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12. März 2025Judith Eiblmayr
Spectrum

Der amerikanische Traum vom Leben in den Vororten ist zerstört

Der American Dream hat sich in vielen Bereichen zum Albtraum entwickelt. Nach der Suburbanisierung in den USA ist Wohnbau nun wieder ein Thema – da die menschenleeren Stadtzentren zu verslumen drohen.

Der American Dream hat sich in vielen Bereichen zum Albtraum entwickelt. Nach der Suburbanisierung in den USA ist Wohnbau nun wieder ein Thema – da die menschenleeren Stadtzentren zu verslumen drohen.

Die USA sind in eine gesellschaftliche Krise geraten, die teilweise als aussichtslos zu bezeichnen ist. Ohne auf die politischen Ungeheuerlichkeiten einzugehen, von welchen seit 21. Jänner 2025 täglich berichtet wird, ist evident, dass die Zerstörung gewachsener Strukturen in den USA vorangetrieben wird. Sei es im Staatsapparat, wo Beamte willkürlich entlassen werden, sei es in Nationalparks, wo nach Rohstoffen gebohrt werden soll. Es mag verwundern, mit welcher Vehemenz das Oval Office gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, doch war die US-amerikanische Geschichte immer wieder von Maßnahmen geprägt, die sich gegen das Gemeinwohl wandten, um kapitalistische Einzelinteressen durchzusetzen.

Ein Beispiel ist die Suburbanisierung der Städte, die von England ausgehend im 19. Jahrhundert in den USA mit Errichtung der Eisenbahn vorangetrieben wurde. Investoren beim Eisenbahnbau kauften rechtzeitig Grundstücke entlang der neuen Schienenstränge an und verwerteten diese, sobald die Zugverbindung zu den Vororten bestand.

Passendes Lebensmodell abseits der Großstadt

Bereits ab 1850 wurden von Developern standardisierte Häuser verkauft: mit Spekulationsgewinn und dem Werbeversprechen eines individuellen Lebensentwurfs. Individualisierung in der Architektur wurde durch ebenfalls standardisierte Dekorelemente an der Fassade erreicht. Systemimmanent war der Suburbia-Bewegung seit 1800, dass das Leben in der Stadt und das Aufwachsen von Kindern in einer Wohnung geächtet wurden und damit den Frauen das Leben im Häuschen abseits der Großstadt als passendes Lebensmodell empfohlen wurde.

In den 1920er-Jahren wurde erneut verstärkt in die Suburbs investiert, obwohl immer weniger US-Bürger sich ein eigenes Haus leisten konn­ten. Jenen, die bereit waren, sich in einen Kre­dit zu stürzen, versprach man unverblümt, dass in der Subdivision kein Haus an People of Color verkauft werden würde – rassistische Segregation gehörte zum Geschäft.

Die Gartenstadt setzte sich nicht durch

Zu dieser Zeit gab es allerdings auch eine vom englischen Gar­den Cities Movement geprägte, parallele Bewegung, die zur Stadterweiterung Gartenstädte mit eigenen Ortszentren propagierte. Um die Kos­ten für die Hauskäufer zu senken, wurde die Bauweise der Holzhäuser vereinfacht und die Vorfertigung entwickelt. Dass Gartenstadtidee und sozialer Wohnbau, wie er in den 1930er-Jahren durchaus staatlich verfolgt wurde, sich nicht durchsetzen konnten, war einer mächti­gen Gegenlobby geschuldet: Banken, Immobilien- und Baubranche fürchteten, dass ihnen durch staatliche Förderungen im Wohnbau der lukrative Eigenheimmarkt wegbrechen könnte.

1937 lieferte der Architekturkritiker Lewis Mum­ford (1895–1990) einen negativen Befund zum umgreifenden Suburbanisierungsgedan­ken in den USA und beschwor den sozialen Kern als essenzielles Element jeder wertigen Stadtplanung. Aber genau das Gegenteil wollte das offizielle Amerika, wo selbst Reihenhäuser als Wegbereiter des Sozialismus politisch verunglimpft wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Stadtplanung kein Thema, ganz im Gegenteil: Begleiteffekt der Suburbanisierung war das innerstädtische Demolieren ganzer Stadtteile, das euphemistisch als urban renewal bezeichnet wurde. Es war ein mutwilliges Zerstören gewachsener baulicher und sozialer Strukturen, um Stadtzentren von Wohnbauten frei zu machen und eine Spielwiese für Investoren zu schaffen. Die waren zufrieden, da ihnen mit öffentlichen Mitteln Brachland zur Verwertung hergestellt wurde.

Sozial benachteiligte Gruppen vertrieben

Die Bevölkerung wurde aus den Stadtzentren regelrecht vertrieben: Sozial benachteiligte Gruppen wie große Teile der afroamerikanischen Bevölkerung, die in ihren Wohnvierteln enge Communitys aufgebaut hatten, wurden in neu errichtete Wohnblocks in anderen Stadtteilen umgesiedelt; eine Maßnahme, die schwerwiegende soziale Probleme nach sich zog: „Urban renewal means Negro removal“, formulierte das der amerikanische Schriftsteller James Baldwin im Jahr 1963.

Mit dem Federal Housing Act 1949 wurde für den weißen Mittelstand das Prinzip der Suburbs verordnet, indem man eine staatliche Förderung von Darlehen zum Erwerb eines Hauses in der Subdivision einführte. Politisch gesteuert, wurde der Immobilienwirtschaft sowie der Auto- und Fertigteilhausindustrie der Markt gesichert. Developer schickten sich an, das Land hierfür aufzubereiten. „In den USA ist Immobilienspekulation ein Teil von allem, und sie ist unglaublich mächtig“, schildert die Historikerin Gail Radford in einem Interview. „Jeder Kongressbezirk hat seine Maklerverbände, Bauträger, die in Gruppen organisiert sind, auch auf nationaler Ebene, und Fabrikanten, die an Immobilien beteiligt sind. Das ist stark mit der Politik verwoben und dadurch kaum zu umgehen.“

Weit und breit keine Bahnlinie

Günstige Wohnungen in der Stadt waren abgeschafft worden, und die ideologische Belehrung wie vor 150 Jahren, es wäre unverantwortlich, Kinder in der Stadt großzuziehen, durfte auch nicht fehlen. Gut ausgebildete Frauen, die die Tätigkeiten der im Krieg verpflichteten Männer übernommen hatten, mussten die Arbeitsplätze den männlichen Heimkehrern überlassen. Kindererziehung und Haushaltsführung an den Stadträndern wurden für sie zum staatlich verordneten Lebensmodell. 20 Millionen Frauen, die eben noch einer Berufstätigkeit nachgegangen waren, bekamen einen Entlassungsbrief mit der Empfehlung, sich einen Ernährer zu suchen.

Und so zog die weiße Mittelschicht wohl oder übel ins vorgefertigte Häuschen in der neu errichteten Suburb, wo weit und breit keine Bahnlinie und auch kein Geschäft mehr zu finden war. Begleiteffekt war, dass sie mit einer Hypothek belastet in eine lebenslange wirtschaftliche Verpflichtung gebracht wurden, um die Rückzahlung der Darlehen leisten zu können. Mit zusätzlich aufgenommenen Krediten wurden ein Auto und ein Fernseher angeschafft, über deren Schirme flächendeckend die Botschaft propagiert wurde: „This is the American Dream!“ Was sollte daran falsch sein? Logischerweise folgte 1956 der Federal Highway Act, der die Errichtung des Autobahnnetzes für die gesamten USA beschloss. Bei gleichzeitiger Stilllegung des Schienennetzes bedeutete dies eine weitere systematische Zerstörung funktionierender Infrastruktur und einen massiven Eingriff ins Gemeinwesen der USA: Nicht jeder konnte sich ein Auto leisten.

Seit den 1950er-Jahren wurde die Suburbanisierung konsequent weiterverfolgt; erst seit zehn Jahren ist Wohnbau wieder ein Thema, da die menschenleeren Stadtzentren zu verslumen drohen. Die Häu­ser in den Suburbs haben sich zu teils formal grotesken „MacMansions“ ausgewachsen, bei denen Garage und Dachgiebel zum architektonisch bestimmen­den Element wurden. Ein manieristisches Lebensmodell, das sich die junge Generation kaum mehr leisten kann und dadurch an seine Grenzen stößt. Der American Dream hat sich in vielen Bereichen zum Albtraum entwickelt. Weitere Gewaltakte, wie man sie zurzeit in den USA beobachten kann, werden wohl kein Gegenmittel sein.

Spectrum, Mi., 2025.03.12

29. Juni 2023Judith Eiblmayr
Spectrum

Villa am Attersee: Klimt hinter Gittern

Über Jahrzehnte hieß es „Wandeln auf den Spuren Gustav Klimts“ in der Allee des Schlosses Kammer am Attersee, doch damit ist Schluss: Betreten ist seit Herbst verboten. Hat das Land Oberösterreich kein Interesse daran, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren?

Über Jahrzehnte hieß es „Wandeln auf den Spuren Gustav Klimts“ in der Allee des Schlosses Kammer am Attersee, doch damit ist Schluss: Betreten ist seit Herbst verboten. Hat das Land Oberösterreich kein Interesse daran, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren?

Der Attersee findet immer wieder Erwähnung, wenn es um den anhaltenden von Investorengeld befeuerten Bauboom geht, der die letzten freien Platzerln verbaut – je näher dem Gefilde, umso begehrter. Bauliches Prunkstück ist seit jeher das Schloss Kammer am nördlichen Ende des Attersees, ein seit 1165 bestehender, ursprünglich als Burg auf einer Insel gelegener Bau, der später durch Aufschüttung ans Festland „angedockt“ wurde. 1710 durch den Linzer Barockbaumeister Johann Michael Prunner zu einer prunkvollen Schlossanlage mit weitläufigem Park ausgebaut, verfügte diese über eine geschlossene Bebauung zur Straße hin, die speziell durch einen runden „Vorhof“ mit Torbögen als Durchfahrt imponierte. Hier lagen Stallungen und Remise, wie auf dem Plan von 1878 des Seebades Kammer ersichtlich, das die Schlossherrschaft etablieren wollte. Als übliches repräsentatives Element zwischen Vorhof und Schlosshof war den Park querend eine Lindenallee gepflanzt worden, die 200 Jahre später in die Kunstgeschichte eingehen sollte: Gustav Klimt hielt 1912 die Allee vor Schloss Kammer in Öl auf Leinwand fest, eines jener quadratischen Werke, die er während seiner Attersee-Aufenthalte zwischen 1900 und 1916 gemalt hat, und von denen sich so manches vielversprechende Stück in der Sammlung des Belvedere befindet.

„Klimt-Allee“ ist nicht mehr frei zugänglich

Der Klimt-Experte Alfred Weidinger attestiert dem Bild besondere Bedeutung, da es einerseits technisch von Klimts Beschäftigung mit dem Werk van Goghs zeugt, andrerseits durch die Darstellung der bildfüllenden Baumkronen mit der gelben Schlossfassade im Hintergrund unsere Erinnerungskultur bereichert hat. „Die Szenerie präsentiert sich heute noch weitgehend unverändert“, steht auf einer Stele des Klimt-Themenweges. Seit September 2022 präsentiert sich die „Klimt-Allee“ unverändert, ist aber nicht mehr frei zugänglich.

Ein Schockmoment, wenn sich an der Wegkreuzung von Parkpromenade und Allee plötzlich ein Einfahrtstor aufpflanzt und beidseitig ein simpler Gartenzaun das Feld der Herrschaft absteckt. Ein Blick nach links zeigt, dass ein Teil der Esplanade eingezäunt und so entlang des Atterseeufers kein Durchkommen in den Park mehr gegeben ist. Die Promenade wurde auf 1,5 Meter Breite zusammengeschrumpft, ein Flaschenhals im Wegenetz der Parkanlage von Kammer-Schörfling, der der Frequenz dieses Ortes spottet. Spaziergänger:innen, Fahrradfahrer und Läuferinnen werden mit der Schmalspur-Promenade ein Auskommen finden müssen – absurd, bedenkt man, dass es jahrhundertelang selbstverständlich war, sich in der Allee und der Wiese zum Wasser hin frei zu bewegen. Leider ist dies noch nicht alles, denn rechts des von Speerspitzen gesäumten, schmiedeeisernen Gartentors gibt es eine völlig neue Perspektive: Statt des verwilderten Parks steht nun ein Garagenbauwerk in Form einer überdimensionierten Scheune, euphemistisch als Remise bezeichnet. Wie konnte das passieren? Warum entzieht eine Industriellenfamilie, deren Schloss auf der Halbinsel an zwei Seiten über große Privatgärten verfügt, der Allgemeinheit Grünraum? In Zeiten der Klimaerwärmung wird ein Platz am Wasser eingezäunt und bebaut – warum lassen Entscheidungsträger im öffentlichen Interesse das zu? Die Umstände sind rasch recherchiert: Die Familie Max-Theurer, seit ca. 30 Jahren Eigentümerin der Schlossanlage Kammer, wollte ihren Grund reprivatisieren und den Pachtvertrag mit der Gemeinde Schörfling nicht verlängern. Es gab angeblich guten Grund dazu, weil die Pächterin verabsäumt hatte, ihrer Pflicht nachzukommen: Pflege der Grünanlage, Instandhaltung der Ufermauer, nächtliche Überwachung des Parks. Bürgermeister Gerhard Gründl meint hingegen, da könne man leider nichts machen, wenn die Besitzer nicht mehr verpachten wollen. Auf die Frage, wie ein fünf Meter hoher Garagenneubau in der Uferschutzzone des Attersees baubehördlich möglich sei, antwortet er: „Der Naturschutz hat‘s bewilligt! Es ist Privatgrund, und es besteht kein öffentliches Interesse an dem Park.“

Rein theoretisch könne der Park verbaut werden

Solch eine Aussage macht hellhörig: Selbst das Land Oberösterreich hätte übergeordnet kein Interesse, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren? Wenn man gleichzeitig „Auf den Spuren Gustav Klimts“ als Teaser des Attersee-Tourismus liest? Die Aussagen der Behörden sind ernüchternd: Die Raumordnungsabteilung hat die Widmung wohl genehmigt. Die Kulturabteilung als Kulturförderungsinstitution wisse nichts vom Zaun und habe keine Handhabe, diesen zu verhindern. Das Bundesdenkmalamt kann nichts tun, denn nur das Schloss stehe unter Schutz, nicht jedoch der Park als „historischer Garten“. Die Aussage der Naturschutzbehörde ist desillusionierend: Das Gesetz sei in den vergangenen zehn Jahren aufgeweicht worden, man könne nicht mehr richtig dagegenhalten, und der Zaun sei nicht genehmigungspflichtig. Zudem liege der Schlosspark im Bereich der neuen „Attersee-Seeufer-Ausnahmeverordnung“, und rein theoretisch könne der Park verbaut werden.

Das ergibt mögliche Verwertungsszenarien: nette Chalets mit dem Château in Sichtweite, die Garage steht schon da; oder Glamping in der Jurte im Schatten der Alleebäume – das Aufnahmegebäude wäre leicht zu finden. Tatsache ist jedenfalls, dass die Exklusivität der Klimt-Allee hinter Gittern dem bislang verpachteten, daher kapitalistisch betrachtet wertlosen Parkgrundstück einen Wertzuwachs beschert. Das Gemeinwohl, eines der sechs Grundprinzipien der europäischen Staatslehre, hat offenbar wie das Subsidiaritätsprinzip des EU-Vertrages als gesellschaftspolitische Zielsetzung vielfach bei der Gestaltung und pfleglichen Weiterentwicklung des Lebensraums (Raumordnung, Städtebau, Seeuferschutz etc.) an Zugkraft verloren. Ein klarer Befund, denn es war die Gemeinde Schörfling, die es verabsäumte, den Pachtvertrag zu verlängern und die Erinnerungskultur in situ aufrechtzuerhalten. Und so wurde ohne politische Gegenwehr ein Park am Wasser der Öffentlichkeit entzogen – die Allee vor Schloss Kammer können Erholungsuchende nur mehr grau in grau malen.

Spectrum, Do., 2023.06.29

14. Oktober 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Kino in der Vorstadt: Als die Filme noch stumm waren

Seit 1909 ist dieses Kleinod relativ unverändert geblieben: die Breitenseer Lichtspiele. Die Zeiten für die Betreiber waren oft stürmisch – dank stilsicherer Adaptierung und Sanierung sieht die Zukunft des kleinen Kinos aber ganz gut aus.

Seit 1909 ist dieses Kleinod relativ unverändert geblieben: die Breitenseer Lichtspiele. Die Zeiten für die Betreiber waren oft stürmisch – dank stilsicherer Adaptierung und Sanierung sieht die Zukunft des kleinen Kinos aber ganz gut aus.

Die Zeit des großen Kinosterbens wird mit den 1960er-Jahren assoziiert, als der Fernseher in den Haushalten Einzug hielt. Die Sendungen konnten bequem auf dem Sofa konsumiert werden, gleichzeitig galt das TV-Gerät als Statussymbol, das benutzt werden wollte. Zahlreiche Kinos verloren ihr Publikum, wurden zugesperrt und die großen Räume zu Supermärkten oder Lagerräumen umfunktioniert. Bis in die 1980er-Jahre hielt die negative Stimmung gegenüber den Kinos an, obwohl diese durch Verkleinerung der Säle und Etablierung von Programmkinos Cineasten ansprachen oder jene Zuschauer, die Fernsehen als spießig empfanden.

Ende der 1990er-Jahre setzte eine neue Entwicklung ein, die eine weitere Existenzgefahr für die innerstädtischen Kinos bedeutete, als am Stadtrand Kinocenter entstanden: mit extrabreiten Leinwänden und extrabequemen Polstersesseln – eine Form der „Eventarchitektur“, die Kino und leichtgängige Kulinarik plus Garagenparkplatz anbot, um in entlegenen Gegenden Kunden zu gewinnen. Einige dieser Kinocenter haben überlebt, andere wurden umgewidmet oder abgerissen, den Kinos im urbanen Bereich konnten sie jedoch nicht den Garaus machen. Eines der stimmungsvollsten dieser Art ist zugleich das älteste erhaltene Lichtspieltheater von Wien: die Breitenseer Lichtspiele, ein Kleinod der Filmszene, das seit 1909 relativ unverändert geblieben ist.

Das Angerdorf Breitensee hatte zwischen 1835 und 1890, dem Jahr der Eingemeindung nach Wien, eine wahre Bevölkerungsexplosion erfahren, als über die Wiener Vororte ein Raster gelegt wurde, um möglichst effizient Wohnbauten zu errichten. Eine übliche Zwischennutzung der Bauplätze erfolgte in Form von Wanderkinos, um den Arbeiterfamilien mit dem neuen Medium Film Zerstreuung anzubieten.

Unverändert bis aufs Tapetenmuster

Solch ein „Kinematographen-Theater“ im Zelt wurde ab 1905 auch in Breitensee aufgestellt. Als das Wohnhaus an der Breitenseer Straße 21 fertiggestellt war, zogen die Kinobetreiber dort ein, mieteten kurzerhand das Erdgeschoß dazu und eröffneten 1909 das nun ummauerte Breitenseer Kino. Seither wurde mehrmals die Sitzplatzzahl erhöht, denn das Kino konnte sich etablieren, in und nach den zwei Weltkriegen gehalten und kontinuierlich adaptiert werden. Historische Fotos belegen, dass der 20 Meter lange und nur knapp fünf Meter breite Kinosaal bis auf das Tapetenmuster unverändert ist, fünf Lagen Tapete seien übereinandergeschichtet gewesen, berichten die jetzigen Kinobetreiber Christina Nitsch-Fitz und Dieter Mattersdorfer. Der Eingangsbereich mit historischer Kassakoje, kleiner Verkaufsbudel und Theke mit Barhockern ist ebenso minimalistisch in der Dimensionierung wie der daran anschließende kleine Raum, um an einem der drei Tischchen den Kinoabend ausklingen zu lassen. Wahrscheinlich hat gerade die Kleinheit der Räumlichkeiten dem Kino das Überleben gesichert, denn von Miete bis Heizung blieben die Kosten so schmal und niedrig wie der Raum selbst. Das wahre Geheimnis ist aber, dass dieses Kino seit 1969 in Familienbesitz ist, denn damals erwarb die Mathematikerin Anna Nitsch-Fitz die Breitenseer Lichtspiele. Ihre Großmutter war Inhaberin des Nussdorfer Kinos gewesen; nach deren Tod hatte es ihr Vater, ein Arzt, bis zum Verkauf weitergeführt. Anna Nitsch-Fitz wollte auf die innerfamiliäre Tradition nicht verzichten und neben ihrem Beruf als Gymnasiallehrerin Kinobetreiberin werden – aus Liebhaberei, denn sie kaufte zu einer Zeit, da das Kino eben bereits totgesagt wurde.

Im Lauf der Jahrzehnte wurde saniert, reaktiviert und investiert, alles dezent und in überschaubarem Rahmen, denn Profilierung über das Design war nicht notwendig. In dem halben Jahrhundert wurde großes Kino auf kleinstem Raum geboten, aber das tat dem Ruf als „ältestem Kino von Wien“ keinen Abbruch. Frau Nitsch-Fitz in ihrem Kino war eine Institution und nicht nur im Westen von Wien bekannt.

Mittel gegen die Abwanderung

Auch in Eggenburg existiert seit über einem Jahrhundert ein „Lichtspielhaus“. Dieses wurde von Clemens Holzmeister geplant, sein zweites gebautes Werk. Im Gegensatz zum Kino von 1909 im Penzinger Wohnviertel wurde 1914 im Waldviertel ein frei stehendes Kinogebäude errichtet, das mit seinem hohen Walmdach an ein bürgerliches Wohnhaus der Jahrhundertwende gemahnt. Typologisch war dies ein Verweis auf die Heimatschutzbewegung – kein Zufall, denn der junge Holzmeister war über den Verein „Deutsche Heimat“, für deren Bauberatungsstelle er als Architekt tätig war, zu diesem Auftrag gekommen. Holzmeister habe das Bauwerk mit klassizistischen Details an der Eingangsfassade später als „Jugendsünde“ abgetan, wobei dies der erste seiner Theaterbauten war, für die er später berühmt werden sollte. Kubatur und imposante Formensprache dieses Kinos sind erstaunlich für ein Bauprojekt zu Beginn des Ersten Weltkriegs, offensichtlich setzte man politisch auf den Film als starkes Medium, um im Sinne der Heimatschutzbewegung die Landbevölkerung von der Abwanderung abzuhalten. Erstaunlich ist aber auch, dass dieses Gebäude unverändert in Eggenburg steht – zwar als Lager für Archivalien des Krahuletz-Museums genutzt wird, aber theoretisch als Kino- oder Theaterraum eine Zukunft haben könnte.

So wie die Breitenseer Lichtspiele eine Zukunft haben – da die mittlerweile verstorbene Besitzerin rechtzeitig ihre Nichte Christina Nitsch-Fitz für das Kino begeistern konnte, die nun gemeinsam mit Mattersdorfer den Betrieb fortführt. Die beiden setzen auf modernisierte Projektions- und Tontechnik, spannende Programmierung und eine stilsichere Sanierung, Eventarchitektur braucht es hier keine. Wenn die Holzklappstühle eine gepolsterte Sitzauflage und die Türen einen petrolfarbenen Anstrich erhalten, ist dies ein wohltuend dezentes Kino-Ambiente, in dem die beschriebene Tradition mitschwingt: das erweiterte Wohnzimmer einer filmbegeisterten Familie.

Spectrum, Fr., 2022.10.14

04. Oktober 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Schloss Lengenfeld: Das Fest ist vorbei

Nahe Krems liegt das Schloss Lengenfeld, wo einst regelmäßig Kunst und Kultur gefeiert wurden. Die Letztbesitzer vermachten es dem Land Niederösterreich, das jedoch nicht deren Wunsch entsprach, es weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Jüngst wurde es verkauft – und was passiert nun?

Nahe Krems liegt das Schloss Lengenfeld, wo einst regelmäßig Kunst und Kultur gefeiert wurden. Die Letztbesitzer vermachten es dem Land Niederösterreich, das jedoch nicht deren Wunsch entsprach, es weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Jüngst wurde es verkauft – und was passiert nun?

Der Sommerausklang ist die ideale Zeit, um die Gegend rund um Wien zu durchstreifen. Nicht mehr zu heiß, aber bei prächtigem Wetter fährt, wandert oder läuft man umher und landet unvermutet an einem Ort, der an die Kindheit erinnert. Nördlich von Krems und östlich von Langenlois liegt Lengenfeld, und mittendrin, direkt an der Hauptstraße, verfügt das lang gestreckte Straßendorf über ein Renaissanceschloss. Die zufällige Begegnung mit den zwei in den Straßenraum ragenden runden Wehrtürmchen mit „Hexenhutdach“ weckt die Reminiszenz an Festivitäten in den 1970er-Jahren, zu denen die Eltern eingeladen und auch Kinder willkommen waren. Wie oft waren wir dort, zwei-, dreimal? So genau weiß ich es nicht mehr, aber dass es rauschende Feste waren, die das Künstlerehepaar Christa Hauer und Johann Fruhmann veranstalteten, ist mir erinnerlich.

Ein Blick über den Zaun offenbart, dass sich hier nicht wie früher im „Freilichtzoo“ Katzen, Esel und Pfaue, sondern nun eher wilde Tiere vergnügen; ungestört von zivilisatorischen Eingriffen, liegt der Garten brach mit seinen satt grünen, üppigen Wiesen zu beiden Seiten des Lengenfelder Baches, der parallel zum Schloss das Grundstück quert. Was dem Naturgarten guttut, ist der Bausubstanz weniger zuträglich, und so verwundert es nicht, dass die Fassaden der Anlage etwas mitgenommen aussehen. Allerdings verleiht Fruhmanns Sgraffito aus dem Jahr 1974 an zwei Seiten dem Gebäude eine speziell würdevolle Patina.

Das Gebäude über quadratischem Grundriss ist an allen vier Seiten geschlossen und hat einen Innenhof mit Arkaden im Erdgeschoß und einen Laubengang im Obergeschoß. Flankiert wird es von den vier Rundtürmen mit spitzem Kegeldach, die ungewöhnlich, weil niedriger als das Schloss und mit diesem nicht verbunden sind, da die Ringmauer im 19. Jahrhundert abgetragen wurde. Sie wirken als historische Wehrtürme ungeeignet, durch ihre „Putzigkeit“ jedoch umso charmanter. Und à propos Putz, der blättert ab: sowohl von den Türmchen als auch vom Gebäude.

Sammlung öffentlich zugänglich

Das Anwesen steht eindeutig leer. So beginne ich zu recherchieren und werde im Grundbuchauszug vom Juli 2022 fündig: Das Land Niederösterreich ist als alleiniger Eigentümer eingetragen, und noch davor ist vermerkt: „Die Erhaltung des Schlosses Lengenfeld ist im öffentlichen Interesse gelegen.“ 1994 trat Christa Hauer-Fruhmann – ihr Mann war 1985 verstorben – als Geschenkgeberin auf den Plan. In einem Notariatsakt, der im Grundbuch und somit öffentlich aufliegt, steht, dass sie vom Land eine Leibrente erhält und „nach ihrem Ableben sich das Land Niederösterreich verpflichtet, das Schloß Lengenfeld fachkundig zu verwalten. Lengenfeld soll als Lebensort der Künstler- und Sammlerfamilie Hauer-Fruhmann präsentiert werden, die vorhandene Sammlung muß öffentlich zugänglich sein und die im Schloß traditionelle Festkultur ist durch mehrere Veranstaltungen jährlich fortzusetzen.“ Die 130 Kunstwerke sind in einer lapidaren Auflistung ebenfalls im Grundbuch angeführt, von A wie „Anonym, stehende Madonna, 2. Hälfte 14. Jh.“ über „Dürer Nachfolge“, Egger Lienz, Jungwirth, Lassnig, Prantl, Rainer, Schiele bis Z wie Zülow – eine Sammlung, die größtenteils auf Christas Großvater, den Kunstsammler Franz Hauer (1867–1914), zurückgeht. Dieser stammte aus Weißenkirchen und war Besitzer des Griechenbeisls am Wiener Fleischmarkt; sein Sohn war der Maler Leopold Hauer und der Christas Vater. Bestärkt durch ihn und ihre Mutter, Sophie Helling, studierte Christa Hauer, 1925 geboren, Kunst und lebte von 1953 bis 1960 in den USA. Nach ihrer Rückkehr nach Wien erwarb sie 1970 Schloss Lengenfeld und machte es mit Hans Fruhmann zu einem Ort, der nicht dem persönlichen Eskapismus dienen sollte, „sondern sie begründeten ein Strahlungszentrum, dessen Besonderheit sich in einer in der Großstadt kaum zu schaffenden Verbindung von Privatheit und Öffentlichkeit, von Stadt und Land manifestiert“, wie Dieter Bogner im Vorwort der Publikation „1990 – 20 Jahre Lengenfeld“ schrieb. Und weiter: „Dort ist Theoretisieren über Kunst ebenso zu Hause wie das Feiern von Kunst und die Kunst des Feierns.“ Wesentlich war auch ihre Vorreiterrolle punkto Ökologie und Ortsbildschutz, die Hauer und Fruhmann u. a. um den Erhalt einer historischen Brücke in Langenlois kämpfen ließ. Dies alles ist erwähnt, um die Historie der kunstaffinen, weltoffenen und umweltbewussten Familie mit Wachauer Wurzeln zu verdeutlichen. Als Christa Hauer 2013 kinderlos starb, wurde das Land Niederösterreich durch die „Schenkung auf den Todesfall“ in die juristische und moralische Verantwortung genommen, die Erhaltung des Schlosses zu sichern.

Verkauft auf dem „Schlössermarkt“

Man ging ambitioniert an die Sache heran und schrieb 2015 einen Wettbewerb aus, den ein Projekt mit einem „behutsam strukturierten Konzept“ gewann, wie der Juryvorsitzende Andreas Vass meint. Der Genius Loci sollte konzeptionell gestärkt werden und die jahrhundertealte Historie der denkmalgeschützten Anlage mit Hauptgebäude, Türmchen und Garten ebenso ablesbar sein wie die Intentionen des Künstlerpaars Hauer-Fruhmann. Dieses planerische Konzept mit programmatischem Überbau wurde beauftragt. In einer umfassenden bauanalytischen Diplomarbeit an der TU Wien zu Schloss Lengenfeld, verfasst 2018 von Benjamin Türk, wurde der Architekt in einem Interview zitiert, dass er sich auf die Umsetzung des Projektes freue. Es kam anders, denn die Eigentümervertreter bekamen wohl kalte Füße beim Gedanken an die Baukosten zur Trockenlegung des Schlosses am Bach.

Das Schloss landete ganz unsentimental auf „Willhaben“ und fand auf dem „vitalen Schlössermarkt“ („Der Standard“, 10. 9.) jüngst einen Käufer. Den Namen des Investors darf Hermann Dikowitsch, Leiter der NÖ-Kulturabteilung, nicht preisgeben, da noch Verhandlungen zu führen sind, um einen Modus für die Nutzung zu finden, denn „die öffentliche Zugänglichkeit müsse bleiben“. Hier tun sich im oben aus dem Grundbuch zitierten öffentlichen Interesse zwei Fragen auf: Lässt der Notariatsakt den Verkauf an einen Investor zu, und wenn ja, wofür werden die Einnahmen verwendet? Salopp gesprochen: Wer kassiert – und wie viel? Wird hier vermachtes öffentliches Gut der Allgemeinheit entzogen oder durch gezieltes Investment im Sinne Hauer-Fruhmanns bewahrt?

„WIR KOMMEN VON ZU VIEL HER. WIR BEWEGEN UNS AUF ZU WENIG WEITER“: ein Aphorismus, der unter anderem vom Künstlerpaar an die Wand im Arkadengang des Innenhofes appliziert wurde und noch immer lesbar ist. Hoffentlich ist dies kein Sinnspruch für das weitere Schicksal von Schloss Lengenfeld.

Spectrum, Di., 2022.10.04

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12. März 2025Judith Eiblmayr
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Der amerikanische Traum vom Leben in den Vororten ist zerstört

Der American Dream hat sich in vielen Bereichen zum Albtraum entwickelt. Nach der Suburbanisierung in den USA ist Wohnbau nun wieder ein Thema – da die menschenleeren Stadtzentren zu verslumen drohen.

Der American Dream hat sich in vielen Bereichen zum Albtraum entwickelt. Nach der Suburbanisierung in den USA ist Wohnbau nun wieder ein Thema – da die menschenleeren Stadtzentren zu verslumen drohen.

Die USA sind in eine gesellschaftliche Krise geraten, die teilweise als aussichtslos zu bezeichnen ist. Ohne auf die politischen Ungeheuerlichkeiten einzugehen, von welchen seit 21. Jänner 2025 täglich berichtet wird, ist evident, dass die Zerstörung gewachsener Strukturen in den USA vorangetrieben wird. Sei es im Staatsapparat, wo Beamte willkürlich entlassen werden, sei es in Nationalparks, wo nach Rohstoffen gebohrt werden soll. Es mag verwundern, mit welcher Vehemenz das Oval Office gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, doch war die US-amerikanische Geschichte immer wieder von Maßnahmen geprägt, die sich gegen das Gemeinwohl wandten, um kapitalistische Einzelinteressen durchzusetzen.

Ein Beispiel ist die Suburbanisierung der Städte, die von England ausgehend im 19. Jahrhundert in den USA mit Errichtung der Eisenbahn vorangetrieben wurde. Investoren beim Eisenbahnbau kauften rechtzeitig Grundstücke entlang der neuen Schienenstränge an und verwerteten diese, sobald die Zugverbindung zu den Vororten bestand.

Passendes Lebensmodell abseits der Großstadt

Bereits ab 1850 wurden von Developern standardisierte Häuser verkauft: mit Spekulationsgewinn und dem Werbeversprechen eines individuellen Lebensentwurfs. Individualisierung in der Architektur wurde durch ebenfalls standardisierte Dekorelemente an der Fassade erreicht. Systemimmanent war der Suburbia-Bewegung seit 1800, dass das Leben in der Stadt und das Aufwachsen von Kindern in einer Wohnung geächtet wurden und damit den Frauen das Leben im Häuschen abseits der Großstadt als passendes Lebensmodell empfohlen wurde.

In den 1920er-Jahren wurde erneut verstärkt in die Suburbs investiert, obwohl immer weniger US-Bürger sich ein eigenes Haus leisten konn­ten. Jenen, die bereit waren, sich in einen Kre­dit zu stürzen, versprach man unverblümt, dass in der Subdivision kein Haus an People of Color verkauft werden würde – rassistische Segregation gehörte zum Geschäft.

Die Gartenstadt setzte sich nicht durch

Zu dieser Zeit gab es allerdings auch eine vom englischen Gar­den Cities Movement geprägte, parallele Bewegung, die zur Stadterweiterung Gartenstädte mit eigenen Ortszentren propagierte. Um die Kos­ten für die Hauskäufer zu senken, wurde die Bauweise der Holzhäuser vereinfacht und die Vorfertigung entwickelt. Dass Gartenstadtidee und sozialer Wohnbau, wie er in den 1930er-Jahren durchaus staatlich verfolgt wurde, sich nicht durchsetzen konnten, war einer mächti­gen Gegenlobby geschuldet: Banken, Immobilien- und Baubranche fürchteten, dass ihnen durch staatliche Förderungen im Wohnbau der lukrative Eigenheimmarkt wegbrechen könnte.

1937 lieferte der Architekturkritiker Lewis Mum­ford (1895–1990) einen negativen Befund zum umgreifenden Suburbanisierungsgedan­ken in den USA und beschwor den sozialen Kern als essenzielles Element jeder wertigen Stadtplanung. Aber genau das Gegenteil wollte das offizielle Amerika, wo selbst Reihenhäuser als Wegbereiter des Sozialismus politisch verunglimpft wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Stadtplanung kein Thema, ganz im Gegenteil: Begleiteffekt der Suburbanisierung war das innerstädtische Demolieren ganzer Stadtteile, das euphemistisch als urban renewal bezeichnet wurde. Es war ein mutwilliges Zerstören gewachsener baulicher und sozialer Strukturen, um Stadtzentren von Wohnbauten frei zu machen und eine Spielwiese für Investoren zu schaffen. Die waren zufrieden, da ihnen mit öffentlichen Mitteln Brachland zur Verwertung hergestellt wurde.

Sozial benachteiligte Gruppen vertrieben

Die Bevölkerung wurde aus den Stadtzentren regelrecht vertrieben: Sozial benachteiligte Gruppen wie große Teile der afroamerikanischen Bevölkerung, die in ihren Wohnvierteln enge Communitys aufgebaut hatten, wurden in neu errichtete Wohnblocks in anderen Stadtteilen umgesiedelt; eine Maßnahme, die schwerwiegende soziale Probleme nach sich zog: „Urban renewal means Negro removal“, formulierte das der amerikanische Schriftsteller James Baldwin im Jahr 1963.

Mit dem Federal Housing Act 1949 wurde für den weißen Mittelstand das Prinzip der Suburbs verordnet, indem man eine staatliche Förderung von Darlehen zum Erwerb eines Hauses in der Subdivision einführte. Politisch gesteuert, wurde der Immobilienwirtschaft sowie der Auto- und Fertigteilhausindustrie der Markt gesichert. Developer schickten sich an, das Land hierfür aufzubereiten. „In den USA ist Immobilienspekulation ein Teil von allem, und sie ist unglaublich mächtig“, schildert die Historikerin Gail Radford in einem Interview. „Jeder Kongressbezirk hat seine Maklerverbände, Bauträger, die in Gruppen organisiert sind, auch auf nationaler Ebene, und Fabrikanten, die an Immobilien beteiligt sind. Das ist stark mit der Politik verwoben und dadurch kaum zu umgehen.“

Weit und breit keine Bahnlinie

Günstige Wohnungen in der Stadt waren abgeschafft worden, und die ideologische Belehrung wie vor 150 Jahren, es wäre unverantwortlich, Kinder in der Stadt großzuziehen, durfte auch nicht fehlen. Gut ausgebildete Frauen, die die Tätigkeiten der im Krieg verpflichteten Männer übernommen hatten, mussten die Arbeitsplätze den männlichen Heimkehrern überlassen. Kindererziehung und Haushaltsführung an den Stadträndern wurden für sie zum staatlich verordneten Lebensmodell. 20 Millionen Frauen, die eben noch einer Berufstätigkeit nachgegangen waren, bekamen einen Entlassungsbrief mit der Empfehlung, sich einen Ernährer zu suchen.

Und so zog die weiße Mittelschicht wohl oder übel ins vorgefertigte Häuschen in der neu errichteten Suburb, wo weit und breit keine Bahnlinie und auch kein Geschäft mehr zu finden war. Begleiteffekt war, dass sie mit einer Hypothek belastet in eine lebenslange wirtschaftliche Verpflichtung gebracht wurden, um die Rückzahlung der Darlehen leisten zu können. Mit zusätzlich aufgenommenen Krediten wurden ein Auto und ein Fernseher angeschafft, über deren Schirme flächendeckend die Botschaft propagiert wurde: „This is the American Dream!“ Was sollte daran falsch sein? Logischerweise folgte 1956 der Federal Highway Act, der die Errichtung des Autobahnnetzes für die gesamten USA beschloss. Bei gleichzeitiger Stilllegung des Schienennetzes bedeutete dies eine weitere systematische Zerstörung funktionierender Infrastruktur und einen massiven Eingriff ins Gemeinwesen der USA: Nicht jeder konnte sich ein Auto leisten.

Seit den 1950er-Jahren wurde die Suburbanisierung konsequent weiterverfolgt; erst seit zehn Jahren ist Wohnbau wieder ein Thema, da die menschenleeren Stadtzentren zu verslumen drohen. Die Häu­ser in den Suburbs haben sich zu teils formal grotesken „MacMansions“ ausgewachsen, bei denen Garage und Dachgiebel zum architektonisch bestimmen­den Element wurden. Ein manieristisches Lebensmodell, das sich die junge Generation kaum mehr leisten kann und dadurch an seine Grenzen stößt. Der American Dream hat sich in vielen Bereichen zum Albtraum entwickelt. Weitere Gewaltakte, wie man sie zurzeit in den USA beobachten kann, werden wohl kein Gegenmittel sein.

Spectrum, Mi., 2025.03.12

29. Juni 2023Judith Eiblmayr
Spectrum

Villa am Attersee: Klimt hinter Gittern

Über Jahrzehnte hieß es „Wandeln auf den Spuren Gustav Klimts“ in der Allee des Schlosses Kammer am Attersee, doch damit ist Schluss: Betreten ist seit Herbst verboten. Hat das Land Oberösterreich kein Interesse daran, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren?

Über Jahrzehnte hieß es „Wandeln auf den Spuren Gustav Klimts“ in der Allee des Schlosses Kammer am Attersee, doch damit ist Schluss: Betreten ist seit Herbst verboten. Hat das Land Oberösterreich kein Interesse daran, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren?

Der Attersee findet immer wieder Erwähnung, wenn es um den anhaltenden von Investorengeld befeuerten Bauboom geht, der die letzten freien Platzerln verbaut – je näher dem Gefilde, umso begehrter. Bauliches Prunkstück ist seit jeher das Schloss Kammer am nördlichen Ende des Attersees, ein seit 1165 bestehender, ursprünglich als Burg auf einer Insel gelegener Bau, der später durch Aufschüttung ans Festland „angedockt“ wurde. 1710 durch den Linzer Barockbaumeister Johann Michael Prunner zu einer prunkvollen Schlossanlage mit weitläufigem Park ausgebaut, verfügte diese über eine geschlossene Bebauung zur Straße hin, die speziell durch einen runden „Vorhof“ mit Torbögen als Durchfahrt imponierte. Hier lagen Stallungen und Remise, wie auf dem Plan von 1878 des Seebades Kammer ersichtlich, das die Schlossherrschaft etablieren wollte. Als übliches repräsentatives Element zwischen Vorhof und Schlosshof war den Park querend eine Lindenallee gepflanzt worden, die 200 Jahre später in die Kunstgeschichte eingehen sollte: Gustav Klimt hielt 1912 die Allee vor Schloss Kammer in Öl auf Leinwand fest, eines jener quadratischen Werke, die er während seiner Attersee-Aufenthalte zwischen 1900 und 1916 gemalt hat, und von denen sich so manches vielversprechende Stück in der Sammlung des Belvedere befindet.

„Klimt-Allee“ ist nicht mehr frei zugänglich

Der Klimt-Experte Alfred Weidinger attestiert dem Bild besondere Bedeutung, da es einerseits technisch von Klimts Beschäftigung mit dem Werk van Goghs zeugt, andrerseits durch die Darstellung der bildfüllenden Baumkronen mit der gelben Schlossfassade im Hintergrund unsere Erinnerungskultur bereichert hat. „Die Szenerie präsentiert sich heute noch weitgehend unverändert“, steht auf einer Stele des Klimt-Themenweges. Seit September 2022 präsentiert sich die „Klimt-Allee“ unverändert, ist aber nicht mehr frei zugänglich.

Ein Schockmoment, wenn sich an der Wegkreuzung von Parkpromenade und Allee plötzlich ein Einfahrtstor aufpflanzt und beidseitig ein simpler Gartenzaun das Feld der Herrschaft absteckt. Ein Blick nach links zeigt, dass ein Teil der Esplanade eingezäunt und so entlang des Atterseeufers kein Durchkommen in den Park mehr gegeben ist. Die Promenade wurde auf 1,5 Meter Breite zusammengeschrumpft, ein Flaschenhals im Wegenetz der Parkanlage von Kammer-Schörfling, der der Frequenz dieses Ortes spottet. Spaziergänger:innen, Fahrradfahrer und Läuferinnen werden mit der Schmalspur-Promenade ein Auskommen finden müssen – absurd, bedenkt man, dass es jahrhundertelang selbstverständlich war, sich in der Allee und der Wiese zum Wasser hin frei zu bewegen. Leider ist dies noch nicht alles, denn rechts des von Speerspitzen gesäumten, schmiedeeisernen Gartentors gibt es eine völlig neue Perspektive: Statt des verwilderten Parks steht nun ein Garagenbauwerk in Form einer überdimensionierten Scheune, euphemistisch als Remise bezeichnet. Wie konnte das passieren? Warum entzieht eine Industriellenfamilie, deren Schloss auf der Halbinsel an zwei Seiten über große Privatgärten verfügt, der Allgemeinheit Grünraum? In Zeiten der Klimaerwärmung wird ein Platz am Wasser eingezäunt und bebaut – warum lassen Entscheidungsträger im öffentlichen Interesse das zu? Die Umstände sind rasch recherchiert: Die Familie Max-Theurer, seit ca. 30 Jahren Eigentümerin der Schlossanlage Kammer, wollte ihren Grund reprivatisieren und den Pachtvertrag mit der Gemeinde Schörfling nicht verlängern. Es gab angeblich guten Grund dazu, weil die Pächterin verabsäumt hatte, ihrer Pflicht nachzukommen: Pflege der Grünanlage, Instandhaltung der Ufermauer, nächtliche Überwachung des Parks. Bürgermeister Gerhard Gründl meint hingegen, da könne man leider nichts machen, wenn die Besitzer nicht mehr verpachten wollen. Auf die Frage, wie ein fünf Meter hoher Garagenneubau in der Uferschutzzone des Attersees baubehördlich möglich sei, antwortet er: „Der Naturschutz hat‘s bewilligt! Es ist Privatgrund, und es besteht kein öffentliches Interesse an dem Park.“

Rein theoretisch könne der Park verbaut werden

Solch eine Aussage macht hellhörig: Selbst das Land Oberösterreich hätte übergeordnet kein Interesse, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren? Wenn man gleichzeitig „Auf den Spuren Gustav Klimts“ als Teaser des Attersee-Tourismus liest? Die Aussagen der Behörden sind ernüchternd: Die Raumordnungsabteilung hat die Widmung wohl genehmigt. Die Kulturabteilung als Kulturförderungsinstitution wisse nichts vom Zaun und habe keine Handhabe, diesen zu verhindern. Das Bundesdenkmalamt kann nichts tun, denn nur das Schloss stehe unter Schutz, nicht jedoch der Park als „historischer Garten“. Die Aussage der Naturschutzbehörde ist desillusionierend: Das Gesetz sei in den vergangenen zehn Jahren aufgeweicht worden, man könne nicht mehr richtig dagegenhalten, und der Zaun sei nicht genehmigungspflichtig. Zudem liege der Schlosspark im Bereich der neuen „Attersee-Seeufer-Ausnahmeverordnung“, und rein theoretisch könne der Park verbaut werden.

Das ergibt mögliche Verwertungsszenarien: nette Chalets mit dem Château in Sichtweite, die Garage steht schon da; oder Glamping in der Jurte im Schatten der Alleebäume – das Aufnahmegebäude wäre leicht zu finden. Tatsache ist jedenfalls, dass die Exklusivität der Klimt-Allee hinter Gittern dem bislang verpachteten, daher kapitalistisch betrachtet wertlosen Parkgrundstück einen Wertzuwachs beschert. Das Gemeinwohl, eines der sechs Grundprinzipien der europäischen Staatslehre, hat offenbar wie das Subsidiaritätsprinzip des EU-Vertrages als gesellschaftspolitische Zielsetzung vielfach bei der Gestaltung und pfleglichen Weiterentwicklung des Lebensraums (Raumordnung, Städtebau, Seeuferschutz etc.) an Zugkraft verloren. Ein klarer Befund, denn es war die Gemeinde Schörfling, die es verabsäumte, den Pachtvertrag zu verlängern und die Erinnerungskultur in situ aufrechtzuerhalten. Und so wurde ohne politische Gegenwehr ein Park am Wasser der Öffentlichkeit entzogen – die Allee vor Schloss Kammer können Erholungsuchende nur mehr grau in grau malen.

Spectrum, Do., 2023.06.29

14. Oktober 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Kino in der Vorstadt: Als die Filme noch stumm waren

Seit 1909 ist dieses Kleinod relativ unverändert geblieben: die Breitenseer Lichtspiele. Die Zeiten für die Betreiber waren oft stürmisch – dank stilsicherer Adaptierung und Sanierung sieht die Zukunft des kleinen Kinos aber ganz gut aus.

Seit 1909 ist dieses Kleinod relativ unverändert geblieben: die Breitenseer Lichtspiele. Die Zeiten für die Betreiber waren oft stürmisch – dank stilsicherer Adaptierung und Sanierung sieht die Zukunft des kleinen Kinos aber ganz gut aus.

Die Zeit des großen Kinosterbens wird mit den 1960er-Jahren assoziiert, als der Fernseher in den Haushalten Einzug hielt. Die Sendungen konnten bequem auf dem Sofa konsumiert werden, gleichzeitig galt das TV-Gerät als Statussymbol, das benutzt werden wollte. Zahlreiche Kinos verloren ihr Publikum, wurden zugesperrt und die großen Räume zu Supermärkten oder Lagerräumen umfunktioniert. Bis in die 1980er-Jahre hielt die negative Stimmung gegenüber den Kinos an, obwohl diese durch Verkleinerung der Säle und Etablierung von Programmkinos Cineasten ansprachen oder jene Zuschauer, die Fernsehen als spießig empfanden.

Ende der 1990er-Jahre setzte eine neue Entwicklung ein, die eine weitere Existenzgefahr für die innerstädtischen Kinos bedeutete, als am Stadtrand Kinocenter entstanden: mit extrabreiten Leinwänden und extrabequemen Polstersesseln – eine Form der „Eventarchitektur“, die Kino und leichtgängige Kulinarik plus Garagenparkplatz anbot, um in entlegenen Gegenden Kunden zu gewinnen. Einige dieser Kinocenter haben überlebt, andere wurden umgewidmet oder abgerissen, den Kinos im urbanen Bereich konnten sie jedoch nicht den Garaus machen. Eines der stimmungsvollsten dieser Art ist zugleich das älteste erhaltene Lichtspieltheater von Wien: die Breitenseer Lichtspiele, ein Kleinod der Filmszene, das seit 1909 relativ unverändert geblieben ist.

Das Angerdorf Breitensee hatte zwischen 1835 und 1890, dem Jahr der Eingemeindung nach Wien, eine wahre Bevölkerungsexplosion erfahren, als über die Wiener Vororte ein Raster gelegt wurde, um möglichst effizient Wohnbauten zu errichten. Eine übliche Zwischennutzung der Bauplätze erfolgte in Form von Wanderkinos, um den Arbeiterfamilien mit dem neuen Medium Film Zerstreuung anzubieten.

Unverändert bis aufs Tapetenmuster

Solch ein „Kinematographen-Theater“ im Zelt wurde ab 1905 auch in Breitensee aufgestellt. Als das Wohnhaus an der Breitenseer Straße 21 fertiggestellt war, zogen die Kinobetreiber dort ein, mieteten kurzerhand das Erdgeschoß dazu und eröffneten 1909 das nun ummauerte Breitenseer Kino. Seither wurde mehrmals die Sitzplatzzahl erhöht, denn das Kino konnte sich etablieren, in und nach den zwei Weltkriegen gehalten und kontinuierlich adaptiert werden. Historische Fotos belegen, dass der 20 Meter lange und nur knapp fünf Meter breite Kinosaal bis auf das Tapetenmuster unverändert ist, fünf Lagen Tapete seien übereinandergeschichtet gewesen, berichten die jetzigen Kinobetreiber Christina Nitsch-Fitz und Dieter Mattersdorfer. Der Eingangsbereich mit historischer Kassakoje, kleiner Verkaufsbudel und Theke mit Barhockern ist ebenso minimalistisch in der Dimensionierung wie der daran anschließende kleine Raum, um an einem der drei Tischchen den Kinoabend ausklingen zu lassen. Wahrscheinlich hat gerade die Kleinheit der Räumlichkeiten dem Kino das Überleben gesichert, denn von Miete bis Heizung blieben die Kosten so schmal und niedrig wie der Raum selbst. Das wahre Geheimnis ist aber, dass dieses Kino seit 1969 in Familienbesitz ist, denn damals erwarb die Mathematikerin Anna Nitsch-Fitz die Breitenseer Lichtspiele. Ihre Großmutter war Inhaberin des Nussdorfer Kinos gewesen; nach deren Tod hatte es ihr Vater, ein Arzt, bis zum Verkauf weitergeführt. Anna Nitsch-Fitz wollte auf die innerfamiliäre Tradition nicht verzichten und neben ihrem Beruf als Gymnasiallehrerin Kinobetreiberin werden – aus Liebhaberei, denn sie kaufte zu einer Zeit, da das Kino eben bereits totgesagt wurde.

Im Lauf der Jahrzehnte wurde saniert, reaktiviert und investiert, alles dezent und in überschaubarem Rahmen, denn Profilierung über das Design war nicht notwendig. In dem halben Jahrhundert wurde großes Kino auf kleinstem Raum geboten, aber das tat dem Ruf als „ältestem Kino von Wien“ keinen Abbruch. Frau Nitsch-Fitz in ihrem Kino war eine Institution und nicht nur im Westen von Wien bekannt.

Mittel gegen die Abwanderung

Auch in Eggenburg existiert seit über einem Jahrhundert ein „Lichtspielhaus“. Dieses wurde von Clemens Holzmeister geplant, sein zweites gebautes Werk. Im Gegensatz zum Kino von 1909 im Penzinger Wohnviertel wurde 1914 im Waldviertel ein frei stehendes Kinogebäude errichtet, das mit seinem hohen Walmdach an ein bürgerliches Wohnhaus der Jahrhundertwende gemahnt. Typologisch war dies ein Verweis auf die Heimatschutzbewegung – kein Zufall, denn der junge Holzmeister war über den Verein „Deutsche Heimat“, für deren Bauberatungsstelle er als Architekt tätig war, zu diesem Auftrag gekommen. Holzmeister habe das Bauwerk mit klassizistischen Details an der Eingangsfassade später als „Jugendsünde“ abgetan, wobei dies der erste seiner Theaterbauten war, für die er später berühmt werden sollte. Kubatur und imposante Formensprache dieses Kinos sind erstaunlich für ein Bauprojekt zu Beginn des Ersten Weltkriegs, offensichtlich setzte man politisch auf den Film als starkes Medium, um im Sinne der Heimatschutzbewegung die Landbevölkerung von der Abwanderung abzuhalten. Erstaunlich ist aber auch, dass dieses Gebäude unverändert in Eggenburg steht – zwar als Lager für Archivalien des Krahuletz-Museums genutzt wird, aber theoretisch als Kino- oder Theaterraum eine Zukunft haben könnte.

So wie die Breitenseer Lichtspiele eine Zukunft haben – da die mittlerweile verstorbene Besitzerin rechtzeitig ihre Nichte Christina Nitsch-Fitz für das Kino begeistern konnte, die nun gemeinsam mit Mattersdorfer den Betrieb fortführt. Die beiden setzen auf modernisierte Projektions- und Tontechnik, spannende Programmierung und eine stilsichere Sanierung, Eventarchitektur braucht es hier keine. Wenn die Holzklappstühle eine gepolsterte Sitzauflage und die Türen einen petrolfarbenen Anstrich erhalten, ist dies ein wohltuend dezentes Kino-Ambiente, in dem die beschriebene Tradition mitschwingt: das erweiterte Wohnzimmer einer filmbegeisterten Familie.

Spectrum, Fr., 2022.10.14

04. Oktober 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Schloss Lengenfeld: Das Fest ist vorbei

Nahe Krems liegt das Schloss Lengenfeld, wo einst regelmäßig Kunst und Kultur gefeiert wurden. Die Letztbesitzer vermachten es dem Land Niederösterreich, das jedoch nicht deren Wunsch entsprach, es weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Jüngst wurde es verkauft – und was passiert nun?

Nahe Krems liegt das Schloss Lengenfeld, wo einst regelmäßig Kunst und Kultur gefeiert wurden. Die Letztbesitzer vermachten es dem Land Niederösterreich, das jedoch nicht deren Wunsch entsprach, es weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Jüngst wurde es verkauft – und was passiert nun?

Der Sommerausklang ist die ideale Zeit, um die Gegend rund um Wien zu durchstreifen. Nicht mehr zu heiß, aber bei prächtigem Wetter fährt, wandert oder läuft man umher und landet unvermutet an einem Ort, der an die Kindheit erinnert. Nördlich von Krems und östlich von Langenlois liegt Lengenfeld, und mittendrin, direkt an der Hauptstraße, verfügt das lang gestreckte Straßendorf über ein Renaissanceschloss. Die zufällige Begegnung mit den zwei in den Straßenraum ragenden runden Wehrtürmchen mit „Hexenhutdach“ weckt die Reminiszenz an Festivitäten in den 1970er-Jahren, zu denen die Eltern eingeladen und auch Kinder willkommen waren. Wie oft waren wir dort, zwei-, dreimal? So genau weiß ich es nicht mehr, aber dass es rauschende Feste waren, die das Künstlerehepaar Christa Hauer und Johann Fruhmann veranstalteten, ist mir erinnerlich.

Ein Blick über den Zaun offenbart, dass sich hier nicht wie früher im „Freilichtzoo“ Katzen, Esel und Pfaue, sondern nun eher wilde Tiere vergnügen; ungestört von zivilisatorischen Eingriffen, liegt der Garten brach mit seinen satt grünen, üppigen Wiesen zu beiden Seiten des Lengenfelder Baches, der parallel zum Schloss das Grundstück quert. Was dem Naturgarten guttut, ist der Bausubstanz weniger zuträglich, und so verwundert es nicht, dass die Fassaden der Anlage etwas mitgenommen aussehen. Allerdings verleiht Fruhmanns Sgraffito aus dem Jahr 1974 an zwei Seiten dem Gebäude eine speziell würdevolle Patina.

Das Gebäude über quadratischem Grundriss ist an allen vier Seiten geschlossen und hat einen Innenhof mit Arkaden im Erdgeschoß und einen Laubengang im Obergeschoß. Flankiert wird es von den vier Rundtürmen mit spitzem Kegeldach, die ungewöhnlich, weil niedriger als das Schloss und mit diesem nicht verbunden sind, da die Ringmauer im 19. Jahrhundert abgetragen wurde. Sie wirken als historische Wehrtürme ungeeignet, durch ihre „Putzigkeit“ jedoch umso charmanter. Und à propos Putz, der blättert ab: sowohl von den Türmchen als auch vom Gebäude.

Sammlung öffentlich zugänglich

Das Anwesen steht eindeutig leer. So beginne ich zu recherchieren und werde im Grundbuchauszug vom Juli 2022 fündig: Das Land Niederösterreich ist als alleiniger Eigentümer eingetragen, und noch davor ist vermerkt: „Die Erhaltung des Schlosses Lengenfeld ist im öffentlichen Interesse gelegen.“ 1994 trat Christa Hauer-Fruhmann – ihr Mann war 1985 verstorben – als Geschenkgeberin auf den Plan. In einem Notariatsakt, der im Grundbuch und somit öffentlich aufliegt, steht, dass sie vom Land eine Leibrente erhält und „nach ihrem Ableben sich das Land Niederösterreich verpflichtet, das Schloß Lengenfeld fachkundig zu verwalten. Lengenfeld soll als Lebensort der Künstler- und Sammlerfamilie Hauer-Fruhmann präsentiert werden, die vorhandene Sammlung muß öffentlich zugänglich sein und die im Schloß traditionelle Festkultur ist durch mehrere Veranstaltungen jährlich fortzusetzen.“ Die 130 Kunstwerke sind in einer lapidaren Auflistung ebenfalls im Grundbuch angeführt, von A wie „Anonym, stehende Madonna, 2. Hälfte 14. Jh.“ über „Dürer Nachfolge“, Egger Lienz, Jungwirth, Lassnig, Prantl, Rainer, Schiele bis Z wie Zülow – eine Sammlung, die größtenteils auf Christas Großvater, den Kunstsammler Franz Hauer (1867–1914), zurückgeht. Dieser stammte aus Weißenkirchen und war Besitzer des Griechenbeisls am Wiener Fleischmarkt; sein Sohn war der Maler Leopold Hauer und der Christas Vater. Bestärkt durch ihn und ihre Mutter, Sophie Helling, studierte Christa Hauer, 1925 geboren, Kunst und lebte von 1953 bis 1960 in den USA. Nach ihrer Rückkehr nach Wien erwarb sie 1970 Schloss Lengenfeld und machte es mit Hans Fruhmann zu einem Ort, der nicht dem persönlichen Eskapismus dienen sollte, „sondern sie begründeten ein Strahlungszentrum, dessen Besonderheit sich in einer in der Großstadt kaum zu schaffenden Verbindung von Privatheit und Öffentlichkeit, von Stadt und Land manifestiert“, wie Dieter Bogner im Vorwort der Publikation „1990 – 20 Jahre Lengenfeld“ schrieb. Und weiter: „Dort ist Theoretisieren über Kunst ebenso zu Hause wie das Feiern von Kunst und die Kunst des Feierns.“ Wesentlich war auch ihre Vorreiterrolle punkto Ökologie und Ortsbildschutz, die Hauer und Fruhmann u. a. um den Erhalt einer historischen Brücke in Langenlois kämpfen ließ. Dies alles ist erwähnt, um die Historie der kunstaffinen, weltoffenen und umweltbewussten Familie mit Wachauer Wurzeln zu verdeutlichen. Als Christa Hauer 2013 kinderlos starb, wurde das Land Niederösterreich durch die „Schenkung auf den Todesfall“ in die juristische und moralische Verantwortung genommen, die Erhaltung des Schlosses zu sichern.

Verkauft auf dem „Schlössermarkt“

Man ging ambitioniert an die Sache heran und schrieb 2015 einen Wettbewerb aus, den ein Projekt mit einem „behutsam strukturierten Konzept“ gewann, wie der Juryvorsitzende Andreas Vass meint. Der Genius Loci sollte konzeptionell gestärkt werden und die jahrhundertealte Historie der denkmalgeschützten Anlage mit Hauptgebäude, Türmchen und Garten ebenso ablesbar sein wie die Intentionen des Künstlerpaars Hauer-Fruhmann. Dieses planerische Konzept mit programmatischem Überbau wurde beauftragt. In einer umfassenden bauanalytischen Diplomarbeit an der TU Wien zu Schloss Lengenfeld, verfasst 2018 von Benjamin Türk, wurde der Architekt in einem Interview zitiert, dass er sich auf die Umsetzung des Projektes freue. Es kam anders, denn die Eigentümervertreter bekamen wohl kalte Füße beim Gedanken an die Baukosten zur Trockenlegung des Schlosses am Bach.

Das Schloss landete ganz unsentimental auf „Willhaben“ und fand auf dem „vitalen Schlössermarkt“ („Der Standard“, 10. 9.) jüngst einen Käufer. Den Namen des Investors darf Hermann Dikowitsch, Leiter der NÖ-Kulturabteilung, nicht preisgeben, da noch Verhandlungen zu führen sind, um einen Modus für die Nutzung zu finden, denn „die öffentliche Zugänglichkeit müsse bleiben“. Hier tun sich im oben aus dem Grundbuch zitierten öffentlichen Interesse zwei Fragen auf: Lässt der Notariatsakt den Verkauf an einen Investor zu, und wenn ja, wofür werden die Einnahmen verwendet? Salopp gesprochen: Wer kassiert – und wie viel? Wird hier vermachtes öffentliches Gut der Allgemeinheit entzogen oder durch gezieltes Investment im Sinne Hauer-Fruhmanns bewahrt?

„WIR KOMMEN VON ZU VIEL HER. WIR BEWEGEN UNS AUF ZU WENIG WEITER“: ein Aphorismus, der unter anderem vom Künstlerpaar an die Wand im Arkadengang des Innenhofes appliziert wurde und noch immer lesbar ist. Hoffentlich ist dies kein Sinnspruch für das weitere Schicksal von Schloss Lengenfeld.

Spectrum, Di., 2022.10.04

03. August 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Brücken für Radfahrer: Mit mehr Schwung!

Gerade auf dem Land, wo die Vormachtstellung des Autos auf den Straßen ungebrochen ist, braucht es ein gesondertes Wegesystem für Radfahrer und Fußgänger – etwa in Form von Brücken über stark befahrenen Straßen.

Gerade auf dem Land, wo die Vormachtstellung des Autos auf den Straßen ungebrochen ist, braucht es ein gesondertes Wegesystem für Radfahrer und Fußgänger – etwa in Form von Brücken über stark befahrenen Straßen.

Dank E-Bike-Boom stellen immer mehr Personen fest, wie gut es tut, sich zu bewegen. Dass Steigungen ohne Anstrengung überwunden werden und der Speed mit einer Fingerbewegung erhöht werden kann, macht die Sache auch für jene lustig, die sonst nicht sehr sportaffin sind oder im Berufsalltag nicht verschwitzt zu einem Termin erscheinen wollen. Die Frequenzen auf dem konventionellen und altbewährten „Biorad“ (ohne elektrische Trethilfe) nehmen ebenso zu, und es ist schön zu beobachten, wie auch auf dem Land der höheren Dichte an Radfahrer:innen Rechnung getragen wird. Autofahrer sind ihnen gegenüber rücksichtsvoller geworden, und die meisten drosseln das Tempo, wenn Fahrräder vor ihnen fahren, oder besser: gefahren werden.

Trotzdem ist in Sachen Entflechtung der Fahrbahnen seitens der Verkehrsplaner und des Straßenbaus noch viel zu tun, um eigene Wegenetze für Fahrräder und Fußgänger herzustellen. Ihre Exponiertheit muss reduziert werden, denn Tatsache ist, dass von den Autos und ihren Lenker:innen potenzielle Gefahr ausgeht. Umso erfreulicher ist es, dass die Errichtung von Fußgänger- und Fahrradbrücken über stark befahrenen Straßen im ländlichen Gebiet nicht nur notwendige Infrastruktur herstellt, sondern auch ein Zeichen für alle Autofahrer setzt: Die „Selbstbeweger“ müssen sich nicht einbremsen, um den Autoverkehr queren zu können, sondern können sich einfach „drüberschwingen“, ob zu Fuß oder per Rad.

Die schwungvolle Anmutung macht die Planungsaufgabe einer solchen Brücke spannend und das fertige Objekt ansehnlich – daher sollen zwei Vorzeigeprojekte dieser Art hier vorgestellt werden.
Fußläufige Anbindung

Kürzlich wurde in Maria Gugging, Niederösterreich, beim Eingang auf den Campus des ISTA – Institute of Science and Technology Austria eine Verbindungsbrücke eröffnet, die die stark befahrene Kierlinger Straße überspannt und gleichzeitig einen Geländesprung überwindet. Am Nordhang des Kierlingtales, gegenüber des ISTA, entsteht ein Technologiepark, dessen Bürobauten fußläufig an den Campus angebunden werden sollen; gleichzeitig soll ein öffentlicher Übergang geschaffen werden. Bestehend aus zwei Bahnen, die hangseitig kurz parallel geführt werden und sich dann in Fußgänger- und Radfahrweg teilen, überspannt das Bauwerk aus Stahlkonstruktion mit einer leichten Rundung die Straße und landet in zwei sich übereinander kreuzenden Strängen geschwungen sanft auf der anderen Seite. Während reine Fußgängerbrücken über eine Straße oder Gleisanlage meist – wie hier – in eine Stiegenanlage münden oder an einem Liftturm enden und dadurch starr wirken, müssen die Rampen geschwungen ausgeführt werden, was ein dynamisches Moment erzeugt. Die seitlich hochgezogenen Brüstungen dieser Brücke in anthrazitfarbenem Blech bieten „Flankenschutz“ und vermitteln ein Sicherheitsgefühl, eine Art des Geführtwerdens. Ohne viel Aufhebens gelangt man auf die andere Seite und hat den Autoverkehr unter der Brücke gar nicht wirklich bemerkt. Dass dieses bandartige Bauwerk sich besonders gut in die Landschaft einfügt, ist dem Planungsteam geschuldet, dem spanischen Büro RCR Arquitectes, dessen architektonisches Wirken immer starken Bezug zur umgebenden Landschaft herstellt. Für diese in ihren zahlreichen Entwürfen unterschiedlicher Größenordnung ausgeprägte planerische Kunstfertigkeit wurde das Architektenteam, bestehend aus einer Frau, Carme Pigem, und zwei Männern, Rafael Aranda und Ramon Vilalta, 2017 mit dem Pritzker-Preis, dem weltweit wichtigsten Preis für Architektur, ausgezeichnet.
Sichtschutz als Eyecatcher

Im oberösterreichischen Grieskirchen war man offensichtlich seiner Zeit voraus, denn dort gibt es bereits seit dem Jahr 2007 ein ähnliches Brückenmodell. Wie in Maria Gugging wurde ein vorhandener Betrieb (Pöttinger Landmaschinen) auf einem Grundstück auf der anderen Seite der Innviertler Bundesstraße um ein Forschungszentrum erweitert und beides fußläufig aneinander angebunden. Als Mehrwert für die Allgemeinheit wurde auch diese Brücke öffentlich zugänglich gemacht. Architektin Claire Braun aus Vöcklabruck hat den Fahrrad- und Fußgängersteg, der auf beiden Seiten auf Straßenniveau startet, konstruktiv in einer Mischkonstruktion gelöst: Zwei gebogene Holzleimbinder sind von vier schräg gestellten Stahlbetonstützen abgespannt, zwischen denen der Boden des Steges einhängt ist. Die Zufahrtsrampen sind in Stahlkonstruktion mit Brüstungen in Stahlblech errichtet, wobei die eine in einer Rundung hinaufführt, die andere geradlinig nach oben zieht und in einen Halbkreis ausschwingt, bevor sie auf den Steg und über die Straße führt.

Als Eyecatcher für die Autofahrer und Sicht- und Blendschutz für die Radfahrer:innen ist zusätzlich auf beiden Seiten jeweils ein Segel eingespannt, das erst recht zur Dynamisierung des Objektes beiträgt. Speziell an dieser Brücke ist, dass sie wie ein Bausatz funktioniert, in nur vier Monaten Planungs- und Bauzeit fertiggestellt war und adaptiert an örtliche Gegebenheiten jederzeit nachgebaut werden könnte.
Dies ist durchaus als Aufforderung an die Verkehrsplanung zu verstehen, denn gerade auf dem Land, wo die Vormachtstellung des Autos ungebrochen ist, muss verstärkt auf ein gesondertes Wegesystem geachtet werden – vor allem in der Nacht ist an das Fahrrad als gängiges Verkehrsmittel auf einer Landstraße nicht zu denken. Während in den Städten immer öfter auch Fahrbahnen auf den Straßen den Fahrradfahrern überlassen werden, ist im ländlichen Gebiet die sicherste Bahn jene, die von der Autostraße getrennt ist. Wenn diese Wege – im doppelten Sinne – darüber hinaus eine Straße ungebremst kreuzen können, erhöht das nicht nur die Sicherheit, sondern auch die durchschnittliche Geschwindigkeit.

Brücken wie die zwei beschriebenen setzen mit ihrem schwungvollen Design ein architektonisches Zeichen für die unten durchfahrenden Autos und halten Fahrradfahrer und Fußgänger in Schwung, damit sie schneller und sicher zu ihrem Ziel kommen – selbstbewegt und emissionsfrei!

Spectrum, Mi., 2022.08.03

02. Juni 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Wo der Kaiser Verträge aufsetzte

Wie kommt es, dass in touristischen Gegenden nicht nur Urlaub gemacht wird, sondern bisweilen historische Entscheidungen getroffen wurden? Über den Bauboom in Kurorten wie Baden, Gastein und Sinaia und ihre politische Relevanz.

Wie kommt es, dass in touristischen Gegenden nicht nur Urlaub gemacht wird, sondern bisweilen historische Entscheidungen getroffen wurden? Über den Bauboom in Kurorten wie Baden, Gastein und Sinaia und ihre politische Relevanz.

Vertieft man sich in die Geschichte von berühmten Kurorten, fällt schnell auf, dass diese oft von den jeweiligen Machthabern protegiert wurden. Wie politisch bedeutsam sie waren, ist auch an den dort getroffenen Vereinbarungen abzulesen, etwa den „Karlsbader Beschlüssen“ 1818 oder der „Gasteiner Konvention“ 1865. Die Kur als unauffällige Rückzugsoption, um zufällig auf wichtige Persönlichkeiten zu treffen, war ein probates Mittel, hintergründig Politik zu machen, und ein wesentlicher Faktor, warum im 19. Jahrhundert in den Ausbau dieser ersten Tourismusorte kräftig investiert wurde.

Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte der spätere Kaiser Franz II./I. das Badewesen an mehreren Orten des Habsburgerreiches gefördert. Geprägt durch seinen Vater, Großherzog Peter Leopold, der in den italienischen Kurort Montecatini investiert und diesen ab 1772 im klassizistischen Stil neu errichtet hatte, begab sich Franz nach Böhmen, um 1793 ein neues Bad zu gründen, das nach ihm Franzensbad genannt wurde und fortan nebst Marien- und Karlsbad das Westböhmische Bäderdreieck bildete. Er selbst weilte ab 1796 jeden Sommer in Baden bei Wien zur Kur, postulierte das „Badner Projekt“ und beauftragte namhafte Architekten wie Josef Kornhäusel und Charles von Moreau mit der Modernisierung zu einem mondänen Kurort klassizistischer Prägung. Zur gleichen Zeit nahm er sich auch des Wildbades Gastein an, das 1800, nach der Vertreibung der Erzbischöfe von Salzburg, Österreich zufiel und als Tourismusort entwickelt werden sollte. Hier wollte man aber nicht nur höfische Finanzmittel eingesetzt wissen, sondern Investoren gewinnen: Auf rechtlicher Basis des neu geschaffenen „Franziszäischen Katasters“ trat der Staat als Entwickler auf, indem den Einheimischen Wiesen abgekauft, diese parzelliert und Interessenten zum Verkauf angeboten wurden. Da für Franz II./I. sein „Badner Projekt“ ab 1804 Priorität hatte, sollte sein Bruder, Erzherzog Johann, die Geschäfte in Gastein vorantreiben.

Renditensteigerung dank Eisenbahn

Dieser war der Erste, der dem ortsansässigen mächtigen Gastwirt Peter Straubinger ein Grundstück abkaufte und 1830 ein schlichtes Sommerdomizil, die Villa Meran, erbauen ließ. Der Habsburger ging mit gutem Beispiel voran und sollte wohl in Absprache mit seinem Bruder Franz, nun Kaiser von Österreich, Gleichgesinnte ins Gasteinertal locken. Die Rechnung ging auf: Innerhalb kürzester Zeit wurde in Bad Gastein ein Bauboom entfesselt, der bis zum Ersten Weltkrieg anhielt. Konträr zu Baden jedoch, das eine gewachsene städtische Struktur aufzuweisen hatte, wurden im Wildbad mit seinem pittoresken Wasserfall ohne städtebaulichen Zusammenhang einzelne Kurhäuser in die Höhe gezogen. Städtische Architektur wurde nachgereicht, nachdem Investoren mit dem Eisenbahnbau die Chance erkannt hatten, ihre Renditen zu steigern.

Szenenwechsel: ein Kurort in den Bergen. Warum hat man in Sinaia in den Karpaten, zwischen Bukarest und Braşov (Kronstadt) gelegen, den Eindruck, in einem Hybrid aus Bad Gastein und Bad Ischl zu sein? Und was hat das mit Deutschland zu tun? Am Beispiel des Städtchens Sinaia wird exemplarisch die politische und wirtschaftliche Bedeutung von Kurorten anschaulich: In Rumänien wurde aus gesamteuropäischem Interesse 1866 der deutsche Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen als Fürst von Rumänien eingesetzt und durch eine Volksabstimmung legitimiert. Als Karl sich mit seiner Frau, Elisabeth, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva als Dichterin erfolgreich war, im neuen Land niederließ, suchte er bald nach einem schönen Plätzchen in den Bergen. Auf einer Passhöhe im Tal des Flusses Prahova und am Fuße des Bucegi-Gebirges wurde er fündig. Diese unbebaute Gegend hatte zwar keine Heilquellen, aber gute Luft und ward rasch auserkoren, als Luftkurort entwickelt zu werden. 1864 kaufte eine Investorengesellschaft 35 Hektar Land an, wollte ein Erholungsheim errichten, gleichzeitig jedoch Grundstücke verkaufen, und da kam der deutsche Fürst, der 1881 zu König Carol I. von Rumänien gekrönt werden sollte, gerade recht. 1871 wurde das erste Hotel, Hotel Sinaia, eröffnet, geführt vom Österreicher Josef Ungarth, der bis dahin für den Investor Prinz Dimitri Ghica tätig gewesen war.

Dann sollte dem künftigen König ein Schloss errichtet werden: Man holte aus Wien den Architekten Wilhelm von Doderer, der als Reverenz an die Abstammung des Fürsten eine deutsch-romantisierende Architektur mit Fachwerk und einer Unzahl von Türmchen schuf. Platziert wurde es am Hang oberhalb des Klosters; für unterhalb beauftragte man einen Schweizer Landschaftsplaner, N. N. Eder, den Bebauungsplan für die neue Ortschaft anzulegen, mit breitem Boulevard, Kurpark und geschwungenen Gässchen den Hang hinauf.

Geplant auf der „grünen Wiese“

Doderers Sohn Richard war in Deutschland in der Eisenbahnindustrie tätig, und so war es nicht verwunderlich, dass ab 1905 ein Schienenstrang durch das Prahova-Tal gelegt wurde. Schon zuvor, sobald der frisch gekrönte König Schloss Peleş 1883 bezogen hatte, war Sinaia zum Treffpunkt für die Elite aus Politik und Wirtschaft geworden. Auch das war gesteuert worden, indem einflussreichen Personen aus Bukarest nahegelegt worden war, in Sinaia ein Grundstück zu kaufen und eine Villa zu errichten. Allerdings musste der stringente Bebauungsplan des alleinigen Investors eingehalten werden, kein Gebäude durfte das Schloss des Königs übertrumpfen. Am angelegten Kurpark entstanden später das obligate große Hotel, Hotel Palace, und ein Casino. Somit war das baulich und programmatisch perfekte Ambiente realisiert, das ein nobler Tourismusort der Jahrhundertwende bieten sollte. Umgesetzt wurde dies alles in nur 30 Jahren, 120 Kilometer nördlich von Bukarest, geplant auf der „grünen Wiese“.

Noch immer spürt man in Sinaia, dass hier ein Kurort stringent „aufgesetzt“ wurde, ganz anders als in Bad Gastein, wo ohne Bebauungsplan jeder baute, wie er wollte. Apropos: In Gastein gibt es den König-Carol-Weg, denn der rumänische König war von 1902 bis 1905 im Sommer im Hotel Kaiserhof zu Gast. Es gab wohl gute politische Gründe, sich abseits von Sinaia zu treffen. Ironie des Schicksals ist, dass keine zehn Jahre später die Kriegserklärung an Serbien in Bad Ischl verfasst wurde, wie im Buch „Bad Ischl – mit und ohne Kaiser“ (Wimberger/Rapp) nachzulesen ist: „In den glanzvollen Kulissen der Villa fassten Minister, Beamte und der Kaiser selbst Beschlüsse, die den Untergang jener Welt bedeuten werden, der sie angehörten.“ Zu dieser Welt gehörte die Exklusivität der elitären Kurorte – 100 Jahre später können diese auch von der Allgemeinheit genossen werden.

Spectrum, Do., 2022.06.02

03. Februar 2022Judith Eiblmayr
Spectrum

Wohnen wie in den 1960ern

Weil der „brutalistische“ Baustil eines Wohnhauses in Wien-Mauer dem neuen Besitzer nicht gefällt, droht der Abbruch. Aber was ist mit dem kulturellen Wert? Sichtbeton sollte als anregend verstanden werden – genau wie die Wotrubakirche zum Denken animiert, die sich nur zwei Gassen weiter findet.

Weil der „brutalistische“ Baustil eines Wohnhauses in Wien-Mauer dem neuen Besitzer nicht gefällt, droht der Abbruch. Aber was ist mit dem kulturellen Wert? Sichtbeton sollte als anregend verstanden werden – genau wie die Wotrubakirche zum Denken animiert, die sich nur zwei Gassen weiter findet.

Um ungeschminkte Betonarchitektur zu erfassen, kommen Architekturinteressierte seit fünfzig Jahren auf den Georgenberg in Wien-Mauer. Dort steht die Kirche „Zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ (1976), bekannt als „Wotrubakirche“. Das Bauwerk aus aufeinander geschachtelten Stahlbetonquadern mit Glasfeldern in den Zwischenräumen imponiert noch immer mit archaischer Kraft, die der Bildhauer Fritz Wotruba und der Architekt Fritz Gerhard Mayr der Raumplastik verliehen haben. Diese einzigartige Form für einen Kirchenbau hatte Wotruba bereits zehn Jahre zuvor für einen anderen Ort entwickelt; er wurde also nicht vom Genius Loci inspiriert, obwohl es auf dem Georgenberg zu der Zeit bereits Bauten in Sichtbeton gab.

Einerseits wurde die Kirche auf einem Grundstück des Bundes errichtet, wo „gewaltige Bagger die Betonsockel der Kaserne der Deutschen Wehrmacht aus dem Boden rissen“, wie im Liesinger Bezirksführer von Rudolf Spitzer nachzulesen ist. Bruno Kreisky und Bürgermeister Leopold Gratz hätten sich persönlich dafür eingesetzt, dass Wotrubas Wunsch in Erfüllung ging, einen Bauplatz zu finden, wo der Blick weit ins Land reichte. Dies war auf der Anhöhe in Mauer gegeben, und die Errichtung eines Sakralbaus, entworfen vom wichtigsten österreichischen Bildhauer seiner Zeit, bot eine gute Gelegenheit, die Ruinen der Nazi-Kaserne abzureißen. Noch immer zeugen in der Nähe der Kirche verwitterte Betonmauern vom Kasernengelände, der Blick ins Umland ist mittlerweile zugewachsen.

„Die drei Aquarien vom Wittmann“

Andrerseits gibt es zwei Gassen weiter ein Einfamilienhaus, dem der Blick über die Weingärten von Mauer und Perchtoldsdorf hinweg bis ins Wiener Becken noch gegeben ist. Es ist ein Haus aus Stahlbeton, wie es selten zu finden ist, und es stand schon hier, bevor die Wotrubakirche gebaut wurde: Das Haus Stricker, errichtet 1968, findet sich in Friedrich Achleitners Kompendium zur „Österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert“, ist es doch eines der seltenen privaten Sichtbetonhäuser in Österreich.

Als Architekt ist in dem Buch ein anderer genannt als jener, von dem eine Projektkundige zu erzählen weiß, war dieses doch eines von drei Häusern auf gartenseitig benachbarten Grundstücken, die vom selben Architekten, Karl Wittmann, geplant worden waren. Die drei Familien seien befreundet gewesen, der Architekt bewohnte selbst eines der Häuser. „Die drei Aquarien vom Wittmann“ wurden sie genannt, wohl wegen der kubischen Form, wenn auch unterschiedlich gestaltet: eines in Sichtbeton, eines verputzt und eines mit keramischer Fassade. Wittmans Mutter, Luise, die ebenfalls dort wohnte, war Künstlerin und hat in zumindest zwei dieser Häuser Werke hinterlassen. Dieses Ensemble besteht noch immer, aber womöglich nicht mehr lange.
Das zweigeschoßige Haus Stricker hat wie bei Wotrubas Kirchenbau eine beeindruckende plastische Wirkung: An der Fassade sind die rauen Bretter der horizontalen Holzschalung des Betons abgebildet, was die betontypische natürliche Textur verleiht. Mit einer Brüstung mit überdimensioniertem Speiher zur Entwässerung der südwestseitig vorgelagerten großen Terrasse und einem übereck greifenden Relief an der Fassade wird die Positiv-Negativ-Wirkung des gegossenen Betons eingesetzt, um den Hauseingang rechts zu betonen.

Die auch formal schwere Terrasse steht auf schmalen Stahlstützen, darunter gibt eine vollflächige Übereckverglasung den Blick ins Wohnzimmer und bis in den hinter dem Haus liegenden Garten frei. Das Gebäude ist kompakt, quaderförmig und flach gedeckt und mit den rostbraunen Fensterprofilen sowie Wandverschalungen ein perfektes Abbild der Moderne der 1960er-Jahre. Man möchte fast sagen, es ist formvollendet: ein schlichter, kantiger Bau mit einer starken künstlerischen Geste zur Straße hin, der sich mit seiner patinierten Sichtbetonfassade gegenüber dem Grün des Gartens zurücknimmt. Genau dieses Haus soll nun abgerissen werden. Dass neue Besitzer ihr Wohnhaus spezifisch geplant haben wollen, ist prinzipiell verständlich, zudem schätzt nicht jeder „Hausbenutzer“ die Moderne. Manchmal hängen an Bauten persönliche Geschichten, die – abgesehen von hohen Heizkosten und kaum einer Möglichkeit, die Sichtbetonmauern thermisch nachzurüsten, ohne die Architektur zu zerstören – auch eine finanzielle Last darstellen. Gleichzeitig hat sich neben Grundstücksspekulanten, die ohne Rücksicht auf „Stadtbildverluste“ alles wegreißen, was im Weg steht, um auf einem Grundstück die maximale Kubatur zu generieren (auf dem Grundstück des Hauses Stricker lässt dies die Bauordnung nicht zu), eine Käuferschaft entwickelt, die diese privaten Bauten retten will. Zumindest jene, die durch eine Erwähnung von Fritz Achleitner im österreichischen Architekturkanon „geadelt“ wurden, absolut erhaltenswürdig sind und mit finanziellem Ein- und innovativem Ansatz bei Haustechnik und Bauweise sicherlich zeitadäquat und stilaffin verbessert werden können.

Verschämt mit Styropor zugepappt

Wenn es nach den Vorstellungen der Aktionsgruppe „Bauten in Not“ geht, sollten einige von diesen rasch unter Denkmalschutz gestellt werden, damit nicht alle Gebäude verschwinden, die als „brutalistisch“ bezeichnet und damit eigentlich verunglimpft werden. „Für den Brutalismus, eine Architekturbewegung, die hauptsächlich in den 1960er-/1970er-Jahren auftrat, war die Verwendung von rohen Materialien als Gestaltungselemente und nicht rein als Werkstoffe für eine stabile Konstruktion charakteristisch“, wie in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Juli 2021 zur Unterschutzstellung des Kongresszentrums in Bad Gastein nachzulesen ist. Für dieses Bauwerk von Gerhard Garstenauer, geplant und wie die Wotrubakirche 1974 bis 1976 errichtet, wurde erst voriges Jahr bestimmt, dass „die Erhaltung des Objekts im öffentlichen Interesse gelegen sei“.

