf die hohen technischen Anforderungen. Das Projekt wurde deshalb vom Stahlbau Zentrum Schweiz mit dem Prix Acier 2009 ausgezeichnet.

Gebaute Firmenphilosophie

Die Mainstreet als Hauptachse durch den Gebäudekomplex bietet eine Vielzahl an Galerien, Passerellen und Treppenanlagen zur Unterstützung der Kommunikation und der freien Zirkulation. Im Foyer empfängt den Besucher eine wandhohe Lichtinstallation namens «Layers of Life», die durch vorgelagerte Galerien mit transluzenten Böden unterstrichen wird. Diese Installation kombiniert und verdichtet die Elemente Wasser und Wachs mit einer Spiegelwand und Mulitmedia-Design. Symbolisiert wird damit die menschliche DNA. Blöcke aus natürlichem, gelben Bienenwachs sind, entsprechend der abstrahierten Form eines Gen-Codes, auf einer Gesamtfläche von rund 400 Quadratmetern angeordnet. Hinter dieser Wachswand bilden künstlicher Regen und eine Spiegelwand weitere Schichten, welche durch Unterbrüche in der Wachswand sichtbar und sinnlich erfahrbar werden.

Steeldoc, Mo., 2010.07.19



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steeldoc 2010/02 Innovative Bürobauten

04. Dezember 2009Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
Steeldoc

Lichter Baukasten

Zwischen den Bäumen eines Parks im Quartier de la Maladière von Neuenburg wirkt der Baukörper der neuen Schule fast wie eine Skulptur von Bernard Tschumi. Die tragende Gebäudehülle aus Stahl ist gleichzeitig eine erdbebensichere Struktur und ermöglicht grösste Gestaltungsfreiheit sowohl für die Fassade als auch im Innern.

Zwischen den Bäumen eines Parks im Quartier de la Maladière von Neuenburg wirkt der Baukörper der neuen Schule fast wie eine Skulptur von Bernard Tschumi. Die tragende Gebäudehülle aus Stahl ist gleichzeitig eine erdbebensichere Struktur und ermöglicht grösste Gestaltungsfreiheit sowohl für die Fassade als auch im Innern.

Das Quartier de la Maladière ist ein aufstrebendes Wohn- und Geschäftsviertel der Stadt Neuenburg. Die Lage des Schulhauses im Park eines ehemaligen Friedhofes ist exquisit. Das Volumen geht deshalb durch eine differenzierte kubische Komposition auf die Vorzüge der Umgebung ein. Einmal bietet es durch einen Rücksprung des Sockelgeschosses einen grosszügigen, gedeckten Vorplatz für den Eingangsbereich, während im Obergeschoss eine Terrasse mit Weitblick entsteht.

Das strenge Fassadenraster mit grosszügigen, quadratischen Öffnungen entspricht der tragenden Gebäudestruktur und bietet gleichzeitig den Rahmen für eine verspielte, farbige Flächengestaltung. Durch Stapelung der Räume über vier Geschosse bleibt viel von der Grundstücksfläche unverbaut. Dass diese Tragstruktur gleichzeitig auch beispielhaft punkto Erdbebensicherheit ist, zeichnete sich erst während des Planungsprozesses ab.

Erfrischend anders

Das klassische Raumprogramm für ein Schulgebäude wurde hier so spielerisch und abwechslungsreich wie möglich umgesetzt. Jedes Schulzimmer hat eine besondere Ausrichtung und Lichtatmosphäre. Untergeschoss und Erdgeschoss nehmen die Turn halle, den Kindergarten, den Mehrzwecksaal sowie die Wohnung des Abwarts auf. In den beiden Obergeschossen befinden sich die eigentlichen Räume der Primarschule. Die 12 Klassenzimmer sind, entsprechend der Ausformung des Baukörpers, in Längs- oder Querrichtung angeordnet – anders als dies typischerweise in Schulgebäuden anzutreffen ist. Je nach Lage werden sie von bis zu drei Fassaden umschlossen, durch deren quadratische Fenster viel Tageslicht in die Schulräume gelangt.