„Brut“ ist das Stichwort, nicht „brutal“: Als anregend sollte Sichtbeton (frz. béton brut) verstanden werden, so wie die Wotrubakirche unbestritten ein Meisterwerk ist, das zum Denken anregt und nicht als nackte Wahrheit missverstanden werden muss, verschämt mit Telwolle verhüllt, realiter mit Styropor „zugepappt“. Die Wahrhaftigkeit der Konstruktion ist dem Menschen zumutbar, könnte man in Abwandlung eines berühmten Zitates sagen – genau das Prinzip, das Fritz Wotruba mit seinem Entwurf realisieren wollte. Die Menschen verstehen das, sonst würden sie nicht zu diesem Bauwerk pilgern. Das Einfamilienhaus in Sichtbeton versteht sich als Teil unserer Kulturgeschichte und sollte unbedingt erhalten werden, wenn es baulich in Ordnung, kompakt und im Stil so cool ist wie das Haus von Karl Wittmann – noch dazu wenn es auf dem Georgenberg steht.

Spectrum, Do., 2022.02.03

21. Oktober 2021Judith Eiblmayr
Spectrum

Wien und Klosterneuburg: Luxus am Donauufer

Ein Küstenspaziergang in Wien und Klosterneuburg zeigt: Leben am Wasser wird zur finanziell luxuriösen Angelegenheit – und der freie Zugang zur Donau immer mehr eingeschränkt.

Ein Küstenspaziergang in Wien und Klosterneuburg zeigt: Leben am Wasser wird zur finanziell luxuriösen Angelegenheit – und der freie Zugang zur Donau immer mehr eingeschränkt.

Die Lockdowns haben für die Stadtbewohner:innen eine Beschäftigung populär gemacht, die nicht ohne Weiteres in den Arbeitsalltag integriert werden kann: das Flanieren durch leere Straßenzüge und das Wandern in Vororten und auf den Hausbergen. Als der Radius für Ausflugsziele behördlich eingeschränkt wurde, der Bewegungsdrang jedoch ausgelebt werden wollte, wurden Stadtwanderungen in der Kleingruppe gerne auf die Agenda gesetzt.

In Wien bieten sich 14 Stadtwanderwege an, und wer mit Nr. 1 beginnt, kann eine gemütliche Runde über den Kahlenberg spazieren. Wenn man diese Strecke um eine Schleife ausweitet, gelangt man ins benachbarte Klosterneuburg und ist auf dem Rückweg nach Wien entlang der Donau erstaunt, welche architektonischen Neuerungen sich präsentieren. Bereits auf der Rückseite des Kahlenbergs, den Josefsteig bergab schlendernd, kann man sich an alten spitzgiebeligen Häuschen und neuen flachgedeckten Bauten unterschiedlicher Stilrichtungen erfreuen, welche die Qualität der Hanglage eint. Spaziergänger:innen werden an dieser Stelle belohnt, denn es ist ein beeindruckendes Panorama, das sich Richtung Nordosten erschließt: über das Stift Klosterneuburg und die Auen der Donau hinweg auf den Wagram linkerhand, die Burg Kreuzenstein mittig und auf Donaustrom und Bisamberg rechterhand. Da fällt der Abstieg nach Weidling fast schwer, wenn der Blick mit jedem Schritt an Weite verliert.

Am Donauufer angekommen, führt der Weg zurück nach Wien und hält für die architekturinteressierten Flaneur:innen einige neue Objekte bereit: Die „Cabanas Kuchelau“ stehen am Ufer des Kuchelauer Hafenbeckens und sind schicke, schwarz getäfelte zweigeschoßige Hütten mit 42 Quadratmeter Nutzfläche und Dachterrasse, dicht an dicht aufgefädelt und über einer Schotterfläche aufgestelzt. Ostseitig zum Wasser hin ist jeweils ein kleines Holzdeck vorgelagert und eine Loggia ausgebildet, um Privatsphäre herzustellen, ein Detail, das man von den konventionellen Wiener Kabanen, wie stromabwärts im Gänsehäufel, kennt. Diese sind zwar bedeutend kleiner, nämlich nur zwei Quadratmeter groß, beschattet von altem Baumbestand, umgeben von Wiesen und der Alten Donau und nach wie vor ein beliebtes Kleinod zum Ausspannen – die jahrelange Wartezeit auf ein mietbares Hütterl mit gedecktem Vorplatz zeugt von deren Beliebtheit.

Ein wesentlicher Unterschied zu den „Cabanas“ ist allerdings der Preis. Während im städtischen Bad auf Leistbarkeit geachtet wird, kostet die Hütte auf Pachtgrund in Uferlage in der Kuchelau 290.000 Euro. Die London Docklands sind es zwar nicht, aber die Verwertung der Grundstücke am schmalen Hafenbecken, früher mit Werften und Industriebetrieben bebaut, wie einem Stadtplan von 1929 im Klosterneuburger Stadtarchiv zu entnehmen ist, lässt erahnen, dass Investoren hier angelegt haben. Der Kuchelauer Hafen wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch Errichtung eines Dammes parallel zur Donau ausgebildet, um den Schiffen als Wartebereich zu dienen, bevor sie nach Wien einfuhren. Neben Fabriken siedelten sich die in Mode gekommenen Ruderklubs mit ihren Bootshütten an, denn das gut zwei Kilometer lange und 50 bis 80 Meter breite Hafenbecken war ein günstiger Ort für Wassersportler:innen, im Boot oder im Badeanzug: „Sie träumen vom nächsten Sonntag, der ihnen Wasser, Luft und Sonne bringen wird“, wie im Artikel „In der Kuchelau“ von 1929 nachzulesen und auch heutzutage zutreffend ist.

Im Zweiten Weltkrieg erhielt der Hafen mit Errichtung der Marinekaserne direkt am Ufer militärische Bedeutung. Die Auen vor Klosterneuburg waren seit der Donauregulierung mit militärischen Anlagen bebaut, wovon die Namensgebung der „Pionierinsel“ drei Kilometer oberhalb der Kuchelau noch immer zeugt. Während dort kleine Holzhütten auf Stelzen kunterbunt nebeneinanderstehen, gerät die Kuchelauer Uferstraße optisch zu einem Sperrgebiet. Nicht nur die Tegetthoff-Kaserne wurde zu Luxuswohnungen umgebaut, nördlich davon, direkt anschließend an die „Cabanas“, schottet eine mehrgeschoßige Wohnbebauung zum Ufer hin ab. Auf dem ehemaligen militärischen Gelände südlich der jetzigen „Mietskaserne“ ragen kantige Spundwände aus dem Erdreich und zäunen eine Baustelle mit dicht an dicht betonierten Rohbauten ein. Zu statisch und abweisend sind die profilierten Stahlplatten, als dass Richard Serra daran eine Freude hätte, wobei dieses Readymade ohnehin temporär ist, wenn nach Ende der Bauarbeiten die Spundwände bodengleich abgeschnitten werden und der ewigen Baugrubensicherung gegen eindringendes Grundwasser dienen. Ein Energiekreis der anderen Art.

„The Shore“ nennt sich das Projekt im Luxussegment, und der Flaneur fragt sich umgehend, ob es nicht besser „The Edge“ oder vielmehr „Over the Edge“ heißen sollte: Hat man hier den Wagram mit einer Küste verwechselt, womöglich den Hafen mit einem Haff oder gar den Schutzdamm mit einer Nehrung? Ein Blick auf die Verkaufsseite der Errichtergesellschaft lässt dies vermuten, denn die Startseite zeigt, dass die Kleingartenhäuschen vis-à-vis am Ufer des Dammes zum Donaustrom kurzerhand ausgeblendet – um nicht zu sagen: ausradiert – wurden, sie hätten wohl den Blick in die vermeintliche Parklandschaft gestört. Eine Steilküste ist es nicht, auf der die Luxuswohnungen errichtet werden, vielmehr ein Flussufer, daher stellt sich die Frage zur potenziellen Hochwassergefahr. Seitens der MA 45 – Wiener Gewässer wird beruhigt, das Wasser könne sich ausreichend ausweiten, Überschwemmungen der Häuser oder Tiefgaragen seien nicht zu befürchten. Ein Foto von 2002, das von Barbara Weiss (Stadtarchiv Klosterneuburg) gefunden wurde, zeigt zwar das Hochwasser an der Kasernenmauer, aber womöglich ist dies Teil der Marketingstrategie von „Living the Shore Way of Life“: Ein wenig Strombad-Gefühl gehört wohl dazu, wenn nach dem Hochwasser die Gärten von Schlamm befreit werden müssen und die Gelsenbrut gedeiht.

Ein Verweis auf das vormalig wilde Ufer, das Raum für Hochwasser, Fauna und Flora bot, ist am nördlichen Hafenende auf einem Schild zu finden: „Reptilienschutzzone – Betreten verboten!“ Nachforschungen ergeben, dass es sich hierbei um Ersatzstrukturen zur Arterhaltung der Würfelnatter handelt, die bislang an den Uferböschungen des Kuchelauer Hafens und „im Wiesenbereich der Kaserne“ ihren Lebensraum hatte. Die Schlangen verbleiben artgeschützt in Nachbarschaft der Luxuswohnungen – wäre da nicht „Wild Coast“ ein sinnstiftender Projektname gewesen? Wien ist jedenfalls um eine virtuelle tektonische Attraktion reicher, und die Stadtwanderung kann zum Küstenspaziergang umformuliert werden. Schade allerdings, dass diese „Küste“ immer mehr verbaut und für die Allgemeinheit der Wasserzugang zusehends eingeengt wird.

Spectrum, Do., 2021.10.21

13. August 2021Judith Eiblmayr
Spectrum

Wenn der Dom grün sieht

Die Stadt Wien scheint das Thema Überhitzung immer noch nicht ernst zu nehmen. Sie sollte auf die Kunst hören: Mario Terzic möchte den Stephansdom begrünen. Der Name seines Projekts: Franziskusgarten.

Die Stadt Wien scheint das Thema Überhitzung immer noch nicht ernst zu nehmen. Sie sollte auf die Kunst hören: Mario Terzic möchte den Stephansdom begrünen. Der Name seines Projekts: Franziskusgarten.

Als Bewohner:in von Wien kann man prinzipiell nicht klagen, die Stadt bietet im Sommer viele Qualitäten, die andere Großstädte vermissen lassen. Ein breites Angebot an Wasserzugängen ermöglicht es jenen, die sich nicht ins Grüne, in die Berge oder an einen See zurückziehen können, an einem Ufer zu entspannen, schwimmend sich abzukühlen und durch eine frische Brise vom Wasser her die Hitze der Büroräume zu vergessen. Kilometerlange Uferböschungen und Strände an Alter, Neuer und strömender Donau sind frei zugänglich, und seit einem Jahr wird sogar im Donaukanal wieder geschwommen. Ein Stück Freiraum mitten in der Stadt, das der „Schwimmverein Donaukanal“ für sportliche Wasserhungrige wiederentdeckt hat.

Entlang des Donaukanals leben Zehntausende Wiener und Wienerinnen, denen sich mit dem kanalisierten Donauwasser oft die einzige innerstädtische Option zur abendlichen Abkühlung eröffnet. In einem dieser dicht bebauten Grätzel, wo einige wenige Bäume in einem Park über einer Tiefgarage versuchen, frische Luft zu spenden, steigen die Temperaturen bei einer Hitzewelle ins Unerträgliche. Aber man weiß, dass die Gemeinde Wien einen Strategieplan entwickelt hat, um die aufgeheizten Straßenzüge mit erfrischendem Wind zu entschärfen. Die Hitzeinseln – „Urban Heat Islands (UHI)“ – sollen mit städtebaulichen Maßnahmen abgekühlt werden: etwa mit grünen Fassaden, Sprühnebelanlagen und Trinkbrunnen.

Es ist ein Maßnahmenpaket der Wiener Umweltschutzabteilung (MA22), das Hoffnung macht, es könnte sich etwas zum Besseren ändern – ohne Bürgerinitiative. Selbst als eine südwestseitig über den Donaukanal hinweg zum Stephansdom orientierte Feuermauer in eben diesem Grätzel schwarz angestrichen wird, denkt man noch nichts Böses. Vielleicht ist dies die Hintergrundfarbe für eine Fotovoltaikanlage, die an die bislang weiße, 200 Quadratmeter große Wandfläche appliziert wird?

Ernüchterung setzt nach zwei Tagen ein, als man erkennt, dass auf schwarzem Hintergrund die aufgemalte Silhouette eines Autos Formen anzunehmen beginnt. Kann das sein? Ist das eine bezahlte Werbefläche? Soeben hat man im UHI-Strategieplan auf Seite 35 gelesen, dass eines der Ziele sei, Gebäudeoberflächen aufzuhellen, weil „dunkle Oberflächen eine tendenziell geringere Reflexionsrate“ aufweisen – eine nicht unbedingt neue Erkenntnis –, und plötzlich ist die unter den aufgeheizten Gemäuern leidende Bevölkerung mit einem überdimensionalen Werbesujet auf schwarzem Grund konfrontiert, das die Köpfe zum Glühen bringt – vor Hitze oder Wut, sei dahingestellt. Zusätzlich wird dieses Sujet nachts mit einer Projektion bespielt, aus kolportierten vier Wochen Betriebszeit sind mittlerweile acht geworden, und die Werbung ist immer noch da.

Im Wissen, welch strenges Auge die für Stadtgestaltung zuständige MA19 auf andere Werbeträger wirft, wendet man sich an diese Stelle und fragt, wie eine positive Stellungnahme zu einer solchen schwarzen Wand denn möglich sei. Die Antwort, kurz gefasst: Es gebe keine Handhabe, dies zu untersagen. Auf Werbeflächen ist offensichtlich alles erlaubt, zumal sie von einem mächtigen Autokonzern angemietet wurde. Der Einwand einer sommerlichen Überhitzung in der Wohngegend bleibt unkommentiert, wobei versprochen wird, dass das Dezernat „Gestaltung öffentlicher Raum“ die Projektoren begutachten werde.

Empathischer fällt die Stellungnahme der MA22 aus, die die negativen mikroklimatischen Auswirkungen jener Fassade beim Namen nennt. Man sei bestrebt, „Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, um auf die positiven Auswirkungen von Oberflächenbeschaffenheiten hinzuweisen“, und es werde an „Tools gearbeitet, um stadt- und mikroklimatische Veränderungen zukünftig besser steuern zu können“. Das E-Mail werde an die MA19 weitergeleitet, die zuständige Dienststelle. Ein sozialwissenschaftlich durchaus probates „Tool“ wäre, miteinander zu reden, um konzertiert als Stadt Wien solchen Unsinn schwarzen Werbehumors zu unterbinden oder schleunigst weiß übermalen zu lassen, aber davon steht nichts im Schreiben.

Solches Vordenken bleibt der Künstlerschaft überlassen, wie so oft, wenn das Nachdenken der Politik zu spät kommt. Wie erwähnt, liegt im Blickfeld der beschriebenen Hitzeinsel der Stephansdom; knapp 500 Meter Luftlinie ist er entfernt und nicht nur eines der Wahrzeichen von Wien, sondern ein in Bezug auf das Hitzethema beispielhaftes Bauwerk. Mitten im Stadtzentrum, wo kein Grün zu finden ist, flüchtet sich so mancher Tourist im Hochsommer in die Kühle der hohen gotischen Gemäuer aus Auer- und Mannersdorfer Sandstein. Was wäre, wenn man die systemimmanente Nachhaltigkeit augenscheinlich machte und etwa in Blickweite einer rückwärtsgewandten Autowerbung der Dom um ein (Bau-)Kapitel ergänzt würde und mit einem grünen Turm visionär imponierte?

Das dachte sich der Wiener Objektkünstler und Landschaftsdesigner Mario Terzic, als er jüngst ein Projekt vorschlug, das in jeder Hinsicht ein Aufzeiger ist: Er will den Nordturm des Stephansdoms fertigstellen, der Zeit entsprechend mittels tatsächlich grüner Architektur. „Franziskusgarten“ nennt er sein Projekt eines vertikalen Gartens in Form gotischer Fialen als Fertigstellung des unvollendeten Kirchturms und bezieht sich damit auf die Enzyklika von Papst Franziskus (2015): „Der Franziskusgarten ist kein Kunstwerk. Er ist die konsequente gartenarchitektonische Umsetzung der radikalen Botschaft Laudato si' zu den weltweiten Umweltschäden“, schreibt Terzic. Dies könne eine Erfüllung der Forderungen „über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (Laudato si'), das Mutter Natur erbaut hat, sein und weithin sichtbar Symbolkraft ausstrahlen – positive wohlgemerkt, um auch geschwärzten Werbeflächen etwas Mächtiges entgegenzuhalten.

Das wäre kein Werbegag, sondern würde eine Programmatik verdeutlichen: Wir müssen im Stadtbild ökologisch vordenken und nicht oberflächliche Schwarzmalerei fördern, die direkte negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in der Innenstadt hat. Wenn seitens der Stadt Wien Grünfassaden propagiert werden, könnte ein grüner Kirchturm der beste Werbeträger hierfür sein. So ein Projekt mitten in Wien könnte jedenfalls internationale Vorbildwirkung haben und dazu beitragen, die Großstadthitze mit kreativ-frischem Wind zu umwehen.

Spectrum, Fr., 2021.08.13

27. Oktober 2020Judith Eiblmayr
dérive

Die unbekannte Karriere der Moderne-Architektin Elizabeth Scheu Close

Eines der umfassendsten Gesamtwerke, das ein österreichischer Architekt der Moderne im Zeitraum von 1938–1991 aufweisen kann, ist in Österreich unbekannt...

Eines der umfassendsten Gesamtwerke, das ein österreichischer Architekt der Moderne im Zeitraum von 1938–1991 aufweisen kann, ist in Österreich unbekannt...

Eines der umfassendsten Gesamtwerke, das ein österreichischer Architekt der Moderne im Zeitraum von 1938–1991 aufweisen kann, ist in Österreich unbekannt – wie ist das möglich? Nun, es ist möglich, weil man diese architekturschaffende Person im Deutschen gendern sollte, denn diese ist eine Frau.

Man kennt Rudolf Schindler, Richard Neutra und Victor Gruen, aber eine Architektin? Elizabeth Scheu Close, nie gehört! Es ist eine spannende Geschichte, wie man im 20. Jahrhundert als Wienerin in der Architektur der Moderne in den USA reüssieren konnte, in der früheren Heimat jedoch nicht wahrgenommen wurde. Noch dazu, wenn man in einem von Adolf Loos geplanten Haus aufgewachsen ist!

Die renommierte amerikanische Architekturhistorikerin Jane King Hession hat in ihrem jüngst erschienenen Buch, Elizabeth Scheu Close – A Life in Modern Architecture die einmalige Geschichte einer mutigen jungen Frau aus Österreich erzählt, die 1932 zum Studium in die USA auswanderte und die erste und bedeutendste Architektin in Minnesota wurde. In dem Bildband werden erstmals das reichhaltige Œuvre und nachhaltige Wirken der Architektin, die über 50 Jahre lang aktiv war, umfassend dargestellt, ein repräsentativer Querschnitt durch ein Werk von 456 aufgelisteten Projekten. Ebenso hat Jane Hession ein sensibles biografisches Portrait verfasst, hatte sie doch noch Gelegenheit gehabt, mit Lisl, wie sie zeitlebens genannt wurde, persönliche Gespräche zu führen.

Elisabeth (später Elizabeth) Scheu, geboren 1912, ist in der Larochegasse 3 in Wien Hietzing aufgewachsen und war – im doppelten Sinne – stark durch ihr Elternhaus geprägt. Es waren ihre aufgeschlossenen Eltern gewesen, die Schriftstellerin und Verlegerin Helene Scheu-Riesz (1880–1970) und der Anwalt Gustav Scheu (1875–1935), die Adolf Loos mit der Planung ihres Hauses beauftragt hatten, das 1913 von Familie Scheu bezogen wurde. Elisabeth lebte bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr in dieser Architektur-Ikone, womit ihr das Leben in der Moderne quasi in die Wiege gelegt worden war. Je älter sie wurde, desto mehr begriff sie die Wirkungsmacht von Architektur, wie diese nicht nur zum Quell von Inspiration, sondern auch von Provokation werden kann, so wie sie das beim Haus Scheu erlebte.

Gegen Ende ihrer Schulzeit wusste Elisabeth Scheu, dass sie Architektin werden wollte, bereits damals fokussiert auf die aufkeimende Moderne. Die Prägung in einem Loos-Haus aufgewachsen zu sein hatte entschieden dazu beigetragen, nebst der Ermunterung durch die Eltern einen ihren Talenten entsprechenden Beruf anzustreben. Beides waren außergewöhnliche Faktoren einer weiblichen Biographie im bürgerlichen Wien der Zwischenkriegszeit.

Elisabeth Scheu begann ihr Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Wien 1930 – zehn Jahre, nachdem Frauen zum Studium zugelassen worden waren, immer noch eine Herausforderung. Die männerdominierte Fakultät legte den Kolleginnen konsequent Steine in den Weg. »Die wollten dort einfach keine Frauen«, erinnerte sich Elizabeth Scheu Close. Dies war einer der Gründe, dass sie für sich in Österreich keine Zukunft sah, der andere war der verstärkte Antisemitismus; Helene Scheu-Riesz war zwar als Quäkerin aktiv, aber sie entstammte einer jüdischen Familie. Im Jahr 1932 bestieg Elisabeth Scheu ein Schiff nach New York, um am MIT – Massachusetts Institute of Technology in Boston ihr Architekturstudium fortzusetzen und niemand konnte damals ahnen, dass sie in den USA bleiben und ihr Lebensmittelpunkt Minnesota werden würde.

Nach ihrem Studienabschluss 1935 arbeitete sie drei Jahre lang in Architekturbüros in Philadelphia und Minneapolis, bevor sie 1938 gemeinsam mit Winston Close (1906–1997), ihrem Studienkollegen am MIT und späteren Mann in Minneapolis ein Büro explizit für moderne Architektur eröffnete. Die beiden setzten diesen Plan auch um und hinterließen ein breit gefächertes, nachhaltiges Werk.

Der erste Planungsauftrag sollte ein erschwingliches Haus für drei junge Universitätsprofessoren sein, das diese als Wohngemeinschaft bewohnen wollten, eine Bauaufgabe, bei welcher Close & Scheu Architects, wie sie ihr Büro bis zu ihrer Hochzeit nannten, ihren Innovationsgeist beweisen konnten: Ein Haus mit Flachdach, um überflüssige Kubatur zu sparen. Der boxy style war für Minnesota nicht nur wegen seiner schneereichen Winter eine Besonderheit, sondern wegen der reduzierten Form eine Provokation, wurde es doch in der Wiederverkäuflichkeit in Frage gestellt. So erging es Elizabeth Scheu Close ähnlich wie Loos – visionäre Architektur war ein Grund zur Anfeindung. Das Holzhaus, das immer noch steht, besticht in seinem Selbstverständnis einer unaufgeregten Moderne, die ihre Wiener Spuren nicht leugnen kann.

Während des Zweiten Weltkriegs ließen Elizabeth and Winston Close, Architects ihre Befugnis ruhen und Scheu Close arbeitete für die Page & Hill Defense Company, die vorfabrizierte Häuser für Kriegsheimkehrer errichtete. Sie war bis in die späten 1950er Jahre für diese Firma als Architektin tätig, mehr als tausend Einfamilienhäuser wurden nach ihren Plänen errichtet. 1946 wurde Winston Close zum leitenden Architekten der Campusplanung in Minneapolis bestellt, während Scheu Close alleinverantwortlich das Büro führte. Die Bauaufgaben waren ab dann vielfältig, von zahlreichen Einzelhäusern und Wohnbauten, über Spitäler bis zu Firmengebäuden, oder dem Wettbewerb für das Franklin D. Roosevelt Memorial in Washington im Jahr 1960. Elizabeth Scheu Close war in den USA eine der ersten Frauen in der Branche und hatte die Chance, moderne Architektur im größeren Maßstab umzusetzen. Außergewöhnlich dabei ist die ungebrochene Karriere von 1936 bis 1991, während Europa durch den Nationalsozialismus dem Antimodernismus unterworfen wurde.

2002 wurde sie vom AIA – American Institute of Architects für ihr Lebenswerk geehrt, »das von wesentlicher Bedeutung für das Architekturgeschehen in Minnesota war und dessen Baukultur mitbestimmt hat.« Jane Hessions Verdienst ist es, ein Stück amerikanischer Architekturgeschichte erforscht und eine Strömung der Moderne österreichischer Provenienz in einem großartigen Buch öffentlich gemacht zu haben hat.


Jane King Hession
Elizabeth Scheu Close –
A Life in Modern Architecture Minneapolis/London:
University of Minnesota Press, 2020 256 Seiten, ca. 35 Euro

dérive, Di., 2020.10.27



verknüpfte Zeitschriften
dérive 81 Demokratische Räume

28. August 2020Judith Eiblmayr
Spectrum

Elizabeth Scheu Close: Wie die Wiener Moderne nach Minnesota kam

Die Moderne war ihr in die Wiege gelegt: Aufgewachsen in einer Hietzinger Villa von Adolf Loos, wurde Elizabeth Scheu Close (1912 bis 2011) die erste und bedeutendste Architektin in Minnesota. Erinnerung an eine in ihrer Heimat Vergessene.

Die Moderne war ihr in die Wiege gelegt: Aufgewachsen in einer Hietzinger Villa von Adolf Loos, wurde Elizabeth Scheu Close (1912 bis 2011) die erste und bedeutendste Architektin in Minnesota. Erinnerung an eine in ihrer Heimat Vergessene.

Eines der umfassendsten Gesamtwerke, das ein österreichischer Architekt der Moderne im Zeitraum von 1938 bis 1991 aufweisen kann, ist in Österreich unbekannt – wie ist das möglich? Nun, weil dieser Architekt eine Architektin war. Man kennt Rudolph Schindler, Richard Neutra und Victor Gruen, aber eine Architektin . . .? Elizabeth Scheu Close, nie gehört!

Als ich im Jänner 2016 von einem sechsmonatigen Gastprofessur-Aufenthalt an der University of Minnesota aus Minneapolis zurückkehrte, hatte ich das Wissen um die Architektin Elizabeth Scheu Close und ihre einzigartige Geschichte im geistigen Gepäck. Ich begann, in der architekturwissenschaftlich ausgerichteten Kollegenschaft nachzuforschen, wer von der österreichisch-amerikanischen Architektin Kenntnis hatte. Es stellte sich heraus: Niemand kannte sie, weder als in den USA renommierte Architektin noch als Nachfahrin einer bedeutenden Familie in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie.

Selbst im jeweiligen Wikipedia-Eintrag ihrer bekannten Eltern, der Schriftstellerin und Verlegerin Helene Scheu-Riesz (1880 bis 1970) und des Anwalts Gustav Scheu (1875 bis 1935), wurde lediglich der Sohn, Elizabeths Bruder, Friedrich Scheu (1905 bis 1985), erwähnt. Dass es eine in den USA lebende Tochter gab, die erst 2011 im 100. Lebensjahr verstarb, wurde schlichtweg ignoriert, ein gängiger Missstand bei der öffentlichen Wahrnehmung „großer Töchter“ Österreichs. Das konnte mittlerweile korrigiert werden. Und Architekturkundigen wird der Name Scheu anderweitig präsent sein: Helene und Gustav Scheu hatten Adolf Loos mit der Planung ihres Hauses in Hietzing beauftragt, das 1913 fertiggestellt wurde.

Elisabeth (hier noch mit „s“), geboren 1912, ist im Haus Scheu von Adolf Loos in der Larochegasse 3 aufgewachsen und lebte bis zu ihrem 20. Lebensjahr in dieser Ikone der modernen Architektur. Sie studierte an der Technischen Hochschule in Wien und am Massachusetts Institute of Technology in Boston Architektur und hatte im Jahr 1938 den für die damalige Zeit verwegenen Plan, in Minnesota gemeinsam mit ihrem Studienkollegen am MIT und späteren Mann, Winston Close (1906 bis 1997), ein Büro für moderne Architektur zu eröffnen. Die beiden hinterließen ein breit gefächertes, nachhaltiges Werk, das jüngst aufgearbeitet wurde.

Es ist höchst an der Zeit, diese einmalige Geschichte einer mutigen jungen Frau aus Österreich zu erzählen, die 1932 zum Studium in die USA auswanderte und die erste und bedeutendste Architektin in Minnesota wurde, oder wie die Architekturhistorikerin Jane King Hession schreibt: „Lisls außergewöhnliche Leistungen sind zu wichtig, um ein gut gehütetes Geheimnis zu bleiben.“

Im April dieses Jahres ist Jane Hessions Buch „Elizabeth Scheu Close – A Life in Modern Architecture“ in der University of Minnesota Press erschienen, ein Bildband, der erstmals das reichhaltige Œuvre und nachhaltige Wirken einer Architektin umfassend darstellt, die mehr als 50 Jahre lang aktiv war. Es ist ein repräsentativer Querschnitt durch ein Werk von 456 ausgewählten Projekten, zahlreiche Fotos und Pläne zeugen von der Diversität der von ihr geplanten Bauten. Ebenso hat Jane Hession ein sensibles biografisches Porträt verfasst, hatte sie doch noch Gelegenheit gehabt, mit „Lisl“, wie sie zeitlebens genannt wurde, persönliche Gespräche zu führen.

Spielen auf abgetrepptem Gebäude

Elisabeth Scheu war stark durch ihr Wiener Elternhaus geprägt – und dies gleich im doppelten Sinne: Leben in der Moderne war ihr quasi in die Wiege gelegt, ihre gesamte Jugend war sie von getäfelt schützendem Interieur Loosscher Planung umgeben und konnte auf einer der Terrassen des abgetreppten Gebäudes spielen, wie Fotos aus dem Familienarchiv zeigen. Je älter sie wurde, desto mehr begriff sie die Wirkungsmacht von Architektur, wie diese nicht nur zum Quell von Inspiration, sondern auch von Provokation werden kann. Wie beim Haus Scheu: Ein Terrassenhaus mit Flachdach war Anfang des 20. Jahrhunderts – in unmittelbarer Nachbarschaft von historisierenden oder Jugendstilvillen – zweifellos provokant. „Außen pfui – innen hui“, zu diesem Aphorismus ließ sich einer der zahlreichen im Hause Scheu Eingeladenen hinreißen, wie dem Gästebuch zu entnehmen ist.

Gegen Ende ihrer Schulzeit wusste Lisl, dass sie Architektin werden wollte, bereits fokussiert auf die aufkeimende Moderne. Die Prägung, in einem Loos-Haus aufgewachsen zu sein, hatte entschieden dazu beigetragen. Ebenso wichtig waren ihre aufgeschlossenen Eltern. Helene Scheu-Riesz war eine unternehmerisch ehrgeizige Frau, die sich als Autorin, Übersetzerin und Verlegerin von Kinderbüchern einen Namen gemacht hatte. Sie engagierte sich in Friedens- und Sozialhilfeprojekten und in der Frauenbewegung. Lisl war sie das Vorbild einer erwerbstätigen Mutter – Anfang des 20. Jahrhunderts im bürgerlichen Wiener Umfeld eine Seltenheit. Es war für Lisl normal, einen ihren Talenten entsprechenden Beruf anzustreben. Gustav Scheu war Rechtsanwalt, aktiver Sozialdemokrat und in der Zwischenkriegszeit Politiker im „Roten Wien“. Er war Mitbegründer der Zentralstelle für Wohnungsreform. Die politische Überzeugung ihres Vaters, die triste Wohnungssituation der Arbeiterschaft verbessern zu müssen, machten nachhaltigen Eindruck auf Lisl. Ihr späteres Berufsleben war geprägt von einem sozialen Anspruch bei ihren Bauprojekten – die Bauten sollten den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

Von ebensolchem sozialen Geist getragen war die Adresse Larochegasse 3, wo bekannte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik ein und aus gingen. Das Gästebuch des Hauses Scheu liest sich wie ein Who's who der Intellektuellen seiner Zeit. Ein mehrmaliger Gast im Hause Scheu war der US-amerikanische Geschäftsmann und Philantrop Edward Filene, der in Boston seinen Firmensitz hatte und Lisl später ermuntern sollte, in die USA zu gehen, um am MIT weiterzustudieren.

Elisabeth Scheu schrieb sich an der Technischen Hochschule Wien für das Fach Architektur ein. 1930, mehr als zehn Jahre, nachdem Frauen zum Studium zugelassen worden waren, noch immer eine Herausforderung. Die männerdominierte Fakultät legte den Kolleginnen konsequent Steine in den Weg. „Die wollten dort einfach keine Frauen“, erinnerte sich Lisl Scheu Close und beschrieb die Mechanismen der Frauenfeindlichkeit: subtil, indem keine eigenen Toiletten zur Verfügung gestellt wurden, und direkt, wenn Studentinnen daran gehindert wurden, sich zu Vorlesungen anzumelden oder ihre Leistungen prinzipiell mit schlechten Noten entwertet wurden. Durch die einsetzende nationalsozialistische Unterwanderung der Universitäten kam es zu Störungen von Vorlesungen. Mehr und mehr war die öffentliche Stimmung von Antisemitismus geprägt, die Lage wurde für die Scheus gefährlich: Helene Scheu-Riesz war zwar als Quäkerin aktiv, aber sie entstammte einer jüdischen Familie. Im Jahr 1932 bestieg Lisl ein Schiff nach New York, um am MIT ihr Architekturstudium fortzusetzen. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass sie in den USA bleiben und ihr Lebensmittelpunkt Minnesota werden würde.

Nach ihrem Studienabschluss 1935 arbeitete sie drei Jahre lang in Architekturbüros in Philadelphia und Minneapolis, bevor sie 1938 gemeinsam mit Winston Close den ersten Planungsauftrag erhielt: ein erschwingliches Haus als Wohngemeinschaft für drei junge Universitätsprofessoren. Dies war eine Bauaufgabe, bei der Close & Scheu Architects, wie sie ihr Büro bis zu ihrer Hochzeit nannten, ihren Innovationsgeist beweisen konnten: Es sollte ein Haus mit Flachdach werden, um überflüssige Kubatur zu sparen. Der boxy style war für Minnesota nicht nur wegen seiner eiskalten und schneereichen Winter eine Besonderheit, sondern wegen der reduzierten Form eine Provokation: Es konnte kein Kredit für die Baukosten aufgenommen werden, da das Haus ohne Giebeldach als unverkäuflich und daher wertlos beurteilt wurde. So erging es Lisl ähnlich wie Adolf Loos – visionäre Architektur war ein Grund zur Anfeindung. In Minneapolis nicht anders als ein Vierteljahrhundert zuvor in Wien. Das Holzhaus, das trotzdem gebaut und später für neue Besitzer erweitert wurde, mit seiner kostengünstigen Außenhaut und den mit warmen Materialien gestalteten Innenräumen, steht immer noch. Es besticht in seinem Selbstverständnis einer unaufgeregten Moderne, die ihre Wiener Spuren nicht leugnen kann.

Während des Zweiten Weltkriegs ließen Elizabeth and Winston Close, Architects ihre Befugnis ruhen. Winston diente als Reservist in der US Navy, Lisl arbeitete für die Page & Hill Defense Company, die vorfabrizierte Häuser für Kriegsheimkehrer errichtete. Sie war bis in die späten 1950er für diese Firma als Architektin tätig, mehr als 1000 Einfamilienhäuser wurden nach ihren Plänen errichtet. Dies ermöglichte ihr ein internationales Projekt, war es doch ein von ihr entworfenes Haus, das im Auftrag des US-Staates nach Europa verschifft und 1950 bei der deutschen Industrieausstellung in Berlin gezeigt wurde.

Karriere von 1938 bis 1991

Im Jahr 1946 wurde Winston Close zum leitenden Architekten der Campusplanung in Minneapolis bestellt, eine Funktion, die er bis 1971 innehatte. Während Winston entscheidend die Campusarchitektur prägte, führte Lisl alleinverantwortlich das Büro, sowohl die Planung wie auch das Geschäftliche betreffend. Die Bauaufgaben reichten von Einzelhäusern und Wohnbauten über Spitäler bis zu Firmengebäuden.

Elizabeth Scheu Close hatte in ihrer beruflichen Laufbahn in den USA – auch dort war sie eine der ersten Frauen in der Branche – die Chance, ihr architektonisches Können auch im größeren Maßstab umzusetzen. Außergewöhnlich dabei ist eine ungebrochene Karriere von 1938 bis 1991. Diese Kontinuität gab es ideologie- und kriegsbedingt in Europa nicht – schon gar nicht bei einer Frau und Mutter von drei Kindern. 2002 wurde sie vom American Institute of Architects für ein Lebenswerk geehrt, „das von wesentlicher Bedeutung für das Architekturgeschehen in Minnesota war und dessen Baukultur mitbestimmt hat“.

Jane Hessions Verdienst ist es, ein Stück amerikanischer Architekturgeschichte erforscht und eine Strömung der Moderne österreichischer Provenienz in einem großartigen Buch öffentlich gemacht zu haben. Der Mehrwert für die hiesige Architekturrezeption ist, wie moderne Architektur in den USA realisiert werden konnte, während Europa durch den Nationalsozialismus dem Antimodernismus unterworfen wurde – „A Life in Modern Architecture“ ist die Gegenthese dazu. Elizabeth Scheu Close hatte durch Loos geprägt ihr eigenes Los bestimmt und der Moderne in Minnesota zum Durchbruch verholfen.

Spectrum, Fr., 2020.08.28

28. April 2018Judith Eiblmayr
Spectrum

Sehen und gesehen werden

Leben wie in einem James-Bond-Film: Das Einfamilienhaus „Golden Eye“ an der Côte d'Azur fasziniert nicht nur mit dem Ausblick aufs azurblaue Meer. Außergewöhnliche Baukunst – aus Österreich.

Leben wie in einem James-Bond-Film: Das Einfamilienhaus „Golden Eye“ an der Côte d'Azur fasziniert nicht nur mit dem Ausblick aufs azurblaue Meer. Außergewöhnliche Baukunst – aus Österreich.

Beausoleil heißt ein französischer Ort, dessen Name alles verheißt, was man sich an der Côte d'Azur erträumt: schön und an der Sonne, womöglich an der felsigen Küste mit Blick aufs Mittelmeer – was will ein assoziatives Bild mehr?! Was man als Ortsunkundiger nicht weiß, ist, dass es sich bei Beausoleil um den Stadtzwilling von Principatu de Múnegu, besser bekannt als Monaco, handelt, der auch physisch teilweise im Schatten der Hochhäuser des Fürstentums liegt.

Mitten durch die baulich extrem verdichtete, rund 40.000 Einwohner zählende Stadt verläuft die Grenze, die den Stadtstaat an der Küste von Frankreich trennt. Das Palais der Grimaldis thront auf dem Rocher Canton, an dessen Fuße liegt der Jachthafen der Reichen und Schönen dieser Welt, wo eine lang gestreckte Mole den Weg zum offenen glitzernden Meer weist.

Unmittelbar hinter der Hochhausstadt begrenzt ein felsiges Bergmassiv den schmalen Küstenstreifen und bietet sich für eine Vielzahl von Einfamilienhäusern offensichtlich seit Jahrzehnten als Baugrund an. Guter Grund zu bauen ist die fantastische Sicht, die sich von hier aus bietet, auf die Stadt und über deren Dächer hinweg auf das tatsächlich azurblaue Meer. Wer träumt als Architekt oder Architektin nicht davon, an solch einem Ausnahmebauplatz bauen zu können, sich vom Genius Loci inspirieren zu lassen und dies in Kubatur zu übersetzen? Angesichts von Eileen Grays Meisterwerk der Moderne, E.1027 – Maison en Bord de Mer, am Südwestufer des vier Kilometer entfernten Cap Martin mit Blick auf Monaco gelegen, scheint es fast unerreichbar, sich in dieser Gegend architektonisch manifestieren zu können. Dass ausgerechnet einem österreichischen Architekturbüro diese Ehre zuteil wurde, ist bemerkenswert und das gebaute Ergebnis berichtenswert, denn die Villa „Golden Eye“ ist ein wahrer Eyecatcher.

Die Auftraggeber sind Österreicher, die auch in Wien einen Wohnsitz haben. Aus einem Consulting, wie man die Wohnsituation verbessern könnte, folgte vor einigen Jahren der Auftrag an Anylis Architekten, Marion Kuzmany und Michael Lisner, das Haus umzubauen – und das Ergebnis erfüllte die Ansprüche der Bewohner. Nachdem die Auftraggeber an die Côte d'Azur übersiedelt waren, wollten diese dort ein eigenes Haus bauen. Das passende Grundstück war nach langer Suche erworben, einen passenden Architekten an Ort und Stelle zu finden stellte sich allerdings als schwieriger heraus als gedacht.

So wandten sie sich an ihre in Wien ansässigen Architekten Marion Kuzmany und Michael Lisner, im vollen Vertrauen, dass diese erneut ihre Wohnwünsche in die richtige Form gießen würden. So exzeptionell der Baugrund war, so außergewöhnlich sollte auch die Architektur sein, die Bedürfnisse der Bewohner gleichzeitig antizipierend. Mit diesem Vertrauensvorschuss betraut, machte sich das Architektenduo an die Arbeit. Es gab Detailvorgaben, die berücksichtigt werden sollten: Abgesehen von einem definierten Raumprogramm sollte ein Kamin das zentrale Element sein, an dem vorbei der unverstellte Übergang in den Außenraum gewährleistet ist.

Da das Grundstück in Hanglage bereits dahingehend ausgesucht worden war, war der ungehinderte Blick auf Monaco ein ebensolches „Must“ – auch beim Schwimmen im Infinity Pool. Es sollte ein Refugium werden, das sowohl als Ausguck als auch als Hingucker fungiert und täglich genossen werden kann.

Um sich den Wünschen an die Kubatur konstruktiv annähern zu können, musste vorab der felsige Hang dekonstruiert und in Terrassen neu angelegt werden. Ein in den Hang integriertes Sockelgeschoß mit zwei Gästewohnungen und Lagerräumen und darunter liegender Tiefgarage bildet die mit Faserzementtafeln in Anthrazit gehaltene Basis, über der sich das eigentliche Wohnhaus als eigenständiger, im Grundriss verschwenkter Baukörper erhebt. Auf der Hauptebene gehen Wohnraum, Terrasse und Garten mit dem lang gestreckten Pool nur durch eine Schicht Glas getrennt ineinander über; der Kaminblock, der auch als Technikschacht und Einbaumöbel fungiert, ist der stabilisierende Pfeiler, der sich an der Vorderfront des Gebäudes über beide Geschoße erstreckt.

Daran angehängt und somit weitestgehend stützenfrei wird die große Geste dieses Bauwerks gesetzt, die es formal von anderen Villen unterscheidet: Die Horizontalität der Geländeterrassierung wird aufgenommen und in eine weit auskragende, am Sonnenstand orientierte Deckenkonstruktion übersetzt, die die Beschattung der Glasflächen gewährleistet. Ausgeklügelt und statisch ausgereizt schieben sich die Deckenkonstruktionen von Erd- und Obergeschoß talseitig bis zu sieben Meter vor, bilden an drei Hausseiten Loggien aus und decken jeweils eine Fläche dreimal so groß wie die Grundfläche des eigentlichen Hauses ab.

Die beiden mit weißen Platten belegten Lagen sind einen Meter hoch, um die Stahlkonstruktion abzudecken und gleichzeitig die Haustechnik unterzubringen; durch die große Dimensionierung werden sie zum formal bestimmenden Element. Die in einer Ebene durchlaufende Deckenuntersicht mit integrierten Lichtbändern und Lüftungsschlitzen in der Fugenteilung und der Bodenbelag aus weißem Terrazzo mit glimmernden Muscheleinstreuungen stellen den auch in der Materialität schwellenlosen Übergang zwischen Innen- und gedecktem Außenraum wie selbstverständlich her.

Eine Ebene im Swimmingpool, die auf verschiedenen Höhen arretiert, oder eine Poolbar, die in den Boden versenkt werden kann, sind neben anderen jene Assets, die durchaus mit dem Setdesign eines James-Bond-Filmes assoziiert werden können. Der Name „Golden Eye“ spielt mit dieser Assoziation, und dem Architektenduo Anylis ist es gelungen, genau diese Qualität des Bauplatzes herauszuarbeiten: als Luxusvilla belebt und beäugt zu werden und gleichzeitig den Blick in die Ferne zu richten, wo die Wasserfläche des Pools und das Mittelmeer nur durch eine feine Linie getrennt werden und am Horizont in den azurblauen Himmel übergehen.

Beau et ensoleillé – was will man mehr, als an diesem schönen, sonnigen Ort ein Haus bauen zu können?

Spectrum, Sa., 2018.04.28



verknüpfte Bauwerke
Villa Golden Eye

18. Februar 2017Judith Eiblmayr
Spectrum

Ein Rochen über der Einfahrt

Die neue, zeltartige Überdachung einer Firmenzufahrt fungiert nicht nur als Witterungsschutz, sondern setzt ein deutliches architektonisches Zeichen. Verantwortet von Claire Braun, zu begutachten in Vodňany, Tschechien.

Die neue, zeltartige Überdachung einer Firmenzufahrt fungiert nicht nur als Witterungsschutz, sondern setzt ein deutliches architektonisches Zeichen. Verantwortet von Claire Braun, zu begutachten in Vodňany, Tschechien.

Wenn man die Grenze zwischen Österreich und Tschechien übertritt, sollte man meinen, dass landschaftlich kein allzu großer Unterschiedzwischen den beiden historisch die meiste Zeit eng verbundenen Staaten besteht. Prinzipiell stimmt das auch: Das Wald- und Mühlviertel gehen über in waldige Gebiete mit der Richtung Prag fließenden Moldau, an deren Strom nicht nur Schlösser errichtet, sondern auch zahlreiche Mühlen und Flößerei betrieben wurden. Südböhmen zeugt durch die Vielfalt der Baukultur und die meist vorbildlich restaurierten Dörfer und Städte von der Kultiviertheit der auch an Bodenschätzen reichen Region. Die unzähligen Schlösser belegen gleichzeitig den Reichtum des altösterreichischen Adels, der in dieser Gegend für seine wirtschaftlichen Interessen wie die Holzwirtschaft und privaten dazu, wie die Jagd, ideale Bedingungen fand.

Zwischen all den Wäldern, Flüssen und Teichen wurde Agrarland angelegt, das im Laufe der Jahrhunderte immer wichtiger wurde. Hier liegt der große Unterschied zwischen den beiden Nachbarstaaten, der einem jedoch erst beim zweiten Blick bewusst wird: Es sind die riesigen Felder. Ein einziger Acker zieht sich manchmal weit über sanfte Hügel hinweg, und seine Begrenzung ist erst am Horizont auszumachen. Die relative Kleinteiligkeit in der österreichischen Landwirtschaft geht knapp hinter der Grenze in eine Dimensionierung über, die eher an US-amerikanisches Farmland erinnert.

Inmitten dieser Land(wirt)schaft hat sich eine österreichische Firma angesiedelt, um von genau jenen großen Flächen zu profitieren. Pöttinger Landtechnik, ein seit 1871 bestehendes Familienunternehmen aus Grieskirchen in Oberösterreich, Hersteller von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen, hat 2007 in Vodňany, nordöstlich von Budweis, ein Werk für Lackiertechnik eröffnet und erfolgreich etabliert. Zur Standortaufwertung sollte nun zwischen der bestehenden Produktionshalle, über ein Portierhaus hinweg, wo die An- und Abmeldung von Lkws stattfindet, die Zufahrt auf das Betriebsgelände überdacht werden: einerseits als Witterungsschutz gegen Niederschlag und Sonne, andrerseits um ein markantes architektonisches Zeichen zu setzen.

Klaus Pöttinger, der bislang gemeinsam mit seinem Bruder Heinz den Familienbetrieb in der vierten Generation führte, betraute mit der Bauaufgabe die Architektin Claire Braun aus Vöcklabruck, die immer wieder für die Firma Pöttinger planerisch tätig war. Dass sie eine zeichenhafte Architektursprache beherrscht, zeigte sich in der flachen Bogenform einer Fußgänger- und Radfahrbrücke in Grieskirchen, die zwei Gebäude der Firma verbindet und mit gekonnter Leichtigkeit eine Straße überspannt. Mit eben dieser Leichtigkeit ging Claire Braun auch an die Bauaufgabe einer Überdachung heran – immerhin galt es 2200 Quadratmeter Fläche abzudecken. Sie bediente sich einer Membrankonstruktion, die eher als ephemer wahrgenommen wird, etwa als Partyzelte oder „Sunsails“ für Terrassenüberdachungen, in der Architektur allerdings etwas aus der Mode gekommen ist. In freier Form gestaltbar und für große Spannweiten geeignet, ist die Leichtigkeit eines folienbespannten Tragwerks eine Technologie, die für diesen Zweck ideal zu sein scheint.

Als raffinierten Kontrapunkt zur klassisch kistenförmigen Ausformung der Betriebsstätte definierte Claire Braun mit ihrer Planung wie selbstverständlich zwischen neun Auflagerpunkten einen sehr großen stützenfreien Außenraum, ohne dass einem Deckenbalken oder Fachwerkträger schwer über dem Kopf hängen. Ganz im Gegenteil, die HP-Schale des Daches zieht an den Rändern schwungvoll in die Höhe, öffnet den Blick zum Himmel und scheint eher abzuheben, als auf den Raum eine bedrückende Wirkung auszuüben. Konstruktiv funktioniert das Ganze vereinfacht ausgedrückt wie ein Sonnenschirm: Das PVC-Polyestergewebe wird über zwei bogenförmige Träger, die wegen ihrer Unterspannung durch zarte Stäbe „Spinnen“ genannt werden, gezogen; in die „Borten“ der Membran sind Stahlseile eingebracht, die zwischen den Stützen verfestigt werden. Sobald die Seile angezogen werden und das Gewebe somit unter Spannung gerät, entwickelt es seine spezielle Form, die von Architektinnenhand entwickelt und von den Tragwerksplanern, Büro für Leichtbau – Tritthart + Richter aus Radolfzell in Deutschland, auf Realisierbarkeit durchgerechnet wurde.

Die einzelnen Elemente des Tragwerks wie Stützen oder Schraubverbindungen waren keine Spezialanfertigungen, wurden jedoch möglichst zart dimensioniert, was der ganzen Anlage die erwähnte Leichtigkeit verleiht. An drei rund fünf Meter hohen, nach außen hin schräg abfallenden Stahlbetonfundamenten sind die zwei Tragebögen, an denen das Gewebe linear befestigt ist, gelenkig gelagert; vier weitere Ecken der Membransind über schräge Stützen zum Boden hin abgespannt; zwei Auflagerpunkte sind an der Fassade des bestehenden Gebäudes befestigt. An der Form der Betonstützen kann man denKräfteverlauf des statischen Systems ablesen. Wie sich unschwer erkennen lässt: Es sind gewaltige Kräfte, die da wirken.

Die Ableitung des Regenwassers von der Dachfläche erfolgt an den Auflagerpunkten der Bögen vorbei über eingelegte Polokalrohre im Inneren der frei stehenden Fundamente und weiter unterirdisch in Sickerschächte; im Bereich der Stahlsäulen rinnt das Regenwasser einfach in die Wiese. Wo Gewebeteile aufeinandertreffen, sind diese durch verzahnte Stahleinlagen nach dem Reißverschlussprinzip miteinander verspannt; auch dies ein schönes formales Element, das wie ein leicht geschwungenes Rückgrat seinen organischen Charakter und die Selbstverständlichkeit dieser Überdachungsart unterstreicht.

Knapp 50 Jahre ist es her, dass der deutsche Architekt Frei Otto gemeinsam mit Rolf Gutbrod mit der Entwicklung seiner „leichten Flächentragwerke“ die Architektur von Mauern und Dachstühlen befreite und bei der Expo in Montreal 1967 den deutschen Pavillon als membranüberspannten Raum ausbildete. Fünf Jahre später wurde die Olympiaanlage von München mit ihren Zeltdächern von Behnisch & Partner und Frei Otto zum wohl berühmtesten Bauwerk biomorpher Architektur. Claire Braun nahm nach Absolvierung einer Spezialausbildung zu Membrankonstruktionen den Schwung dieser Architektur wieder auf und setzte sie am richtigen Ort gekonnt ein.

Vodňany liegt am Fluss Blanice, entwickelte sich aus einem Fischerdorf und ist Sitz eines Universitätsinstitutes für Fischerei und Hydrobiologie. Um bei einer biomorphen Metapher zu bleiben: Von der Seite betrachtet, hat die Dachform die Eleganz eines springenden Mantarochens; eine Assoziation, die der Dynamik der weltweit agierenden Firma Pöttinger gerecht wird. Claire Braun ist ein stimmiges architektonisches Zeichen gelungen.

Spectrum, Sa., 2017.02.18

28. Mai 2016Judith Eiblmayr
Spectrum

Panik hinter den Rollläden

Die Schlafstädte weiten sich aus. Schlafstädte, durch die sich kaum einer mehr zu Fuß bewegt. Und wo der öffentliche Raum verlassen ist, steigt die Verunsicherung: Man zieht sich sich in die Innenräume zurück. „Suburban angst“ heißt das Phänomen in den USA– und ist hierorts ebenfalls schon weit verbreitet. Eine Nachschau.

Die Schlafstädte weiten sich aus. Schlafstädte, durch die sich kaum einer mehr zu Fuß bewegt. Und wo der öffentliche Raum verlassen ist, steigt die Verunsicherung: Man zieht sich sich in die Innenräume zurück. „Suburban angst“ heißt das Phänomen in den USA– und ist hierorts ebenfalls schon weit verbreitet. Eine Nachschau.

Es ist ein Phänomen, das man aus kleinen österreichischen Orten kennt: Häuser mit heruntergelassenen Rollläden, am helllichten Tag trotz Normaltemperatur. Als Schallschutz an der Hauptstraße, weil jemand ein Mittagsschläfchen hält, oder aus Sicherheitsgründen am knallgelben Fertigteilhaus, weil man nicht zu Hause ist, hat dies ja Sinn. Es gibt auch andere Gründe, wie eine ortskundige Niederösterreicherin erzählt: Bewohnerinnen verdunkeln untertags, selbst wenn sie zu Hause sind, damit die Fensterglasscheiben nicht verschmutzen. Nicht unlogisch, da stets stärkere Autoverkehr immer mehr Nebenwirkungen hat.

Der Rollladen bietet Schutz aus einem persönlichen Sicherheitsbedürfnis heraus; man kann man nie wissen, wer grad vorbei- und auf dumme Gedanken kommt. Und es fällt in diesem Ort auf, dass so wenige Menschen auf der Straße sind. Die Geschäfte im Ortszentrum haben zugesperrt, die Post ist weg, der Wirt ist grantig, weil er mit der Registrierkassa nicht zurechtkommt, und droht, auch bald den Hut draufzuhauen. Die Leute würden sowieso lieber zum „Mäkki“ (McDonald's) im Fachmarktzentrum am Kreisverkehr in der Ortseinfahrt fahren. Seit der aufgesperrt hat, bleiben die jungen Gäste und jene mit Kindern weg. Viele Hauptstraßen geraten zu Durchzugsstraßen und ziehen oft dem Ortskern den Lebensnerv.

Wenn der öffentliche Raum nicht mehr funktioniert und die soziale Kontrolle durch Menschen, die die Straßen und Plätze sinnvollerweise „bevölkern“ oder auch nur aus dem Fenster schauen, nicht mehr gegeben ist, ist das Volk verunsichert und zieht sich in den Innenraum zurück. „Suburban angst“ nennt man dieses Phänomen in den USA. Ein undefiniertes Unsicherheitsgefühl, das die Bewohner von immer größeren, teureren, billiger gebauten Häusern auf immer entlegeneren Grundstücken befällt. Näher am jeweiligen Ortszentrum kann man sich's nicht leisten, was zur Folge hat, dass die Dislozierung des Wohnhauses als Lebensmittelpunkt in der Subsuburb durch Anschaffung immer größerer, bequemerer Autos wettgemacht werden muss, um noch „top“ zu sein.

Die Geschichte der Suburb führt ins England des 18. Jahrhunderts, als sich die ersten Verwerfungen im durch strikte Klassenunterschiede geprägten Gesellschaftssystem zeigten. Die Industrialisierung bewirkte, dass die arme Landbevölkerung in die Städte drängte, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine sinkende Kindersterblichkeit bewirkte nicht nur, dass mehr „hungrige Mäuler gestopft“ werden mussten, sondern auch mehr Arbeitskraft vorhanden war; Kinderarbeit war eine Folge, um die Arbeitsplätze in den neu geschaffenen Fabriken auslasten zu können und das Einkommen der Familien zu verbessern. Analog dieser Art von Ausbeutung waren die Lebensbedingungen der Arbeiter schlecht: Miese Wohnbedingungen, übervolle Straßen, rauchende Schlote und üble hygienische Zustände machten die Stadtzentrenzu unangenehmen Orten.

Die heile Welt von Clapham Common

Die Kaufmannsfamilien suchten nach einem Ausweg, um die Annehmlichkeiten ihres Reichtums in Ruhe genießen zu können, und hielten Ausschau nach Grundstücken im grünen Umland. Clapham Common war das erste als solches gegründete gemeinschaftliche Wohnprojekt, fünf Meilen nördlich von London, wo ab 1780 um einen großen Park Villen errichtet wurden. Eine neue Strömung in der Anglikanischen Kirche, das Evangelical Movement, lieferte den konfessionellen Überbau, um die eigenen Familien aus den inferioren Städten quasi in Sicherheit zu bringen. Die relativ kleine Clapham-Sekte definierte eine neue Rolle für Frauen: nämlich jene, ausschließlich für Kinderaufzucht und Religionsausübung zuständig zu sein. Waren sie bislang in den Betrieb in der Stadt eingebunden, wurden sie nun ins Haus auf dem Land versetzt, um sich mithilfe von Personal familiären Aufgaben zuzuwenden. „Suburbia war das gemeinschaftliche Bestreben, ein rein privates Leben zu führen“, schrieb Lewis Mumford 1938. Und später: „Die Suburb war ein Rückzugsort, wo die Illusion einer heilen Welt aufrechterhalten werden konnte. Es ging nicht nur um eine kindgerechte Umgebung, sondern auch um eine kindische Sicht der Dinge, wo die Realität dem Schönheitsprinzip geopfert wurde.“

Zur selben Zeit wurde in der Neuen Welt das System des Landverkaufs als Einnahmequelle staatlich institutionalisiert. Nach Gründung der USA wurde im Land Act von 1796 festgelegt, dass der Kontinent einem streng geometrischen Raster unterworfen wird und die einzelnen Quadrate Land an reiche Europäer verkauft werden, um dem Staat ein Einkommen zu bescheren. Das System funktionierte, binnen kürzester Zeit entwickelten sich die USA zu einem Zentrum der Weltwirtschaft. Das Eisenbahnwesen machte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die weitläufige Erschließung von Nordamerika möglich und lockte neue Pioniere ins Land.

Zu dieser Zeit entstanden auch die ersten Suburbs in den USA, wie zum Beispiel in Philadelphia; die Eisenbahn war hierbei systemimmanent. Zuerst wurden die Gleise verlegt, dann die Gründe von den Bahngesellschaften nahestehenden Personen erworben und um teures Geld weiterverkauft. Chestnut Hill, als exklusive Suburb im Norden von Philadelphia angelegt, war bereits elf Meilen vom Stadtzentrum entfernt, aber durch die Bahnanbindung relativ schnell zu erreichen. In allen großen Städten der USA wurden Straßenbahnlinien bis weit ins Umland geführt, da man um den anhaltenden Zuzug von Siedlern aus Europa wusste. Die Suburbs als Investorenprojekte wurden als kleine Einheiten für die Elite sorgsam geplant und entsprechend beworben, die Gegenden entlang der Bahnlinien würden sich im Laufe der Zeit mit billigeren Häusern auffüllen. Ein System, das jahrzehntelang gut funktionierte, vor allem durch das Bahn- undStraßenbahnwesen der USA, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als das dichteste und beste der Welt galt.

Mit dem Aufkommen der Autoindustrie in den USA änderten sich die Vorzeichen; Ende der 1920er-Jahre war die amerikanische Autoproduktion achtmal so hoch wie in Europa und geriet zu einem der wesentlichsten Wirtschaftsfaktoren. Neben dem öffentlichen Verkehr wurde nun der Individualverkehr beschleunigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man an diese Erfolgsgeschichte anschließen und suchte nach einem Weg, der Auto- wie auch Fertigteilhausindustrie den Markt zu sichern. Die Idee der Suburb wurde weiterentwickelt und im Housing Act von 1949 die staatliche finanzielle Förderung beim Erwerb eines Häuschens im Grünen beschlossen; Developer schickten sich an, das Land aufzubereiten.

Innerstädtisch wurden ganze Stadtviertel oft grundlos zu Slums erklärt und niedergerissen, um unter dem euphemistischen Begriff des „Urban Renewal“ Platz zu schaffen. Erneuerung bedeutete hierbei eine Spielwiese für Investoren, die mit den billig erworbenen Gründen durch Verdichtung und neue Nutzungen ungeahnte Gewinne einfahren konnten. Die Bewohner wurden nicht lange gefragt und in woanders neu errichtete „Wohnsilos“ verfrachtet; eine Maßnahme, die schwerwiegende soziale Probleme nach sich zog. Die Mittelschicht zog wohl oder übel ins vorgefertigte Häuschen in der neu errichteten Suburb, wo weit und breit keine Bahnlinie und auch kein Geschäft mehr zu finden war, daher wurde ein Auto angeschafft. Der American Dream sollte perfekt sein.

Von der „Krankheit ohne Namen“

Die Frauen, die während des Krieges die Arbeiten der abwesenden Männer übernommen hatten, wurden, um die Arbeitsplätze wieder frei zu machen, in bewährter Weise an die Stadtränder versetzt, Kindererziehung und Haushaltsführung wurden zum staatlich verordneten Lebensmodell erklärt. Die Männer fuhren mit dem Auto zur Arbeit, die Frauen blieben zurück und konnten sich in den neu errichteten Shopping Malls zerstreuen. Als „die Krankheit ohne Namen“ wurde der depressive Zustand der Frauen in den Suburbs bezeichnet, schrieb Betty Friedan 1961. Der amerikanische Tagtraum an den Stadträndern war eher von Langeweile denn von Glück erfüllt.

Die vermeintliche Freiheit jedes Einzelnen, seinen Weg mit dem Auto selbst bestimmen zu können, ist das eine, die ohne Massenverkehrsmittel mangelnde Dichte an Menschen in den Stadtzentren das andere. Wenn Gehdistanzen auf Wege vom Parkplatz zum Zielgebäude reduziert werden, entleert sich der öffentliche Raum, es kommt auch keiner vorbei, der in den Gassenläden einkauft. Die Welt außerhalb der eigenen vier Wände oder der Blechblase auf vier Rädern wird nur mehr be-, aber nicht mehr erfahren und so als „fremd“ wahrgenommen.

Dies ist da wie dort dasselbe. Wo prinzipiell niemand mehr zu Fuß geht, werden jene verdächtig, die es dennoch tun. Die Suburbanisierung greift in den USA wie auch bei uns immer weiter um sich. Trotz Kenntnis der Problematik weiten sich die Schlafstädte aus, in denen die Straßen keine Gehsteige haben. Wozu auch, man muss sowieso ins Auto steigen, anders kommt man dort nicht weg! „Suburban angst“ könnte mit „den Rollladen runterlassen“ übersetzt werden, eine Form der Kommunikationsverweigerung. Heißt auf den Straßenraum bezogen so viel wie: Wenn sich jedes Haus mit geschlossenen Rollläden präsentiert, ist dies kein positives Signal an den Gemeinsinn einer Gesellschaft – hüben wie drüben.

Spectrum, Sa., 2016.05.28

30. Mai 2015Judith Eiblmayr
Spectrum

Ein Tower wie aus Pepita

Im Grazer Stadtteil Jakomini entstand das vom Büro ArchitekturConsult konzipierte Hochhaus für das Styria Media Center. Das Gebäude besticht durch den erstaunlichen Eindruck des Schwebens.

Im Grazer Stadtteil Jakomini entstand das vom Büro ArchitekturConsult konzipierte Hochhaus für das Styria Media Center. Das Gebäude besticht durch den erstaunlichen Eindruck des Schwebens.

Das Styria Media Center ist ein Blickfang in der Grazer Dächerlandschaft. Der Wunsch der Bauherren nach architektonischer Zeichenhaftigkeit, die das neue Hauptquartier des Medienkonzerns übernehmen sollte, ist durch die Gestaltung wirkungsvoll erreicht worden. ArchitekturConsult hat einen Flügel geplant und in den Luftraum des Stadtteils Jakomini gestellt, der trotz seiner enormen Größe aus der Distanz als schwebend wahrgenommen wird.

Als die Vorstände der Styria Media Groupden Beschluss fassten, in Graz ein neues Gebäude als Firmensitz zu errichten, wurde klar formuliert, dass man sich als zweitgrößter Medienkonzern in Österreich einen selbstbewussten architektonischen Auftritt verschaffen möchte. Seit dem Jahr 1902 ist der Styria Verlag in der Schönaugasse im Grazer Stadtteil Jakomini ansässig – seit 1904 wird dort die „Kleine Zeitung“ produziert – und so ist es im Sinne einer wohl verinnerlichten Firmentradition eine glückliche Fügung gewesen, dass man in unmittelbarer Nähe das neue Gebäude errichten konnte.

Das Büro ArchitekturConsult in Graz, hier federführend die Architekten Hermann Eisenköck und Herfried Peyker, war im Jahr 2005 beauftragt worden, mehrere neue Standorte in Graz für die Styria Group zu prüfen, die realistische Option für einen Bauplatz lag jedoch in nur 500 Meter Entfernung zum bestehenden Firmensitz. Dieserart „geerdet“ sollte ein neues Hochhaus in Graz entstehen, was ganz allgemein eine stimmige Absichtserklärung bedeutete, in die stark in Veränderung begriffene Medienlandschaft eine Landmark zu setzen.

Auch wenn die „weiche Form“ viel Interpretationsspielraum zulässt, wie Architekt Herfried Peyker meint, kann man doch eine eindeutige Zuschreibung machen: Dieses Hochhaus besticht durch Leichtigkeit. Erreicht wird dieser Effekt durch eine Zonierung des Baukörpers in ein im Grundriss der Grundstücksform eingepasstes, zweigeschoßiges Sockelbauwerk und ein davon architektonisch abgehobenes, formal eigenständiges Hochhaus. Während der Baukörper des Sockels in V-Form durch ein Fassadenband aus schwarzgrauen Profilen und schwarz wirkendem Sonnenschutzglas beziehungsweise im Bereich der Hochgarage aus Trapezlochblech zusammengefasst wird, fällt am Büroturm die ausgeprägte Gliederung in der Tiefe der Fassade auf, die durch die Farbvariation in Schwarz und Weiß dem Auge des Betrachters ein abwechslungsreiches Spiel bietet. Die Ecken gerundet, die beiden Längsseiten unterschiedlich stark gekrümmt, hat der Baukörper die Form einer Radarantenne, und dies ist für einen Medienkonzern eine stimmige Metapher.

Städtebaulich bietet das hohe, gerundete Gebäude den entsprechenden und ansprechenden Gegenpart zur von Klaus Kada geplanten und 2002 fertiggestellten Stadthalle mit seiner ganz auf Horizontalität setzenden, weit auskragenden und spitz zulaufenden Überdachung. Durch das neue, mit ausreichend Distanz platzierte Gegenüber scheint das Vordach räumlich gehalten, und dieserart wird an der Conrad-von-Hötzendorf-Straße eine völlig neue urbane Qualität erzeugt, die sich gleichzeitig visuell als „Tor zur Stadt“ definiert. Gleich hinter diesem Tor wird viel Leben an den Ort kommen; das Styria Media Center wird für ungefähr 1200 Menschen Arbeitsstätte sein und somit ein stark frequentierter Ort werden. Nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Tagesgäste werden hier ein und aus gehen, im Sommer im Gastgarten des Restaurants sitzen oder die Kinder vom Kindergarten abholen. Die Erdgeschoßzone innerhalb und außerhalb des Gebäudes bietet wichtige Einrichtungen des sozialen Austauschs, was eine gute Voraussetzung für das Funktionieren des sozialen Raumes schafft.

Auch wenn die freie Aussicht von der Sky Lobby im 14. Obergeschoß des Hochhauses nicht von der Allgemeinheit genossenwerden kann, zeugt die Basis dieses Bauwerks und der anschließende, ebenfalls neu geschaffene und von der Stadt Graz zu pflegende Park vom Ansinnen des Styria Verlags auch für die Grazer Bevölkerung neuen qualitätvollen Raum zu schaffen. Das Herzstück des Komplexes ist der Newsroom im ersten Obergeschoß; hier sind die Redaktionen der „Kleinen Zeitung“ und des Radiosenders Antenne Steiermark untergebracht und produzieren auf einer Fläche von 3200 Quadratmetern Print- und Onlinemedien sowie Radiosendungen.

Im Großraum um den zentralen Newsdesk sind zahlreiche Einheiten mit in Summe circa 220 Arbeitsplätzen gruppiert, weiters gibt es Einzelräume wie Büros, Besprechungsräume und Studios für Radioaufnahmen und Filmbeiträge, die für Onlinemedien produziert werden. Das zweite Obergeschoß springt an allen Seiten von der Fassadenebene des Turmes zurück und bildet damit eine klare Trennung zwischen dem Hochhaus und dem Sockelbauwerk aus. Die Architekten haben dies als Fuge bezeichnet, die zwischen die beiden Bauteile gesetzt wurde, um für den Turm architektonische Leichtigkeit zu erzeugen. Die Intention dieses Kunstgriffs scheint aufgegangen, ist doch die Fuge genau jenes Element, das die schwebende Anmutung für den Turm erklärt und ihm jegliche Plumpheit nimmt.

Die elf Büroetagen im Turm sind teilweise als stützenfreie Großraumbüros, andernfalls in einzelne Zimmer unterteilt, geplant. Durch die Schmalheit und die leichte Krümmung im Grundriss des Baukörpers ist das Besondere im Großraum, dass die Menschenan jedem Arbeitsplatz über beste Lichtverhältnisse, Durchblick und einen ungetrübten Ausblick verfügen. Auch der Anblick des Büroturms erzeugt Spannung: Aufgesetzte Lisenen, die Wind- und Wetterschutz bieten, erzeugen optisch durch die in der Höhe abwechselnde Farbgebung in Schwarzgrau undTelegrau, was der Außenhaut jegliche Starre und Eintönigkeit nimmt. Der Farbwechsel findet nicht nur an einer Lisene selbst und pro Stockwerk statt, sondern durch eine nebeneinander gegengleiche Farbgebung ebenso in der Horizontalen. Durch die Rundung des Baukörpers und die südseitig konvexe und nordseitig konkave Krümmung wird die Fassade einem dynamischen Moment unterworfen, ohne dass sich der Betrachter bewegen muss. Ein Blick hinauf genügt, wenn manin unmittelbarer Nähe des Gebäudes steht, um ein schwarz-weißes Muster entstehen zu lassen, das man – um die Weichheit der Form noch einmal zu bemühen – als Pepita-Effekt bezeichnen kann.

Diese Konnotation passt zur Anmutung einer zeitlosen Moderne, die immer schon klare Strukturen zu konstruieren und diese gleichzeitig durch ein spannendes Moment, zum Beispiel ein markantes Stoffmuster, zu brechen wusste. ArchitekturConsult setzte mit seiner Planung des Styria Media Center auf Nachhaltigkeit im städtischen Gefüge, und dieses präsentiert sich – um auf das Radarantennenmotiv zurückzukommen – als ein Tower hochwertiger Architektur.

Spectrum, Sa., 2015.05.30



verknüpfte Bauwerke
Styria Media Center Graz

23. Juni 2012Judith Eiblmayr
Spectrum

Schifferl, fast versenkt

Das brachliegende Werftgelände könnte Korneuburg ein besonderes Image verleihen, Ideen für eine Nachnutzung gibt es. Allein – es passiert nichts.

Das brachliegende Werftgelände könnte Korneuburg ein besonderes Image verleihen, Ideen für eine Nachnutzung gibt es. Allein – es passiert nichts.

Wenn man sich heutzutage im Raum Wien der Donau annähert, assoziiert man in erster Linie den Erholungsraum. Durch die Alte Donau und die Donauinsel bzw. durch Einrichtungen wie den Wasserskilift oder die Marina Wien werden die möglichen Freizeitaktivitäten am Wasser hervorgehoben, man setzt auf Regeneration am Donaustrom. „Licht, Luft und Sonne und ein bissl abwaschen, das ist's, was der Mensch braucht“, wie Florian Berndl, der Gründer des „ersten innerkontinentalen Strandbades Gänsehäufel“, bemerkte und dieserart die Donau als Freizeitparadies postulierte.

Aber zu Berndls Zeiten hatte der Donaustrom eine andere Primärfunktion, nämlich als Wasserstraße, über welche bereits jahrhundertelang die wichtigsten Güter mit Plätten, aus Holz gefertigt, nach Wien gebracht worden waren. Wien galt im Mittelalter als der wichtigste Warenumschlagplatz an der Donau. Anfang des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Industrialisierung, war die Dampfschifffahrt entwickelt worden, und 1829 wurde die 1. DDSG – „Erste Donaudampfschifffahrtsgesellschaft“ gegründet. Siediente der Waren- und Personenbeförderung, und die zunehmende Frequenz ließ den Schiffsbau für Binnengewässer zu einer wichtigen Wirtschaftssparte werden.

Der Altarm bei Korneuburg war bereits vor der Donauregulierung als Winterhafen genutzt worden, daher war es naheliegend, diese geschützte Ausbuchtung als Schiffswerft auszubauen. 1852 wurde der Betrieb aufgenommen, der nicht nur dem Neubau von Schiffen diente, sondern vor allem der Wartung und Reparatur der Schiffsflotte, die zu diesem Zeitpunkt über 71 Dampfer und 233 Schleppkähne verfügte. Nachdem auch die „Vereinigten Ungarischen Dampfschifffahrts-Gesellschaften“ übernommen worden waren, galt die DDSG 1880 als das größte Binnenschifffahrtsunternehmen der Welt, und so musste die Korneuburger Werftanlage sukzessive vergrößert und mit Kraneinrichtungen, Werkstätten und Verwaltungsgebäude bebaut werden. Die Donau blieb nach dem ersten Weltkrieg wesentlicher „Lebensnerv“ des Transportwesens im verkleinerten Österreich, wie auch der Werftbetrieb dementsprechend wichtig war. Dass in den 1930er-Jahren noch modernisiert wurde, machten sich die Nationalsozialisten zunutze, und so gliederten sie den im Zweiten Weltkrieg florierenden Betrieb in die Hermann-Göring-Werke ein. Nach dem Krieg wurde die verkaufstechnische Strömung in die Gegenrichtung genutzt, indem nach dem Staatsvertrag enge Geschäftsbeziehungen mit der Sowjetunion gepflogen und seegängige Schiffe bis nach China exportiert wurden.

Nachdem in den 1980er-Jahren die Ostgeschäfte eingebrochen waren und keine anderen Aufträge an Land gezogen werden konnten, fand die Werftgeschichte im Jahr 1993 ihr vorläufiges Ende. Das Schulschiff, das in Wien vor Anker ging und bis heute am Ufer der Donauinsel liegt, war eines der letzten in Korneuburg gefertigten Objekte, bevor die Werft, die phasenweise bis zu 1500 Arbeitsplätze geboten hatte, „trockengelegt“ wurde. Es ist also eine bewegte Geschichte technologischer, politischer und soziologischer Natur, die den Ort Korneuburg geprägt hat und erzählt werden kann.

Während in einer kleineren Ortschaft wie Strasshof an der Nordbahn das Potenzial der nicht mehr benötigten Infrastruktur genutzt und im ehemaligen Heizhaus der Bahnanlagen das Eisenbahnmuseum eingerichtet wurde, existierte für die Industriebranche in Korneuburg die längste Zeit keine Idee einer Nachnutzung. Ein Schiffsbaumuseum war kein Thema, vielmehr zog man sich identifikatorisch vom Donauufer zurück und präsentiert Korneuburg via Homepage vielmehr als die „Rattenfängerstadt“. „Das wär für die Stadt selber nicht so schlecht, wenn wir da ein bisserl an der Identität arbeiten“, meint denn auch Korneuburgs Vizebürgermeister Christian Gepp, ÖVP, in einem Interview, das im Internet unter KO2100 nachzulesen ist – und da kann man ihm nur beipflichten. In Kenntnis finanzieller Gegebenheiten und ohne die Stadtgemeinde für den Niedergang der Werft verantwortlich zu machen, ist man über die Konzeptlosigkeit, die von politischer Seite für eine Nachnutzung des seit 2004 teilweise unter Denkmalschutz stehenden Werftgeländes zu herrschen scheint, doch einigermaßen erstaunt.

Bald nach Stilllegung der Anlage wurden eine ganze Menge auch bauhistorisch wertvoller Gebäude niedergerissen, wohl um sich zukünftige Wartungskosten zu ersparen beziehungsweise um Flächen für einen allfällig interessierten Investor freizumachen. Die WRG – Werft Revitalisierungs Ges.m.b.H., eine private Stiftung, kaufte das Areal und investierte in die Erhaltung einzelner Gebäude. Da das Gelände als kontaminiert galt, wurde ein teilweiser Rückkauf durch den SEFKO – Stadtentwicklungsfonds Korneuburg notwendig, und es erfolgte eine aufwendige Umweltsanierung aus Steuergeldern. Im Jahr 2004 wurde einerseits eine der Hallen als Veranstaltungshalle für kulturelle Zwecke umgebaut, andrerseits erhielten die „FHS – Freunde historischer Schiffe“ einen Zehnjahresvertrag, um ihre Schiffe im Hafenbecken andocken zu können. Ab diesem Zeitpunkt wurden an den historischen Slipanlagen nicht nur wieder Schiffe repariert und ausgestellt, sondern die verbliebenen Hallen mit parasitärer Nutzung erfüllt: Eine Oldtimer Werkstatt, ein Hundeabrichteklub, eine Tischlerei, eine Schlosserei und andere mieteten sich ein und etablierten wieder Leben an den Kaimauern, inklusive eines kleinen gastronomischen Betriebs. Vorigen Sommer wurde ein öffentliches Bad installiert, während das Florian-Berndl-Bad in Korneuburg wegen Sanierung geschlossen ist. In diesen Jahren entwickelten die FHS in Kooperation mit der TU Wien ein Konzept für eine nachhaltige Nutzung von Teilen des Areals in Form einer Museumswerft, wo sowohl die Industriegeschichte des Ortes und der DDSG didaktisch präsentiert und das Schiffsbauhandwerk weitergetragen werden sollen. Eine „Schauwerft“ mit historischen Schiffen im Wasser oder am Trockendock – eine Idee, die internationale Vorbilder hat und als Ausflugsziel wie auch als Arbeitsstätte funktionieren könnte.

Das Korneuburger Werftgelände ist der letzte authentische Schauplatz, wo sich das Konzept eines „interaktiven Kulturparks“ an der Donau realisieren ließe, alleine die Politik hat nicht reagiert. Im Gegenteil: Noch vor Ablauf des Vertrags wurden die FHS gekündigt, und die historischen Schiffe mussten im Dezember 2011 aus dem vermeintlich sicheren Hafen auslaufen.

Während andere Städte ihre historischenSchiffe an Land ziehen und publikumswirksam ein ganzes Museum drum herum bauen, wie das Vasa-Museum in Stockholm, spielt die niederösterreichische Kulturpolitik mit der Idee einer kurzweiligen, aber ernsthaften Bildungseinrichtung, der zusätzlich der Stadt Korneuburg „ein bisserl Identität“ bescheren würde, lieber „Schifferlversenken“. Wahrscheinlich will man das Gelände einfach für eine harmlose, aber gewinnträchtigere Option freihalten und spekuliert mit dem Gedanken: Ein Investor wird kommen ...

Spectrum, Sa., 2012.06.23

07. April 2012Judith Eiblmayr
Spectrum

Home, Sweet Dome

Projekt „Land schaf(f)t Zaun“: Die Aufgabe der Architekten lautete, einen Garten in Hanglage über dem Ufer des Traunsees zu akzentuieren. Heraus kam eine Loge mit größtmöglicher Naturnähe.

Projekt „Land schaf(f)t Zaun“: Die Aufgabe der Architekten lautete, einen Garten in Hanglage über dem Ufer des Traunsees zu akzentuieren. Heraus kam eine Loge mit größtmöglicher Naturnähe.

Ein hoch gelegener Blickpunkt, der den Betrachter die Landschaft überschauen lässt, war immer schon ein besonderer Ort. Sobald der Fremdenverkehr im frühen 19. Jahrhundert als solcher proklamiert worden war und die Landschaft per se als Highlight definiert wurde, delektierte man sich am Überblick, den man sich solcherart verschaffen konnte. Auch bei der Hotelarchitektur war man bemüht, den Reisenden den Reiz der unberührten Natur zu vermitteln und über Balkone oder Loggias den Außenraum ins Raumerlebnis beim Aufenthalt als unvergesslich zu integrieren. In einer demnächst erscheinenden Publikation über den Traunsee ist nachzulesen, wie in einem Reiseführer von 1832 auf die diesbezüglichen Vorzüge des Hotels „Goldenes Schiff“ in Gmunden verwiesen wird. Entzückend sei es, vom Balkon des Hotels aus den größten Teil der schönsten Umgebung von Gmunden zu überblicken und sich durch das Glühen der Hochgebirge in die Gefilde der Schweiz oder an den Comer See versetzt zu fühlen. Tatsächlich ist auch heute die erste Assoziation, die sich beim Blick auf das Nord- und Westufer des Traunsees aufdrängt, jene von Urbanität. Altmünster und Gmunden bieten ein Bild von urbaner Dichte, welche mit der schönen Landschaft als Hintergrundmotiv verschmilzt, eine Situation, die an anderen österreichischen Seen nicht zu finden ist. Dieses Spannungsfeld bietet für Architekten multiple Interpretationsmöglichkeiten, denn von ruralen Details bis städtischer Architektur ist hier alles „erlaubt“, und entsprechend vielfältig stellt sich das Gebaute auch dar.

Dieserart ist das seit dem Jahr 2004 in Wien tätige Architektenduo „Heri&Salli“, Heribert Wolfmayr und Josef Saller, an die an sie gestellte Bauaufgabe einer groß dimensionierten Lodge bei einem bestehenden Einfamilienhaus am Traunsee herangegangen. Die Bauherren wollten ihren Garten in Hanglage über dem Ufer des Sees mit bereits vorhandenem Swimmingpool räumlich akzentuieren. Ihre ursprüngliche Idee, dies durch Bepflanzung zu bewerkstelligen, ließen sie fallen, als sie ein fertiggestelltes Objekt, den Hausplatz J. von „Heri&Salli“, in einer Zeitschrift publiziert sahen. Auch hier wurde eine segmentierte Loggia dem Pool beigestellt, um Schatten und Geborgenheit im Außenraum zu gewährleisten. Die Architekten machten sich daran, die Frage, ob eine ähnliche Lösung bei ihrem Grundstück realisierbar wäre, formal zu beantworten. In ihrer Denkweise gingen sie dabei weder gezielt architektonisch noch künstlerisch an die Bauaufgabe heran, meinen die Architekten Wolfmayr und Saller in einem Interview, sondern es interessiere sie vielmehr, was mit dem Raum passiere, wie der Raum hinkünftig für die Nutzer funktionieren könne. Es gehe um das Formulieren einer These für die Raumgestaltung, die allerdings im Zusammenspiel mit den Menschen „halten“ muss. Dadurch erhält die planerische Herangehensweise experimentellen Charakter, was durch eine künstlerisch konstruktive Handschrift noch unterstrichen wird.
Die Gestaltungsidee kommt denn auch harmloser daher, als sie ist: Vordergründig beschreibt der Projektname „Land schaf(f)t Zaun“ als Ausgangspunkt der architektonischen Denkarbeit ein Stück rurales Design, nämlich den in der Gegend üblichen Jägerzaun, der sphärisch gekrümmt zu einem kokonartigen Gebilde umgeformt wird. Hintergründig steckt allerdings viel künstlerisches Potenzial in der Idee, denn metaphorisch gesehen bildet die Form der semitransparenten Halbschale eine schützende Hand aus. Der „Handrücken“ ist der Stützmauer am Hang und zum Nachbargrundstück hin zugewandt, während das Tragewerk wie gekrümmte Finger über den Sitz- und Liegeplatz am Pool ausgebildet ist. So kann der Blick des Betrachters über den Pool und den See hinweg ungehindert in die Ferne schweifen.
Abgesehen von dieser metaphorischen Qualität werden in der zart dimensionierten Gitterstruktur aus Stahl, die partiell mit rhombenförmigen, unterschiedlich geneigten Lamellen aus MAX-Exterior-Platten belegt ist, auch wesentliche Werke der Geschichte der architektonischen Konstruktion konnotiert: Richard Buckminster Fullers geodätische Kuppeln oder Frei Ottos leichte Flächentragwerke, die eine stützenfreie Überspannung durch zeltartige Dächer möglich machten. Sowohl Fuller als auch Otto fühlten sich in ihrer konstruktiven Kreativität einer „Strategie der Natur“ verpflichtet, und genau diese Qualität spürt man auch in der Lodge hoch über dem Traunsee: Man fühlt sich unter den Lamellen, die einen gegenüber Wind und Regenwasser durchlässigen Dome bilden, wie unter einem Blätterdach. Dies gewährleistet ein Spiel fürs Auge mit Licht und Schatten, mit Innen- und Außenraum.

Die Raumwahrnehmung wird nicht nur durch diese optischen Phänomene einer Dynamisierung unterworfen, auch die Ausbildung der fixen Einbauten, wie einer aus dem Boden rampenartig ansteigenden Liege oder eines „Bankbandes“, das sich ebenso aus der Bodenfläche löst und in den Raum zu einem Tisch hin erhebt, lässt alles in Bewegung geraten. Indem alle Flächen im gleichen Material wie die Lamellen ausgeführt sind, wird der Raum dem Anspruch als Kokon gerecht: im Inneren ein Ort des Rückzugs und der Kontemplation, nach außen eine Skulptur am Hang. Dieses Wechselspiel zwischen realem Raumerlebnis, der Möglichkeit, ein Bild von Urbanität hereinzuholen und das Gebaute selbst als stimmiges Objekt in der Landschaft zu implementieren, zeugt von der Kunstfertigkeit von „Heri&Salli“ mitzudenken. Und mitgedacht ist eben auch die Funktion: Heutzutage können die Bauherren von ihrer hoch gelegenen Loge nicht nur den Reiz der Natur visuell genießen, sondern gleichzeitig in den Pool hüpfen und sich selbst erfrischen.