Das Fassadenbild wird durch das markante Raster der aussen bündigen Fenster gleicher Grösse sowie der sichtbaren Trennfugen zwischen den Fassadenpaneelen aus glasfaserverstärktem Kunststoff geprägt. Die Farbgestaltung der Paneele mit hellen Gelb- und Grüntönen variiert das Thema Rahmen.

Komplexes Raumgefüge

Im Prinzip ist die Tragstruktur ein Stahlskelett auf einer Betonwanne. Um die komplexe kubische Form des Volumens auszusteifen, wurden in jeder Fassadenebene Vierendeel-Rahmen aus massivem Stahlblech eingesetzt, welche über drei Geschosse reichen und zwei oder mehr Fensterachsen einfassen. Diese Rahmen mit steif verbundenen Ecken wirken wie Scheiben – damit sind diagonale Verbände sowohl in der Vertikalen wie auch in der Horizontalen überflüssig. Gleichzeitig nehmen diese Scheiben die Lasten der Auskragung auf. Dadurch kann auch das Innere vollkommen frei von aussteifenden Elementen gestaltet werden.

Die insgesamt fünf Fassadenscheiben bestehen aus biegesteif verbundenen Stahlblechteilen, die gelenkig auf die Betonwände des Untergeschosses gesetzt sind. Um eine hohe Qualität der Schweissnähte zu gewährleisten, wurden Teilstücke bereits in der Werkstatt vorgefertigt und auf der Baustelle zu ganzen Fassadenteilen zusammengeschraubt. Hilfskonstruktionen stützen die Rahmen bis zur endgültigen Aufrichtung. Danach erfolgt die Montage des übrigen Stahltragwerks aus Lochstegträgern und Profilstützen. Die in das Stahltragwerk eingebauten Verbunddecken bestehen aus Trapezblech mit Ortbeton.

Mit Stahl gegen Erdbeben

Die Erdbebensicherheit ist neben der freien Grundrisseinteilung ein weiterer Vorteil des gewählten Tragsystems. Ausschlaggebend dafür sind seine Leichtigkeit und die Fähigkeit, Schwingungen abzudämpfen. Dies kann durch die optimale Abstimmung der Steifigkeiten der tragenden Bauelemente erreicht werden. Die Stahlbauweise bietet aufgrund der günstigen physikalischen Eigenschaften, wie z.B. hohe plastische Verformbarkeit, generell entscheidende Vorteile gegenüber anderen Konstruktionen. Im vorliegenden Fall leiten die dreistöckigen Vierendeel-Rahmen die Schwingungen in beiden Richtungen über die Fassade ab. Die Verbindungen der Stahlrahmen selbst wurden steif ausgebildet, die Anschlüsse an die übrige Konstruktion halbsteif und die Auflagerpunkte der Stahlrahmen auf der Betonwand des Untergeschosses gelenkig. So ist die Tragstruktur zwar ausgesteift, aber insgesamt duktil.

Die Gebäudehülle ist hoch wärmegedämmt und erfüllt damit auch den Minergiestandard. Die weitgehend trockene Bauweise unter Verwendung von Profilen aus Recyclingstahl, die hohe Flexibilität in der Anordnung der Räume und die Möglichkeit, die Konstruktion am Ende des Lebenszyklus einfach zurückzubauen, sprechen für die Nachhaltigkeit dieses Gebäudes.

Steeldoc, Fr., 2009.12.04



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steeldoc 2009/03 Schule und Bildung

Haute Couture

In einem kleinen Waldstück mitten in der Stadt Genf steht diese federleichte Voliere, die sich in ihrer Struktur ganz den umstehenden Bäumen angleicht. Die aus Stahlrohr verschweissten Baumstützen folgen nur scheinbar einem natürlichen Wuchs – dahinter steckt ein raffiniertes Modell für die Optimierung des Tragsystems.