Spectrum, Sa., 2012.04.07

31. März 2012Judith Eiblmayr
Spectrum

Strasshof, Texas

Ja ja, Wolfgang P., Natascha K. und das Kellerverlies im Heidesand, wir wissen schon: Als Schauplatz eines der spektakulärsten Verbrechen vergangener Jahrzehnte beschäftigt uns Strasshof noch immer. Und sonst? Wie aus dem Traum von der Gartenstadt ein Stück US-Provinz im Marchfeld wurde.

Ja ja, Wolfgang P., Natascha K. und das Kellerverlies im Heidesand, wir wissen schon: Als Schauplatz eines der spektakulärsten Verbrechen vergangener Jahrzehnte beschäftigt uns Strasshof noch immer. Und sonst? Wie aus dem Traum von der Gartenstadt ein Stück US-Provinz im Marchfeld wurde.

Niederösterreich war historisch immer nach Wien orientiert. Industrie-, Most-, Wald- und Weinviertel umschließen die Hauptstadt, über das Land verteilt finden sich nach wie vor die Renaissance- und Barockschlösser der Fürsten, die nebst diesen Landsitzen über ein dem Hofe nahes Pendant in der Stadt verfügten. Das Niederösterreich der einfachen Landbevölkerung hingegen war und ist von einer dörflichen Struktur geprägt, wo in kleinen Siedlungseinheiten die Land- und Forstarbeit für die Herren oder für den eigenen Hof erbracht wurde.

Wenn nun ein Ort in diesem gewachsenen Gefüge gänzlich anders ist, dann fällt dies auf. Strasshof an der Nordbahn ist dieser Ort. Warum fühlt man sich bereits knapp außerhalb der Wiener Stadtgrenze, mit dem Auto unterwegs Richtung Gänserndorf und womöglich weiter ins sanfte Hügelland des Weinviertels – einer sehr „österreichischen“ Gegend – so wenig auf österreichischem Boden? Der Betrachterin bieten sich flaches Land, weite Felder und mittendrin eine weiße Rinderherde; ein überbreiter Highway, flankiert von entsprechend überdimensionierten Werbeflächen, eine kleine Raffinerie im Augenwinkel, jede Menge Windräder. Man wähnt sich eher on Route 66 zwischen Oklahoma City und Amarillo, Texas, als in der Umgebung von Wien. Bei der Durchquerung von Deutsch-Wagram, einem gewachsenen Ort mit historischer Bausubstanz, wird man nach Mitteleuropa zurückgeholt, nachdem man dies hinter sich gelassen hat, öffnet sich wieder eine andere Perspektive: Die Vegetation, die man durchfährt, leitet einen assoziativ innereuropäisch westwärts, an die Küste Frankreichs. „Les Landes Aquitaine“ heißt das Gebiet, wo schnurgerade Landstraßen durch Föhrenwälder ziehen, hinter denen sich eine Dünenlandschaft aufbaut.

Von dieser Strecke beeindruckt, gelangt man nach Strasshof an der Nordbahn und bleibt hin- und hergerissen zwischen den Eindrücken, denn hier vermischen sich an der Haupt- und Durchzugsstraße B8 alle beschriebenen Assoziationen: die Werbeschilder und der Föhrenwald, die Einfamilien- und Warenhäuser, Tankstellen und „Dünen“ – teils echt, teils künstlich – als Rodelhügel oder Schallschutzmauer für dahinterliegende Fertigteilhäuser. Auf rund 6,5 Kilometer Länge erstreckt sich zwischen den Ortsschildern – in loser Abfolge aufgefädelt – das infrastrukturelle Zentrum, hier finden sich Supermärkte, Autohäuser, ein Möbelhaus, die Apotheke, die Bäckerei mit Café, die Banken, die Pizzeria und die Videothek, aber auch Hinweisschilder zu Gemeindeamt, Kindergarten, Arzt und Psychologin, kurz gesagt alle Elemente der lokalen Versorgung für die Menschen, die hier leben.

Ein Bahnhofplatz ohne Bahnhof

Ohne die kriminalistischen Erregungen der jüngeren Vergangenheit von Strasshof automatisch mitzudenken, vermittelt einem diese Mainstreet ein Gefühl, das im Amerikanischen mit weird umschrieben wird: seltsam, nicht passend, eine leichte Beunruhigung konnotierend. Obwohl man noch gar nicht weiß, dass es abseits dieser Drive-Through-Shopping-Mall kein eigentliches Ortszentrum gibt – auch wenn ein grünes Hinweisschild dies suggeriert –, spürt man, dass hier etwas anders ist. Definitiv anders als in den Straßendörfern des restlichen Niederösterreich, deren Hauptstraßen geprägt sind von geschlossener Bebauung, einer das Ortszentrum markierenden Kirche mit Vorplatz, vielleicht einem Anger, einem Adeg-Markt und dem Dorfgasthaus respektive Kirchenwirt.

Im durch das erwähnte Schild postulierten Zentrum erschließt sich die Logik eines eigentlichen Ortskerns nicht zwingend. Zwar lässt eine an der Strasshofer Hauptstraße unmotiviert am Straßenrand platzierte Dampflokomotive erkennen, dass die Zuschreibung „an der Nordbahn“ als Melioration gedacht sein muss, beim Bahnhofplatz freilich finden sich zwar Bahndamm und vier Geschoßwohnbauten mit Sichtziegelfassade, die auf Werkswohnungen der Jahrhundertwende schließen lassen, ein vermutetes Bahnhofsgebäude existiert jedoch nicht. Ein Bahnhofplatz ohne Bahnhof – in Strasshof scheinen städtebauliche Wünsche und deren bauliche Ausformung wechselseitig nicht schlüssig korrespondiert zu haben.

„Am Anfang war die Eisenbahn“, heißt es im Titel des Strasshofer Heimatbuchs, ein erster Verweis darauf, dass es mit der Ortsgeschichte zeitlich nicht weit her sein kann, da die Nordbahn in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts errichtet worden ist. Die „Enclave Strasserfeld“ ist im Franziszeischen Katasterplan aus dem Jahr 1822 als Teil der Gemeinde Gänserndorf verzeichnet. Der kartografischen Farbgebung ist zu entnehmen, dass es sich um Heideland ohne Flusslauf und ohne nennenswerte Siedlungen handelte, lediglich der „Straßerhof“ und der weiter südöstlich gelegene Schäferhof „Siehdichfür“ sind verzeichnet. Ab 1838 wurden die Gleise der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn zwischen Deutsch-Wagram und Gänserndorf verlegt, und Strasshof erhielt eine Haltestelle mit zwei Bahnwärterhäuschen. Im Zeitraum bis zur Jahrhundertwende blieb die Einwohnerzahl mit rund 60 Personen, die die „Drei Häuseln“, das Haus des Flohwirtes und den Strasserhof bewohnten, relativ unverändert.

Die 1890 zur Entlastung des Wiener Nordbahnhofs errichtete Rangieranlage in Floridsdorf konnte alsbald die Massen an Gütern kaum mehr bewältigen, und so sah man sich nach günstig gelegenem und günstig zu erwerbendem Brachland um. Am 1. Jänner 1906 wurde die Bahnlinie in k. u. k. Staatsbesitz übergeführt, bereits im Juni desselben Jahres das Gelände am Strasserfeld begangen und mit der Planung eines Rangierbahnhofes begonnen.

Im Oktober 1908 war der erste Teil der Gleisanlagen fertig gestellt, und ab diesem Datum mutierte die „Enclave Straßerfeld“ der Gemeinde Gänserndorf zu Strasshof als Enklave von Wien. Der damals größte Verschubbahnhof Mitteleuropas begründete einen Standort, dessen produktives Potenzial einzig auf die Entwicklung der Reichshauptstadt fokussiert war: ein Implantat der Industrialisierung mitten im sandigen Heideland.

Zu diesem Zeitpunkt trat eine Person auf den Plan, die bis heute prägend für das Stadtbild von Strasshof ist. Ludwig Odstrčil erwarb 1909 nicht nur den Strasserhof, sondern auch einen Großteil der Gründe am Strasserfeld. Odstrčil war durch die Einnahmen aus Schürfrechten in Mähren zu erheblichem Reichtum gekommen und widmete sich ab nun dem Projekt einer Garten- und Industriestadt Strasshof. Am 23. Mai 1911 wurde ein Flächenwidmungsplan bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf eingereicht, der mit einem erstaunlich rationalen Ansatz die Parzellierung der Grundstücke vorgab, welche auch umgesetzt wurde. Zur selben Zeit, als Otto Wagner für den heutigen 22.Wiener Gemeindebezirk das städtebaulich utopische Konzept einer unbegrenzten Großstadt entwarf und die einzelnen Stadtteile einem planerisch streng orthogonalen Raster unterwarf, entwickelte der Sohn von Ludwig, Jan Odstrčil, als Architekt einen Rasterplan für eine begrenzte Kleinstadt in Niederösterreich – für Strasshof. Die Einflüsse hierfür sollen aber nicht von Otto Wagner, sondern von viel weiter entfernt, aus den USA gekommen sein: Im Nachlass der Familie Odstrčil befindliche Ansichtskarten aus Chicago hätten die Selfmade-Stadtplaner Vater und Sohn Odstrčil auf die Idee der Gitterstruktur gebracht.

In einer von Ludwig Odstrčil formulierten Abhandlung von 1912 beschreibt er seine Intentionen dahingehend, eine Satellitenstadt für die Wiener Arbeiterschaft zu gründen, die ihren Bewohnern das Leben angenehm gestalten soll. Er schwärmt darin von den günstigen klimatischen Verhältnissen, der warmen, trockenen und durch die nahen Waldungen ozonreichen Luft und den unerschöpflichen Trinkwasservorkommen unter den für die Gegend typischen, sieben Meter tiefen Lagen aus Schotter- und Sandschichten. Ein Schaubild auf Odstrčils Plan zeigt ein Einfamilienhaus, das mit „Klein – aber mein“ betitelt ist, der Text beschreibt jedoch die Bebauung in Häuserblöcken, ein- bis zweistöckig, und die Gliederung der Stadtanlage durch große Plätze und Parks. „Außerdem ist für einen ca. 30 ha großen Stadtpark, also für einen Prater, und für einen umfangreichen Friedhof vorgesorgt worden.“

Eher sozialistisch denn elitär

Im Regulierungsplan hätte die katholische Kirche an ihrem jetzigen Standort auf einem Platz freigestellt und vom Ortszentrum umgeben werden sollen. Vom Kirchplatz ausgehend hätte die „Hauptallee“ (jetzt Waldstraße) den „Prater“ (jetzt Mischwald) tangiert, in dessen Mitte ein Bad vorgesehen war. Ludwig Odstrčils Motiv zur Stadtgründung war jedenfalls eher von sozialistischen denn von elitären Gedanken geprägt. Die Einwohnerzahl der Siedlung Strasshof war bis 1912 auf 750 angewachsen, die entworfene Industrie- und Gartenstadt dürfte für rund 20.000 Einwohner ausgelegt gewesen sein.

Der Erste Weltkrieg brachte mit der Niederlassung der Baufirma Redlich & Berger (ab 1921 Universale Bau) einen großen Betrieb nach Strasshof, der Arbeitskräfte benötigte und einen neuerlichen Zuzug nach Strasshof bewirkte, die Infrastruktur für die Bevölkerung blieb allerdings aus. 1916 wurde ein Militärflugplatz errichtet, an ein eigenes Schulgebäude wurde jedoch nicht gedacht. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Voraussetzungen denkbar schlecht, die stadtplanerischen Ideen der Vorkriegszeit in geordneter Weise zu realisieren: Durch den Zerfall der Monarchie wurde das Bahngeschäft schwächer, das Flugfeld wurde liquidiert. Wegen der vielen Grundstücke, die nun billig zu haben waren, ließen sich weiterhin Siedler, vorwiegend Eisenbahner, nieder, wodurch die Arbeiterschaft gegenüber der bodenständig bäuerlichen Gänserndorfer Bevölkerung immer stärker wurde. Als man in der Gemeinde fürchtete, dass Gänserndorf durch die Strasshofer Wählerschaft sozialdemokratisch übernommen werden könnte, entließ man die Siedlung 1923 in die Selbstständigkeit.

Ab dann hieß die Gemeinde „Strasshof an der Nordbahn“ und hatte etwa 1100 Einwohner. Durch den Beinamen sollte vermutlich die Gleisanbindung und Identifikation mit dem Roten Wien unterstrichen werden, denn der Verschubbahnhof hatte wirtschaftlich längst an Bedeutung verloren. Im Unterschied zur Finanzpolitik des Roten Wien, wo Luxussteuern eingehoben wurden, um soziale Bauprojekte zu finanzieren, verfügte Strasshof jedoch über keine gehobene Schicht an Bürgern, die hätte besteuert werden können. Der Gutsbesitzer Ludwig Odstrčil leistete in seiner Rolle als Mäzen freiwillig seinen Beitrag, indem er Einzelgrundstücke für Bildungseinrichtungen, den Friedhof und die katholische Kirche – später auch für die evangelische – spendete. Für eine geordnete Planung seitens der Gemeinde, die ein identitätsstiftendes Ortszentrum für die Strasshofer Bevölkerung geschaffen hätte, gab es jedoch kein Budget.

1932 war Straßhof mit einer Arbeitslosenrate von 30 Prozent ein echtes Notstandsgebiet, in Ergänzung einer überforderten Sozialpolitik kümmerte sich der Verein der Kulturfreunde Marchfeld um die neuen Mitbürger. Man widmete sich Themen wie der „erfolgreichen Hühnerwirtschaft“ oder der „zeitgemäßen Schädlingsbekämpfung“ bei Obstbäumen, aber eben auch der Problematik der neu zugezogenen Familien, die mit ihrem letzten Spargroschen kamen, um sich eine oft fragwürdige Existenz aufzubauen.

Der zweifelhafte wirtschaftliche Aufschwung folgte dann in der Nazizeit; eine kriegstreiberische Politik besann sich des Potenzials des Verschubbahnhofs, des ebenen Heidelandes und der (arbeits-)hungrigen Bevölkerung: Als offensichtlich kriegsvorbereitende Maßnahme wurden bereits im Jahre 1938 die Gleisanlagen wieder verstärkt bewirtschaftet und die Bauarbeiten an einem neuen Flugplatz mit direktem Gleisanschluss und flankierender Bebauung wie Tanklager und Bunker aufgenommen. Für die Arbeiten wurde nicht nur die Not der Strasshofer Bevölkerung ausgenutzt, sondern es wurden Konzentrationslager errichtet, um zusätzlich Zwangsarbeiter, später deportierte Juden aus Osteuropa unterbringen zu können.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel Strasshof in den Bereich der sogenannten Verwaltung sowjetischer Truppen und so konnte erst ab 1955 mit der Behebung der Kriegs- und Folgeschäden und der Etablierung der fehlenden Infrastruktur im Ortsgebiet begonnen werden. Ernsthafte städtebauliche Überlegungen waren jedoch weiterhin kein Thema: Strasshof wurde kurzerhand zur Schlafstadt deklariert, das Defizit eines funktionierenden Ortskerns wurde durch die gute Erreichbarkeit von Floridsdorf mit der Bahn für obsolet erklärt. Auch die Familie Odstrčil konnte nun nichts mehr dagegen halten: Ihr Vermögen, in der Tschechoslowakei angelegt, war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr greifbar, und so sah man sich genötigt, den Grundbesitz Stück für Stück zu veräußern.

Ab da setzte die endgültige Amerikanisierung von Strasshof ein. Die Gitterstruktur, die nach Odstrčils Planung für eine verdichtete Verbauung mit Häuserblöcken vorgesehen war, wurde mit Einfamilienhäusern belegt und – anders als in den USA, wo im Suburb meist durch freie Rasenflächen zwischen den Häusern ein Raum zum sozialen Austausch gebildet wird – diese durch Zäune und blickdichte Bepflanzung voneinander getrennt. Jede Familie schuf sich so ihren abgeschotteten Freiraum, über die Notwendigkeit von stadträumlichen Zonen, in denen die zwanglose Annäherung der Individuen üblicherweise stattfindet, wurde offensichtlich nicht weiter nachgedacht.

Um der zunehmenden Automobilisierung gerecht zu werden, wurde alsbald das weitläufige Straßennetz asphaltiert und mit einer Beleuchtung versehen, auch Wasserleitung, Kanal und Gasversorgung mussten der stetig wachsenden Bevölkerung nachgereicht werden. Die Hauptstraße verselbstständigte sich zum dehnbaren „Zentrum“. Es herrschte kein übergeordnetes Interesse an einer Bündelung der Infrastruktur, und so siedelten sich entlang der B8 auf unüberschaubarer Länge Geschäfte und Betriebe an.

Die Lokomotive auf dem Abstellgleis neben der Straße verdeutlicht, dass sich die frühere Identifikation des Ortes mit der Bahn nur mehr im lokalen Eisenbahnmuseum wiederfindet – „Strasshof an der B8“ wäre die zeitgemäß authentische Zuschreibung. Der Bahnhof wird zurzeit zwar modernisiert, ein Auffanggebäude erhält er allerdings wieder nicht. Wichtiger ist vielmehr ein großer Parkplatz, auf dem die Strasshofer Bevölkerung ihren PKW abstellen kann, um den Zug zu besteigen. Und dann geht's vorbei an den weiten Feldern und dem Föhrenwald direkt nach Wien, das nach wie vor ihr eigentliches soziales Zentrum ist.

Spectrum, Sa., 2012.03.31

10. Dezember 2011Judith Eiblmayr
Spectrum

Hochsitz für die Kunst

Höflein an der Hohen Wand: Im Haus des Bildhauers Vadim Kosmatschof und der Textilkünstlerin Elena Koneff werden Kunst und Architektur vereint. Umgeben von Wald und Wiese.

Höflein an der Hohen Wand: Im Haus des Bildhauers Vadim Kosmatschof und der Textilkünstlerin Elena Koneff werden Kunst und Architektur vereint. Umgeben von Wald und Wiese.

Die Hohe Wand westlich von Wiener Neustadt könnte man durchaus als den Tafelberg der Wiener bezeichnen. Dieses acht Kilometer lang gestreckte Bergmassiv verfügt über ein bewaldetes Hochplateau, über das viele Wanderwege führen. Seine steilen Felswände im Westen und Süden sind weithin von der Ebene des Wiener Neustädter Beckens auszunehmen und verleihen der Gegend ihr skulpturales Gepräge.

Verständlich, dass sich ein Künstlerpaar von der Landschaft angezogen fühlt und diese als schützendes Hinterland für ihr Refugium wissen möchte. Der Bildhauer Vadim Kosmatschof und die Malerin und Textilkünstlerin Elena Koneff, 1979 aus Moskau nach Österreich emigriert, 20 Schaffensjahre in Deutschland und schließlich wieder in Wien lebend, haben sich den Traum von einem Kunstraum mit Weitblick erfüllt. Gemeinsam mit ihrer Tochter Mascha Veech-Kosmatschof und deren Partner Stuart Veech, die mit „Veech Media Architecture“ eine der wenigen internationalen Architektenformationen der Wiener Szene darstellen, wurde ihnen ein Atelierhaus entworfen, das in passgenauer Form und puristischer Weise einen Ort der Inspiration geschaffen hat. Inspirierend nicht nur für das weitere Arbeiten der beiden Künstler, sondern ebenso als „Kulturmagnet“ für Gäste – um einen Diskurs über die ausgestellten Werke und die Kunst zu bieten.

Vadim Kosmatschofs Lebenswerk ist von großformatigen Stahlplastiken geprägt, die immer im architektonischen oder urbanen Kontext in 15 europäischen Städten aufgestellt wurden. Das Grundstück für das Atelierhaus musste dem Maßstab der Arbeiten entsprechend weitläufig sein, um aus Teilen seines Werkes einen Skulpturengarten bilden zu können. Elena Koneffs Bilder und Gobelins hingegen benötigen neutrale Räume, um zur Geltung zu kommen.

Man machte sich auf die Suche nach einem passenden Bauplatz und wurde in Höflein, am westlichen Ausläufer der Hohen Wand, fündig: eine Wiese am Steilhang, oberhalb und östlich begrenzt von Föhrenwald, den Hang hinab mit einem unverstellten Blick ins Tal hinein auf grüne Bergkuppen und aus dem Tal hinaus bis zum Rosaliengebirge. In einem langen Planungsprozess konnten Varianten durchgedacht werden, um in der Auseinandersetzung mit dem genius loci die Idealform zu entwickeln. Noch während der wegen der Hanglage komplexen Bauarbeiten wurden Adaptionen vorgenommen, um das erwünschte Zusammenspiel von Innen und Außen, von Werkstatt, Wohn- und Ausstellungsraum zu optimieren.

Der Baukörper ist parallel zum Hang lang gestreckt, auf sieben Meter Tiefe in diesen eingeschoben und seitlich mit anthrazitfarbenen metallischen Platten verkleidet. Er liegt sieben Meter über dem Niveau der Zufahrtsstraße und verfügt über ein breites Plateau als Vorbereich zum Haus hin. Die Geländekante ist so weit vorgezogen, dass vom Innenraum aus die an der Straße liegenden Nachbarhäuser nicht sichtbar sind und nur die umgebende Landschaft im sicheren Abstand als malerisches Gegenüber ausgebildet wird.

Auf einer Länge von 40 Metern sind die halb öffentlichen Räume des Gebäudes additiv angeordnet: Im Westen liegt die Werkstatt als eigene, von außen begehbare Einheit. Daran anschließend liegen die Küche mit Essplatz, ein kleines Bad, die Stiege ins Obergeschoß und ein großer Galerieraum mit Kaminplatz, der zum Ausstellen der Werke und als Denk- und Diskursraum funktionieren soll. Ein Depot für die Kunstwerke markiert das östliche Ende des Sockelbauwerks.

Während der Atelierraum rundum geschlossen ist und über ein verglastes Dach zur Belichtung und zur Raumerweiterung verfügt, sind die Wohnräume mit einer durchlaufenden Verglasung zum Vorplatz hin versehen. Darüber schwebt mittig die weit auskragende, quer zum Hang stehende weiße Box und bildet darunter eine Loggia aus. Im Obergeschoß befinden sich die Schlafräume, das Wohnzimmer und eine Terrasse auf dem Flachdach des Erdgeschoßes. Auch dieser Außenraum bietet Privatsphäre, eingebettet zwischen der Brüstungsmauer, der Stützmauer zum höher liegenden Skulpturengarten und dem Waldesrand, wo die Pinien einen immergrünen „Schutzwald“ darstellen.

So einfach das Konzept der quergestellten Schachtel auf dem Dach des Atelierhauses klingt, so subtil ist seine architektonische Wirkung verstärkt, was sich erst vom oberhalb liegenden Skulpturengarten aus offenbart: Das Obergeschoß ist nicht orthogonal, sondern um acht Grad rautenförmig verschoben. Was von oben „ganz schön schräg“ aussieht, ist von unten als lediglich spürbares Phänomen wahrnehmbar. Ein spannendes Moment, denn das Auge wird getäuscht, nimmt Dynamik wahr, wo Schwerkraft herrscht, und lässt die enorme Weite der Auskragung vergessen.

Im Innenraum sind die zwei parallel verschobenen Außenwände sichtbar, doch nicht irritierend, sondern die räumliche Spannung steigernd. Die seitlichen Wände sind mit blickdichtem, transluzentem Glas versehen, und so ist die Blickrichtung über die Längsachse vorgegeben, das Naturschauspiel wird inszeniert und dadurch einem – wofür Veeches Architektur bekannt ist – gerichteten „framing“ unterworfen.

Die Natur als Bezugsgröße im Koordinatensystem dieser Architektur wird nicht nur in Form und Einbettung des Atelierhauses in dieselbe ersichtlich, sondern auch in der Funktion: An drei Seiten in die Erde eingegraben, muss wenig geheizt werden, die aufliegende weiße Box spendet Schatten im Erdgeschoß und garantiert einen kühlenden Luftzug durch das ganze Haus. Naturbezüge liegen auch im Wesen der künstlerischen Arbeiten von Vadim Kosmatschof, und so fanden Kunst und Architektur im innerfamiliären Klima von gelebter Kooperation und gegenseitigem Respekt zueinander.

Ein Hochsitz für die Kunst an der Hohen Wand, in unaufgeregter, anspruchsvoller Gestalt als Treffpunkt zur Kunstvermittlung: eine mehrfache Kulturleistung einer kosmopolitischen Familie mitten in Niederösterreich.

Spectrum, Sa., 2011.12.10

20. August 2011Judith Eiblmayr
Spectrum

Tisch ahoi!

Temporäre Sommerarchitektur: Terrassenboote, Zelturlaub und Minilofts. Die Donau und Schotterteiche rund um Wien als Refugium jener, für die Wochenende und Wasser unzertrennliche Begriffe sind. Eine Bestandsaufnahme.

Temporäre Sommerarchitektur: Terrassenboote, Zelturlaub und Minilofts. Die Donau und Schotterteiche rund um Wien als Refugium jener, für die Wochenende und Wasser unzertrennliche Begriffe sind. Eine Bestandsaufnahme.

Vor fünf Jahren stand an dieser Stelle geschrieben, dass der Juli 2006 der heißeste gewesen ist, seit es klimatische Dokumentationen gibt. Heuer fällt die Temperaturbilanz deutlich ernüchternder aus. Der Juli war nicht gerade der kälteste bis dato, aber einer der kältesten seit 30 Jahren. Was sich auf die Spitzen der Alpen positiv auswirkt, da durch Neuschnee im Juli die Gletscherschmelze ein wenig hintangehalten wird, lässt die Gemüter der Sommerhungrigen von sonnig auf betrübt umschlagen. Wer nicht schon den Sonnenhut auf den verregneten Sommer gehaut hat und in den Süden abgehauen ist, muss zur Freizeitgestaltung in Wien flexibel bleiben. Kaum, dass sich die Sonne zeigt, zieht es die Wiener und Wienerinnen hin zum Wasser, um körpernahe auszukosten, was den Rest des Jahres angenehmerweise nicht möglich ist.

„Stellt für den Amerikaner vor allem der Ausflug und das ,Camping‘, für den Engländer die Ausübung jeglicher Art von Sport, für den Franzosen die Kleintouristik ohne sportliche Betätigung, für den Italiener, bei dem Körper- und Wassersport erst in letzter Zeit Bedeutung erlangte, das dolce far niente die typische Wochenenderholung dar, so sind ... für uns in Österreich Wochenende und Wasser unzertrennliche Begriffe. Auch das sesshafte Wochenende entwickelte sich am Wasser: an den Ufern des Meeres und der Seen, in Wien an der Donau.“ So steht es in einer österreichischen Zeitschrift vom Juli 1933 unter dem Titel „Wasser, Luft und Sonne“ nachzulesen. Wenn sich auch die Präferenzen der jeweiligen Nationen im Laufe der Jahrzehnte wohl aufgemischt haben, bleiben die Gefilde der Donau bevorzugtes Ziel der Tagesausflügler. Glücklich kann sich schätzen, wer ein „Weekend-Häuschen“ mit Wasserzugang sein Eigen nennen kann – sei es in einem der Strombäder an der Donau, an einem der vielen Schotterteiche rund um Wien oder – quasi mitten in der Stadt – an der Alten Donau. Tagesgäste können seit Florian Berndls Zeiten, als sich dieser um 1900 am von ihm gepachteten Gänsehäufel die erste Reisighütte gebaut hat, Cabanen mieten und ihre Freizeit in der Gemeinschaft mit Bad und Sonnenbad „auf der Insel“ verbringen.

Wer allerdings das Individuelle bevorzugt und sich von der Landpartie unabhängig machen will, den zieht es vermehrt mit schwimmendem Untersatz direkt aufs Wasser. Das Schlauchboot mit Rudern als Inbegriff der Eroberung der Wasserflächen in den 1970er-Jahren hat dabei längst ausgedient – zu unpraktisch und zu unbequem, wie man mit der zeitlichen Distanz ruhig zugeben kann. Mittlerweile haben sich in Form und Größe ansprechendere Wasserfahrzeuge durchgesetzt: Boote mit Elektromotoren, die sich als kleine Jachten gerieren und mit sinnstiftenden Namen wie „Hartz IV“ (sic!) versehen sind, gehen an einem sonnigen Sonntag in Ufernähe vor Anker, dort, wo es seicht ist, damit man gut ins Wasser steigen kann, ohne schwimmen zu müssen. Andere mieten vis-à-vis des Gänsehäufels ein „Wohnboot“, das im Unterschied zu einem Hausboot fix mit dem Steg verbunden ist und sich nicht zum Herumschippern eignet. Aber man ist auch am Wasser, hört es plätschern, spürt die Wellenbewegungen, und vielleicht genügt ja schon die Vorstellung, dass man theoretisch ablegen und zu anderen Ufern aufbrechen könnte, um ein Freiheitsgefühl zur Entspannung im städtischen Alltag zu entwickeln.

„Schwimmhäuser“ mit 30 Quadratmetern, „vollverglast mit Küche, Bad, Doppelbett und zwei Terrassen“, werden an der Donau sogar mit Niedrigenergiestandard angeboten; zwar mit Klimagerät zum Kühlen und Heizen ausgestattet, aber nachdem der schwimmende Wintergarten der Wiener Firma „Mikrohaus“ sich nicht selbstständig fortbewegen kann, verbraucht er sicherlich weniger Energie, als wenn er mit einem Motor betrieben werden würde. Wer mit seinem Haus wirklich mobil sein will, der könnte zum „Wohnen auf dem Wasser“ eine „Flachrumpf-Tschunke“ auf der Donau erstehen; 45 Quadratmeter Wohnfläche bieten wohl mehr Komfort als ein Wohnmobil und darüber hinaus – trotz Schleusen – eine stressfreiere Reise, womöglich bis ans Schwarze Meer.

Ein dem Nomadentum am Wasserlauf entgegengesetztes Phänomen ist heuer am Unterkai des Donaukanals zu beobachten: An der Adria-Wien wurden von Initiator Gerold Ecker aufgeständerte Zweimannzelte aus Designerhand fix verortet, die als Schlafplätze zu Campingplatzpreisen gemietet werden können. Das Gegenteil vom schwimmenden Wohnwagen ist das fix verankerte Zelt. Das „Miniloft“ von Superwien Architekten zeigt, wie schnell mobil in stabil umformuliert werden kann, das Feeling des Zelturlaubs am euphemistischen Adria-Strand trotzdem inklusive!

Aber zurück an die Alte Donau, wo selbst ein romantisches Dinner mitten auf dem Wasser konsumiert werden kann: Zwei Partyboote stehen zur Anmietung bereit. Während das Essen aufgetragen und der Wein kredenzt wird, fährt man gemächlich an den Ufern des Altarmes entlang. Diese Art der stimmungsvollen Kreuzfahrt des kleinen Mannes kann durchaus auch in Eigeninitiative entwickelt werden, denn die Nutzung des Wassers selbst steht jedem frei. Ein katamaranartiges Floß, mit einem Elektromotor angetrieben, eine Reling rundherum, ein Tisch, ein paar Sessel, eine Kühlbox und fallweise ein Griller – fertig ist die eigene Chill-out-Zone! Es sieht aus, als ob sich ein Stück der im Wasser liegenden Sonnenterrasse eines Strandlokals verselbstständigt hätte, und genau diese Qualität bietet sich den Nutzern auch: ein weißer Gespritzter, eine kleine Grillerei und nachher eine Schaumrolle – allerdings individualtouristisch mitten auf dem Wasser. „Tisch ahoi!“, kann man da nur sagen und den Seefahrern wünschen, dass keine jäh einsetzende Bö das Semmerl oder den Plastiksessel von Bord weht. Das wendige und vielleicht auch trendige „Terrassenboot“ kann als ein Stück dynamisierter Architektur verstanden werden, was beweist, dass man seiner Kreativität nur freien Lauf lassen muss, um spontan auslaufen und einen der im Jahre 2011 spärlichen lauen Sommerabende in Wien wasseraffin genießen zu können.

Spectrum, Sa., 2011.08.20

07. Mai 2011Judith Eiblmayr
Peter Payer
Spectrum

Stadt im Fluss

Vom Lebensnerv der Stadt über die „Riviera der Arbeitslosen“ zur Lokalszene unserer Tage: Wiens Donaukanal – eine kleine Kulturgeschichte.

Vom Lebensnerv der Stadt über die „Riviera der Arbeitslosen“ zur Lokalszene unserer Tage: Wiens Donaukanal – eine kleine Kulturgeschichte.

Ueber Jahrhunderte wurden Waren zur Versorgung von Wien über die Donau bis an die befestigte Stadt herangeschafft; der „Wiener Arm“, der viel später als „Donaukanal“ be- und im urbanen Gefüge verfestigt wurde, war der Lebensnerv der Stadt. Nachdem Mitte des 14. Jahrhunderts die erste Brücke – die Schlagbrücke an der Stelle der heutigen Schwedenbrücke – zur damals sogenannten Donauinsel mit ihren Auen und kaiserlichen Jagdgebieten geschlagen worden war, begann sich die Bebauung am anderen Ufer zu verselbstständigen. Die Händler trachteten danach, sich vis-à-vis des Rotenturmtores niederzulassen, um dem Geschehen möglichst nahe zu sein. Der „Untere Werd“ entwickelte sich zur bevölkerungsreichsten, später zur jüdischen Vorstadt von Wien.

Ab 1858, als die Wiener Stadtmauer fiel, begannen die Stadtplaner, sich den „Donaukanal“ anzueignen. Während das Ufer der Leopoldstädter Seite bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts eine geschlossene klassizistische Bebauung aufwies, konnte das andere Ufer erst jetzt baulich entwickelt werden. Nach der Regulierung des Donaustromes 1870 bis 1875 wurde ein Wettbewerb für ein infrastrukturelles Folgeprojekt ausgeschrieben: Der Generalregulierungsplan für Wien sollte nicht nur die gezielte Nutzung des Donaukanals als Schutz- und Winterhafen mit begleitender Anlage von Abwasser-Hauptsammelkanälen, sondern auch die Errichtung eines Stadtbahnnetzes festlegen. Bereits 1898 war die großzügige Infrastrukturplanung in vorbildlicher Weise realisiert, unter künstlerischer Federführung von Otto Wagner, dem expliziten Verfechter der Implementierung von Architektur im Sinne einer praktischen Kultur für ein „modernes Großstadtleben“.

Der ab Ende des 19. Jahrhunderts durch das Nussdorfer Wehr konstant haltbare Wasserspiegel ermöglichte die weitere bauliche Einengung des Donaukanals. Die Böschungen wurden im innerstädtischen Bereich begradigt und als zwei bis zu 15 Meter breite, die Wasserstraße begrenzende Vorkais und je einen Oberkai auf Straßenniveau ausgeführt. Die oberen Kaimauern wurden mit Kalksteinquadern verkleidet und mit einem von Otto Wagner gestalteten Metallgeländer dekorativ abgeschlossen, der Wasserlauf selbst wurde entlang der rund fünf Meter tiefer gelegenen Vorkais von Mauern aus Granitquadern begrenzt.

Um die notwendige Wassertiefe für die Schifffahrt zu gewährleisten, sollten nach dem Nussdorfer Wehr drei weitere Wehranlagen mit Kammerschleusen eingebaut werden, errichtet wurde allerdings nur das Kaiserbad-Wehr, mit dem weiß-blauen Schützenhaus, ebenfalls von Otto Wagner geplant. Abgesehen von den einzelnen architektonischen Schmuckstücken ist bei der baulichen Ausgestaltung des Donauarmes im innerstädtischen Bereich immer auch Wagners Bemühen um stadtstrukturelle Qualität erkennbar. Sein Konzept für die Kais als Zonen urbanen Lebens funktionierte, solange Waren in großem Umfang in die Stadt geliefert wurden und Personenschiffe der DDSG direkt am Morzinplatz oder beim Schiffamt anlegen konnten.

Als weitere Attraktion wurden ab 1904 die „Städtischen Strombäder“ in das – zu dieser Zeit nicht mehr durch Hausabwässer und noch nicht durch Industrieabwässer kontaminierte – Donaukanalwasser gesetzt. Diese 50 Meter langen und zehn Meter breiten, aus Holz konstruierten Badeschiffe wiesen, wie ein Katamaran, über die Seitenlängen je einen Schwimmkörper auf. Dazwischen wurde ein circa 13 mal sechs Meter großer Korb ins Wasser gehängt, in den die Menschen über Stufen steigen und – so gut es ging – gegen den Strom schwimmen konnten. Die Badeschiffe waren bis in die 1940er-Jahre in Betrieb, verschwanden dann aber aus dem Flusslauf. Nach dem Ersten Weltkrieg schrumpfte das Handelsverkehrsaufkommen auf der Donau ebenso wie die Personenschifffahrt. Dafür wurde der Freizeitnutzung verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt: Gerade das Baden war sowohl in den Badeschiffanlagen wie auch „wild“ an den Uferböschungen zu dieser Zeit äußerst beliebt. Etwa im Bereich nördlich der Friedensbrücke, der häufig von Obdach- und Arbeitslosen frequentiert wurde, insbesondere Anfang der 1930er-Jahre, als sich deren Zahl infolge der Wirtschaftskrise eklatant erhöhte. Die Zeitung „Der Abend“ bezeichnete diesen Abschnitt des Donaukanals ironisch als „Riviera der Arbeitslosen“ und widmete ihm im Juli 1933 eine umfangreiche Reportage: „Das Strandleben an der Wiener Riviera ist einfach und anspruchslos. Man kommt, man sucht sich ein Platzerl, lässt die Hosen herunter oder streift das bescheidene Kleid ab – fertig. Man braucht keine Kabinen, keine Strandkörbe, keine hochmodernen Badeanzüge.“

Auch als Austragungsort von Sportveranstaltungen konnte sich der Donaukanal etablieren. Vor allem das Schwimmfest „Quer durch Wien“, bei dem der Donaukanal von der Nussdorfer Schleuse bis zur Sophienbrücke (der heutigen Rotundenbrücke) durchschwommen werden musste, entwickelte sich zum Publikumsmagneten. Erstmals 1913 ausgetragen, wurde der Wettbewerb im Jahr 1919 wieder aufgenommen und avancierte sogleich zu einer der populärsten Veranstaltungen im Wiener Sportleben. Unter den teilnehmenden Vereinen befand sich auch der jüdische Sportklub „Hakoah“, der eine avancierte Schwimmsektion aufgebaut hatte und „Quer durch Wien“ mehrmals für sich entscheiden konnte.

Noch 1927 schätzte man die Zahl der Zuschauer an den Ufern des Kanals auf beachtliche 25.000. Das „Arbeiterschwimmen“ war zur politischen Manifestation des „Roten Wien“ geworden. In den folgenden Jahren ging der Publikumszuspruch allerdings kontinuierlich zurück. Dies und der Umstand, dass antisemitische Anfeindungen gegenüber jüdischen Sportlern deutlich zunahmen, veranlassten die Veranstalter, den Schwimmbewerb nach Krems zu verlegen, ehe man ihn 1938 völlig einstellte. Der Donaukanal war zum Politikum geworden.

Als sich die Nationalsozialisten im Jahr 1938 der Wiener Stadtplanung zu bemächtigen begannen, war mit „Wien an der Donau“ nicht mehr die innere Donau, der Donaukanal gemeint, sondern der Donaustrom selbst. Die zwischen den Gewässern liegende Leopoldstadt, die vor dem „Anschluss“ zu 40 Prozent von Juden bewohnt war, wurde in gigantomanischen Entwürfen mit „Prachtstraßen“, „Aufmarschachsen“, „Festplätzen“ und „Parteizentren“ verplant, in einem Maßstab, der von gewachsener Struktur und Kultur nicht viel übrig ließ. Diese Entwürfe blieben ebenso unrealisiert wie jene nach Kriegsende aus dem Architektenwettbewerb zum Wiederaufbau, nachdem gerade die Donaukanalgegend im innerstädtischen Bereich zerstört worden war. Lediglich die Implementierung von vereinzelten Hochhäusern wie dem Ringturm von Erich Boltenstern oder dem Bundesländer-Gebäude von Georg Lippert entlang der Kais, wie in einem Wettbewerbsbeitrag vorgeschlagen, fand ihren Niederschlag in der späteren Bebauung am Donaukanal, allerdings ohne die konzeptionelle Basis eines Masterplans. Franz-Josefs-Kai und Obere Donaustraße wurden als Hauptdurchzugsstraßen hergestellt, wodurch schleichend eine stadträumliche Veränderung einsetzte, die sukzessive Ober- und Unterkai voneinander trennte.

In den 1960er-Jahren erhielt die Durchflussgeschwindigkeit des Individualverkehrs Priorität gegenüber dem Wasserlauf, der zunehmend verschmutzt und damit unattraktiv geworden war; und es wurde erwogen, auf den Vorkais des Donaukanals eine Stadtautobahn zu trassieren. Allerdings wurde diesem Ansinnen der Stadtpolitik durch eine städtebauliche Studie von Viktor Hufnagl, Traude und Wolfgang Windbrechtinger im Jahr 1971 eine klare Absage erteilt; man verwies auf die Wichtigkeit des Donaukanalbereichs in seiner Erholungs- und Klimafunktion.

Ab Mitte der 1970er-Jahre wurde die Stadtbahntrasse auf U-Bahn-Betrieb umgerüstet, was als negative Begleiterscheinung das Eigenleben am Donaukanal völlig zum Erliegen brachte. Entdeckt wurde der Donaukanal in jenen Jahren lediglich als Filmkulisse: als Drehort für den US-amerikanischen Agentenfilm „Firefox“ (1982, Regie: Clint Eastwood) und in der österreichischen Kultkrimiserie „Kottan ermittelt“, in der Regisseur Peter Patzak den morbiden Charme des vorstädtischen Kanalufers mitsamt den historischen Stadtbahnbögen in Szene setzte, eine Gegend, die dem in Wien-Brigittenau aufgewachsenen Patzak seit seiner Kindheit bestens vertraut war.

Erst langsam setzte jene Entwicklung ein, die – nach Abschluss der U-Bahn-Bauarbeiten – eine Wende auch bei der Wahrnehmung des Donaukanals bedeutete: die Politisierung des öffentlichen Raumes und die damit einhergehende „Eventisierung“ des Urbanen. Die Wiener ÖVP veranstaltete Ende September 1983 erstmals das „Lichterlfest“, bei dem der Donaukanal abends mit Lampions, Kerzen und Feuerwerk ins Bewusstsein der Bevölkerung geholt wurde. Und auch in der von der SPÖ dominierten Stadtregierung forcierte man die Entwicklung von Konzepten zur Attraktivierung des Kanals. Ein eigener „Donaukanalkoordinator“ wurde bestellt, der sich seither um die Abstimmung sämtlicher Projekte und deren Einbeziehung in den übergeordneten „Masterplan Donaukanal“ kümmert.

Plötzlich hatte der Donaukanalbereich seine spezifische Qualität als Erholungsraum mitten in der Stadt wieder, wurde als solcher auch angenommen und sukzessive entwickelt: Sei es die entstandene Lokalszene, die Neuetablierung der Badeschiff-Idee oder die Wiedereinführung der Personenschifffahrt mit dem Twin-City-Liner nach Bratislava – das städtische Leben ist an die Unterkais des Donaukanals zurückgekehrt. Für Wien ist wichtig, dass nun umgesetzt wird, was Otto Wagner, der Verfechter eines modernen Großstadtlebens, gemeint hat: Urbanität heißt, die Stadt im Fluss zu halten. Dieses Prinzip könnte nun, ein Jahrhundert später, am Donaukanal funktionieren.

Spectrum, Sa., 2011.05.07

12. Februar 2011Judith Eiblmayr
Spectrum

Event Baustelle

Ein Turm wird zur Tribüne, das Baugelände zur Bühne erklärt: Der temporäre Holzturm an der Wiener Favoritenstraße bietet einen Blick auf das Drunter und Drüber der Wiener Hauptbahnhof-Baustelle. Signalhaft.

Ein Turm wird zur Tribüne, das Baugelände zur Bühne erklärt: Der temporäre Holzturm an der Wiener Favoritenstraße bietet einen Blick auf das Drunter und Drüber der Wiener Hauptbahnhof-Baustelle. Signalhaft.

Es war eine faszinierende Szenerie als in den 1970er-Jahren der erste Bauabschnitt der Wiener U-Bahn umgesetzt wurde: Am Karlsplatz taten sich durch die offene Bauweise Schluchten auf, die einen beeindruckenden Einblick in den Wiener Untergrund gewährten. Über der Tiefbaustelle waren Ste-ge, Stiegen und Brücken aus Holz gespannt, um die Passantenströme an diesem zentralen Wiener Platz sicher zu kanalisieren und um den Straßenbahnen auf ihren wackelig anmutenden Schienensträngen, teilweise ebenfalls über Brücken geführt, freie Fahrt zu lassen. Aus der technischen Notwendigkeit heraus ergab sich eine Erhöhung der Blickperspektive: Die Fußgänger wurden für das Stiegensteigen mit einem Tiefblick in ein dynamisches Geschehen belohnt, das den offenen Bauch des Karlsplatzes mit darüber kreuzenden Straßenbahnzügen zeigte. Die temporäre Holzarchitektur wurde so zur Tribüne für Schaulustige – vermutlich als Nebeneffekt, da sich die Stadtpolitik zu dieser Zeit wohl kaum dazu bekannt hätte, dass man die Bürger am gemeinen Baustellenspektakel bewusst teilhaben lassen sollte.

Experimentelle Holzbauten wurden in den Zwanzigerjahren von russischen Künstlern als „Set-Design“ auf die Bühne gebracht. Technoide Gebilde, auf mehreren Ebenen mit Rampen und Treppen verbunden, dienten als sogenannte „Werkbank“ für die Schauspieler. Die Bühnenaufbauten thematisierten die Ästhetisierung der Konstruktion an sich und legten den Grundstein – oder besser den Bundtram – für den Konstruktivismus in der Architektur. Die Bauten aus Holz fanden bald ihren Weg in den Außenraum, wie Konstantin Melnikows sowjetischer Pavillon für die Weltausstellung in Paris 1925: Ein über den Ausstellungsräumen markant aufragender Turm in Holzkonstruktion als reiner Werbeträger mit dem „Logo“ USSR machte die Architektur zum Symbol der aufstrebenden Sowjetunion. Als die Türme begehbar gemacht wurden, geriet die Umgebung selbst zum Set, konnte diese doch plötzlich von oben herab ergründet werden. Genau diese Programmatik bietet nun in Wien die Möglichkeit, eine spannende Work in progress zu verfolgen: die Errichtung des Hauptbahnhofes mit umgebender Büro- und Wohnbebauung.

Wieder ist es ein Bahnprojekt, das Wiens Infrastrukturnetz nachhaltig verändern und einen neuen Stadtteil in den nächsten Jahren herausbilden wird. Aber anders als beim U-Bahn-Bau wird diesmal die Baustelle zum Ereignis für Interessierte uminterpretiert und durch einen Aussichtsturm getoppt, von dem aus das Drunter und Drüber am Baugrund beobachtet werden kann. Im Jahr 2008 war ein Wettbewerb ausgeschrieben worden, der von Gemeinde Wien und ÖBB gemeinsam ausgelobt wurde und die Errichtung eines Informationsgebäudes zur Entstehungsgeschichte des Hauptbahnhofs und einer bis zu 26 Meter hohen Aussichtsplattform zur Aufgabe stellte. Als Planungsgebiet war die Überbauung des Busbahnhofs am Wiedner Gürtel vorgesehen. Das Wiener Büro RAHM architekten, namentlich Adele Gindlstrasser, Hans Schartner und Ursula Musil, konnte den Wettbewerb für sich entscheiden, obwohl es sich über die Vorgabe hinwegsetzte und einen Turm mit 90 Meter Höhe konzipierte. Die Begründung der bewussten Überhöhung des Turmes, um eine bessere Sichtbeziehung zum Baustellengelände zu erreichen, scheint die Jury überzeugt zu haben, und man folgte der kreativen Empfehlung der Architekten. Um das „Bahnorama“, so der Projekttitel seitens der Auslober, noch besser erfassen zu können, wurde nach dem Wettbewerbsentscheid der Standort für das Info-Center geändert und näher an die Baustelle heran, an den Anfang der äußeren Favoritenstraße, verlagert.

Nachdem ein Gemeindebau aus den Sechzigerjahren kurzerhand geschleift wurde – auch wegen der Verlegung der Sonnwendgasse, die durch die neue Gleisführung für die Bahnhofsanlage notwendig geworden war –, konnte auf dem vorhandenen Kellergeschoß neu aufgebaut werden. Es sollte ein Stück temporärer Architektur für die Dauer der Bauarbeiten werden, und RAHM architekten näherten sich diesem durchaus im Sinne des Konstruktivismus an: ein Objekt von signalhafter Wirkung, kostengünstig, schnell aufgestellt, aber auch demontierbar und nachhaltig in der Materialität, weil aus Holz und somit wiederverwertbar. Der Turm wird zur Tribüne, das Baugelände zur Bühne erklärt, von der aus das Schauspiel Baustelle verfolgt werden kann.

Das Ausstellungsgebäude mit Cafeteria wurde als schlichter, zweigeschoßiger Holzbau angelegt, dessen Erdgeschoß möglichst transparent, die Box im Obergeschoß hingegen in kräftigem Rot gehalten ist. Über eine verglaste Brücke in Stahlkonstruktion gelangt man zum Turm, der über einer Grundfläche von acht mal sieben Metern in Fichtenholz errichtet ist. Die Bodenhaftung für das Holzgerüst wird durch einen Sockel aus Stahl hergestellt, die Entkoppelung vom Boden für die Besucher erfolgt über zwei halbrund verglaste Panoramalifte, die ostseitig auf die auf 40 Meter Höhe gelegene Aussichtsplattform hochziehen. Während man hinaufschwebt, erschließt sich die Größe des Areals mit seinen Kränen, Baumaschinen, bereits ersichtlich konfigurierten Bauteilen, Gleiskörpern und Zügen und unzähligen Bauarbeitern. Der „Hochstand“ ist 66 Meter hoch und damit der höchste begehbare Holzturm Europas, eine auch statische Innovation.

Diese Form der Eventisierung des zwar spannenden, aber durch Lärm, Staub und fallweise ruchbare unsaubere Geschäfte für die Bevölkerung auch lästigen Phänomens Großbaustelle stellten die Architekten unter das Motto „Auf der Jagd nach Stadt“. Sie vereinen damit ihren architektonisch konstruktivistischen Anspruch mit einem bekannten Objekt österreichisch-ruraler Kultur: dem Turm als ein Zeichen von Transparenz, wie auch als Aufforderung an alle Bürger, sich auf die Lauer zu legen und sich über die Vorgänge am Bau einen Überblick zu verschaffen. Aber keine Sorge: Die Elemente des Urbanen werden nur visuell als Freiwild anvisiert, geschossen werden lediglich Fotos, undam Turm ist kein „Glasnost“-Transparent gespannt. „Bahnorama“ und Wien-Panorama können gegen 2,50 Euro von jedem, der schwindelfrei ist, genossen werden.

Spectrum, Sa., 2011.02.12



verknüpfte Bauwerke
Bahnorama

02. Oktober 2010Judith Eiblmayr
Spectrum

Lieber Plot als Pot

Gärten zählten bis vor einigen Jahren zu den Soft Skills der Planung: Erst das Haus – die Pflanzen wachsen dann eh von selbst. Dass sich daran einiges zu ändern beginnt, liegt auch an Initiativen wie „Public Spots On Private Plots“.

Gärten zählten bis vor einigen Jahren zu den Soft Skills der Planung: Erst das Haus – die Pflanzen wachsen dann eh von selbst. Dass sich daran einiges zu ändern beginnt, liegt auch an Initiativen wie „Public Spots On Private Plots“.

Den „Gärten im Film“ war jüngst ein Vortrag beim Symposium „Public Spots On Private Plots“ gewidmet, der einen Einblick in die Prägung des Filmplots durch den „Private Plot“ – das private Grundstück – bot. Der Garten steht beim Planen für das Unberechenbare und Wandelbare, das im Gegensatz zur Strukturiertheit des Hauses selbst das emotionale, im wahrsten Sinne des Wortes gewachsene Element verkörpert. „Der Garten als angestrengte Inszenierung der Natur, als Überwindung der Wildnis, als Zeugnis von Zivilisation, wird im Kino oft zum Sinn – und Schaubild“, erläuterte Judith Wieser-Huber in ihrem gemeinsam mit Gisela Steinlechner gehaltenen Referat.

Während im europäischen Film der Garten als abgegrenzter Außenraum privater Befindlichkeiten inszeniert wird, dient er im amerikanischen Film entweder als verbindliches Element zwischen einzelnen Häusern – etwa in Form einer gepflegten Grünfläche, sei es in der Vorstadt oder am Campus –, als opulent und detailreich geplanter Garten hinter schweren Gittertoren, um den Luxus seiner Besitzer zu unterstreichen, oder als Abenteuerschauplatz in der gezähmten Wildnis eines Nationalparks. In zwei Klassikern des amerikanischen Thrillers jedoch wird derin den USA eher seltene eingezäunte Garten zum Ort, wo das Unglück dräut: In David Lynchs „Blue Velvet“ und in Hitchcocks „Die Vögel“ beschreibt jeweils ein Holzzaun markant das Feld der Bedrohung.

Die Beispiele der „inszenierten Natur“ sind deshalb ausführlich angeführt, da man erst durch so anschauliche Interpretationen erkennt, wie vergleichsweise selten über gestaltete Außenräume ein der Architekturkritik analoger Diskurs geführt wird. Gärten zählten bis vor einigen Jahren zu den Soft Skills der Planung, nach dem Motto: Erst das Haus – und der Garten kommt später dran. Oder: Die Pflanzen wachsen dann eh von selbst. Dass die Freiraumplanung idealerweise bereits dem architektonischen Prozess integriert ist und das Grün als Raum und nicht mehr als bloße Restfläche definiert wird, findet aber immer mehr Verbreitung.

Beim Symposium „Public Spots On Private Plots“ wurde programmatisch der geplante Grünraum ins Scheinwerferlicht gerückt, sei es privat oder öffentlich – vom begrünten Hinterhof bis zur neu angelegten Parkanlage. Neben dem theoretischen Exkurs in die szenografische Annäherung an die Gartengestaltung durch die beiden Österreicherinnen berichteten die drei anderen Referenten über ihre Arbeit als Freiraumplaner. Der britische Architekt Neil Porter, der gemeinsam mit seiner Frau, Kathryn Gustafson, das Büro „Gustafson Porter – Landscape“ in London betreibt, zeigte seine Arbeiten, wobei die ringförmige Wasserbeckenanlage des „Diana, Princess of Wales Memorial“ im Londoner Hyde Park wohl die bekannteste ist. Der Franzose Xavier Perrot, der mit dem Vietnamesen Andy Cao das Studio „Cao I Perrot“ in Los Angeles und Paris betreibt, sieht die Gartenanlage eher als Hybrid von Landschaft und Kunst. Der holländische Freiraumplaner Bart Brands – von „Karres en Brands“ – hingegen kämpft bei seinen Planungen um Verständnis für den sozialen Aspekt der Freiräume. Es sollten wirklich freie Räume sein, in denen noch nicht jede Wegführung, jede Funktion determiniert ist, sondern wo den Nutzern die Chance gegeben wird, selbst zu definieren, was in einem Park passieren soll.

Die Referenten mit ihren dispersen Intentionen bildeten gemeinsam mit der österreichischen Landschaftsarchitektin Andrea Czejka die internationale Jury des zum vierten Mal stattfindenden Wettbewerbs „Best Private Plots“, mit dem privaten Freiraumgestaltungen öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Der Institutionalisierung dieses weltweit einzigen Wettbewerbs für Gartenarchitektur geht auf eine Initiative der Landschaftsarchitektin Karin Standler, der Gartenbauwissenschafterin Andrea Heistinger und des Architekten Robert Froschauer zurück. Eine österreichische Initiative, die 2006 ein außergewöhnliches Konzept entwickelte: Die zunehmende Popularisierung der Gartenkultur sollte aufgegriffen werden, um den Mehrwert von Planung und Kultivierung im privaten Grünraum publik zu machen und die ökologischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu thematisieren. Schließlich ist die anstrengende, aber meist lustvoll erlebte Arbeit des „Gartelns“ hinter dem eigenen Zaun eine Kulturleistung an die Allgemeinheit. Nicht nur, dass ein Garten meist von anderen Menschen eingesehen werden kann: Blühende Bäume und gepflegte Beete garantieren die Artenvielfalt bei Flora und Fauna, und davon profitiert die ganze Gesellschaft.

Als Partner für den Wettbewerb konnte das Land Niederösterreich gewonnen werden. Seit dem Jahr 2006 fungiert der Verein „Natur im Garten“, der Gartenbesitzern bei der Gestaltung nach ökologischen Richtlinien konsultativ zur Seite steht, als Mitveranstalter, daher findet die Veranstaltung auch im Loisium, mitten im Langenloiser Weinberg, statt und zieht Teilnehmer aus dem In- und Ausland an. Denn auch der Wettbewerb selbst hat sich rasch zu einer international beachteten Veranstaltung entwickelt: Heuer langten 72 Einreichungen ein – von Wien bis Litauen, von Irland bis Japan – und boten ein breites Spektrum an akzentuierender Bepflanzung, gezielter Wegführung und Raumbildung und die Tektonik betonenden Geländeformen.

28 Beiträge wurden, wie jedes Jahr, in einem Katalog publiziert, und es war spannend zu beobachten, nach welchen Kriterien die Jury daraus die Preisträger wählte, so unterschiedlich waren die Konzepte: Die Anerkennungen erhielten ein im Abstandsgrün im Wiener Gemeindebau angelegter Nachbarschaftsgarten („Wirbel Institut für feministische Forschung und Praxis, Wien) und ein Waldgarten an einem See in Wisconsin, USA (Swift Company, USA). Die drei Preisträger stammen aus den USA (Stone Hedge Farm von Andrea Cochran), der Schweiz (Calonder Landscape Architects) und Japan (Landscape-Niwatan). Das Siegerprojekt „mori x hako“ ist nicht nur räumlich originell, sondern auch im kulturellen Kontext stimmig, wächst doch der „Waldgarten“ im schmalen Atrium eines Hauses über drei Geschoße der Sonne zu. Näheres unter www.privateplots.at.

Früher waren es die „Private Pots“, die Blumenkisterln, die als Elemente der Dorfverschönerung üppig bepflanzt und vor die Fenster gehängt wurden; jetzt sind es eben die Plots, die Gärten, auf die das Spotlight gerichtet wird und die als Hot Spot erkannt werden. Auch wenn sie noch so lauschig und kühl sind.

Spectrum, Sa., 2010.10.02

15. Mai 2010Judith Eiblmayr
Spectrum

Pest und Passion

1634 sollten sie die Pest von Oberammergau abwehren. Dass die Passionsspiele dereinst vor allem Besuchermassen und Geld in das Dorf der Holzschnitzer bringen würden, konnte damals keiner ahnen. Dieser Tage ist es wieder so weit. Wie alle zehn Jahre.

1634 sollten sie die Pest von Oberammergau abwehren. Dass die Passionsspiele dereinst vor allem Besuchermassen und Geld in das Dorf der Holzschnitzer bringen würden, konnte damals keiner ahnen. Dieser Tage ist es wieder so weit. Wie alle zehn Jahre.

Oberammergau und die Passion sind für den durchschnittlichen Medienkonsumenten untrennbar miteinander verbunden. Der Ort selbst wird mit den Passionsspielen assoziiert so wie Salzburg oder Bayreuth mit ihren Festspielen, ohne dass man sich bewusst ist, dass dieses Großereignis nur alle zehn Jahre stattfindet. Die Besucher strömen wie auch heuer wieder in den oberbayrischen Ort, wo man sich bemüht, die Leidensgeschichte Jesu möglichst „naturgetreu“ nachzuerzählen und die Inszenierungen anschaulich anzulegen. Nach wie vor sind es die Ortsbewohner selbst, die das Passionsstück mit großer Leidenschaft und beträchtlichem Zeitaufwand für die Bühne erarbeiten. Dieser persönliche Einsatz – letztlich zum Wohle des Dorfes – birgt jene Authentizität, die ein Schlüssel zum Erfolg sein dürfte. Wie sehr der Begriff der Passion der Historizität des Ortes immanent ist, erschließt sich dem Betrachter erst, wenn man zu Oberammergau kontextual – örtlich, zeitlich, kulturell – ein wenig ausholt.

Bezogen auf eine publizierte Feststellung aus dem Jahr 1880, dass im Dorf von 1260 Einwohnern 120 Holzschnitzer von Beruf seien, bemerkt Ilija Trojanow in seinem Buch über Oberammergau, dass die Handwerker mit Rückenkraxn die geschnitzte Ware bis nach Italien gebracht hätten, „was für eine gewisse Weltoffenheit gesorgt“ habe. Bis ins frühe 12. Jahrhundert dürfte die Ammergauer Holzschnitzkunst zurückreichen, jedenfalls ab der Spätgotik gilt sie als verbrieft. Die Mönche des 1330 gegründeten Klosters Ettal, das am südlichen Eingang ins Ammertal in unmittelbarer Nachbarschaft des Ortes Oberammergau gelegen ist, galten selbst als handwerklich geschickt und als wahrscheinliche Initiatoren und Promotoren des ortsspezifischen Kunsthandwerks.

In der 1520 verfassten „Geschichte von Ettal“ ist vermerkt, dass die Schnitzer so tüchtig seien, dass sie „das Leiden Christi in einer halben Nussschale“ darzustellen vermochten. Diese Anmerkung ist insofern von Bedeutung, als sie den passionierten Arbeitseinsatz der Oberammergauer für die Passionsgeschichte selbst, aber auch für die passable Vermarktung derselben trefflich beschreibt. Es könnte eine Metapher für den Charakter der Oberammergauer sein: ein gutes Anschauungsvermögen, viel Fingerspitzengefühl und voller persönlicher Einsatz. Dieser ging eben so weit, dass die Holzschnitzer ihre Tätigkeit ab dem 17. Jahrhundert als freies Gewerbe betreiben durften und die „Kraxnträger“ nicht nur in Richtung Süden ausströmten, sondern bis nach St. Petersburg und Kopenhagen gelangten. Später ließen sie sich an diesen und anderen Orten fern der Heimat nieder und bauten eigene Vertriebsnetze für die Oberammergauer Holzobjekte auf, wobei die Produktpalette von Heiligenfiguren, Krippen und Kruzifixen bis zu Haushaltsgeräten und Spielzeug reichte.

Wie in anderen Gebieten des Alpenraumes auch, war es somit die Holzwirtschaft, die die Existenz der Ammertaler Bevölkerung sicherte. Das auf 840 Meter Seehöhe gelegene Hochtal des Flusses Ammer ließ wegen saurer Wiesen keine ergiebige Land- oder Viehwirtschaft zu, und so war es eben das handwerkliche Geschick, das die Bewohner perfektionierten und über Produkte, mit der „Marke Oberammergau“ versehen, nach Europa hinaustrugen. Dieserart wurde bereits im Mittelalter eine bürgerliche und weniger bäuerliche Identität des bayrischen Dorfes begründet und dadurch die erwähnte überlebensnotwendige Weltoffenheit in das Dorf hereingebracht.

Leider ebenso hereingebracht wurden durch heimgekehrte Händler und Soldaten die Pesterreger, war doch die Krankheit im Mittelalter in ganz Europa verbreitet. Da der Epidemie medizinisch noch nicht beizukommen war, versuchte die Kirche mit ihrer eigenen Methodik Unheil abzuwenden: Zu Ehren Gottes wurde dem frommen Volke empfohlen, spielerisch das Leiden Jesu auf sich zu nehmen und durch die mehrtägige Darstellung der Passion Christi Abbitte zu leisten. Bereits bei der großen Pestwelle in Mitteleuropa um 1500 wurden vielerorts Passionsspiele auf den Marktplätzen inszeniert, wobei die Bevölkerung durch gemeinsames Gebet und beim Chorgesang einbezogen wurde. Die offenbar heilbringenden „Open-Air-Festivals“ mit Volksfestcharakter waren von den als Intendanz fungierenden Passionsbruderschaften der Städte wirtschaftlich und inhaltlich professionell organisiert. Ob dies im pekuniären Sinne einträglich war, ist nicht bekannt, jedenfalls garantierten die Passionsspiele der katholischen Kirche im Mittelalter eine mediale Verbreitung ihrer Glaubenslehre.

Im deutschen Sprachraum existierten drei Passionsspielkreise: der alemannische, der westmitteldeutsche und der Tiroler Spielkreis, zu dem auch Erl zählte, das seit 1613 regelmäßig seine eigenen Spiele abhielt. 20 Jahre später galt dieses Lösungsmodell auch für Oberammergau als Gebot der Stunde, um die Ausbreitung der Pest zu verhindern. Die Bewohner legten 1633 ein Gelübde ab, ein Passionsspiel im Ort zu etablieren, falls der Ort von weiterem Unheil verschont bliebe. Kaum ausgesprochen, fiel der Legende nach kein einziger Ammertaler Bewohner mehr der Seuche zum Opfer, und so kam es bereits 1634 zur Uraufführung in der örtlichen Pfarrkirche respektive auf dem Friedhof. Dramaturgisch half man sich innerhalb des Tiroler Spielkreises aus und erhielt als Grundlage den Text der Augsburger Spiele. Vielleicht war es ein Initiationsritus neuer Art für die Oberammergauer, denn es scheint, als ob sie daran Gefallen gefunden hätten, jene Szenen, die sie traditionell im Modell – wie erwähnt sogar in einer halben Nussschale – nachzubilden vermochten, selbst darzustellen. Es war nämlich allein den Bewohnern Oberammergaus vorbehalten, an der Passion mitzuwirken, dies hatte die Gemeinde von Anfang an bestimmt.

Dem Gelöbnis entsprechend, kam es zu regelmäßigen Aufführungen, wobei die Inszenierungen erweitert und ab 1674 von Musik begleitet wurden. Die Spiele gerieten – ganz abgesehen von der nachhaltigen Bannung der Pest, sei es durch die Passion, sei es durch die gute Luft – zum Erfolg, und von Mal zu Mal kamen mehr Besucher. 1680 wurde endgültig der Zehnjahresrhythmus mit je einer Aufführung etabliert. Neben der anschaulichen Passionsdarstellung gingen laut Christine Rädlinger (in der von ihr verfassten Ortschronik) die Überlegungen der Gemeinde immer auch in die Richtung, die Spiele nicht nur als kirchliches Fest, sondern als Einnahmequelle für den Ort anzulegen und das Einkommen der Einwohner auf diese Weise zu erhöhen.

1750 wurde zur Attraktivierung mit der „Passio Nova“ eine komplette Neubearbeitung im Stile eines allegorischen Barockdramas vorgenommen, das als geradezu reißerisch geschildert wird. In erstmals zwei Vorstellungen habe man 11.000 Besucher gezählt: Das scheint Mitte des 18. Jahrhunderts in Anbetracht der mühsamen Anreise in das hochgelegene Ammertal doch ganz beachtlich, und die Einnahmen müssen ebenso beträchtlich gewesen sein. Die Oberammergauer begannen, die Selbstdarstellung zu professionalisieren und ab Mitte des 18. Jahrhunderts das Dorf selbst als Teil der Inszenierung zu verstehen. Die profane Architektur im Ort sollte durch die Lüftlmalerei aufgewertet werden, eine im bayrischen Raum verbreitete Freskotechnik, die in barocker Machart auf Perspektivwirkung ausgerichtete Scheinarchitekturen und Allegorien an die Fassaden applizierte. Man hatte offensichtlich erkannt, dass „Entertainment Design“ nicht nur potenzielle Gäste anzieht, sondern, dass dadurch für die eigene Bevölkerung eine Identifikationsoption geschaffen wird, sich auch in den langen aufführungsfreien Jahren als Teil des Ganzen zu verstehen und mit vollem Eifer auf die nächste Passion hinzuarbeiten.

Diese Art der „Eventisierung“ des Christentums wurde während der Aufklärung kritisch gesehen, und Passionsspiele wurden generell ab 1770 mit einem Aufführungsverbot belegt. Nur Oberammergau erhielt 1780 das Privileg, wieder zu spielen, womit seine Sonderstellung in der mitteleuropäischen „Freiluft-Theaterszene“ evident und seine weitere prosperierende Entwicklung verständlich wird. Alle zehn Jahre strömten die Massen auf den mittlerweile vom Friedhof auf eine Wiese am Ortsrand verlegten Aufführungsort, der mit einem hohen Bretterzaun abgegrenzt und wo der Eintritt nur mit bezahlten Karten möglich war. Die Einnahmen flossen einerseits ins Gemeindebudget, andrerseits wurden sie dazu verwendet, die Bühne zu attraktivieren und die Aufführungen zu aktualisieren. Die durchgreifende Modernisierung der Passion 1850 durch den Oberammergauer Pfarrer Aloys Daisenberger brachte gute Kritiken in der Presse und somit internationale Reputation.

Trotz dieses Erfolges verloren die Oberammergauer ihren eigentlichen Haupterwerb, das Holzschnitzergewerbe, nie aus den Augen. Neben der Gründung einer örtlichen Holzschnitzschule dehnten sie bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Vertrieb der Holzware bis nach Übersee und Fernost aus. Die Christusfigürchen könnten dabei durchaus auch als Werbeträger für die Passionsspiele gedient haben, vielleicht hatten die Oberammergauer ihre „Werbetrommel“ dieserart sogar selbst gerührt.

Ende des 19. Jahrhunderts waren es vor allem die Engländer, die Oberammergau für sich entdeckten, eine Entwicklung, die dem britischen Erfinder des internationalen Massentourismus, Thomas Cook, zu verdanken war. Mit der Etablierung des Schienenverkehrs begann Cook, sein Reiserevier von den britischen Inseln auf den europäischen und den amerikanischen Kontinent auszudehnen. Er verstand es, eine der Segnungen der Industrialisierung, den Bahnverkehr, mit dem Ideal der Romantik, dem Naturschauspiel, zu vereinen und seinen Kunden die erbauliche Konsumierbarkeit von beidem anzupreisen. Die pittoresken Alpen, ein dort stattfindendes spirituelles Schauspiel und, nicht weit davon entfernt, das fast fertiggestellte Märchenschloss Neuschwanstein könnte die Apotheose von Cooks Imagination einer Erlebnisreise mit Disneyland-Vision bedeutet haben. Die englischen und amerikanischen Touristen fanden es zudem faszinierend, Fiktion und Funktion im Dorf verschwimmen zu sehen und inmitten von Bibelfiguren zu wohnen. Sie konnten beobachten wie Jesus, der tags zuvor am Kreuz hing, am Morgen durch den Ort spazierte – für die puritanischen Angelsachsen, meint Rädlinger, bedeutete dies wohl einen veritablen Nervenkitzel.

Festspielbesuche gerieten ab 1876 in Bayern zum jährlichen sommerlichen Kulturereignis, nachdem Richard Wagners Bayreuther Festspiele etabliert worden waren. Um mit einem neu errichteten Festspielhaus konkurrieren zu können, musste der Komfort für die Zuschauer in Oberammergau gesteigert werden. Vorerst wurden Zeltdächer über die Ehrenlogen gespannt, später begann man, Überlegungen für die Errichtung eines Zuschauerhauses anzustellen, das dem gesamten Publikum Schutz vor der Witterung bieten sollte. Ein Zirkuszelt wäre wohl zu trivial gewesen, und so konnte es für ein angestrebtes Fassungsvermögen von 4200 Plätzen konstruktiv nur eine Bahnhofshalle werden. Man verfolgte einen pragmatischem Ansatz, schließlich baute man für eine „Dezenniale“, und versetzte sechs 27 Meter hohe Stahlfachwerksbögen, die möglichst unaufwendig mit bemalten Leinwänden eingehaust wurden. Fertig war die „Industriehalle“ der Kulturproduktion, die in ihrer äußerlichen Anmutung dem Bühnenhaus in Bayreuth durchaus ähnlich geriet.

Die Bühne allerdings blieb im Freien, vor der großen, bogenförmigen Öffnung an der Nordseite: Die Schauspieler der Passion sollten, um glaubwürdig zu bleiben, weiterhin ihre Exponiertheit wahrhaftig leben müssen. Die Szenerie wurde, von innen heraus betrachtet, in einen Rahmen gesetzt, der sichtbare, echte Himmel im oberen Bereich des Bühnenbildes verlieh dem Geschehen zusätzliche Dramatik. Die Fokussierung auf das Spiel wurde deutlich verstärkt, ein Effekt, der wiederum an Bayreuth erinnert, wo, Wagners Wunsch folgend, die Guckkastenbühne die Konzentration der Zuschauer auf das Bühnengeschehen erhöhen sollte.

Die Errichtung des Passionstheaters, das in seiner ruralen Zweckarchitektur ab sofort die kolorierten Postkarten von Oberammergau zierte, nahm dem bereits weltbekannten Dorf das folkloristische Moment und machte es zu einem ernst zu nehmenden Kulturort. Ab nun stand die Passion als Schauspiel im Vordergrund, musste sich mit anderen Veranstaltungen messen und wurde mit Kombinationstickets – zu jeder Karte eine Übernachtungsmöglichkeit – gekonnt vermarktet. Bei den Salzburger Festspielen, gegründet 1920, wollte man die Oberammergauer Stimmung zumindest teilweise einfangen, der „Jedermann“ wurde ganz bewusst als Aufführung im Freien, auf dem Domplatz, angelegt. Hugo von Hofmannsthal selbst sah den Festspielgedanken als „eigentlichen Kunstgedanken des bayrisch-österreichischen Stammes“, der in der Passionsspieltradition des mitteleuropäischen Alpenraums seinen Ursprung hatte.

Oberammergau hat bis heute, trotz mehr als 100 Vorstellungen pro Saison und 500.000 verkauften Karten, seinen kulturellen Stellenwert gehalten. Die weltweite Popularität ist ungebrochen und die Qualität der halbtägigen Aufführungen unwidersprochen gut. Die Darsteller und Darstellerinnen kommen nach wie vor aus der Oberammergauer Bevölkerung, als Intendanten und Bühnendesigner werden allerdings mittlerweile hoch bezahlte Profis engagiert. Nach wie vor gibt es in Oberammergau die traditionellen Holzschnitzer, alle zehn Jahre die Passion und das demokratische Prinzip des Bürgerentscheids, das über die Entwicklung des Ortes bestimmt. Die Idee, die Bühne mit einer mobilen Überdachung zu versehen, um die Infrastruktur auch zwischenzeitlich nutzen zu können, ohne den Passionszyklus verdichten zu müssen, wurde im Ort positiv beschieden und ist seit heuer realisiert. Das Passionsspiel selbst bleibt auf der Freibühne exponiert wie eh und je, in den langen Jahren der passionsfreien Zeit allerdings kann ab nun zum Beispiel „Jesus Christ Superstar“ nicht in, sondern unter einer konstruktiven Halbschale dargestellt werden und dem Ort neue Zielgruppen erschließen. Gut durchdacht und gut bedacht.

Spectrum, Sa., 2010.05.15

13. Februar 2010Judith Eiblmayr
Spectrum

Mitten im Achten, mitten in Lourdes

Wie viele der Sechzigerjahre-Baudenkmäler in ihrem spezifischen Design erhalten werden können, hängt von der Finanzierbarkeit einer stiladäquaten Sanierung ab.

Wie viele der Sechzigerjahre-Baudenkmäler in ihrem spezifischen Design erhalten werden können, hängt von der Finanzierbarkeit einer stiladäquaten Sanierung ab.

Es ist eine einprägsame Szene, die den preisgekrönten Spielfilm „Lourdes“ von Jessica Hausner einleitet: Die Kamera ist aus erhöhter Perspektive in einen hallenartigen Raum gerichtet, offensichtlich ein Speisesaal.Die Esstische werden gedeckt, halbhohe holzverkleidete Pflanzentröge dienen als Raumteiler und verleihen den Sitzgruppen intimen Charakter. Plötzlich fährt ein Mann in einem elektrischen Rollstuhl „ins Bild“, es folgen andere offensichtliche Patienten, denn sie werden in Rollstühlen hineingeschoben odersteuern langsamen Schrittes auf ihre Plätze zu. Es stellt sich umgehend die Assoziation eines Sanatoriums ein, denn der grünlich-schwarze Steinboden, das dunkelbraune Mobiliar, die große gardinenverhangene Verglasung an der Stirnwand, die gerasterte Decke mit eingelassenen rechteckigen Oberlichtelementen zeugen von einer nüchternen Zweckmäßigkeit im Stil der Sechzigerjahre. Allerdings spielt sich der Raum nicht selbst, sondern er wird bespielt, durch Patienten wie auch Pflegepersonal des Malteserordens, man nimmt straffe Organisation und atmosphärische Strenge war.

Man weiß um die Manipulierbarkeit des Zuseherauges, und doch lässt man sich sofort auf die Bildgeschichte ein, die da von einem Hotel oder eben Sanatorium im Südwesten Frankreichs erzählt. Hier werden die Lourdes-Pilger untergebracht, um auf den zugewiesenen Termin in einer der Kultstätten zu warten und dort um Linderung ihrer körperlichen Leiden zu bitten. Die formale Sachlichkeit des Aufenthaltsraumes wird als reziprok zur Mystik des Ortes Lourdes empfunden, hier drinnen wird professionell vorbereitet, was sich draußen bei den heiligen Stätten wunderbarerweise ereignen könnte. Was man als Zuschauer anfangs noch nicht weiß, ist, dass die geschilderte Raumatmosphäre den Film hindurch prägend sein wird. So eindrücklich die Bilder der heiligen Stätten sind, der Blick auf die handelnden Personen bleibt ohne Kitschaffinität räumlich vorwiegend internalisiert.

Schnitt. Das Studentenheim in der Pfeilgasse 3A in Wien Josefstadt wurde 1962 bis 1967 errichtet und galt damals als die modernste Einrichtung dieser Art in Österreich. Errichter war der Trägerverein „Akademikerhilfe“, eine kirchennahe Organisation, die seit 1921 für Studenten Kost und Logis günstig anbietet. Die ersten beiden neu gebauten Wiener Heime – eines davon in der Pfeilgasse 4–6 – ließ die „Akademikerhilfe“ von Clemens Holzmeister planen, was architektonischen Anspruch erkennen lässt. Beim damals neuen „Pfeilheim“ auf Nr. 3A setzte man nicht nur auf moderne Architektur in Form eines 12-geschoßigen Hochhauses, sondern auch auf ein betriebswirtschaftlich durchdachtes Konzept: Erstmalig wurden Einzelzimmer mit Bad angeboten, um das Haus in den vorlesungsfreien Monaten als „Hotel erster Klasse“ betreiben zu können und somit eine Einnahmequelle zu erschließen. Mit 368 Zimmern war das während dieser Zeit „Hotel Academia“ genannte Heim nach dem Hotel Intercontinental Ende der Sechzigerjahre das zweitgrößte Hotel von Wien.

Kurt Schlauss hat dieses Studentenheim geplant, unverkennbar, wenn man den zeitgleich in Kooperation mit Erich Boltenstern entstandenen Gartenbau-Komplex am Parkring vor dessen Generalüberholung kannte. Über einer zweigeschoßigen Sockelzone erhebt sich ein zehn Stock hoher Bettentrakt, flankiert von etwas niedrigerer Blockrandbebauung. Die schmalen Fensterprofile aus Aluminium sowie die Fassade aus lila-violett-grün-grauem Glasmosaik sind zwar in die Jahre gekommen, legen aber immer noch Zeugnis davon ab, dass man damit versuchte, einem kantigen, hohen Gebäude eine weiche Textur zu verleihen. Im Inneren herrschen die zeittypischen Materialien vor wie Bodenplatten aus hellem Konglomeratstein, dunkle Holztäfelungen, fallweise grünlich-schwarzer Marmor als Säulenverkleidung oder Bodenbelag, eine gardinenverhangene, vergilbte Glaswand mit elegantem vertikalem Knick zum Garten hin. Die dunkelbraunen Tische und Sessel sind übereinander gestapelt, die vertäfelten Tröge mit den Plastikpflanzen ebenso. Und dann realisiert man, dass man sich „mitten im Achten“ mitten in „Lourdes“ befindet. Das Wunder der Reaniamierung eines Mensa-Saals im Sechzigerjahre-Look hielt nur für die Zeit der Dreharbeitenan, jetzt liegt der Saal wieder brach.

Die Großräume der Sechzigerjahre sind nicht nur in ihrer Materialität, sondern oft auch in ihrer Funktion in die Jahre gekommen und müssen erst von Kreativen entdeckt werden, um ihren eigentlichen Zweck als Räume für soziale Interaktionen wieder erfüllen zu können. Während in Schlauss' „Seepavillon im Donaupark“ von 1964 zur Revitalisierung Tanzpartys veranstaltet wurden, dient das „Pfeilheim“ immer öfter als Filmschauplatz. Die Generation der jetzt etablierten Set-Designer wie Katharina Wöppermann, die für die Ausstattung von „Lourdes“ verantwortlich zeichnet, weiß um die strukturelle Qualität dieser Räume, die durch formale Zurückhaltung der Regie Interpretationsspielraum lassen. Gleichzeitig erfolgt durch das „Staging“ eine Fiktionalisierung von Architektur, die immer auch ein Stück emotionaler Geschichte der Filmemacher selbst transportiert. Es sind genau jene Räume aus der Jugend, mit denen man persönliche Gruppenerlebnisse verbindet, wie Schule, Sporthalle oder das Schülerheim am Skikurs. Die originalen Schauplätze fungieren als ein illusionäres Abbild bekannter sozialer Muster. Wie viele dieser „60er-Jahre Baudenkmäler“ in ihrem spezifischen Design erhalten werden können, wird von der Finanzierbarkeit einer stiladäquaten Sanierung abhängen. So manch prominentes Bauwerk jener Zeit, wie das Bundesländergebäude von Carl Appel in der Taborstraße ist längst abgerissen oder – siehe Gartenbaukomplex – durch die Generalsanierung formal stark verändert. Das „Pfeilheim“ wird zumindest durch Filmmaterial auf die Authentizität ihrer „coolen“ Bausubstanz verweisen können – wenn auch in Ort und Zeit fiktional uminterpretiert.

Spectrum, Sa., 2010.02.13

19. Dezember 2009Judith Eiblmayr
Spectrum

Starrer Rahmen, bewegter Blick

Während Wien Tagestouristen planlos und busweise in die Stadt lockt, führt St. Pölten seine Besucher mit einem durchdachten Leitsystem durch die Kulturgeschichte.

Während Wien Tagestouristen planlos und busweise in die Stadt lockt, führt St. Pölten seine Besucher mit einem durchdachten Leitsystem durch die Kulturgeschichte.

In der Vorweihnachtszeit präsentiert sich Wien als Metropole des Städtetourismus mit der Hauptattraktion „Shopping in der City“ als ostentative Konkurrenz zu „Shopping in der Shopping City Süd“. „Autobusse willkommen...“, wirbt eine offizielle Wiener Internetseite, und unter dieser Devise werden im „Advent 2009“ einkaufswillige Stadtbesucher vorwiegend aus Österreichs nordöstlichen Nachbarländern busweise in die Stadt gekarrt und bei den „Aus- und Einstiegsmöglichkeiten“ ins Innenstadtgetümmel entlassen. Während die Tagestouristen auf den Trampelpfaden durch die Stadt strömen und ganz ohne Leitsystem den Pfad finden – vom Schwedenplatz zur Mariahilfer Straße und via Christkindlmarkt zurück –, drehen leere Busse ihre Tour um den Ring. Ab 18 Uhr wälzt sich die träge Menschenmasse zum Beispiel durch die für den Autoverkehr gesperrte Rotenturmstraße und wartet in Gruppen am Schwedenplatz, um in den jeweils richtigen von Hunderten Bussen hineinzufinden. Ein unglaubliches Spektakel, wo man als beobachtender Wienbewohner sich wundert, denn wirbt Wien nicht eigentlich mit Kunst, Hochkultur und einer immer größer werdenden Anzahl an Vier-Sterne-Hotelbetten? Alles zu seiner Zeit und für jede Zielgruppe das spezifische Angebot: Was dem städtischen Kulturtouristen im Herbst das Belvedere, der Demel und der Naschmarkt sind, seien dem ein- und abgeladenen Shoppingtouristen in der Adventzeit das Gerngross-City-Center, der Maronibrater und der Punschstand.

Während Wien den Massenansturm an Shop-Hoppern bewusst evoziert, können kleinere Städte wie zum Beispiel Sankt Pölten, das nächstes Jahr sein 25-jähriges Bestehen als niederösterreichische Landeshauptstadt feiern wird, ihre Touristenkonzepte mit Weitsicht planen und gezielt entwickeln. Noch muss sich St. Pölten nicht mit hochfrequentem Bustourismus auseinandersetzen – auch nicht zur Weihnachtszeit –, da die Stadt derzeit über eine zu geringe Hotelbettenkapazität verfügt. Als explizites Touristenziel für einen längeren Aufenthalt hat es sich noch nicht bewähren können, und so beschränkt man sich auf Messebesucher, Kongressteilnehmerinnen und Tagestouristen.

Sankt Pölten hat mit seinen 50.000 Einwohnern eine ideale Größe um von Kulturinteressierten an einem Tag zu Fuß erforscht zu werden, und genau diese Qualität hat die Stadtgemeinde, respektive Bürgermeister Matthias Stadler, aufgegriffen, um dies maßstabsgerecht zu kommunizieren. Vor zwei Jahren veranstaltete der Magistrat von Sankt Pölten einen geladenen Wettbewerb für Grafik-Designer in verpflichtender Kooperation mit Architekten zur Planung eines „Kultur-Touristischen Leit- und Informationssystems“, das einerseits Stadtbesucher von auswärts, andrerseits die ortsansässige Bevölkerung in ihrem Interesse „abholen“ und zu den Sehenswürdigkeiten der Landeshauptstadt führen sollte. Gleichzeitig wusste man um die Notwendigkeit, die Besucher des historischen Stadtzentrums auch an das in den 1990er-Jahren errichtete Regierungsviertel mit seinen architektonisch anspruchsvollen Kulturbauten wie Landesbibliothek, Festspielhaus und Landesmuseum außerhalb des Ringes um die Altstadt heranzuführen. Man wollte ein standfestes Leitsystem, das sich ohne Sponsoren-Logo behaupten kann und dessen Einzelelemente an verschiedenen Standpunkten im Stadtraum die Wege weisen. Man wollte keine Audioguides, die man sich bei der Tourismusinformation abholen und wieder abgeben muss und auch keine übers Touchscreen-Handy abrufbaren Multimediashows.

Die Grafikerin Gabriele Lenz und die Architektin Anja Mönkemöller konnten den Wettbewerb unter sechs Teams für sich entscheiden, mit einem Konzept, das durch funktionalistische Präzision beeindruckt, sowohl wasdie architektonische Durchbildung der Info-Stelenfamilie, als auch den typografischen Auftritt der eigentlichen Informationen in applizierter Text- und Planform betrifft.

Die formal einheitlich in anthrazitgrau gehaltenen, pulverbeschichteten Stahlelemente mit einem gelbgrünen Signalstreifen an den Schmalseiten, die seit wenigen Wochen in Sankt Pölten aufgestellt sind und durch perfekte Materialbearbeitung im Detail beeindrucken, gibt es in drei aufeinander bezogenen Modellen: Wegweiser-Stelen, Gebäudetafeln an Hausmauern und Platz-Stelen. Die 220 Zentimeter hohen Wegweiser, auf denen ein Orientierungsplan und die angeführten Zielobjekte Aufschluss über den Weg zu diesen geben, funktionieren als konventionelle Hinweistafeln an den Gehwegen im städtischen Gefüge. An den bezeichneten Orten angekommen, findet sich nun entweder eine an der Hausmauer montierte Gebäudetafel oder eine den Ort beschreibende großformatige Platz-Stele. In einer zweiten Ausbaustufe 2010 werden in formal gleicher Art je ein Info-Pavillon beim Bahnhof und in der Mariazeller Straße realisiert werden.

Das Besondere an der Gestaltung von Lenz und Mönkemöller ist, dass die Stelen nicht selbstreferenzielle City-Lights oder wie üblich passive Trägerplattformen für Texte sind, sondern zu einem Stück „sprechender Architektur“ werden und die Informationskonsumenten zur Aktivität auffordern: Die kleinen wie die großen Tafeln haben – unmittelbar neben der Schrift – rechteckige Ausschnitte, wodurch der touristische Blick gerahmt und somit auf das Wesentliche gelenkt wird. Herkömmliche Tafeln wie jene des Denkmalamtes an einem geschützten Gebäude werden als reine Textinformation, mit Fähnchen geschmückt, der Fassade vorgeblendet. Die sich nobel abhebenden, leicht gekippten Sankt Pöltner Objekt-Tafeln hingegen geben dem Betrachter, noch während er die Infos liest, eine subtile Hintergrundinformation, indem ein Fassadendetail im Rahmen fokussiert wird.

Bei den Platz-Stelen wird dieses Prinzip um noch eine – kreative – Dimension erweitert: Der Flaneur, die Flaneuse können sich, wie beim Fotografieren ein eigenes Stadtbild gestalten! Durch die Distanz zwischen der Rahmung und einem „Schaustück“ am oder rund um den Platz können Blickwinkel und Bildausschnitt selbst bestimmt und ein Objekt eigener Wahl in den Rahmen gerückt werden – sei es ein Gebäude, ein Baum oder auch eine Person. Der bewegte Blick durch den starren Rahmen erzeugt eine Spannung, die dem touristisch noch unverdorbenen Sankt Pölten zugute kommen wird. Und vielleicht wird es stadtflüchtige Wiener geben, die, bevor auch dort „Busse willkommen“ sind, der niederösterreichischen Landeshauptstadt mit der Bahn eine Tagesvisite abstatten und sich direkt vom Bahnhof weg von einem intelligenten System mit starker Bodenhaftung durch die Kulturgeschichte der Stadt leiten lassen.

Spectrum, Sa., 2009.12.19



verknüpfte Bauwerke
Kultur-Touristisches Leitsystem für die Landeshauptstadt

19. Juni 2009Judith Eiblmayr
Klaus Paulitsch
Spectrum

Von Mies zum Messie

Das Haus – ein Symbol für das Ich? Das Traumhaus als Indika- tor für unbewusste Wünsche? Wie Architektur mit der Psyche eines Bewohners korrespon- diert. Und was passiert, wenn Architekten das ignorieren.

Das Haus – ein Symbol für das Ich? Das Traumhaus als Indika- tor für unbewusste Wünsche? Wie Architektur mit der Psyche eines Bewohners korrespon- diert. Und was passiert, wenn Architekten das ignorieren.

Wenn sich eine Person an einen Architekten oder eine Architektin wendet, um ihr Haus planen zu lassen, so geben deren Wünsche und Vorstellungen bald zu erkennen, dass es meist um mehr geht, als eine solide, funktionale oder ästhetisch nachhaltige Bleibe zu erhalten. Freud meinte, dass die einzige typische, das heißt regelmäßige Darstellung der menschlichen Person als Ganzes die als Haus sei, das Haus steht symbolisch für das „Ich“ oder kann als Metapher für die eigene Person gesehen werden. Wünsche, Vorlieben, Abwehrhaltungen, Sehnsüchte oder Ängste werden oft bildlich in einHaus oder in eine Wohnung projiziert. „Traumhäuser“, die den Planern präsentiert werden, lassen meist Rückschlüsse auf unbewusste Kräfte zu, die die spezifischen Vorstellungen der Bauherrn von Geborgenheit, Autonomie- oder Schutzbedürfnis bestimmen. An der Errichtung des eigenen Hauseshängt also viel dran – nicht nur finanziell. Je sesshafter eine Gesellschaft und je weniger austauschbar das Haus ist, umso gewichtiger wird die Identifikation der Eigenheimbesitzer mit selbigem, und umso genauer sollten die Architektin, der Architekt auf den Entwurf eines passenden Hauses achten.

Aber auch umgekehrt müssen Architekten gewahr sein, dass sie Gefahr laufen können, eigene Projektionen und Wünsche ans Wohnen in ein Konzept zu verpacken, und so am Bedürfnis des Auftraggebers völlig vorbeiplanen – ohne deshalb „schlechte“ Architektur zu machen! Ein Beispiel dafür gibt die Geschichte einer Ikone der modernen Architektur, des Farnsworth House von Ludwig Mies van der Rohe, geplant und erbaut 1945–1950 in der Nähe von Chicago. Die Wiener Architektin und Architekturtheoretikerin Sabine Pollak hat in ihrer Publikation „Leere Räume – Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne“ (2004) jene Details der Entstehungsgeschichte erzählt, die in den meisten Mies-Architekturabhandlungen bislang nicht erzählt wurden: Es war die beruflich erfolgreiche, alleinstehende Ärztin Edith Farnsworth, die Mies beauftragt hatte, ein Wochenendhaus mitten in der Natur im Ufergebiet eines Flusses für sie zu konzipieren. Mies van der Rohe plante einen eckigen gläsernen Pavillon, der von acht weiß gestrichenen Stahlsäulen getragen wird und – auchaus Gründen des Hochwasserschutzes – zirkaeineinhalb Meter über Bodenniveau auf einerPlattform ruht. Den Kern des Hauses bildet die Nasszelle, der restliche Raum mit all den determinierten Funktionen des Wohnens im Wochenendhaus wie Herumlungern, Schlafen, Kochen, Essen, Lesen und vieles mehr erlaubte keinen Rückzug.

All diese Details des häuslichen Lebens waren von der Umgebung – die Landstraße ist relativ nahe – lediglich durch eine Glasschicht getrennt und wurden damit automatisch exponiert, so lange, bis die Hausbesitzerin die seidenen Vorhänge zuzog. Bei Dunkelheit wohl rundherum, und nun saß sie zwar nicht mehr in einem Glashaus, aber dafür in einem hermetischen Raum mit Zeltcharakter. Vielleicht hatte Edith Farnsworth im Planungsstadium bereits Bedenken angemeldet, realisiert hat sie es aber zweifellos erst beim Bewohnen, dass in der architektonischen Konzeption ihres Hauses kein Platz für persönliche Befindlichkeiten war. Ganz im Gegenteil: Der Architekt hat wie schon in Barcelona 1929 einen von der Weltöffentlichkeit bewunderten Ausstellungspavillon errichtet und seine Auftraggeberin wie auf dem Präsentierteller hineingesetzt, um nichtzu sagen: bloßgestellt. Die Ärztin konnte sichnach einer anstrengenden Arbeitswoche zwar in die Natur zurückziehen, stand dort aber dann theoretisch unter permanenter Beobachtung von Spaziergängern und ungebetenen Gästen. Wie ein weiteres luxuriöses Möbel von Mies, mit denen das Haus bestücktwar, wurde die Hausherrin in die Auslage gestellt, gesetzt oder gelegt, je nachdem.

Man unterstellt dem Architekten hierbei keine böse Absicht, aber doch die Projektiondes eigenen Wunsches nach selbstbewusst männlicher Kontemplation bei der Naturbetrachtung im Lehnstuhl – während ein weibliches Wesen einen Whisky serviert und den Aschenbecher für die Zigarre zum Couchtisch bringt. Edith Farnsworth wurde in diesem Haus, das, weltberühmt, nach wie vor ihren Namen trägt, nicht glücklich. Nachdemsie 20 Jahre lang versucht hatte, sich, ihrer Lebensweise entsprechend, dort einzurichten, verkaufte sie den Glaspavillon an einen Mann, der später, so Pollak, von einem männlichen Architekturkritiker als der „ideale Besitzer“ tituliert wurde. Mies van der Rohe meinte 1959: „The Farnsworth House is a house for a single person; that made the job easier.“ Er machte es sich insofern leicht, als er ein Meisterstück „männlicher“ Architekturkreierte, ohne darüber nachzudenken, dass er für eine Frau hätte bauen sollen.

Bauherrn wie Architekten sollten sich von vornherein der psychodynamischen Prozesse zwischen den einzelnen Personen beim Planen bewusst sein, um auf beiden Seiten keine Enttäuschungen zu erleben. Dazu gehört nicht nur, sich auf das Gegenüber einzulassen, sondern auch Charaktertypen richtig einschätzen zu können und dadurch die Projektabwicklung günstig zu beeinflussen. Der Begriff „Persönlichkeit“ umfasst allgemeine und zeitlich stabile Charaktereigenschaften wie Temperament, persönliche Werte oder Einstellungen eines Menschen, die für den Einzelnen einzigartig und unverwechselbar sind, und Aspekte des Fühlens, Denkens, Wahrnehmens und der Gestaltung sozialer Beziehungen beinhalten. In der Psychologie wurden schon 1923 systematische Typologien beschrieben: Häufige Persönlichkeitszüge sind zwanghaftes, ängstliches, chaotisches, theatralisches oder gewissenloses Verhalten. Beim Bauen für eine bestimmte Person oder auch Personengruppe, wie eine Familie, sind diese Charakterphänomene jedenfalls von Relevanz. Ein auf Extrovertiertheit ausgerichtetes architektonisches Ordnungsprinzip intendiert am ehesten einen theatralischen Raumutzer, denn für die Selbstinszenierung eines Bauherrn ist der Auftritt auf dem Mies'schen Podium zweifellos perfekt. Am anderen Ende der „Strukturiertheitsskala“ findet sich der Chaotiker, der Schwierigkeiten hat, die Dinge des täglichen Lebens in Ordnung zu halten, in der pathologischen Ausformung pejorativ „Messie“ genannt. Hätte Mies womöglich auch den Messie in seinem Bauherrn nicht erkannt und ihn detto in ein Glashaus gesetzt? Vielleicht absichtlich – als Verhaltenstherapie –, um durch die Kontrolle von außen den Bewohner zur Ordnung zu zwingen? Zweifellos wäre er nicht erfreut gewesen, wenn seine „reine“ Architektur von innen her zugemüllt worden wäre. Irgendwann,wenn das Haus dann unbewohnbar geworden wäre, hätte es als Mahnmal herhalten können, für eine klar ersichtliche, gescheiterte Architekten-Bauherrn-Beziehung.

Spectrum, Fr., 2009.06.19

07. März 2009Judith Eiblmayr
Spectrum

Villa mit Landschaft

Ein Glücksfall von einem Grundstück, ein Blick über halb Wien und ein Architektenteam mit mondänem Sinn für den Bauplatz. Das Ergebnis: eine Villa am Schafberg.

Ein Glücksfall von einem Grundstück, ein Blick über halb Wien und ein Architektenteam mit mondänem Sinn für den Bauplatz. Das Ergebnis: eine Villa am Schafberg.

Es ist eine der zentralen Fragen beim Bauen im privaten Bereich mit professioneller Planung: Wie kommen eigentlich die Bauherren zur passenden Person, die den Wünschen, Vorstellungen oder Träumen des eigenen Bauprojekts – aus deren Sicht – adäquat Gestalt gibt? Entweder man spricht einen Architekten an, den man selbst kennt oder empfohlen bekommt und von dem man in Kenntnis seiner Persönlichkeit und seines Werkes annimmt, dass die Basis für eine Zusammenarbeit gegeben ist. Oder man lässt sich ansprechen, von Architekturbeispielen in Publikationen und auf Homepages, und nähert sich rein über die Qualität des Formalen dem Planer, der Planerin an. Aber selbst dann wird sich erst in der Arbeitsbeziehung zeigen, ob man zusammenpasst, ob ein Konzept bauherrnseitig als stimmig angenommen und nicht als aufoktroyiert verstanden wird. Zwischen dem Planer und dem Nutzer von Architektur muss „die Chemie stimmen“, und es muss gegenseitiges Vertrauen herrschen, um den Hausbau als gemeinsames Projekt zu verstehen.

Beim Haus G. am Stadtrand von Wien haben die Bauherren im zweiten Anlauf das Architektenteam gefunden, dem sie sich wirklich anvertrauen wollten, nämlich Elena Theodorou-Neururer & Alois Neururer aus Wien. Wo sich im Entwurf des zuerst beauftragten Architekten als oberer Abschluss des konventionellen Haustypus im französischen Landhausstil ein vier Meter hohes Zeltdach mit kleinformatigen Gaupen im wahrsten Sinne des Wortes breitmachte, wird das realisierte Projekt nun von einem wie eine Laterne aufgesetzten Atelierraum „gekrönt“, der einen unverstellten Blick über halb Wien bietet. Dieser auf Offenheit gegenüber den Gegebenheiten am Bauplatz bedachte Ansatz, der sich durch das ganze Planungskonzept zog, hatte die Auftraggeber überzeugt und den Architekten die Möglichkeit geboten, eine repräsentative Villa zu bauen, die mit einem mondänen Selbstverständnis die Landschaft in die Architektur mit einbezieht.

Das Haus von Neururer & Neururer liegt weit oben auf einem der Wiener Hausberge, nordwestlich der Stadt, an einem leicht geneigten Südhang, der talseitig steiler wird und über die Dächer der unterhalb liegenden Bebauung hinweg die überwältigende Sicht über die Stadt bietet. Ein Glücksfall von einem Grundstück, das als schwierig zu bebauen galt, da die zulässige Traufenhöhe mit sechs Metern beschränkt ist. Mit der Lage der Zufahrtsstraße und der Erschließung an der Nordseite des Hauses bot sich jedoch die Gelegenheit, das räumliche Konzept den Hang hinab und der Sonne entgegen zu entwickeln. Die Bebauungsbestimmungen wurden, was die bebaute Fläche und die Kubatur betrifft, bis auf das Äußerste ausgereizt, um die mit zirka 600 Quadratmeter Nutzfläche sehr große Villa stimmig ins Gelände zu modellieren.

Von der Straße her ist der Baukörper dezent, einerseits durch das in Stützen- und Glaskonstruktion aufgelöste Obergeschoß, andrerseits durch einen rundum laufenden, einen Meter tiefen Dachüberstand mit geringer Aufbauhöhe, der als horizontaler Sonnenschutz fungiert, und durch die vorgeschriebene Höhe markant linear nachzeichnet. Der Zugang zum Haus ist klassisch achsial angelegt, und sobald sich die Eingangstüre geöffnet hat, kann der Blick ungehindert durch das großzügige Entrée, über den zwei Stufen abgesenkten Essplatz und die vorgelagerte Terrasse hinweg auf Baumwipfel, Dachlandschaft, bis auf die weit entfernt liegenden Hochhäuser am Wienerberg schweifen. Der großzügig dimensionierte Innenraum des Erdgeschoßes, wo Bibliothek, Wohnbereich mit Kamin, Essplatz und Küche ohne räumliche Trennungen einander ergänzen, wird von einigen wenigen edlen Materialien geprägt: persischer Kalkstein, der mit seinem samtigen Graubraun fast wie Leder anmutet, Cabreuva-Parkett, das den passenden Farbton zur Bibliothek und den Parapetverbauten aus Teakholz bietet, weiße Wände und Glasflächen, die, ebenfalls in Teakholzprofilen gehalten, in große Felder unterteilt werden. Von Osten bis Südwesten kann so das Schauspiel wechselnder Wetterstimmungen draußen verfolgt werden – die beschriebene Materialität drinnen bildet den stilvollen Rahmen dafür.

Die ebenfalls in den Wohnraum eingebundene Treppe liegt westseitig, ist durch eine Satinato-Verglasung von der Nachmittagssonne hinterleuchtet und bildet nicht nur die konstruktive, sondern auch die formale Verbindung der vier Geschoße, die alle in der gleichen Art gestaltet sind. Diese qualitativ hochwertige Grundstimmung macht das Haus per se gemütlich, lässt jedoch den einzelnen Familienmitgliedern genug Freiraum, die Räume ihrem Geschmack entsprechend einzurichten. „Moden werden abgewohnt“, sagt die Hausbesitzerin, wohl wissend, dass die formale Qualität ihres Hauses eine individuelle, vielleicht modische Möblierung zulässt. Im Obergeschoß liegen die Schlafräume der Familie, jeweils mit eigenem Bad und eigenem Blick, teilweise mit Terrasse.

Das Untergeschoß ist nur zur Hälfte ein herkömmlicher Keller, denn auf dem Niveau des Gartens liegend, gibt es nicht nur den direkten Zugang zum Garten mit Swimmingpool, sondern einen zusätzlichen, voll belichteten großen Raum, der als zweites Wohnzimmer genutzt wird.

Gelungen ist diese Vielschichtigkeit beim Raumprogramm durch die Terrassierung des Baukörpers. Neururer & Neururer haben so die Ausnutzung des Baugrundes optimiert und den Bauherren ein breites Spektrum an Wohnqualität geboten: von der Poolparty im Gartengeschoß über Familienalltag in den Wohngeschoßen bis zum kontemplativen Rückzug ins Dachatelier kann der Wohnort im engeren Sinne belebt und im weiteren Sinne erlebt werden. Dies muss die Intention von ernst gemeinter Architektur sein – und nicht die Perpetuierung starrer, eklektizistischer Hausmodelle aus dem vorletzten Jahrhundert, wie an diesem Bauplatz ja auch – siehe oben – vorgeschlagen worden war.

Wenn die Nutzerin dieses Hauses sagt: „Ich sehe es als Privileg an, in diesen Räumen zu wohnen“, dann bezeichnet sie nicht nur das Privileg, ein solches Haus in dieser Lage – den Wienerwald im Rücken und die Stadt zu Füßen – überhaupt errichten zu können, sondern es ist auch als Anerkennung an das Architektenteam gerichtet. Gemeinsame Intentionen wurden umgesetzt, die Vorstellungen der Bauherren von den Raumoptionen aber offensichtlich noch übertroffen und dafür wird den Architekten nachhaltig Respekt gezollt.

Spectrum, Sa., 2009.03.07

01. November 2008Judith Eiblmayr
Spectrum

Wenn die Ziegel bröckeln

Eine Kirche, die bald nach ihrer Einweihung, 1898, zu zerfallen begann. Und die bis heute vor sich hin bröselt: die Pfarrkirche zum heiligen Laurentius in Wien-Breitensee. Eine Sanierung ist überfällig, Eile geboten.

Eine Kirche, die bald nach ihrer Einweihung, 1898, zu zerfallen begann. Und die bis heute vor sich hin bröselt: die Pfarrkirche zum heiligen Laurentius in Wien-Breitensee. Eine Sanierung ist überfällig, Eile geboten.

Vor ziemlich genau 110 Jahren, am 12. November 1898, wurde die Wiener Secession eröffnet. In der Gestalt des Ausstellungsgebäudes von Joseph Maria Olbrich, das auch der Sitz jener avantgardistischen Gruppe um Gustav Klimt war, die sich vom Künstlerhaus abgespaltet hatte, manifestierte sich die moderne Haltung der „Jungen“. Sie lehnten den Historismus ab, und der Bau vermittelte glaubwürdig die Suche nach dem Neuen, dem Jugendstil.

Zeitgleich, am 8. Oktober 1898, wurde in Wien Breitensee – heute im 14. Bezirk – im Beisein von Kaiser Franz Josef die katholische Pfarrkirche zum heiligen Laurentius geweiht. Es war dies eine von 25 Kirchen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den neuen Arbeiterquartieren von Wien in Ziegelbauweise errichtet wurden. Die Backsteinkirchen galten als Standardtypus des historistischen Wien, von Floridsdorf bis Favoriten wurden sie, vorwiegend im Stil der Neogotik gehalten, den neuen Stadtteilen implantiert.

Während sich also die „jungen Wilden“ in der Stadt gegenüber dem Konservativismus des Habsburger Reiches abzugrenzen begannen und die Moderne proklamierten, wurde über die Vororte in bewährter gründerzeitlicher Manier ein Raster gelegt, um möglichst effizient und gewinnbringend Wohnbauten zu errichten. Die Wiener Ziegelindustrie florierte, und Arbeitskräfte, die die Ziegel im Verband verlegten, waren billig zu haben, daher war es logisch, dass man nicht nur beim Bau der „Zinskasernen“ auf diese Bauart setzte. Auch die Kirchen mit kathedralähnlichen Dimensionen konnten in kürzester Zeit errichtet werden, schließlich wusste das christlich-soziale Wien unter Karl Lueger genau, was es seinen vorwiegend katholischen Zuwanderern aus den Kronländern, die die Industrialisierung in Wien erst möglich gemacht hatten,vordergründig schuldig war, um Identifikation mit der neuen Heimat herzustellen. Das Plädoyer für die „Moderne im Kirchenbau“, das Otto Wagner ebenfalls 1898 in einer Studie formulierte, wurde (noch) nicht erhört – die Kirche am Steinhof wurde erst 1907 fertig gestellt –, und so gerieten die neogotischen Kirchtürme zu spitz herausragenden Markierungspunkten in der neu geformten Dachlandschaft der Wiener Außenbezirke.

„Es bedarf wohl auch keines besonderen Hinweises, dass nicht nur religiöse, sondern auch sozial-politische Erwägungen die Errichtung der Kirche in Breitensee notwendig erscheinen lassen“, stand im ersten Ansuchen des Kirchenbauvereins von 1894 an die Statthalterei. Der Wiener Vorort Breitensee hatte zwischen 1835 und 1890, der Zeit der Eingemeindung, eine wahre Bevölkerungsexplosion erfahren. Nicht nur, dass die vorhandene barocke Kapelle für den Andrang an Gläubigen bald zu klein wurde, der Zuzug schaffte soziale Probleme, mit denen die vormals kleinen bürgerlichen Dorfgemeinden seitens der neu entstandenen Weltstadt allein gelassen wurden. Im Zeitalter noch fehlender sozialer Maßnahmen der öffentlichen Hand hing es vom Engagement der Ortsansässigen ab, den sozialen Nöten des Industrieproletariats beizukommen. Man organisierte private Fürsorge über Wohltätigkeitsvereine, wobei den kirchennahen Einrichtungen eine wesentliche Rolle zufiel. Im Falle von Breitensee wurde bereits im Jahr 1882 der „Verein der Kinderfreunde“ gegründet, um die Betreuung der nicht schulpflichtigen Kinder zu organisieren. Diesist insofern erwähnenswert, als diese Implementierung eines sozialen Zentrums der Errichtung des identitätsstiftenden Gebäudes, nämlich der Kirche, voranging.

Nachdem ein erster Entwurf vom Architekten Gustav Matthies eher modern angelegt gewesen sein dürfte – es wird erwähnt, dass er dieMittelpfeiler der Hallenkirche in Gussbeton herstellen wollte – und von den Behörden abgelehntworden war, kam der „Lokalmatador“ Ludwig Zatzka zum Zug, Architekt, Stadtbaumeister und Gemeinderat aus Breitensee. Zatzka saß ab 1895 für die christlichsoziale Partei im Wiener Gemeinderat, just jenem Jahr, in dem er den Zuschlag für Planung und Errichtung der Kirche in Breitensee erhielt. 1898 wurde er Stadtrat für Bauangelegenheiten und krönte sein Lebenswerk mit der Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche am Zentralfriedhof, die er nach einemEntwurf von Max Hegele baulich umsetzte.

Obwohl die Finanzierung des Neubaus in keiner Weise gesichert war, setzten sich Ludwig Zatzka und seine Familie vehement für die Errichtung der Kirche ein. Zatzkas Eltern spendeten den Glockenstuhl und die Glocken, sein Bruder, der Maler Hans Zatzka, entwarf die Glasmalereien im Chor, und der Baumeister selbst spendete Baumaterial. In nur zwei Jahren wurde die Kirche mit ihrem 62 Meter hohen Turm errichtet, aber kaum, dass die Darlehen abbezahlt waren, traten 1929 die ersten Mängel am Gebäude auf, die man in der Pfarrchronik „mit den Worten bitterster Entrüstung“ auf das „schlechte, weiche Steinmaterial“ schob. Unter anderem dürfte sich die Sachspende vom Architekten als Danaer-Geschenk erwiesen haben, denn das Problem, das mit schweren Steinbrocken begann, die „mit unglaublicher Regelmäßigkeit auf den Gehsteig herabfielen“, ist bis zum heutigen Tag nicht gelöst.

Die Qualität der Ziegel und des Mörtels war originär so schlecht, dass die Fassade im Laufe der Zeit weiter zu bröckeln begann, bis Ende 2004 wegen Gefahr im Verzug sogar der Turmhelm mit dem Kreuz abgetragen werden musste. Seither sind der gestutzte Kirchturm und die den Eingang flankierenden Kapellen eingerüstet, was dem Bauwerk zwar auf Distanz eine akkurate, modernistische Extravaganz verleiht, dem Gotteshaus jedoch die feierliche Würde nimmt. Die Erzdiözese als für die Erhaltung der Kirche Verantwortliche hat mehrere Gutachten erstellen lassen, ein schlüssiges Lösungskonzept gibt es allerdings noch nicht. Zu vielfältig sind die Mängel, darüber hinaus sind die Kosten für eine Sanierung seriös nicht bezifferbar. Der historische Ortskern von Breitensee rund um den Laurentiusplatz, der mit Kirche, Volksschule und Pfarrheim mit Kindergarten – und nicht zu vergessen: den Breitenseer Lichtspielen, einem der ältesten Kinos der Welt – nach wie vor als soziales Zentrum funktioniert, steht als Ensemble unter Denkmalschutz, denn schützenswert ist auch das Stück Stadtgeschichte, das an diesem Ort erzählt wird. Aber welchem Sponsor ist das etwas wert, denn mit Spenden aus dem Klingelbeutel wird es wohl nicht getan sein. Es muss rasch gehandelt werden, sei es im Sinne einer Schadensbegrenzung oder einer Form der „Moderne im Kirchenbau“.

Um an den Anfang und zu den Avantgardisten zurückzukehren: Beide Seiteneingänge der Breitenseer Kirche werden von einem Mosaik nach einem Entwurf von Alfred Roller geschmückt. Roller war Gründungsmitglied der Wiener Secession. Könnte Synthese von alt und jung ein Lösungsansatz sein, wo man sich neuer Technologien bedient, um die alten Gemäuer zu retten?

Spectrum, Sa., 2008.11.01

08. August 2008Judith Eiblmayr
Spectrum

Wenn die Wurscht System hat

Mangelhafte Raumplanung, gefällte Bäume, unzureichende Ersatzpflanzung und eine erbärmliche Hundezone: wie der Wiener Manès-Sperber-Park auf dem Dach einer Garage neu gestaltet wurde.

Mangelhafte Raumplanung, gefällte Bäume, unzureichende Ersatzpflanzung und eine erbärmliche Hundezone: wie der Wiener Manès-Sperber-Park auf dem Dach einer Garage neu gestaltet wurde.

Wiens Parks und Grünflächen“ wie sie publizierterweise dargestellt werden, können sich wahrlich sehen lassen. Wie im Gemeinde-Wien-nahen Perspektiven-Heft vom Juni 2007 nachzulesen und durch herrliche Fotos dokumentiert ist, scheint Wien vom „Erholungsgebiet Steinhof – Dehnepark“ bis zum „Wasser-Kristall-Energiegarten“ in Hirschstetten eine Grünraum-Metropole zu sein. Das „Leitbild zur Parkgestaltung des Wiener Stadtgartenamtes“ versucht „Gender Mainstreaming“ genauso zu integrieren wie „Sicherheit“ oder „ökologische Gesichtspunkte“. In den meist in Stadtrandlage oder gar direkt am Rande des Wienerwalds befindlichen Parks scheint dies mehr als erfüllt, die überdurchschnittliche Größe lässt den Park als „Multifunktionsanlage“ zur Erholung, Ort der Begegnung und Kommunikation wunderbar funktionieren.

Je näher man allerdings dem Stadtzentrum kommt, umso problematischer scheint die Hege und Pflege der Grünräume. Abgesehen von den prestigeträchtigen Anlagen an der Ringstraße wird es in den sogenannten „Beserlparks“ eng, und das Engagement von Bezirksvorstehern und Stadtgartenamt hält sich ostentativ in Grenzen. Zwar ist im zweiten Bezirk, in der Lilienbrunngasse, vor zwei Jahren ein neuer Park entstanden – neu deshalb, weil der gewachsene Park, der über einen ansehnlichen Baumbestand verfügte, einem heiß umstrittenen, von den Anrainern mehrheitlich abgelehnten Tiefgaragenprojekt weichen sollte.

Dazu musste zuerst abgeholzt werden, wobei der älteste, größte und schönste Baum, eine zirka 50 Jahre alte Linde, beim Fällen vor lauter Widerstand in die falsche Richtung und bis ins Stiegenhaus eines – Ironie des Schicksals – Gemeindebaus gekracht ist. Natürlich ist das Fällen von kerngesunden Bäumen mitten im verbauten Gebiet keine attraktive Aktion. Als Zuckerl wurde der besagte neue, schöne Park auf dem Garagendach statt des alten, „schiachen“ versprochen. „Für die Kinder!“, tönte es aus der Gebietsbetreuung. „Von den Kindern!“, hieß es, wenn Kritik an der Ausgestaltung laut wurde. Die Kinder hätten, demokratischlegitimiert, den Park genau so haben wollen. Da darf man natürlich nichts mehr sagen, weil herziger geht es gar nicht. Dass im Park spielende Kinder per se Planungskompetenzfür Stadtgestaltung übernehmen können, ist praktisch, denn so könnte das eine oder andere Studium an der Universität für Bodenkultur eingespart werden. Diese für Wien eher untypische Kinderfreundlichkeit hat wahrscheinlich mit dem Namenspatron des alten wie auch neuen Parks, Manès Sperber, zu tun, denn der Schriftsteller und Philosophhatte sich bis 1927, solange er in Wien gelebt hatte, der sozialpsychologischen Betreuung schwieriger Jugendlicher gewidmet.

Nach zwei Jahren Bauzeit war der Raum fürs Parken geschaffen, und man wartete gespannt auf den Grünraum als Park; immerhinwar abgesehen von der Kindertruppe auch ein Landschaftsplanungsbüro betraut worden, und man durfte annehmen, dass Profis die städtebauliche Chance, die sich durch eine völlige Neugestaltung eines Stücks öffentlichen Raumes bot, ergreifen würden.

Die verräterische Definition der „Oberflächengestaltung beim Garagenbau“ hätte einem schon im Vorfeld zu denken geben müssen. Nicht nur dass 30 Prozent der Fläche pflegeleicht versiegelt wurden und damitlediglich der Straßenraum eine Verbreiterungerfuhr: Man erkennt zwar das Bemühen, auf engstem Raum eine Funktionsgliederung zu erreichen, hat aber nicht mehr erreicht als eine additive Zonierung, die keinerlei zusammenhängendes Raumgebilde erzeugt.

Noch sind die Nachpflanzungen nicht groß genug, um Raum erzeugend zu wirken, denn die Bäumchen auf dem Garagendach sind jung und zart, werden aber hoffentlich noch wachsen. Erstaunt stellt man fest, dass die Anzahl der neuen Bäume nicht korrekt ist: Statt vormals 15 sind es deren nur mehr elf, abgesehen von einem alten, während derBauarbeiten geschützten Baum, der kurz vorBauende von der Baufirma doch noch umgesägt wurde, weil er einem Kanalrohr im Weg war. Dieser Baum mit einer stattlichen Krone hatte vis à vis vom Dianabad einer Plastik von Fritz Wotruba städtebaulichen Rückhalt geboten und einen kleinen Platz definiert. Haftung, Ersatzpflanzung? Kein Thema, der Bezirk hat nämlich kein Geld. Der Baum sollte übrigens auch als Schattenspender für Sitzbänke für „Passanten und Senioren“ dienen. Jetzt sind die Bänke der prallen Sonne ausgesetzt, mit oder ohne Senioren. Und damit der Wotruba-Guss nicht so verloren am Gehsteig herumsteht, hat man ihm drei Mülltonnen zur Seite gestellt – das nennt man aufmerksame Stadtgestaltung.

Auf Anfrage beim Stadtgartenamt, wo die restlichen vier neuen Bäume geblieben seien, erhält der erstaunte Anrainer die Antwort, dass die sowieso gepflanzt wurden. Auf Nachfrage, wo denn, heißt es stolz: in der Oberen Augartenstraße! Die Ersatzpflanzung darf nämlich innerhalb des Bezirks im Umkreis von einem Kilometer des gefällten Baumes vorgenommen werden. Da fühlt man sich dann doch „gepflanzt“, wenn Bäume aus dem dicht verbauten Gebiet an den Rand des Augartens verpflanzt werden. Aber Zynismen ist man schon gewohnt, und es kommt noch dicker – vor allem was die Luft betrifft. An der städtebaulich attraktivsten Stelle, an der Kreuzung zur Gredlerstraße mit Blick auf den Stephansdom, wo früher die Parkbänke standen, hat man eine mit 250 Quadratmetern extrem kleine Hundezone platziert. Dies sei ein dezidierter Wunsch des Bezirksvorstehers Gerhard Kubik gewesen, sagen sowohl die MA 42 wie auch die Landschaftsplaner. Das ist ein löbliches Lobbying für eine offensichtlich wichtige Wählergruppe, das bewirkt, dass ein weiteres Stück Grünland für die Bevölkerung geopfert wird. Denn die Wiese ist großteils niedergetreten, die vollgekoteten Büsche wurden entfernt, und die Efeupflänzchen, die die Wand der Garagenabfahrt hätten bewachsen sollen, sind ausgebuddelt und natürlich nicht nachgepflanzt. Und zur großen Verwunderung aller zuständigen Stellen bleibt häufig das Gackerl als kompaktes Packerl liegen und weht jedem Passanten unverhofft ein Geruchsfähnchen ins Gesicht. Somit verkommt die Hundezone zum trostlosen Hundeklo, und das können dann auch die Hunde nicht mehr riechen. „Die Hygienediskussion im Bezug auf Hundekot entspricht genau jener vor zirka 100 Jahren, als das Urinieren im öffentlichen Raum geächtet wurde“, sagt der Stadtforscher Peter Payer. Hygienische Zustände wie vor 100 Jahren und kein Handlungsbedarf: Ist der Bezirk darauf stolz? Die Segmentierung des öffentlichen Raumes funktioniert vielleicht auf dem Plan, aber Gestank überschreitet gnadenlos die Abzäunungen der „Zone“, und die Fliegen finden den Weg vom Hauferl schnell ins nächste geöffnete Küchenfenster.

Aber die „Wurschtigkeit“ hat offensichtlich System: Die Hinweistafel des Stadtgartenamtes auf Manès Sperber beließ man an ihrem Platz wie im alten Park, und nun steht sie mitten in der Hundezone. Praktischerweise auf zwei Stehern montiert, die den vierbeinigen Freunden eine der wenigen vertikalen Gelegenheiten bieten, naturgemäß das Haxerl zu heben. Manès Sperbers Ansehen wird vielleicht ans Bein gepinkelt, aber so werden wenigstens die drei verbliebenen Bäume geschont!

Spectrum, Fr., 2008.08.08

06. April 2008Judith Eiblmayr
Spectrum

Stadtleben auf dem Land

Sommervillen und schmucke Bootshäuser: der Attersee. Seit 150 Jahren ein Hort für Sommerfrische und kulturelle Aufgeschlossenheit. Erkennbar an seiner Baukultur.

Sommervillen und schmucke Bootshäuser: der Attersee. Seit 150 Jahren ein Hort für Sommerfrische und kulturelle Aufgeschlossenheit. Erkennbar an seiner Baukultur.

Als sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Österreich die Sommerfrische zu etablieren begann, wurde das Salzkammergut, das aus wirtschaftlichen Gründen sehr früh einen Eisenbahnanschluss erhalten hatte, ein beliebtes Ziel des Wiener Adels. Bad Ischl wurde nicht nur durch die Gunst des Kaiserhauses berühmt, es sprach sich auch die heilende Wirkung der seit 1823 dort etablierten Solebäder herum. Gleichzeitig wurde das Salzkammergut als Bildmotiv der Maler des Klassizismus und der Romantik verwendet und dadurch populär gemacht. Die Künstler hatten in der unberührten Natur das Transzendente entdeckt und wussten die Stimmungen durch ihre Darstellung zu vermitteln. Es waren dies Bilder, die der Fotografie der späteren Tourismusindustrie zur Ehre gereichen würden: „Das Höllengebirge bei Ischl“ (1834) oder „Die Rettenbachwildnis bei Ischl“ (1832) waren die Landschaftsmotive, von denen etwa der österreichische Maler Ferdinand Georg Waldmüller ein gestochen scharfes, naturalistisches Abbild herstellte.

Die Unternehmungslust der Kurgäste war somit angestachelt, die Natur wollte – von der Kutsche aus – betrachtet werden. Während Traun- und Wolfgangsee bequem zu erreichen waren und rasch für den aufkeimenden Tourismus erschlossen wurden, blieb der Attersee als größter Binnensee in Österreich und trotz seiner landschaftlichen Schönheit vorerst ausgeblendet und wurde nur punktuell von Tagesausflüglern aus Bad Ischl besucht. Das „Oberösterreichische Meer“, wie in zeitgenössischen Werbeschriften zu lesen ist, erfüllte den Wunsch der Städter nach einem wahrhaftigen Naturschauspiel: Eingeengt zwischen den Felsformationen von Schafberg und Höllengebirge, weitet sich das türkisblaue Wasser aus, vis-`a-vis bis nach Unterach und nach Norden hin bis an den Horizont reichend. Noch ließ man passiv die Imposanz des Farbenspiels und der unterschiedlichen Wetterstimmungen am See auf sich wirken, aber bereits ein paar Jahre später wollten die Neugierigeren unter den Tagestouristen die Natur nicht nur betrachten, sondern auch hautnah erleben und wurden alsbald von findigen Einheimischen in Plätten nach Unterach gebracht.

Durch diese sogenannten „Wiener Fuhr’l“ wurde Unterach bekannt und konnte sich rasch als erster Sommerfrischeort amSee etablieren. Nachdem die Attersee-Schifffahrt 1869 ihren Betrieb aufgenommen hatte, begann sich die touristische Erschließung des Sees auch zu den nördlichen Ufern hin auszubreiten. Ab dann wurde der Attersee vom liberal orientierten, städtischen Bildungsbürgertum als Urlaubsort entdeckt; Intellektuelle, Künstler und Künstlerinnen, Architekten, Schriftsteller, Wissenschaftler, Geschäftsleute sowie Politiker kamen aus Linz und Wien, aber auch aus anderen größeren Städten der Monarchie an den Attersee, zuerst als Pensions- oder Hausgäste, später als Grundstücks- und Hausbesitzer. Die „sauren Wiesen“ am Seeufer waren billig zu haben, und so ist bis nach der Jahrhundertwende eine Reihe von ansehnlichen Sommervillen mit schmucken Bootshäusern errichtet worden. Die Sommerfrischler fühlten sich ihrer Wahlheimat verpflichtet und investierten in öffentliche Bauprojekte wie die Errichtung von Wasserleitungen oder Uferpromenaden.

Von Seewalchen aus setzte die schleichende „Privatisierung“ der Atterseeufer ein, der die einigen wenigen bekannten Hotels kaum etwas entgegensetzen konnten, dafür war die Saison wahrscheinlich zu kurz und – wie jeder Attersee-Kenner bestätigen kann – oft auch noch verregnet. Nach dem Ersten Weltkrieg, als viele Industrielle ihren Besitz aus den ehemaligen Kronländern nach Österreich verlegten, wurde ein Haus am Attersee für einige Familien zum Zweitwohnsitz. Und: An den Attersee kam man nicht nur, um Ruhe und Erholung zu finden, sondern auch um am regen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Im Sommer wurden Bekanntschaften aus dem Berufs- und Geschäftsleben aus allen Winkeln des bestehenden und früheren Österreich vertieft. Diese Art von Geschäftsbeziehungen, aber auch persönliche Freundschaften, die sich über Jahrzehnte entwickelten und über Generationen weitergegeben wurden, stellen einNetzwerk dar, das sicherlich dazu beigetragen hat, rund um den Attersee im Laufe der letzen 150 Jahre ein vitales kulturelles Klima zu etablieren, das als wesentlich weniger konservativ als in den klassischen, durch die Aristokratie geprägten Gebieten des Salzkammerguts galt. In diesem Sinne war der Attersee sehr früh ein Ort, an dem sich eine aufgeschlossene Gesellschaft mit moderner Gesinnung – sei es in der Musik, in der Malerei, in der Architektur oder einfach in ihrer urbanistischen Lebenshaltung – aufs Land hinaus begab.

Das Rahmenprogramm für das Stadtleben auf dem Land ist bis heute perfekt inszeniert. Waren es in anderen attraktiven „ersten“ Urlaubsgegenden wie Südtirol die Berge, so steht hier der See im Mittelpunkt, wobei der Wassersport einen programmatischen Bestandteil einer aufgeschlossenen Geisteshaltung darstellte. Die Städter waren Ende des 19. Jahrhunderts durchaus auch aus sportlichen Motiven gekommen, hatten ihre schnittigen Sport-Ruderboote und Segelyachten gebracht, sie hatten aber auch das Schwimmen im offenen See modern gemacht. Schon 1886 wurde am Attersee mit der Gründung des Union Yacht Club Attersee zeitgleich mit dem Union Yachtclub Neusiedlersee – lange vor anderen Segelvereinigungen – erstmals in Österreich der Segelsport auf breiter Basis etabliert. Bis heute ist der Yachtclub mit seinen Veranstaltungen verbindendes Element und Treffpunkt für die Sommergesellschaft. Selbst Gustav Klimt, eine jener Künstlerpersönlichkeiten, die den Attersee weltbekannt machten, kam nicht nur aus gesellschaftlichen und künstlerischen Motiven an den Attersee, sondern auch um Rudersport zu betreiben.

Die Baukultur um den Attersee kann als Indikator für das kulturelle Bewusstsein der Gesellschaft gesehen werden, ist es doch gerade die Architektur, in der sich ein spezifisches Kulturverständnis dauerhaft manifestiert. Die Architektur wurde inmanchen Fällen gezielt eingesetzt, wenn sich ein Unternehmer in seiner Rolle als Bauherr besonders fortschrittlich zeigen wollte. Gerade hier, in der freien Landschaft, konnte man sich durch ein außergewöhnliches Haus mehr Aufmerksamkeit verschaffen als im urbanen Umfeld. So wurden Architekten aus der Stadt wie Max Fabiani, Ernst A. Plischke, Max Fellerer, Clemens Holzmeister, Roland Rainer oder Johannes Spalt „mitgebracht“, um die Sommerhäuser zu planen. Gustav Mahler hingegen wollte in der Sommerfrische nicht mit Gebautem repräsentieren, sondern benötigte einen abgeschiedenen Arbeitsraum, den er sich denkbar schlicht von einem Baumeister aus Schörfling errichten ließ. Trotzdem erlangte das „Komponierhäuschen“ als Mahlers Wirkungsstätte am Attersee Berühmtheit.

Auch die originäre regionale Geschichte am Attersee zeugt von einer modernen Baukultur; bereits im frühen 18. Jahrhundert wurde im Weißenbachtal ein technisch raffinierter Holzlift nach dem Seilbahnprinzip errichtet, der 150 Jahre lang das Hallholz aus dem Attergau zum Weißenbacher Sattel transportierte, von wo es zur Saline in Ebensee geschwemmt wurde. Es sind spannende Geschichten, die über den kulturellen Kontext eines nie aus der Mode gekommenen Sommerfrischegebietes erzählt werden können. Die Metapher des Meeres birgt jene geistige Weite, die den Attersee als etwas Besonderes definiert und seine Anwohner und „Sommerresidenzler“ immer auch nach anderen Ufern streben ließ.

Spectrum, So., 2008.04.06

30. Dezember 2007Judith Eiblmayr
Spectrum

Ein Palais kommt zu sich

Modern, mondän, klassizistisch: Das Palais Palffy, bisher eher ein versteckter grauer Block in der Wiener Innenstadt, wurde restauriert und umgebaut.

Modern, mondän, klassizistisch: Das Palais Palffy, bisher eher ein versteckter grauer Block in der Wiener Innenstadt, wurde restauriert und umgebaut.

Die Wallnerstraße in der Wiener City ist prototypisch für eine Gasse „in der zweiten Reihe“: Sie ist zwar ums Eck vom Kohlmarkt, aber trotzdem nicht die Nobelkaufmeile selbst. Die Luxusboutiquen und Juwelenhändler schaffen es gerade noch 50 Meter weit in die Nebengasse, dann gibt man es schon billiger, und die Auswahl der Geschäfte normalisiert sich. Auch historisch betrachtet, war man mit einem Familiensitz in der Wallnerstraße dem kaiserlichen Hofe zwar schon sehr nahe, aber doch an der Hinterfront jener Palais, die in die „Straße des Adels“, die Herrengasse, orientiert waren. Aus jener Zeit erhalten sind drei Herrschaftshäuser in der Wallnerstraße: das Palais Caprara-Geymüller von 1698, das ebenfalls barocke Palais des Fürsten Paul I. Esterházy aus dem Jahre 1695 und dazwischen das klassizistische Palais des Grafen Janos Palffy von Erdöd. Während das Palais Esterházy durch seine halböffentliche Nutzung mit dem zugänglichen Innenhof schon länger als ins städtische Gefüge integriert gilt, wurde das Palais Palffy eher als unzugänglicher, grauer Block und seit gut zehn Jahren als Baustelle wahrgenommen.

Dieser Eindruck täuschte nicht: Bereits 1993 wurde bei Herbert Ablinger vom Architekturbüro Ablinger, Vedral & Partner eine Studie in Auftrag gegeben, die die Basis für eine Neunutzung der zuletzt für das Allgemeine Verwaltungsarchiv des Bundes und die Verwaltungsakademie verwendeten Räumlichkeiten als Bundespressezentrum untersuchen sollte. Die Architekten kamen auch planerisch zum Zug, und ab 1996 wurde mit den Umbauarbeiten begonnen. Vorerst wurden jene Einbauten, die den großen Hof des Palais „verfüllt“ hatten, entfernt. Die Umnutzung des Hofes hatte bereits 1922 Leopold Bauer vorgenommen, als er für die Britisch-Österreichische Bank, die damals das Gebäude erworben hatte, einen der seiner Meinung nach „praktischsten Bankbauten Wiens“ geplant hatte. Dabei war der Hof ab dem ersten Stock – ebenerdig lag der Haupttresor – zu einem zweigeschoßigen Kassensaal mit einem gläsernen Giebeldach umfunktioniert worden, in den hinter einer Säulenreihe offene Büroarbeitsplätze hin orientiert waren. 1948 wurden im Zuge des Wiederaufbaus in die Halle eine Zwischendecke eingezogen, zwei weitere Geschoße wurden draufgesetzt, um die Räume als Speicher für das staatliche Archiv nutzen zu können.

Im Jahr 2000 nach der Nationalratswahl war die Idee des Pressezentrums nicht mehr opportun, man verfügte einen Baustopp und prüfte neue Nutzungsvarianten. Erst 2003 fand sich eine zukunftsweisende Lösung, die auf einen sinnvollen Abschluss des Projektes hoffen ließ. Die OSCE – Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – wählte für ihren neuen Amtssitz in Wien das Palais Palffy, das dem Anspruch, ein hochmodernes Verwaltungszentrum mit repräsentativen Räumlichkeiten zu verbinden, in idealer Weise gerecht werden konnte. Ab dann wussten die Architekten Herbert Ablinger, Renate Vedral und ihr Team, dass die jahrelange Vorarbeit sich gelohnt hatte: Es galt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit einerseits ein umfassendes Raumprogramm unter Beachtung höchster Sicherheitsaspekteumzusetzen, andrerseits unter der Fachaufsicht von Ewald Schedivy vom Bundesdenkmalamt die Restaurierung eines der bedeutendsten klassizistischen Stadtpalais in Wien voranzutreiben.

Man einigte sich darauf, den großteils unverfälscht erhaltenen Straßentrakt mit seinerteilweise in echtem Marmor, teilweise in Stuccolustro gehaltenen Prunkstiege, mit den Prunkräumen mit ihren Seidentapisserien und einzigartigen Parkettböden in „3D-Optik“, die eine Raumerweiterung nach unten suggerieren, möglichst authentisch instand zu setzen, für die rückwärtigen Trakte mit den neuen Räumen jedoch eine zeitgemäße Sprache in Materialität und Raumqualität zu finden. Die Architektur von Charles de Moreau, der das Palais Palffy 1809 bis 1813 unter Einbeziehung vorhandener Bausubstanz geplant hatte, wie auch die erwähnte Innenraumgestaltung, die Raphael von Rigelzugeschrieben wird, kamen dieser Intention sehr entgegen. Moreau, der 1794 von Nikolaus II. Fürst Esterházy nach Österreich geholt worden war, um dessen Schloss in Eisenstadt umzubauen, gilt in der Kunstgeschichteals „moderner“ als seine Zeitgenossen, da er aus seiner Pariser Zeit von den Lehren der Revolutionsklassizisten geprägt war.

Gerade die glatte Putzfassade des Palais Palffy mit der horizontalen Gliederung ohne Pilaster oder Lisenen, den rein additiv gesetzten Fensteröffnungen ohne Risalite und dem leichten Knick in der Fassade, der eine perspektivische Spannung evoziert, zeugt von einer Modernität, auf die sich Architekten heutzutage anstandslos beziehen können. Während die Straßenseite unverändert blieb, wurde der frei geräumte Hof an drei Seiten mit einer Glasfassade mit feiner Alu-Profilierung umschlossen, um die dahinterliegenden Büros möglichst gut zu belichten. Der Hof mit seinem gekiesten Boden, einer Holzterrasse, einem Wasserbecken und Bambusstauden wird so seiner historischen Aufgabe als Patio des Stadtpalais gerecht: Reduziertgestaltet, dient er als ruhiger (Außen-)Raum zur auch visuellen Kommunikation.

Auch beim Dachgeschoßausbau fanden das Bundesdenkmalamt und die Architektenzu einer produktiven Lösung: Die Dachfläche zur Wallnerstraße hin blieb unberührt, dafür durften hofseitig große Fensteröffnungen eingebracht werden, was eine ausreichende Belichtung der Räume gewährleistete.

Am 22. November 2007 waren dann auch alle zufrieden: Die Architekten, die Kosten und Termine punktgenau eingehalten hatten, das BDA, das das Palais Palffy stolz zum „Denkmal des Monats“ kürte, und König Juan Carlos, der für Spanien, das den Vorsitz der OSCE im Jahr 2007 leitet, die Eröffnung des neuen Hauses vornahm. Und die Wallnerstraße selbst kann sich – wenn auch in der zweiten Reihe – wieder ein Stückchen mondäner präsentieren.

Spectrum, So., 2007.12.30



verknüpfte Bauwerke
Generalsanierung Palais Pálffy

14. April 2007Judith Eiblmayr
Spectrum

Ein Außen ohne Pathos

Architekt, Bühnenraum-, Ausstellungs- und Möbelgestalter, genialer Zeichner, Kulturkritiker, Humanist: Oskar Strnad. Eine Erinnerung.

Architekt, Bühnenraum-, Ausstellungs- und Möbelgestalter, genialer Zeichner, Kulturkritiker, Humanist: Oskar Strnad. Eine Erinnerung.

Das Werk Oskar Strnads ist von einer Diversivität geprägt, die dem geläufigen Architektenbild des frühen zwanzigsten Jahrhunderts als Universaldenker entsprach, jedoch selten von einer einzigen Person in dieser Form geleistet werden konnte: Er war Architekt, Bühnenraum-, Ausstellungs- und Möbelgestalter, genialer Handzeichner, Kulturkritiker und großer Humanist und nicht zuletzt dadurch ein bewunderter Lehrer. Im Spannungsfeld zwischen Kunstgewerbeschule, Theaterhäusern und Museen geriet er zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Wiener Kunstszene vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Das Arbeiten sei für ihn innere Forderung, Freude und Leidenschaft, meinte er, eine schöpferische Haltung, die wohl seine legendäre Ausstrahlung bewirkte.

Oskar Strnad wurde 1879 in Wien als eines von sieben Kindern jüdischer Eltern geboren. Da sein Vater Gutsverwalter war, verbrachte er seine Kindheit auf dem Land und kam erst als Jugendlicher in die Stadt zurück. Bereits als kleines Kind war er durch eine hohe Auffassungsgabe und ein außerordentliches Zeichentalent aufgefallen; er liebte das Lebendige und die Landschaft, was er dann auch in Naturstudien festhalten konnte. Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Wien bei Carl König, Max von Ferstel und Karl Mayreder, schloss mit einem Doktorat ab und fand sich bald im Kreis von genauso begeisterungsfähigen Kollegen wieder.

Zwischen 1908 und 1918 entwickelte er gemeinsam mit Josef Frank und Oskar Wlach eine gegen das repräsentative Pathos des Historismus gerichtete neue Herangehensweise bei der Innenraumgestaltung, die die Grundlage für eine eigenständige Wiener Wohnkultur in den Zwanzigerjahren bildete. Während sich andere Vertreter der Wiener Werkstätte, wie Josef Hoffmann bei ihren als Gesamtkunstwerk in der Ornamentik des Jugendstils angelegten Interieurs abmühten, hielt Strnad 1914 in einem Vortrag ein Plädoyer für weiß gekalkte Wände und eine lockere Möblierung im Sinne einer weniger streng determinierten Nutzung der Wohnräume. Er versuchte den Wohnräumen das Statische zu nehmen und über ein „leichtfüßiges“ Mobiliar und die Möglichkeit der Raumteilung durch Vorhänge Dynamik und Flexibilität im Raum zu erzeugen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seine zwei architektonischen Hauptwerke, in Kooperation mit Oskar Wlach, errichtet: 1912 das Haus Hock und 1914 das Haus Wassermann, beide in Wien Döbling. Die Fertigstellung des Hauses Hock war fast zeitgleich mit Adolf Loos' Haus am Michaelerplatz von einem ähnlichen, allerdings nicht öffentlichen Skandal begleitet: Die Behörde wollte aus ästhetischen Gründen den Bauherrn die Benützungsbewilligung verweigern und konnte erst durch Androhung von Schadensersatzansprüchen umgestimmt werden. Oskar Strnad redete einer emotionalen Architekturauffassung das Wort, die vor allem im Inneren der Häuser ausgespielt werden sollte, von außen präsentieren sich beide schlicht mit subtil platzierten klassizistischen Elementen und von zeitloser Eleganz.

Seine wichtigste Rolle für die österreichische Architekturgeschichte kam ihm zweifellos als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Wien zu. Ab 1909 unterrichtete er das Fach Allgemeine Formenlehre, sein Charisma und sein didaktisches Talent begründeten rasch die Strnad-Schule, durch die viele österreichische Architekten gegangen sind. Nicht nur Männer, auch eine der ersten österreichischen Architektinnen, Grete Schütte-Lihotzky wurde durch Oskar Strnad, der bei der Formfindung die Studenten soziales und analytisches Denken lehrte, stark geprägt. Bis an ihr Lebensende schwärmte sie von seinem sozialen Anspruch an die Architektur, seinem Humor und der künstlerischen Sensibilität. Auch Erich Boltenstern, sein langjähriger Assistent, bezeichnete die Zeit bei Strnad als eine der reichsten Perioden seines Lebens.

Nach dem Krieg, als es schwierig war, weitere Bauaufträge zu erhalten, folgte Strnad einer Einladung ans Volkstheater und arbeitete fortan regelmäßig für Theater- und Operninszenierungen. Sein Temperament hatte ihn quasi zum Theater getrieben, das ein Ventil für seine überschäumende Fantasie bot. Sein komplexes räumliches Denken schuf Szenarien, die jeden Winkel des Bühnenraumes „mitspielen“ ließen und vom Publikum begeistert aufgenommen wurden. Schnell wurde er an die Oper und über Max Reinhardt ab Mitte der Zwanzigerjahre auch zu den Salzburger Festspielen geholt. Aber Oskar Strnad entwarf nicht nur Bühnenräume, deren Kurzlebigkeit im Vergleich zur Architektur ihn frustrierte, sondern auch experimentelle Konzepte für Theaterbauten. Der Entwurf eines Ringtheaters, wo sich die Bühne um die Zuschauer dreht, beschäftigte ihn mehrere Jahre lang, wurde 1920 umfassend publiziert, die Realisierung aber leider nie in Aussicht gestellt.

Strnads Schaffensdrang zeigt sich in den vielen Beiträgen für Wettbewerbe, an denen er neben seiner Theaterarbeit bis in die Dreißigerjahre teilnahm. Sein Doppelhaus in der Wiener Werkbundsiedlung von 1932 bleibt eines der letzten vor seinem Tod fertiggestellten, jedoch nicht erhaltenen Bauwerke. Oskar Strnad starb 1935, ein Jahr, nachdem sein Weggefährte Josef Frank nach Schweden emigriert war und mit den Ideen der gemeinsam erarbeiteten Wiener Wohnkultur einen wesentlichen Einfluss auf das skandinavische Möbeldesign ausübte. Aber er starb früh genug, um den Niedergang seiner humanistischen Werte in Wien nicht mehr erleben zu müssen.

Spectrum, Sa., 2007.04.14

10. Februar 2007Judith Eiblmayr
Spectrum

Ein Platz lebt auf

Wenn man sich Innsbruck mit dem Zug von Osten her nähert, zeigt sich die Stadt von ihrer plakativ großstädtischen Seite. In einiger Entfernung ziehen die...

Wenn man sich Innsbruck mit dem Zug von Osten her nähert, zeigt sich die Stadt von ihrer plakativ großstädtischen Seite. In einiger Entfernung ziehen die...

Wenn man sich Innsbruck mit dem Zug von Osten her nähert, zeigt sich die Stadt von ihrer plakativ großstädtischen Seite. In einiger Entfernung ziehen die Hochhäuser des Olympischen Dorfes vorbei und liefern Zeugnis ihrer Entstehungszeit: Anlässlich der Olympischen Spiele 1964 wurde der neue Stadtteil begonnen und 1976, als Innsbruck zum zweiten Mal Austragungsort der Winterspiele war, in einer zweiten Bauetappe erweitert. Im Wissen um den Mangel an leistbaren Wohnungen in Innsbruck entschied man 1960, auf der „grünen Wiese“ in Neu-Arzl möglichst dicht zu bauen. Die ursprüngliche Idee, den Olympioniken am Hang der Nordkette ein echtes Tiroler Dorf aufzustellen, war aus finanziellen und logistischen Gründen nicht umzusetzen gewesen und so hatte man sich doch für Wohnblöcke unten im Inntal entschieden. Nach über vierzig Jahren hat der Stadtteil mit cirka 8000 EinwohnerInnen soweit einen eigenständigen Charakter entwickelt, dass Probleme vor Ort von der Stadtverwaltung ernst genommen und spezifische Lösungen gesucht werden.

Die Stadt Innsbruck hat – gemessen an der Bauleistung im letzten Jahrzehnt – eine beachtenswerte Entwicklung genommen. Das Architekturgeschehen der Stadt ist geprägt von prestigeträchtigen Projekten, die jedoch nicht wie in vielen anderen Städten zu selbstreferentiellen Investorenbauten geraten, sondern auch einen Mehrwert für die Stadt und ihre 135.000 EinwohnerInnen bedeuten. In Tirol ist generell das Wissen um die Wertigkeit von qualitätvoller Architektur bei öffentlichen wie privaten Bauherren sehr hoch, aber in Innsbruck wird speziell darauf geachtet, dass stadtstrukturelle Verbesserungen nicht nur für die Tourismuszonen, sondern auch für die Randlagen der Stadt erzielt werden, wie am Beispiel des Olympischen Dorfes zu sehen ist.

Um eine Lösung für eine identitätsstiftende Zentrumsbildung zu finden, wurde das „O-Dorf“ 1996 als „Europan“-Wettbewerb – europaweit für unter 40-jährige ArchitektInnen – ausgeschrieben, aus dem die in Wien tätigen Architekten Willi Frötscher und Christian Lichtenwagner als Sieger hervor gingen. Nachdem das Projekt mehrere Jahre auf Eis gelegt war, erhielten die Architekten schließlich 2001 den Zuschlag und man wandte sich gemeinsam mit der Stadtplanung umso engagierter dem Diskurs und der Realisierung zu. Denn das geplante Bauvolumen war in Form und Programmatik gewaltig: Um ein unmittelbar belebtes Ortszentrum zu schaffen, sollte am neuen „Hauptplatz“ neben den öffentlichen Nutzungen wie Veranstaltungshalle, Kindertagesheim, Jugendzentrum und betreutes Wohnen für Pensionisten die urbane Dichte durch 100 zusätzliche Wohnungen gesteigert werden. In Analogie zur bestehenden Bebauung des Olympischen Dorfes wurde ein Hochhaus implementiert und dem L-förmigen, flachen Riegelbau beigestellt. Somit wird nicht nur das Zentrum durch einen Turm markiert, sondern auch der Platz stadträumlich gefasst und durch die entsprechende Fußgängerfrequenz der Hausbewohner automatisch belebt.

Die Dichte war also da, die sozialen Einrichtungen ebenso, aber wo bleibt die Urbanität? Wie gelingt es, den Platz so anzureichern, dass die Menschen auch verweilen wollen und ihn dadurch mit Leben erfüllen? Frötscher und Lichtenwagner gingen dieses Problem planerisch und praxisorientiert an: Sie suchten den Kontakt zur Firma M-Preis, Tirols größter Supermarktkette, die konzeptionell immer auch ein kleines Café an ihre Märkte angekoppelt hat. Somit war genau jene infrastrukturelle Basis geschaffen, um einen Platz als „Marktplatz“ zu definieren: die Menschen werden nah versorgt, nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Kaffee und Kuchen und mit Klatsch und Tratsch aus dem Quartier.

Die Gestaltung des Platzes selbst sollte nicht die gewachsene historische Stadt stilisieren, sondern nimmt Bezug auf seine Funktion als Verteiler und als sozialer Treffpunkt. Ein Bereich ist durch eine Pergola zur Beschattung gedeckt und mit darunter stehenden Parkbänken bestückt, sonst wird eine Zonierung für Altersgruppen oder Zuweisung bei der Nutzung vermieden. Natürlich wird so auch potentiellen Konflikten Raum gegeben, zwischen den Generationen oder ethnischen Gruppen, wie sie in jedem Stadtteil mit vorwiegend sozialem Wohnbau europaweit zu finden sind. Aber die mögliche soziale Kontrolle trotz Weitläufigkeit funktioniert seit der Fertigstellung im Mai angeblich gut – was auch mitten im Jänner schön zu beobachten ist: Zu Mittag strömen die Kinder der nahen Hauptschule zum Platz, kaufen sich etwas zum Essen, gehen ins Café oder lungern auf den raupenähnlichen „Bankbändern“ herum. Manche schlendern in Richtung Hort, eine Gruppe legt sich die Schultaschen als Torbegrenzungen auf und spielt Fußball. Die Pensionisten gehen auf den Rollator gestützt eine Runde spazieren und kleine Kinder nutzen die Bänke zum Klettern und Rutschen. Und beim Supermarkt herrscht sowieso ein ständiges Kommen und Gehen.

Begrünt wurde am Platz nur sparsam, da sich unter dem Platz die Tiefgarage für das Quartier befindet. Die Landschaftsarchitektin Alice Größinger von „Idealice“ entwarf zarte, grün gestrichene Rankgerüste, ähnlich den „Heumandln“ – jenen Holzgestellen auf den Bauernwiesen, auf die das Heu zum Trocknen getürmt wird. Sonst wird nur der Boden gestalterisch akzentuiert, indem weiße Streifen am Asphalt eine Gehrichtung zeichnen. Sie weisen den Weg – durch einen Durchgang hindurch – in den südöstlichen Teil des O-Dorfes, aber auch zum Mehrzwecksaal, der aufwändig gestaltet wurde, um ihn für „auswärtige“ Nutzungen attraktiv zu machen. Neben möglicher Hochkultur (Theater und Konzerte) finden hier Grätzelkultur und Vereinsleben, wie Chor, Musikkapelle oder private Feiern statt.

Das Besondere am Projekt Centrum O-Dorf ist, dass die Architekten von der städtebaulichen Konfiguration bis zu den Details der einzelnen Bereiche wie Kindergarten, Wohnungsgrundrisse und Supermarkt planen konnten. Noch dazu konnten sich Frötscher und Lichtenwagner diesen Aufgaben ohne unnötigen Zeitdruck widmen, und diese Sorgfalt sieht man dem Projekt in seiner Gesamtheit auch an. Ein gelungenes Beispiel einer integralen und hoffentlich auch integrativen Planung durch Architekten, Bauträger und eine um Nachhaltigkeit bemühte Stadtplanung.

Spectrum, Sa., 2007.02.10



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centrum.odorf

21. Oktober 2006Judith Eiblmayr
Spectrum

Wohnbau, rational reduziert

Nach postmodernen Erkern und Balkönchen sind wieder Klarheit und Rationalität in den Wohnbau zurückgekehrt. Patricia Zaceks Wohnhaus in Wien-Favoriten: ein Bauwerk der aufgeklärten Planung.

Nach postmodernen Erkern und Balkönchen sind wieder Klarheit und Rationalität in den Wohnbau zurückgekehrt. Patricia Zaceks Wohnhaus in Wien-Favoriten: ein Bauwerk der aufgeklärten Planung.

Der Wohnbau in Wien ist eine Bau aufgabe, der sich Architekten und Architektinnen regelmäßig stellen können, denn nach wie vor werden kontinuierlich neue Wohnbauten errichtet, sei es in Stadterneuerungsgebieten oder in Baulücken. Man verdient hierbei zwar keine Häuser, aber man baut Häuser, und das ist immerhin schon etwas. Gleichzeitig wurde durch die rege Wohnbautätigkeit die Dichte an ansprechender Architektur stetig erhöht, zum Wohle der Betrachter und vor allem der Bewohner und Bewohnerinnen. Die Wiener Architektin Patricia Zacek hatte nach einer im Jahre 2003 erfolgreich abgewickelten Planung und Errichtung eines Wohnhauses in Favoriten von der Wohnbaugenossenschaft „Neues Leben“ einen Folgeauftrag erhalten, der, diesen Sommer fertig gestellt, eine weitere Bereicherung des Wiener Baugeschehens darstellt.

Wie schon der Bau in der Siccardsburggasse zeichnet sich auch der neue in der Schenkendorfgasse in Floridsdorf durch eine Präzision in der Planung aus, die gerade im Wohnbau nur selten zu finden ist. Wo reduzieren gerade im sozialen Wohnbau oft genug „kaputt sparen“ bedeutet und sich - im doppelten Sinne - in billigen Lösungen äußert, zeigt sich die Reduktion bei dieser Art von Architektur in der Fokussierung auf deren strukturelle Qualität und Detailgenauigkeit bei Materialwahl und -ausführung.

Patricia Zacek schließt mit ihren Wohnbauten an eine Entwicklung an, die in Wien seit den frühen Neunzigerjahren zu beobachten war, und zwar die Wiederentdeckung der Moderne in der Architektur. Nach den gesichtslosen Plattenbauten der Sechziger- und Siebzigerjahre sollte der freundliche Zierrat der Achtzigerjahre, mit seinen Giebelchen, Erkern und gerundeten Balkönchen die Rückbesinnung auf einen menschlicheren Maßstab in der Architektur signalisieren, was in der Apotheose des postmodernen Manierismus, im sogenannten Hundertwasserhaus, gipfelte.

Nach einigen wenigen innovativen Projekten aus dieser Zeit wie Helmut Richters Bau in der Brunner Straße, wo die Fassaden bereits wieder in großflächige Verglasungen und Paneelplatten „zerlegt“ wurden, fand die Architektursprache mancher Planer zurück zu einem Rationalismus mediterraner Ausprägung. Kubische Baukörper mit vorgelagerten Loggien und Schiebeelementen aus Lamellen zur Beschattung sollten für die Bewohner wieder mehr Bezug zwischen Innen- und Außenraum schaffen und somit im Geschoßwohnbau strukturell eine höhere Wohnqualität bringen.

Das Eckgrundstück im Raster zwischen Leopoldauer- und Donaufelderstraße, einer reinen Wohngegend, wurde mit einem rationalistischen Quader bebaut, der jedoch räumlich (durch)lässig Aus- und Einblicke gewährt. Die mit grauem Blech verkleidete Südostfassade weist durchgängige Loggien auf. Durch Glasfelder in den Brüstungen werden für die dahinterliegenden Wohnräume Sichtfelder ausgeschnitten, gleichzeitig lockern die unregelmäßige Anordnung dieser Ausschnitte und das Orange der Rückwände der Loggien die „Schale“ des Hauses zur Schenkendorfgasse hin auf. Die Südwestseite hingegen ist verputzt, wird jedoch formal von einer großen gläsernen Haut bestimmt, die vor die Laubengänge mit den Wohnungstüren und Küchenfenstern gespannt ist. In jedem zweiten Geschoß steckt eine außen schwarze und innen orange Box in der Glasfassade, die als Veranda für je ein dahinterliegendes Zimmer dient. Hofseitig sind die Maisonette-Wohnungen in den großen grünen Innenbereich des ganzen Häuserblocks orientiert, und von der vorgelagerten Loggia oder den Mietergärten kann die Gartenatmosphäre genossen werden. Es war der Architektin programmatisch wichtig, dass sich durch das „Durchstecken“ der Wohnungen über die ganze Tiefe des Gebäudes für die Bewohner unterschiedliche Raumbezüge zwischen drinnen und draußen, zur Straße und zum Hof hin ergeben.

Wichtig ist ihr aber auch, dass auf die Schwellenbereiche zwischen öffentlichem und privatem Raum besonderes Augenmerk gelegt wird, da Patricia Zacek die Aneignung des vorhandenen Stadtraums durch einen Neubau immer auch als Verpflichtung ansieht, der Allgemeinheit architektonisch etwas zurückzugeben. Bei diesem Gebäude ist es der Eingangsbereich, der als offene Ecke im geschlossenen Straßenraum einen fließenden Übergang von der Gasse ins Haus hinein gewährleistet: Einen Meter hinter die Gebäudekante zurückspringend, ist das hellgelb gestrichene - ob seiner Eleganz als solches zu bezeichnende - Foyer nur durch eine Glaswand, drei orange Säulen und durch einen Niveauanstieg vom Gehsteig getrennt.

Die Passantenblicke müssen also nicht „um die Ecke“ Ecke erfolgen, und der Ambiguität des Transparenzbegriffs entsprechend wird auch der Einblick bis ins Innere des Wohnhauses gewährt. Da es in dieser Gegend wenige Geschäftslokale gibt, ist es wichtig, ebenerdig die Häuser zu öffnen, um so, vor Wind und Wetter geschützt, Zonen der Begegnung zu schaffen.

Von diesem zentralen Platz im dörflichen Sinne aus gelangt man über ein offenes Stiegenhaus zu den privaten Bereichen oder direkt in den zum Haus gehörigen, ebenfalls von Patricia Zacek gestalteten Gartenhof. Genauso großzügig wie das Foyer, das bei einer funktionierenden Hausgemeinschaft auch als Hobbyraum vorstellbar wäre, ist das Stiegenhaus dimensioniert und belichtet. Ein Luftraum ermöglicht Kommunikation bis ins oberste Geschoß, durch Verglasung an zwei Seiten wird es hell, und es ist wiederum der Durchblick von der Gasse bis in den Hof gegeben.

Auch in den Gängen herrscht bei Wänden und Brüstungen ein warmer Grauton vor, Boden und Türen sind in Anthrazit gehalten. Das planerische Engagement der Architektin um Nachhaltigkeit erstreckt sich dabei bis in die Laibungen der Wohnungstüren, die mit pulverbeschichtetem Stahlblech belegt und so natürlich um einiges widerstandsfähiger sind als mit einem standardmäßigen Acrylanstrich versehen.

Im Vitruvschen Sinn, dass die Architektur eine vernunftmäßig erfassbare Wissenschaft sei, repräsentiert Patricia Zaceks Wohnbau ein Bauwerk von wohltuender Klarheit beziehungsweise aufgeklärter Planung und formuliert ohne Zierrat die Ziele des Sozialengagements der Moderne: schöner Wohnen für jedermann.

Spectrum, Sa., 2006.10.21



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Wohnhausanlage Schenkendorfgasse

12. August 2006Judith Eiblmayr
Spectrum

Mit dem Blick einer Ente

Türkis schimmernd ist es am Franz-Josefs-Kai vor Anker gegangen: das „Badeschiff Wien“. Der erfrischende Versuch, das Leben einer Stadt im Fluss zu halten.

Türkis schimmernd ist es am Franz-Josefs-Kai vor Anker gegangen: das „Badeschiff Wien“. Der erfrischende Versuch, das Leben einer Stadt im Fluss zu halten.

Im Juli herrschte Hitze in der Großstadt. Was wir längst ver mutet hatten, wurde Ende des Monats Gewissheit: Der Juli 2006 war der heißeste, seit es klimatische Dokumentationen gibt. Ein Rekord, der uns nicht kalt lässt, denn die Bewältigung des Alltags im innerstädtischen Wien bei diesen Temperaturen kann als schleppend bezeichnet werden.

Wem die Ufer des Entlastungsgerinnes der Donau zu weit und die Lokale an dessen Strandmeile „Copa Cagrana“ zu voll sind, kann sich bereits seit einigen Jahren bei der „Summerstage“ an der Rossauer Lände unter Pappeln und Weiden ans grüne Ufer des Donaukanals setzen. Ein wenig flussabwärts wurde das Angebot an Lokalen am Wasser um zwei Attraktionen erweitert: Am sogenannten Stadtstrand „Adria Wien“ bei der Salztorbrücke und bei „Hermanns Strandbar“ an der Wienflussmündung lässt es sich im Liegestuhl am aufgeschütteten Sand mit kühlen Getränken und leichten Speisen gut entspannen. Was zur Entstehung eines „echten“ Strandgefühls allerdings bislang fehlte, war die Möglichkeit, im Gewässer selbst Abkühlung zu finden. Das ist jetzt anders: Wenn man von der Aspernbrücke hinabschaut, strahlt einem neuerdings im Braungrün des Donaukanals eine pooltürkise Wasserfläche entgegen, die eindeutig zum Schwimmen auffordert. Am Franz-Josefs-Kai ist das „Badeschiff Wien“ vor Anker gegangen, das wie ein Rettungsboot für die in der Innenstadt arbeitende und wohnende Bevölkerung wirkt.

Vier Jahre lang haben die Betreiber der „Expedit-Betriebsges.m.b.H“, die bereits mit dem Speisenangebot ihres Innenstadtlokals und der „Adria-Wien“-Initiative versuchten, mediterrane Stimmung in der Binnenstadt Wien zu verbreiten, benötigt, um die Idee eines Wasserzugangs für die Gäste der „Stadtstrände“ in Form eines Badeschiffes zu realisieren. Die Vorbilder hierfür fanden sich dabei nicht nur in Berlin, wo seit zwei Jahren ein Badeschiff an der Spree vertäut ist und sich großer Beliebtheit erfreut, sondern natürlich in Wien selbst, wo seit dem späten 18. Jahrhundert in das kalte Flusswasser der noch unregulierten Donau Badeflöße mit eingelassenen korbähnlichen Gitterkästen gesetzt wurden. Vom Wiener Arzt Pascal Joseph von Ferro 1781 aus Hygienegründen und zur Krankheitsprophylaxe entwickelt, wurde diese Form der Badeschiffe im frühen 19. Jahrhundert als „Armenbäder“ staatlich institutionalisiert und deren kostenlose Nutzung der Bevölkerung empfohlen. Nach der Donauregulierung wurden die Badeschiffe in das neue Donaubett übersiedelt und um Liegeflächen am Ufer ausgeweitet, da das Baden immer mehr zum Freizeitvergnügen geriet.

Höhepunkt dieser Entwicklung war der endgültige Schritt vom Schiff an Land durch die Etablierung des Gänsehäufls im Altarm der Donau. Die Schwimmkörbe waren nicht mehr notwendig, und anstatt sich stehend vom strömenden Wasser umspülen zu lassen, begannen die Badegäste, dem Geist der Moderne folgend, schwimmend das stehende Gewässer zu durchqueren. Auch im Donaukanal waren nach dem Bau des Hauptsammelkanals um 1900 Strombadeschiffe gelegt worden, die „von den Anhängern des Vereins ,Verkühle dich täglich' wegen der wohltuenden Eigenschaft dieser Badegattung gerne besucht wurden“, wie in einer Zeitschrift aus den 30er-Jahren zu lesen ist. Zu diesem Zeitpunkt waren noch zwei Badeschiffe in Betrieb - eines übrigens in unmittelbarer Nähe des jetzigen Standortes -, die jedoch bald außer Mode gerieten und schließlich aus den Flussläufen verschwanden.

Moderne Schwimmbadtechnik und eine Stadtpolitik, die zwar wenig konzeptuelle Planung anbietet, jedoch gegenüber privaten Investoren, die das Stadtleben bereichern, aufgeschlossen ist, machen es möglich, dass man nun wieder in der Stadt baden kann. Die „Expeditoren“ kümmerten sich um Planung, Finanzierung und Schiffsbau dieses PPP-Projektes (Public Private Partnership), während gemeindeseits in Person des Donaukanalkoordinators versucht wurde, die reibungslose Installierung inklusive aller notwendigen Genehmigungen und Infrastrukturmaßnahmen wie Wasser- und Kanalanschluss zu gewährleisten. Schiffe sind keine Bauwerke und unterliegen daher nicht den strengen Wiener Bauvorschriften, und so konnte im Schatten der gläsernen „Leuchttürme“ von Stararchitekten am Schlagbrückenufer des Donaukanals ein Stück unprätentiöser Stadtmöblierung entstehen, das in seiner zweckorientierten Einfachheit einen sympathischen Kontrapunkt bietet. Das Badeschiff, das unter Federführung des Designers Retus Wetter von den Betreibern selbst „im Kollektiv“ geplant und in der Nähe von Berlin gefertigt wurde, besteht aus zwei ausgedienten Schubleichtern aus schwarzem Stahl, die über einen Steg miteinander verbunden und mit Rohrstangen an der Kaimauer befestigt sind. Das Schwimmbecken ist in einen der Schiffsrümpfe eingelassen, wobei lediglich ein rundum laufendes Geländer und ein Meter Höhenunterschied das klare Pool- vom trüben Kanalwasser trennen. Das angedockte Versorgungsschiff, das man vom Rotenturmufer her über eine Gangway betritt, ist ein Mittelding zwischen Containerschiff und Hausboot: Eine uferseits mit Blech verkleidete Holzkonstruktion unterteilt in ein Oberdeck mit Gastronomie, Garderoben und Zugang zum Pool und in ein Sonnendeck mit Liegestühlen, teilweise beschattet mit orangen Sonnenschirmen.

Das „Salondeck“ ist im Bauch des ganzjährig am Franz-Josefs-Kai liegenden Schiffes untergebracht und wird in der kalten Jahreszeit als Lokal dienen, wenn die Gäste nicht im Badegewand, sondern eher im Ölzeug an Bord gehen (der Verein „Verkühle dich täglich“ existiert ja leider nicht mehr!).

Aber noch ist Sommer, und ab acht Uhr in der Früh kann um 2,50 Euro im 30 Meter langen Becken geschwommen werden. Geöffnet ist bis 24 Uhr, ein „Badeschluss“, von dem man im städtischen Bad nur träumen kann. Es ist ein spezielles urbanes Erlebnis, wenn man nächtens mitten in der Stadt ins Wasser hüpfen und neben dem Schnellboot nach Pressburg herschwimmen kann. Durch die tiefe Lage im Kanalbecken nimmt man die vorbeiführenden Durchzugsstraßen nicht wahr, sondern entdeckt die Stadt aus der Entenperspektive: Man schaut auf die sprudelnde Heckwasserströmung, sieht unter der Aspernbrücke hindurch auf den Pavillon des Hermannstrandes mit den Lichtern des Wurstelpraters im Hintergrund und über der Brücke auf die Urania rechts und auf die Fassaden-Lichtspiele des Uniqatowers links. Das versöhnt mit 30 Grad heißen Abenden und unbarmherzig aufgeheizten Wohnungen.

Es sind vergleichsweise kleine Maßnahmen wie ein Badesschiff, die eine Stadt lebenswert machen und die Abwanderung der Wohnbevölkerung in den „Speckgürtel“ verhindern können, und die Stadtverwaltung tut gut daran, solche Initiativen zu unterstützen. Urbanität heißt nicht, eine möglichst hohe PKW-Frequenz zu erzeugen, um die Schanigärten der Innenstadt zu füllen, denn dieses Bad ist auch ohne Stellplatznachweis voll. Urbanität heißt, die Stadt im Fluss zu halten und dafür ist das Badeschiff Wien eine gelungene konkrete Metapher.

Spectrum, Sa., 2006.08.12

09. April 2006Judith Eiblmayr
Spectrum

Wem nutzt der Nutzbau?

Was bedeutet Nutzen? Effizienz, Verwertbarkeit? Oder doch eher Genuss, Kreativität, Lebensqualität? Eine Ausstellung zum städtischen Nutzbau im Wiener Künstlerhaus gibt Antworten.

Was bedeutet Nutzen? Effizienz, Verwertbarkeit? Oder doch eher Genuss, Kreativität, Lebensqualität? Eine Ausstellung zum städtischen Nutzbau im Wiener Künstlerhaus gibt Antworten.

„Service Bauten Wien“ lautet der Titel einer Ausstellung, die zurzeit im Künstlerhaus in Wien gezeigt wird und sich mit exemplarischen Objekten des städtischen Nutzbaus befasst, die die Gemeinde Wien als Bauherr in den letzten zehn Jahren errichten ließ. „Vom Nutzen der Architektur“ lautet etwas subtiler der Titel des begleitenden Katalogs der beiden Kuratorinnen Barbara Feller und Maria Welzig, woran rasch die eigentliche Intention dieser Ausstellung kenntlich wird: Es geht um die Präsentation von qualitätsvoller Architektur, die auf Bestreben der Magis-tratsabteilung 19, zuständig für Architektur und Stadtgestaltung, und im Auftrag diverser Wiener „MAs“ seit 1995 entstanden ist.

Aber wem nutzt nun diese Architektur, fragt sich der interessierte Laie, und was bedeutet Nutzbau an sich?

Von Nutzen ist das, was gebraucht wird, wobei jedoch dem Nutzen etymologisch bereits ein Mehrwert anhaftet, hat doch der Genuss denselben Wortstamm. Nutznießer sind demnach jene, die das in Gebrauch Befindliche auch wertschätzen können.

Die Variationen der Begrifflichkeit sind anhand der 170-jährigen Geschichte des kommunalen Zweckbaus in Wien gut nachvollziehbar. In der ersten Phase der Errichtung expliziter Nutzbauten wurde, dem Diktat der „Gründerzeit“ folgend, all das in kommunale Hand genommen, was der Gründung eines großstädtischen Gefüges nutzt und dazu dient, dass die Stadt an sich funktioniert.

Um das rasche Wachstum derselben zu strukturieren, wurden nicht nur Bauten für die verkehrstechnische Infrastruktur mit Stationsgebäuden, Bahnhöfen und Remisen sowie Bauten für die Energieversorgung wie die Gasometer geschaffen, sondern vor allem auch Bauwerke, die die hygienischen Bedingungen für die Bevölkerung verbesserten wie Sammelkanäle, die erste Wiener Hochquellwasserleitung, Spitäler oder die neuen an den Stadträndern liegenden Friedhofsanlagen. Markthallen, Schulen und Verwaltungsbauten verbesserten die Versorgung der Stadtbewohner direkt in den Wohnquartieren, die Wohnbauten selbst überließ man allerdings noch dem freien Spekulantentum.

Erst in den 1920er-Jahren wurde durch das „Rote Wien“ auch der Wohnbau als eine in kommunaler Verantwortung liegende Bauaufgabe erkannt. Die großen Gemeindebauanlagen wurden neben den Wohnungen um zentrale Versorgungseinrichtungen wie Wäschereien, Kindergärten oder auch Büchereien programmatisch angereichert, und so entstanden Bauten zum direkten Nutzen der einkommensschwachen Bevölkerung.

Der eigentliche Nutzbau der öffentlichen Hand entwickelte sich tendenziell ein wenig in Richtung „Genussbau“, wenn nebst Gesundheits- und Sozialeinrichtungen auch Schwimm- und Kinderfreibäder gebaut und somit für die arbeitende Bevölkerung auch Bauten zur gesundheitsfördernden Freizeitgestaltung errichtet wurden.

Nachdem die Bautätigkeit der Gemeinde Wien in der Nachkriegszeit logischerweise von Pragmatismus geprägt und das Gemeinwohl darin gelegen war, den Organismus Stadt wieder funktionstüchtig zu machen, wurden in den 1970er-Jahren innovative Großprojekte in Angriff genommen: der Bau der U-Bahn und die Schaffung der Donauinsel. Obwohl das Entlastungsgerinne primär dem Hochwasserschutz diente, kamen potenziell alle Wiener und Wienerinnen in den Genuss dieses Nutz(tief)baus, da sich die Donauinsel zum intensiv genutzten Freizeitgelände entwickelte.

Erst in den 1990er-Jahren wurde die Architektur im Nutzbau thematisiert, indem der Wiener Planungsstadtrat Hannes Svoboda beim Schulbauprogramm 2000 nur Architekten planerisch zum Zug kommen ließ. Diese Etablierung von Architektur als „Label“ für die Kommune bewirkte bis heute einen Qualitätsanspruch beim Bauen, den die MA 19, als verantwortliche Stelle für die Wiener Stadtgestaltung, nun bei möglichst vielen Bauten verwirklicht sehen möchte.

Die Ausstellung im Künstlerhaus zeigt Kommunalarchitektur aus dem letzten Jahrzehnt, einen repräsentativen Querschnitt von Nutzbauten mit identitätsstiftendem, urbanem Mehrwert. Die Bauaufgaben sind vielfältig: vom Tiefspeicher in einem Hof des Rathauses über eine Autobus-Großgarage bis zum Feuerwehrmuseum, von der Gärtnerunterkunft über Marktstandeln bis zur Hauptbücherei. Selbst bei kleinen baulichen Eingriffen sollte ein architektonisches Statement gesetzt werden, wie beim Umbau des Amtshauses am Schottenring durch die Architektin Patricia Zacek.