In einem kleinen Waldstück mitten in der Stadt Genf steht diese federleichte Voliere, die sich in ihrer Struktur ganz den umstehenden Bäumen angleicht. Die aus Stahlrohr verschweissten Baumstützen folgen nur scheinbar einem natürlichen Wuchs – dahinter steckt ein raffiniertes Modell für die Optimierung des Tragsystems.

Das kleine Waldstück «Bois de la Bâtie» liegt auf einem Hügel der Stadt Genf. 1874 als öffentlicher Park mit einem Teich und einer künstlich angelegten Insel eröffnet, wurden nun unter einem Dach zwei neue Vo lieren errichtet, um im Falle einer drohenden Vogelgrippe den über hundert Vögeln des Parks Schutz zu bieten. Auf verschlungenen Wegen nähern sich die Besucher dem leichten, netzumspannten Raum, der mit dem umgebenden Wald zu einer Einheit verschmolzen scheint. Dieser behutsame, fast unsichtbare Eingriff in die Natur, die Klarheit der Struktur sowie die materialoptimierte konstruktive Umsetzung würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Formfindung im Raumgitter

Das Dach entwickelt sich in freier Form und wird von Baumstützen getragen. Die Kontur dieses Daches folgt der Begrenzung durch die umstehenden Bäume und formt damit ebenfalls eine Art Baumkrone. Die insgesamt 16 Baumstützen scheinen natürlich gewachsen zu sein, gleicht doch kein «Baum» dem anderen. Sie sind jedoch durch ein streng modulares System definiert, welches den Aufwand für Fertigung und Montage reduziert. So folgt jeder «Baum» dem Rastermass des Raumgitters in Form eines stehenden Quaders mit einer Grundlänge von drei mal drei und einer Höhe von neun Metern. Dieses Raumgitter liefert die notwendigen Bezugspunkte für die Planung, Herstellung und Montage vor Ort.

Die Baumstützen wurden mit Rundrohren in verschiedenen Wandstärken ausgeführt – abhängig von den jeweils aufzunehmenden Kräften. Der gleichbleibende Durchmesser führt zu geometrisch bestimmten Verbindungen ohne hierarchische Ordnung und vermeidet dadurch komplexe Verschneidungen, so dass die konstruktive Umsetzung zügig und schlüssig möglich ist. Auch die Anschlusspunkte für Dach und Bodenplatte folgen diesem Raumgitter. So sind zwölf verschiedene Punkte für das Dach und vier für die Lastabtragung im Fundament möglich. Die Lage der Astgabeln, welche zugleich die unterschiedlichen Typen der «Bäume» bestimmen, folgt ebenfalls dem Raumgitter. Die horizontale Aussteifung des gesamten Gebäudes wird durch vier Baumstützen in V-Form gewährleistet, die systematisch verteilt zwischen den anderen zwölf angeordnet sind.

Das optimierte Stützenmodell

Die natürliche Schlichtheit dieser Baumstützen ist das Ergebnis eines ausgefeilten Entwicklungsprozesses: In Anlehnung an die Erkenntnisse von Antonio Gaudí diente in einer ersten Phase ein Modell mit hängenden Ketten zur Überprüfung des Systems. Ausgehend von einem realen Versuchsmodell wurde anschliessend mit Hilfe eines virtuellen Modells die Geometrie der baumartigen Stützen überprüft. Das virtuelle Modell wurde auch für die Untersuchung von Beanspruchungen herangezogen, welche auf die Tragstruktur einwirken können, wie Schnee, Wind oder Erdbeben.