Interessant auch die Nutzungs-Metamorphose eines historischen Zweckbaus: Das legendäre autonome Kulturzentrum „Arena“, das vor 30 Jahren nach Besetzung leerstehender Gebäude am Areal des Schlachthofes in St. Marx entstand, später von der Gemeinde Wien übernommen und institutionalisiert wurde, ist nun durch eine Intervention des Architektenteams Rataplan als vollwertiges Veranstaltungszentrum mit Halle und Open-Air-Bühne etabliert.

Einhergehend mit dem prinzipiellen Bekenntnis der MA 19, mit Bauten der öffentlichen Hand die Dichte an guter Architektur in Wien zu heben zu wollen, wird die Qualität des Stadtraumes kontinuierlich gesteigert, wovon letztendlich jeder Stadtbewohner - sei es als Nutzer oder Genießer (Betrachter) - profitiert. Dass gleichzeitig in anderen Magistratsabteilungen Entscheidungen getroffen werden, die in erster Linie die Dichte an Kubatur und damit die Verwertung von Baugrund und Parkboden bewirken wollen, steht auf einem anderen (Amts-)Blatt. Auch wenn der Nutzwert einer Immobilie immer wichtiger wird: Der Nutzen der Architektur liegt auch darin, Wien als attraktive Stadt mit nachhaltig hoher Lebensqualität zu erhalten. Das Kreativpotenzial freischaffender Architekten und Architektinnen kann hierbei nur dienlich sein. [*]

[ Die Ausstellung „Service Bauten Wien“ ist noch bis 23. April im Künstlerhaus Wien, Karlsplatz 5, zu sehen. ]

Spectrum, So., 2006.04.09

28. Januar 2006Judith Eiblmayr
Spectrum

Oval, sakral, konkav

Kirchenbau: eine Herausforderung für ambitionierte zeitgemässe Architektur? Durchaus. Die Kirche im oberösterreichischen Gallspach von Ernst Beneder und Anja Fischer.

Kirchenbau: eine Herausforderung für ambitionierte zeitgemässe Architektur? Durchaus. Die Kirche im oberösterreichischen Gallspach von Ernst Beneder und Anja Fischer.

Wen kümmert Kirchenbau über haupt noch, um ihn zum Gegenstand der Betrachtung zu machen", steht in der Broschüre zum Bauherrenpreis 2005 für Oberösterreich und Salzburg. Eine rhetorische Frage, hat doch die Architektenkammer selbst diesen Preis im vergangenen September an die Diözese Linz vergeben, um deren engagierte Rolle als Auftraggeber zahlreicher Bauaufgaben an Architekten zu würdigen. Die katholische (Landes-)Kirche hat es sich zur Aufgabe gemacht, bei Um- und Zubauten von Kirchen oder Pfarrhäusern geladene Wettbewerbe durchzuführen. Die Beauftragung des Siegers ist dabei laut dem Baureferenten, Architekt Wolfgang Schaffer, „obligatorisch, um eine Nachhaltigkeit in der baulichen Qualität zu erreichen“.

Geprägt durch einen der wichtigsten Kirchenbauten der Moderne in Österreich, die Linzer Theresienkirche von Rudolf Schwarz von 1961, kümmerte die Diözese Linz der Kirchenbau sogar so sehr, dass sie im Jahr 2004 eine Publikation mit dem Titel „Sakralraum im Umbruch“ herausbrachte. Und sie ist auch gegenüber dem Neubau und der damit einhergehenden zeitgemäßen Interpretation von Gotteshäusern sehr aufgeschlossen: Das vorerst letzte Werk im Bauprogramm, die neue Kirche im westlich von Wels gelegenen Kurort Gallspach, wurde am 11. Dezember geweiht und der Öffentlichkeit übergeben.

Die Wiener Architekten Ernst Beneder und Anja Fischer (in Kooperation mit dem Zivilingenieurbüro Pörner & Partner), die über viel Erfahrung beim Bauen in und mit historischer Bausubstanz verfügen, gewannen den Wettbewerb mit einem Konzept, das nicht nur die Kirche als zentrale Örtlichkeit der Pfarrgemeinde neu definieren, sondern gleichzeitig der Ortschaft Galls- pach städtebaulich ein neues Zentrum bringen sollte. Die (zu) kleine Pfarrkirche „zur heiligen Katharina“ war zwar mitten im Ort situiert, jedoch an einer steilen Gasse von der vorbeiführenden Hauptstraße abgerückt. Die auf spätgotischen Grundmauern stehende, mehrmals umgebaute Bausubstanz durfte laut Denkmalamt teilweise abgerissen werden - der Kirchturm und die Apsis mussten erhalten werden -, um den seit 20 Jahren von den Gallspachern gewünschten Neubau zu ermöglichen und die Kirche bequemer zugänglich zu machen.

Beneder und Fischer brachten all die Wünsche der Bauherrschaft nicht nur metaphorisch gesprochen unter einen - wenn auch ovalen - Hut.

Sie entwarfen einen im Grundriss elliptischen reifförmigen Baukörper, wo sich über einer massiven Sockelzone eine Holzrahmenkonstruktion erhebt, die, wie aufgefaltet wirkend, unterschiedliche Raumqualitäten entwickelt: Geschlossen und verglast einerseits, bildet sie den eigentlichen Kirchenraum unten an der Straße, als überdachter, aber offener Umgang andererseits schafft sie gleichzeitig die Anbindung an die historische Bausubstanz am oberen Niveau und schließt diese schwungvoll mit ein.

Die Dachfläche dieser „Reifarchitektur“ weist die annähernd gleiche Neigung wie der Hang auf, wodurch die dynamische Höhenentwicklung am Baukörper sehr gut ablesbar wird. An der tiefsten Stelle am nordseitigen Hauptscheitel der Ellipse weicht die geschwungene Außenhaut konkav zurück, um einem Baumriesen genügend Platz zu lassen. Gleich daneben liegt der überdachte Zugang zum ovalen Kirchenareal, und nun hat der Besucher die Wahl, ob er rechts über die gedeckte Treppenanlage bergan zum Innenhof beziehungsweise zur „alten Kirche“ schreiten möchte, die, teilweise erhalten, jetzt als Aufbahrungshalle für den nahen Ortsfriedhof dient oder links den eigentlichen Kirchenraum betritt.

Der gerundeten Form des mit Sonnenlicht durchfluteten Kirchenschiffes folgend, stehen die Sitzbankreihen, die auf den mittig liegenden Altar ausgerichtet sind. Die Mauern im Sockelbereich sind mit Platten aus offenporigem Konglomeratgestein verkleidet, darüber erheben sich die schlanken, glatten Holz-Leimbinder. Zwischen den einzelnen Rahmen ist vollflächig verglast, wodurch es zu einer hellen, freundlichen Atmosphäre in der Halle kommt.

Hinter dem Altar befindet sich die Werktagskapelle, die durch Schiebeelemente aus Satinatoglas abgetrennt ist und bei Bedarf dem großen Raum zugeschaltet werden kann. Über der Kapelle und dem Altar erhebt sich ein zylindrischer Turm, der das Zentrum der ganzen Anlage markiert und durch Fensteröffnungen in diesen innersten Teil der Kirche, auf Altar und Ambo (das Lesepult) Sonnenlicht bringt. Der Turm hat zwar keine Kuppel, und die Laterne sitzt nicht mittig, sondern findet in einem schräg eingeschnittenen Teil des Daches seine Entsprechung, die Architekten Beneder und Fischer haben es jedoch bei dieser Kirche geschafft, in gewisser Weise den Zentralkirchenbau der Renaissance zu zitieren.

Die zeitgemäße Interpretation besteht nun - abgesehen von einer weniger strengen Grundrisskonzeption und einer Baudauer von nur acht Monaten und eingehaltener Baukosten - darin, dass die Gläubigen sich nicht mehr unter einer enorm hohen Kuppel ducken müssen, sondern das Dach der Kirche betreten dürfen.

Dies ist nämlich die Ebene jenes Hofes, der neben dem Turm-Zylinder das erwähnte städtebauliche Zentrum bildet: Ein halböffentlicher Außenraum mit Baumbestand und steinernen Sitzbänken, der von dem hölzernen Reif umschlossen in besonders geschützter Atmosphäre zum Verweilen einlädt, sei es als Treffpunkt für die Ortsbewohner oder für eine Messe im Freien. Erschlossen wird er von der gedeckten Treppenanlage, die somit nicht nur zum elliptischen Kreuzgang wird, sondern selbst auch noch als Kreuzweg angelegt ist. Am Fuße der Treppe beginnend, führen die letzten Stationen wieder in den Kirchenraum hinein, ein „oberer“ Eingang vom Innenhof aus ermöglicht, dass sich der Kreis des Leidensweges versöhnlich schließt.

Dieser Fortschritt in der räumlichen Erschließung, die einer Raumbühne gleichkommt, ermöglicht das Fortschreiten der Gläubigen, die Prozession innerhalb des Gotteshauses, aber auch Inszenierungen der Liturgie, denen die katholische Kirche ja nicht abgeneigt ist. Die neue Kirche von Gallspach von Beneder und Fischer ist somit nicht nur Gegenstand der Betrachtung, sondern Gegenstand der Programmatik selbst.

Spectrum, Sa., 2006.01.28



verknüpfte Bauwerke
Pfarrkirche Gallspach

02. Dezember 2005Judith Eiblmayr
Spectrum

Damit der Stiefel steht

Susanne Thomaneks „Airmici“ oder: Wie macht man eine gute Design-Idee auch wirtschaftlich flügge? Neues aus den heimischen „Creative Industries“.

Susanne Thomaneks „Airmici“ oder: Wie macht man eine gute Design-Idee auch wirtschaftlich flügge? Neues aus den heimischen „Creative Industries“.

Weihnachten naht, und die all jährlich gleiche Frage drängt sich auf: Was soll ich schenken? Die guten Vorsätze - entweder rechtzeitige Absprache („Heuer schenken wir uns nichts!“) oder Besorgung alles Nötigen bereits im Oktober - sind längst vergessen, und so bleibt nur die Flucht nach vorne, nämlich ein möglichst originelles Geschenk zu finden. Heutzutage wird man diesbezüglich gut bedient, gibt es doch abseits der Einkaufsstraßen die traditionellen Christkindlmärkte, wo man - nebst Punschtrinken - dem reinen Kitsch frönen kann, die alternativen Adventmärkte, wo man - nebst Punschtrinken - im Selbstgebastelten gustieren kann, aber auch jene Design-Weihnachtsmärkte, wo professionelle Kreativarbeiter ihre schicke Ware feilbieten und man sich gemeinsam „mit allen Interessierten auf die Weihnachtszeit einstimmen will“ - natürlich unter anderem auch in diesem Fall durch Punschtrinken.

Hier stehen die Chancen gut, dass man ein Objekt findet, das auch jenen gefällt, die im Prinzip schon alles haben; eine witzige Idee, gekonnt umgesetzt und durch eine selbstbewusste Preisgestaltung als wertig definiert, zeugt vom kreativen Potenzial der - übrigens vorwiegend weiblichen - Ich-AGs und deren Professionalität bei der Selbstvermarktung. Neben den bereits institutionalisierten Bazars schließen sich Designer und Designerinnen kurz und besetzen neue Orte, zum Beispiel leer stehende Geschäftslokale wie in der Gumpendorfer Straße 11, wo unter dem Namen „Vitamin Design“ ein Weihnachtsgeschäft für die Adventwochenenden implementiert wurde. Man kann nicht nur unter originellen Einzelstücken wählen aus den Sparten Textil, Schmuck, Keramik und anderen, sondern es wird zum Beispiel auch ein Produkt des klassischen Industrial Design angeboten, das sich in seiner Funktion nicht jedem Kunden unmittelbar erschließt. „Ist das eine Nackenstütze?“ fragt eine interessierte Kundin, und man muss zugeben, dass es das durchaus auch sein könnte.

„Airmici“ heißen die luftigen Freunde, sind aufblasbare Stiefelstrecker und das Endprodukt einer zielgerichteten Überlegung, wie man sie anderen Vertretern der „Creative Industries“ in Österreich nur wünschen kann. Die Architektin Susanne Thomanek begann sich nach langjähriger Tätigkeit für ein Architekturbüro, wo sie bei der Shop-Planung für eine österreichische Schuhhandelskette Routine erlangte, zunehmend für Schuhe per se zu interessieren. Sie hatte die zündende Idee, wie Stiefel intelligent „geschient“ werden könnten, damit diese beim Aufstellen im Geschäft oder beim Abstellen im Schuhschrank zu Hause nicht einknicken. Das aufblasbare „Schuhflügerl“ war schnell gezeichnet, wurde als Prototyp in Wien gebaut, in Pressbaum bedruckt, umgehend patentrechtlich geschützt und verlieh vor allem Thomaneks Berufswunsch als selbstständige Unternehmerin - sei es als Architektin oder als Designerin - Flügel. Nachdem ein führendes Unternehmen der österreichischen Schuhhandelsbranche als Kunde gewonnen war, begann sie, ihr Projekt ernsthaft zu verfolgen. Das strukturierte Denken des Architektenberufs war dabei natürlich sehr hilfreich und gewährleistete eine professionelle Projektplanung bei der Aufbauarbeit.

Der Finanzprofi Jürgen Schnabl wurde ins Team geholt, und weil man daran dachte, die Ware eventuell im Fernen Osten produzieren zu lassen, stieg der Asienexperte Wolfgang Reithofer ein, der Kenntnis der mitunter eigenen Gesetze des chinesischen Marktes einbringen konnte. Nachdem das Produkt bei der Präsentation auf der größten europäischen Fachmesse in Düsseldorf auch international auf reges Interesse gestoßen und die Entscheidung für eine Produktion in großer Stückzahl gefallen war, leistete Reithofer monatelang in China Aufbauarbeit, die, um erfolgreich sein zu können, ganz wesentlich von persönlichen Kontakten abhängig ist. Schließlich geht es nicht nur darum, einen Betrieb zu finden, der produzieren will und kann, sondern auch zu kontrollieren, ob alles so funktioniert wie geplant. Es ist natürlich ratsam, fehlerhafte Ware direkt in der Sprache und Tonart der Betreiber zu reklamieren und wieder „einstampfen“ zu lassen, bevor sie aus einem Container in Europa entladen wird. Eine entgrenzte Baustelle nennt Thomanek das Projekt, und da ist sozusagen eine örtliche Bauaufsicht absolut notwendig - gerade wenn der Ort in China liegt.

Nach einem Jahr, in dem ohne finanzielle Förderungen in Kreation und Produktion investiert wurde, folgt jetzt die Distribution, und auch diese ist wieder stark von persönlichem Einsatz geprägt: von Island, Skandinavien und Estland über Italien bis Zypern meldeten sich Interessenten und sollten womöglich von der Chefin selbst besucht werden um die Vorzüge des Produkts in überzeugender Weise vermitteln zu können.

Außerdem müssen halbjährliche Messeauftritte in Deutschland und Italien absolviert werden, um auf dem internationalen Schuhmarkt präsent zu bleiben. Denn solange Geschäfte nicht en gros abgeschlossen wurden, verdient man nichts - auch wenn die Idee noch so gut ist.

Das nächste unternehmerisch anzustrebende Ziel ist, möglichst viele große Schuherzeuger davon zu überzeugen, den Stiefeln im Karton individuell bedruckte „Airmici“ beizulegen - als „Marketingartikel mit Hirn“ und mit dem Mehrwert der intelligenten Kundenbindung.

Neben dem internationalen Umsatz mit der Massenware möchte Thomanek aber auch auf die Produktion von „limited editions“ setzen, um den speziellen Anforderungen von kleineren, exklusiven Schuhhandelsfirmen gerecht zu werden. Um schnell und flexibel auf Modetrends reagieren zu können, soll eine eigene „Airmici“-Produktionseinheit in Österreich installiert werden.

Bei der Designmesse „Blickfang“ im Wiener Museum für angewandte Kunst erhielten die „Airmici“ im vergangenen Oktober den „MAK Design Shop Award 2005“, eine Auszeichnung, die nicht nur das Objekt selbst, sondern eben das Konzept an sich, seinen Innovationsgehalt und die Marktchancen bewertet. Wenn die Designerin in Personalunion auch die Firmengründerin ist, haben die Creative Industries und das Industrial Design in höchst produktiver Weise zueinander gefunden. Jetzt bleibt nur zu wünschen, dass das Projekt auch wirtschaftlich abhebt, denn nur vom Detailverkauf auf dem Weihnachtsmarkt wird so ein Produkt nicht flügge werden.

Spectrum, Fr., 2005.12.02

15. Oktober 2005Judith Eiblmayr
Iris Meder
Spectrum

Die moderate Moderne

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

Lässt man den Blick über die Hausberge von Wien schweifen und sieht den flachen Riegel des Kahlenberg-Restaurants, das im Dezember 1935, also vor genau 70 Jahren, eröffnet wurde, so schaut man auf Erich Boltensterns ersten großen Wiener Bau. Nach einem gemeinsam mit dem Architekten Leopold Ponzen gewonnenen Wettbewerb realisierte Boltenstern 1935 den elegant in die Topografie geschmiegten Komplex, der, als Krönung der Höhenstraße, zu einem neuen Wahrzeichen Wiens wurde. Im Sonnenlicht oder in nächtlicher Festbeleuchtung zierte er Schulbuchumschläge, Filmplakate und unzählige Ansichtskarten.

Boltensterns Werk ist mehr Wienern bekannt, als ihnen bewusst ist. Schon in der Innenstadt hat man mehrere seiner wichtigsten Bauten im Blickfeld, die alle an der Ringstraße oder in ihrer Nähe liegen: die Staatsoper, deren Innenräume unter Boltensterns Leitung von ihren Kriegswunden geheilt und gestalterisch erneuert wurden, das „Felderhaus“ - ein Bürogebäude der Wiener Städtischen Versicherung neben dem Rathaus -, die umgebaute Universitätsbibliothek, zwei Gebäude für die Nationalbank am Otto-Wagner-Platz, die nach einem Brand wiederaufgebaute Börse, den Gartenbau-Komplex vis-à-vis dem Stadtpark und als markanten Eckpfeiler - nicht nur der Ringstraße, sondern auch seines Werkes - den Ringturm.

Zwei dieser Bauten feiern im Gedenkjahr 2005 ihr 50-jähriges Jubiläum: Staatsoper und Ringturm. Die Oper wurde am 5. November 1955 nach fast zehnjähriger Bauzeit wiedereröffnet - ein für die Identifikation der Zweiten Republik ganz wesentlicher Akt. Es war wohl der größte Erfolg in Boltensterns Karriere, als er 1948 den Wettbewerb zum Wiederaufbau des Zuschauerraums gewann. Es sei seine schwierigste Arbeit gewesen, urteilte er später. Gleichzeitig schien sich für ihn mit diesem Projekt ein biografischer Kreis zu schließen: Der ausgebildete Sänger und Sohn einer Opernsängerin, der sich nicht für die Bühnenkarriere, sondern für die Architektur entschieden hatte, konnte Musikern wieder ein würdiges Ambiente planen. Für Boltenstern war die Theaterwelt von zentraler Bedeutung. Er hatte in den Zwanzigerjahren eine Dissertation zum Thema Theaterbau begonnen und war Assistent beim Architekten Oskar Strnad gewesen, der auch Bühnenbilder für große Inszenierungen der Theater-Avantgarde entworfen hatte. Nach Abschluss der Arbeiten an der Wiener Staatsoper weihte Boltenstern (inoffiziell) den Raum selbst ein, indem er vor seinen Mitarbeitern eine Arie vortrug.

Der Ringturm hingegen, das erste echte Hochhaus Wiens, galt als Symbol für die Modernisierung der Stadt. Die Idee dazu stammte vom Direktor der Wiener Städtischen Versicherung, Norbert Liebermann, der aus dem Exil in den USA zurückgeholt wurde und den eher zögerlichen Boltenstern, der bereits seit einiger Zeit für die Wiener Städtische tätig war, sozusagen dazu verpflichtete, sich mit der Bauaufgabe Hochhaus auseinander zu setzen. Der 1955 eröffnete Ringturm wurde schnell zum Symbol eines aus Ruinen erstandenen neuen Wien. So wie 20 Jahre zuvor das Kahlenberg-Restaurant zierte nun der Ringturm Fremdenverkehrs- und Wahlplakate, und Boltensterns anfängliche Bedenken gegen die Bauaufgabe Hochhaus zerstreuten sich in der allgemeinen Bewunderung für das zeitgemäß schlanke neue Wahrzeichen am Schottenring.

Als einer der wenigen modernen Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich dennoch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht kompromittiert hatten, führte Boltenstern die Vorkriegstradition der Wiener Moderne und internationale Strömungen der Gegenwart (vor allem aus Schweden und der Schweiz) zu einer Synthese, die das offizielle Österreich des Wiederaufbaus adäquat repräsentierte. - Was Erich Boltenstern trotz seines hohen Ansehens in Österreich verwehrt blieb, waren internationale Reputation und Aufträge im Ausland. Die meisten seiner Bauten entstanden in Wien und Umgebung; Ausnahmen waren das Grazer Krematorium von 1930 und der umfassende Umbau des Tiroler Landestheaters in Innsbruck (1964 bis 1967). Häufig nahm er an internationalen Wettbewerben teil - besonders dann, wenn es sich um Opern und Theater handelte, etwa für die Opernhäuser in Hamburg, La Valletta, Sydney und Belgrad.

Wesentlich für seinen Karriereverlauf wäre wahrscheinlich in den späten Fünfzigerjahren die Errichtung von fünf Rundfunkhäusern in der Türkei gewesen; der Auftrag wurde jedoch von den Errichtern nach Vertragsunterzeichnung wieder zurückgezogen. Hier hätte ihm vielleicht - auf den Spuren Clemens Holzmeisters - der internationale Durchbruch gelingen können. Aber Boltenstern drängte es nicht zur Expansion. In seiner bescheidenen Grundhaltung war er offensichtlich zufrieden mit dem, was er erreicht hatte - und das war nicht wenig.

Ohne konservativ zu sein, wollte er ein „Diener seiner Zeit“ sein und hat den Wiederaufbau Wiens entscheidend geprägt. Der Architekturtheoretiker Georg Schöllhammer schrieb in einem Nachruf anlässlich des Todes von Erich Boltenstern am 2. Juni 1991, dass dessen „ästhetischer Reduktionismus, der dank seiner noblen Detailkultur nie ins Ärmliche umkippt, nichts von den wahren Zeitverhältnissen verschweigt.“

Seine uneitle, konsensorientierte Haltung in schwierigen Zeiten brachte dem vielbeschäftigten Architekten und Professor zahlreiche Sympathien, wenngleich sich die junge Architektengeneration charismatischere Idole suchen musste, um Neues entstehen lassen zu können. Boltenstern war sich seiner Stellung in der Architekturszene bewusst; dennoch ist seine Herangehensweise als wesentlicher Beitrag einer „moderaten Moderne“ in die österreichische Baugeschichte eingegangen. „Wir sollten nobel und zurückhaltend bauen, nicht brutal aufdringlich und nach dem Nachbarn schielend, ob wir ihn übertrumpfen. Der Architekt ist Diener der Allgemeinheit“, schrieb Boltenstern in einem Artikel zur Architektenausbildung.

Diese unaufgeregte Architektur wird oft als banal abqualifiziert und fand auch in der Forschung bislang wenig Beachtung. Viele Gebäude wurden in ihrem Erscheinungsbild stark verändert oder überhaupt abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Wahrscheinlich brauchte es ein halbes Jahrhundert Abstand, um im Wertekanon der österreichischen Architekturgeschichte die spezifischen Qualitäten dieser Bauten zu erkennen und diese auch zu publizieren. Im Zuge der jüngsten Querelen um das vom Abriss bedrohte Kahlenberg-Restaurant, das in letzter Minute gerettet werden konnte, traten weitverbreitete Meinungen zutage, die auf eine völlige Negierung jeglicher Qualitäten sowohl dieses Baus wie auch des Ringturms hinausliefen.

[ Judith Eiblmayr und Iris Meder sind Kuratorinnen der Ausstellung „Moderat Modern - Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945“, die ab 22. Oktober im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist. ]

Spectrum, Sa., 2005.10.15

23. April 2005Judith Eiblmayr
Spectrum

Krümel, Splitter, Ich-AG

Man stelle sich vor: Ein Berufsstand hat Hochkonjunktur, genießt einen exzellenten Ruf - und wird gleichzeitig marginalisiert. Österreichs Architektur im Zeitalter der „Creative Industries“: eine Bestandsaufnahme.

Man stelle sich vor: Ein Berufsstand hat Hochkonjunktur, genießt einen exzellenten Ruf - und wird gleichzeitig marginalisiert. Österreichs Architektur im Zeitalter der „Creative Industries“: eine Bestandsaufnahme.

Kreativarbeit ist eine Sparte, die von Außenstehenden meist romantisch verklärt wird. Der Maler, die Fotografin, der Filmemacher, die Architektin - sie gelten nach wie vor als die Glücklichen, die sich durch künstlerische Tätigkeit ihr Brot verdienen dürfen. Dass dies meist kein Rosinen-Striezel ist, dürfte durchaus bekannt sein, aber immer noch haftet Künstlern und Künstlerinnen das Prädikat privilegiert an, weil die Vorstellung von der wahren Lebenserfüllung der Menschen wohl im Hinterlassen individueller Kreationen liegen dürfte. Von einem diesbezüglichen Kompensationsbedürfnis der „Nicht-Künstler“ zeugen der Hang zum kunsthandwerklichen Hobby oder die Lust am Häuselbauen.

Als Arbeitsstätte der Künstler gilt das Atelier, im Ambiente ärmlich, jedoch charmant, wo man sich nach erfolgter Eingebung tatkräftig ans Werk macht - nicht ohne in und am Raum Spuren zu hinterlassen, wie der Wandel der Bedeutung des Wortes „Atelier“ deutlich macht: Was ursprünglich einen „Haufen von Splittern“ beschrieb, galt später als „Arbeitsraum eines Zimmermanns“, bis es schließlich den „Arbeitsraum eines Künstlers“ bezeichnete.

Aber auch Architekten, die sich als Baukünstler fühlten, stellten ihren Arbeitstisch lieber in einem Atelier als in einem konventionellen Büro auf und konnten mit einigen wenigen technischen Hilfsmitteln wie Reißschienen, Tuschestiften und Tischbeserln saubere Planungen bewerkstelligen, ein Telefon, eine Schreib- und Lichtpausmaschine genügten, um einen seriösen Betrieb aufrechtzuerhalten. Vor ungefähr 15 Jahren setzte allerdings eine Entwicklung ein, die den Charme des weißen Arbeitsmantels und der Radierkrümel auf dem Atelierboden rasch verblassen ließ. Die Computertechnologie hielt Einzug in den kreativen Berufen, und unter der Verheißung von Rationalisierung und völlig neuer Qualitäten im grafischen Bereich wollte keiner den Anschluss verpassen, investierte in ein adäquates Equipment und in die Erlernung von Zeichenprogrammen. Planrollen wurden durch Disketten ersetzt, wo vorher ein Planschrank war, steht nun ein Computerserver.

Die bislang sparsame Büroorganisation begann sich zu verselbstständigen; abgesehen davon, dass das Büro nun clean and proper zu halten war, da Staub das denkbar Schlechteste für die sensiblen elektronischen Geräte ist, musste immer mehr Arbeitszeit dazu verwendet werden, Support-Hotlines, Computerspezialisten und Softwarevertreter zu kontaktieren, welche auch umgehend teuer bezahlt werden wollten. Um diese Kosten wieder hereinzubringen, musste man mehr arbeiten und gleichzeitig die empfohlenen marktstrategischen Maßnahmen setzen, etwa eine Homepage installieren, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Die Kleinunternehmer wurden der neoliberalen Nomenklatur entsprechend in „Ich-AGs“ umbenannt, damit zumindest ein virtuelles Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Segnungen des boomenden Kapitalmarktes aufkommt.

Schließlich war die wachsende Zahl an Kreativarbeitern damit beschäftigt, ihr hart verdientes Geld an die Technologiekonzerne weiterzureichen, deren Aktienwerte in schwindelnde Höhen kletterten. Die Aktien der einzelnen Ich-AGs gingen dabei steil nach unten, denn die Kreativleistung wurde immer billiger, wenn nicht sogar gratis angeboten, um bei der enormen Konkurrenz im Geschäft zu bleiben. Und plötzlich war ein neuer Begriff da, der die Masse der zwar hoch motivierten, aber doch unzufriedenen Freischaffenden neu definieren sollte: Creative Industries war das Zauberwort, in dem das Wesen des Schaffens (lateinisch „creare“) und des Fleißes, der Betriebsamkeit („industria“) subsumiert wurde. Interessanterweise wurde der Begriff Ende der Neunzigerjahre in Großbritannien, dem Land der historischen Industrialisierung, geprägt, als man erkannte, dass in der Umsetzung von guten Ideen ein ungeheures Wirtschaftspotenzial steckt und dass diese Kreativität eher von Kunsthochschul- als von Wirtschaftsuni-Absolventen zu erwarten ist. Pragmatisch gedacht, sollte die Industrialisierung der kreativen Denkarbeit der Wirtschaft in schlechten Zeiten auf die (Umsatz-)Sprünge helfen und die handelnden Personen zu „Kreativarbeitern“ werden lassen.

Mittlerweile ist auch in Österreich der Begriff der Creative Industries etabliert. In einer groß angelegten Studie von Österreichischer Kulturdokumentation, Institut für Wirtschaftsforschung und Mediacult wurde für den Wirtschaftsraum Wien eine Bestandserhebung durchgeführt, die die Arbeitsbedingungen der einzelnen Sektoren wie Architektur, Film, Bildende Kunst, über Grafik, Mode, Design bis zu Musikwirtschaft, Literatur, Multimedia und Werbung erhoben hat und in deren Folge wirtschaftliche Förderprogramme für die Creative Industries etabliert wurden.

Laut Veronika Ratzenböck, einer der Studienautorinnen, ist für die Architektur eine paradoxe Situation ablesbar: Es herrscht Hochkonjunktur zeitgenössisch engagierter Architektur mit ausgezeichnetem internationalem Ruf bei gleichzeitiger Marginalisierung des Berufsstandes. Durch ein rigides Wettbewerbssystem kommen einige wenige etablierte Büros zu lukrativen Bauaufträgen, während die vielen kleinen Büros, um sich zu profilieren, am Rande der Selbstausbeutung operieren und trotzdem wenig Chancen erhalten, den Sprung in die Oberliga zu schaffen. Logische Folge ist, dass viele klassische, idyllische Ateliers „zersplittern“, denn wer seine Tätigkeit von der Finanz nicht länger als Liebhaberei bezeichnet haben, aber trotzdem bauen will, versucht Anschluss an größere Büros zu finden - Büros, wo Computerterminals bereits im Akkord besetzt werden und wo von 8 bis 22 Uhr oft auch am Wochenende gearbeitet wird. Und so schließt sich der Kreis: Die hochqualifizierten Ich-AGs lassen sich - gerne! - als neue Selbstständige übernehmen, um am Baugeschäft, wo viel Geld umgesetzt wird, überhaupt noch teilhaben zu können.

Aber wie meinte schon Andy Warhol, selbst „Kunstarbeiter“ und „Industrieller“ in Personalunion: „Geld verdienen ist Kunst, und Arbeiten ist Kunst, und ein gutes Geschäft ist die beste Kunst.“

Informationen zu Förderungen unter: www.creativeindustries.at

Spectrum, Sa., 2005.04.23

23. Januar 2005Judith Eiblmayr
Spectrum

Mythos, Schiene, Rendite

Ist er denkmalwürdig? Abrissreif? Der Modernisierung im Weg? Ein Gutachten jagt das andere. Bauprojekt Bahnhof Salzburg: Seit fünf Jahren herrscht nur noch Stillstand. Eine offensive Entscheidung ist mehr als überfällig.

Ist er denkmalwürdig? Abrissreif? Der Modernisierung im Weg? Ein Gutachten jagt das andere. Bauprojekt Bahnhof Salzburg: Seit fünf Jahren herrscht nur noch Stillstand. Eine offensive Entscheidung ist mehr als überfällig.

Mythos Salzburg" heißt ein Buch des Historikers Robert Hoffmann, das die Entwicklung von Salzburg als Residenzstadt des Heiligen Römischen Reiches zum weltbekannten Tourismusziel beschreibt. Die Verklärung des Stadtbildes reicht bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück, als die Literaten und Maler der Romantik den Reiz von Salzburg erkannten und in die Welt hinaustrugen. Durch diese Werbung angeregt, strömten bereits im Biedermeier Sommertouristen nach Salzburg und gaben sich dem pittoresken Flair von Architektur hin, eingebettet in Natur und damals schon angereichert mit Mozart-Merchandising. Bei Salzburg wurden historische Bauten und umgebende Landschaft, Klerus und Kultur, Musik und Leitfigur, Society und Süßigkeiten zur mythischen „Schönen Stadt“ aufgemischt.

Der Aufschwung für den echten Massentourismus setzte mit dem Bau der Eisenbahn ein. 1860 wurde Salzburg an das Schienennetz angebunden und der Bahnhof in Anwesenheit von Kaiser Franz Josef und König Maximilian II. von Bayern eröffnet. Die jetzige Westbahn hieß ursprünglich Kaiserin-Elisabeth-Bahn, zu Ehren der in Bayern geborenen Sisi, die gleichzeitig als guter Werbeträger für das neue Verkehrsmittel fungierte. Durch diese Ost-West-, aber auch die Südverbindung Richtung Südtirol und Italien wurde Salzburg als wichtiger Verkehrsknotenpunkt definiert. Das Spezielle am Salzburger Personenbahnhof war seine Funktion als Grenzbahnhof, was durch den Umbau 1907 bis 1909 durch den Architekten Ladislaus Friedrich von Diószeghy evident wurde. Die wichtigsten Neuerungen waren die Errichtung eines Zentralperrons mit überspannender Bahnhofshalle in Stahlkonstruktion. Auf dem 25 Meter breiten Inselperron, der an den Längsseiten von den Gleisen der Fernzüge flankiert wird, an dessen Schmalseiten je zwei Gleise wie in einem Kopfbahnhof enden und der vom Aufnahmegebäude her unterirdisch erschlossen wird, befanden sich jene für den Fernverkehr an einem Grenzübergang notwendigen Räumlichkeiten: die beiden Zollhäuschen, das Restaurationsgebäude mit zwei großen Speise- und zwei kleineren Wartesälen, WCs, Kiosk, Kassen und so weiter. Die Grundrissplanung von 1906 zeugt von hohem logistischem Verständnis bei der Entflechtung von Fahrgastströmen, die durch die Planung eines „Abfahrts- und Ankunftsvestibüls“ mit jeweils eigenen „Personentunnels“ und Stiegen oder separaten „Gepäcks-“ und „Wirtschaftstunnels“ mit der Organisation eines Flughafengebäudes vergleichbar ist, wobei die Funktion des Inselperrons dem Transitbereich entsprechen würde.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof schwer beschädigt. Neben den nötigen Wiederaufbauarbeiten etwa an der Hallenkonstruktion wurde die Neugestaltung des Bahnhofsrestaurants am Zentralperron vorgenommen, der mit aufwendigen Wandtäfelungen aus Adneter Muschelkalk versehen und als „Marmorsaal“ bezeichnet wurde.

So viel zur Historie, nun zur Gegenwart: 1998 wurde der baulich ziemlich heruntergekommene Bahnhof unter Denkmalschutz gestellt, weil es sich laut Denkmalamt um „die letzte erhaltene Eisenbahn-Hallenkonstruktion dieser Art in Österreich“ handelt, „von besonders repräsentativer und benutzerfreundlicher Ausprägung, die auch ästhetisch-architektonische Bedeutung besitzt“. 1999 wurde von den ÖBB ein Wettbewerb für den Neubau des Bahnhofs ausgeschrieben, der diesen Bescheid negierte und Marmorsaal und Überdachung zum planerischen Abriss freigab. Das siegreiche Projekt des Architekten Klaus Kada punktete jedoch mit der Beibehaltung von Zentralperron und Versatzstücken der bestehenden Hallenkonstruktion; Kada erkannte wohl die städtebauliche Qualität dieser Bahnhofsanlage und erweiterte den unterirdischen Zugang zu einem „urbanen Teppich“, der als Geschäftspassage unter dem Bahnhofsgelände den Stadtteil Schallmoos an Bahnhof und Südtiroler Platz anbinden sollte.

Der Blick des Architekten und der Jury, die das Projekt prämierte, hätte den Bauherrn ÖBB animieren können, eine Synthese aus Alt und Neu zu überdenken. Jedoch weit gefehlt, man bemühte sich nun erst recht, durch ein entsprechendes Gutachten des Denkmalbeirates ein Verfahren zur Aufhebung des Denkmalschutzes einzuleiten. Spätestens jetzt waren die sprichwörtlichen schlafenden Hunde in der Salzburger Bevölkerung hellwach und begannen als Bürgerinitiative für die Erhaltung des Bahnhofs, insbesondere des Marmorsaales, der sich in den letzten Jahren als Veranstaltungsort etabliert hatte, zu kämpfen. Nun herrschte Pattstellung: Es wurden Gutachten und Gegengutachten für die Denkmalwürdigkeit eingeholt, die Akte Salzburger Bahnhof wurde zur Chefsache im Bundesdenkmalamt, das Büro Kada entwickelte unzählige Planungsvarianten, und die ÖBB hatten es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, den Bahnhof zu bauen. Seit fünf Jahren ist nichts weitergegangen, mittlerweile ist ein Baubeginn für das Jahr 2009 avisiert.

Zur Verteidigung der ÖBB sei erwähnt, dass der Bahnhof nur ein Teilbereich des Investitionsprojektes im Land Salzburg ist, wo zurzeit an einem modernen Regionalbahnnetz gebaut wird, das in Salzburg Stadt zusammenlaufen wird. Vielleicht kam da eine Grundsatzdiskussion gar nicht so ungelegen, um beim Prestigeprojekt eines ehemaligen ÖBB-Generaldirektors, Helmut Draxlers Bahnhofsoffensive, ein wenig die finanzielle Notbremse zu ziehen. Jedenfalls gibt es keine triftigen Gründe seitens der ÖBB, warum das vorhandene Ambiente weg müsse, kein Fachgutachten, das etwa besagt, dass neue, superschnelle ICE-Züge die Stahlkonstruktion gefährden könnten. Eine seriöse Diskussion, die das Abwägen der öffentlichen Interessen - moderne Infrastruktur für ein perfektes Kundenservice versus Bewahrung von Baukultur - ermöglichen würde, könnte schnell zu einer konstruktiven Lösung führen. Aber so hegt man den Verdacht, dass ein bebauter Mittelperron den ÖBB einfach „nichts bringt“ beziehungsweise seine Schleifung durch die hier eingesparte Breite am Rand des ÖBB-Grundstückes durch Verbauung eine Rendite abwerfen könnte - fernab eines argumentierbaren öffentlichen Interesses.

Dass Salzburg kein Grenzbahnhof mehr ist und die Bausubstanz bahntechnisch überholt, mag stimmen. Dass ein Baudenkmal aber die Funktion hat, auf vergangene Aspekte unserer Kultur zu verweisen und einen Ort als historisch interessant zu definieren, sollte Grund genug sein, es nicht leichtfertig abzureißen. Nichts gegen ein nagelneues, EU-konformes Stück qualitätsvoller Bahnhofsarchitektur, aber vielleicht könnte ja der alte Bahnhof mit seiner ungewöhnlichen Strukturierung Zeugnis davon ablegen, dass beim Verkauf des Mythos Salzburg seit je gezielt nachgeholfen wurde und den Touristen ein besonderes Erlebnis bei An- und Abreise geboten werden sollte. Jedenfalls stünde der „Schönen Stadt“ eine offensive Entscheidungsfindung für einen schönen Bahnhof zu. Bevölkerung, Touristen und der Architekt hoffen, dass dieser Zug nicht endgültig abgefahren ist!

Spectrum, So., 2005.01.23



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Hauptbahnhof Salzburg

20. November 2004Judith Eiblmayr
Spectrum

Facelifting mit Ratio

Die Fassade, die Ortner & Ortner dem Neuen Institutsgebäude in Wien jüngst verpasst haben, verleiht der Wissenschaft einen würdigen Rahmen. Das wirkliche Problem, das Innere des Gebäudes, bleibt indes ungelöst.

Die Fassade, die Ortner & Ortner dem Neuen Institutsgebäude in Wien jüngst verpasst haben, verleiht der Wissenschaft einen würdigen Rahmen. Das wirkliche Problem, das Innere des Gebäudes, bleibt indes ungelöst.

Seit dem neuen Studienjahr finden sich die österreichischen Universitäten oft in den Medien, jedoch durchwegs mit Negativschlagzeilen. So hat sich Bildungsministerin Elisabeth Gehrer die Reaktion auf ihr „Bekenntnis zu einem differenzierten Bildungssystem, das die Jugendlichen zu kritischen, mündigen, verantwortungsvollen Bürgern erzieht“, wohl nicht vorgestellt, richtet sich die juvenile Kritikfähigkeit doch in erster Linie gegen sie selbst. Die Proteste der mündigen Studierenden und verantwortungsvollen Lehrpersonen gegen die Autonomisierung der Universitäten halten an, ihrem Dafürhalten nach scheint der zuständigen Ministerin, deren berufliche Praxis im Bildungsbereich sich auf fünf Jahre Lehrtätigkeit in Landvolksschulen beschränkt, das Verständnis für die Komplexität des universitären Betriebs zu fehlen. Gehrer proklamiert zwar Weltklasseniveau für die österreichischen Universitäten, stellt jedoch der Lehre die notwendigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung, um einen effizienten Studienbetrieb aufrechterhalten zu können.

In diesem Artikel allerdings soll die Uni Wien nicht als Subjekt, sondern als Objekt beschrieben werden, und zwar mit dem Neuen Institutsgebäude, vulgo NIG, das sich durch eine frische Fassade plötzlich mit einem neuen Selbstverständnis im Stadtbild präsentiert.

Eine der wenigen Agenden, um die sich die Universitäten beziehungsweise das zuständige Ministerium nicht mehr selber kümmern müssen, ist die Verwaltung ihrer Gebäude. Die Auslagerung der Verwaltung aller Bundesgebäude in die Bundesimmobiliengesellschaft 1992 machte die Fakultäten zu Mietern und entließ sie aus der Verantwortung für die Erhaltung der Bausubstanz. Ein diesbezüglicher Problemfall war das in den frühen Sechzigerjahren errichtete Neue Institutsgebäude in der Universitätsstraße, das nicht nur durch jahrelange offensichtliche Baufälligkeit und zunehmende Verslumung im Eingangsbereich, sondern durch eine originär schlechte Architektur einen speziellen Ostblock-Charme verbreitete.

Im ursprünglichen Wettbewerbsentwurf aus dem Jahr 1951 der Wiener Architekten Alfred Dreier und Otto Nobis als neue Universitätsbibliothek geplant, war ein differenzierter, für Wiener Verhältnisse durchaus moderner Gestus nachvollziehbar, mit der seinerzeit auf Druck der Philosophischen Fakultät ebenfalls durch Dreier und Nobis vorgenommenen Umplanung auf ein Institutsgebäude blieb jedoch von den gestalterischen Ansätzen des Bibliotheksbaus wenig übrig. Realisiert wurde 1960 bis 1962 schließlich ein vom Gedanken maximaler Kubaturausnutzung getragener Bürobau, der jeglichen räumlichen Repräsentationsanspruch, der einem Universitätsgebäude durchaus zugestanden wäre, vermissen ließ.

Nachdem im Laufe der Jahre einerseits die Parapetverkleidungen zu bröckeln begannen und andrerseits eine thermische Instandsetzung notwendig wurde, um Energie zu sparen, entschloss sich die Bundesimmobiliengesellschaft im Jahr 2001 zu einer Generalsanierung der Fassade. Die Auffrischung des Gebäudeinneren war wohl kein Thema, denn während sich die äußere Hülle mittlerweile zeitgemäß und nobel präsentiert, blieb gleich hinter dem Windfang alles beim Alten, die Assoziation, dass dies der Ort des geisteswissenschaftlichen Zentrums Österreichs sei, fällt schwer.

Aber zumindest in der äußeren Form hat es das international tätige österreichische Architekturbüro von Laurids und Manfred Ortner mit seinem Entwurf geschafft, dem Gebäude eine entsprechende Würde zu verleihen, indem die Fassade in jeder Hinsicht rational zurechtgerückt wurde. Ortner & Ortner beschränkten sich nicht darauf, neues Steinmaterial, neue Fenster und technische Aufbauten zur Wärmedämmung zu versetzen, sondern versuchten auch die Proportion des ganzen Baukörpers über die Fassadenzeichnung zu verändern, um den Block mit seinem geglätteten Äußeren wieder als solchen erkennbar zu machen und in den städtebaulichen Kontext des umgebenden Rasters der Ringstraßenbebauung zu integrieren.

Ganz wichtig dabei ist, dass nun eine zweigeschoßige Sockelzone ablesbar ist, indem die Loggia beim Haupteingang einerseits durch stärkere Stützen gewichtiger wurde und - wie auch die hohen Fensteröffnungen an den Seitenfronten - mit den darüber liegenden Fenstern im Querformat zusammengezogen wurden. Die restlichen fünf Geschoße sind je Seite in einem unaufgeregt gestalteten Feld aus Stein- und Fensterflächen zusammengefasst. Der Architekturkritiker Friedrich Achleitner hat in einem Artikel über das NIG im Jahr 1961 gegen die „mächtigen Stein- (richtiger: Schein-)Gewände“ gewettert, die in Form von 40 Zentimeter tiefen Hohlprofilen aus Kunststein als mächtige Lisenen über die ganze Fassade gezogen wurden und, so Achleitner, „keine andere Funktion hatten, als dem Gebäude jene würdige Vertikalgliederung zu geben, die seit Hitler und Stalin auf das Volk erhebend wirkt“.

All dieser „modernistische“ Zierrat ist nun weg und einer rationalistischen Architektur gewichen, die sich als hellbeige, poröse und dadurch weich wirkende Schale aus Riolit, einem Tuffgestein, präsentiert und durch dunkelgraue Fensterprofile konterkariert wird. Die Fenster sind übereinander in der Achse unregelmäßig versetzt, was der Fassade die Strenge nimmt, auch die Loggienverglasungen, die nach einem Entwurf der Künstlerin Eva Schlegl bedruckt sind, schaffen eine spielerische vertikale Gliederung des kubischen Baukörpers. Innerhalb der Tuffschale liegt, metaphorisch betont, der harte Kern, indem die Innenseite der Eingangsarkade und der Windfang mit schwarzem Glas verkleidet wurden.

Die gestalterisch wirklich „harte Nuss“ ist allerdings das Innere des Gebäudes selbst; Das Verslumungsproblem wurde laut einer NIG-Nutzerin eher internalisiert als gelöst - die Sandler liegen jetzt halt drinnen und nicht mehr vor der Tür -, Hörsäle, Institutsräumlichkeiten und Toiletten sind in höchst sanierungsbedürftigem Zustand, und die Fassade zum Innenhof könnte ebenfalls 20 Zentimeter Wärmedämmung vertragen. Das „Facelifting“, das die Architekten Ortner & Ortner dem Neuen Institutsgebäude verpasst haben, bildet für die Geisteswissenschaften einen würdigen rationalistischen Rahmen - zumindest nach außen hin. Die Ratio sagt einem aber auch, dass Wissenschaftler eine würdige Struktur benötigen, um Großes leisten zu können, nämlich ausreichend Geld und adäquate Arbeitsräume. Lässt sich vielleicht auch der architektonische Erfolg an der Außenseite internalisieren?

Spectrum, Sa., 2004.11.20



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Neues Institutsgebäude - Fassade

04. September 2004Judith Eiblmayr
Spectrum

Garteln, wandeln, blicken

Eine Gebühr für Parkbesucher? Undenkbar. Und Events wird sie nur zulassen, wenn sie den Gärten gut tun. Wider den Verwertungswahn bei öffentlichem Gut: Brigitte Mang, Direktorin der österreichischen Bundesgärten.

Eine Gebühr für Parkbesucher? Undenkbar. Und Events wird sie nur zulassen, wenn sie den Gärten gut tun. Wider den Verwertungswahn bei öffentlichem Gut: Brigitte Mang, Direktorin der österreichischen Bundesgärten.

Gartengestaltung ist zu einem Begriff geworden, der mittlerweile für die Menschen einen genauso hohen Identifikationswert wie Haus-Bauen bietet. Sei es, dass man professionell durch Gärtner gestalten und pflegen lässt oder dass man selbst zu Gartenschere und spitzem Schauferl greift, ein gepflegter Garten bereitet seiner Besitzerin mindestens so viel Freude, wie ein schönes Haus den Hausherrn stolz sein lässt.

Dass das Bedürfnis nach dem „Garteln“ ähnlich groß sein dürfte wie die Bastelleidenschaft, zeigt sich an der Peripherie, wo die Gartenabteilung bald den eigentlichen Baumarkt überwuchert haben wird und wo spezielle Pflanzen-Supermärkte - um bei der metaphorischen Sprache zu bleiben - wie die Schwammerl aus dem Boden schießen. Hier ist ein neuer, prinzipiell sympathischer Markt entstanden, denn letztendlich kommt es uns allen zugute, wenn durch eine vielfältige Bepflanzung unsere Atemluft angereichert und Lebensraum in der Natur kultiviert wird. Zumal die Versuchung der kommerziellen Verwertung des als Fläche gewidmeten Grüns, das, wenn schon nicht verbaut, so wenigstens unterbaut werden soll, immer größer wird. Die Gemeinde Wien hat bekanntlich diesbezüglich keinen „Genierer“ und räumt die Grünräume zusehends ab, um Garagenraum zu schaffen.

Auch der Staat Österreich nennt einige große Gartenanlagen sein Eigen und betreibt die Hege und Pflege derselben in augenscheinlich vorbildlicher Weise. Es sind dies durchwegs historische Gärten, die in einem imperialen architektonischen Kontext errichtet wurden und spätestens seit 1918 zur Nutzung geöffnet sind, in Wien der Schönbrunner Schlosspark, Augarten, Burggarten und Volksgarten und der Schlossgarten Belvedere, in Innsbruck der Hofgarten und der Park bei Schloss Ambras.

Seit März dieses Jahres werden die sieben österreichischen Bundesgärten von einer Direktorin verwaltet, die durch ihre Ausbildung und ihren beruflichen Werdegang als Idealkandidatin bezeichnet werden kann. Brigitte Mang ist Landschaftsarchitektin mit Spezialisierung auf Gartendenkmalpflege und hat bereits seit 14 Jahren die laufende Sanierung und Erneuerung des Schlossparks Schönbrunn betreut.

Für die Tochter des bekannten Wiener Architektenpaares Eva und Karl Mang war das Architekturstudium an der Technischen Universität in Wien nahe liegend, aber im Laufe des Studiums erkannte sie, dass ihr Interesse eher dem gewachsenen Außenraum als dem umbauten Innenraum galt. Der Grünraum kann aus der Starre, die allem Gebauten anhaftet, gelöst werden, durch Wind und Wetter und den Farb- und Stimmungswechsel im Laufe der Jahreszeiten. Das Thema ihrer Diplomarbeit war ein gartenspezifisches, was sie für die Lehrtätigkeit als Assistentin in Wien am Institut für Landschaftsplanung und Gartenkunst qualifizierte. Gleichzeitig führte sie ein eigenes Büro als Landschaftsarchitektin, wo sie sowohl planerisch wie auch theoretisch arbeitete, wobei ihr der Auftrag für die parkpflegerische Betreuung von Schönbrunn die Möglichkeit zur Profilierung bot.

Als die Nachbesetzung des Direktorpostens der Bundesgärten ausgeschrieben wurde, bot sich ihr eine spannende berufliche Perspektive. Brigitte Mang erhielt den Posten als erste Frau nach 22 Männern - nicht, weil sie eine Spezialistin für Gartenarbeit und Botanik ist, sondern weil sie als Architektin über die räumlichen Strukturen historischer Parks und deren mögliche Bespielung Bescheid weiß. Die strenge Regelmäßigkeit barocker Gärten war per se ein Thema der Architektur, diente sie doch primär dazu, den Umraum eines Schlosses weithin abzustecken und den Bau selbst in seiner Pracht optisch aufzuwerten. In diesen „architektonischen“ Gartenanlagen wurden gewachsene Einzelelemente, also Bäume und Hecken, nur gepflanzt und getrimmt, um den Lustwandlern den Weg zu weisen und eindrucksvolle Blickoptionen auf das Gebäude des Herrschers zu gewähren.

Während sich etwa die Prunkräume im Schloss Schönbrunn dem Betrachter meist additiv erschließen, ist der Schlosspark räumlich zentralistisch organisiert: Übergeordnet bildet in dieser rein absolutistischen Anlage das Schloss den Mittelpunkt, sekundär gibt es jedoch eine Reihe von „Subzentren“, die in romantisierender Weise ikonografische Hinweise auf den bis in die Antike zurückreichenden Machtanspruch der Habsburger geben sollten. Inmitten der konzentrisch zusammenführenden Wege wurden Brunnen gesetzt; durch verschiedene gebaute Objekte wie die Kaskade, einen Obelisken, die Römische Ruine oder die Gloriette versuchte man spannende räumliche Szenerien zu schaffen. Die Bäume und Sträucher selbst wurden nicht nur als raumbildende, sondern gezielt als plastische Elemente eingesetzt, indem sie, auf die Form von Kegeln, Zylindern oder Kugeln zurechtgestutzt, auf Freiflächen gesetzt wurden. Interessante Details dieser Frühform von Erlebnisarchitektur sind der Irrgarten, der den irrationalen Kontrapunkt im sonst so klar abgezirkelten barocken Park bilden sollte, aber auch die Menagerie und der Botanische Garten, die im Sinne eines Bildungsauftrags bereits im 18. Jahrhundert kostenlos zugänglich gemacht wurden.

Der Augarten wird ebenfalls von massiv Gebautem dominiert, aber weniger vom fürstlichen Barock des Palais, mit dem der Park nur indirekt in Zusammenhang steht, als vom äußerlich zerbröselnden Stahlbeton der zwei Flaktürme aus dem Zweiten Weltkrieg. Selbst unsprengbar, sprengen sie den eigentlichen Maßstab des barocken Lustgartens, sind aber andrerseits nicht „wegdenkbar“ und daher als integraler Bestandteil des Augartens akzeptiert.

Brigitte Mang möchte die historischen Gärten im denkmalpflegerischen Sinn erhalten, Bereiche jedoch, wo kein Altbestand vorhanden ist, sollen von Fachleuten neu gestaltet werden. Ebenso sollen sanierungsbedürftige Einbauten wie Pavillons neu errichtet werden und als zeitgemäße Ergänzung aus der Hand erfahrener Architekten auch klar erkennbar sein. Eine Absage erteilt sie dem Verwertungswahn beim öffentlichen Gut. Events wird sie nur zulassen, wo sie den Gärten gut tun, ebenso undenkbar ist eine Gebühr für Parkbesucher. Der Augarten, den sie mit seinen momentan bunt gemischten Blumenparterren als ihr Lieblingsbeispiel für ein gelungenes Ambiente in einem barocken Park anführt, hat Josef II. bereits 1775 für die Allgemeinheit zugänglich gemacht. Diesem kommunalen Auftrag fühlt sie sich verpflichtet und freut sich, wenn „ihre“ Gärtner und Gärtnerinnen den Park für die Stadtmenschen gestalten und mit blühendem Leben erfüllen.

Spectrum, Sa., 2004.09.04

24. April 2004Judith Eiblmayr
Spectrum

Stadt der kurzen Wege

Zwölf Bauträger und 19 Architekten sind dabei, nach einem Masterplan von Roland Rainer eine Umweltmusterstadt südöstlich von Linz zu errichten. Die erste Ausbaustufe der „Solar City“: hohe Qualität ohne ostentativen Öko-Touch.

Zwölf Bauträger und 19 Architekten sind dabei, nach einem Masterplan von Roland Rainer eine Umweltmusterstadt südöstlich von Linz zu errichten. Die erste Ausbaustufe der „Solar City“: hohe Qualität ohne ostentativen Öko-Touch.

Die Geschichte der „Solar City“ in Linz-Pichling reicht bis Anfang der Neunzigerjahre zurück, als die Linzer Stadtregierung den Entschluss zu einem ehrgeizigen Stadterweiterungsprojekt fasste, um sich 1200 Wohnungsuchender konzeptionell anzunehmen. Linz hatte sich in diesen Jahren zu einem der größten Wirtschaftsräume Österreichs entwickelt, und bei 120.000 Arbeitsplätzen im städtischen Großraum war und ist der Zuzug beträchtlich.

Als Zielgebiet der Stadterweiterung für bis zu 20.000 Einwohner stand eine Gegend im Südosten der Stadt zur Disposition, in relativer Nähe zu den großen Industriebetrieben. Da die Gründe entsprechend billig gewesen waren, hatten sich zwischen den Ortschaften Ebelsberg und Pichling eher unzusammenhängend Einfamilienhäuser aneinander gereiht, und das restliche Grünland konnte von der Stadt zu günstigen Konditionen erworben werden. Ein infrastruktureller Vorteil des Gebiets war, dass eine Straßenbahnlinie leicht dorthin verlängert werden konnte und dass mit den Traun- und
Donauauen und mit zwei Badeseen ein unmittelbarer Erholungsbereich vorhanden war. Um die negativen Konnotationen von Linz als Industriestadt endgültig abzuschütteln, entschloss man sich, ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Konzept zu propagieren und „Linz neu“ als Umweltmusterstadt zu positionieren.

Die Linzer Stadtgemeinde beauftragte den kürzlich verstorbenen Roland Rainer mit der Erstellung eines städtebaulichen Konzepts, das im Sinne des Bandstadtgedankens den „Seenbezirk Pichling“ generierte, einen neuen Stadtbezirk mit umfassender Infrastruktur, der sich entlang der verlängerten Straßenbahnlinie in mehrere Teilbereiche beziehungsweise Bauabschnitte gliederte. Um die Fehler einer monokulturellen Bebauung als „Schlafstadt“ zu vermeiden, war in Rainers Konzept neben allen notwendigen Dienstleistungssektoren auch ein Gewerbegebiet integriert, die Wohnhäuser selbst waren wieder in einer Gartenstadtstruktur angelegt. Allerdings sollte das neue Zentrum sowohl infrastrukturell als auch sozial die Urbanisierung der ganzen Gegend bewirken; dazu bedurfte es eines verstärkt städtischen Charakters.

Da auch die Nachhaltigkeit beim Bauen tiefer gehend verdeutlicht werden sollte, bewarb man sich um eine EU-Förderung durch den APAS-Fonds für erneuerbare Energie und stellte über Thomas Herzog den Kontakt zur READ-Gruppe her: Norman Foster, Richard Rogers, Renzo Piano und Herzog selbst hatten unter Beiziehung des Energietechnikplaners Norbert Kaiser das Team für „Renewable Energies in Architecture and Design - READ“ gegründet, um einen hohen architektonischen Anspruch bei Niedrigenergiebauweise umzusetzen. Die Brüsseler Forschungsgelder wurden bewilligt, und die READ-Gruppe machte sich an die Arbeit. Das Konzept für Pichling sah eine Gliederung des ersten Bauabschnitts in Geschoßwohnbauten vor, wobei auf die Minimierung des Heizenergiebedarfs durch den Einsatz entsprechender Baustoffe, aber vor allem auf die aktive und passive Nutzung von Solarenergie gesetzt werden sollte. Diese ersten 750 Wohnungen wurden auf Basis von Rainers Masterplan in Zeilenform um ein Ortszentrum (Auer, Weber & Partner) gruppiert, wo alle wichtigen Geschäfte, sozialen Einrichtungen und die Straßenbahn-Haltestelle zusammengefasst wurden.

Um dieses Kerngebiet wurde in einer zweiten Bauphase mit weiteren 750 Wohnungen nach dem städtebaulichen Konzept des Wiener Architekten Martin Treberspurg konzentrisch weitergeplant. Es sollte eine begrünte, weithin autofreie „Stadt der kurzen Wege“ werden, die gerne zu Fuß oder mit dem Rad durchquert wird und somit urbanes Leben entstehen lässt. Der publicityträchtige Name „Solar City“ sollte durchaus den Modellcharakter des Projekts für den gesamten EU-Raum unterstreichen.

Die bauliche Umsetzung, eingebettet in ein separat beauftragtes Freiraumkonzept (Atelier Dreiseitl), das den ungezwungenen Übergang in die umgebende Natur schafft, ist den zwölf Bauträgern und ihren 19 Architekten ohne Zweifel gut gelungen und hat eine sehr hohe Architekturqualität ohne ostentativen Öko-Touch gebracht. Ein Teil von Treberspurgs Wohnungen wurde als die erste Passivhausanlage mit kontrollierter Be- und Entlüftung im genossenschaftlichen Wohnbau in Österreich realisiert, bei einem anderen Bauteil mit zirka 100 Wohnungen und der Schule versuchte man bei der Abwasserbeseitigung neue, ökologische Wege zu gehen. Offensichtlich bedeutete der Begriff Solararchitektur einen großen Interpretationsspielraum für die Errichter, und es gab kein ideologisches Ökokonzept. Vielmehr schien das Thema Sonne ein ideal marketingkompatibles zu sein: Es stellte zwar eine gewisse Herausforderung für die Wohnbaugenossenschaften dar und zeigte Richtlinien in erster Linie für wärmedämmendes Bauen auf, tat aber letztendlich niemandem wirklich weh.

Die Fokussierung der öffentlichen Hand auf eine perfekte Infrastruktur im Zentrum des neuen Stadtteils war sicher der wichtigste Aspekt, um die Tauglichkeit des Konzepts zu gewährleisten, denn das „Versorgtsein“ am Wohnort - von Lebensmitteln über Eltern-Kind-Beratung und Arztpraxis bis zur wilden Naturlandschaft in der benachbarten Au - schafft Identifikation und ist Garant dafür, dass die Anrainer ihr Umfeld beleben und auch darauf schauen - im doppelten Sinn des Wortes. Nur unter diesem Gesichtspunkt ergibt jene Passage in der Presseaussendung Sinn, die die „Aussicht auf besonnte Flächen“ und das „Sonnenbaden“ als spezielle Pluspunkte der „Solar City“ auflistet. Der Liegestuhl auf dem eigenen Balkon hat seit der Moderne als Qualitätsfaktor beim Wohnen durchaus seine Berechtigung, ob man dies allerdings als „Nutzung von Solarenergie“ beim Bauen durchgehen lassen kann, sei dahingestellt. Die durchschnittliche Anzahl von Sonnentagen pro Jahr im Raum Linz erfährt man übrigens leider nicht.

Der Einsatz, den die Stadt Linz - auch finanzieller Natur - bei diesem Projekt leistete, ist durchaus beachtlich, und man fragt sich nun - siehe oben -, kurz vor Fertigstellung der ersten Ausbaustufe, ob nicht viele der hehren Wünsche aus den Werbe- und Informationstexten mehr der Imagebildung dienten, als sie in die Realität umgesetzt werden konnten.

Diesen Vorbehalten könnte sehr leicht begegnet werden, wenn das Projekt auf verschiedenen Ebenen wissenschaftlich begleitet würde: von Analysen bezüglich Schadstoffgehalt in Luft und Boden - südöstlich der VOEST - über den wahren Energieverbrauch bis zur tatsächlichen - konzeptionell erwünschten - Durchmischung der Bevölkerungsstruktur. Und es müsste beobachtet werden, ob der Umgang der Bewohner mit der Natur sensibler ist als bei einer Vergleichsgruppe in einer herkömmlichen Siedlung. Wenn dies in fünf oder zehn Jahren bewiesen ist, dann wäre aus dem Musterprojekt „Solar City“ eine Erfolgsgeschichte geworden, die Vorbildcharakter für den dicht besiedelten europäischen Raum hätte. Diese Evaluierung sollte man nicht scheuen, um die versprochene Nachhaltigkeit auch beweisen zu können.

Spectrum, Sa., 2004.04.24



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solarCity

14. Februar 2004Judith Eiblmayr
Spectrum

Venus oder Eisenguss

Museen verstehen sich als Spiegel der Kultur. Die virtuelle Schausammlung „muSIEum“ neigt diesen Spiegel so weit, dass er auch die toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht ermöglicht.

Museen verstehen sich als Spiegel der Kultur. Die virtuelle Schausammlung „muSIEum“ neigt diesen Spiegel so weit, dass er auch die toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht ermöglicht.

Will man sich einen Überblick über die aktuelle Kultur des Landes in Politik, Gesellschaft und Kunst verschaffen, so bedient man sich heutzutage praktischerweise der Massenmedien. Man kann wählen zwischen Radio- und Fernsehprogrammen, Tageszeitungen und Wochenmagazinen, online-Diensten am Computer oder Info-screens im öffentlichen Raum. Davon halten sich im persönlichen Archiv außer manchmal bleibenden Eindrücken für Auge oder Ohr ein paar Videoaufzeichnungen, Ausdrucke von Downloads und einzelne Artikel bzw. gesammelte Ausgaben von Zeitschriften. Somit meint man sich einen Querschnitt des Alltagsgeschehens verschafft zu haben, der später der Retrospektive dienlich sein könnte, immerhin sind historische Zeitungsartikel ein wichtiger Bestandteil der Grundlagenforschung.

Beschäftigt man sich allerdings eingehender mit der Semantik und der Bildsprache zum Beispiel von Printmedien und überprüft diese auf ihren Realitätsbezug und effektive Nachhaltigkeit, gelangt man zu interessanten An- und Einsichten. Man geht davon aus, dass es in der Berichterstattung des „unabhängigen Nachrichtenmagazins Österreichs“ (Eigendefinition) um eine breite Fächerung der Themen und um die Bestandsaufnahme und kritische Reflexion der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gehen soll. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Magazin, das einmal als Medium des investigativen Journalismus gegolten hat, politisch auf Regierungslinie ist, dass Luxus ein angesagtes Thema ist und in einer als Extrabeilage getarnten Werbebroschüre präsentiert wird und, dass sich die Rubrik Gesellschaft weniger einem soziologischen Ansatz verpflichtet fühlt, als eher jenem, der die Bedeutung des Begriffs als geselliges Beisammensein bzw. Verbreitung von Klatsch und Tratsch auslegt.

Wenn nun also in zwanzig Jahren eine dann 20-jährige Person dieses Heft („profil“ 48/03, „Jagd auf die Raucher“ ) in einem Archiv finden wird, um einen ersten „unabhängigen“ Eindruck vom jahr 2003 zu erhalten, wird sie sich denken, so schlecht können die Zeiten nicht gewesen sein; Die Regierung und deren vertraute Generaldirektoren und Topmanager saßen offensichtlich fest im Sattel, die Opposition hatte nichts zu melden, da sie im Heft nicht vorkommt und „Geiz war geisteskrank“ und jeder selber schuld, der sich keinen Porsche kaufte. Rauchen war sexy, wie das Cover-Girl suggeriert und à propos geisteskrank: Die junge Frau wird feststellen, dass unter den Gesellschaftsredakteuren Geschmacklosigkeit verbreitet gewesen sein dürfte, wenn unter dem Titel „Top Ten - Stichwort Herbstdepression“ ein unkommentiertes Ranking der Selbstmordraten in Europa gebracht wurde.

Und dann wir sie auch noch feststellen, dass in dieser profilierten Darstellung der österreichischen Gesellschaft Frauen nicht viel zu melden hatten, obwohl sie weiß, dass die meisten Frauen der Müttergeneration gute Ausbildungen abgeschlossen hatten und genauso in qualifizierten Berufen tätig waren wie die gleichaltrigen Männer. Komisch. Die thematisierten Geschichten handeln fast ausschließlich von Männern und von 300 Fotos sind 235 mal Männer abgebildet und nur 65 mal Frauen. Das entspricht einem Prozentsatz von 22% an Darstellungsraum, der Frauen in einem österreichischen Nachrichtenmagazin am Beginn des 21. Jahrhunderts zur Verfügung gestellt wurde. Nachdem das Blatt als seriös galt, ja sogar einmal den Ruf als Organ des investigativen Journalismus innegehabt hatte und eine erklärte Feministin als Redakteurin beschäftigt, wird es wohl so sein, dass es damals einfach nicht genug Frauen gab oder diese eben nicht gut genug waren, um repräsentiert zu werden. Die Bilderauswertung liefert den suggestiven Beweis.

An diesem Beispiel ist ablesbar, wie nach wie vor ein am männlichen Blick orientiertes kulturgeschichtliches Bild konstruiert wird, indem das was Frauen tun oder sagen als weniger darstellungswürdig erachtet wird – selbst wenn sie dasselbe tun wie ihre männlichen Kollegen. Bildung und berufliche Qualifikation garantieren Frauen noch lange nicht das Recht auf Abbildung in öffentlichkeitswirksamen Medien.

Dieses Phänomen der einseitig gelagerten Geschichtsschreibung versucht nun eine Ausstellung zu thematisieren, indem Museumsgut, das ja gemeinhin als unser kulturelles Erbe angesehen wird, auf seine gesamtgesellschaftliche Relevanz hin untersucht wird. Im Auftrag des Wiener Frauenbüros versuchen Elke Krasny, Kulturtheoretikerin und Ausstellungskuratorin, und Nike Glaser-Wieninger, medienkonzeptionistin mit Schwerpunkt Medienstrategien für Ausstellungen, mit dem Projekt „muSIEum – displaying: gender“ vorhandene Exponate aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten und einen anderen begleitenden „Kon-Text“ zu liefern. Sie haben in vier Wiener kulturhistorisch orientierten Institutionen nach Artefakten und Bildern geforscht, die eine neue Lesart zuließen und über welche Zusatzinformationen möglich oder notwendig waren. Das Wien Museum, das Jüdische Museum der Stadt Wien, das Technische Museum und das Österreichische Museum für Volkskunde dienten als Betätigungsfelder um zu ausgewählten Objekten Geschichten zu erzählen, die dem männlichen Blick verborgen geblieben sind. Der Spiegel der Kultur, als den sich Museen in ihrer Programmatik verstehen, sollte soweit geneigt werden, dass er auch die bislang toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht möglich macht.

Bei einem Ölgemälde von Angelika Kauffmann beispielsweise, das im Wien Museum hängt und „Josef Johann Graf Fries“ (1787) zeigt, wird der Abgebildete im Begleittext als kunstsinniger Adeliger beschrieben, über die Künstlerin selbst erfahren interessierte Museumsbesucher und -besucherinnen nichts. Da es durchaus üblich ist, Informationen über den Werdegang der Künstler zu liefern, ist es in diesem Fall speziell wichtig die Bedeutung einer der ganz wenigen Künstlerinnen im 18. Jahrhundert zu würdigen. Krasny und Glaser-Wieninger holen dies unter dem Titel „Die Kosmopolitin“ nach und man erfährt unter anderem, dass Angelika Kauffmann (1741-1807) im Jahre1768 Gründungsmitglied der Royal Academy in London war.

Venus ist als die Göttin der Schönheit wahrscheinlich einem Großteil der Museumsbesucher ein Begriff, trotzdem mutet es eigenartig an, wenn sich am Sockel einer Venus-Plastik von 1839 lediglich die Inschrift „Kunsteisenguss“ findet. Zugegeben, diese Venus steht – gleich neben Apoll – im Technischen Museum, Bereich Schwerindustrie, dient lediglich als Demonstrationsobjekt des benannten Herstellungsverfahrens und man hätte genausogut eine Straßenlaterne hinstellen können. Genau das ist aber die spannende Frage, nämlich warum Venus und nicht Laterne, wo es doch vordergründig nur um nüchterne Materialität geht? Aus der Beschreibung im muSIEum lernen wir, dass es dafür – abgesehen von der ansprechenderen Figuralität – eine metaphorische Begründung gibt: die römische Venus war angelehnt an die Gestalt der griechischen Göttin Aphrodite, die wiederum die Frau des Hephaistos war, des Gottes des Feuers, der Schmiede und der Handwerker. Diese kleine Geschichte ist wohl um einiges lehrreicher als der Anblick von nacktem Metall.

Ähnlich interessant sind die Objekte, die der Veranschaulichung der Kunststoffgruppe Polyvinylchlorid dienen: Nachdem wir dem Lexikon entnehmen, dass dieses Material zur Herstellung von Folien, Rohren, Schläuchen, Kabelmassen, Kunstleder oder Bodenbelägen verwendet wird, können wir uns im Technischen Museum hingegen an etwas Ansehnlicherem, nämlich an 14 Barbiepuppen, ergötzen, die schnöde mit „PVC“ betitelt sind. Man sieht also die außergewöhnliche Puppe – der begriff darf ruhig zweideutig verstanden werden -, die nur aufrecht stehen kann, wenn sie sich auf ihre Stöckelschuhe oder auf Kens starke Schulter stützt, weiß nun, dass sie aus PVC (übrigens unter Zusatz großer Mengen an Weichmachern) gefertigt ist – die Geschichte dieses Kult- und Hassobjekts amerikanischer Nachkriegskultur erschließt sich allerdings erst im „muSIEum“.
Das Spezielle am „muSIEum“ ist, dass es via internet begehbar ist, das Ticket www.muSIEum.at verschafft einem direkt am Computer Eintritt, das Displaying erfolgt am Bildschirm. Es ist ein ganz neuer medialer Zugang zur Institution Museum, wenn real existierende Objekte in den virtuellen Raum geholt, visualisiert und neu kontextualisiert werden. Grafisch um eine mittiges Auge gruppiert, sind dreizehn Stichworte als Übersicht angelegt. Per Mausklick eröffnet sich jeweils ein wiederum kreisförmiger Themenraum, der bequem durchwandert werden kann, da das Verweilen vor den Kunstwerken und das Lesen der Bildtexte entspannt am Sessel sitzend erfolgt. Da der Weg durch die Ausstellung keinem linearen Wegenetz folgen muss, kann einem individuellen Assoziationsmuster entsprechend wie in einem Katalog zwischen den Objekten hin und her geblättert werden, weiterführende Texte wie über die Mechanismen der Verfügungsmacht über museale Repräsentation oder Audiofiles bieten theoretische Sekundärinformation. Gleichzeitig bedeutet das Durchschreiten von „Wissensräumen“ (Krasny) im Internet keine Konkurrenz für die Museen, da es eher die Neugier anregt, die realen Räume aufzusuchen, die Objekte in natura zu betrachten und die Begleittexte zu vergleichen.

Es geht den Kuratorinnen bei ihrem konzeptionellen Ansatz nicht um die Darstellung einer „besseren“ Frauenwelt, um ein Ausspielen von „boys toys“ gegen „girls pearls“, sondern um eine dem „gender mainstreaming“ entsprechende differenzierte Zusatzinformationen anhand ein und desselben Objektes, um ein in Summe runderes Geschichtsbild zu liefern. Nachdem der Kulturbegriff im Bewusstsein der Bevölkerung in Wandlung begriffen ist und die Grenzen zwischen Hoch-, Pop- und Eventkultur längst verwischt sind, wird es spannend sein zu beobachten, ob nicht auch männliches Kulturgut sich zusehends unbemerkt mit weiblichem vermischt und inwiefern sich dieses Phänomen auf die Sammlungspolitik der Museen auswirkt.
Im Wissen, dass Zeitgeschichte von der Alltagskultur geprägt wird, ist die Repräsentation von breit gefächerten gesellschaftlichen Gegebenheiten von wissenschaftlichen Erkenntnissen von Sammlungskuratorinnen und Museumsdirektoren eher zu erwarten als von Chefredakteuren zeitgeistiger Magazine. Projekte wie das „muSIEum“ – über das Massenmedium Internet verbreitet und somit über einen langen zeitraum für alle Interessierten abrufbar – sind jedenfalls wichtige Beiträge eine Sensibilisierung für diese Themen herbeizuführen.

Spectrum, Sa., 2004.02.14

17. Januar 2004Judith Eiblmayr
Spectrum

Sehfelder, gerahmt

„Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser.“ Patricia Zacek über Innen- und Außenraum, Bewegungsräume, räumliche Pausen und ihr Wohnhaus in Wien-Favoriten.

„Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser.“ Patricia Zacek über Innen- und Außenraum, Bewegungsräume, räumliche Pausen und ihr Wohnhaus in Wien-Favoriten.

Patricia Zacek, Jahrgang 1962, hat an der TU Wien 1991 über „Die ästhetische Komponente des Wiener Wohnbaus der 80er Jahre“ dissertiert. Sie arbeitet als Architekturkritikerin und Architektin, seit 1995 führt sie ihr eigenes Architekturbüro in Wien. Über Innenraumgestaltungen wie das Foyer des Palais Harrach und Wettbewerbsprojekte führt ihre „Denkspur“ zu einem im letzten Jahr fertig gestellten Wohnbau in Wien-Favoriten.

JE: Patricia Zacek, Sie haben kürzlich einen Wohnbau in Wien-Favoriten im Auftrag der Genossenschaft „Neues Leben“ fertig gestellt, der meiner Meinung nach zum Besten zählt, was in Wien in den letzten Jahren im sozialen Wohnungsbau errichtet wurde. Das Eckgebäude an Siccardsburg- und Hardtmuthgasse fügt sich rein baulich durch seine hohe strukturelle und ästhetische Qualität wie selbstverständlich in die schlichte Bebauung der Umgebung ein. Wie steht es um die Akzeptanz durch die Bewohner und Bewohnerinnen im Grätzel?

PZ: Das Gebäude kommt sehr gut an, es gibt viel positives Echo in der Nachbarschaft. Es handelt sich hier um ein sehr heterogenes Gefüge, sowohl baulich als auch sozial: Es findet sich niedrige Bebauung mit gewerblich genutzten Hinterhöfen neben Gründerzeithäusern und sozialem Wohnbau.
Ich versuche mit meiner Architektur nicht nur ein auf das jeweilige Grundstück beschränktes Konzept umzusetzen, sondern dem Quartier einen adäquaten Baustein hinzuzufügen, der eine Aufwertung für die ganze Gegend bedeutet.

JE: Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der „Rückgabe an den Stadtraum“.

PZ: Ja, der Bebauungsplan definiert fiktive Bauvolumina, die stadtbildend wirksam werden. Wenn ich mir mit einem Neubau einen Teil des Stadtraumes aneigne, dann verstehe ich das gleichzeitig als Verpflichtung, architektonisch etwas zurückzugeben. Das versuche ich über die strukturelle Konzeption eines Bauwerks. In der Siccardsburggasse gibt es zum Beispiel den großen Einschnitt bei Stiege 1, wo der Stadtraum förmlich ins Haus einfließen kann, wie durch ein geöffnetes Tor wird die Durchsicht bis zum Gartenhof gewährt. Diese Zwischenzonen sind wichtig, die Bereiche zwischen draußen und drinnen oder, anders gesagt, zwischen Öffentlichkeit, Halböffentlichkeit und Privatheit. Die kann man natürlich architektonisch gut herausarbeiten. Dort spielt sich Leben und Begegnung ab.

JE: Diese Betonung des Schwellenbereichs setzt sich ja im Inneren fort, das Foyer an sich ist Ihnen ein wichtiges Thema, nicht nur im Wohnbau.

PZ: Wichtig ist, dass man sich nicht erst ab der eigenen Wohnungstüre mit seinem Zuhause identifiziert. Dazu gehören schon die Vorbereiche. Ich bezeichne das Foyer als die räumliche Pause vor dem Nachhausekommen oder vor dem Arbeitsbeginn. Da muss genug Raum vorhanden sein. Ich spreche bei diesen Zonen auch gerne von Bewegungsräumen, weil sie ja meistens einen Übergang darstellen. Hier kann man nicht nur mit den anderen Hausbewohnern plaudern, sondern auch beobachten, was auf der Straße passiert. Auch bei meinem nächsten Wohnbauprojekt in der Schenkendorfgasse in Floridsdorf ist der Eingangsbereich zur Straße hin komplett verglast und auf leicht erhöhtem Niveau. Das bewirkt, dass man einen guten Überblick bekommt und eben auch die Kommunikation nach außen hin möglich ist. Bei der Gestaltung des Foyers des Gesundheitsamtes der Stadt Wien wollte ich ebenfalls den Bezug zum Außenraum herstellen. Der sechseinhalb Meter hohe Raum in einem Bau von Theophil Hansen liegt ebenerdig direkt am Schottenring. Eine tolle Aufgabe, wenn man mit diesen Dimensionen arbeiten darf. Die muss man natürlich auch erhalten und für das Neue interpretieren.
Ich habe die zwei raumhohen Torbögen in der Fassade vollflächig verglast und durch ein einziges begrenztes Feld auf Augenhöhe horizontal gegliedert. Somit ist ein Sichtbereich definiert, wenn jemand zum Warten in der Nische Platz nimmt und aus dem Fenster schaut. Mit diesem gerahmten Sehfeld habe ich versucht das menschliche Maß einzubringen. Gleichzeitig ergibt sich von der Ringstraße aus ein fast ungehinderter Einblick bis auf das Informationspult.

JE: Sie gewähren gerne Aus- und Einblick durch große Glasflächen – wo beginnt für Sie die Privatheit für die Nutzer?

PZ: Da spielt das Planen mit Licht eine große Rolle. Wenn die Wohnungen schon klein sind, dann sollen sie hell sein, und zwar auch die in den unteren Geschossen.
Beim Gebäude in Favoriten liegen die kleineren Wohnungen südseitig und verfügen über eine verglaste Außenwand. Sicherlich für manche ein bisschen gewagt, aber vom Lichteinfall her unvergleichlich. Vor die Glasfassade ist eine Aluminium-Rahmenkonstruktion gesetzt, darin ist der Sonnenschutz integriert. Man kann quasi das ganze Haus verhüllen.
Jeder Einzelne kann seine Fenster außen mit diesen Sonnensegeln schließen, oder innen die Vorhänge zuziehen und ist uneingesehen. Diese Schichtung in Stores, Schiebeelemente aus Glas und Vorhang erlaubt die individuelle Aneignung durch die Nutzer, also Privatheit, und bietet obendrein ein schönes architektonisches Fassadenspiel. Ich hoffe natürlich auch, dass die Leute nicht so sehr ans Abschotten denken, sondern eher den freien Blick, die Helligkeit und Großzügigkeit genießen.

JE: Sie gehen an ein Projekt bereits in einem frühen Planungsstadium detailgenau heran, inwiefern lohnt sich dieser Mehraufwand?

PZ: Wesentlich ist erst einmal eine Gesamtidee und die muss immer wieder hinterfragt und einjustiert werden. Und darauf aufbauend kommt die Detailarbeit. Sich als Architekt bei der Arbeit selbst auszureizen und zu einem frühen Zeitpunkt im Detail zu planen, lohnt sich! Vorerst ganz pragmatisch, da man die Arbeiten bereits sehr genau ausschreiben kann, das wird dann Vertragsbedingung für den Ausführenden. Dennoch ist es leider so, dass man um jedes Detail bis zum Schluss kämpfen muss. Generell ist zu sagen: Alles was ich damit an Mehrwert schaffe, bringt etwas – dem Bauherrn, den Nutzern, selbst den Bewohnern in der Umgebung. Aber ganz allgemein impliziert für mich das Planen im Großen das Nachdenken im Kleinen, die Detailarbeit ist von Anfang an wesentlicher Bestandteil der Denkarbeit auch bei einem großen Projekt. Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon ein bisschen abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser. Ich bevorzuge ein klar strukturiertes Konzept, das dann auch in der Detailausführung, beim Zusammenfügen von einzelnen Bauteilen und unterschiedlichen Materialien halten muss.

JE: Da Sie ja auch Architekturkritikerin sind, hat die Sprache sicherlich einen besonderen Stellenwert.

PZ: Es gilt nun einmal, die Bilder, die wir als Architekten im Kopf haben, in jedem Planungsstadium so weiterzugeben, dass es alle verstehen und am gleichen Bild arbeiten. Man glaubt gar nicht, wie die Vorstellungen auseinander driften. Da muss man zuhören und gut argumentieren, um alle wieder auf eine Linie zu bringen.
Für mich gibt es begleitend zur Planung immer auch die gedankliche Beschäftigung mit der Architektur, dazu war und ist das Schreiben über Architektur eine wesentliche Bereicherung; so wie ich Handskizzen mache, bearbeite ich begleitende Themen in Form von Notizen und architektonischen Ideenbüchern. Es ist aber immer wieder ein schöner Moment, die Arbeit dann wirklich gebaut zu sehen und die architektonischen Gedanken somit ins Leben zu schicken.

Spectrum, Sa., 2004.01.17



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Wohnbau Siccardsburggasse

31. Oktober 2003Judith Eiblmayr
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Ganz ohne Palmen

Es spielt alle Stückeln und zeichnet sich zudem durch rare Großzügigkeit im Umgang mit Raum und Materialien aus: das neue Vöcklabrucker Hallenbad von Christoph Gärtner und Dietmar Neururer.

Es spielt alle Stückeln und zeichnet sich zudem durch rare Großzügigkeit im Umgang mit Raum und Materialien aus: das neue Vöcklabrucker Hallenbad von Christoph Gärtner und Dietmar Neururer.

Es ist erst ein paar Tage her, dass, kalenderbezogen, der Sommer Teil unseres Alltags war, wobei auch die ausgedehnte Sommerzeit nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass die warme Jahreszeit für heuer längst vorüber war. Eine der Konnotationen zum Sommer ist „Badesaison“, und je größer die Hitze, umso stärker wird der Zug der Menschen zum Wasser, an Strände und Flussufer, in Schwimmbäder oder unter die kalte Dusche. Allein der Gedanke an eine abendliche Abkühlung in nahen Gewässern lässt einen den sommerlichen Arbeitstag ertragen, und bei Temperaturen wie den heurigen ist schwimmen sicherlich eine der Lieblingsbeschäftigungen von Jung und Alt.

Kaum wird es so kalt wie jetzt, ist der Gedanke ans Schwimmen ebenso wohltuend; der Wunsch nach Erwärmung ersetzt jenen nach Abkühlung, statt auf ausgedörrte Wiesen begibt man sich in dampfige Hallen, der Erholungseffekt bleibt jedoch ähnlich hoch, wird gar noch um den Aspekt des Kurens erweitert. Das heißt, eigentlich ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als die ersten beheizbaren Schwimmhallen errichtet wurden, das ganze Jahr über Badesaison, wenn man ein schönes Hallenbad in seiner Nähe weiß.