Der digitale Prozess des Entwerfens lieferte die Grundlage für die dreidimensionalen Werkzeichnungen und für die Bearbeitung der Rohre mittels computergesteuerter Maschinen. Bei der Montage der Elemente in der Werkhalle und vor Ort kam das Raumgitter als Schablone erneut zum Einsatz. Handarbeit erforderte lediglich das Vernähen der Netzbahnen aus Edelstahl, welche als Hülle zwischen Dach und Bodenplatte gespannt wurden. Diese filigrane, fast unsichtbare Membran hüllt die in Grünund Weisstönen gestrichene Baumstruktur in eine Art Spinnengewebe, das wiederum den Bezug zur umgebenden Natur unterstützt.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10



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Happy landing

Wie eben erst gelandet, stützt sich das spektakuläre Einfamilienhaus am Steilhang des Genfer Sees ab. Die flugerprobte Bauherrschaft hat ihre Berufspassion auch in ihrem Wohnsitz umgesetzt: wie über eine Gangway steigt man seitlich in diesen schwebenden Wohnkörper aus Stahl und Glas ein und geniesst von hier einen unverbauten Blick aus der Höhe.

Wie eben erst gelandet, stützt sich das spektakuläre Einfamilienhaus am Steilhang des Genfer Sees ab. Die flugerprobte Bauherrschaft hat ihre Berufspassion auch in ihrem Wohnsitz umgesetzt: wie über eine Gangway steigt man seitlich in diesen schwebenden Wohnkörper aus Stahl und Glas ein und geniesst von hier einen unverbauten Blick aus der Höhe.

Nach einer zweijährigen berufsbedingten und privaten Reisezeit ohne festen Wohnsitz, suchten die Bauherren nach einem erschwinglichen und ansprechenden Domizil. Ein schmales Hanggrundstück mit Blick auf den Genfer See und die Alpen wurde als Bauplatz erworben mit der Auflage, dass lediglich ein geringer Teil des Terrains überbaut und das Haus nicht höher werden sollte, als die angrenzende Strasse. Angesichts dieser engen Vorgaben schlug das Architektenteam auf geständerten Quader aus Stahl und Glas. Diese schwebende Konstruktion lässt die Topographie praktisch unberührt und schafft so viel Freiraum für die Nutzung des Geländes als Garten.

Freie Grundrissnutzung

Die Räume mit ihren unterschiedlichen Nutzungen reihen sich im langgestreckten Baukörper nacheinander auf – dabei wechseln sich Nasszonen und Raumeinheiten ab. Die modulare Stahlstruktur definiert die Raumsequenzen. Die Küche in Kombination mit dem Esszimmer und der Wohnraum bilden den Abschluss zum See hin. Um Platz zu sparen, wurden Elemente wie Wandschränke, Cheminée sowie die Gebäudetechnik in die querliegenden Zwischenwände integriert. Mit Ausnahme der zum See gerichteten Stirnseite mit raumhohen Schiebefenstern sind alle Fenster festverglast. Für die erforderliche Luftzufuhr sorgen Klappen, die hinter den vertikalen Rahmen angeordnet sind.

Typologie Brücke

Die Box wurde wie eine Brücke als Vierendeel-Rahmentragwerk in vier Modulen konzipiert. Sie ist in Richtung Berg auf einer Betonwand und seeseitig auf zwei schlanken, schräggestellten Stützen aufgelagert. Die horizontale Steifigkeit in Querrichtung ist durch eine Blechverbunddecke in der Boden-Ebene und einen Dachverband unter dem Dachblech gewährleistet. Die Kräfte aus der Dachebene werden in der hinteren Stirnfassade durch einen Vertikalverband, im vorderen Bereich durch Rahmenwirkung in die Schrägstützen und weiter in die Fundamente geführt. Somit bleibt das Innere frei von Stützen oder tragenden Wänden und ermöglicht dadurch die optimale Ausnutzung des Grundrisses. Die Erschliessung erfolgt seitlich über eine hydraulische, einziehbare Treppe. Im Bereich der Böschungsmauer des Terrains steht ein Kellerraum zur Verfügung, der jedoch nur über eine Aussentreppe zugänglich ist.