Nach den Geschmacksverwirrungen in den letzten Jahren, als so mancher mittlerweile insolvente Betreiber dachte, dass man Kunststoffpalmen neben seichten Planschbecken als teuer zu bezahlendes Erlebnis verkaufen könne, wird beim Neubau von Bädern offensichtlich wieder verstärktes Augenmerk auf eine klassische Schwimmhalle gelegt, die allen Altersgruppen das Schwimmen zur Entspannung, zum Spaß oder als sportliche Betätigung zu adäquaten Preisen ermöglichen soll.

Vöcklabruck ist eines jener Positivbeispiele, wo eine Stadtgemeinde sich nicht durch „Outsourcing“ der teuren Verpflichtung zu einer kommunalen Einrichtung entledigen wollte, sondern sich der sozialen Komponente eines städtischen Bades bewusst war. Bei der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs für ein neues Hallenbad wurde ein bewährtes Muster klar formuliert: Es sollte auch für Schwimmunterricht und Schwimmwettbewerbe geeignet sein und einen Wellnessbereich mit Sauna und Dampfbad bieten. Die Vöcklabrucker Architekten Christoph Gärtner und Dietmar Neururer konnten das Bewerbungsverfahren mit einer ebenso klaren gestalterischen Antwort für sich entscheiden und planten mit einer Großzügigkeit im Umgang mit Raum und Materialien, die nicht nur den Badegästen zugute kommt, sondern auch für die Stadt ein wichtiges Stück moderner Architektur bedeutet.

Der Standort - wo bereits das abgetragene Bad aus den Siebzigerjahren situiert war - ist für die Planer ein Glücksfall: in Zentrumsnähe, am nördlichen Rand des Stadtparks und im Uferbereich der Vöckla gelegen. Da in dieser Freizeitanlage auch das Freibad liegt, ist dem Hallenbad eine große Liegewiese vorgelagert, die zum Fluss hin durch Baumbestand begrenzt wird. Dieser gewachsene Grünraum musste nur mehr an die Schwimmhalle angedockt werden, und schon war das entspannende Ambiente perfekt. Die Architekten bewerkstelligten dies mit der Methodik der klassischen Moderne, indem sie die nach Süden und Westen orientierten Fronten über die gesamte Höhe verglasten und somit den Blick in die Natur aus der Schwimmerperspektive ermöglichten. Der Ausblick an der Breitseite der Halle ist speziell reizvoll, da hier relativ nahe der Bahndamm der Westbahnstrecke vorbeiführt und man hinter den Baumkronen von Zeit zu Zeit die lautlos vorbeigleitenden Züge beobachten kann, während man in der eigenen Bahn Zug um Zug schwimmt.

Neben dem Sportbecken gestatten zwei weitere differenzierten Badespaß: Ein Kinderbecken mit Rutsche, Bodensprudler und kleinem Wasserfall und - durch eine geschwungene beheizte Bank getrennt - ein flaches, im Grundriss schneckenförmiges Baby-Planschbecken schaffen gut überschaubare, geschützte Bereiche. Unterschiedliche Fliesen in unterschiedlichen Farbtönen und eine knallgelb gestrichene Wand, die den Zugang zu den Duschen und Garderoben signalisiert, unterstreichen die lebendige Atmosphäre, die in einem öffentlichen Bad herrscht. An der geschlossenen nordseitigen, eben teilweise gelben Wand der aus Stahlbetonstützen und Holzfachwerksbindern konstruierten zweigeschoßigen Halle verläuft eine Galerie, die als Rückzugsbereich mit Liegen dient und die Verbindung zum ebenfalls im Obergeschoß gelegenen Saunabereich herstellt. Dieser liegt als lang gestreckter, mit Eternit verkleideter Riegel über Eingang und Foyer und dem - auch unabhängig vom Bad bewirtschafteten - Restaurant und schließt das Bauwerk nach Osten hin ab.

Man spürt die Intention der Architekten, dass nicht nur das körperliche Wohlbefinden der Saunagäste durch die angebotenen Wellness-Einrichtungen gestärkt werden sollte, sondern dass ein gestalterisches Konzept umgesetzt wurde, das auch dem Auge gut tut. Dies gilt für Materialwahl und Farbgebung, aber ebenso - wie schon in der Schwimmhalle - für gerichtete „Schaubilder“. Wie von der Kommandobrücke aus erhält man Einblick in das bunte Treiben in der Halle oder Ausblick auf Baumwipfel und Himmel. Nebst den dampfenden Steinen auf dem Saunaofen soll es auch brennende Hölzer in einem offenen Kamin geben, dies wäre dann die Blickoption bei erhöhtem Kontemplationsbedürfnis.

Auch der Frischluftbereich bietet mehr als üblich: Über die vorgelagerte Terrasse und eine außen liegende Treppe gelangt man auf einen blickgeschützten Teil der Liegewiese, wo sich einerseits ein Tauchbecken, andrerseits ein schlichter Holzpavillon mit zwei weiteren Saunakammern befindet. Man kann sich also wechselweise im wohligen Ambiente der im Haus befindlichen Saunalandschaft erholen oder in die Landschaft mit Sauna hinaustreten, um das exponierte Sein zwischen natürlicher Kühle und künstlicher Hitze zu erproben.

An dieser planerischen Idee der Architekten zeigt sich, wie ein intelligentes Konzept mit dem Thema Erlebnisbad spielt: Einerseits gilt es, die Natur räumlich erlebbar zu machen, indem sie gerahmt und hinter Glas gestellt wird und somit für den Innenraum erweiternd wirkt, andrerseits werden die Badegäste, wenn sie dieses Erlebnis wünschen, einfach vor die Tür geschickt, um sie die Natur in Form von Wind und Wetter spüren zu lassen.

Übrigens bietet die Schwimmhalle ebenso den direkten Ausgang auf eine Sonnen-terrasse ins Freie beziehungsweise einen vorgelagerten Ruheraum. Und auch hier gehen Kunststoffpalmen niemandem ab, wenn man in einem Glaskobel unter einer echten Föhre sitzen kann, genauso sind die Kinder ohne Wasserrutsche glücklich, wenn sie von einem Startblock ins Wasser hupfen dürfen und Sprungvarianten erproben können.

Die Architektur des neuen Vöcklabrucker Hallenbades von Christoph Gärtner und Dietmar Neururer mit ihrer klaren Baukörperstruktur wie der Vielzahl von Details bietet einen gestalterischen Rahmen auf höchstem Niveau. In der Gestaltung des Badeerlebnisses selbst kann jedoch jeder Badegast seine eigene Kreativität entfalten - ein wohltuend moderner Ansatz.

Spectrum, Fr., 2003.10.31



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Hallenbad

12. Juli 2003Judith Eiblmayr
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Einblick, Ausblick, Überblick

Von einem Dienstleister der Branche „Sehen und Gesehenwerden“ kann man erwarten, dass er auch auf sein eigenes Aussehen achtet. Ein niederösterreichischer Optiker erfüllt diesen Anspruch: Er lässt seine Filialen von Architekten planen.

Von einem Dienstleister der Branche „Sehen und Gesehenwerden“ kann man erwarten, dass er auch auf sein eigenes Aussehen achtet. Ein niederösterreichischer Optiker erfüllt diesen Anspruch: Er lässt seine Filialen von Architekten planen.

Als gut Sehender hat man keine Vorstellung davon, was es heißt, ein eingeschränktes Sehfeld zu haben, die Umgebung in Unschärfe verschwimmen zu sehen oder Bekannte auf der Straße nicht zu erkennen. Wer nicht bereits in jungen Jahren myop oder astigmatisch ist, muss sich spätestens ab einem Alter von 50 Jahren nach passendem Gerät umschauen, um das Sehdefizit ausgleichen und das Kleingedruckte im Vertrag oder die Speisekarte im Restaurant wieder lesen zu können. Somit ist die Brille zu einem der wichtigsten Alltagsbegleiter des Menschen geworden, und seit in Form und Material experimentiert werden kann, ist sie vor allem unverzichtbares Mode-accessoire.

Auf das Geschäft mit der sicheren Zielgruppe der Brillenträger haben zuletzt Billiganbieter gesetzt, die ihre Kundschaft weniger durch eingehende Stilberatung als durch niedrige Preise vom Kauf der Ware überzeugen konnten.

Aber Gläser anpassen und Brillenfassungen aussuchen, die dem Gesicht und Typ des Trägers entsprechen, ist eine diffizile Angelegenheit, die man als Kunde - und vor allem als Kundin - gerne von in der Optik Kundigen erledigt wissen möchte. Diesem hohen Anspruch der Klientel ans Sehen und Gesehenwerden fühlt sich ein niederösterreichischer Optikerbetrieb insofern verpflichtet, als er auch auf sein eigenes Aussehen achtet: Forster Optik mit Hauptsitz in Melk überlässt die Planung seiner sechs Filialen nicht einer Ladenbaufirma, die ihm das Geschäftslokal mit möglichst vielen Laufmetern eines gängigen Regalsystems ausstattet, sondern setzt lieber auf Lösungen aus Architektinnenhand.

Für die Gestaltung der Firmensitzes in Melk wurde ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben, den die jungen Wiener Architektinnen Sabine Bartscherer und Paula Cochola in Kooperation mit Christof Schlegl gewannen. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmer und Kreativen führte nicht nur zu einem gelungenen Umbau in Melk, sondern auch dazu, eine umfassende Gestaltungskonzeption für das Filialnetz zu entwickeln: Durch ein Grafikkonzept von „Bohatsch Visual Communication“ wurde eine neue Linie in der Corporate Identity von Forster Optik geschaffen, die einzelnen Filialen sollten hingegen individuell von unterschiedlichen Architekten gestaltet werden.

Irmgard Frank und Finn Erschen, eine Architektengemeinschaft und ebenfalls aus Wien, wurden mit der Planung des neuen Geschäftslokals in der 4500-Einwohner-Gemeinde Scheibbs beauftragt. Die 350 Quadratmeter Nutzfläche in einem der ältesten Häuser im Ortszentrum scheinen für einen Verkaufsraum so kleiner Objekte wie Brillen extrem groß dimensioniert zu sein, aber genau das ist das diesbezügliche kaufmännische Erfolgsrezept: Je kleinteiliger und differenzierter die Ware, umso mehr muss davon ausgestellt sein, damit sich die Kunden selbst einen Überblick verschaffen können. Man möchte nicht unbedingt darauf an-gewiesen sein, dass der Verkäufer nach einem musternden Blick drei Modelle aus der Lade zieht und meint, das sei genau das Richtige.

Einblick, Überblick, Ausblick sind auch die Stichworte, an denen die Architektur von Frank und Erschen offensichtlich festgemacht ist: Bereits in der als Arkaden ausgebildeten Eingangssituation ist die Auslage des Geschäftslokals so angelegt, dass sie nicht nur als Blickfang auf die ausgestellten Stücke dient, sondern durch das streng horizontal-lineare Regal mit einer großen Spannweite hindurch den Blick in den Innenraum ermöglicht.

Diese Transparenz hat zur Folge, dass die Hemmschwelle, das Geschäft zu betreten, wegfällt und Passanten einfach „hereinschauen“, weil sie drinnen Bekannte entdeckt haben. Erst einmal drinnen, ist man auch schon potenzieller Kunde, denn eine schicke neue Sonnenbrille mit hellblauen, rosafarbenen oder violetten Gläsern kann man immer brauchen.

Das Lokal selbst ist in einzelne Zonen gegliedert: Normal auf den Eingangsbereich mit Arkaden und Verkaufstresen liegen entlang eines mittigen Blocks aus tragenden Mauern und Schrankwänden zwei Bereiche, die man als Schauraum und Sehraum bezeichnen könnte. Während in Ersterem über die gesamte Trakttiefe des Hauses hinweg möglichst viele Brillenmodelle präsentiert und somit angeschaut und probiert werden können, sind entlang der Fensterfront die Dienstleistungsräume angeordnet, wo nicht nur mit den Augen der Kunden (Sehtest, Kontaktlinsenanpassung), sondern auch vor diesen (offene Werkstatt) die Optikerarbeit verrichtet wird. Diese Funktionsteilung hat sich bereits in der Praxis bewährt, da die Wege von Service und Verkauf entflochten und lediglich an der Kassa zusammengeführt werden.

Das Besondere an der Planung von Frank und Erschen ist der differenzierte Einsatz von Materialien und künstlichem Licht, der den jeweiligen Funktionsbereich in seiner Raumgestalt prägt. Den unregelmäßigen Wänden des Schauraums, der mit seinen 31 Metern Länge und zirka 4 Metern Breite extrem schwierig zu „bespielen“ war, wurden hinterleuchtete Screens vorgespannt, die auf türkisfarbenem Grund, dem reduzierten grafischen Konzept entsprechend, mit Linien, Kreisen und Logos bedruckt sind.

Mittig in der Höhe, sozusagen im Fokus dieser 45 Meter langen „Projektionswand“, ist ein eigens entwickeltes Regalsystem eingelassen, wo auf mehreren Ebenen aus satiniertem Acrylglas und ebenfalls hinterleuchtet die Brillenmodelle aufgelegt sind. Diese starke Horizontale wird durch vertikale, leicht schräg gestellte Spiegel gegliedert und die Länge des schmalen Raumes entschärft, indem mit den vorgesetzten Folien eine starke Perspektivwirkung erzeugt wird.

Man fühlt sich unmittelbar aufgefordert - wie am laufenden Band -, Brillen auszuwählen, zu prüfen, zurückzulegen und die Wand entlang weiterzuschlendern. Im hinteren Teil führen ein paar Stufen zum Kinderbereich, wo sowohl Brillen probiert werden können als auch gespielt werden kann.

Der Dienstleistungsbereich ist ganz anders gestaltet: Zwar sind der Boden in Akazienholz und das Mobiliar in Ahornfurnier gleich, die Mauern in Kanariengelb unterstreichen hingegen die notwendige Licht-hygiene, die man bei der Optikerarbeit benötigt. Grüngelbe Glastafeln an manchen Wänden betonen das medizinisch-technische Element, der warme Farbton in den hellen Räumlichkeiten sticht - um bei der adäquaten Metaphorik zu bleiben - in angenehmer Weise ins Auge.

„Architektur entsteht dort, wo sich zwischen dem physisch erfassbaren Raum in seiner baulichen Materialität und dem sinnlich erlebtem Raum ein Spannungsfeld aufbaut“, schreibt Irmgard Frank, Ordinaria am Institut für Raumgestaltung an der Technischen Universität in Graz. Genau diese „sinnliche Funktionalität“ unterscheidet ein von Architekten geplantes Geschäftslokal von einer Nullachtfünfzehn-Ladenbau-Filiale, ein Umstand, der nicht städtisch elitär ist, sondern auch zwischen Scheibbs und Nebraska den Blick schärft und verstanden wird.

Spectrum, Sa., 2003.07.12



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Forster Optik

01. März 2003Judith Eiblmayr
Spectrum

Leseturm, liegend

Ein selbstbewusstes städtebauliches Statement, ein großzügig dimensioniertes, modernes Medienzentrum: das neue Haupthaus der Wiener Städtischen Büchereien von Ernst Mayr.

Ein selbstbewusstes städtebauliches Statement, ein großzügig dimensioniertes, modernes Medienzentrum: das neue Haupthaus der Wiener Städtischen Büchereien von Ernst Mayr.

Der Gürtel ist unserem Stadtverständnis nach weder als Trenn linie noch als Kante zu (re-)formulieren, sondern steht vielmehr für Naht, Klammer, für die räumliche und funktionelle Integration, für städtische Vielfalt. Wir glauben, dass diese Bruchstückhaftigkeit, das ,Nicht-Vollendbare', als Wesensmerkmal des Gürtels besteht und als Qualität immer neu zu formulieren ist", schrieben Adolf Krischanitz und Leopold Redl 1985 in ihrem Beitrag einer Arbeitsgruppe zur Formulierung eines neuen städtebaulichen Leitbildes für den Wiener Gürtel. Man hatte erkannt, dass es nicht genügt, den Gürtel als übergeordnetes Verkehrsband dem Individualverkehr preiszugeben, sondern dass dieser auch als wesentlicher Stadtraum wahrnehmbar und belebt werden muss, um eine Aufwertung der angrenzenden problematischen Wohngebiete zu erreichen.

„Städtische Vielfalt“ sollte mehr bedeuten als Peepshow-Etablissements und Auto-lackierereien, durch die Etablierung einer „anderen“ Lokalkultur unter den Stadtbahn- bögen und durch gezielte, mit EU-Geldern finanzierte städtebauliche Maßnahmen konnte der Gürtel in Teilbereichen als urbaner Raum für die nicht motorisierte Bevölkerung zurückgewonnen werden. Offensichtlich war den politisch Verantwortlichen auch bewusst, dass die perfekte Infrastruktur, die der Gürtel per se darstellt, für ein größeres Bauwerk genutzt werden sollte. Krischanitz' Projekt „Wolkenspange“, das Richard Lugner als Zubringer für sein Einkaufszentrum umgesetzt sehen wollte, wurde nicht realisiert, da weitere Funktionen für das Brückenbauwerk zwischen 7. und 15. Bezirk nicht zufriedenstellend zu definieren waren. Das Wichtige an dieser Idee war allerdings, dass der Bereich des Neubaugürtels zwischen Burggasse und Urban-Loritz-Platz als Ort mit hohem urbanem Entwicklungspotential erstmals konkretisiert wurde und als Standort für die neue Hauptbibliothek erwogen wurde.

Ein Bauplatz an einer der stärksten Verkehrsachsen von Wien - zwischen den Fahrbahnen, direkt über der U-Bahn und an der Straßenbahn - ist ideal für ein öffentliches Gebäude, eine Bibliothek an dieser Stelle übernimmt noch dazu die für die Gürtelzone erwünschte Restrukturierungsfunktion, da die hohe Fahrgastfrequenz der öffentlichen Verkehrsmittel eine hohe Besucherfrequenz aus allen sozialen Schichten erwarten lässt. Nachdem das alte Gebäude in der Skodagasse längst zu klein geworden war, sollte das neue Haupthaus der Wiener Büchereien - nebenbei gibt es 52 Zweigstellen über die Stadt verteilt - dem internationalen Standard entsprechend als großzügig dimensioniertes, offenes und modernes Medienzentrum konzipiert sein, das der interessierten Öffentlichkeit nicht nur im Freihandbereich und zur Entlehnung Zeitschriften und Bücher, CDs, DVDs und Videos bietet, sondern auch Internetterminals zur Verfügung stellt.

Den international ausgeschriebenen Wett- bewerb für die neue Hauptbibliothek gewann der Wiener Architekt Ernst Mayr, der bereits Großbauten wie das Biozentrum der Universität Frankfurt (gemeinsam mit Wilhelm Holzbauer) realisieren konnte. Durch den seitens der Flächenwidmung ausdifferenzierten Bebauungsplan waren klare Richtlinien für die Kubatur des über der U-Bahn-Station zu errichtenden Bauwerks vorgegeben, die Mayr in einem prägnanten Entwurfskonzept umsetzte. Er entwickelte einen 150 Meter langen, an den Längsseiten mit einer vorgehängten Klinkerfassade versehenen, geschlossen wirkenden Quader, der teilweise aufgestelzt über der U-BahnStation zu liegen kommt und zum Urban-Loritz-Platz hin schräg abfällt. Diese geneigte Fassade ist als riesige Freitreppe ausgebildet, die praktisch wie metaphorisch auf die Begehbarkeit des Gebäudes für die Öffentlichkeit verweist: Über die Treppenanlage gelangt man - wenn man sich nicht schon vorher auf ihr niederlässt, um das städtische Treiben auf dem Platz zu beobachten - auf das Flachdach des Gebäudes, wo sich ein Café befindet und von wo aus sich neue, wunderbare Perspektiven beim Rundblick über Wien ergeben.

Durch einen mittigen Einschnitt im Stiegenlauf gelangt man in eine Halle unter der (Re-)Präsentationstreppe, von wo aus der Zugang zur Bibliothek über Rolltreppen und Lifts erfolgt, die gleichzeitig als Auffang-gebäude der U-Bahn-Station dient. Eine für Wien einzigartig intelligente Kombination bildungspolitischer Provenienz: Man zweigt praktisch noch trockenen Fußes die potentielle Zielgruppe in eine öffentliche Bildungseinrichtung ab, und das ohne ökonomische Hintergedanken!

Die Haltung, dass an diesem Ort ausnahmsweise nicht der Kunde, sondern der Wissbegierige König ist und die Wissens-aneignung gratis geschehen darf, setzt Ernst Mayr mit seiner Architektur auch im Inneren beispielhaft fort. Die Räumlichkeiten der Bibliothek erstrecken sich über zwei Geschoße und eröffnen sich den Besuchern als weitläufig und - was die äußere Geschlossenheit nicht vermuten lassen würde - lichtdurchflutet: durch ein geschickt angelegtes System aus mittig in Längsrichtung liegenden Lichthöfen, Lichtschächten vom Dach her und der voll verglasten Nordseite des Gebäudes. Die Längsorientierung wird im Inneren durch drei Querachsen gebrochen, die den Großraum strukturieren und in einzelne Fachbereiche mit den jeweiligen Informationstheken übersichtlich organisieren. Die Quertrakte enden in Erkern, die in den Straßenraum des Gürtels hinein-ragen, deren Stirnwände zwar geschlossen sind, die seitlich jedoch den Blick auf die Fahrbahnen freigeben.

Aus diesem Spiel von in sich ruhendem Raum und gerichteten Blicken auf den unten vorbeiströmenden Verkehr - lautlos, weil der Schallschutz absolut gegeben ist - entsteht ein spannendes Moment zwischen Kontemplation und Integration, wo man sich in der individuellen Zurückgezogenheit beim Lesen oder Studieren gleichzeitig als Teil des städtischen Gefüges erleben kann. Besonders stark ist diese Raumstimmung, die einen über das hektische Großstadtleben erhebt und zum Verweilen einlädt, im nördlichen Trakt der Bibliothek: An einem Arbeitsplatz oder in einer Couch sitzend, kann man den Blick über die Dächer der Stadt bis zu den Wiener Hausbergen schweifen lassen. Oder man schaut hinunter, sieht auf die dahingleitenden U-Bahn-Züge und Autoschlangen und fühlt sich wie auf einem sicheren Schiff hoch über dem Verkehrsstrom.

Zurück zur Treppenanlage, mit der dem Architekten ein selbstbewusstes städtebauliches Statement gelungen ist. Er zitiert damit die Casa Malaparte. 1938 bis 1942 vom Schriftsteller und Journalisten Curzio Malaparte an der Felsküste Capris erbaut und für ihre fassadenbildende Treppenanlage berühmt, galt sie als Ort des Austauschs und der Förderung von Literatur und Kunst. Somit setzt Mayr seine Gestaltung des Zweckbaus Bibliothek quasi als liegenden Leseturm in einen adäquaten literarischen Kontext.

Der Gürtel wird „bruchstückhaft“ bleiben, aber Bauten wie die neue Hauptbibliothek sind die besten „Nahtstellen“, um das mittlerweile grüne Bildungsbürgertum des Bezirkes Neubau mit dem Arbeiter- und Zuwandererbezirk Fünfhaus zusammenzubringen.

Spectrum, Sa., 2003.03.01



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Hauptbücherei Wien

13. Dezember 2002Judith Eiblmayr
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Das Rathaus als Rasthaus

In Österreich kaum mehr zu glauben, aber wahr: Ein Architekt gewinnt einen Wettbewerb - und darf sein Großprojekt dann sogar realisieren! Auch sonst ist Dominique Perraults neues Innsbrucker Rathaus ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.

In Österreich kaum mehr zu glauben, aber wahr: Ein Architekt gewinnt einen Wettbewerb - und darf sein Großprojekt dann sogar realisieren! Auch sonst ist Dominique Perraults neues Innsbrucker Rathaus ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.

Eine der Idealvoraussetzun gen für eine lebendige Baukultur ist ein diesbezüglich klares Bekenntnis eines politisch Verantwortlichen. Ein Politiker, dem ein nuanciertes Stadtbild durch moderne Architektur ein Anliegen ist, wird durch den Einsatz vieler verschiedener Kreativer eine Vielfalt an Kreativität erzielen.

Da die Moderne in Kunst und Architektur nicht unbedingt mehrheitsfähig ist, erfordert es Mut und Durchhaltevermögen der Entscheidungsträger, um spannendere Bauten durchzubringen. Zur Zeit ist tendenziell das Gegenteil der Fall; in Wien werden die Investoren von Großbauprojekten zu den eigentlich Verantwortlichen für die Stadtentwicklung erkoren, frei nach dem Motto „Wer zahlt, schafft an“. Diese Developer im doppelten Sinn wollen in Architekturfragen tunlichst wirtschaftlich auf Nummer Sicher gehen und beschäftigen eine kleine Riege an arrivierten Architekturbüros, die aktuelle Vergabepraxis zwischen Wien Mitte und Salzburg Stadt zeigt, daß Bauaufträge nach fairen Auswahlverfahren oder architektonischen Qualitätskriterien ein frommer Wunsch sind.

Ein Projekt wie der Neubau des Innsbrucker Rathauses mutet da bereits als ein herausragendes Ereignis in der österreichischen Architekturwelt an, denn hier hat nicht nur ein französischer Stararchitekt den Wettbewerb gewonnen, er durfte sein Projekt auch bauen!

Dominique Perrault ist einer der angesehensten Architekten Frankreichs, international bekannt wurde er Anfang der neunziger Jahre durch seine Planung für die Bibliothèque Nationale de France in Paris, die 1996 eröffnet wurde. Ungefähr zu dieser Zeit wurde Perrault zum Wettbewerb für den neuen Rathauskomplex in Innsbruck geladen, den er in Kooperation mit seinem Partner Rolf Reichert aus München abwickelte und den die beiden vor fünf Jahren für sich entscheiden konnten.

Nachdem das erste Projekt für ein neues Rathaus von Leopold Gerstel, datierend aus dem Jahr 1985, aus ökonomischen Gründen nicht weiterverfolgt worden war, wußte die neu gebildete und um Investoren bereicherte Rathausbaukommission 1994 bereits konkreter, welche Kriterien die Planung erfüllen muß, um als städtebauliches Großprojekt zu reüssieren.

Das alte Rathaus liegt direkt an der Maria-Theresien-Straße im Stadtzentrum von Innsbruck, der Erweiterungsbau aus der Nazizeit an der Fallmerayerstraße war bislang nur über einen Hof an das Hauptgebäude angebunden. Diese bauliche Trennung - verschärft durch den ungeliebten Hinterhofcharakter - und die Zerrissenheit der Behörde, da einige Ämter sich an anderen Orten in der Stadt befanden, sollten beseitigt werden. Das Ziel: eine neue, zentrale Anlaufstelle für Bürgeranliegen. Um den Kaufkraftabfluß in die Shopping-Center an der Peripherie hintanzuhalten, sollte zugleich die Belebung der Innenstadt forciert werden, am besten mittels einer Einkaufspassage mit Tiefgarage, ergänzt um ein Vier-Sterne-Hotel.

Perraults Lösung für diese Anforderungen galt als die städtebaulich sensibelste, vor allem war sein Entwurf der einzige, der den Baukörper verstärkt in die Höhe und nicht in die Breite entwickelte. Seitens der Errichtergesellschaft BOE wurde Perrault ein ortskundiges Gesamtplanungsbüro (Achammer-Tritthart & Partner) zur Seite gestellt, offiziell um die wirtschaftliche Umsetzung der Planung zu gewährleisten. Perrault gilt als ein Architekt, dem nicht Materialperfektionismus in Details, sondern architektonische Gesamtzusammenhänge wichtig sind - und genau das hat er mit seinem Entwurf bewiesen.

Die Rathaus-Galerie wurde nach den Kriterien einer klassischen Einkaufspassage des 19. Jahrhunderts so angelegt, daß sie die Verbindung wichtiger Straßen herstellt. In ihrem Mittelpunkt birgt sie den Eingang ins neue Rathaus. Darüber erstreckt sich das weithin sichtbare Zeichen des neuen Gebäudes, der 37 Meter hohe gläserne Stiegenhausturm, dessen oberstes Geschoß als geschützte Plattform für die Öffentlichkeit angelegt ist. Von hier aus kann man einen Blick auf die Stadt und die flankierenden Berge werfen.

Der sechsgeschoßige Trakt des Rathauszubaus liegt zwischen den beiden alten Gebäuden und bindet diese aneinander an. Formal ist die schwarzweiße Glasfassade im (rechteckigen) Schachbrettmuster ein eigenständiger Baukörper, der von dem mit einem Geflecht aus Nirostastäben eingehausten, darunter verglasten Plenarsaal bekrönt ist. Materialien wie diese zu Matten verarbeiteten Metalle entsprechen Dominique Perraults Streben nach Transparenz in der Architektur und Leichtigkeit in deren Materialität. Als metaphorischer Verweis auf Innsbrucks Wahrzeichen hätten die Metallstäbe übrigens aus Messing sein und im Sonnenlicht hoch über den „Dacheln“ golden strahlen sollen.

Transparenz ist jedoch nicht nur ein formaler Gag des Architekten, sondern zieht sich als leicht identifizierbares Gegenkonzept zu „Wir da oben, ihr da unten“ durch den ganzen neuen Rathauskomplex: vom schwellenlosen Bürgerservice im Eingangsbereich zum Rathaus über den gläsernen Erschließungsturm bis zum Terrassen-Café auf dem Dach. Diese Verwobenheit von Dienstleistung und Komfort und die identifikatorische Qualität, die Stadt gemeinsam überblicken zu können, schafft ein sehr ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bediensteten und Bürgern, entsprechend hoch ist laut Thomas Posch von der Innsbrucker Stadtplanung die Zufriedenheit der Angestellten und die Akzeptanz durch die Bevölkerung.

Natürlich gab es im Vorfeld Anrainerproteste, aber der damalige Innsbrucker Bürgermeister und jetzige Landeshauptmann von Tirol, Herwig van Staa, der vor allem von Perraults Architektur überzeugt war, und die BOE standen immer engagiert hinter dem Projekt.

Ambitioniert war man seitens der Stadt auch bei der Kunst am Bau, die konzeptionell in die Architektur einbezogen wurde; stellvertretend seien zwei Werke erwähnt: Die Südseite des gläsernen Turmes ist mit einer durchscheinenden Applikation des Innsbruckers Peter Kogler versehen. Über die gesamte Höhe zieht sich ein unregelmäßiges System von Schläuchen und Röhren, ein Abbild der verschlungenen Vernetzung des Urbanen einerseits, ein vorgelagertes Bild beim Blick auf die Innsbrucker Dachlandschaft mit ihren Dachrinnen und Abluftrohren andrerseits. Durch entsprechendes Fokussieren kann der Blick des Betrachters auf das Bild selbst oder durch dieses hindurch über die Stadt hinweg bis zu Zaha Hadids neuer Sprungschanze auf dem Bergisel gerichtet werden.

Auch der Konzeptkünstlers Daniel Buren spielt mit einer Glasfläche, indem er in die Passagenüberdachung einzelne bunte Glasfelder integriert und so den darunterliegenden Raum in angenehmes natürliches Licht taucht.

Apropos Passage: Vielleicht liegt es an den Lichtverhältnissen oder an der sinnvollen Funktionskulminierung, die Rathaus-Galerien sind belebt, und man fühlt sich wohl. Nicht, daß der Branchenmix spannender wäre als anderswo, aber es scheint, daß die Dimensionierung, die Anzahl der Lokale und das Fehlen jeglicher Attribute einer touristisch-tirolerischen Gemütlichkeit das Durchqueren der Passage zu einem angenehmen Geh- und Seherlebnis werden läßt.

Die kreuzförmige Wegführung ist zwar noch nicht umgesetzt, da die bauliche Anbindung an die Anichstraße noch aussteht, trotzdem ist auch die bestehende kleine Achse wichtig: Am Ausgang Stainerstraße gelangt man zum völlig neu gestalteten Adolf-Pichler-Platz, den baulichen Abschluß an dieser Ecke macht der Trakt des Hotels Penz.

Und so gelangen die Bürger von verschiedenen Seiten bequem zum neuen Zentrum der Stadtverwaltung, das nicht nur ein Rathaus ist, sondern auch als Rasthaus zum Verweilen über den Dächern der Stadt einlädt. Dank Perraults Architektur ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.

Spectrum, Fr., 2002.12.13



verknüpfte Bauwerke
Rathausgalerie

26. Oktober 2002Judith Eiblmayr
Spectrum

Städte wie Stoffmuster

Die Zeit sei wieder reif, neue Denkweisen in der Architektur zu zeigen, befand Zaha Hadid. Einen Querschnitt durch die internationale experimentelle Szene präsentiert sie denn auch in der für den „steirischen herbst“ ausgerichteten Ausstellung „Latente Utopien“.

Die Zeit sei wieder reif, neue Denkweisen in der Architektur zu zeigen, befand Zaha Hadid. Einen Querschnitt durch die internationale experimentelle Szene präsentiert sie denn auch in der für den „steirischen herbst“ ausgerichteten Ausstellung „Latente Utopien“.

Es war 1914, als in Italien das Manifest für eine futuristische Architektur formuliert wurde, eine durch die Entwicklungen des Maschinenzeitalters euphorisch aufgeladene Theorie, die auf Marinettis Grundsatz von 1909 basierte: „Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt durch eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit.“ Die Futuristen forderten eine Architektur, die unter anderem sich der neuen Materialien bedient, die Ausdruck besitzt und Kunst bleibt, die schräge und elliptische Linien bevorzugt, weil sie emotionsbeladen sind, die ihre Inspiration aus der Maschinenwelt schöpft.

Man entwickelte Entwürfe für „Moderne Metropolen“, die von hoher Dichte und freigelegter Infrastruktur wie Verkehrsbauten geprägt waren und in ihrer dynamisch plastischen Ausformung Abbilder von Motoren zu sein schienen. Die Futuristen erkannten die Stadt als ein Gebilde, das seine spezifische Spannung aus der permanenten Bewegung in ihr erfährt. Durch die Industrialisierung waren die Bewegungsabläufe immer schneller und intensiver geworden und übten eine ungeheure Faszination auf die künstlerische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts aus, die spürte, daß die Zukunft der Städte mit dem technologischen Fortschritt eng verknüpft sein würde.

Die Selbstdefinition als Futuristen war jedenfalls richtig gewählt, denn im Prinzip ist bereits fünfzig Jahre später in Teilbereichen das eingetreten, was sie als Zukunftsmodell gezeichnet hatten: Leistungsfähige motorisierte Fortbewegungsmittel sind Grundvoraussetzung, um das reibungslose Funktionieren einer Großstadt zu garantieren. Die Futuristen hatten als Schauplatz für ihr Szenario nicht Utopia, „das Land, das nirgends ist“, auserkoren, sondern Titel wie Città Nuova, „Die Neue Stadt“, und somit eine reale Vision kreiert.

Üblicherweise werden visionäre Projekte in der Architektur als utopisch deklariert, da Realitätsbezüge vernachlässigt werden können, und dienen als wesentliches Instrument zur Überprüfung und Infragestellung hergebrachter Planungs- und Bauweisen. Besonders reich an städtebaulichen Utopien und Fiktionen waren die sechziger und frühen siebziger Jahre in Europa und Japan, was in losgelösten „Walking Cities“ (Archi-gram, 1964) oder Megastrukturen, mit denen eine Großstadt wie Tokio überlagert wurde (Kenzo Tange, 1960) seine Ausprägung fand. In den letzten 25 Jahren wurden Projekte dieser Art von der Realität eingeholt, und die Städte begannen sich eher ungelenkt zu Mega-Agglomerationen zu entwickeln.

Die Architekten wollten lieber bauen, als in Theorien zu schwelgen, und begannen außerdem ihrem neuen Planungswerkzeug, dem Computer, mehr Augenmerk zu schenken. Computer-simulationen wurden vorwiegend gemacht, um konstruktive Probleme zu lösen oder um die hinkünftig reelle Plazierung eines neuen Bauwerks zu zeigen, und weniger, um utopische Stadtbilder mit soziokultureller Relevanz zu entwickeln.

Jetzt allerdings sei die Zeit wieder reif, neue Denkwei sen in der Architektur zu zeigen, meint Zaha Hadid, weltbekannte Architektin mit Bürositz in London und Professorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. „Latente Utopien“ nennt sie die Ausstellung anläßlich des „steirischen herbsts“ 2002, die - von ihr gemeinsam mit Patrik Schumacher kuratiert - einen Querschnitt internationaler experimenteller Architektur bilden soll. Im Titel selbst wird bereits klar, daß es sich hierbei um keine rein utopischen Projekte, sondern um teilweise real existierende handelt, denen formal utopisches Flair anhaftet: Die Palette der Darstellungen reicht von Computergraphiken im konstruktiven Bereich über Entwürfe für ein neues World Trade Center bis zu pneumatischen räumlichen Tragwerken.

Interessanterweise gibt es bei fast allen Projekten einen Verweis auf ein bereits dagewesenes kreatives Potential: Man findet Objekte, die an Verner Pantons Siebziger-Jahre-Wohnlandschaf-ten (Andreas Thaler, A; Karim Rashid, USA), oder amorphe Architekturen, die an Plastiken oder Stoffmuster der fünfziger Jahre (deCOi, F) erinnern. Der Entwurf für einen Wolkenkratzer von Kolotan/MacDonald Studio, USA, läßt die Kapselstrukturen der Metabolisten wiederaufleben, und auch Coop Himmelb(l)au scheinen bei ihrem in Planung befindlichen Musée des Confluences in Lyon die räumliche Großstruktur der als Kristall definierten Eingangshalle eher im Sinne Konrad Wachsmanns als durch einen weiterentwickelten Dekonstruktivismus in den Griff bekommen zu wollen.

Der Entwurf von Foreign Office Architects, GB, für das World Trade Center weist, bei dieser prinzipiell prekären Planungsaufgabe, ein wahrscheinlich wirklich zukunftsweisendes Konstruktionsmuster auf, das allerdings von Toyo Ito für die Mediathek in Sendai, im erdbebengefährdeten Japan entwickelt und gebaut wurde. Röhrenförmige, in ihrer Längsachse verwundene räumliche Tragwerke als Baukörper werden zu einem Bündel zusammengefaßt und stellen Flexibilität bei der Aufnahme von Horizontalkräften dar.

Ein Element zieht sich allerdings durch alle Entwürfe: die Dynamik. Nach wie vor scheint der Wunsch zur Utopie darin zu bestehen, die Architektur aus ihrer systemimmanenten Starre zu lösen. In der Stadt jedoch ist, wie bereits erwähnt, genau das eingetroffen: Was Hadid für die Architektur fordert: Spontanität, Einplanung des Spiels des Zufalls, ist in der Stadt längst erfüllt, denn genau das erzeugt Urbanität. Hadids Arbeit „Fieldspace“ (1999), auf der Einladungskarte für die Ausstellung zu sehen, ist ein Abbild der Struktur einer Stadt wie Tokio: mehrere Ebenen - Kanal, Eisenbahn, U-Bahn, Autobahn -, die einander über-, unter- und verschneiden. Die durchfahrenden Verkehrsmittel erzeugen jene Dynamik, die in Hadids Computergraphik durch einen Schwung simuliert wird, und damit schwingen wir uns zurück zur futuristischen Architektur, die „schräge und elliptische Linien bevorzugt, weil sie emotionsbeladen sind“. Die Idee der Loslösung des Gebauten selbst ist im letzten Jahrhundert offensichtlich utopisch geblieben. [*]

[ Die Ausstellung „Latente Utopien - Experimente der Gegenwartsarchitektur“ ist von 26. Oktober 2002 bis 2. März 2003 im Landesmuseum Joanneum, Graz, zu sehen (Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr; für die Dauer des „steirischen herbsts“, bis 24. November, Donnerstag 10 bis 20 Uhr). ]

Spectrum, Sa., 2002.10.26

24. August 2002Judith Eiblmayr
Spectrum

Firmling samt God und Gödl

Es steht nach gut 100 Jahren noch genauso da wie eh und je, nur seine infrastrukturelle Basis war nicht mehr up to date: das Wiener Riesenrad. Mathis Barz ist es gelungen, den Formensynkretismus des Wurstlpraters um ein zeitgemäßes Bauwerk zu bereichern.

Es steht nach gut 100 Jahren noch genauso da wie eh und je, nur seine infrastrukturelle Basis war nicht mehr up to date: das Wiener Riesenrad. Mathis Barz ist es gelungen, den Formensynkretismus des Wurstlpraters um ein zeitgemäßes Bauwerk zu bereichern.

Als das Riesenrad 1896/97 errichtet wurde, war es bereits die zweite groß-dimensionale kreisrunde Attraktion im Wiener Prater. Nachdem die 1873 anläßlich der Weltausstellung erbaute Rotunde mit ihren 108 Metern im Durchmesser das größte Gebäude des Kontinents war und somit als eigentliches Wahrzeichen des Praters galt, bot das 50jährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph eine gute Gelegenheit, diesem etwas ähnlich Spektakuläres entgegenzuhalten.

Ende Juni 1897 konnten die Fahrgäste erstmals die schwebenden Gondeln besteigen und aus maximal 64 Metern Höhe auf Wien herabschauen: ein weiteres Entertainment - neben so grotesken wie der Zwergen- und Liliputaner-Schau. Wie dem Leopoldstadt-Bezirksführer von Klusacek und Stimmer zu entnehmen ist, ist das von den britischen Ingenieuren Basset & Hitchins erbaute Wiener Riesenrad das einzige, das bestehen blieb; jene in London, Paris, Chicago und Blackpool wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder abgetragen.

Die feingliedrige Stahlkonstruktion des Riesenrads überlebte auch das Großfeuer im Wurstlprater kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, lediglich die 30 Waggons brannten aus und wurden durch 15 neue ersetzt. Und so konnten ab 1947 die Wiener Firmlinge wieder traditionsgemäß von Göd und Godl in den Prater geführt und auf eine Fahrt mit dem Riesenrad eingeladen werden.

100 Jahre später hat der Wurstlprater nichts an Attraktivität verloren, wobei die Volksbelustigung nicht mehr darin besteht, sich am Leid anderer Menschen zu weiden. Mittlerweile ist der zahlende Gast das Objekt, das mechanisch herumgewirbelt und in die Luft katapultiert wird und dieserart sich selbst und den Zuschauern gruselige Schauer über den Rücken jagt.

Das unter Denkmalschutz stehende Riesenrad ist in seiner Funktion im Prinzip unverändert geblieben, allerdings wollten die privaten Betreiber neue Strategien entwickelt wissen, um die Qualität in der Nutzung zu verbessern. Die infrastrukturelle Basis für das Riesenrad hatte bislang ein flankierender Pavillon mit Kassa und Souvenirshop im abgeschmackten Hundertwasser-Design gebildet, der jedoch sowohl ästhetisch wie auch von der Kapazität her ausgedient hatte.

Man entschloß sich, von Stefan Seigner, der bereits für das Haus der Musik ein geschicktes Marketingkonzept realisiert hatte, eine Studie für eine zeitgemäße Attraktivierung erstellen zu lassen. Attraktiver sollte das Riesenrad nicht nur für potentielle Fahrgäste werden, sondern natürlich auch für seine Besitzer in Hinsicht auf höhere Umsätze. In einem neuen Auffanggebäude sollte die notwendige Infrastruktur inklusive eines komfortableren, gedeckten Zu- und Abgangs unter einem Dach vereint sein. Neben der dadurch gewährleisteten Ganzjahresnutzung wurde als programmatische Erweiterung ein Panorama eingeplant, das es schon in früherer Zeit als eigenständiges Gebäude in der Nähe des Riesenrads gegeben hatte.

Zusätzliches Entertainment also durch ein bißchen Bildung - im Panorama wird die Geschichte Wiens in Bildern und Szenen nacherzählt - und ein bißchen mehr Shopping, indem der Abgang von der Riesenradfahrt zwingend durch den großen und gut sortierten Souvenirshop führt. Bei Nacht macht eine Lichtinstallation von Patrick Woodroffe das Riesenrad selbst zum Objekt und läßt es weithin über die Stadt strahlen.

Der in Wien lebende Schweizer Architekt Mathis Barz war bei seiner Konzeption darauf bedacht, für das bislang auf acht Stützen frei stehende Riesenrad nicht ein starres Sockelbauwerk wie bei einer Seilbahnstation zu entwickeln, sondern das kinetische Element der Anlage zu betonen und dies in die Grundrißgestaltung einfließen zu lassen. Die einzelnen Funktionen sind in lose aneinandergereihten, gerundeten Pavillons unterschiedlicher Dimensionierung und Materialität organisiert, wobei der Negativraum zwischen diesen als überdachtes halböffentliches Foyer definiert ist. Mit diesem Pavillonsystem wollte Barz die, wie er es nennt, „Buden-architektur“ des Wurstlpraters metaphorisch einbinden und der technoiden Charakteristik des Riesenrads kontrastierend entgegensetzen. Selbstverständlich sind es keine kitschigen Buden, wie sie sonst das Straßenbild des Praters prägen, sondern in Form und Material aufwendig gestaltete, eigenständige Objekte, die trotzdem dem Riesenrad Bodenhaftung verleihen sollen.

Der größte Baukörper, das Panorama, ist wie ein Schiffsrumpf nach außen hin völlig geschlossen und an seiner doppelt gekrümmten Außenwand mit rotem Alublech verkleidet.

Wenn man sich vom Praterstern her nähert, bildet er den Sockel, über dem das Riesenrad emporragt. Zu den Vergnügungsstätten hin orientiert liegt das rundum verglaste Café, das seinen Gästen den Panoramablick auf das bunte Treiben des Wurstlpraters gewährt. Zwischen dem roten und dem gläsernen Bauteil liegt die Kassa als anthrazitgrau verblechter Pavillon, aneinander-gebunden sind die drei Einzelelemente durch die zurückversetzten Eingänge ins Foyer.

Was man zu ebener Erde als sich zwar ergänzende, jedoch amorph geformte Bauteile wahrnimmt, wird von oben her betrachtet in seiner Konzeption kenntlich: Sobald man die Rundreise in einer der Gondeln antritt und über das Sockel-geschoß hinausfährt, werden die einzelnen Pavillons im Grundriß als angenäherte Dreiecke sichtbar. Barz hat eine geometrische Form aus dem Maschinenbau, das Releaux-Dreieck, gewählt, um sich dem Rund des Rads anzunähern, und sich nicht einfach eines Zylinders oder eines Ovals bedient. Die einzelnen Dreiecke mit gewölbten Seiten und abgerundeten Ecken sind durch die Dachhaut des Foyerbereichs zusammengespannt und lassen die fünfte Fassade wie ein eigenständiges Bild wirken, dem man sich langsam von oben her nähert.

Das Interessante an Barz' Konzept ist der spielerische, aber architektonisch ernsthafte Umgang mit der Praterthematik. Er hat es geschafft, ohne Verkitschung, aber auch ohne trocken funktionalistische Reduktion dem Formensynkretismus des Wurstlpraters ein zeitgemäßes Bauwerk hinzuzufügen. Und wer damit hadert, daß das Riesenrad nicht mehr ohne Annexbauten auskommt, der kann sich im Shop eine Schneekugel kaufen und ganz aus der Nähe Wiens Wahrzeichen frei- stehend, einsam im Schnee-gestöber betrachten.

Spectrum, Sa., 2002.08.24



verknüpfte Bauwerke
RiesenRäderwerk

18. Mai 2002Judith Eiblmayr
Spectrum

Wenn das Kellerabteil voll ist

Notorische Sammler, Händler, die ein Zwischenlager brauchen, Erben, die nicht wissen, wohin mit der Verlassenschaft: sie und viele andere, die unter Platznot leiden, finden seit drei Jahren in Wien-Umgebung eine Lösung ihres Problems: „Selfstorage“. Anmerkungen zu einem Phänomen anonymer Architektur.

Notorische Sammler, Händler, die ein Zwischenlager brauchen, Erben, die nicht wissen, wohin mit der Verlassenschaft: sie und viele andere, die unter Platznot leiden, finden seit drei Jahren in Wien-Umgebung eine Lösung ihres Problems: „Selfstorage“. Anmerkungen zu einem Phänomen anonymer Architektur.

Wenn man durch die Gewerbegebiete von Groß- und mittlerweile auch Kleinstädten fährt, macht eine Branche mit speziell raumgreifender Aggressivität auf sich aufmerksam: die Möbelindustrie. Während Baumärkte bereits einige Jahre in ihrer selbst formulierten Maßstäblichkeit des „Mega“ verharren, sind die Möbelhäuser längst bei „Giga“ angelangt, ein Begriff, der bei Betrachtung der enormen, mit Ware angefüllten Kubaturen und der gigantischen Dichte von Werbeauftritten nicht übertrieben scheint.

Der Expansionsdrang der konkurrierenden Unternehmen ist atemberaubend, und auf den Verkaufsflächen in XXXL-Dimension werden nicht nur mit Mobiliar, sondern mit Dingen wie „langbrennenden Altarkerzen“, „Kombi-Kinderwagen nach dem Feng Shui-Prinzip“ und „Gasgrillern mit Rost und Pfanne“ - kurz gesagt: mit Dingen, die einen „schöner leben“ lassen - Kunden gekeilt. Man fragt sich nun, wenn Frau und Herr Österreicher offensichtlich all diese „Musts“ eines zeitgemäßen Lebensstils kaufen - denn noch ist keines der Möbelhäuser offiziell vom Konkurs bedroht -, wo stellen sie das Zeug hin?!

Zweifellos ist die verfügbare Wohnfläche pro Kopf in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend gestiegen und will dem Einkommen adäquat mit Mobiliar und Accessoires gefüllt und vielleicht öfter im Stil verändert werden. Gleichzeitig wird die Menge an geerbten Stücken immer größer, da es durch den Wohlstand, der sich in der jüngeren Vergangenheit entwickelte, erstmalig für breitere Bevölkerungsschichten leistbar wurde, lustvoll zu konsumieren („Shopping macht happy“) und Güter anzuhäufen.

Es kommt also einiges zusammen; und will man nicht gleich alles verschenken oder entsorgen, so ist man gezwungen zu lagern. Für Wohnungsbesitzer heißt dies meist auslagern, denn das Kellerabteil ist in aller Regel voll, und Lagerung auf Dachböden ist behördlicherseits verboten.

Diese Marktnische hat sich in den vergangenen drei Jahren mit einem Angebot gefüllt: „Selfstorage“ offeriert Lagerräume in allen Größen zur Vermietung, die, wie der Name verrät, von den Nutzern selbst direkt bedient werden können. Am Stadtrand, verkehrsgünstig gelegen, kann hier frei nach dem Motto „Aus den Augen - aus dem Sinn“ alles mit dem Auto geliefert, abgeladen und schwellenlos hinter einem Garagentor verstaut werden, was man im täglichen Leben als Ballast empfindet.

Dies gilt natürlich nicht nur für private Haushalte oder notorische Sammler, sondern ebenso für Firmen, die ein externes Archiv praktisch finden, und für Händler, die für ihre Ware ein Zwischenlager benötigen. Auch Übersiedlungsgut oder eben Verlassenschaften können wochenweise eingestellt werden.

Das System ist einfach: Jeder Mieter, der bezahlt hat, erhält seinen persönlichen Code, nach dessen Eingabe sich der Schranken zur Garagenanlage zwischen sechs und 22 Uhr öffnet. Das eingezäunte und mit Überwachungskameras gesicherte Gelände in Langenzersdorf, die erste „Selfstorage“-Anlage Österreichs, hat den nüchternen Charme von Lagerhütten; silbriggraues Blech, blaue Tore und knallrote Türen signalisieren allerdings sofort, daß hier nicht anonyme Ware gelagert, sondern eine Identifikation mit dem Ort angestrebt wird.

Lagerhallen sind klassische Bauten anonymer Architektur, die aus vorgefertigten Teilen ausschließlich nach funktionellen Kriterien zusammengebaut werden und gleichzeitig vermitteln, umgehend demontierbar zu sein, sollten sie nicht mehr gebraucht werden. Diese reine Zweckorientiertheit der Bauten findet in der Billigbauweise aus Blechpaneelen und Rolläden ihre formal authentische Entsprechung, ein Ansatz, der längst auch in der Architektur seinen Niederschlag gefunden hat; Blech als Fassadenelement ist ein in seiner Ästhetik etabliertes und gern verwendetes Material um Baukostenbewußtsein zum Ausdruck zu bringen.

Interessant an dieser in Österreich vergleichsweise neuen Art der Gebäudenutzung ist, daß mit zunehmender Etablierung der Idee auch massiver gebaut wird: Die zweite „Selfstorage“-Anlage in der Wiener Breitenfurter Straße ist bereits aus Betonfertigteilen und mehrgeschoßig errichtet, die dritte steht überhaupt in einer Baulücke, von außen nicht mehr als Lagergebäude identifizierbar. Da diese Bauten jedoch schwieriger als Blechhütten abzubauen sind, ist eine eventuelle Nachnutzung als Bürohäuser bereits planerisch mitgedacht.

In den USA, woher die Idee stammt, ist die Marktentwicklung der Branche ganz klar an Situierung und Form zu erkennen; nach echten Lagerhäusern, wo, in Holzboxen verstaut, Hab und Gut für einen längeren Zeitraum abgegeben und eingelagert werden konnten, begannen sich Mitte der 1960er Jahre in den Industriezonen der Städte die ersten Selfservice-Anlagen zu etablieren. Die zunehmende Automobilisierung der Amerikaner verhalf der Idee sehr schnell zu großer Popularität, und so rückten die Anlagen immer näher an die Kunden heran.

Mittlerweile gelten sie dann als optimal situiert, wenn sie auf halbem Weg zwischen dem Wohnviertel und dem Einkaufscenter liegen und unkompliziert täglich angefahren werden können. Vom Store zum Storage ist es dann nicht mehr weit: Ware wird gekauft, eine Zeitlang benutzt und dann gelagert. Ist das Lager voll, macht man einen Garage-Sale oder entsorgt und kann dem Konsum wieder von neuem frönen.

Diese Anlagen sehen allerdings nicht mehr wie simple Garagen aus, sondern sind, weil fix institutionalisiert, um einen architektonischen Mehrwert bemüht und versuchen, mit Putz- oder Klinkerfassaden sich an benachbarte Bank- und Postgebäude stilistisch anzupassen.

Hält der augenscheinliche Trend - siehe Möbelhäuser - zur Etablierung einer Konsumgesellschaft nach amerikanischem Vorbild an, wird sich im dichten europäischen Raum die „Selfstorage“-Idee sicher auch in subtileren architektonischen Ausformungen verbreiten.

Vom ökonomischen Standpunkt aus ist die Auslagerung des Angehäuften deshalb so genial, weil sie den Konsumenten die tägliche Konfrontation mit dem Überfluß erspart. Womöglich würden sie sonst ein Kinderwagerl ausleihen und nicht mehr kaufen!

Spectrum, Sa., 2002.05.18

23. März 2002Judith Eiblmayr
Spectrum

Jedem sein Fenster!

Ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren: So diffizil die Bauaufgabe auch war, so souverän lösten sie Ernst Beneder und Anja Fischer. Die Neurologie Baumgartner Höhe: ein Gewinn für die Patienten, das Personal und die Architektur.

Ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren: So diffizil die Bauaufgabe auch war, so souverän lösten sie Ernst Beneder und Anja Fischer. Die Neurologie Baumgartner Höhe: ein Gewinn für die Patienten, das Personal und die Architektur.

Die Niederösterreichische Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke „Am Steinhof“ war seit ihrem Bestehen - 1907 als eine der weltweit modernsten Institutionen dieser Art errichtet - einigen Nutzungsänderungen unterworfen gewesen. Ein Teil der von Franz Berger, einem Architekten der niederösterreichischen Bauabteilung, geplanten und von Otto Wagner in ihrer städtebaulichen Anordnung supervidierten Pavillonanlage wurde bereits nach dem Ersten Weltkrieg in eine Lungenheilstätte umfunktioniert. Aus dieser entwickelte sich seit den sechziger Jahren einerseits das Pulmologische Zentrum und andrerseits, aus der Abteilung für Knochentuberkulose hervorgegangen, eine orthopädische Abteilung. Die eigentliche „Nervenheilanstalt“ wurde in Psychiatrisches Krankenhaus Baumgartner Höhe umbenannt, und so wurde man bei psychiatrisch auffallendem Benehmen ab den sechziger Jahren nicht mehr „auf den Steinhof“, sondern „auf die Baumgartner Höhe“ gebracht.

Seither hat sich viel geändert. Nach einer Reform der Betreuung psychiatrischer Patienten hat sich in den achtziger Jahren das Bild der psychiatrischen Krankenhäuser deutlich gewandelt. Allein die Verwendung des Plurals zeigt, daß in Wien nicht mehr eine einzige geschlossene Anstalt, am Rande des Stadtgebiets gelegen, als „der Steinhof“ angstbesetzt synonymisiert existiert, sondern zusätzlich in zwei Schwerpunktspitälern psychiatrische Abteilungen eröffnet wurden. Man ging in der Behandlung dazu über, die Stationen zu öffnen und Patienten und Patientinnen vermehrt ambulant und in relativer Nähe zu ihrem Wohnbezirk zu betreuen. Durch die Auslagerung einzelner Stationen von der Baumgartner Höhe wurden dort Pavillons leer und konnten einer neuen Verwendung zugeführt werden: einem Förderpflegeheim für geistig behinderte Kinder und Jugendliche etwa oder dem allgemeinen Pflegeheim Sanatoriumstraße.

Die wesentliche Neuerung stellte jedoch die Integrierung einer eigenen neurologischen Abteilung dar. Durch die zunehmende Spezifizierung in Diagnostik und Therapie erfolgte vor einigen Jahren die Trennung des Faches Psychiatrie und Neurologie in zwei eigenständige Disziplinen. Gerade auf der Baumgartner Höhe war der Bedarf einer Neurologie besonders stark gegeben, um sowohl Psychiatrie wie Orthopädie unmittelbar ergänzen zu können. Ein Synergieeffekt, den der Wiener Krankenanstaltenverbund auch insofern anstrebte, als zwecks Rationalisierung kleine Spitäler in Wien geschlossen und deren Abteilungen in den Verbund mit bestehender Infrastruktur gebracht werden und das Neurologische Krankenhaus Maria-Theresien-Schlös- sel in Döbling so neu verortet werden sollten. Die denkmalgeschützten Gebäude mit ihrer großzügigen Kubatur waren ideal für den Platzbedarf der neuen Nutzer, in drei benachbarten Pavillons konnte das gewünschte Raumprogramm umgesetzt werden.

Um der diffizilen architektonischen Aufgabe gerecht zu werden, ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren, war seitens der Gemeinde Wien 1997 ein EU-weites Bewerbungsverfahren ausgeschrieben worden, das die Wiener Architektengemeinschaft Ernst Beneder und Anja Fischer mit einem Konzept gewann, das sie ohne Abstriche und unter Einhaltung der budgetierten Kosten realisieren konnte. Das Denkmalamt war von Anfang an in die Generalsanierung der Jugendstil-Pavillons eingebunden, paradoxerweise bedeutete das aber in diesem Fall keine Einschränkung, sondern lieferte eher die Argumente, um die Großmaßstäblichkeit, die die besondere Qualität der Jahrhundertwendebauten ausmacht, zu erhalten und nicht möglichst rationell zuzubauen.

Man war mit dem Altbestand zufrieden, da er sich in seiner räumlichen Struktur als sehr gut adaptionsfähig herausstellte: Durch die Einhüftigkeit waren die süd-, ost- und westseitige Orientierung der Krankenzimmer und der nordseitige, natürlich belichtete Gang gegeben, auch die enorme Raumhöhe, die aus Kostengründen bei keinem Krankenhausneubau mehr gemacht werden würde, ließ mehr Spiel in der Raumgestaltung zu. Die Sichtziegelfassade, die großformatigen Holzfenster (mit kleiner Sprossenteilung), die südostseitigen Loggien zum Grünraum hin und die hellen Stiegenhäuser wurden originalgetreu instand gesetzt, notwendige Neuerungen an struktureller Infrastruktur, wie Haustechnik oder der Einbau von Aufzügen mit neuen Zufahrten für die Krankentransporte, wurden weitestgehend integrativ, also ohne Zubauten an die bestehenden Gebäude vorgenommen.

Die drei Pavillons sind alle nach dem gleichen Ordnungsprinzip aufgebaut, um im laufenden Betrieb eine universelle Orientierbarkeit zu gewährleisten. Jeweils im Sockelgeschoß sind Therapieeinrichtungen beziehungsweise die Tagesklinik untergebracht, im Erdgeschoß Ambulanz oder Bettenstationen und im ersten Obergeschoß Bettenstationen unter anderem mit Critical Care (Intensivstation). Die Dachgeschoße sind mit den Dienst- und Besprechungszimmern dem medizinischen Personal vorbehalten. Wichtig ist, daß in jedem einzelnen Gebäude noch Reserveflächen vorhanden sind, die nach Bedarf individuelle Entwicklungen der einzelnen Abteilungen zulassen.

Neben einer Akutneurologie (Stroke Unit) werden die meisten stationären Betten von Langzeitpatienten zur neurologischen Rehabilitation belegt sein. Dies war einer der wesentlichen Gründe für den von Ernst Beneder und Anja Fischer formulierten konzeptionellen Leitsatz: „Jedem Patienten sein Fenster“. Die räumliche Großzügigkeit in Form des langgestreckten Baukörpers ausnutzend, wurden die Patientenzimmer so angelegt, daß die Betten nicht nebeneinander, sondern einander vis-à-vis angeordnet sind und somit jede Patientin, jeder Patient über „ihr“ oder „sein“ Fenster verfügen kann. Bei diesem Konzept kann jeder beim Fenster liegen und den ungehinderten Blick in den Grünraum genießen, man kann es öffnen oder geschlossen halten oder auch abdunkeln, ohne den „Kollegen“ zu beeinträchtigen. Es wird für jedes Bett ein eigener Bereich definiert, was auch während der Besuchszeiten von großem Vorteil ist. Selbst die Vierbettzimmer sind entlang der Fensterfront orientiert in zwei Hälften geteilt, wobei durch halbhohe Schrankwände eine Art Vorraum abgetrennt ist, der die Intimität der Bettenkojen weiter erhöht.

Die Längsorientierung bewirkt, daß die Zimmer weniger Tiefe brauchen, was neue räumliche Definitionen möglich macht. An den Sanitärbereichen vorbei verläßt man das Krankenzimmer, gelangt jedoch nicht direkt auf den Gang, sondern in einen Vorbereich mit halböffentlichem Charakter, was durch ein fix befestigtes Bankerl noch unterstrichen wird. So verfügt jedes Zimmer über seinen eigenen Vorraum, wobei über Oberlichten eine visuelle Anbindung hergestellt wird. Diese Entkoppelung vom hohen Raum und den weniger hohen Zwischenwänden läßt die Einbauten wie hineingestelltes Mobiliar wirken. Gleichzeitig wird der Gang durch die Rücksprünge, die sowohl in der Bodengestaltung als auch durch abgehängte, auskragende Deckenelemente aus Aluminium betont werden, in seiner Länge entschärft. Zwischen den „Vorplätzen“ liegen Versorgungsräume, über dieser Zone verläuft entlang der Längsachse der Technikkollektor mit sämtlichen Ver- und Entsorgungsleitungen.

Über die bereits beschriebenen Zonierungen hinaus war die räumlich-funktionale Organisation der einzelnen Stationen an der Achsialität des Baubestandes so gut festzumachen, daß sie ganz selbstverständlich wirkt: Gegenüber dem mittig an der Nordseite des Baukörpers liegenden Stiegenhaus mit direktem Blick auf den Eingang liegt der jeweilige Stationsstützpunkt, an der Südostecke mit Ausgang auf die Loggia der Patientenaufenthaltsraum. Jedes Stockwerk ist durch eine spezifische Farbe der eingebauten Möbel und Wandpaneele kenntlich gemacht, alle Details sind durchgeplant und in hochwertigen Materialien ausgeführt - und vor allem: Alt und Neu gehen, wie meistens, wenn gute, sensible Architekten oder Architektinnen mit der Planung beauftragt werden, einander bedingend und ergänzend bestens zusammen.

Ernst Beneder und Anja Fischer betreiben ein relativ kleines Architekturbüro, durch ihr kreatives Potential, ihre Erfahrung und eine gut funktionierende Kooperation mit Partnern wie dem Zivilingenieurbüro Pörner & Partner für Statik, Haustechnik, örtliche Bauaufsicht ist es ihnen als Generalplaner gelungen, ein Großprojekt wie dieses mit all seiner Mühsal perfekt abzuwickeln. Dies soll ein Hinweis darauf sein, daß gerade im Spitalsbereich so oft intelligente Individuallösungen gefordert sind, die durch eine engagierte, fachkenntnisreiche Planung enorme Verbesserungen im für Personal wie Patienten nicht einfachen Alltag bewirken können. Leider scheint es derzeit eher so zu sein, daß dringend notwendige Sanierungen wie beim Kaiserin-Elisabeth-Spital trotz vorhandener Planung nicht umgesetzt werden.

Der Steinhof hat es jedenfalls geschafft, rundum erneuert zu werden. Mit insgesamt fünf sanierten Pavillons und neuen Kompetenzbereichen ausgestattet, wurde die Institution auch einem semantischen Relaunch unterzogen und heißt jetzt: Sozialmedizinisches Zentrum (SMZ) Baumgartner Höhe, Otto-Wagner-Spital mit Pflegezentrum. Am Fuße seiner Kirche wird Otto Wagner vereinnahmt; aber vielleicht wollen die Patienten dann eher hin - nicht nur die Architekten.

Spectrum, Sa., 2002.03.23



verknüpfte Bauwerke
Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum, Umbau Pavillon 3, 5 und 11 - Neurologisches Zentrum

09. Februar 2002Judith Eiblmayr
Spectrum

Ablaufdatum inklusive

Dem Baustellen-Container ist es unübersehbar eingeschrieben, dem „Set-Design“ eines Fernsehstudios ist es nicht unmittelbar abzulesen. Dennoch: Beide sind „temporäre Architektur“. Über die Zeit-Raum- Arbeiten von Stuart und Mascha Veech.

Dem Baustellen-Container ist es unübersehbar eingeschrieben, dem „Set-Design“ eines Fernsehstudios ist es nicht unmittelbar abzulesen. Dennoch: Beide sind „temporäre Architektur“. Über die Zeit-Raum- Arbeiten von Stuart und Mascha Veech.

Der Begriff der „temporären Architektur“ beschreibt, einfach ausgedrückt, ein Bauwerk, dem ein Ablaufdatum (in unterschiedlichen Ausformungen) impliziert ist. Das bekannteste synonyme Objekt temporärer Architektur ist wohl das Zirkuszelt: eine in ihrer Funktion spezifizierte Hülle, in kürzester Zeit aufgebaut, sich Raum nehmend und Raum gebend, über Nacht wieder abgebaut und an den nächsten Ort weitertransportiert. Im Winter unbenutzt, kann es viele Saisonen lang in Verwendung bleiben. Auch einem Baustellenbüro-Container ist das Temporäre eingeschrieben. Allein die Form signalisiert, daß das „Hüttel“ bald wieder weg und an anderer Stelle aufgebaut sein wird.

Es gibt aber noch andere als ausschließlich am Ort festgemachte Lesarten des temporär Gebauten. Ausstellungs-architektur definiert sich sowohl über den situativen als auch über den inhaltlichen Kontext für eine begrenzte Zeitspanne. Die meist speziell für einen Ort, ein Thema oder sogar ein Objekt entworfenen Gestaltungselemen- te landen nach Abbau einer Ausstellung bestenfalls in einem Depot, können aber meist nie wieder verwendet werden. Im Gegensatz zu mobiler Mehrwegarchitektur wie oben handelt es sich hierbei um meist statische Einwegarchitektur.
Auch in der Medienwelt wird selbstverständlich mit temporärer Architektur operiert. Eine regelmäßige Fernsehsendung ist für die Zuseher nicht nur über Titel, Themenbezogenheit und fixen Zeitpunkt der Ausstrahlung festzumachen, sondern auch über ihr „Set-Design“. Dieserart wird den Fernsehkonsumenten „ein gleichermaßen durch Kommunikation und Architektur bestimmter Raum“ (Stuart Veech), in einem beschränkten Zeit-Raum - wenn auch nur visuell - zugänglich gemacht. Allein durch eine divergierende Ausleuchtung können kurzzeitige Raumwirkungen von vermeintlich unterschiedlichem architektonischem Charakter in ein und demselben Raum erzeugt werden, als sozusagen temporär inszenierte Architektur der Wahrnehmung.

Die Arbeit von Stuart Veech und Mascha Veech-Kosmatschof widmet sich hauptsächlich der temporären Architektur - in all den genannten Ausformungen. Der Name veech.media.architecture. besagt dabei nicht nur, daß die Architekten (Massen-)Medien wie den ORF bedienen beziehungsweise sich der Medien, wie neuester Computertechnologie, als Arbeitsinstrumente bedienen, sondern daß sie die von ihnen erdachte Architektur selbst als Medium verstanden wissen möchten, das die Stimulierung eines Innen- oder Außenraums bewirkt.

Wenn Stuart Veech ein neues Studio-Design für „Zeit im Bild“ entwickelt - das demnächst auf dem Bildschirm zu sehen sein wird -, macht sich der durchschnittliche Fernsehkonsument keinen Begriff von der Komplexität dieser gestalterischen Aufgabe.

Abgesehen von technischen Notwendigkeiten gilt es speziell für eine Nachrichtensendung, das Studio so herzurichten, daß es nicht nur gut aussieht, sondern auch Glaubwürdigkeit vermittelt. Für die Zuseher muß ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen den Objekten (Tisch, Videowall et cetera) und der Moderatorin als aktivierendem Element, denn erst durch die Präsenz einer Person wird das Set-Design in seiner Maßstäblichkeit und räumlichen Wirkung identifizierbar.

Die Inszenierung des realen architektonischen Raums mit Hilfe von Licht, Bewegung, Kameraführung und „framing“ - der Monitor schafft den passenden Rahmen für das Bild - bedingt eine Transformation, deren Endprodukt als visuell spannende Illusion auf dem Bildschirm erscheint: On-Screen- Architecture oder, wie es Veech nennt, ein Raum in 2.5D. Insofern ist dieser Entwicklungsprozeß - der meist unter Zeitdruck einer starken kreativen Dynamik unterliegt - der konventionellen Entstehung eines architektonischen Gebildes diametral entgegengesetzt.

Ein thematisch naheliegendes Beispiel von veech.media.architecture. ist die Gestaltung der Ausstellung „Televisions - Kunst sieht fern“ in der Kunsthalle Wien, die Anfang Jänner zu Ende ging. Um die Kunst-betrachter näher an die Fernsehkunst heranzubringen, bedurfte es in der schwierig zu bespielenden Halle 1 eines prägenden architektonischen Eingriffs: Die Veechs nutzten den hohen, mit einer Tonne gedeckten Raum aus, indem sie eine mit Projek-tionsfolie bespannte Gerüstkonstruktion hineinstellten, die ei- nerseits die zwei Galerien an den Breitseiten der Halle durch einen Steg verband, andererseits als den Raum längs strukturierendes Element wirkte. Durch Ausschnitte im fast raumhohen Screen wurde der Blick in den Ausstellungsraum beziehungsweise auf die einzelnen vorgehängten Wände mit Kunstwerken freigegeben, von der unteren Ebene betrachtet schufen die über den Steg spazierenden Menschen ein „bewegtes Bild am Schirm“. Der Einbau der Brücke intendierte, eine Fluktuation durch die Ausstellung herbeizuführen, gleichzeitig wur- de der ganze Raum für die Besucher aktiviert, da sich von der Brücke aus neue räumliche Perspektiven erschlossen.

Mascha und Stuart Veech haben sich dadurch einen Namen gemacht, daß sie, ohne sich selbst in Szene zu setzen, experimentelle Projektentwicklung für jene Kunden betreiben, die sich des Wunschprodukts nicht sicher sind. Als sie vom Bundesministerium für Bildung und Kunst gebeten wurden, anläßlich des „Jahres der Sprachen“ (2001) einen interaktiven Info-terminal in Säulenform zu planen, konnten Veech & Veech die Bauherrschaft davon überzeugen, daß ein solches Objekt alleine keinen sehr hohen Aufforderungscharakter hat, ein attraktiver Raum jedoch sehr wohl.
Sie entwickelten einen Pavillon aus einer pneumatischen Klappkonstruktion, der im öffentlichen Raum aufgestellt wurde. Mit einer Zelthaut aus transluzenten Luftpolstern glich er einem gelandeten UFO, das durch eine breite Öffnung betreten werden konnte. Die „Roadshow“ war insofern perfekt inszeniert, als nach einem Tag Aufbau das über Nacht leuchtende Objekt als sein eigener Werbeträger fungierte und das Publikum für den nächsten Tag anzog. Im Inneren der „Sprachblase“ konnte man sich über Möglichkeiten der Fremdsprachenvermittlung einen Tag lang informieren.
Nebst einer Wanderbühne wie dem Sprachpavillon, der mehrere Wochen durch Österreich „tourte“, ist ein anderer von veech.media.architecture. entworfener Bühnenraum seit drei Jahren unverändert in Verwendung: das STUDIO 44, das die Österreichischen Lotterien als hauseigenen Veranstaltungssaal einrichten ließen. Stuart und Mascha Veech erhielten den Auftrag, das Inventar des technisch voll ausgestatteten Studios so flexibel wie möglich zu halten, um für Veranstaltungen verschiedenster Art in formaler und funktionaler Hinsicht gerüstet zu sein. Neben Eigenveranstaltungen wie Pressekonferenzen und Produktpräsentationen wollte man die Räumlichkeiten durch Fremdvermietung sinnvoll nutzen.

Die Lösung war ein im besten Sinne multimedial ausgerichteter Raum, der durch ein Maximum an technischer Ausstattung mit einem Minimum an Einbauten auskommt. Der anthrazitfarben ausgekleidete Veranstaltungssaal verfügt lediglich über eine Bühne mit einem konkaven Hintersetzer an der Stirnwand und zwei konvexen, seitlich flankierenden Hintersetzern, zwei Videowalls, die gegebenenfalls zu einer großen zusammengeschoben werden können, und einer mit technischem Gerät vollgepackten Decke.

Die eigentliche, individuelle Raumgestaltung erfolgt nun von der technischen Leitzentrale aus, die sich auf einer „Kommandobrücke“ im Hintergrund des Raums befindet und von dort aus alle Scheinwerfer, Projektoren und Lautsprecher steuert. Die Bühne ist aus Glas, kann durch integrierte Leuchtstoffröhren in allen Farben hinterleuchtet werden und gerät dieserart selbst zur Installation. Ihre trapezoide Form verstärkt die Perspektivwirkung und erzeugt durch einen leichten (Auf-)Schwung des Bühnenbodens als Übergang zum kon-kaven Hintersetzer räumliche Spannung, wodurch die Redner oder präsentierten Objekte zum integralen Bestandteil der Inszenierung werden.
Durch die gezielte Bespielung der Videowall und der Netz- Vinyl-Screens (Hintersetzer) mit Farben und Motiven wird die dem jeweiligen Event adäquate Raumstimmung erzeugt. Dies ist ein medial erschaffenes Environment, wo reine Projektionsträger raumbildend wahrgenommen werden. Die rasch mögliche Änderung des Raumbilds bewirkt natürlich eine praktikable Flexibilität für die Raumnutzung, wodurch die Multifunktionalität des STUDIO 44 in höchstem Maße gegeben ist.

Diese Art von Flexibilität verkörpernder Architektur entspricht auch dem ganz persönlichen, kosmopolitischen Ansatz von Architektin und Archi-tekt im abstammungsbedingten Spannungsfeld zwischen Moskau und Chicago und dem gemeinsamen Studium an der Architectural Association (AA) in London.

Vielleicht fungieren Mascha und Stuart Veech an ihrem momentanen Lebensmittelpunkt Wien auch als kreative Mediatoren zwischen unterschiedlichen Kulturen.

Spectrum, Sa., 2002.02.09



verknüpfte Bauwerke
„Televisions“ - Ausstellung Kunsthalle

03. November 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

Zum Mittelpunkt der Erde

„Architektur beherrscht den Raum, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushölt, weit auskragend über dem Land schwebt.“ Was Hans Hollein vor 40 Jahren schrieb, liest sich wie das programmatische Konzept zu seinem Vulkanmuseum in der Auvergne, das demnächst eröffnet wird: eine Erlebniswelt im besten Sinne.

„Architektur beherrscht den Raum, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushölt, weit auskragend über dem Land schwebt.“ Was Hans Hollein vor 40 Jahren schrieb, liest sich wie das programmatische Konzept zu seinem Vulkanmuseum in der Auvergne, das demnächst eröffnet wird: eine Erlebniswelt im besten Sinne.

„Architektur beherrscht den Raum. Beherrscht ihn, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushöhlt, weit auskragend über dem Land schwebt, sich in alle Richtungen ausbreitet. Beherrscht ihn durch Masse und Leere. Beherrscht Raum durch Raum. In dieser Architektur geht es nicht um Schönheit. Wenn wir schon eine Schönheit wollen, dann weniger eine der Form, der Proportion, sondern eine sinnliche Schönheit elementarer Gewalt. ... Alles Bauen ist kultisch.“

Was Hans Hollein 1962/63 - hier auszugsweise wiergegeben - in seinem Manifest „Absolute Architektur“ geschrieben hat, klingt, als ob ein Vulkanmuseum schon immer ein Traumprojekt von ihm gewesen wäre. Denn wo ist die elementare Gewalt unmittelbarer spürbar — sowohl in ihrer Sinnlichkeit, als auch in ihrer Brutalität — als bei Bewegungen, die aus dem Inneren des Erdballs herrühren. Eigentlich ist es ein Vulkanausbruch, der den Raum beherrscht. Ihn beherrscht, indem Lava in die Höhe schießt, die Erde aushöhlt, weit auskragend über dem Land schwebt, sich in alle Richtungen ausbreitet.
Seine Theorie der frühen sechziger Jahre erklärt unter anderem all jene durch technische Machbarkeit entstandenen Negativräume in der Natur zur Architektur, ein Ansatz, dem Hollein 1990 beim preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag für das Guggenheim-Museum in Salzburg konkrete Form gab. In kaum einem anderen architektonischen Projekt jemals wurde die Dialektik zwischen Architektur und Landschaft so deutlich zum Ausdruck gebracht wie in Holleins Entwurf für „Das Museum im Fels“.

Die Idee im historisch gewachsenen, dichten Stadtkern von Salzburg zusätzlichen Raum zu schaffen, indem man unter Tag abbaut statt hoch aufbaut und dem Mönchsberg Räume „herausreißt“, entspricht exakt der Umsetzung des Gedankens von der „sinnlichen Schönheit elementarer Gewalt.“ Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man den Fels für einen Zweckbau wie einen Tunnel oder eine Garage aushöhlt oder ob man diesen Höhlen kultischen Charakter verleiht, indem man sie zu einem Museum für bildende Kunst macht.
Valérie Giscard d´Estaing dürfte die Entsprechung des Holleinschen Architekturbegriffs für die Bauaufgabe eines Vulkanmuseums bewusst gewesen sein, denn angeblich war er es, der einem lokalen Architekturbüro in der Auvergne empfahl, für den diesbezüglichen Architekturwettbewerb Hans Hollein beizuziehen. Giscard d´Estaing — so wie jeder französiche Präsident mit dem lebenslangen Titel „Président de la République Française“ versehen — blieb zu Amtszeiten (1974-81) die Fertigstellung eines von ihm initiierten großen Bauwerks versagt, da es jedoch durchaus zum Selbstverständnis der Französischen Staatspräsidentschaft gehört, sich auch über Architektur zu definieren, wollte er dies zu einem späteren Zeitpunkt nachholen; In seiner jetzigen Funktion als „Président du Conseil Régional d’Auvergne“ war es seine Idee im strukturschwachen, mittelfranzösischen „Avernerland“ den Tourismus zu forcieren und inmitten der beeindruckenden Landschaft erloschener Vulkane das „Europäische Zentrum für Vulkanismus“ anzusiedeln, womöglich durch einen berühmten Architekten realisiert.

Hans Hollein - in Kooperation mit „Atelier Quatre“ aus der Nähe von Clermont-Ferrand - gewann den 1994 ausgeschriebenen Wettbewerb gegen hochkarätige internationale Konkurrenz, nicht zuletzt deshalb, weil sein Konzept das einzige war, das auch in die Tiefe ging, indem er die Hälfte der musealen Ereignisse in das aus Vulkangestein gebildete Gelände eingegraben hat.

Nachdem es für ein Museum dieserart keinerlei Vorbild gab, war ein interessanter Aspekt bei dieser Bauaufgabe, das Thema Vulkanmuseum an sich zu entwickeln und das geforderte Nutzungsprogramm in eine räumliche Komposition zu bringen. Hollein verfolgte dabei einen poetischen Ansatz und bezog sich nicht nur auf Werke der Literatur, wie Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ oder Dantes „Göttliche Komödie“, indem er zum Beispiel den Abstieg in einen künstlichen Krater für das Publikum infernalisch inszenierte, sondern zitierte auch aus der (französischen) Architekturgeschichte, wie etwa aus dem Werk des Revolutionsarchitekten Etienne-Louis Boullée oder des Architektur- und Geschwindigkeitstheoretikers Paul Virilio.

„Vulcania“, dessen programmatisches Konzept von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet wird, wird jedoch nicht nur ein Ziel für Erlebnistouristen darstellen, sondern auch als weltweit einzigartiges wissenschaftliches Zentrum auf dem Gebiet der Vulkanologie dienen. Es soll sowohl als Kongress- und Forschungszentrum entsprechen, als auch für Schülerinnen und Schüler einen spannenden, interaktiven Geologieunterricht bieten.
Das Museumsgelände ist in einen großen von Gilles Clément geplanten Landschaftspark eingebettet, der unter striktem Naturschutz steht und als Erholungsgebiet genutzt werden wird. Zur Sicherung der nahen unterirdischen Wasserreservoirs von Volvic und aus Angst vor einer Disneyfizierung der Gegend wurden sehr strenge Richtlinien für den Umweltschutz erstellt und ein rigoroses Bauverbot für Hotels und ähnliches in der näheren Umgebung verhängt. Gleichzeitig hofft man, dass sich für die zehn Kilometer entfernt liegende Stadt Clermont-Ferrand durch das Anbieten der tourismusorientierten Infrastrukur neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen.

Wenn man sich der Museumsanlage nähert, die sich im Innen- und Aussenraum erstreckt, sind nur zwei Baukörper als Blickattraktoren ausnehmbar, das Empfangsgebäude, in dessen Obergeschoß ein Restaurant mit Rundblick auf die vulkanische Landschaft untergebracht ist und „Le Cône“, der das Zentrum der Anlage signalisiert.

Über eine lange, von einer Zyklopenmauer aus herausgesprengtem Lavagestein einerseits und einer begrünten Böschung andrerseits begrenzten Rampe dringt man ins Gelände ein und gelangt auf die unter Niveau liegende Ebene der so bezeichneten „Caldera“. Hier umschreitet man den aussen mit dezenten hellgrauen Basaltgesteinsplatten belegten Konus, der aus zwei versetzt angeordneten Halbschalen von unterschiedlicher Höhe besteht. Seine Innenseite erstrahlt allerdings in Gold und man erkennt sehr schnell, dass es sich hier um einen Archetypus kulthaften Bauens handelt, der symbolträchtig das Sonnenlicht einfängt und ins Untergeschoß weiterleitet.

Diese innere Haut des Konus wird aus Edelstahlplatten gebildet, die durch ein spezielles, in Korea entwickeltes Titanbedampfungsverfahren ihren goldfarbenen Glanz erhalten und eine unterschiedliche Oberflächenstruktur aufweisen: An der sonnenzugewandten Seite werden die Strahlen über eine kassettenförmige Anordnung der in sich strukturierten Bleche gestreut, das gleichmäßige Licht von Norden wird hingegen über eine glatte Oberfläche reflektiert. Bei Dunkelheit soll der Innenraum mit künstlichem Licht und sogar mit Feuer bespielt werden. Die Sockelzone des „Cône“ ist gleichzeitig die Hauptebene des Museums, das sich den BesucherInnen in einem abwechslungsreichen Rundgang erschließt: Die Ausstellungsräume, die einer eigenen Szenografie von Rainer Verbizh unterliegen, der „Jardin Volcanique“, ein Gewächshaus, das die fruchtbare Bodenbeschaffenheit nach einem Vulkanausbruch thematisiert, die zwei Kinosäle, wo Vulkaneruptionen im Imax-Format verfolgt werden können.
Schlussendlich gerät man über eine gewundene Rampe im Krater, der einen Blick in die Natur der Sache gewährt und die freigelegten, echten Schichtungen von Lavagestein zeigt, wieder auf die Ebene der „Caldera“. Begleitet wird man dabei von einem künstlichen, erdinneren Grollen und aufsteigenden Dämpfen sein.

Bei der Gesteinswahl hat sich Hollein vorwiegend an regional Vorhandenes gehalten, sei es beim grauen Basalt und rötlichen Sandstein, oder beim Basalt als Zuschlagsstoff des anthrazitfarbenen Betons mit vereinzelt roter Körnung.
Sogar der Name „Vulcania“ wurde in der Region in einem eigenen Schülerwettbewerb kreiert, was beweist, dass Star Trek auch die Kinder in der Auvergne kreativ beflügelt.

„Vulkane sind die konstante Erinnerung an den fortwährenden Prozess der Bildung unseres Planeten. Es gibt einen starken rituellen und symbolischen Aspekt in der Idee eines Zentrums für Vulkanologie. Architektonisch gesehen ist dieses Konzept wirklich dreidimensional. Da es gleichzeitig substraktiv und additiv ist, erlaubt es eine freie Entwicklung der Räume und ihre Bewegung in jede Richtung: horizontal, vertikal und diagonal“, schreibt Hans Hollein.
Nach fünfjähriger Bauzeit wird das Vulkanmuseum Anfang nächsten Jahres eröffnet, eine Erlebniswelt im besten Sinne, wo das beeindruckende Naturschauspiel eines Vulkanausbruchs inszeniert, gleichzeitig jedoch ein Bildungsauftrag erfüllt wird und diese beiden Aspekte in einer poetischen Gesamtkonzeption miteinander verbunden werden.

Spectrum, Sa., 2001.11.03



verknüpfte Bauwerke
Vulcania - Vulkanismus-Museum

08. September 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

Was sich daheim alles abspielt

Nicht nur das satte Orange der Fassade verbindet den Tochter- mit dem Mutterbau. „Miss Sargfabrik“ von BKK-3 hat sich inzwischen ebenso wie die „Missis“ als Synonym für gelungenen sozialen Wohnbau etabliert. Weiterer Nachwuchs dringend erwünscht!

Nicht nur das satte Orange der Fassade verbindet den Tochter- mit dem Mutterbau. „Miss Sargfabrik“ von BKK-3 hat sich inzwischen ebenso wie die „Missis“ als Synonym für gelungenen sozialen Wohnbau etabliert. Weiterer Nachwuchs dringend erwünscht!

Leben im Industriedenkmal ist in Wien zur Zeit ein hochaktuelles Thema. Allerdings befürchtet die Betriebsgesellschaft eines solchen Projekts offensichtlich die mangelnde Identifikation ihrer Zielgruppe mit dem historischen Ort und kreiert ein zeitgemäßes Branding, um die Kundschaft nicht mit architektonischen Altlasten zu verschrecken. Und so wird zum Beispiel durch einen semantischen Kunstgriff aus den plumpen Gasometern eine schicke Vorstadt, denn: „G-town ist eine junge Stadt“.

An einer anderen Stelle in Wien, in Penzing, hatte man mit dem Verweis auf die ehemalige industrielle Nutzung des Orts offensichtlich weniger Probleme gehabt, wodurch sich die eher skurril anmutende Bezeichnung „Sargfabrik“ als Synonym für ein gelungenes soziales Wohnbauprojekt etablieren konnte.

Eine Gruppe unzufriedener Wohnungssuchender war Anfang der 1990er Jahre angetreten, um mit Hilfe der Architekten und Architektinnen des Baukünstlerkollektivs BKK-2 (Ch. Lammerhuber, A. Linemayr, F. Sumnitsch, F. Wallnöfer, J. Winter und E. Wurster) eine neue Art der Wohnform auf dem Wiener Wohnungsmarkt zu plazieren. Man gründete den „Verein für integrative Lebensgestaltung“ und wollte das leerstehende Fabriksgebäude im dicht verbauten Gebiet zu einem Wohnbau umfunktionieren. Die Bausubstanz war allerdings zu schlecht, und so wurde 1996 ein Neubau in sattem Orange fertiggestellt, der sich nicht nur durch diese Farbgebung exzentrisch zeigt, sondern der auch in seinem sozial ausgerichteten Raumprogramm links der Mitte anzusiedeln ist: In bester Tradition des Wiener kommunalen Wohnbaus der Zwischenkriegszeit wurden nebst Wohnungen gemeinschaftlich zu nutzende Zusatzeinrichtungen wie Kindergarten, Hallenbad, Veranstaltungssaal und Café errichtet, deren Betrieb gemeinsam und durch Vermietung finanziert wird. Gleichzeitig wollte man durch diese Infrastruktur ein neues kulturelles Zentrum schaffen und sich trotz unangepaßter Architektur im Grätzel integrieren. Die Intention: eine Belebung des Viertels, ging auf.

Um eine höhere Dichte zu erreichen, die Förderungsmittel für die Gemeinschaftseinrichtungen voll ausschöpfen und möglichst billig bauen zu können, wurde das Gebäude als Wohnheim deklariert, in dem die Wohnungen wie Heimplätze vergeben werden. Ein Kollektivprojekt, das 1996 wegen seiner außergewöhnlichen Architektur mit dem Bauherrnpreis der Zentralvereinigung der Architekten und mit dem Adolf-Loos-Preis ausgezeichnet wurde.
Der gute Ruf der „Sargfabrik“ und die hohe Wohnzufriedenheit bewirkten eine starke Nachfrage nach freien Wohnungen im Verband, sodaß schon bald über eine Erweiterung in unmittelbarer Nachbarschaft nachgedacht wurde. Dies auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Gemeinschaftseinrichtungen durch mehr Nutzer und Nutzerinnen jeden einzelnen billiger kommen würden. So wurde an der nächsten Ecke ein Grundstück angekauft und von (mittlerweile) BKK-3, den Architekten Johann Winter und Franz Sumnitsch, ein Ableger geplant, der sich gebauterweise zu einem stattlichen Fräulein auswuchs: „Miss Sargfabrik“ - weil in der Missindorfstraße gelegen - wurde in ihrer Konzeption insofern modifiziert, als sämtliche Erfahrungen der Bewohner und Bewohnerinnen des ersten Bauteils analysiert wurden und in die Planung einflossen. Bei der Beibehaltung der Farbe Orange für die Fassade, die auch bereits als Trademark fungiert, war man sich einig. Leicht verändert wurde hingegen die bauliche Struktur; „Missis“ wurde abgeschlankt, sprich, die Wohnungen wurden kleiner, um besser leistbar zu sein, und die Dichte weiter erhöht, indem das ausgeklügelte Split-level-System, das die Schlafräume extrem niedrig und die Wohnräume möglichst hoch werden läßt, gegenüber dem Altbau noch verfeinert wurde.

Der Niveauausgleich innerhalb der Wohnungen erfolgte dort, wo die Mieter dies wollten, über Rampen neben den Gehstufen, wodurch ein offener Übergang mit höchst dynamischem Charakter geschaffen wurde. Durch eine Überbauung der Rampen kann jedoch bei Bedarf zusätzlich nutzbarer (Stau-)Raum geschaffen werden. Vorwiegend geprägt wird die Raumdynamik allerdings durch die geknickten Wohnungstrennwände, die die Kleinheit der Wohneinheiten durch die Perspektivwirkung kaschieren. Diese Wohnungen sind im besten Sinne schräg und weichen entschieden vom gängigen Grundrißtypus ab. Ausgeglichen wird die geringe Wohnfläche durch die Einbettung in eine auch im architektonischen Sinne soziale Struktur: Alle Wohnungen werden wohnzimmerseitig, wo auch der Eingang in die Wohnungen liegt, von einem süd- beziehungsweise ostseitigen, L-förmigen Laubengang erschlossen, der gleichzeitig als private Loggia dient. Diese Laubengänge, an deren beiden Enden die Stiegenhäuser situiert sind und die in den gemeinschaftlich genutzten Innenhof orientiert sind, können als die kommunizierenden Gefäße des Systems betrachtet werden, denn hier kriegt man alles mit, was sich daheim im Heim abspielt. Man sieht, wer kommt und geht, wer zu Hause ist und wer mittels heruntergelassener Jalousie seine Intimsphäre gewahrt haben möchte - dies stellt eine Art der sozialen Kontrolle dar, die man wollen muß.

Begünstigt sind dabei die Wohnungen im Dachgeschoß, die nicht nur über mehr Privatheit, sondern auch über einen herrlichen Fernblick verfügen. Auf Straßenniveau liegen nebst dem Haupteingang und der Garage (drei Pkw-Stellplätze sind für das Wohnheim genug, und selbst die sind durch eine Unzahl eingestellter Fahrräder alternativ zweckentfremdet) fünf Maisonetten, die durch jeweils eigene Eingänge direkt von der Gasse ideal als „Homeoffices“ genutzt werden können. Der Innenhof wurde auf die Ebene des Souterrains abgesenkt, wodurch ein vollwertiges, natürlich belichtetes Geschoß gewonnen wurde. Hier sind Bäume gepflanzt, plätschert das Wasser in einem Brunnen und ergibt sich für die Maisonetten eine ebenerdige Erweiterung in den Außenraum.

Die Kollektivräume der Hausgemeinschaft hingegen sind nicht als Nebenräume im Souterrain angelegt, sondern liegen vom Laubengang aus begehbar zentral im Gebäude auf zwei Ebenen, ineinander verschachtelt und teilweise mit Sichtverbindung untereinander: eine Küche mit Eßplatz, die für größere Einladungen oder Feste benutzt werden kann, die Waschküche, ein Raum für mögliches Teleworking und das erweiterte Wohnzimmer für alle, eine Bibliothek. Diese verfügt auf beiden Ebenen über einen Zugang, wobei sich der Raum bei Benutzung des unteren Eingangs über eine extrem steile, gewendelte Rampe erschließt, die seitens der Baubehörde nur deshalb genehmigt wurde, weil sie als „Bergskulptur“ (Benutzung auf eigene Gefahr) gewidmet wurde. Lediglich der Discoraum für die Jugendlichen ist im Keller untergebracht und auch separat von der Gasse aus zugänglich. Ins Hallenbad, in den Kindergarten oder ins Café spazieren die Mieter und Mieterinnen eine Gasse weiter in die „alte Sargfabrik“.

Dem von seiten des „Vereins für integrative Lebensgestaltung“ selbstauferlegten sozialen Anspruch wird dieses gelungene Integrationsprojekt nicht nur dadurch gerecht, daß auch Behindertenwohnungen und eine betreute Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche Platz fanden, sondern er zeigt sich logischerweise in der Bewohnerstruktur. Alleinerziehende Mütter, geschiedene Männer sind jene, die auf eine erschwingliche, funktionierende soziale Infrastruktur angewiesen sind, um nicht häuslich zu vereinsamen. Die Nachfrage seitens der Frauen war so hoch, daß sogar ein Inserat aufgegeben werden mußte - „Miss sucht Männer!“ -, um eine bessere Durchmischung zu erreichen. 10 Prozent der Wohnungen werden mit befristeten Verträgen vergeben, damit ein gewisses Flexibilitätspotential gewahrt wird und neue Interessenten die Chance erhalten, in die „Sargfabrik“ einzuziehen. Die Fluktuation ist jedoch wesentlich geringer als erwünscht, wer einmal hier wohnt, möchte nicht mehr ausziehen. Durch das genossenschaftliche Prinzip hat sich eine Hausgemeinschaft gebildet, die die Verantwortung für die Pflege des Ganzen übernommen hat und dadurch offensichtlich für jeden einzelnen eine höhere Lebensqualität erzeugt als bei einer individualisierten Wohnform.

In Zeiten wie diesen, wo auch im sozialen Wohnbau die Gewinnmaximierung des Bauträgers im Vordergrund steht - siehe „G-town“ -, sind intelligente Projekte, wo die Architekten einen „sozialen Funktionalismus“ mit spannenden Formen und charmanten Details kombinieren, eine wahre Wohltat. Der Einsatz von Wohnbauförderungsgeldern erfolgt dieserart in optimaler Weise und schließt, wie die ungebremste Nachfrage von Bewerbern und Berwerberinnen zeigt, eine Lücke auf dem Wohnungsmarkt. Kollektive Wohnprojekte gab es schon viele, aber dieses scheint in ganz unwienerischer Art auch gut zu funktionieren. Der Bedarf an Projekten wie Mutter und Tochter Sargfabrik ist gegeben, hoffentlich sind die Architekten des Vereinslebens noch nicht müde und betreiben weiterhin eine geordnete „Familienplanung“.

Spectrum, Sa., 2001.09.08



verknüpfte Bauwerke
Miss Sargfabrik

16. Juni 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

Was man alles für die Quote tut

Museen setzen auf Konsum- und Unterhaltungsangebote, um die Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen; Einkaufszentren gehen mit pseudomusealen Inszenierungen auf Kundenfang. Über die trendige Annäherung von Konsum und Kultur.

Museen setzen auf Konsum- und Unterhaltungsangebote, um die Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen; Einkaufszentren gehen mit pseudomusealen Inszenierungen auf Kundenfang. Über die trendige Annäherung von Konsum und Kultur.

Als im Oktober 1959 Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York eröffnet wurde, schienen sich die Kritiker in der Beurteilung ziemlich einig: Es sei ein großartiges Bauwerk, sensationell in seiner skulpturalen Wirkung im städtebaulichen Kontext und in der Inszenierung des Innenraums - die ausgestellten Kunstwerke jedoch würden dadurch zu stark in den Hintergrund der Besucherwahrnehmung gedrängt. Eine Einschätzung, die in einer Umfrage unter den Museumsbesuchern 1960 eindrucksvoll bestätigt wurde: 38 Prozent waren gekommen, um das Gebäude zu sehen, 53 Prozent, um das Gebäude und die Kunst zu sehen, und nur 5 Prozent allein wegen der Kunst.

Frank Lloyd Wrights Konzept, den Weg für die Kunstbetrachter spiralförmig anzulegen und diese nicht nur dynamisch an den Werken vorbeiziehen, sondern selbst als Bestandteile in der Dynamik des runden Zentralraums wirken zu lassen, verfehlte seine Wirkung nicht, und das Guggenheim Museum zählte bald nach seiner Eröffnung 3000 Besucher am Tag. Wright hatte als einer der ersten erkannt, daß ein Museum auch etwas anderes bieten kann als ein monumentales Äußeres und möglichst neutrale Ausstellungs- räumlichkeiten, und zweifellos prägt er die Linie der Guggenheim Foundation, be i neuen Gebäuden auf eine außergewöhnliche Architektur als wesentlichen Marketingfaktor zu setzen, bis heute - zuletzt bei Frank O. Gehrys Museum in Bilbao.

Auch die österreichischen Museen - mehr oder weniger in die Selbständigkeit entlassen - werden sich in Zukunft anstrengen müssen, die nötige Besucherquote zu erbringen, um angemessen wirtschaftlich reüssieren zu können. Am Beispiel Museumsquartier Wien, das Ende Juni eröffnet wird, ist allerdings zu sehen, daß der Bauherrschaft die Notwendigkeit eines zeitgemäßen architektonischen Zeichens nicht bewußt gewesen sein dürfte. Die neuen Museumsbauten ducken sich brav hinter den barocken Trakten, das sogenannte und so erwünschte historische Stadtbild wird durch keinerlei aufragenden Aufreger gestört. Daß es gerade dieses vertikalen Anregers für das potentielle Publikum bedurft hätte, den die Architekten Laurids und Manfred Ortner in Form des aus dem siegreichen Wettbewerbsentwurf eliminierten Leseturms geplant hatten, wird nun offensichtlich und vom Geschäftsführer des „Muqua“, Wolfgang Waldner, auch thematisiert.

Abgesehen vom „sichtbaren Signal“ (Waldner) wird man auf andere Mechanismen setzen müssen, um das mitunter anstrengende Erlebnis Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen. Die Kunst an sich ist für die notwendige Quote nicht mehr Attraktion genug; um neue Zielgruppen zu erreichen, muß die Institution Museum einen „Auftritt“ disperser Art bieten, der Konsum- und Unterhaltungsangebote einschließt. Im Museumsquartier tut man sich insofern leicht, als dieses bereits als Kulturbezirk mit unterschiedlichen Funktionen angelegt ist und von vornherein die Gastronomie einen Fixpunkt der Marketingkonzeption darstellt: Man rechnet damit, daß ein Drittel der Quartierbesucher aus urbaner Neugierde und wegen des Lokal- und Shopangebots kommen wird.

Ein solitärer Museumsbau jedoch wird in Zukunft nicht mehr die optimale Präsentation der Sammlung in den Mittelpunkt stellen, sondern aus kaufmännischem Interesse die Inszenierung der Nebenschauplätze für die Zusatzfunktionen forcieren. Was Lóránd Hegyi ein „Disneyland-Museum“ befürch- ten und ihn deshalb als Direktor des Museums für Moderne Kunst vorzeitig abtreten ließ, scheint vielleicht übertrieben, die Gefahr der Verkitschung der Museen durch gefällige Ausstellungen und ein Überangebot im begleitenden Merchandising ist aber zweifellos gegeben.

Interessanterweise beschreiten die Einkaufszentren bezüglich Kundenfang denselben Weg mit umgekehrten Vorzeichen; man versucht den Besuchern mittels pseudomusealer Inszenierungen ein spezielles Flair zu vermitteln. In Österreich beispielgebend dafür ist die „Plus-City“, wo an einer Landstraße zwischen Linz und Wels Indoor-Urbanität dadurch erzeugt werden soll, daß „originalgetreue“ Fassadenreproduktionen zum Beispiel venezianischer Palazzi und toskanischer Kirchen appliziert werden. Hier ist das reine Konsumangebot der gängigen Ladenketten nicht genug, auch das Auge will bedient sein, um eine entspannende Atmosphäre und mehr Absatz zu schaffen. Dieser Stilsynkretismus wird unter „Marcusplatz“ subsumiert und der vorwiegend ländlichen Kundschaft als Klein-Venedig verkauft. Die Vorteile gegenüber einem Kurzurlaub in der als Freilichtmuseum rezipierten Lagunenstadt sprechen für sich: Einkaufen am Fuße der Rialtobrücke, ohne sich in Touristenströmen wälzen zu müssen! Pizza essen im Angesicht des Marcuslöwen, ohne durch gurrende Taubenmassen gestört zu sein - und viel billiger obendrein! Wer könnte sich der Faszination dieses Angebots entziehen, die konsumierbare Ware ist da wie dort dieselbe, und ob die Fassaden nun echt sind, oder nicht . . .

Ganz nebenbei: Die Architektur des Einkaufszentrums selbst ist bei einer solchen Konzeption völlig unerheblich. Und: Auch die Kapitalgruppe, die mit dem Vergnügungspark „Venedig in Wien“ - 1895 im ehemaligen Kaisergarten des Praters errichtet - auf „Architektur zur Unterhaltung“ setzte, tat dies, um Geld damit zu verdienen, und nicht, um irgendeinen Bildungsauftrag zu erfüllen.

Die zwei beschriebenen Phänomene zeigen, daß Konsum und Kultur in verstärktem Maße einander ergänzen werden müssen, um sich zu rechnen, und daß die zu diesem Zwecke benutzte Architektur - sei es als kitschige Kulisse oder als expliziter „Event“ - eine offensivere Haltung einnehmen wird müssen. Bleibt abzuwarten, ob das dieserart in die Defensive gedrängte und zu einem rein konsumistischen Verhalten angehaltene Publikum diese Rechnung wird aufgehen lassen.

Am Freitag, 22. Juni, findet um 19 Uhr im Infopool-Besucherzentrum des Museumsquartiers (Wien VII, Museumsplatz 1) eine Podiumsdiskussion zum Thema „Marketingfaktor Museumsarchitektur“ statt. Unter der Moderation von Dieter Bogner diskutieren u. a. Edelbert Köb und Laurids Ortner.

Spectrum, Sa., 2001.06.16

02. Juni 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

Zwei Stollen im Inneren Österreichs

„SS-Arbeitslager Zement“ war der Deckname für das Nazi-Konzentrationslager im oberösterreichischen Ebensee. Nach dem Krieg war man bemüht, die Spuren des Terrors rasch zu beseitigen. Dem von Denkinger und Felber gestalteten Zeitgeschichte-Museum gelingt es nun, die Ortsgeschichte kritisch zu beleuchten.

„SS-Arbeitslager Zement“ war der Deckname für das Nazi-Konzentrationslager im oberösterreichischen Ebensee. Nach dem Krieg war man bemüht, die Spuren des Terrors rasch zu beseitigen. Dem von Denkinger und Felber gestalteten Zeitgeschichte-Museum gelingt es nun, die Ortsgeschichte kritisch zu beleuchten.

Das Salzkammergut wird mitunter als das Herz Österreichs bezeichnet. Dies gilt nicht nur geographisch - mit der vermeintlichen Übereinstimmung der von hohen Bergen und tiefen Seen geprägten wunderschönen Gegend und seiner Bevölkerung, die Hunderte Jahre vorwiegend im Bergbau tätig war und dadurch den karstigen Kalkalpen sicherlich speziell verbunden ist, wird eine Form des „Urösterreichischen“ assoziiert. Vom Klima nicht gerade begünstigt, durch eine Bahnlinie und kaiserliche Gunst jedoch privilegiert, konnte sich hier nebst der Salzgewinnung der Sommerfrischetourismus stetig entwickeln.

Die erwähnte Form des (Deutsch-) Österreichertums im Salzkammergut findet nicht nur in einer tourismusträchtig gepflogenen Trachtenkultur ihren Ausdruck, in Wende-Zeiten wie diesen werden auch gerne Metaphern bemüht, die die Bevölkerung zwar nicht als Ureinwohner, aber als „Urgestein“ politischer Art bezeichnen. Wenn heutzutage mit verschämtem Stolz von so manch eingesessener Familie als „blauem Urgestein“ die Rede ist, so weiß doch jeder, daß sich dahinter übertünchte braune Felsen verbergen können.

Über die Geheimnisse, die die Stollen des Salzkammerguts abgesehen vom Salzabbau bargen, wird naturgemäß nicht gerne gesprochen, und es hat über 40 Jahre gedauert, bis zumindest eine Gemeinde sich diesem Teil ihrer Geschichte stellte und in einer Dauerausstellung publik machen wollte. In Ebensee, am südlichen Ende des Traunsees gelegen, wurde im März dieses Jahres das erste österreichische Zeitgeschichte-Museum eröffnet, das sich umfassend mit der örtlichen Geschichte von 1918 bis 1955 im gesamtösterreichischen Zusammenhang auseinandersetzt. Ebensee wurde durch eine Saline zum sozialdemokratisch geprägten Industrieort, und auch jetzt war es der rote Bürgermeister, Herwart Loidl, der gegenüber der Idee, die Ortsgeschichte kritisch aufzuarbeiten, aufgeschlossen war und „die Strategie der Verdrängung“, die bislang im Ort geherrscht hatte, zu beenden.

Ebensee war wegen seiner Lage und guten Infrastruktur als Standort für ein Konzentrationslager gewählt worden, das die Nationalsozialisten im November 1943 als das größte Außenlager des KZ Mauthausen von Häftlingen errichten ließen. Es war unter dem Decknamen „SS-Arbeitslager Zement“ für jene Zwangsarbeiter bestimmt, die in kürzester Zeit zwei riesige Stollenanlagen für die Verlegung der nach Bombardements beschädigten Raketenversuchsanstalt Peenemünde der Deutschen Wehrmacht in den Berg treiben mußten. In den eineinhalb Jahren seines Bestandes wurden 27.000 zivile Häftlinge aller europäischen Nationalitäten von Mauthausen nach Ebensee gebracht, bis zur Befreiung des Lagers am 6. Mai 1945 durch die US-Army hat diese „ordentliche Beschäftigungspolitik“ zirka 8500 von ihnen das Leben gekostet. Nach dem Krieg war man seitens der Gemeinde bemüht, die Spuren des Terrors rasch zu beseitigen, in den fünfziger Jahren wurde das Lager geschleift und das Areal mit einer Arbeitersiedlung bebaut. Auf Initiative ehemaliger Häftlinge wurde das Eingangstor zum Lager erhalten und eine Gedenkstätte errichtet.

Die Erinnerungsarbeit des offiziellen Österreich beschränkte sich auf Mauthausen, und so konnten Nebenschauplätze des Nazisystems wie Ebensee leicht in Vergessenheit geraten. Erst in den achtziger Jahren begann sich eine Gruppe engagierter Bürger mit der regionalen Zeitgeschichte kritisch zu befassen. Die gleichzeitig entstandene Publikation über das „Arbeitslager Zement“ des Wiener Historikers Florian Freund bildete die Basis für die Idee, ein „Widerstandsmuseum“ zu errichten und die erhaltenen Stollen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

1993 wurde nach einem geladenen Wettbewerb das Wiener Büro Denkinger und Felber beauftragt, die inhaltliche und gestalterische Betreuung des Museums zu übernehmen. Das gemeinsame Konzept der Historikerin Ulrike Felber und des Architekten Bernhard Denkinger, in Kooperation mit dem zukünftigen Leiter des Museums, Wolfgang Quatember, zielte darauf, nicht mehr nur den Widerstand gegen das Naziregime zu thematisieren, sondern auch jene historischen Entwicklungen seit Beginn der Ersten Republik aufzuzeigen, die das Entstehen des Nationalsozialismus erst möglich machten. Dabei sollen die prozeßhaften Vorgänge im Kleinen, in der Gemeinde Ebensee, im Kontext des Großen, der politischen (Un)Kultur des Staates Österreich, als einander bedingend und ergänzend dargestellt werden. Auch der Zeit nach dem Krieg wird bis zum Jahr 1955 Raum gegeben, um den Umgang der Bevölkerung mit dem Wissen um die unmittelbare NS-Geschichte zu beleuchten.

Seit 1997 besteht eine Dauerausstellung in einem der Stollen, die die Geschichte des KZ und des „Projekts Zement“ behandelt, das Museum mitten im Ort, in einem ehemaligen Schulgebäude aus dem späten 18. Jahrhundert untergebracht, entwickelte sich sukzessive in den letzten vier Jahren. Zuerst wurde das Erdgeschoß mit Foyer, Veranstaltungssaal und Café fertiggestellt, zuletzt das eigentliche Museum und der ausgebaute Dachbodenraum für temporäre Ausstellungen und anderes.

Das kleinteilig organisierte, generalsanierte Gebäude wird über eine einläufige, mit Perger Granit belegte Stiege erschlossen. Man gelangt in die zwei Obergeschoße mit den Ausstellungsräumen, die sich thematisch in drei abgegrenzte Zeiträume gliedern, wobei die mittige Lage der Treppe einen automatischen Rundgang auf einer Ebene bewirkt. Dadurch ergibt sich eine logische Orientierung in der Raumabfolge, was gerade bei einer historischen Ausstellung als sehr angenehm empfunden wird. Die Präsentation der vorwiegend schwarzweißen Dokumente, Photos, Zeitungsausschnitte und Plakate erfolgt auf Glastafeln, die jedoch mit undurchsichtigen, raumteilenden Platten (weißes Plexi oder Eternit) mit Distanz hinterlegt sind. Diese bilden die Träger für die - im wahrsten Sinne des Wortes - Hintergrundinformation, die auf roter Folie appliziert ist. Gegenüber den Exponaten hat dieser Farbfleck natürlich einen sehr hohen visuellen Aufforderungscharakter und bildet somit die perfekte informative Ergänzung.

Die Eternittafeln dienen als Raumteiler, die als Zäsuren mit inhaltlicher Relevanz gesetzt werden, und gewähren auch bewußte Durchblicke, um durch kleine Öffnungen einen zeitlichen Bezug zwischen zwei entfernten Dokumenten herzustellen. Auf thematisch unruhigere Zeiten wurde mit einer „unruhigeren“ Gestaltung der Glasplatten reagiert. Teilweise sind die gläsernen „Objektträger“ auch vor ein Fenster gestellt und werden bei Tageslicht hinterleuchtet. Eine andere Fensteröffnung wird konzeptionell einbezogen, da sie den Blick über den Ort hinweg auf den entfernten Steinbruch freigibt , wo die Stollenanlagen liegen.

Was an diesem kleinen Museum beeindruckt, ist die Kongruenz von wissenschaftlicher Bearbeitung und deren praktischer Vermittlung. Felber und Denkinger wollten keine vordergründige Betroffenheit bei den Besuchern erzeugen, vielmehr haben sie es geschafft, aus der Fülle an Material eine prägnante, in Informationsgehalt und Gestaltung vielschichtige Schau zusammenzustellen, die so manch verregneten Tag im Salzkammergut intellektuell erhellen wird.

KZ-Gedenkstätte und Zeitgeschichte-Museum Ebensee, Kirchengasse 5. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

Spectrum, Sa., 2001.06.02



verknüpfte Bauwerke
KZ-Gedenkstätte und Zeitgeschichte-Museum

05. Mai 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

Mit dem Maß der sozialen Kompetenz

Anna-Lülja Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen wie auch ihre Häuser zeichnet eines aus: Ihre prägenden Eingriffe schaffen einen gestalterischen Freiraum für die Benutzer und Bewohner. Zum 95. Geburtstag der Grande Dame der österreichischen Architektur, der eine Wiener Ausstellung gewidmet ist.

Anna-Lülja Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen wie auch ihre Häuser zeichnet eines aus: Ihre prägenden Eingriffe schaffen einen gestalterischen Freiraum für die Benutzer und Bewohner. Zum 95. Geburtstag der Grande Dame der österreichischen Architektur, der eine Wiener Ausstellung gewidmet ist.

Es waren kosmopolitische Einflüsse, die das architektonische Verständnis von Anna-Lülja Praun formten. Von Bulgarien und Österreich, Rußland und Frankreich gingen die Prägungen aus, die eine fruchtbare Symbiose für jene Vitalität herzustellen vermochten, die die Grande Dame der Architektur kennzeichnen. Ihr biographischer und beruflicher Werdegang durchmißt fast das gesamte 20. Jahrhundert.

Die Öffnung der Universitäten für Frauen machte es auch ihr möglich, als eine der ersten Studentinnen an der Technischen Universität in Graz eine professionelle Ausbildung zu erlangen. Gemeinsam mit Margarete Schütte-Lihotzky ist sie daher eine der wesentlichen weiblichen Repräsentantinnen der österreichischen Architekturgeschichte.

Der Lebensweg führte Anna-Lülja Praun als Kind einer russischen Mutter und eines bulgarischen Vaters nach St. Petersburg und Sofia, in den Ferienmonaten zum Schwarzen Meer und 1924 als Studentin in der Zwischenkriegszeit über die Alpen nach Graz. Während sie hier ihre ersten Karriereschritte machte, wurde ihr Vater in Sofia im Zuge einer politischen Säuberungswelle ermordet.

Die Politik holte Anna-Lülja Praun in der Folge 1934 auch in Österreich ein. Da sie mit dem Architekten Herbert Eichholzer, der der linken internationalen Avantgarde in der Steiermark zuzurechnen war, zusammengelebt hatte, wurde auch sie verhaftet, schließlich aber wieder freigesetzt. Der Nationalsozialismus unterbrach nicht nur ihre Karriere und trieb viele Hochbegabte in die Emigration, er kostete Herbert Eichholzer auch das Leben. Als Widerstandskämpfer wurde er 1943 hingerichtet. Anna-Lülja Praun verließ Graz und kehrte 1939 über Berlin und Paris nach Sofia zurück. Hier arbeitete sie bis 1941 im Ministerium für Eisenbahn und Wasserverkehr.

1942 reiste sie nach Österreich, um ihren Fachkollegen Richard Praun zu heiraten. Noch im selben Jahr kam ihre Tochter Svila zur Welt. Die Schaffensperiode als eigenständige Architektin begann jedoch erst nach ihrer Scheidung mit Mitte Vierzig, als sie ab 1952 in Wien ihr eigenes Atelier führte, in dem sie seit über fünfzig Jahren unermüdlich arbeitet.

Architektur ist für Anna-Lülja Praun nicht nur Qualifikation, sondern Leben. Sie baut fü r Menschen, aber auch an Menschen. Ihre Wohnung war und ist geselliger Treffpunkt der unterschiedlichsten Sparten internationaler Provenienz. In ihrem „offenen Wohnzimmer“, im Kreise bewährter Freundschaften und neuer Zuzüge setzt Anna-Lülja eine Salon-Tradition fort, deren Basis die soziale Kompetenz darstellt. In den jeweiligen Konstellationen können ihre Einflüsse wirksam werden. Hier prägt die Architektin Menschen, indem sie ihnen fachliches Wissen weitergibt. So ist sie als Person und als Architektin eine Brücke zwischen Tradition und Moderne.

Bei all den multikulturellen Einflüssen und trotz ihres bis vor dem Zweiten Weltkrieg eingeschränkten Wienbezugs entwickelte sich Anna-Lülja Prauns eigene Möbelbaukunst sehr stark in der Tradition des „Wiener Möbels“. Beeinflußt war sie dabei sicherlich durch ihren Mann Richard Praun, der einer Tischlereidynastie entstammte und ihr wohl direkten Einblick in die Kunstfertigkeit von Handwerkern verschaffte, sowie durch jene von Oskar Strnad und Josef Frank in der Zwischenkriegszeit propagierte moderne Wohnkultur. In den fünfziger Jahren arbeitete sie als Architektin für Josef Franks Einrichtungshaus „Haus & Garten“ in Wien. Nach wie vor verabsäumt sie es nicht, auf die praktischen Vorzüge von Strnad- und Frank-Sesseln, die selbstverständliche Bestandteile ihrer eigenen Einrichtung sind, zu verweisen, wie ganz generell die Auffassung der beiden Architekten in ihrer Wichtigkeit zu verdeutlichen.

Anna-Lülja Praun ist eine Praktikerin, der ein produktives Verhältnis zu „ihren“ Handwerkern und ein daraus resultierendes formvollendetes Produkt wichtiger sind als hehre Theorie. Materialkundigkeit der Architektin ist die eine Sache, viel wichtiger jedoch ist Praun die Kunstfertigkeit des jeweiligen Handwerkers, um die Qualitäten der unterschiedlichen Materialien in einem Möbelstück richtig zur Geltung bringen zu können. Um dies zu erreichen, ist eine sehr direkte, persönliche Auseinandersetzung mit den Professionisten nötig - und diese scheut sie nicht.

Dasselbe gilt für den Umgang mit den Bauherren; dieser Aspekt ist insofern wesentlich, als es sich bei ihren Entwürfen fast ausschließlich um private Direktaufträge handelt. Das Gelingen der diffizilen Aufgabe, das persönliche Umfeld von Menschen zu gestalten, hängt primär vom Einfühlungsvermögen des Architekten und von dessen verinnerlichtem Wissen um scheinbar banale Alltagsabläufe ab.

Gleich wichtig ist die Akzeptanz durch die Bauherrenschaft, das heißt, es ist in hohem Maße Beziehungsarbeit zu leisten, um zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Voraussetzung dafür ist ein dementsprechend hohes Niveau der Auftraggeber - ein Umstand, über den sich Anna-Lülja Praun bei ihrer Klientel nicht beschweren konnte und kann. Welcher Architekt kann schon auf so außergewöhnliche Bauaufgaben wie Bootseinrichtungen (zum Beispiel für Wolfgang Denzel) oder ein Komponierpult (für György Ligeti) verweisen?

In Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen ist immer der kooperative Ansatz des „Sich-aufeinander-Einlassens“ spürbar. Ihr im Stil unverkennbares Maßmobiliar steht - ganz im Sinne von Strnad und Frank - mit unaufdringlichem Selbstverständnis ne- ben des Bauherrn persönlichen Möbeln und Gegenständen des Alltags. Sie schafft es, trotz ihrer geschmackvoll prägenden gestalterischen Eingriffe eine Qualität an Freiraum für die Bewohner zu erzeugen, in welchem diese ihre eigenen Stilvorstellungen entfalten können.

Das Zusammenspiel dieser zwei Komponenten ergibt die Praunsche Raumkunst, wie sie in ihren zwei umfangreichsten Werken, dem Haus Sailer in Salzburg und dem Haus Ligeti in Wien, in unnachahmlicher Weise spürbar ist. Beweis für das Vertrauen in ihre Gestaltungskompetenz ist die Kontinuität ihrer Bauherrenbeziehungen, die sowohl bei den beiden eben genannten wie vor allem auch bei Wolfgang Denzel über mehrere Jahrzehnte währ(t)en.

Es gibt nur noch ganz wenige Architekten und Architektinnen, die mit der beschriebenen Verve die Gestaltung von Maßmöbeln betreiben. Auch der Wille potentieller Bauherren, in die Exklusivität solch feiner Einzelstücke zu investieren, ist durch die zunehmende Perfektionierung und die Vielfalt industriell gefertigter Produkte zweifellos im Abnehmen begriffen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob hinkünftig die Tradition der Wiener Handwerkskunst ihren Stellenwert behaupten und in Form eines eigenständigen Wiener Möbels weiterhin manifest bleiben wird.

Anna-Lülja Praun ist eine wichtige Frau der österreichischen und eine Integrationsfigur der Wiener Architekturszene, die auch im hohen Alter nicht müde wird, ihr Leben mit Kreativität zu füllen, und andere daran partizipieren und davon profitieren läßt.


[Im Haus Wittgenstein (Wien III, Parkgasse 18) ist von 11. bis 24. Mai die Ausstellung „Anna-Lülja Praun - Werk- u. Lebensschau der Architektin zum 95. Geburtstag“ zu sehen (täglich 9 bis 17 Uhr). Zur Ausstellung erscheint ein neuer, von Lisa Fischer und Judith Eiblmayr erstellter Katalog: „Möbel in Balance“, 88 S., geb., S 290, Euro 21,08 (Anton Pustet Verlag, Salzburg).]

Spectrum, Sa., 2001.05.05

24. Februar 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

„Nur im Wort, nicht im Stein“

Für eine „ummontierbare“ Kirche erhielt er zwar 1993 den Staatspreis für Architektur, er blieb aber ein wenig bekannter Name: Ottokar Uhl. Das dürfte damit zu tun haben, daß sich seine Bauten hartnäckig publicitywirksamen Ästhetizismen entziehen. Eine Würdigung zum 70. Geburtstag.

Für eine „ummontierbare“ Kirche erhielt er zwar 1993 den Staatspreis für Architektur, er blieb aber ein wenig bekannter Name: Ottokar Uhl. Das dürfte damit zu tun haben, daß sich seine Bauten hartnäckig publicitywirksamen Ästhetizismen entziehen. Eine Würdigung zum 70. Geburtstag.

In Österreichs Architektenschaft gab und gibt es in den Jahren 2000 und 2001 eine ganze Reihe von Siebziger-Jubilaren zu feiern. Neben Ottokar Uhl, der diesen Geburtstag am 2. März begehen wird, sind dies Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer, Anton Schweighofer und Friedrich Kurrent, auch Josef Lackner würde heuer siebzig. Es scheint dies das passende Alter zu sein, um das Werk und Wirken von Architekten entsprechend zu würdigen, was in Ausstellungen und Publikationen seinen Niederschlag findet.

Ottokar Uhl ist für Nichtarchitekten vielleicht einer der weniger bekannten Namen, einerseits, da er durch eine langjährige Professur in Karlsruhe nicht ständig in Österreich präsent war, und andrerseits, weil sich seine Bauten hartnäckig und vorsätzlich jenen Ästhetizismen entzogen haben, die üblicherweise der Steigerung des Bekanntheitsgrades von Architektur förderlich sind. Dies ist insofern bemerkenswert, als Uhl vorwiegend auf dem Sektor des Kirchenbaus planerisch tätig war - eine Bauaufgabe, die sich jahrhundertelang als klassischerweise prestigeträchtig erwiesen hat.

Aber Uhls Ansinnen war ein anderes, als der Institution Kirche mit einer repräsentativen Architektur dienlich zu sein. Wenn er meinte: „Der Begriff des ,Sakralen' kann für den Kirchenbau heute kein Ausgangspunkt mehr sein“ und „Das Wissen um Gott kann sich nur im Wort, nicht im Stein realisieren“, so beschreibt dies sein Anliegen, die Gemeinde der Gläubigen in den Mittelpunkt seiner architektonischen Überlegungen zu stellen und ihr in einem neu gestalteten Umfeld eine auf demokratischer Basis funktionierende interne Kommunikation zu ermöglichen.

Geprägt und wahrscheinlich auch angeregt von Monsignore Otto Mauer, dem Gründer der Galerie Nächst St. Stephan, die der künstlerischen Avantgarde im Wien der fünfziger Jahre als wichtige Plattform diente, postulierte Ottokar Uhl architektonische Konzepte für eine aufgeschlossenere Form der Religiosität und neue Modelle der Liturgie.

Seine erste Bauaufgabe bestand 1958 darin, einen an einen Lichthof grenzenden, 120 Quadratmeter großen Lagerraum in einem bestehenden Gebäude in der Wiener Ebendorferstraße zu einer Kapelle der katholi-schen Hochschulgemeinde umzubauen. Ganz im Sinne zweier Grundsätze der fortschrittlichen Katholiken, nämlich der „Entlarvung jeder Lüge“ und dem „Streben nach Wahrhaftigkeit“, beschränkte sich der Architekt auf die unverhüllte Darstellung des konstruktiv Wesentlichen; der dreischiffig angelegte Raum wurde durch Säulen und Deckenbalken aus schalrauhem Sichtbeton gerastert strukturiert, der Boden asphaltiert, der Altar in Lärchenholz gestaltet.

Durch ein Oberlicht und undurchsichtige Verglasungen seitlich des Altars fällt Tageslicht in den Raum, als herkömmliches sakrales Element fungiert eine barocke Christusfigur hinter dem Altar. Dieses auf formale Reduktion bedachte, geradezu puristische Konzept hat einen Raum von stark kontemplativem Charakter erzeugt, der sich offensichtlich bewährt hat und nahezu unverändert bis heute besteht.

Ottokar Uhl wollte seine Gebäude nie als Endprodukte verstanden wissen, wo determinierte Funktionen für die Nutzer manifestiert werden. Aus seiner Architektur sollte das Prozeßhafte ablesbar sein, was für die frühen sechziger Jahre, als eine „mobile Architektur“ international postuliert wurde, nichts Ungewöhnliches war. Ungewöhnlich war jedoch, daß er „Erweiterbarkeit, Veränderbarkeit (Flexibilität), Demontierbarkeit und Mobilität“ auch für Bauten der Kirche forderte, die in ihrer Programmatik als doch eher träge zu bezeichnen ist.

Er ging sogar so weit, 1964 - dem Wunsch seiner Auftraggeber entsprechend - eine „ummontierbare“ Kirche zu entwickeln, für die er den Österreichischen Staatspreis für Architektur erhielt. Da die Widmung des vorgesehenen Grundstücks an der Siemensstraße in Wien-Floridsdorf die Errichtung eines festen Baus nicht zuließ und dieser, in Einzelteile zerlegt, abtransportierbar sein mußte - was übrigens nie geschah -, entwarf er unter Verwendung eines Stabtragwerks (Mero-System) ein Pfarrzentrum in Leichtbauweise.

An diesem Bauwerk wird der Einfluß des deutschen Architekten Konrad Wachsmann besonders deutlich, der von 1956 bis 1960 an der Sommerakademie in Salzburg lehrte. Wachsmann begeisterte die junge Architektengeneration durch sein forscherisches Interesse für präfabrizierte Konstruktionen und eine somit industrialisierte Ästhetik, die seiner Meinung nach eine perfekte Objektivität von Räumen und deren unbegrenzte Vervielfältigung erst möglich macht.

Ottokar Uhl hatte diese rationale Herangehensweise, die sich einem formalistischen Ansatz verweigerte, die Architektur als Wissenschaft verstand und ihre soziale Verantwortung einforderte, verinnerlicht, was auch an seinen Wohnbauten ablesbar ist. Er praktizierte dabei partizipatorische Modelle, das heißt, daß die zukünftigen Bewohner und Bewohnerinnen nicht nur auf
Basis eines fixierten Konstruktionssystems bei den Grundrißlösungen ihrer Wohnungen, sondern bis zur Fassadengestaltung der Gebäude mitbestimmen sollten.

Der österreichische Staat verfolgte in den siebziger Jahren teilweise eine aufgeschlossene Wohnbaupolitik, die unter dem Titel „Wohnen morgen“ in allen Bundesländern Wettbewerbe initiierte und in deren Rahmen ein experimenteller Ansatz ermöglicht wurde. Ottokar Uhl gewann 1973 einen dieser Wettbewerbe und realisierte in Hollabrunn eine Wohnhausanlage, wo erstmals die späteren Nutzer in
den Planungsprozeß eingebunden wurden.

Begleitend dazu wurde ein interdisziplinäres Forschungsprojekt betrieben, das für den nächsten derartigen Wohnbau evaluierende Aufschlüsse liefern sollte. Es folgte ein Gemeindebau in Ottakring, wo allerdings - im Spannungsfeld zwischen Einschränkungen seitens der Gemeinde Wien und mangelnder Bedürfniskenntnis der Wohnungswerber - die Grenzen der Mitbestimmung evident wurden und der Bauprozeß sich von 1973 bis 1981 zog.

Sowohl beim Projekt „Wohnen mit Kindern“ in Floridsdorf (1984) als auch beim christlich geprägten Wohnheim B.R.O.T. (Beten, Reden, Offensein, Teilen) in Hernals (1990) traten aus der Eigeninitiative heraus hochmotivierte Gruppen an Ottokar Uhl heran, um ihre Idee vom gemeinschaftlichen Planen und Wohnen architektonisch strukturieren zu lassen. „Handlungs-ergebnis dieser Lern-, Planungs- und Bauprozesse“ (Uhl) waren zwei Wohnanlagen, wo das Konzept vom „planning with people“ in optimaler Weise umgesetzt zu sein scheint.

Was für ein basisdemokratisches Verständnis wunderbar einfach klingt, ist in Wirklichkeit mühsame Detail- und Beziehungsarbeit, die bei derartigen Planungen von allen Beteiligten geleistet werden muß. Es ist Ottokar Uhls Verdienst, als einer von ganz wenigen in Österreich sich diesem sozialen Aspekt der Architektur ohne vordergründige Selbstdarstellungsambition gestellt und ihn unbeirrt in Werk und Lehre vertreten zu haben.

Spectrum, Sa., 2001.02.24

11. November 2000Judith Eiblmayr
Spectrum

Einfach den Bach hinunter

Wenn einer ins neue Wiener Dianabad geht, dann kann er was erzählen: von Plastikpalmen, einer Buschhütte als Kassa, ja sogar von betonierten Felsen (mit Höhle!) – nur nicht davon, dass er schwimmen war. Über saubere Subventionsflüsse und preise, die sich gewaschen haben.

Wenn einer ins neue Wiener Dianabad geht, dann kann er was erzählen: von Plastikpalmen, einer Buschhütte als Kassa, ja sogar von betonierten Felsen (mit Höhle!) – nur nicht davon, dass er schwimmen war. Über saubere Subventionsflüsse und preise, die sich gewaschen haben.

Dies hätte eine nette Feuilletongeschichte werden können. Die Neueröffnung des Dianabades, des vierten Projekts in fast zwei Jahrhunderten Badtradition unter demselben Namen und am selben Platz, gab Anlass, sich mit der Bau- und Kulturgeschichte desselben zu befassen. Man hätte die drei Vorgängerbauten beschreiben und die Entwicklung vom Wannenbad Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Erlebnisbad Anfang des 21. Jahrhunderts im jeweiligen kulturhistorischen Kontext analysieren können. Oder man hätte dem hohen Niveau der Wiener Bäderkultur, das vor allem im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit installiert wurde, huldigen und erfreut berichten können, dass nach mehrjähriger Abstinenz das zweite Hallenschwimmbad innerhalb des Gürtels seine Pforten wieder geöffnet hat.

Aber leider: Nach dem ersten Besuch im neuen Bad kommt einem jegliche Nettigkeit abhanden, und Schöngeistigkeit empfindet man ob der desillusionierenden Realität als verzichtbaren Zeitvertreib. Das Erlebnisbad macht nämlich seinem Namen anders als gedacht alle Ehre: Nach einem kurzen Rundgang durch die mit Bambusgeländern, Solnhofner Plattenbruch, tropischen Pflanzen aus Kunststoff und mit Wasserflächen dekorierte Halle wird man von dem Aha-Erlebnis überwältigt, dass man als Badegast offensichtlich für völlig degeneriert gehalten wird und um viel Geld für blöd verkauft werden soll. Ein Hallenbad, in dem man nicht mehr schwimmen kann – das entzieht sich der Vorstellungskraft einer der sportlichen Betätigung nicht abgeneigten Person.

Der Erlebnischarakter dieses Badbesuchs offenbart sich allerdings bereits beim Betreten des Gebäudes. Beschildert ist zur Zeit noch nichts, aber man erinnert sich, wo der Eingang ins alte Bad war, und schreitet über eine leicht überdimensioniert wirkende Freitreppe empor. Oben angekommen landet man in einem winzigen Foyer, in dem eine als Buschhütte getarnte Kassa ein unbeschreibliches Tropenflair, verbreitet. Vis-à-vis der Kassa ist ein Teil jenes Glasmosaiks appliziert, das noch aus dem Badkomplex von 1917 stammt und im räumlichen und stilistischen Kontext völlig deplatziert wirkt.

Eine Tafel mit Angebot oder Preisübersicht findet sich einstweilen nicht, aber ein paar kopierte Zettel tun´s ja schließlich auch. Ein Blick darauf genügt, um zu erkennen: Man ist in einem Privatbad, denn die Preise haben sich – wie man so schön sagt – gewaschen. Minimaltarif am Wochenende für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren: 100 Schilling. Ab 14 ist man nach Auffassung des gewinnorientierten Betreibers als erwachsen einzustufen und muss 170 Schilling ablegen, um dem Badeerlebnis zu frönen. Wer glaubt mit einer Familienkarte davon zu kommen, hat leider auch Pech gehabt, denn die Familie definiert sich hier als „1 Erwachsener + 2 Kinder“.

Wer dieses Familienmodell bornierterweise hinterfragt, erhält prompt und gratis eine ideologische Belehrung seitens des Kassenpersonals: Ein Elterteil hat nämlich das Geld zu verdienen, während der andere mit den Kindern im Bad ist. Das leuchtet ein bei diesen Preisen. Kurz und gut: „Freizeit. Pur“ (Foldertext) kostet eine fünfköpfige Familie zirka 500 Schlling.

Mit und in den progressiverweise gemischten, aber doch beengten Garderoberäumlichkeiten – eine Umkleidekabine auf 40 Kästchen – möchte ich mich nicht länger aufhalten, denn schließlich ist man im Bad, um zu schwimmen. Man betritt die Halle, erkundet das überbaute Terrain (um nicht zu sagen Terrarium – das ist nämlich die erste Assoziation) und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Mittig im Raum liegt das Wellenbecken, das adriastrandmäßig flach ausläuft und bei Wellenbetrieb (jede Stunde) mit gezählten 50 Menschen als voll zu bezeichnen ist. Links daneben baut sich eine betonierte Felsformation (mit Höhle!) auf, von deren Spitze die mit riesigen Reifen zu befahrende Wasserrutsche ihren Start nimmt und quer durch den Raum schwungvoll Platz greift. Deren Auslauf ist in Form eines gewundenen, zirka 60 Zentimeter tiefen Kanals angelegt und dient in seiner gesamten Länge als eine Art Reifenparkplatz für jene Zeit, in der die Rutsche nicht in Betrieb ist. Das ist übrigens die Hälfte der Zeit der Fall. Sobald es nämlich mit turbinenähnlichem Gedröhne losgeht, formt sich die liegende Reifenschlange zu einer stehenden mit Menschenbegleitung um und verstellt jetzt nicht mehr die Wasserstraße, sondern den Hauptdurchgangsweg.

Neben drei ganz flachen Kleinkinderbecken mit Dino-Rutsche, Piratenschiff und ähnlich anregendem Inventar gilt es noch, vorbei an der Buschhütte, in der der Bademeister thront, einen letzten Bereich zu erkunden, der von einem mäanderförmigen, ebenfalls seichten Wasserband, zeitweise mit Strömung, teilweise mit Sprudel gebildet wird. Dazwischen herrliche Textil- und Plastikpalmen, deren „Beete“ aus mit Epoxiharz verklebtem Schotter (logisch, die Stein würden sonst im Wasser landen) bestehen.

Auch der Bodenbelag ist eine Erwähnung wert: Bruchrauhe Solnhofner Kalksteinplatten sind in dieser Funktion denkbar ungeeignet, da sie in permanenter Nässe, wie das in einem Schwimmbad Normalzustand ist, Algen ansetzen und rutschig werden. Naturstein nimmt immer das Wasser an und erhält ein feuchtes Milieu, das auch eine Brutstätte von Pilzen aller Art ist. Aber die gebrochenen Steine, ein Abfallprodukt der Plattengewinnung, sind billig zu haben und erzielen außerdem den gerne gesehenen Hundertwasser-Effekt.

Zurück zu den Badeoptionen. Wer schnöde einfach einfaches Schwimmbecken gesucht hat, muss erkennen: Es gibt keines. Dies erklärt auch den überdurchschnittlichen Bauchumfang des durchschnittlichen Badegastes; Wassersport ist nicht unbedingt die Devise. Ganz entspannt lassen sich diese sympathisch unergeizigen Typen bespülen, sodaß sie wenigstens bis zur Brust benetzt sind, oder waten flamingoartig im seichten Wasser mit eher verlorenem Gesichtsausdruck herum.

Wer die „bestmögliche Ausstattung am letzten Standard“ (Folder) bereits genossen, aber leider keine der 20 Liegen am „Strand“ ergattert hat, muß auf die Galerie ausweichen um sich am besten gleich der „Gastrokultur auf hohem Niveau statt Fastfood“ zu widmen. Bleibt zu hoffen, dass sich das Qualitätsniveau der speisen doch als um einiges höher als jenes des Foldertextes erweist, da sonst gastroenterologische Spätfolgen nicht auszuschließen werden.
Apropos verpöntes Fastfood: das erste, was sich einem beim Betreten der Halle in den Weg stellt, ist ein Automat für Schokoriegel.

Aber wir wollen mit dem privaten Betreiber dieses Bades und seiner Werbemaschinerie im Format 10 mal 21 Zentimeter nicht zu streng sein. Es ist dies ein niederländisches Konsortium, das sich immerhin geopfert hat, von der Gemeinde Wien 200 Millionen Schilling anzunehmen – für das Himmelfahrtskommando eines Badbaus und –betriebs. Die mit der Gestaltung der „attraktiven Freizeiteinrichtung“, wo man „die Sonnenseite des Lebens erleben“ kann, beauftragte Firma hat ihren Sitz interessanterweise in Monte Carlo, sicherlich aus dem einzigen Grund um die Wasserrutschenparks entlang der Cote d´Azur genau zu studieren...
Der zweite Teil der Geschichte ist weniger lustig, denn je länger man über die Sache nachdenkt und die unsäglichen Details dieser Anlage analysiert, umso eher kommt man zu dem Schluss, dass hinter einer so offensichtlichen Fehlplanung nur Kalkül stecken kann. Eine geringe Wassertiefe soll Kinderfreundlichkeit vorgeben, aber jeder der Kinder hat, weiß, dass diese lieber schwimmen, tauchen und ins Wasser springen wollen. Auch für die Allerkleinsten sind die Becken ungeeignet, da die Begleitpersonen diese Becken nur unter beträchtlichen Mühen beaufsichtigen können. Rund um die Becken ist zuwenig Platz zum Sitzen, und im 30 Zentimeter seichten Wasser knieend oder liegend mit Kindern zu planschen ist auch nicht wirklich entspannend.

Eine geringe Wassertiefe hat allerdings den großen Vorteil, dass weniger Wasser erwärmt und verbraucht werden muss, dass die darunter liegende Tiefgarage in ihrer Höhe nicht beeinträchtigt wird und keine teuer vermietbaren Stellplätze verloren gehen. Wer die eigentliche Zielgruppe für das „tropische Schwimmparadies“ ist, wird nach Betrachtung des Saunabereichs klar. Dieser ist zwar gleichfalls klein, aber geschmackvoller gestaltet als die Schwimmhalle. Gediegen saunieren nach einem anstrengenden Arbeitstag, kurz ins Wellenbad und dann ein wohlverdientes Essen – wer möchte so ein Service nicht direkt beim Arbeitsplatz genießen?

Die Raiffeisen Landesbank als Investor und die „Konstruktiva“ als Bauträger haben ja nicht nur das bad, sondern darüber ein 17geschoßiges Bürohochhaus gebaut, in dem unter anderem das Raiffeisen-Rechenzentrum untergebracht ist; allein in diesem Gebäude sind 600 Menschen beschäftigt, im benachbarten Landesbankgebäude weitere Hunderte, und im gerade in Umbau befindlichen IBM-Haus nebenan werden es ähnlich viele sein. Dieserart kommt eine kaufkräftige Klientel zusammen, für die ein so nahes Angebot an konsumierbarer Wellness zweifellos attraktiv ist. (Das Problem von lärmenden Kindern im Bad wird sich durch die hohen Eintrittspreise ohnehin von selbst erledigen.)
Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn in die niedrigen Gewässer des privaten Betreiber nicht 200 Millionen Schilling Steuergeld geflossen wären, die für die Allgemeinheit einfach den Bach hinuntergegangen sind. Zwar besteht seitens der Gemeinde Wien die verpflichtende Auflage, das Bad 20 Jahre zu halten, in welcher Form steht jedoch nirgends. Und falls das Bad vorzeitig in Konkurs gehen sollte – der Saunabereich könnte praktischerweise direkt von Raiffeisen übernommen werden -, wird eine neuer Betreiber wohl kaum gezwungen werden können, dieses offensichtliche Defizitgeschäft weiterzuführen.

Dann ist das ungeliebte Bad auf teuren Innenstadtboden endgültig zu, kann durch die entsprechende konstruktive und ausstattungsmäßige Vorarbeit leicht eliminiert werden – die Reifenrutsche ist rasch ausgebaut und anderweitig wieder verwertbar – und zum Beispiel zu einer Mehrzweckhalle oder einer repräsentativen Bankfiliale und vor allem zu einem adäquaten Entrée ins Bürohochhaus umgebaut werden. Plötzlich erfüllt sich die Überdimensionierung der Freitreppe in der Lilienbrunngasse mit Sinn, denn zur Zeit müssen sich die Büroangestellten im „Raiffeisen Diana Haus“ mit einem Eingang im Minimalformat begnügen, der der täglichen Frequenz spottet.

Am neuen Dianabad ist beispielhaft abzulesen, mit welch zynischer Leichtfertigkeit heutzutage die Durchschnittsbevölkerung vom Steuergeldfluss weggehalten wird. Ein Bad, das für Familien, alte Menschen und Jugendliche unbezahlbar und unbrauchbar ist und in dem das Pflichtfach Schulschwimmen seriöserweise nicht abgehalten werden dürfte, weil man dort das Schwimmen nicht erlernen kann, lässt sich nicht soziale Einrichtung nennen, und es ist besonders erschreckend, dass es die Wiener Sozialdemokraten waren, die solch ein Objekt auch noch hoch subventioniert haben. Die Bauaufgabe „öffentliches Bad“ war und ist eine sozialpolitische, der sich eine verantwortungsvolle Kommune zu stellen hat, auch wenn es hohe Betriebskosten und ein eventuelles Defizit bedeutet.

Was kommt als nächstes: die Einzäunung der Donauinsel und ihre Umgestaltung zum Sissyland? Verkauf und Rodung des Grünen Praters, weil das Wiener Stadtgartenamt defizitär arbeitet, bei gleichzeitiger Installierung einer gebührenpflichtigen Lauf-, Rad- und Skatingstrecke, um die spinnerten Sportler ein bisserl zu schröpfen? Den Auswüchsen der gewinnmaximierenden, passivitätsorientierten Freizeiteinrichtungen sind in der Phantasie einer um sich greifenden Unkultur wahrlich kein Grenzen gesetzt. Im Fachjargon der sogenannten Betreiber heißt das dann laut Folder: „Erfolg. Spaß.“ Frage: Wobei?

Spectrum, Sa., 2000.11.11

16. September 2000Judith Eiblmayr
Spectrum

Das Zuschalten des Außenraums

Fertigteilhaus-Katalog, tradierte 08/15-Typologie oder sich doch einem „besserwisserischen“ Architekten ausliefern? Die Grundsatzfrage im privaten Einfamilienhausbau findet im Klosterneuburger Haus H. eine klare Antwort: Architekt Stelzhammer wußte es besser!

Fertigteilhaus-Katalog, tradierte 08/15-Typologie oder sich doch einem „besserwisserischen“ Architekten ausliefern? Die Grundsatzfrage im privaten Einfamilienhausbau findet im Klosterneuburger Haus H. eine klare Antwort: Architekt Stelzhammer wußte es besser!

Es ist eine gerne und meist heiß geführte Diskussion zwischen professionell Architekturschaffenden und Architekturnutzern: jene um die Notwendigkeit von Architektenarbeit im privaten Einfamilienhausbau. Die Manifestierung von familiärer Idylle und deren materialisierte Darstellung überlassen Bauherrn - falls dies nicht ohnehin aus dem Fertigteilhaus-Katalog erfolgt - ungern Dritten, schließlich weiß jeder selbst am besten, wie er sich im spezifischen sozialen Umfeld präsentieren will.

Die Lebensaufgabe Hausbau, die rein aus finanziellen Gründen meist zwingendermaßen zur solchen gerät, ist weiters für viele Menschen vermeintlich eine der wenigen Möglichkeiten, wo sie ihre Kreativität ausleben können, also wozu sich einem Besserwisser ausliefern, der einem ja doch nur „seinen Geschmack aufzwingen“ will?

Ein Haus habe ein Haus in seiner tradierten und von Kindheit an verinnerlichten Form zu sein: steiles Dach, übliche Fensteröffnungen, vielleicht ein Dreikant-Erker oder auch ein Wintergarten, wobei sich die typologische Differenzierung zwischen „Salzburger Stil“ und „Modell Europa“ bewegt. So bleibt es Aufgabe der Architekturkritik, die Vermittlerrolle zwischen Laien und Profis wahrzunehmen und immer wieder Objekte zu zeigen, die den qualitativen Nutzen für Bauherrn beim Bauen mit Architekten dokumentieren. In diesem Falle handelt es sich wieder einmal um ein Haus mit Flachdach, wo üblicherweise der größte Erklärungsbedarf herrscht.

Klosterneuburg hat sich zu einem der gefragtesten Stadterweiterungsgebiete von Wien für die gehobene Einkommensschicht entwickelt. Donaustromaufwärts - infrastrukturell durch die Schnellstraße sehr gut beziehungsweise die Schnellbahn ganz gut angebunden - zieht es immer mehr Menschen von der Stadt weg hinter den Leopoldsberg. Bodenpreise und Verkehrsaufkommen sind dementsprechend hoch, von der Lage begünstigt sind dabei die Grundstücke im Weidlinger Tal, insbesondere jene am Fuße des Kahlenbergs. Hier ist man Wien am nächsten und kann bei richtiger Plazierung einen herrlichen Rundblick von den Weinbergen bis zum Bisamberg genießen. Um die attraktive Blickoption dieser Bauplätze optimal zu erschließen, empfiehlt es sich zweifellos, von der Durchschnittslösung für ein Einfamilienhaus abzurücken und sich eine individuelle Planung zu leisten.

Familie H. hat dies getan und den Wiener Architekten Walter Stelzhammer auf Basis eines sehr detaillierten Raumprogramms mit der Konzeption ihres Hauses beauftragt. Er hat sich der Problematik, die ein relativ steil abfallender Nordhang mit sich bringt, konsequent von zwei Seiten genähert: Am höchsten Punkt des Grundstücks liegt die Zufahrtsstraße - südseitig. Am tiefsten Punkt wird die Grenze zum Nachbarn hin von dichtem Baumbestand gebildet, über dessen Wipfel hinweg sich nordseitig die beschriebene Landschaft malerisch dahinzieht.

Aus dieser Dualität bei der Orientierung heraus schuf Stelzhammer eine auf formale Reduktion bedachte Bebauung, die in ihrer der Hanglage entsprechenden Raumabfolge logischer nicht sein könnte. Relativ weit von der Straße abgerückt erstreckt sich quer zum Hang ein dreigeschoßiger, sechs Meter tiefer Riegel, ein schlichter, fast strenger weißer Quader mit anthrazitfarbenen Profilen bei den rundumlaufenden Fensterbändern. Im tektonischen Kontext ist das Flachdach hier die einzig richtige Lösung, schließlich will (oder soll!) man ja auch dem oberen Nachbarn nicht durch einen hohen Dachaufbau die Sicht verstellen.

Orthogonal auf diesen Haupttrakt liegt ein niedrigerer Schenkel, der, teilweise mit einer Dachterrasse versehen, bis zur Straße reicht und in dem der Unterschied zwischen höherem Straßenniveau und tiefer liegender Wohnebene über die hinabführende Eingangstreppe ausgeglichen wird. Das räumlich Besondere ist nun, daß zwischen den beiden Baukörpern und einer den Hang abfangenden Stützmauer an der Südseite ein (auch sicht-) geschützter Hof ausgebildet wird, der eine Orientierung zur Sonne praktisch in jeder Ecke des Erdgeschoßes möglich macht: Über große Glasschiebeelemente kann dieses Semiatrium westseitig Diele und Küche und südseitig dem Wohnzimmer als ergänzender Außenraum zugeschaltet werden. Betritt man den Wohnraum, eröffnet sich dem Betrachter erst die volle Qualität der architektonischen Konzeption: Auch die Nordseite ist auf 15 Metern Länge ganzflächig verglast und gibt den Blick auf das Weinbergpanorama frei, über die Kuppeln des Stiftes Klosterneuburg hinweg bis zur Burg Kreuzenstein ganz in der Ferne.

Zweifellos ist die nordseitige Glaswand energiepolitisch höchstgradig unkorrekt, aber in diesem Fall muß wohl zugunsten des ästhetischen Mehrwerts ein erhöhter Heizbedarf im Winter in Kauf genommen werden. Die kühle Vorderfront setzt auf Extraversion, an der „warmen“ Rückseite bleibt durch die Orientierung in den Hof die Privatheit gesichert. In dem zirka 70 Quadratmeter umfassenden, in Wohn-, Arbeits- und Eßbereich und durch die zentral liegende transparente Stiege ins Ober- und Kellergeschoß gegliederten Großraum herrscht eine räumlich-visuelle Offenheit, die in keiner Weise entgrenzt oder ungemütlich wirkt.

Walter Stelzhammers Raumkonzepte sind im großen wie im kleinen Maßstab ganz wesentlich von der gezielten Lichtführung und dem Hofhausprinzip geprägt. Sei es, indem er den Lichthof eines stattlichen Gründerzeithauses verglast, die umgebenden Mauern „aufreißt“ und somit einen lichtspendenden Zentralraum für einen Verwaltungsbau gewinnt; sei es, indem er ein ebenfalls in Hanglage befindliches Ferienhaus aus Holz an der türkischen Küste an der Rückseite um einen schattigen, aus Naturstein geformten und daher kühlen Hof erweitert. Auch beim Haus H. ergibt sich die Form aus der konsequenten Auseinandersetzung mit dem Ort und dem architektonischen Willen heraus, den Außenraum als integralen Bestandteil des Raumprogramms zu betrachten.

An diesem Beispiel ließe sich eine Empfehlung an potentielle Bauherrn formulieren: Der Genius loci soll die ihm entsprechende Hausform prägen - und nicht umgekehrt. Ein guter Architekt, eine gute Architektin sollten das wissen.

Spectrum, Sa., 2000.09.16



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Einfamilienhaus

26. August 2000Judith Eiblmayr
Spectrum

Mit Ökologie und Schießstand

Mächtig, aber ruhig liegt es am Wasser: das neue Klubhaus, das MartinTreberspurg für den Wiener Polizeisportverein errichtet hat - ein Stück ökologischer Funktionalismus an der Alten Donau

Mächtig, aber ruhig liegt es am Wasser: das neue Klubhaus, das MartinTreberspurg für den Wiener Polizeisportverein errichtet hat - ein Stück ökologischer Funktionalismus an der Alten Donau

Es ist zirka 130 Jahre her, daß in Wien die kaiserlichen Schiffmühlen am rechten Ufer der Donau in Betrieb waren und etwas flußabwärts die Dampfschiffe der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft anlegten. Der Donaustrom floß noch in seinem alten Bett, die „Colonie Kaisermühlen“ war mit den Praterauen verbunden und gehörte zum zweiten Wiener Gemeindebezirk. Erst durch die Donauregulierung (1870 bis 1875) wurde Kaisermühlen zu einem Teil Transdanubiens und durch seine exponierte Lage zwischen Altarm, neuem Donaubett und Kaiserwasser ein interessanter Standpunkt für die wasserintensive Industrie wie Färbereien und Wäschereien oder für die Eisgewinnung. Dementsprechend wurde Kaisermühlen in der Gründerzeit als Rasterviertel mit Fabriken und Wohnhäusern, ergänzt durch Kirche und Schule, angelegt.

Wie in dem kürzlich bei Bohmann erschienenen, von Gernot Ladinig herausgegebenen Buch „Die Alte Donau“ anschaulich beschrieben ist, nahm gleichzeitig die hohe Wiener Bäderkultur ebendort ihren Ausgangspunkt. Im Jahre 1907 wurde das Gänsehäufel, das um die Jahrhundertwende auf Initiative des legendären Florian Berndl gegründet worden war, zum ersten Strand-Großbad in Europa. Diese Tradition wurde im Roten Wien der Zwischenkriegszeit mustergültig fortgesetzt, indem entlang der Alten Donau mehrere Bäder errichtet wurden, betrieben von den Kultur- und Sportvereinen einzelner Berufssparten oder Firmen. Seit damals befinden sich zum Beispiel auf dem Dampfschiffhaufen, einer Halbinsel südlich des Gänsehäufels, wo einst die Donaudampfer anlegten, unter anderen das Straßenbahner-, das E-Werk- oder das Siemens-Bad und an seinem nordwestlichen Ende das Polizeisportbad. Der sogenannte Polizeisteg bindet den Dampfschiffhaufen für Fußgänger und Radfahrer an Kaisermühlen an.

Der Polizeisportverein betreibt nicht nur das Strandbad mit Öffentlichkeitsrecht, sondern auch eine große Sportanlage, die für Wettkämpfe und die Ausbildung von Polizisten benötigt wird. Da die zugehörigen Hütten für Garderoben und Klubräume, die seit dem Zweiten Weltkrieg sukzessive im Eigenbau errichtet worden waren, baulich und funktional nicht mehr entsprachen, entschloß man sich, diese abzureißen und durch ein durchdachtes Stück Architektur ersetzen zu lassen. Man entschied sich für den Wiener Architekten Martin Treberspurg, der für seine ökologieorientierten Konzepte bekannt und mit dem Bauen in den Donauauen bereits vertraut war. Von ihm stammt in Zusammenarbeit mit Georg Reinberg und Erich Raith die Planung für eine der ersten genossenschaftlichen Reihenhaussiedlungen, die nach ökologischen Gesichtspunkten, jedoch im finanziellen Rahmen der Wohnbauförderung in Stadlau errichtet wurde. Treberspurg wurde seitens des Projektbetreibers, der Bundesimmobiliengesellschaft, vertraut, gemeinsam mit Richard Fritze (Statik und örtliche Bauleitung) für den Polizeisportverein ein modernes, jedoch auf die vorhandene Baukultur bezogenes Bauwerk zu entwickeln. Er tat dies - selbstverständlich - mit einem Holzbau: Der zweigeschoßige Baukörper ist in Holzleimbinderkonstruktion mit gedämmten Paneelen errichtet und mit einer Stülpschalung aus unbehandeltem Lärchenholz versehen. Er steht zwischen Alter Donau und der Längsseite des Fußballfeldes - an derselben Stelle wie das alte Gebäude. Das einzige, was von diesem erhalten blieb, ist eine vor kurzer Zeit erneuerte Kegelbahn, die frisch überbaut wurde.

Um dem 70 Meter langen Gebäude Leichtigkeit zu verleihen, ist es direkt an die Wasserkante gesetzt, kragt drei Meter aus und wirkt dadurch wie über dem Wasser schwebend. Gleichzeitig wird, vom anderen Ufer aus betrachtet, die Assoziation zu einem Schiff geweckt, das mächtig, aber ruhig am Wasser liegt. Der Baukörper mit seiner Nutzfläche von rund 1600 Quadratmetern ist in drei Längsabschnitte gegliedert, wodurch ihm die Länge genommen wird. Eine mittige, breite Loggia auf beiden Etagen, die durch eine Stiege verbunden sind, erzeugt Durchlässigkeit für Blick und Wind und bildet gleichzeitig den zentralen, überdachten Außenraum. Von hier aus besteht über eine Treppenanlage der direkte Zugang zum Wasser; außerdem werden die zwei unterschiedlich genutzten Bauteile erschlossen. Im Südtrakt befinden sich Mannschaftsräume, Büros und der Raum des Platzsprechers, im Nordtrakt die Kantine und Schulungsräume. Jeder Trakt verfügt im ersten Obergeschoß über je einen Laubengang, der hie über dem Wasser liegt und da auch als Zuschauergalerie bei einem Fußballspiel dienen kann. Am oberen Ende des Gebäudes befindet sich die Kegelbahn, die man mit einer tischartigen Konstruktion aus Stahlbeton überbaut hat, um im oberen Geschoß einen geschlossenen Schießstand unterbringen zu können.

Das Haus, das auch im Winterbetrieb bestehen muß, funktioniert durch die Bauweise und die großen Fensteröffnungen nach Südwesten als Niedrigenergiehaus. Die Speisung von Heizung und Warmwasser aus Sonnenenergie ist zwar vorbereitet, die Sonnenkollektoren fielen allerdings der „Kostendeckelung“ des Bundes zum Opfer.

Nicht gespart wurde bei der Dachkonstruktion, einem flach geneigten Alu-KalZip-Dach, das nicht über eine herkömmliche Hinterlüftung, sondern über eine Zwangsentlüftung des Dachraumes verfügt: Ein Hauch genügt, um ein Windrad auf der Dachhaut in Bewegung zu setzen, das wiederum einen Ventilator zur Absaugung der Warmluft unter dem Dach betreibt.
Seit die Kleingärten rund um die Alte Donau für ganzjähriges Wohnen genehmigt und teils im Eigentum vergeben sind, beginnt eine rege Bautätigkeit einzusetzen.

Dies hat einerseits eine große Menge an 08/15-Mansardendach-Kleinhäusern in Schönbrunnergelb oder Biedermeierblau, mit schmiedeeisernen Laternen dekoriert, zur Folge. Andrerseits entsteht auch eine Reihe von Häusern, die sehr sensibel auf die Kleinmaßstäblichkeit der Umgebung reagieren und durch die richtige Materialwahl und Orientierung eine Integration im gewachsenen Grünraum erreichen. Es ist beruhigend, zu sehen, daß in diesem heiklen Umfeld der Bund mit gutem Beispiel vorangeht und um eine anspruchsvolle Architektur bemüht ist. Das Klubhaus des Polizeisportvereins, das im Herbst fertiggestellt sein wird, wurde in bester Tradition dieses Haustypus geplant und errichtet. Trotz seiner Größe ist dieses Gebäude im übertragenen Sinne kein trötendes Dampfschiff, sondern vielmehr ein ruhendes Flaggschiff eines ökologischen Funktionalismus, wie er an dieser (Anlege-)Stelle nicht besser passen könnte.

Spectrum, Sa., 2000.08.26



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Polizeisportanlage

10. Juni 2000Judith Eiblmayr
Spectrum

Es geht auch ohne Feng Shui

Ein traditionelles bäuerliches Bebauungsschema, einen formal zeitgemäßen Neubau und umwelttechnologische Standards auf der Höhe der Zeit: Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer brachten mit dem Haus K. in Unterolberndorf, Weinviertel, all das unter einen Hut - und erzielten zudem höchste Wohnqualität.

Ein traditionelles bäuerliches Bebauungsschema, einen formal zeitgemäßen Neubau und umwelttechnologische Standards auf der Höhe der Zeit: Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer brachten mit dem Haus K. in Unterolberndorf, Weinviertel, all das unter einen Hut - und erzielten zudem höchste Wohnqualität.

Unterolberndorf ist ein idyllischer kleiner Ort, eingebettet in die sanfte Weinviertler Hügellandschaft. So typisch das Dorf in seiner Formation und Bevölkerungsstruktur für diese Gegend ist, so untypisch ist seine Geschichtsträchtigkeit. Kaum jemand würde vermuten, daß ausgerechnet hier die Verfassung eines schwarzafrikanischen Staates formuliert wurde: 1985 trat die Exilregierung von Uganda unter der Führung des späteren Präsidenten Yoweri Museveni im Dorfwirtshaus „Zum grünen Jäger“ zu einer konspirativen Sitzung zusammen, um den Sturz des herrschenden Regimes in ihrem Land vorzubereiten. Ein Unterfangen, das von Erfolg gekrönt war, weshalb Unterolberndorf seither als „die Wiege des demokratischen Uganda“ gilt und durch Besuche des Präsidenten in Ehren gehalten wird.

Auch die Ortsbewohner und -bewohnerinnen sind sich ihrer Verantwortung bewußt und initiieren nach wie vor Spendensammlungen, die Entwicklungshilfeprojekte, wie zum Beispiel die Errichtung von Schulen, finanzieren helfen.

Orte wie dieser sind auch längst keine Bauerndörfer mehr, die relative Nähe zu Wien bewirkt einen verstärkten Bezug zur Großstadt, was etwa auch in der Etablierung urbaner Architektur ihren Niederschlag findet. Die ursprüngliche Bebauungsstruktur einer relativ geschlossenen Straßenfront mit großen Toreinfahrten in die Bauernhöfe wurde im Lauf der Zeit aufgelöst und in individualisierter Weise neu geformt: Freistehende Einfamilienhäuser mit Vorgarten stehen an der Stelle der alten, klein dimensionierten Gehöfte, die in immer geringerer Anzahl benötigt und daher abgerissen werden.

Das Wiener Architektenduo Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer hat bei der Planung des Projektes Haus K. gezeigt, wie man durch Einbeziehung dieses althergebrachten Bebauungsschemas ein Einfamilienhaus mit höchster Wohnqualität errichten kann. Sie ließen nicht nur das alte Bauernhaus als Nebengebäude stehen, sondern ergänzten dieses straßenseitig, indem die Hofeinfahrt mit einem Dach überbaut und zur Garage umfunktioniert wurde. Zwischen dieser und einer kleinen Einliegerwohnung im Altbestand führt einen der Haupteingang direkt in den großen begrünten Innenhof.

Am Ende des ostseitig flankierenden ehemaligen Wirtschaftstrakts, in dem jetzt Abstell- und Lagerräume untergebracht sind, liegt der ins ansteigende Gelände eingegrabene Weinkeller. In der ursprünglichen Bebauungsstruktur sind entlang dieser Kante die Scheunen situiert, die somit den hinteren Abschluß der Bauernhöfe zu den bewirtschafteten Feldern bilden. Hochholdinger und Knauer haben nun anstelle des Stadels parallel zum Hang das eigentliche Wohnhaus für die Familie errichtet, wodurch der Wunsch seitens der Bauherrn, dem Haus nicht nur formal, sondern auch umwelttechnologisch eine zeitgemäße Entsprechung finden zu lassen, in idealer Weise umgesetzt werden konnte.

Wegen der bestehenden Nebenräume wurde auf eine Unterkellerung des Neubaus verzichtet und das Erdgeschoß ins Gelände eingegraben. Nord- und Ostseite schließen direkt ans Erdreich an, die Wohnräume sind mit großflächigen Verglasungen nach Südwesten in den Hof orientiert und mit einem begrünten Flachdach versehen. Diese Kombination aus gewonnener Sonnenenergie an der Vorderseite und speicherwirksamer Masse an der Rückseite, läßt das Gebäude als prototypisches Niedrigenergiehaus funktionieren, Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung und ein spezielles Be- und Entlüftungssystem ergänzen das ökologische Energiekonzept.

Dem in den Hang integrierten unteren Geschoß ist ein kleiner dimensioniertes Obergeschoß draufgesetzt. Mit seiner Fassadenverkleidung aus unbehandelten Lärchenholzpaneelen kann die aufgesetzte Schachtel durchaus als Zitat der vormals hier plazierten Scheune verstanden werden.

Allerdings fehlt ihm das steile Dach, wodurch die Besonderheit dieses ganzen Projekts in bezug auf die Bauordnung augenscheinlich wird. Vom in Niederösterreich gültigen sogenannten Satteldachparagraphen, der besagt, daß ein Haus grundsätzlich über ein geneigtes Dach verfügen muß, um genehmigungswürdig zu sein, konnte hier mit Hilfe der Argumentation eine Ausnahme gemacht werden, daß der Neubau von der Straße aus eh nicht sichtbar ist . . . Dieser behördlichen Logik folgend, dient der Altbestand somit nicht nur den Bewohnern als Schutz vor Straßenlärm, sondern auch der Ortsbevölkerung, um vor irritierender Architektur beschützt zu werden.

Von den zwei Kinderzimmern, die im oberen Geschoß untergebracht sind, erschließt sich ein herrlicher Blick über den Ort hinweg auf die Kirche und den Gegenhang des Tales zu. An der Nordseite ist der ebene Ausgang in den oberen Teil des Gartens und ins dahinter liegende Feld möglich. Von hier aus und beim Umschreiten des Hauses zeigt sich, wie intelligent und stimmig die Terrassierung des Baukörpers im tektonischen Kontext ist. Die Kubatur wurde so perfekt ins Gelände hineinmodelliert, daß zu jedem Teil des Gartens ein spezifischer Bezug hergestellt wurde.

Um den Eindruck eines Erdhauses zu vermeiden, werden Durchblicke gewährt, die die räumliche Entwicklung zwischen Haus und Garten klar nachvollziehbar machen. Der Haupteingang im Erdgeschoß erfolgt über ein paar Stufen mittig im Gebäude, rechts erstreckt sich der Wohn-Eß-Bereich mit offener Küche, links liegt das Schlafzimmer mit angrenzendem Bad und der Haustechnikraum. - Betritt man die Diele, wird der Blick auf die Übereckverglasung oberhalb der Treppe gelenkt, die einem sogleich vermittelt, daß der Garten hier weitergeht. Der Innenraum geht fließend in den Außenraum über und wird erst durch einen großen alten Nußbaum begrenzt. Auch der Wohnraum besteht nicht nur aus gemauerten Wänden hinten und der Glasfront vorne: Durch ein horizontales Glasband zwischen dem Mauerwerk und der auf schlanken Stahlstützen punktuell gelagerten Decke wird wiederum eine Blickbeziehung zum oberen Grünbereich hergestellt.

Südwestseitig erweitert sich der Wohnraum wie selbstverständlich nach außen über den atriumartigen Grünraum bis zur gegenüberliegenden Mauer des Altbestands. Der graue Schiefer ist unter den großformatigen Schiebetüren hindurch niveaugleich als Bodenbelag durchgezogen und bildet so eine befestigte Übergangszone zur Wiese hin aus. Gedeckt ist diese Loggia durch die auskragende Stahlbetondecke und daran anschließende Glasfelder, die an der Unterseite mit Rundhölzern belegt sind und somit einen gerasterten Lichteinfall bewirken.

Ein Stahlträgerkranz dient der Erdgeschoßdecke als rundumlaufendes Traufenelement, das auch noch über der nordwestseitigen Terrasse eine Pergola ausbildet und - vertikal betont gestützt durch eine sienarote Mauerscheibe - eine starke horizontale Gliederung des Baukörpers schafft.

Konterkariert wird diese konstruktive Linearität einerseits von zwei Geländestützmauern aus Natursteinen, die vom abgebrochenen Hofgebäude stammen und einem Baum, der, in der Westecke des Innenhofes stehend, konzeptionell so eingebunden wurde, daß er in der warmen Jahreszeit als Schattenspender für die intime, mit Lärchenholz belegte Terrasse an der Breitseite des Hauses zum Tragen kommt.

So nüchtern solch eine technische Baubeschreibung auch klingen mag, so wichtig ist sie, um die klar formulierte architektonische Konzeption der Planer darzulegen. Es bedarf keiner lieblichen Ökozismen oder bauesoterischer Attribute aus der Feng-Shui-Lehre, um ein Haus „im Einklang mit der Natur“ zur errichten, vielmehr ist es eine technologisch optimierte, intelligente Architektur, die diese Qualitäten schafft.

Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer haben sich mit viel Sensibilität auf den Bestand am Grundstück - gebauter wie gepflanzter Art - eingelassen, den Neubau perfekt integriert und den Bauherrn ein auf naturbezogenen Rückzug bedachtes Wohnen ermöglicht. Es ist die Abfolge der beschriebenen räumlichen und atmosphärischen Übergänge, die ein homogenes Ganzes mit einem hohen Maß an Privatheit bilden und dazu geführt haben, daß den Hausbesitzern erst jetzt auffällt, wie wenig Zeit sie - noch in ihrem alten Haus wohnend - im Garten verbracht haben.

Roland Rainer, der kürzlich seinen neunzigsten Geburtstag feierte, wurde nie müde, diese Art des naturbezogenen Wohnens zu propagieren. Ihn müßte es freuen, daß in bester Tradition seines eigenen Werks Bauten jüngerer Kollegen entstehen, die um den Aspekt ökologieorientierter Technologie bereichert die Relevanz seiner Lehre auch fürs 21. Jahrhundert unter Beweis stellen.

Für Unterolberndorf läßt sich der Kreis des Afrika-Bezugs schließen: Der Atrium-Haus-Typ stammt eigentlich aus dem islamischen Städtebau Nordafrikas, womit die Sinnhaftigkeit des Austausches zwischen noch so weit voneinander entfernten Kulturen erwiesen ist.

Spectrum, Sa., 2000.06.10



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Haus im Weinviertel

13. Mai 2000Judith Eiblmayr
Spectrum

Planet Sun & Planet Fun

Alles, was auf Erden lustig ist: das - virtuell, versteht sich - versprechen Vergnügungsreservate weltweit. Etwa das Wiener „Donau-Plex“: Freiheit der Prärie und Nervenkitzel des Dschungels - glasüberdacht und klimatisiert, inklusive Parkgarage.

Alles, was auf Erden lustig ist: das - virtuell, versteht sich - versprechen Vergnügungsreservate weltweit. Etwa das Wiener „Donau-Plex“: Freiheit der Prärie und Nervenkitzel des Dschungels - glasüberdacht und klimatisiert, inklusive Parkgarage.

Der Begriff Entertainment Design spricht für sich selbst. Die institutionalisierte Enthemmung zu Unterhaltungszwecken findet auf allen Ebenen statt, nicht nur auf den „Park“-, „Kassa“- und „Brückenebenen“ der Vergnügungstempel, sondern auch auf jenen der Linguistik, speziell der Semantik.

Kinopolis im Donau Plex ist ein Beispiel für die superlativischen Wortkreationen, die offensichtlich notwendig geworden sind, um sich in der Dichte der in Wien erbauten Kinopaläste behaupten zu können. „Center“ ist zu einer geradezu minimalistisch anmutenden Umschreibung für den Mittelpunkt konsumorientierter Örtlichkeiten geraten, heutzutage müssen viel eher Attribute wie World, Planet oder Universum herhalten, um das Zielpublikum von den satellitenschüsselgenährten Fernsehgeräten wegzulocken.

Da sich der Kinobesuch lediglich als Appetizer für weitere Kulinarik versteht, ist die „Kinostadt“ mit ihren elf Sälen in einem neuen, ans Donauzentrum durch eine Brücke angedockten Gebäude integriert, das den Charme einer Flughafenabfertigungshalle entfaltet. Der Name Donau Plex verweist dabei nicht nur auf die Verflochtenheit mit der vorhandenen Infrastruktur, sondern auch auf die globalen Verflechtungen im Lokalangebot. Neben Altbewährtem, wie italienischem Eissalon, amerikanischem Fast- food- Restaurant und japanischem Sushi-Lokal trifft man auf selbstbewußt Österreichisches, wie die Palatschinkeninsel, aber auch auf echte Attraktionen wie zum Beispiel einen texanischen Saloon, der sich Indian dreams nennt. Fraglich, ob solch groteske Namengebung auf die Absatzsteigerung bei Feuerwasser abzielt oder die Gäste dazu animieren soll, sich nach dem Verzehr von Spareribs im nahen Sonnenstudio Planet Sun (sic!) zur Rothaut rösten zu lassen?

Auch bei der Gestaltung der Regenwald Bar wurde mit originellen Gags nicht gespart: die eingerollte Riesenschlange als Überdachung der Bar, eine Savannenszene mit Löwen, Zebras und Elefanten als Hintergrundmalerei, ein Baum mit Gesicht, der mit den Augen rollen kann - Natur pur also. Jede Menge Getier findet gemalt, modelliert oder eingebaut seinen Platz. Den wahren Eyecatcher bildet indes ein Krokodil, das alle paar Minuten das Maul aufreißt und nach den Longdrinkgläsern der Bargäste zu schnappen droht.