Diese ungewöhnlich reduzierte und gleichzeitig raffinierte und sorgfältig detaillierte Lösung eines Wohnhauses in Brückenform würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10



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Stahlpilz

Im Spannungsfeld denkmalgeschützter Ensembles und Bauten aus den siebziger Jahren behauptet sich die neue Metallwerkstatt des Jugendkulturhauses Dynamo als eigenständiger Baukörper. Konstruktion und Verkleidung zeigen den Werkstoff und seine Verarbeitung präzise, unmittelbar und direkt.

Im Spannungsfeld denkmalgeschützter Ensembles und Bauten aus den siebziger Jahren behauptet sich die neue Metallwerkstatt des Jugendkulturhauses Dynamo als eigenständiger Baukörper. Konstruktion und Verkleidung zeigen den Werkstoff und seine Verarbeitung präzise, unmittelbar und direkt.

Im Zuge umfangreicher Sanierungsarbeiten wurde in unmittelbarer Nähe zur Limmat eine neue Arbeitsstätte für junge Menschen mit zusätzlichem Büro- und Lagerraum erstellt. Die gut eingerichtete Werkstatt bietet den Benutzern um fangreiches Werkzeug für die Bearbeitung von Metall wie Schweissen, Stanzen oder Plasmaschneiden. Während des ganzen Jahres werden hier zudem zahlreiche Kurse, Workshops und Ausstellungen angeboten.

Aufgrund der beengten Platzverhältnisse wurden diejenigen Räume, die einen Abschluss erfordern, wie etwa das beheizbare Büro sowie das Lager für Material und Werkzeug, in den Kern des Gebäudes verlegt, während die eigentliche Werkstatt im Freien liegt. Das auf allen Seiten auskragende Vordach bietet einen gedeckten und stützenfreien Arbeitsbereich, der das ganze Jahr über genutzt werden kann. Grossflächige Flügeltüren sind vollständig in die Fassade integriert und machen so gegen Aussen sichtbar, wann die Werkstatt in Betrieb ist. Bei Betriebsschluss werden alle Türen mechanisch verriegelt und schützen so die dahinterliegenden Räume vor Vandalismus und Einbruch. Der Büroraum ist autonom in die Stahlkonstruktion eingestellt und im Inneren an Boden, Wand und Decke vollflächig mit OSB Platten belegt. Zur Verbesserung der Belichtung sind im Bereich vor dem Büro drei längliche Oberlichter in das Dach eingeschnitten.

Wechselspiel

Auf einem trapezähnlichen Grundriss tragen in die Bodenplatte eingespannte Stützen aus Profilstahl einen weit auskragenden Dachrost in gleicher Form, jedoch mit fast doppelter Fläche. Diese Tragkonstruktion ist an Fassade, Dachuntersicht und Dachrand mit einem industriell gefertigten, tiefgezogenen Lochblech aus Stahl überzogen. Abhängig von Blickwinkel oder Tageszeit sorgt diese Hülle für reizvolle Wechsel in der Wahrnehmung der Fassade: so wirkt der Pavillon einmal verschlossen, ein anderes Mal gewährt er Einblicke in die dahinterliegenden Räume. Der grosse Dachüberstand unterstreicht mit seinen Schattenwürfen die Tiefe des Baukörpers. Im Sonnenlicht verwandelt sich die Fassade in einen gleissenden, geschlossenen Metallvorhang. Durch die Beleuchtung des Inneren erscheint der Pavillon bei Nacht jedoch leicht und transparent.