Wem es solcherart und nach Disney- oder Actionfilm noch nicht spaßig genug war, dem bleibt jenes Etablissement, das bislang als „Spielhölle“ in Verruf stand. Kurzerhand auf Planet Fun umbenannt, wird den Zerstreuung Suchenden klar, daß sich hier virtuell alles nachvollziehen läßt, was auf Erden wirklich lustig ist.

Dann ist das Ziel der Erfinder solcher „Freizeitträume für Frei- zeiträume“ auch schon erreicht: Die Menschen konnten aus der schrecklichen Realität, in der sie ihr berufliches oder Schülerdasein fristen müssen, „entführt und verzaubert“ werden.
G egen ein bißchen Kleingeld ist selbst die Freiheit der Prärie und der Nervenkitzel im Dschungel in der viergeschoßigen, glasüberdachten und klimatisierten Halle mitten in der Donaustadt konsumierbar (inklusive drei Stunden gratis parken in der Tiefgarage!). - Prinzipiell ist gegen derartige Vergnügungsreservate nichts zu sagen: keine Lärmbelästigung von Anrainern, der Lokalwechsel erfolgt nicht über die Straße, sondern muskelschonend über die Rolltreppe - ein absolut geschützter Bereich, wo Sicherheitsorgane die Kids unter Kontrolle haben. In Wirklichkeit werden die Jugendlichen natürlich ver führt, an einem Ort möglichst viel Geld abzulegen, und ent zaubert, denn wie soll man noch mit seinen eigenen Geschichten prahlen, wenn einem ständig ein brüllender Löwe im Nacken sitzt. Imponieren durch konsumieren ist angesagt!

Apropos Reservat: Wie Frank Stronach zweifellos bestätigen wird, ist Österreich trotz dieser jüngsten Entwicklungen und trotz Meister Hundertwassers bemühtem Spätwerk im internationalen Vergleich auf dem Gebiet der Event culture hoffnungslos unterentwickelt, selbst Afrika ist uns da weit voraus.

Bei der Jagd nach devisenbringenden Touristen wird zum Beispiel in Südafrika nicht mehr nur auf Klischees wie Wildparksafari oder Weinverkostung gesetzt, sondern gleich mit einem ganzen Königreich an Vergnügungen geworben. Sun City, Ende der siebziger Jahre in einem Homeland inmitten trockener Buschlandschaft errichtet und als Gipfel des Zynismus des Apartheidregimes geächtetes „Klein Las Vegas“, präsentiert sich nun als Africa's Kingdom of pleasure. K einen Wunsch konsumistischer Urlaubsträume läßt die in den frühen neunziger Jahren errichtete Erweiterung offen: The Lost City. Hier wird einem gar endless escapism - die Flucht vor der Realität ohne Ende - versprochen, und tatsächlich befällt einen beim Spazieren durch den Dschungel, beim Überqueren wackeliger Hängebrücken oder beim Anblick des im dezenten Stile eines indisch-maurischen Maya-Barock gehaltenen Hotel Palace das Gefühl, als Statist in einen Indi- ana-Jones-Film geraten zu sein.

Hier ist nicht nur (Gott sei Dank!) das Krokodil falsch, das in einem Tümpel am Rande des crocodile valley walk liegt, sondern die ganze Dschungellandschaft gleich dazu. Eingeflogene Pflanzen, die durch Bewässerungsanlagen zum Wuchern gebracht werden, Kaskaden aus Chlorwasser, die über als Felsen getarnte Betonbrocken plätschern, vorbei am griechischen Amphitheater und hinein ins Wellenbad, das an einen künstlichen Sandstrand mit Buschhütten und Palmen brandet - eine Apotheose des Kitsches, die einen allerdings in ihrer Perfektion und Ungeniertheit wahrlich staunen macht.
Das Erleben von gekünstelten Märchenwelten sei der Touristen größter Wunsch, Authentizität in Material oder Ort ist dabei völlig unerheblich. In Zeiten der Globalisierung wäre es wahrscheinlich kleinlich, darüber nachzudenken, ob man sich gerade in Südafrika, Los Angeles oder Ebreichsdorf befindet. Der Event -Konsument in Lost City wie Kinopolis soll das sprachlos begeisterte Kind sein. Je toller, je aufdringlicher die (Bild-)Sprache der inszenierten Örtlichkeit, desto größer die erwünschte infantile Sprachlosigkeit. Leider ist diese gleichbedeutend mit der Kommunikationslosigkeit unter Erwachsenen. Aber das macht nichts: Entertainment Design spricht für sich selbst.

Spectrum, Sa., 2000.05.13

29. Januar 2000Judith Eiblmayr
Spectrum

Gemischte Platte mit Torte

Von den Dimensionen her nimmt sich Paolo Pivas dreigeschoßiger Kreissegmentbau im Vergleich zu den umgebenden Kubaturen geradezu bescheiden aus. Von der städtebaulichen Funktion her ist er umso wichtiger: Er ist das Kopfbauwerk der Wiener Donau-City.

Von den Dimensionen her nimmt sich Paolo Pivas dreigeschoßiger Kreissegmentbau im Vergleich zu den umgebenden Kubaturen geradezu bescheiden aus. Von der städtebaulichen Funktion her ist er umso wichtiger: Er ist das Kopfbauwerk der Wiener Donau-City.

Wiens neuer Stadtteil an der Neuen Donau beginnt sich, ganz im Sinne der Betreiber, zusehends zu entwickeln. Die erste Bauphase des Langzeitprojekts Donau-City ist mit der Fertigstellung des Mischek Towers an der Grenze zum Donaupark vorerst abgeschlossen. Der streng orthogonal strukturierte, nordwestliche Bereich des Geländes war einer hochverdichteten Wohnbebauung der Architekturbüros Cufer, Delugan Meissl, Loudon und Neumann & Steiner vorbehalten. Den westlichen Eckpunkt an der „Uferpromenade“ der Donau-City bildet die Volksschule mit integriertem Kindertagesheim von Hans Hollein.

In der diagonal anderen Ecke des Baugebiets vor dem Hintergrund der UNO-City steht inmitten der ihrer Verbauung harrenden Brache Wilhelm Holzbauers Bürohaus Andromeda Tower bislang als Solitär. Ihm wird nun allerdings sukzessive baulich näher gerückt. Vorerst kann Holzbauer selbst diese Annäherung vollziehen, ist es doch wiederum sein Büro, das mit der Planung des in unmittelbarer Nachbarschaft in Bau befindlichen Technologiezentrums Tech Gate Vienna beauftragt wurde. Das städtebauliche Umfeld des oval geformten Andromeda Tower wird nun durch einen querliegenden Riegel und ein dreieckiges Hochhaus begrenzt.

Wenn es nach dem Plan des Projektträgers, der WED – Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum geht, soll diesen Gebäuden jedoch langfristig die Sicht auf die Stadt durch ein Hochhauspaar verstellt werden, welches laut Werbeprospekt der WED nicht nur „die Corporate Identity für die Donau-City bildet, sondern darüber hinaus auch ein neues Wahrzeichen Wiens werden soll“. Die DC-Twin Towers von Arata Isozaki und Gustav Peichl sollen, alle anderen Bauten an Höhe überragend, den Blickfang von der Reichsbrücke aus abgeben und gleichzeitig den unverstellbaren Ausblick auf Wien bieten — woraus sich sicherlich ein akkurater Mehrwert bei den Büromieten lukrieren läßt.

Bis dahin präsentiert sich die sogenannte Platte als „gemischte Platte“ mit attraktivem Nutzungsmix (vorerst ein weiteres Bürohochhaus, eventuell die Maschinenbaufakultät der TU-Wien, ein „Experimentarium“, die europäische Flugsicherung CEATS), um potentielle Investoren auf den Geschmack zu bringen. Schließlich wird es alleinig an deren Engagement liegen, ob die geplanten Projekte realisiert bzw. nach Wunsch des jeweiligen Geldgebers verändert umgesetzt werden. Dementsprechend wird das zukünftige Stadtbild primär von den Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes und weniger von hehren städtebaulichen Überlegungen geprägt sein. Der Masterplan, von Adolf Krischanitz und Heinz Neumann & Partner 1993 erstellt, wurde zwar in der Wegeführung und in der Entflechtung des Verkehrs — Fußgänger und Radfahrer auf -, Autos unter der Platte — übernommen, in der Anordnung der Kubaturen jedoch sehr frei interpretiert. Man darf gespannt sein, wie mit den öffentlichen Räumen, die zwischen den groß dimensionierten Bauten mit ihren verheißungsvollen brandmarks entstehen, umgegangen wird: Werden sie von der WED gestalterisch mitentwickelt oder sollen sich die Dinge hinterher selbst entwickeln? Wird es so etwas wie ein City-Center geben und könnte sich ein solches neben der herrschenden Zentrumsagglomeration — Vienna International Center, Austria Center, Technologiezentrum, Entertainment Center — überhaupt eigenständig behaupten?

Ob die Platzierung eines Kirchenbaus bereits als Versuch einer klassischen Ortszentrumsdefinition zu werten ist, sei dahingestellt, zur Zeit scheint sich aus der Situierung von Heinz Tesars Kirche (in Bau) jedoch ein logisches soziales Zentrum zu bilden. Dieses liegt am Rande der Donau-City, dort, wo deren Anbindung an die wichtigste innenstadtorientierte Infrastrukturachse (U1, Wagramerstraße, Reichsbrücke) und ein Bezug zum gewachsenen Bezirk, nämlich Kaisermühlen, gegeben ist. Von hier aus wird der neue Stadtteil erschlossen, was durch ein gerade fertiggestelltes, in der beschriebenen Umgebung verhältnismäßig kleines, aber umso wichtigeres Element thematisiert wird.

Paolo Piva hat zwischen der verlängerten Schüttaustraße und der diagonalen Haupterschließungsachse der Donau-City einen kreissegmentförmigen, dreigeschoßigen Bau gesetzt, der weniger wegen seiner Nutzung als Filiale der Bank Austria und für weitere kleine Geschäftslokale, sondern vielmehr wegen seiner Gelenksfunktion aufwändig gestaltet ist. Die zur Reichsbrücke gewandte Südseite wird über einem metallverkleideten Sockelgeschoß von einer vorgehängten, doppelt gekrümmten Glasfassade gebildet, die einen äußerst repräsentativen Eindruck vermittelt. An den geraden Seiten wird das „Tortenstück“ von zwei Betonscheiben gefasst, die den Knick der Fußgängerverbindung zwischen U-Bahn- und Busstation und Donau-City nachbilden und richtungsweisend fungieren. Durch die Überbauung der bereits vorhandenen Fußgängerrampe gegenüber der U-Bahnstation, schafft Piva jene Torsituation, die dieses Gebäude zum Kopfbauwerk für die Donau-City macht.

Hat man das „Tor“ durchschritten, wird klar, dass genau hier, an der vermeintlichen Rückseite des Gebäudes, ein kleines Zentrum entstehen könnte: An diesem stark frequentierten Platz zwischen Pivas Bau und Tesars Kirche liegen der Eingang in die Bank und eine Bäckerei, im Zwickel der aufeinandertreffenden Wandscheiben, die durch große Öffnungen aufgelöst sind, ist eine amphitheaterartige Freitreppe angelegt, die einerseits ins Obergeschoß führt und andrerseits zum Verweilen mit Blick auf die Kirche einlädt. Schade ist, daß die Idee des Architekten, im oberen Geschoß ein Restaurant zu etablieren, nicht aufgegriffen wurde und der langgestreckte, geschwungene Raum mit seiner durchlaufenden, südseitigen Glasfront nun wahrscheinlich in kleinere Einheiten unterteilt wird. Abgesehen von der Segmentierung des großzügigen Raumes: Ein Kirchenwirt wäre der Zentrumsbildung zweifellos dienlich gewesen...

Das Interessante an einem Großprojekt, wie es die Errichtung der Donau-City darstellt, bleibt letztendlich die Ungewissheit, die dem Städtebau sytemimmanent ist. Das Entstehen von urbanem Flair ist vielleicht indirekt steuerbar, Urbanität selbst jedoch niemals konkret planbar und so bleibt das spätere Funktionieren einer künstlich hochgezogenen City im Planungsstadium die große Unbekannte. Die Entwicklung des Wiener Donauraumes, sei sie passiv oder autoaktiv, und vor allem seine Belebung werden eine spannende Geschichte bleiben.

Spectrum, Sa., 2000.01.29

27. November 1999Judith Eiblmayr
Spectrum

Alles Gute von der MA 2412!

Alle Jahre wieder behängt sich die Stadt mit Tannenreisig. Diese vorweihnachtliche Marketingmaßnahme – Motto: Die wahre Frohbotschaft ist jene über gestiegene Umsätze – beschehrt Wien heuer ein Stadtmöbel der besonderen Art: einen riesigen Adventkranz.

Alle Jahre wieder behängt sich die Stadt mit Tannenreisig. Diese vorweihnachtliche Marketingmaßnahme – Motto: Die wahre Frohbotschaft ist jene über gestiegene Umsätze – beschehrt Wien heuer ein Stadtmöbel der besonderen Art: einen riesigen Adventkranz.

Noch vier Wochen bis Weihnachten. Wir besinnen uns ob des Advents und beginnen uns auf die entbehrungsreichen Wochen der Fastenzeit einzustellen. Für die Kraftanstrengung zur inneren Einkehr werden wir allerdings im Außenraum visuell belohnt. Die Üppigkeit der Stadt-Bilder, die zum Beispiel in Wien jeden Dezember geboten werden, lassen uns die Strenge des spirituellen Rückzugs ein wenig leichter ertragen. Die Stadt behängt sich – sprich ihre Bauten – mit einem grünen Umhang aus Tannenreisig, stellt dezent rustikale Blockhütten auf und läßt die kahlen Bäume mit Hilfe bunter Herzerl und anderer Attribute der Herzigkeit in buntem Glanz erstrahlen.

Dies wäre eine durchaus nette Geste, stünde sie nicht unter der Schirmherrschaft des Handels, der naheliegenderweise einzig und allein einem Leitspruch folgt, der da heißt: „Leute, kauft! Wir schmücken euch die Stadt, wie ihr wollt, wir bescheren eurem Auge in jedem kleinsten Straßenzug eine kleine Freude, wenn ihr uns nur nicht bei der Bescherung vergeßt.“ Ohne hier moralisieren zu wollen: Die Alterierung über das Weihnachtsgeschäft wäre naiv und realitätsfern, wir wissen alle, daß die wahre Frohbotschaft jene über gestiegene Umsatzprozente ist.

Um im Verkauf froh zu sein, bedarf es allerdings ein wenig mehr, als seine Waren im Schaufenster feilzubieten. Gerade die Wiener City steht in der Adventzeit in einem ausgesprochenen Konkurrenzverhältnis zu wetterunabhängigen Einkaufszentren und versucht verständlicherweise sich durch attraktive Stadteinbauten als Ort des „Event-Shopping“ zu präsentieren. Wer keine geheizten Malls bieten kann, der trumpft dafür mit Superlativen vorweihnachtlicher Volkskulturattribute auf: Sentimentalität hin, Umwegrentabilität her – ein Bild des „größten Adventkranzes der Welt “genügt wahrscheinlich, um via Medien die potentielle Käuferschaft auf den Graben zu locken.

Ein grandioser Werbegag: Endlich kann ein Brunnen sein winterbedingtes zweckloses Herumstehen verleugnen und darf als Sockelbauwerk für ein schleifenbehangenes Adventgebinde Dienst tun! Die Brunnenskulptur ist schnell verschalt und mit Grünzeug beklebt, und oben drauf sitzt turbangleich der krönende Kranz.

Bei genauer Betrachtung des Gebildes zeigt sich jedoch, daß im Zuge der Umsetzung dieses Geistesblitzes der Wiener Kaufmannschaft kleinere statische Probleme aufgetreten sind: Der Brunnen konnte die ihm aufgebürdete Last offensichtlich nicht tragen, und so wurde das Gebinde einfach auf vier pölzende Beine gestellt. Ein wahrer Kunstgriff, der bewirkt, daß der Kranz als solcher nicht mehr wahrnehmbar ist und man eher meint, den weltweit größten (grünen!) Tisch mit der plumpesten Tischplatte vor sich beziehungsweise über sich zu haben. Es ist natürlich nicht fair, bei solch origineller Stadtmöblage die strengen Richtlinien architektonischer Gesetzmäßigkeiten anzulegen, andrerseits sollte – auch im Interesse der Erbauer – ein Mindestmaß an Sensibilität für den umgebenden Stadtraum im Sinne Camillo Sittes sehr wohl gefordert werden. Gerade ein Stück temporäre Architektur muß sich, um akkurat wahrnehmbar zu sein, um eine situationsbezogene Dimensionierung bemühen. Ein zu großes Objekt in einem zu kleinen Umfeld wie dem Wiener Graben kann nur schwer eine attraktivierende Frohbotschaft erzielen.

Um sich den Zwängen einer städtebaulichen Analyse zu entziehen, könnte das Werk auch als eines der Kunst im öffentlichen Raum auslegt werden. Aber selbst in der Sparte der freien Kunst gelten Gesetze bezüglich ihres Wirkungsgrades, die der Kunst- und Kulturphilosoph Boris Groys folgendermaßen definiert: „Kunst im Außenraum steht im urbanen Umfeld und konkurriert mit diesem; sie bildet einen politisch-sozialen, gesellschaftlichen Kommentar, visualisiert und kommentiert den Kontext; sie sensibilisiert den Blick des Betrachters für die Umgebung.“

Der größte Adventkranz der Welt tritt leider etwas zu stark in Konkurrenz mit dem urbanen Umfeld, sodaß er primär eine Sichtbarriere im gewohnten Graben-Blickfeld darstellt. Ob er die ergreifende Visualisierung von „Es weihnachtet sehr!“ zuwege bringt, kann erst nach Entzünden der vier Kerzen beurteilt werden.

Natürlich sollen gestalterische Eingriffe wie dieser nicht mit puristischer Strenge abqualifiziert werden, sie gehören zum (Weihnachts-)Geschäft und tun niemandem wirklich weh. Verwundert ist man nur, wenn man aus Erfahrung weiß, welch wachsames Auge die MA 19 – Stadtgestaltung – auf das Schaffen von Architekten und Architektinnen wirft, um die Stadtbildverträglichkeit eingereichter Planungen zu prüfen, und es drängt sich schon die Frage auf, warum man der „MA 2412 “ (eine schrille ORF-Sitcom über ein fiktives Amt für Weihnachtsdekorationen) ung’schaut alles durchgehen läßt.

Aber – wie wir wissen – Wien ist anders, wie uns der Architekt Günther Feuerstein in seinem Buch „Visionäre Architektur, Wien 1958/1988 “anschaulich darlegt:

Wien ist gleichzeitig eine Stadt der Heiterkeit und der Lebensfreude, und es ist eine Stadt der Zeremonien und der Rituale: Wien ist eine ,katholische‘ Stadt, nicht von einer tief spirituellen Gläubigkeit erfüllt, sondern vor allem von jener Religiosität spanisch-barocker und gegenreformatorischer Prägung, die nur über die Sinnenfreude, auch über den Kitsch, Aberglauben und Paganismus hindurch zur Gläubigkeit findet. Liturgie und Zelebration, Festlichkeit und Gepränge, Augenlust und Pomp haben in Wien Tradition ...“

Und weiter: „Es ist überraschend, wie gerade in dieser Stadt die Gegensätze aufeinanderprallen, Konflikte hervorrufen, oft Ausgleiche bewirken – aber auch ungelöst stehen bleiben oder verdrängt werden: nirgends so virtuos wie Wien.“

Apropos Kitsch und „MA 2412 “:Hier einige Tips aus dem Fachbereich Architektur zum Thema Weihnachtsdekoration: Abgesehen davon, daß durch den Kunst-Adventkalender am Rathaus endlich Licht ins Dunkel der Wiener Ringstraßenarchitektur gebracht wird, könnte so manches Wiener Gebäude ansehnlicher Aufputzträger dienen: der Donauturm als leuchtender Christbaum – welch Erleuchtung; das AKH als aufgemascherltes Geschenkpackerl welch gelungene Masche, um die Weihnachtsbotschaft zu allegorisieren. Ob der rustikalen Gemütlichkeit, die sie den umgebenden nüchternen Stadträumen entgegenhauchen, wäre weiters der flächendeckende Punschhütten-Dorfcharakter anzustreben. Ein Szenario, das uns jetzt schon in ritualistischer Erwartung das Herz erwärmt.

Spectrum, Sa., 1999.11.27

02. Oktober 1999Judith Eiblmayr
Spectrum

Ein zeitgemäßes Seh-Erlebnis

Inflationär gebraucht, oft mißbraucht, in der Folge verbraucht: der Begriff „Design“.Das Wiener Duo Renate Martin und Andreas Donhauser verleiht ihm indessen Körper und Glanz: mit seinen fulminanten Ausstattungen von Filmen, Theater- und Operninszenierungen.

Inflationär gebraucht, oft mißbraucht, in der Folge verbraucht: der Begriff „Design“.Das Wiener Duo Renate Martin und Andreas Donhauser verleiht ihm indessen Körper und Glanz: mit seinen fulminanten Ausstattungen von Filmen, Theater- und Operninszenierungen.

Der Begriff „Design “ist in den letzten Jahren in Inflationärer Weise gebraucht, oft genug mißbraucht und in der Folge ein bißchen verbraucht worden. Umso erfreulicher ist es, daß es Kultursparten gibt, die – bislang von der Modebegrifflichkeit „verschont “– unter dem Designaspekt sehr wohl neue Qualitäten entwickeln können, wie zum Beispiel Bühnenereignisse, sei es in Theater oder Oper.

Während die Ausgestaltung bei Filmen und Fernsehstücken längst als„Set-Design“ bezeichnet wird,ist dem Theater das „Bühnenbild “erhalten geblieben, eine Differenzierung, die grundsätzlich richtig ist: Bei der Filmausstattung müssen Räume oder Rauminhalte so dargestellt werden, daß sie, auf Kinoleinwand oder Bildschirm flächig projiziert, für das menschliche Auge, der jeweiligen Intention der Filmemacher entsprechend, entschlüsselbar bleiben. Zu diesem Zweck ist alles technisch Machbare erlaubt, das Auge kann mit Hilfe des Medium Film ziemlich leicht ausgetrickst werden und unterliegt (gerne!) dem illusionären „Abbild des Geschehens“.

Der Begriff „Set-Design“ umschreibt die Vielschichtigkeit bei der Gestaltung der Szenen als einen dynamischen Prozeß, er impliziert die Künstlichkeit bei der Verquickung von Filmarchitektur, Licht, Zeit und technischen Trick mit den entsprechend gestylten Akteuren. Im Theater hingegen wird die Bühne als „Bild im Geschehen“ wahrgenommen. Das, was „geschieht“, ist die Schauspielerei, das Bühnenbild bleibt gegenüber der „Aura, die um den Darstellenden ist “(Walter Benjamin), trotz perspektivischer Bemalung und immer ausgereifterer Bühnenmaschinerie in einem semantischen Anspruch schön brav zweidimensional im Hintergrund.

Was passiert, wenn jemand, der um die „Designbarkeit“ des Sets aus der filmischen Praxi weiß, sich einer Bühne annimmt, kann am Beispiel der Arbeiten des Wiener Ausstatterduos Renate Martin und Andrea Donhauser abgelesen werden. Unter der Bezeichnung „donmartin superset“ bewerkstelligen sie die Ausgestaltung sowohl von Spielfilmen, Videoclips und Werbespots als auch von Theater- und Operninszenierungen im In- und Ausland, wie zuletzt „Le Grand Macabre“ von György Ligeti am Tiroler Landestheater (1998) oder „Gormenghast “von Irmin Schmidt am Opernhaus Wuppertal (1998).

Ihre letzte hochgelobte Produktion ist eine für die Wiener Staatsoper: Wilfried Hillers Kinderoper „Da Traumfresserchen “(Buch:Michael Ende) in der Inszenierung von Michael Sturminger. Obwohl von kleinerem Umfang, wird hier die Qualität der Arbeit von Martin und Donhauer in vollem Ausmaß deutlich, was von der Pressesprecherin der Wiener Staatsoper bei der Auswahl der Photos folgendermaßen treffend beschrieben wurde:„Na ja, Bühnenbild in dem Sinn gibt es eigentlich keines.“

Die kleine Bühne im Kinderzelt auf dem Dach der Staatsoper ist eben mehr als ein „Bild “,sie wird gestalterisch so besetzt, daß sie mit den handelnden Personen zu einem in einer Gesamtheit wahrnehmbaren Erlebnis gerät, Bühnenbild und Kostüme bedingen einander und lassen die Sänger und Sängerinnen zu integralen Bestandteilen der Bühneninstallation werden. Diese Herangehensweise, die „die Bühne selbst zum Objekt machen will“ (Martin/Donhau er) und dem in diesem Falle jungen Publikum eine kindgerecht dynamische, jedoch in keiner Phase des Stücks infantilisierte Bildabfolge bietet, ist natürlich ungleich spannender als „auf die Bretter“ oder „vor die Kulissen gestellte“und dort agierende Schauspieler.

Die computergenerierten Hintergrundmuster beim „Traumfresserchen“ sind von einer gekonnten, eindrucksvollen Zeichenhaftigkeit, die das jeweilige Bild untermalt und dadurch zuammenhält. Die Kostüme hingegen sind in Farben und Materialien im besten Sinne opulent: Hier wird verziert, humorvoll aus der Modewelt zitiert, aber auch experimentiert. Wenn das knallrote Ganzkörperkostüm des Traumfresserchens sich nach dem Verzehr aller schlechten Träume zu einer Kugel aufbläht, dann ist dies der Innovationsfreudigkeit der zwei Ausstatter auf dem Filmset zu danken. Technische Entwicklungen aus einer Werbespotproduktion fließen synergiennutzend in die Bühnenarbeit ein: Das Experimentieren mit Polyesterharz, das, über raumgroße Ballons gegossen, in Kugelform gebracht wurde, ließ praktisch als Nebenprodukt das aufblasbare Ballonkostüm für die Bühnenfigur entstehen. – Das Überzeugende am „Stage-Design “von Martin und Donhauser ist, daß es nie outriert wirkt oder zum Selbstzweck gerät und damit Bühnenstück und Darsteller nie bedrängt.

Die Vielseitigkeit, die die zwei Absolventen der Hochschule für Angewandte Kunst mit ihren Set-Designs beweisen, ist nicht nur Talent, sondern auch Ergebnis einer vielschichtigen Ausbildung. Martin besuchte die Meisterklasse für Bühnenbild von Axel Manthey, Donhauser jene für Produktgestaltung von Carl Auböck. Beide können jedoch auch auf ein Architekturstudium an der TU Wien verweisen; dem dürften sie ganz wesentlich die hohe Qualität der Auseinandersetzung mit dem Raum und das Wissen um die Wichtigkeit strukturierter Funktionsabläufe gerade bei der Bühnengestaltung verdanken. Mit dergleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie ganz praxisorientiert Prototypen für ein Set entwickeln und selber bauen, bedienen sie sich des Computers für die Planung einer abstrahierten, kühlen Architektur wie für den Spielfilm „Anatomie“ von S.Ruzowitzky im Auftrag der Columbia TriStar.

So abgeschmackt das Thema Design in vielen kulturrelevanten Bereichen auch sein mag, auf der Bühne sollte ihm notwendigerweise etwas mehr Verbreitung zuteil werden. Gemeint ist hierbei eben nicht eine billige Effekthascherei, die dem Theaterpublikum ein „Wow!“ entlocken soll, sondern vielmehr jener klassische Designbegriff, dem ein innovatives Moment immanent ist, das so manche herkömmliche Opern- oder Theateraufführung zu einem etwa dynamischeren und damit zeitgemäßen Seh-Erlebnis geraten lassen könnte.

Spectrum, Sa., 1999.10.02

28. August 1999Judith Eiblmayr
Spectrum

Drei Kirchen, drei Häuser

1896 auf einer steilen Wiese am Westhang des unteren Eisacktal errichtet, 1928 von Hubert Lanzinger sachlich-modernistisch umgestaltet und seit 70 Jahren bis ins Detail unverändert: die Sommerfrische-Pension Briol – ein Insidertip.

1896 auf einer steilen Wiese am Westhang des unteren Eisacktal errichtet, 1928 von Hubert Lanzinger sachlich-modernistisch umgestaltet und seit 70 Jahren bis ins Detail unverändert: die Sommerfrische-Pension Briol – ein Insidertip.

Neben dem frischen Sommer ist die Sommerfrische ein mit (Alt-)Österreich eng verbundener Begriff, der angeblich bereits seit dem 16.Jahrhundert existiert. Es waren naheliegenderweise die Städter, die Sommerfrische aus gesundheitlicher Notwendigkeit heraus „erfunden“ haben. Schon geraume Zeit bevor einem das bodennahe Ozon während der Sommermonate den Aufenthalt in den Ballungsräumen verleidete, pflegte man sich an die gute Luft in höhere Lagen zurückzuziehen.

Hitze und Staub trieben zum Beispiel die Wiener, die es sich leisten konnten, ins Rax- und Semmeringgebiet oder ins Salzkammergut. Seit der Errichtung der Ei enbahnstrecke über den Brenner im Jahre 1867 wählten die Adeligen allerdings auch gerne Südtirol als Ort für die sommerliche Erholung. Das mildere Klima an der Südseite der Alpen, die durch Wein- und Apfelanbau kultivierte Landschaft und nicht zuletzt die Schönheit der Dolomiten machten die Strapazen der weiten Anreise zweifellos wett. Die Sommerfrische sei sogar hier erfunden worden, indem sich die Bozner Bürger schon im Mittelalter während der heißen Jahreszeit nach Oberbozen, auf den Ritten verzogen hätten, ist in dem kleinen Buch „Ein Sommer in Dreikirchen “von Erich Kofler zu erfahren.

Durch das Eindringen der Städter in die Bergwelt entwickelte sich im19.Jahrhundert ein neuer Haustypus: Die Sommerfrische-Villa brachte städtisches Typologiedenken in die ländliche Gegend. Anders als mit dem Aufkommen der Fremdenverkehrsindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg, die versuchte, Touristenmassen alles für sie Gebaute als ursprünglich bäuerlich zu verkaufen, waren diese reinen Sommerhäuser, die gegen die Unbill des Winters einfach dicht gemacht wurden, nicht um eine erzwungene Originärität bemüht. Sie wurden vielmehr an der neu entdeckten und romantisierten Schönheit der alpinen Landschaft orientiert und eher mit historistischen Stilattributen versehen.

Ein besonders schöne Beipiel der Sommervillen-Architektur in Südtirol au den zwanziger Jahren findet sich in Bad Dreikirchen am Westhang des unteren Eisacktals. Auf 1200 Meter Seehöhe, in der Nähe dieses aus drei Kirchen und drei Häusern gebildeten Weilers, fügen sich neben anderen zwei unveränderte Häuser de bekannten Tiroler Architekten Lois Welzenbacher malerisch in die Landschaft ein. Es war eine kultivierte Bozner Kaufmannsfamilie, die Welzenbacher diesen seinen ersten Bauauftrag gegeben hatte.

Im Besitz der Familie Settarisbefand sich neben dem Dreikirchner Badhaus praktisch der halbe Berg, den sie durch eine konzertierte Familien- und Ankaufspolitik Ende de 19.Jahrhunderts an ich gebracht hatte: Heinrich Settari schenkte seiner Frau Johanna zu jeder Geburt eines Kindes eine Wiese oder einen Wald in der Gegend, sodaß sich diese nach 15 Kindern zu einem stattlichen Anwesen zusammenfügen ließen.

Die zahlreichen Nachkommen sollten in Dreikirchen ihre zweite Heimat und möglichst ein eigenes Heim besitzen, und so wurden nebst den Häusern von Welzenbacher, in noblem Abstand voneinander vereinzelt Sommerhäuser für die „Bergfamilie “errichtet reit bestehende adaptiert. Dem Umstand, daß sich diese große Gebiet in der Hand einer einzigen, zwar weitverzweigten, aber offenbar unzerstrittenen Familie befindet, ist es zu danken, daß sich hier nach wie vor keine Appartementburgen und Wellness-Hotel breitgemacht haben. Durch die Landschaft, die fast parkähnlich gepflegt wirkt, führt keine öffentliche Straße –Touristen finden somit zwar über Wanderwege Zutritt, jedoch keine freie Zufahrt, was als natürliches Tourismusregulativ gut zu funktionieren scheint.

Inmitten diese Idylls steht nun ein Gebäude, das es schafft, da Erlebnis der unverfälschten Landschaft um jenes einer unverfälschten Architektur für die interessierte Allgemeinheit zu ergänzen. Johanna Settari hatte 1896 veranlaßt auf 1300 Meter Höhe auf der steilen „Prioler Wiese “mit herrlicher Aussicht eine Dependance zum Badhaus Dreikirchen zu errichten. Es wurde ein typische Kurgebäude mit talseitig tiefen Loggien und einem voluminösen Satteldach.

Einer ihrer Schwiegersöhne, der Maler Hubert Lanzinger, betätigte sich auch als Architekt und plante 1928 den Umbau des Gebäudes. Lanzinger war Innsbrucker, hatte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert, erhielt 1909 das Rom-Stipendium und 1911 eine Ausstellung in der Wiener Secession. Er war es gewesen, der Lois Welzenbacher, mit dem er eng befreundet war und in den frühen zwanziger Jahren einige gemeinsame Ausstellungen gestaltete, in die Familie Settari eingeführt hatte. Anders als Welzenbacher, der in Wien die Gewerbeschule absolviert, jedoch nicht dort, sondern in München studiert hatte, dürfte Lanzinger stark der Wiener Moderne verhaftet gewesen sein.

Die Möglichkeit, ein Gebäude nach den Gesichtspunkten des modernen (Bau-)Körperverständnisse, auch im Sinne einer neuen Haltung gegenüber der Natur gestalten zu können, muß wohl eine große Herausforderung gewesen sein. Nachdem die Berge mit Hilfe der Technik, durch Eisenbahn und Seilbahnen bezwungen waren, sollte Naturnähe nicht länger auf passives Sommerfrischlertum beschränkt bleiben. Man begann die Natur zu erobern: durch Wandern, Bergsteigen und Klettern und im Winter durch Skifahren. Die Strenge, mit der man begann, den menschlichen Körper am Berg zu messen, wurde auch in der Architektur gefordert, und so waren es reduzierte Formen, mit denen auch ein Hau zeigen sollte, „was es wirklich kann “.Lanzinger, der angeblich mit Adolf Loo bekannt und zweifellos von ihm beeinflußt war, setzte diesen puristischen Ansatz so gelungen um, daß ihm ein zeitlos stimmiges Ambiente gelungen ist.

Er ließ von der alten Pension Briol die massiven Grundmauern stehen, das Satteldach hingegen wurde abgetragen und durch ein dem Hang entgegenlaufend geneigtes Pultdach ersetzt. Eine Verblendung aus Lärchenholz im obersten Geschoß, die eine horizontale Attika ausbildet, verleiht dem Gebäude von drei Seiten kubische Wirkung. Ostseitig schließt eine Loggiakonstruktion an, die von vier mächtigen weiß gestrichenen achteckigen Holzsäulen getragen wird, von der aus sich einem der überwältigende Blick auf die Dolomiten und ins Eisacktal bietet. Neben der weiß verputzten Fassade wird das Äußere durch das Olivgrün der glatten Fensterläden geprägt.

Auch das Innere gestaltete Hubert Lanzinger völlig neu, räumlich bestimmend dabei ist die innere Erschließung. Mittig in der Längsachse des Baukörpers liegt eine einläufige, durch ein Oberlicht erhellte Treppe, die an drei Seiten von den Gängen zu den Zimmern um schlossen wird. So bildet sich ein zentraler kommunikativer Raum aus, der die zwei oberen Geschosse mit den Gästezimmern an das Erdgeschoß mit Gaststube, Aufenthaltsraum und Küche anbindet.

Da Haus besitzt zwei Eingänge, den Haupteingang im Erdgeschoß an der Südseite und, bedingt durch die Hanglage, einen im ersten Obergeschoß an der Nordseite, der über eine Wiese zum zugehörigen ovalen Schwimmbecken und zu den Wanderwegen führt. Durch die axiale Verbindung der beiden über die Stiege wird hausintern eine angenehme Durchlässigkeit und Entflechtung der Wegeführung erzeugt.

Das vorherrschende Material im Haus ist Weichholz: für Böden, Treppe, Wandtäfelungen und einen Großteil des Mobiliars. Die großen Fensteröffnungen werden nicht durch Vorhänge verhängt, bei der Dekoration beschränkte sich der Künstler auf eine feine Strichführung vereinzelt an den weißen Wänden. Hubert Lanzinger entwarf auch ein Stuhlmodell au Lärchenholz, da im ganzen Hau eingesetzt wird und bei dem, im besten Loosschen Sinne, der Sessel nicht neu erfunden wurde, sondern als ideale, bequeme Ergänzung der fixen Elemente dient.

Das Erstaunliche an dieser Gestaltung ist, daß durch den sachlichen Einsatz dem Holz seine unangenehme Rustikalität genommen wird. Der Künstler hat die Wärme des Materials Holz eingesetzt, um die Wärme der Sonne im Hau weiterzuleiten, und nicht, um substituierend eine künstliche Heimeligkeit zu erzeugen. Das umgebaute „Briol“ war für die Sommerfrische, als „Sonnentempel in freier Höhe“, als Treffpunkt geplant und mußte langen Winternächten konzeptionell nichts entgegenhalten.

Diesem Umstand entsprechend, hat Hubert Lanzinger ein – wie man heute sagen würde – perfektes Design entwickelt, das auch nach siebzig Jahren bis ins Detail unverändert geblieben ist. Zwei Bäder pro Stockwerk bieten einen ausreichenden Hygienestandard, statt eines eingebauten Waschbeckens finden sich in jedem Zimmer nach wie vor die Waschschüssel und ein Wasserkrug aus Porzellan, ohne daß dies inszeniert oder die Bequemlichkeit beschneidend wirken würde.

Die Pension Briol muß in ihrer Funktion nicht mehr bieten als in den zwanziger Jahren und konnte daher auch in ihrer Form unverändert bleiben. Insider schätzen dies schon seit langer Zeit, in Zeiten von Fun-Sport und Erlebnisbad wird jedoch immer mehr Menschen bewußt, was die Moderne mit der „Reduktion auf das Wesentliche“ gemeint hat und wie wichtig dieser Ansatz für eine echte geistige wie körperliche Regeneration des Städters vom streßgeladenen Arbeitsalltag ist.

Spectrum, Sa., 1999.08.28

29. Mai 1999Judith Eiblmayr
Spectrum

On the Sunny Side of Design

Industrie und Designer finden schwer zueinander: Das MAK versucht diesem Mißstand mit einem Design-Info-Pool abzuhelfen, das Wifi startete eine eigene Designoffensive. Allein: Produktive Zusammenarbeit ist ohne Innovationswillennicht zu haben.

Industrie und Designer finden schwer zueinander: Das MAK versucht diesem Mißstand mit einem Design-Info-Pool abzuhelfen, das Wifi startete eine eigene Designoffensive. Allein: Produktive Zusammenarbeit ist ohne Innovationswillennicht zu haben.

Angeblich krankt das österreichische Industrial Design daran, daß Produzenten und Designer nicht zueinander finden. Die Kreativen meinen, es gebe geringe Chancen auf Bewährung der erlernten Fähigkeiten, da sich hierzulande zuwenig Firmen einer professionellen Produktgestaltung bedienen würden. Die Seite der Wirtschaft bemängelt das oft mangelhafte Praxiswissen der Designer, qualifiziert sie in der Folge gerne als künstlerisch angehauchte Besserwisser ab und hält ihre Dienste für überwiegend verzichtbar.

Diese beiden – etwas klischeehaft geschilderten – Extrempositionen in produktiver Weise einander anzunähern, haben sich zur Zeit zwei Institutionen zur Aufgabe gemacht. Das Österreichische Museum für angewandte Kunst (MAK) vertritt traditionell den Anspruch, öffentliches Interesse für Design zu wecken und zwischen Designern, Industrie, Künstlern und Publikumzu vermitteln. Auf Basis eines aus dem Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank finanzierten Forschungsauftrags ging man 1989 daran, den Design-Info-Pool (DIP) einzurichten, ein Archiv, dem systematisch alle österreichischen Designer mit ihren Daten und Werken erfaßt wurden.

Man war bestrebt, eine Katalysatorfunktion zwischen Gestaltern und der designverwertenden Industrie einzunehmen und diese dahingehend wahrzunehmen, daß interessierte Firmen sich im MAK anhand des vorhandenen Materials einen Designer, eine Designerin ihrer Wahl aussuchen können. Mittlerweile hat sich – der technischen Entwicklung auf dem Mediensektor entsprechend – die Designer-Datei auch im Internet etabliert und kann nach einem halben Jahr auf 40.000 Zugriffe pro Monat verweisen. Allerdings werden diese vorwiegend von Studenten und Journalisten, also eher zur Grundlagenforschung, als von Firmen zur wirtschaftlichen Verwertung getätigt.

Gleichzeitig wird seitens der Wirtschaft, vom Wifi-Österreich eine eigene Designoffensive betrieben, indem Informationsmaterial unter dem Titel „Design bringt Ihr Produkt in Form“ an Produzenten mit der Aufforderung versandt wird, sich „mit einem Designer an einen Tisch zu setzen“. Das Wifi greift den Unternehmern dabei auch fördernd unter die Arme, indem es Erstgespräche mit Designern vermittelt und diese auch finanziell unterstützt. Beigelegte „Erfolgsstories“ dokumentieren die Sinnhaftigkeit einer solchen Kooperation.

Daß eine produktive Zusammenarbeit zwischen einer kleinen Firma und einem Designer fernab jeglicher Fördermodelle erfolgreich zustande kommen kann und nur auf dem Innovationswillen der Beteiligten basiert, soll nicht unerwähnt bleiben: Die Firma Kautzky Mechanik ist ein feinmechanischer Betrieb in Wien-Währing. Hier werden Metalle, Leichtmetalle und Kunststoffe verarbeitet.

Das Entwicklungs- beziehungsweise ProduktionsKnow-how des Familienbetriebs reicht von der Prototypenfertigung für die Industrie (etwa für Swarovsky-Optik) bis zur „cleaning-card“ für Bankomaten. Seit hundert Jahren produziert die Firma auch jene Proviantdosen aus Alublech mit den abgerundeten Ecken und der sternförmigen Lochung, die tapfer der Tupperware-Konkurrenz standhalten konnten. Auf die Bestimmung, die Apothekern vor zirka zehn Jahren vorschrieb, ihre Kräuter nur mehr in Aluminiumbehältern aufzubewahren, hatte die Firma Kautzky umgehend reagiert und vertreibt seither direkt über den Pharmaziegroßhandel Kräuterdosen in vorbildlichem anonymem Design – und in großen Mengen. Diese Firma hatte also keinerlei Probleme mit ihrer Produktgestaltung und auch keinen expliziten Bedarf an einem Designer. Umgekehrt jedoch hatte ein junger Designer eine Idee und Bedarf an einer guten Firma und wandte sich zwecks Kooperation an die Firma Kautzky. Das entwerferische Interesse von Gerald Wurz galt einem Sonnensegel, bei dem die konstruktiven Nachteile einer Markise vermieden werden sollten, das heißt, es sollte frei schwebend, ohne zwingend längs einer Hausmauer oder an eine stark dimensionierte Konstruktion gebunden zu sein, trotzdem über eine sinnvolle Flächengröße verfügen und in einfacher Weise auf- und abspannbar sein.

Bei der dreieckigen Segelform und dem Prinzip des Aufrollmechanismus nahm der Designer Anleihen am Segelsport, die Entwicklungsarbeit für das Endprodukt wurde in vorbildlicher kreativer Kooperation mit Herrn Kautzky senior geleistet, der sich an der Idee höchst interessiert gezeigt hatte.

Er lieferte durch sein umfassendes technologisches Wissen und seinen Willen zur „Tüftelei“ jene intelligenten Detaillösungen, die das Sonnensegel zu einem in Funktion und Gebrauch optimierten, objekthaften Sonnenschutz-System geraten ließ.

Das Segel benötigt vier Montagepunkte, zwei für die Antriebswelle, die die Rautenform in zwei Dreiecke teilt, und zwei für die Segelenden. Die Befestigung kann an freistehenden, fundamentierten Stahlstützen, aber auch an einem Punkt der Hausmauer erfolgen. Dazwischen wird das Segeltuch durch ein Seilsystem gehalten und über eine Doppelfeder vorgespannt. Windlasten werden elastisch abgetragen. Das Aufrollen erfolgt elektrisch, die zwei „Dreieckstücher“ werden ineinander und um die Antriebswelle herum gewickelt, ein sogenannter Windwächter sorgt für ein automatisches Einfahren des Segels bei einer Windgeschwindigkeit ab 40 Stundenkilometer.

„Sun Square System“ wird von der Firma Kautzky nun seit fünf Jahren hergestellt und über eine eigens gegründete Firma verkauft. Gerald Wurz ist mittlerweile mit seinem Büro voll damit ausgelastet, die einzelnen Objekte durchzuplanen, denn jedes ist eine Sonderanfertigung. Außerdem wird in die technische Perfektionierung und in die Entwicklung artverwandter Produkte, wie eines verschiebbaren Raumteilers aus zartem Nirostarohr, der mit Ballonseide bespannt ist, Zeit investiert.

Dieses positive Beispiel österreichischen Designs könnte insofern beispielgebend sein, als das innovative Zusammenspiel zwischen kreativem Kopf mit Fingerspitzengefühl und produzierender Hand mit Köpfchen so gut ablesbar wird. Wenn nicht nur die Umsetzung einer guten Idee, sondern auch das professionelle Marketing bei der Produktentwicklung bereits mitgedacht wird, kann eine kleine Firma auch international reüssieren: „Sun Square System“, das bei der Design-Staatspreisverleihung 1998 den zweiten Preis erhielt, wird demnächst in Italien vertrieben werden.

Spectrum, Sa., 1999.05.29

03. April 1999Judith Eiblmayr
Spectrum

Design Now. And then?

Kreatives Potential ist hierzulande vorhanden – das zeigt nicht zuletzt die von Eichinger oder Knechtl vorbildlich zeitgemäß kuratierte Ausstellung „Design Now. Austria“. Fehlen nur noch förderliche Rahmenbedingungen. Ein Plädoyer.

Kreatives Potential ist hierzulande vorhanden – das zeigt nicht zuletzt die von Eichinger oder Knechtl vorbildlich zeitgemäß kuratierte Ausstellung „Design Now. Austria“. Fehlen nur noch förderliche Rahmenbedingungen. Ein Plädoyer.

Nachdem die unbefriedigende Lage des Designwesens in Österreich über einen längeren Zeitraum hinweg kein Thema von nennenswertem politischem Interesse war, ließen gleich mehrere Initiativen in den letzten Monaten aufhorchen. Eine Ausstellung und zwei Symposien, von Kultur- und Wirtschaftspolitik organisiert, zeugten wieder einmal von der fallweisen Beschäftigung mit der Thematik.

Bei der Tagung design.forum 1999 wurde vom Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit dem Wifi Österreich zum Dialog zwischen Firmen und Designern geladen. Vorträge und Diskussionen signalisierten keinerlei Fortschritt in der österreichischen Designpolitik. Trotz eines von den zuständigen Politikern beteuerten Problembewußtseins, einer durchaus vorhandenen begleitenden Grundlagenforschung, eines verschärften Wettbewerbs durch den EU-Beitritt und einer funktionierenden Online-Designer-Datenbank des Museums für angewandte Kunst konnte dem Produktdesign als wesentlichem Wirtschaftsfaktor in den letzten zehn Jahren nicht zu mehr Bedeutung verholfen werden.

Design wird noch immer eher als „Produktkosmetik“ (Carl Auböck) verkannt denn als innovatives Instrument anerkannt, das es im Idealfall schafft, Funktionalität, Ästhetik, ökologische Verträglichkeit und wirtschaftlichen Erfolg in einem Produkt zu vereinen. Ein politisches Versäumnis nebst anderen besteht darin, daß in Österreich nach wie vor kein eigenes Designergesetz existiert, das Betätigungsfeld für professionelle Produktgestalter juridisch absichern würde.

Eine Begründung dafür könnte in jenem Statement zu finden sein, das auf dem unter etwas verwegen betitelten Symposion „Die organisierte Kreativität“ letzten Jänner gefallen ist: „In Österreich gehört Verschlafen zur Nationalidentität.“ Der Physiker Anton Zeilinger formulierte hiermit trefflich, woran die Anerkennung von Kreativarbeit in Österreich so oft scheitert.

So sehr den altbewährten Kulturprodukten aus der darstellenden und der bildenden Kunst gefrönt wird, so mißtrauisch werden kulturelle Neuentwicklungen beäugt. Diese Haltung fällt nicht nur der wissenschaftlichen Forschung auf den Kopf, sondern auch einer Kreativsparte wie dem Design, das sich notwendigerweise mit dem kritischen Hinterfragen bestehender Strukturen befaßt und neue Formen an die Erfordernisse letztgültiger Technologien anpassen sollte.

Wenn dieses kreative Potential nicht in seiner Wichtigkeit erkannt und weder von der Politik gefördert noch von der Wirtschaft in entsprechendem Maße genutzt wird, kann es leicht passieren, daß ein moderner oder auch modischer Trend „verschwitzt“ wird.

Eine erfreuliche, zeitgemäße Designoffensive stellt „Design Now.Austria“ dar, eine mobile Ausstellung, die in mehreren europäischen Städten Station machte beziehungsweise machen wird. Von der Kunstsektion im Bundeskanzleramt initiiert und nach Abhaltung eines geladenen Wettbewerbs beauftragt, wurde sie erstmals in Lissabon parallel zur Expo 98 gezeigt, was die hundert farbig trüben Wässerchen offizieller österreichischer Kulturidentität doch ein wenig aufklarte.

Die Kuratoren Gregor Eichinger und Christian Knechtl (das Architektenteam Eichinger oder Knechtl – EoK) nähern sich in ihrer Konzeption einem erweiterten Designbegriff an; in einem ähnlichen Sinn, wie Hans Hollein dies bei der von ihm 1976 für das „Cooper Hewitt National Museum of Design“ in New York gestalteten Eröffnungsausstellung „MAN transFORMS“ getan und in seinem Exposé folgendermaßen formuliert hatte: „Design wird dargestellt als die Art des Umgehens mit Situationen, Lebensumständen, und nicht nur als Beschäftigung mit dem Einzelobjekt.“

Auch Eichinger oder Knechtl geht es in ihrer Ausstellung nicht darum, Design als „gute Form“ zu präsentieren, sondern vielmehr als dem Menschen verinnerlichte kulturelle Lebensweise zu verstehen, als von ihm in eine leichter verständliche Welt der Objekte transformierte Rituale. Dementsprechend präsentieren sie auch Gestaltungsformen neuer Technologien – wie Homepages im Internet – und wollen „die mit der medialen Eroberung des digitalen Raumes einhergehende exponentielle Dimensionsvergrößerung des Begriffs Design“ kenntlich machen. Musik wird ebenso als raumbildender Faktor betrachtet wie weltbildprägende Erkenntnisse aus der Physik.

Trotzdem sind vorwiegend Gegenstände ausgestellt. Neben aktuellem Objektdesign finden sich Design-Ikonen, aber auch Manner-Schnitten-Packerl oder die mit allen vorstellbaren Sujets gefüllten Schneekugeln, die im Jahr 1900 in Wien erfunden wurden. Solche liebgewonnenen österreichischen Alltagsprodukte sind als „Design zum Mitnehmen“ bei einem Automaten käuflich zu erwerben.

Auch die Ausstellung selbst versteht sich als Produkt optimierten Designs – das graphische Konzept übergreift die Ausstellungsarchitektur und den Katalog. Als Wanderausstellung konzipiert, ist sie auf ein minimales Transportvolumen (ein Container) hin reduziert und in ihrer Form mit jeder Raumtypologie kompatibel, sei es nun eine aufgelassene Fabrikshalle wie in Lissabon (August 98), das Palais Harrach in Wien (November 98) oder das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Prag (Jänner 99), eine „Kathedrale des Konstruktivismus“ (Eichinger oder Knechtl) von 1928.

Wer „Design Now.Austria“ als interessierter Besucher bisher versäumt hat, kann dies noch im Mai in Barcelona, im September in London nachholen. Das Versäumnis jedoch, das die politisch Verantwortlichen erzeugen, indem sie die unmißverständliche Aufforderung „Design Now!“ verschlafen, könnte zu einem bösen Erwachen für Österreichs Wirtschaft führen.

Spectrum, Sa., 1999.04.03

23. Januar 1999Judith Eiblmayr
Spectrum

Das neue Haus fürs neue Geld

Funktional, städtebaulich eingebunden und der Bedeutung des Gebäudes angemessen: so wünschte sich die Österreichische Nationalbank ihr neues „Technisches Zentrum“. Wilhelm Holzbauer erfüllte die Vorgaben auf dem Gelände des Wiener Alten AKH souverän.

Funktional, städtebaulich eingebunden und der Bedeutung des Gebäudes angemessen: so wünschte sich die Österreichische Nationalbank ihr neues „Technisches Zentrum“. Wilhelm Holzbauer erfüllte die Vorgaben auf dem Gelände des Wiener Alten AKH souverän.

Die Beziehung zwischen Geld und Architektur ist von einer selten artikulierten wechselseitigen Abhängigkeit geprägt. In erster Linie ist die Architektur fundamental vom Geld abhängig: Erst wenn die geistige und zeichnerische Arbeit eines beziehungsweise einer Kreativen zum Bauwerk wird, ist es auch ein Werk der Architektur. Die Realisierung dieses Werkes allerdings ist teuer, zum Bauen benötigt man verhältnismäßig viel Geld. Ohne materielle Basis kann kein Bauprojekt „materialisiert“ werden.

Umgekehrt ist aber auch das Geld von Architektur abhängig. Werte wollen schließlich geschützt sein. Es gibt wenig, was baulich derartig gutgesichert wird wie die Lagerstätten von Geld. Darüber hinaus soll natürlich die Wertigkeit der Geldgeschäfte über die Architektur dargestellt werden, Bauen als Repräsentationszweck ist ein ganz wesentlicher Faktor der Bankenarchitektur.

Das neue, als „Geldzentrum“ bezeichnete, „Technische Zentrum“ der Oesterreichischen Nationalbank von Wilhelm Holzbauer, in dem unter anderem die Banknotendruckerei und der Tiefspeicher als Werte-Lagerraum untergebracht sind, hat durch die glatte, steinerne Fassade durchaus Festungscharakter, der die sichere Verwahrung eines kostbaren Schreins ausstrahlt. Das Gebäude in der Garnisongasse im 9. Wiener Gemeindebezirk Ist jedoch kein Bankgebäude im herkömmlichen Sinn, sondern ein Industrie- und Verwaltungsbau, der keinen bedeutenden Kundenverkehr aufzunehmen hat. Es wurde errichtet, um einige Abteilungen aus dem unter akutem Platzmangel leidenden Hauptgebäude am Otto-Wagner-Platz auslagern zu können.

1990 wurden zehn internationale Architekten zu einem Wettbewerb geladen, um auf dem Areal des Alten AKH, dessen primäre Nachnutzung als Campus der Universität Wien bereits beschlossen war, das Gebäude des Geldzentrums zu planen. Im Anforderungsprofil an das Bauwerk wurde nicht nur die Gewährleistung „optimaler Funktionsabläufe“ und der „städtebaulichen Einbindung“ formuliert, sondern auch, daß der architektonische Entwurf„ der Bedeutung und Aufgabe des Gebäudes entsprechen“ solle; das heißt: einerseits der Entwicklung, Produktion und Lagerung von Wertpapieren adäquate Räumlichkeiten bieten, die einen reibungslosen Arbeitsablauf garantieren, andrerseits im äußeren Erscheinungsbild entsprechend sein.

Der Wunsch nach einer repräsentativen Gestaltung des Gebäudes wurde nicht explizit artikuliert, das Image der OeNB sollte vielmehr durch den Einsatz innovativer Umwelttechnologie, wie eine der größten fassadenintegrierten Photovoltaikanlagen Europas, geprägt werden. Investitionen wie diese zeugen vom verantwortungsvollen Umgang mit dem Baubudget. Von großer Bedeutung für das Geldzentrum war die durch den Campus neue städtebauliche Struktur, in der es errichtet werden sollte: nämlich im Zentrum eines durch die planerischen Eingriffe homogenisierten Stadtteils von höchster Qualität.

Dem geplanten Neubau fiel nun innerhalb dieses Viertels die Aufgabe zu, den Universitätscampus und das angrenzende Wohngebiet miteinander zu verzahnen, gleichzeitig jedoch, sich mit der eigenen, für die Umgebung völlig neuen Nutzungsfunktion architektonisch zu behaupten. Der Architekt mußte definieren, in welcher Form dieses Gebäude seine Spezifität als katalytische Qualität im städtebaulichen Zusammenhang entwickeln kann.

Wilhelm Holzbauer, der mit seinem Projekt den Wettbewerb gewann, hat durch eine von ihm selbst als „pragmatisch“ bezeichnete Herangehensweise die erwünschte Integration des Gebäudes geschafft. Holzbauer sagt, ihm gehe es bei jedem Entwurf primär ums Erforschen und Untersuchen der Machbarkeit im Kontext der Umgebung. Gerade beim Technischen Zentrum sei durch die eigenartige Grundstückskonfiguration und durch die Bestimmungen der Bauordnung für den Entwurf die Konzentration auf eine gedachte Hülle geblieben, auf die man mit Einstülpungen und Ausnehmungen kompositorisch reagieren konnte. – Die „gedachte Hülle“ umschreibt dabei eine gewaltige, mit Granit verkleidete Kubatur. Holzbauer nimmt in diese sehr wohl Elemente der Baukörperstruktur des AKH-Komplexes auf, allerdings ohne sich formal anzubiedern. Im U-förmigen Grundriß des Technischen Zentrums sind zwei langgestreckte, parallele Trakte ausdifferenziert. Zwischen ihnen liegt ein über die ganze Länge reichender Hof, der von drei verglasten Verbindungsbrücken überspannt wird.

Während der im Süden liegende Trakt dem Schwung der vis-à-vis liegenden Bebauung nachgeht und gegen Westen hin zu einem bugförmigen Spitz zusammenläuft, ist der zweite Trakt als südseitig nach oben zu gleichmäßig terrassierter Baukörper ausgebildet. Seine Nordseite gleicht einem Brückenbauwerk, ist ihm doch der Drucksaal eingeschoben, der als schachtelförmiges Element in seiner konstruktiven Eigenständigkeit erkennbar gemacht ist.

Um die Schwingungen von den Druckmaschinen nicht auf das gesamte Gebäude zu übertragen, ist dieser Bauteil separat fundamentiert.

Vielleicht ist es eine Art des going public der OeNB, daß gerade jener Teil des Technischen Zentrums, der dem Laien besonders geheimnisumwittert scheinen mag, nämlich der Saal, in dem das Äquivalenzprodukt alles Materiellen – das Geld – erzeugt wird, am weitesten in den öffentlichen Raum hineinragt. Jedenfalls führt entlang der mit zwei durchlaufenden Fensterbändern versehenen Wertpapierdruckerei die Fuß- und Radwegverbindung zum Campus.

Wenn man sich von der Van-Swieten- Gasse her nähert, wird der Blick unweigerlich auf die 30 Meter hohe Stahl-Glas-Konstruktion des Feuerwehrlifts gelenkt. Durch den Kunstgriff der überhöhten Ecke wird die Horizontalentwicklung des quaderförmig liegenden Drucksaales in ein relevantes Verhältnis gesetzt, das heißt: optisch verkürzt, was dem oben erwähnten Weg in der Verlängerung der Van-Swieten-Gasse eine einladende Proportion verleiht.

Auch in der Garnisongasse, wo am Eingang in das neue Gebäude „die große Geste gesetzt wurde“ (Holzbauer), kommt in keinem Bereich ein Gefühl von Maßstabsverletzung in bezug auf die umgebende Bebauung auf. Durch die zurückversetzte Baufluchtlinie, die gegenüber dem Baubestand gewahrte Traufenhöhe und die Pflanzung einer Baumreihe hat sich die Gasse zu einem – wenn auch kurzen – avenueartigen Straßenabschnitt gewandelt, der in dem mittig sitzenden Uhrturm des Garnisonspitals einen malerischen Abschluß findet.

Das OeNB-Gebäude zeigt sich in diesem Bereich von seiner – vermeintlich – transparenten Seite. Der Vorplatz geht schwellenlos, ohne Materialwechsel ins Innere des Gebäudes über. Die dreigeschoßige Loggia über dem Eingang und die dahinterliegende Halle, deren Raumhöhe nach innen zu immer niedriger wird, wirken als ein einziger Raum und sind lediglich durch eine vollflächige Übereckverglasung voneinander separiert.

Natürlich ist die Offenheit, die dieses Glasportal vermittelt, eine vordergründige: Wer die Lobby erst einmal betreten hat – vielleicht um sich an der hier befindlichen neuen Banknoten und Münzenkassa einen zerrissenen Tausender einzutauschen –, wird rasch bemerken, daß ab der „Sicherheitsschleuse“ kein weiteres Vordringen ins Gebäude möglich ist. Hinter ihr liegt das repräsentative Stiegenhaus mit einem großzügig dimensionierten Luftraum.

Holzbauer läßt durch zwei raumhohe Fensteröffnungen die Öffentlichkeit an dem Raumerlebnis teilhaben, auch das zwölf Meter hohe Gemälde „Das blaue Tor“ von Eduard Angeli ist von der Gasse her sichtbar. Im Inneren des Komplexes erfolgt die räumliche Orientierung in den Innenhof. Hier sind sämtliche Fassaden aus Glas, um einen starken Bezug zwischen Innen- und Außenraum herzustellen. Durch die Terrassierung der Baukörper nach oben zu und die Reflexion erhält der Hof die Funktion des hellen, ruhigen zentralen Raums.

Ebenerdig sind zwei von der Gartenarchitektin Maria Auböck gestaltete Patios ausgebildet. Den Blick auf diese Grünbereiche hat man nicht nur von den Büros aus, sondern auch von drei verglasten Brücken, die auf verschiedenen Ebenen die beiden Längstrakte miteinander verbinden.

Es ist ein Beweis für die Kunstfertigkeit des Architekten, wenn bei einem enorm voluminösen Bau, dessen äußeres Erscheinungsbild von Granit geprägt ist, jegliche einschüchternde Monumentalität vermieden wurde. Holzbauers abwechslungsreiches Spiel von Granitflächen und Fensterbändern im Raster der Steinteilung unter Vermeidung von demonstrativer Achsialität ist trotzdem nie willkürlich, sondern Ergebnis eines planerischen Selbstverständnisses, das der pragmatisch interpretierenden Komposition fähig ist.

Die Oesterreichische Nationalbank leistet sich selbstverständlich qualitativ hochwertige Materialien, ohne jedoch „Pomp und Prunk“ zu demonstrieren. Man wollte keinen Bau zum Repräsentieren, sondern ein Bauwerk, das per se Wertbeständigkeit präsentiert. Wilhelm Holzbauer hat mit seiner betont unpathetischen Interpretation dieser Bauaufgabe eine eindeutige Aussage gekonnt formuliert: Hier ist das Geld zu Hause.

Spectrum, Sa., 1999.01.23



verknüpfte Bauwerke
OeNB - Technisches Zentrum

01. August 1998Judith Eiblmayr
Spectrum

Aquarium, anders herum

Eine Auszeichnung nach der anderen, zuletzt der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau: Der Glaspavillon, den Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer ans Salzburger „Haus Sailer“ angebaut haben, ist drauf und dran, ein Klassiker zu werden.

Eine Auszeichnung nach der anderen, zuletzt der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau: Der Glaspavillon, den Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer ans Salzburger „Haus Sailer“ angebaut haben, ist drauf und dran, ein Klassiker zu werden.

Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen läßt, läßt sich klar aussprechen.
Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus

Was macht die Bauaufgabe Einfamilienhaus und in der Folge die Analyse derselben immer wieder interessant? Oder besser: Wodurch macht sich ein Einfamilienhaus - gemeint sind hier sogenannte „Architektenhäuser“, deren Anteil am österreichischen Privathaus-Bauaufkommen ganze 5 Prozent beträgt - beziehungsweise ein Detailbereich desselben immer noch interessant genug, um spezifisch beschrieben zu werden?

Sind nicht sämtliche Grundrißvarianten bereits durchgespielt und verfeinert, ist nicht - auch formal - „alles schon einmal dagewesen“? Ja und nein, ist die logische Antwort, das Einfamilienhaus muß nicht immer neu erfunden werden, um trotzdem neu und gut zu sein. Es kann übrigens auch alt und unscheinbar sein und erst durch qualitätvolle Eingriffe in architektonische „Hochform“ gebracht werden.

Ein Haus, dem dieses Schicksal in bislang zwei Etappen widerfahren ist, ist jenes der Familie Sailer in Morzg bei Salzburg. Als das 1939 errichtete Gebäude in den späten siebziger Jahren von den Teppichgaleristen und Kunstsammlern Ingrid und Franz Sailer erworben wurde, war an ihm bereits mehrmals „herumgebaut“ worden, und es präsentierte sich zu diesem Zeitpunkt als historisierende Fünfziger-Jahre-Villa. Diese sollte für die Zwecke der Familie adaptiert werden, und so wurde Anna-Lülja Praun mit der Neugestaltung der Innenräume beauftragt. - Schon bei der Wahl dieser Architektin bewiesen die Bauherrn Stil: Praun - mittlerweile 92jährig und immer noch aktiv - ist in der Tradition einer zeitlosen Wiener Moderne des Möbelbaus verhaftet und dafür bekannt, trotz ihrer bestimmenden gestalterischen Eingriffe eine Qualität an Freiraum für die Bewohner zu erzeugen, in welchem diese ihre eigenen Geschmacksvorstellungen entwickeln und entfalten können.

Prauns üblicher Ansatz eines klaren, auf Durchlässigkeit bei Blickachsen und Wegführung zielenden Raumkonzepts und ihr im Stil unverkennbares, jedoch mit den persönlichen Dingen der Bauherrn bestens kompatibles Maßmobiliar haben auch dem „Haus Sailer“, als das es im Praunschen Werk einen wichtigen Platz einnimmt, sein spezifisches Gepräge verliehen.

Zwanzig Jahre später haben sich die Bedürfnisse der Hausbewohner gewandelt, oder besser: weiterentwickelt. Sie wollten das nach wie vor unverändert gültige hohe Niveau bei der Qualität der Innenräume nun auch im Außenraum erreichen. Es sollte der Bezug zum Garten, der bislang lediglich über eine kleine Loggia und über einen Ausgang vom Wohnzimmer treppab gegeben war, in verstärktem Maße hergestellt werden können.

Beim klimatischen Fixpunkt an Salzburgs oftmals wolkenverhangenem Himmel, dem Schnürlregen, ist eine „Beziehung zum Außenraum“ freilich nicht durchwegs ungetrübt herzustellen. „Wetterfleck“ und Gummistiefel sind nicht umsonst gern getragene Salzburger Accessoires für draußen. Allerdings ist es nicht jedermanns Sache, einen verregneten Sonntag im Garten - obzwar vor der völligen Durchnässung textil geschützt - als entspannenden Zeitvertreib zu empfinden.

Die Bauherrn hatten die konkrete Vorstellung, daß sie sich die Natur unabhängig vom Wetter als ganzjährig „belebbaren“, zusätzlichen Raum erobern wollen. Nicht vom Formalen her wußten sie, was sie wollten, sondern im Sinne einer klar formulierten zusätzlichen Lebensqualität, die durch diesen Zubau erreicht werden sollte. „Wir waren angenehm überrascht, Bauherrn zu treffen, die so bewußt Vertrauen in ihre sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten hatten“, meinten die beiden Wiener Architekten Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer und gingen daran, das gewünschte sinnliche Element eben möglichst „elementar“ auszubilden und eine (Architektur-)Sprache zu finden, die diese Intention präzisiert auszudrücken vermag.

Bulant-Kamenova und Wailzer haben das Ansinnen ihrer Auftraggeber regelrecht auf den Punkt gebracht. Der von ihnen entworfene und in geklebter Konstruktion entwickelte Ganzglaspavillon ist dem von diversen Vorbauten und Zierrat befreiten Haus wie zur Veredelung vorgelagert. Dabei wird die kubische Wirkung des strahlend weißen Baukörpers eher noch verstärkt, als daß sie durch den Annexbau formal bedrängt würde. Dies ist kein klassischer Wintergarten, der als Anhängsel des massiven Baus wirkt, sondern ein auf konstruktive und ästhetische Reduktion angelegtes Glashaus mit maximaler funktionaler Entsprechung im Sinne der Klassiker dieser Art - wie das „Farnsworth House“ von Mies van der Rohe oder das „Glass House“ von Philip Johnson.

Anders jedoch als bei diesen solitären, transparenten Pavillons, die ausschließlich auf größtmögliche Verschmelzung ihres Innenraums mit der umgebenden Natur abzielten, soll mit dem Sailerschen Glashaus auch eine Staffelung von Räumen zwischen drinnen und draußen erfolgen. Lülja Prauns Raumkonzept wurde insofern konsequent weiterverfolgt, als eine sukzessive räumliche Annäherung von den Wohnräumen zum Grünraum hin stattfinden kann: vom Musiksalon niveaugleich ins Glashaus, weiter auf die Terrasse und über drei Stufen in den Garten.

Über der sockelartigen, mit Granitplatten belegten Terrasse, die vom Haus bis an die Grundstücksgrenze reicht, wird der Außenraum ganz konkret definiert: Die Gartenmauern aus Sichtbeton bestimmen seine Länge und Breite, die sowohl Glashaus wie auch Terrasse überspannende Pergola aus verzinktem Stahl schafft dessen horizontalen Abschluß.

Und sollten die Drahtseile, die zwischen den I-Trägern gespannt sind, erst einmal bewachsen sein, wird ein „grünes Dach“ in der warmen Jahreszeit diese Wirkung noch verstärken. So entsteht ein geschützter Hof, ein Semiatrium dessen Hauptorientierung sich westseitig in den Garten ergibt.

Aus dem Glashaus heraus verlegt kein konstruktives „Sprießelwerk“, sei es aus Holz oder Aluminium, den Blick ins Freie, ohne lästige Steher, die das Sehfeld „parzellieren“, können Wiese, Bäume und Himmel in einem erfaßt werden. Die Vorstellung, bei Regen nur von einer gläsernen Membran „beschirmt“ im Liegestuhl zu liegen, läßt einen den entspannenden Effekt eines „inversen Aquariums“ erahnen. Auch im Winter ist wohl ein stark kontemplativer Charakter gegeben, wenn man aus dem beheizten, neutralen Raum heraus den Schneefall rundherum beobachten kann.

Die formale Reduktion, die letztendlich die außergewöhnliche Eleganz dieses gläsernen Raumes ausmacht, stellte konstruktiv eine große Herausforderung dar, sowohl für die Architekten als auch für die ausführende österreichische Glasfirma, die diesen Auftrag als „experimentell“ einstufte. Es wurde - erstmalig in Österreich - eine geklebte Ganzglaskonstruktion hergestellt und montiert.

Die tragenden Elemente bilden dabei zwei Dreischicht-Glasstützen beziehungsweise -Glasbalken, die durch einfache Zapfenverbindungen miteinander befestigt sind und allen anderen lediglich geklebten Glasteilen den nötigen Halt geben. Als vertikale Aussteifung dienen vier sogenannte Glasschwerte, um die Windlasten abtragen zu können. Gefertigt wurde aus laminiertem Isolierglas mit erhöhter Sonnenschutzfunktion, die Dachfläche ist zwecks Beschattung 40prozentig punktgerastert. Auch bei der großdimensionierten, rahmenlosen Terrassentür wurde der Weg der technischen Herausforderung beschritten.

Trotz der relativ geringen Kubatur und der verhältnismäßig kleinen Dimension dieser Bauaufgabe wurde der Wille zur schlichtestmöglichen Versachlichung des Bauherrnwunsches unter Einsatz und Entwicklung innovativer Technologie mit einer wahren Preisflut belohnt. Den Anfang machte der Architekturpreis des Landes Salzburg 1997, es folgten die Wahl zum „Haus des Jahres 98“ der Zeitschriftenredaktionen von „Häuser“ und „Schöner Wohnen“ und der Bauherrnpreis für „Das goldene Haus 98“ der Münchner Zeitschrift „Das Haus“.

Eine echte Sensation allerdings stellt der Gewinn des „Benedictus Awards 98“ dar, der als der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau gilt, vom American Institute of Architets organisiert und von der amerikanischen Firma DuPont, einem Hersteller von Glaslaminaten, gesponsert wird. Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer sind nun Träger derselben Auszeichnung, die etwa 1993 an den britischen Stararchitekten Sir Norman Foster vergeben wurde.

Um zur Thematik des Einfamilienhauses zurückzukehren: Das Haus Sailer ist deshalb so ein wichtiger Beitrag dazu, weil es zeigt , daß auch ein schlichtes, unprätentiöses Haus zu einem Kulturträger höchster Qualität geraten kann, wenn die Bauherrn dies nur wollen. Deren Aufgeschlossenheit, ihr „altes“, gediegenes Haus neu aufgekommenen persönlichen Bedürfnissen anzupassen und dies von Architekten in einer zeitgemäßen Formensprache interpretieren zu lassen, ist hier, im Wittgensteinschen Sinne, klar ablesbar: Alles, was überhaupt gedacht werden kann, läßt sich klar planen. Und auch - wie an diesem Beispiel ersichtlich - mit höchster Präzision bauen.

Spectrum, Sa., 1998.08.01



verknüpfte Bauwerke
Haus Sailer

Profil

Studium der Architektur an der TU Wien und University of Michigan, USA.
Diplom 1991, Dissertationsstudium 2007–2010.
Architektin, Architekturpublizistin, Kuratorin. Regelmäßige Tätigkeit als Kritikerin für Fachzeitschriften und Die Presse, spectrum zu den Themen Architektur und Städtebau, Kulturgeschichte und Design. Zahlreiche Textbeiträge, Ausstellungen und Publikationen. Fulbright Guest lecturer 2015/16, University of Minnesota, USA.

Lehrtätigkeit

2001 – 2003 Lehrauftrag an der TU-Graz, Institut für Raumgestaltung, Vorlesung und Übung.
2015 – 2016 Fulbright Gastprofessur an der Universität Minnesota
Thema: „Comparative Urban Planning in Central Europe and in the United States. The Transfer of Cultural Knowledge through Different Urban Structures.“ Basierend auf den Forschungen für das Buch: „Lernen vom Raster – Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne“, Hg. Judith Eiblmayr, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien 2013.

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
1997 – 2003 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur - ÖGFA.
2001 – 2003 Vorstandsvorsitzende der ÖGFA.
Mitgliedschaft bei ÖGFA und Zentralvereinigung der Architekten.

Publikationen

Bücher:

Elizabeth Scheu Close – Amerikanische Architektin mit Wiener Wurzeln
Judith Eiblmayr
Verlag Anton Pustet, 2025

Bad Gastein ab I an Iaufgebaut
Hg. Judith Eiblmayr, Philipp Balga
J&J edition, 2021, '22

Styria Media Center
Hg. ArchitekturConsult
Autorin: Judith Eiblmayr
erschienen im Juni 2015
Birkhäuser Verlag
ISBN 978-3-0356-0551-8

Tour de Palais
Hg. Iris Meder, Judith Eiblmayr
Grafische Gestaltung: grafisches Büro Wien
Günter Eder
erschienen im Mai 2015
ISBN 978-3-200-04141-7

Baukulturführer 79 - Musiktheater Linz
Hg. Nicolette Baumeister, München / Berlin
Autorin: Judith Eiblmayr
Büro Wilhelm. Verlag, Amberg, 2014
ISBN 978-3-943242-32-4

Lernen vom Raster – Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne
Hg. Judith Eiblmayr, mit Beiträgen von Erich Bernard, Günter Dinhobl, Judith Eiblmayr, heri & salli, Caroline Jäger-Klein, Franziska Leeb, Johanna Rainer, Manfred Russo und Fotografien: Philipp Balga
Grafische Gestaltung: Katharina Erich, www.katharinaerich.at
Titelidee: Katharina Erich und Judith Eiblmayr, Tribute to Robert Venturi und Denise Scott-Brown, „Learning from Las Vegas“, Cambridge 1972
erschienen im Oktober 2013
NWV - Neuer Wissenschaftlicher Verlag - Architektur
ISBN 9 783708 309439

Opera House. Musiktheater Linz
Terry Pawson & ArchitekturConsult / archinauten
Text Judith Eiblmayr
Idee, Konzept und Grafik: Katharina Erich, www.katharinaerich.at
Hg. ArchitekturConsult, erschienen im Mai 2013 bei Callwey
ISBN 978-3-7667-2050-4

HAUS HOCH – Das Hochhaus Herrengasse und seine berühmten Bewohner
Hg. von Judith Eiblmayr und Iris Meder
2. erweiterte Auflage erschienen 2013 bei Metroverlag
ISBN 978-3-902517-92-0

Der Donaukanal – Die Entdeckung einer Wiener Stadtlandschaft
Judith Eiblmayr / Peter Payer
erscheint im Mai 2011 bei Metroverlag
ISBN 978-3-99300-031-8

Die Österreichische Nationalbank und ihre Architekten
Dissertation am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, Technische Universität Wien
März 2010

Der Teufel steckt im Detail – Architekturkritik und Stadtbetrachtung
Texte von Judith Eiblmayr, mit einem Essay von Daniela Strigl
erschienen im Februar 2010 bei Metroverlag
ISBN 978-3-99300-011-0

HAUS HOCH – Das Hochhaus Herrengasse und seine berühmten Bewohner
Hg. von Judith Eiblmayr und Iris Meder
erschienen im September 2009 bei Metroverlag
ISBN 978-3-902517-92-0

Der Attersee – Die Kultur der Sommerfrische
Hg. von Judith Eiblmayr, Erich Bernard,
Barbara Rosenegger-Bernard, Elisabeth Zimmermann
erschienen im Juli 2008 bei Christian Brandstätter Verlag
ISBN 978-3-85033-022-0

Moderat Modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Katalog zur Ausstellung im Wien Museum
Herausgegeben von Judith Eiblmayr und Iris Meder
Farb- und Schwarzweißabbildungen
Broschierte und gebundene Ausgabe, 248 Seiten
erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005,
ISBN 3-7025-0512-1

Anna-Lülja Praun – Möbel in Balance
Katalog zur Werk- und Lebensschau zum 95. Geburtstag im Haus Wittgenstein
Herausgegeben von Judith Eiblmayr und Lisa Fischer
Farb- und Schwarzweißabbildungen
broschierte Ausgabe, 85 Seiten
erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2001,
ISBN 3-7025-0435-4

Schulbau 2000 – Schulbau in Wien
Unterrichtsbehelf für Bildnerische Erziehung und Werkerziehung
Hg. BM für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Medienservice
Konzeption und Texte: Judith Eiblmayr
Eigenverlag BMUK, Wien 1999

Architektur des Geldes
Die Baugeschichte der Oesterreichischen Nationalbank
Hg. Oesterreichische Nationalbank,
Konzeption und Texte: Judith Eiblmayr
Coverfoto: Rupert Steiner
Eigenverlag OeNB, Wien 1999

TEXTBEITRÄGE für BÜCHER, KATALOGE und WEBSITES:

Architektur und Psychodynamik
in „ARCHITEKTUR TRANSDISZIPLINÄR“, S. 39 ff
Hg. Mariela Dittrich, Andrea Rieger-Jandl
Autor:innen: Judith Eiblmayr gem. mit K. Paulitsch
IVA Verlag, Wien 2016

• Das Juridicum
• Studienräume
beide in „Stätten des Wissens. Die Universität Wien entlang ihrer Bauten 1365–2015“, S. 311 und S. 321
Hg. Julia Rüdiger, Dieter Schweizer
Autor:innen: Judith Eiblmayr et al.
Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2015

Heri & Salli
in „Time Space Existence. Made in Europe“, S. 106
Hg. GlobalArtAffairs Foundation
Autor:innen: Judith Eiblmayr et al.
2014
ISBN 9789490784157

Die Sichtbarmachung des Gesehenen – Zur Entwicklung der Architekturfotografie in Österreich
Dossier „Architekturfotografie“ zum Thema „Architektur & Fotografie“ auf nextroom.
• Ateliers und Interieurs / Studios and Interiors
• Zur Sichtbarmachung des Gesehenen – Architektur als Objekt vor dem Objektiv / On the Visualization of the Seen: Architecture as the Object in Front of the Photographic Objective
in „pez hejduk. vor ort_on site“
Hg. Pez Hejduk, mit Beiträgen von Ruth Horak, Judith Eiblmayr, Elke Krasny und Helmut Weber.
Metroverlag, Wien, November 2012

So nahe bei Wien und eine solche menschenleere Fläche!
in „Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“, S. 89 ff
Hg. Irene Suchy
Metroverlag, Wien, April 2012

Ungekünstelte Kunst. Ein Dach für das Passionstheater Oberammergau
Autor:innen: Judith Eiblmayr, Martin Zigon, Michael Seidel, Matthias Pfeifer
Hg. Karlheinz Wagner, Waldhör Verlag, Wien, Juni 2010

• Architektur nobler Zurückhaltung – Erich Boltenstern (1896 – 1991)
• Poesie durch Präzision – Wilhelm Holzbauer
beide in „Kunst Kunst Kunst – Der Große Österreichische Staatspreis“,
Katalog zur Ausstellung, S. 62 f und S. 94 f
Hg. John Sailer, Verlag Jung & Jung, Wien 2003

Dienst an der Kremser Bau(amts)kultur
Die Architektur österreichischer Amtshäuser zeichnet sich seit Generationen durch einen speziellen Charme aus, der „das Ungemütliche“ schlechthin repräsentierte. Das Wiener Architektenteam BEHF beweist, dass durch gezielten „Rückbau“ das Gegenteil möglich ist.
Krems, Stadt im Aufbruch, Architektur und Städtebau. Eine Bilanz, 2003

Schönbrunnerstraße 74 – BEHF mit BÜRO X
Broschüre making it 2, Hg. Marc Gilbert, Wolfgang Niederwieser, Wien 2000
Vorwort zur Architektur Wilhelm Holzbauers

in „Wilhelm Holzbauer – Arbeiten aus den letzten fünf Jahren des vergangenen Jahrhunderts“, Katalog zur Ausstellung, S. 6 f
Hg. Universität für angewandte Kunst
Eigenverlag Univ. f. angewandte Kunst, Wien 2000
Ernst Linsberger
Doppelwohnhaus in Krems an der Donau 1991 – 94
in „Meisterschule Roland Rainer“, S. 48 ff
Springer Verlag Wien New York, Wien 1998

• Analyse der Ursachen für den Bruch in der österreichischen Designidentität
• Lösungsmöglichkeiten für eine Zustandsverbesserung
beide in „Design in Österreich – Studie und Datenbank des MAK“, Österreichisches Museum für angewandte Kunst,
Wien 1992

ARTIKEL:
siehe http://www.eiblmayr.at/publikationen/index.htm

Veranstaltungen

Ausstellungen:

Moderat modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Ausstellung im Wien Museum Karlsplatz von 20.10.2005 – 29.1.2006

Anna-Lülja Praun
Werk und Lebensschau der Architektin zum 95. Geburtstag
im Haus Wittgenstein von 11. – 24.5.2001

Herbert Eichholzer – Architektur und Widerstand
Ausstellung im Haus Wittgenstein von 12.11. – 4.12.1998

Anna-Lülja Praun – Werkschau der Architektin
bei Minerva Buchhandlung von 19.6. – 13.7.1997'

Architektur als Unterhaltung – Über ein neues Rollenverständnis der Architektur
Veranstaltungsreihe der Österreichischen Gesellschaft für Architektur
von 4.4.2001 – 22.2.2002

coming up: Elizabeth Scheu Close - American Architect with Viennese Roots.

VORTRÄGE:

Open Office versus Private Corner - Großraumbüro und das Recht auf Intimsphäre
Miba Forum Laakirchen, 20. 7. 2019
Blaha office Seminar, 3.3.2020

Dem Schach Raum geben
„ARCHITEKTUR HÖREN“ – Special: Rösselsprünge bei Loos
Gespräch mit Michael Ehn, Schachhistoriker
Bridge Club Wien, 16.2.2018

Anna Lülja Praun - Pionierin als Architektin in Österreich
für TU Graz und Ortwein-Schule,
Prenning bei Graz, 29.9.2018

Sprechen über Architektur
Werkvortrag von Judith Eiblmayr
ZV Architekt:innen Österreich, Wien, 11.1.2018

My Home Is My Castle - Das schwere Erbe von Suburbia
ÖGFA (IG Architektur), Wien, 10.5.2019
Soroptimistinnen Club Traunsee, Gmunden, 15.11.2018
Ausschuss der Ziviltechnikerinnen, Wien, 15.11.2017
HDA, Graz, 19.4.2017
Kamingespräch, Wien, 6.3.2017
Werkschau, Salzburg, 10.11.2016
Fulbright Womens Roundtable, Wien, 23.5.2016

Architektur als kreative Dienstleistung
Mödling, 18.7.2017

Die Stadt als Bühne - Von der Hochstraße zur Herrengasse, 200 Jahre Leben in Wien
mit Iris Meder
HG+ Infopoint, Wien, 9.6.2016

A planned Ideal City and the Legacy of its Plot
University of Minnesota, 11.12.2015

Is there a Perfect Town? The Rational Grid andthe Medieval Maze -
Two Systems of Urbanization
University of Minnesota, 19.11.2015

Margarete Schütte-Lihotzky - Talk and a Tour on the
Frankfurt Kitchen
MIA - Minneapolis Institute of Art, 17.11.2015

Vater, Großvater, Übervater. Zwei Generationen Holzmeister-Schüler.
Hannes (1905–1971) und Hansjörg Eiblmayr (1936–2013)
Internationale Fachtagung „Gibt es eine Holzmeister-Schule?“
Innsbruck, 16. - 18.10.2014

Was bewegt? Zur Situation von Architektinnen im
österreichischen Baugeschehen
Initiative Architektur Salzburg, 27.11.2013

Venus oder Eisenguss? Gendermainstreaming in der Architektur
Institut f. Architekturtheorie, TU Wien, 14.5.2013

ArchitektIn als DienstleisterIn?
frauwt - Netzwerk Wirtschaftstreuhänderinnen, 23.11.2010

Wettbewerbe

2006 Arbeiterkammer Wien Innenraumgestaltung, mit Irmgard Frank (Umsetzung 2006 – 2008)

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