Anerkennung Prix Acier 2009

Für den wirtschaftlichen Umgang mit dem Material, die sorgfältige Detaillierung bis hin zur Beschriftung und das raffinierte Wechselspiel zwischen Einfachheit im Äusseren und Komplexität im Inneren wurde die Metallwerkstatt mit einer Anerkennung des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 gewürdigt.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10



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09. März 2009Evelyn C. Frisch
Johannes Herold
Steeldoc

Ohne Stahl kein Hochhaus

Der Schweizer Architekt Rolf Läuppi gilt als Pionier in der Entwicklung von Hochhäusern in Stahl. Was ihn besonders interessiert ist die Nachhaltigkeit von Bausystemen. In einem Gespräch mit dem Stahlbau Zentrum Schweiz antwortet er auf die Frage, weshalb in der Schweiz nicht häufiger in Stahl gebaut wird.

Der Schweizer Architekt Rolf Läuppi gilt als Pionier in der Entwicklung von Hochhäusern in Stahl. Was ihn besonders interessiert ist die Nachhaltigkeit von Bausystemen. In einem Gespräch mit dem Stahlbau Zentrum Schweiz antwortet er auf die Frage, weshalb in der Schweiz nicht häufiger in Stahl gebaut wird.

Stahlbau Zentrum Schweiz: Die aktuelle Hochhausdiskussion in der Schweiz widerspiegelt ein gesellschaftliches Bedürfnis. Sind Sie ein Verfechter von Hochhäusern für die Schweiz?

Rolf Läuppi: Hochhäuser sind in erster Linie Imageträger. Man baut Hochhäuser in eine Stadtlandschaft, um Akzente zu setzen und um Investoren eine Möglichkeit für ihre Corporate Identity zu bieten. Im Sinne einer Verdichtung mit Zentrumsfunktion sind hohe Häuser zwar sinnvoll, wie zum Beispiel in der City von Frankfurt, aber in Schweizer Städten verträgt es meiner Meinung nach keine wirklichen Wolkenkratzer. Ein Hochhaus muss in einer vernünftigen Relation zu der Umgebung stehen. Dies wiederum heisst, dass Hochhäuser in der Schweiz meist zu klein geraten.

Sie meinen, die Hochhäuser in der Schweiz müssten aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus eigentlich höher sein? Gibt es denn einen Break Even Point der Höhe?

Der Messeturm in Basel ist mit 120 Meter beispielsweise zu niedrig, um wirtschaftlich gut zu sein. Er sollte eigentlich 150 bis 200 Meter hoch sein. Es geht ja um die Gewinnung von Nutzfläche und da sind Faktoren wie die Anzahl der Kerne, die Ausbildung der Liftanlagen sowie die Erschliessung entscheidend. Bei einer Gebäudehöhe von 15 Geschossen müssen bereits alle Vorschriften für Hochhäuser erfüllt werden. Dies führt bei dieser Gebäudehöhe zu einem suboptimierten Kosten-Nutzen-Verhältnis. Bei etwa 50 Geschossen kann ein Optimum erreicht werden. Irgendwo bei 80 Geschossen hört die Wirtschaftlichkeit sowieso auf. Bei Rekord-Hochhäusern wie in Dubai spielt das aber alles keine Rolle. Dort steigt der Quadratmeterpreis mit zunehmender Höhe bis auf das Achtfache – und Investoren sind bereit, das zu bezahlen. Dort geht es eben um das Prestige, ganz oben zu sitzen.

Sie haben in Zürich mehrere grosse Überbauungen und Hochhäuser in Stahlbauweise vorgeschlagen. Wie erklären Sie sich, dass keines der geplanten Bauwerke in Stahl ausgeführt wurde?

Lassen Sie mich zuerst etwas Allgemeines zum Stahlbau sagen. Mit Stahl bauen fängt im Kopf an: die Fragestellungen sind klar zu formulieren, die Anforderungen an das Raumprogramm und die Abläufe im Gebäude zu strukturieren und alles ist in eine entsprechende Planung umzusetzen. Bauen mit Stahl verlangt Disziplin – dies betrifft auch den Bauherrn. Er muss die Vorteile des Stahlbaus und seine Gesetzmässigkeiten kennen. Es gibt Gebäude, die sich speziell für den Stahlbau eignen, z.B. jene, die den Gesetzmässigkeiten des Materials entsprechen und die sich einfach über ein Raster strukturieren lassen.

Was sind denn diese Gesetzmässigkeiten beim Stahlbau?

Die klare Trennung von Tragstruktur und Ins tallation zum Beispiel. Man sollte nie mit Lüftungen, Installationen etc. ins Tragsystem eingreifen, wie das meistens bei Betondecken gemacht wird. Auch das bedeutet Nachhaltigkeit! Was mache ich mit einem Be tonbau, bei welchem neben der Armierung auch noch die Leerrohre etc. eingelegt werden? Was geschieht damit beim Rückbau? Es muss mühsam und aufwendig getrennt werden, kostet Zeit und Energie und verursacht Emissionen durch Staub. Hinzu kommt der rasante Wandel bei der IT-Technik und der Elektroinstallation. Es ist nicht sinnvoll, die Leitungen fest zu verlegen, respektive in den Beton einzugiessen. Beim Stahlbau ist alles von vornherein bereits getrennt. Dies zeigt einmal mehr, wie effizient sich ein Gebäude über die Jahre nutzen lässt, wenn die dem Material immanenten Gesetzmässigkeiten eingehalten werden.

Hochhäuser würden sich also für die Stahlbauweise besonders eignen?

Ja klar. Für Stahl spricht zum Beispiel, dass zu jeder Jahreszeit gebaut werden kann, weil die Nachlaufzeiten für das Austrocknen wie bei der Betonbauweise weitgehend entfallen. Während oben das nächste Geschoss errichtet wird, kann im Erdgeschoss bereits mit der Montage von Fassaden begonnen werden. Zudem werden keine Gerüste benötigt, da die Fassadenelemente in die Stahlkonstruktion eingehängt werden. Diese Elemente können aufgrund der geringen Toleranzen im Stahlbau vorgefertigt und zum Termin der Montage angeliefert werden. So wies beispielsweise der Messeturm in Basel bei einer Höhe von 120 Meter lediglich eine Gesamtabweichung von 1 Millimeter pro Geschoss auf. Für die Fassade waren keine Justierschrauben notwendig.

Ihre eigenen Hochhausplanungen in Stahl konnten Sie nur im Mobimo-Tower in Zürich verwirklichen. Der Bau ist heute 8 Jahre alt. Wie beurteilen Sie das angewendete Bausystem aus heutiger Sicht?

Das Mobimo-Hochhaus ist immer noch beispielhaft. Es zeigt, dass man Minergie-Standards auch mit Stahl erreichen kann. Das ursprüngliche Hochhaus aus den 70er-Jahren war ja schon ein Stahlbau, weshalb sich die Aufstockung von 3 Geschossen in Stahl leicht umsetzen liess. Dem Gebäude wurde eine Doppelfassade als Energiegewinnungsanlage vorgehängt. Im Sommer dient diese Schicht als Klimaanlage. Vorbildlich war die Trennung von Tragwerk und Gebäudeinstallationen. Beim Mobimo-Tower haben wir einen klassischen Stahlbau mit Holorib-Decken. Alle Installationen wurden unten abgehängt. So konnte der gesamte technische Ausbau innert kürzester Frist ersetzt und aufgerüstet werden. Die Technikzentrale kam in den Keller und oben konnte man Nutzfläche gewinnen. Mit Stahl lassen sich Struktur und Installation klar trennen, was sich mittelfristig für den Bauherrn auszahlt.

Sie haben das Business Center Andreaspark in Zürich komplett in Stahl geplant. Ausgeführt wird es in Beton. Wieso?

Die Stahlvariante war etwas teurer. Diese Kosten wären durch die Vorteile der Stahlbauweise auf anderen Gebieten wieder wettgemacht worden. Nach dem Aufrichten der Stahlstruktur und der Montage der Slim-Floor-Decken hätten die Fassadenelemente lediglich eingehängt und der Doppelboden montiert werden können. Somit wäre das Gebäude innert kürzester Frist bezugsfertig gewesen! Das zeigt, wie kurzfristig man auch heute noch kalkuliert: es zählt einfach der Preis bei der Auftragsvergabe. Ich bin sicher, dass die Ausführung in Beton am Ende teurer zu stehen kam. Interessant wäre hier die Gegenüberstellung des Vorprojektes in Stahl mit der Ausführung in Beton. Vor allem auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit!

Stichwort Nachhaltigkeit. Sie gelten als Pionier des nachhaltigen Bauens. Wie weit sind wir heute damit?

Ich habe schon vor 20 Jahren nachhaltige Gebäude in Stahl entwickelt. Am Ende wurden alle Projekte in Beton ausgeführt, weil die Betondecke pro Quadratmeter etwas billiger war. Die Vorteile der Stahlbauweise sind ja nicht nur wirtschaftlich, sondern eben auch ökologisch von Bedeutung. Stahl ist ein Recyclingprodukt, die Bauweise ist leicht, flexibel, einfach demontierbar und äusserst materialoptimiert – beim Stahlbau kommen nur so viele Elemente auf die Baustelle, wie unmittelbar benötigt werden: keine Materialverschwendung! Weil beim Stahlbau vorausgedacht wird und man damit Planungs- und Fabrikations fehler, die teuer und ineffizient sind, vermeidet. Das zeigt sich auch im Unterhalt: die Konstruktion ist immer zugänglich und kontrollierbar.

Was braucht es, damit Investoren auch die ökologischen Vorteile des Stahlbaus nutzen?

Der Stahlbau war bis jetzt immer im Nachteil wegen der hohen Präzision, die er erfordert. Das bedeutet quasi eine Planungs-Investition, die keiner übernehmen will. Aber was uns in nächster Zeit beschäftigen wird, ist die Definition von standardisierten Bauteilen. Im Flugzeugbau ist es schon lange üblich, die Eigenschaften der Bauteile zu beschreiben, so dass jedes Element überall auf der Welt beschafft werden kann. Diese Situation werden wir auch im Bauwesen bekommen. In den skandinavischen Ländern und Amerika baut man bereits die ersten Gebäude nach diesem System. Das könnte der Durchbruch für den Stahlbau sein, weil man dann alles vorab definieren muss. Dabei wird auch eine ökologische Bewertung von Bauteilen verlangt, verbunden mit einer Deklaration woher die Produkte kommen, wie sie produziert werden, welches die Umweltauflagen sind.

Inwiefern ist das Zukunftsmusik für die Schweiz?

Ansätze dafür gibt es heute in der Schweiz mit dem Bauteilkatalog. Aber es fehlt eine Kontrollinstanz, die das fertige Objekt untersucht und bewertet. Das Ziel müsste ein Gebäudepass sein, z.B. müsste bei der Bauabnahme eine Thermographie geliefert und Bauschäden an der Aussenhaut bekannt gemacht werden. Ganz dringend muss der Energieverbrauch aufgeführt werden – auch bei einer Sanierung sollte der Passivhausstandard gefordert werden.

Energieeffizienz ist auch beim Hochhausbau ausschlaggebend. Gibt es den grünen Wolkenkratzer?

Das Business Center Andreas Park ist das erste als Passivhaus zertifizierte Hochhaus mit dezentraler Haustechnik und aktiver Kühlung. Bei der Simulation zeigte sich ganz klar, dass ein energieeffizientes Gebäude mit Erdsonden nicht schwer, sondern leicht gebaut sein sollte.

Ich würde mir heute zutrauen, einen grünen Wolkenkratzer in Stahl zu bauen.

Steeldoc, Mo., 2009.03.09



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