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24. Februar 2018Iris Meder
Spectrum

Schatten ihrer selbst

Der Brünner Werkbundsiedlung „Nový dům“ (Das neue Haus) ist anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums eine umfassende Buchdokumentation gewidmet – indes bietet die Anlage heute ein trauriges Bild. Zur Geschichte der kleinen Schwester der Wiener Werkbundsiedlung.

Der Brünner Werkbundsiedlung „Nový dům“ (Das neue Haus) ist anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums eine umfassende Buchdokumentation gewidmet – indes bietet die Anlage heute ein trauriges Bild. Zur Geschichte der kleinen Schwester der Wiener Werkbundsiedlung.

Man könnte sie eine kleine Schwester der Wiener Werkbundsiedlung nennen. Eine etwas glücklose Schwester, die sich von Anfang an an die Falschen gehängt hat, an der früh herumoperiert wurde. Und die heute ein Schatten ihrer selbst ist.

Sechs Schwestern sind sie, die Werkbundsiedlungen, angefangen mit der 1927 gebauten Stuttgarter Weißenhofsiedlung, gefolgt von Brünn im nächsten und Breslau im übernächsten Jahr sowie 1931 von Zürich-Neubühl sowie 1932 von der Prager Baba-Siedlung und der Wiener Werkbundsiedlung, der zu ihrem 80-Jahr-Jubiläum, gleichzeitig dem 100. Gründungsjubiläum des Österreichischen Werkbundes, eine fulminante Ausstellung mit ausführlicher Monografie im Wien Museum gewidmet war.

Nun ist, zu ihrem 90. Geburtstag, auch der Brünner Werkbundsiedlung „Nový dům“ (Das neue Haus) eine umfassende tschechisch-englische Buchdokumentation gewidmet, herausgegeben vom in Sachen Moderne äußerst engagierten Museum der Stadt Brünn. Man konnte dabei auf einen Fundus aus zahlreichen Fotografien aus der Bau- und Eröffnungsphase zurückgreifen, diedie hochgesteckten Ambitionen der Siedlung anschaulich machen.

Heute bietet die Siedlung allerdings ein eher trauriges Bild – nur mit großer Mühe bringt man die historischen Ansichten der meisten der 16 in Xylolith-Leichtbauweise errichteten Häuser mit den heutigen zusammen. Es ist das Ergebnis eines von Beginn an fragwürdigen Ansatzes, der sich, wenigstens zum Teil, aus dem Überschwang einer im Aufbruch begriffenen Zeit in einer im Aufbruch begriffenen jungen Republik erklärt.

Ein Ursprung der Siedlung liegt im überwältigenden Eindruck der Stuttgarter Siedlung, die als begehbares Exponat 1927 errichtet wurde, unter der künstlerischen Leitung Ludwig Mies van der Rohes und unter Beteiligung großer Teile der Creme der damaligen Architektur, darunter auch der Wiener Josef Frank. Noch im selben Jahr begann man die Planung für Brünn – allerdings unter komplett anderen Prämissen: als privates Investitionsprojekt zweier Bauunternehmer, die die Häuser als Generalplaner errichteten und im Anschluss an die öffentlicheAusstellung zu verkaufen beabsichtigten. Das Ganze war als Spin-off der für das Jahr 1928 geplanten großen Ausstellung zum Zehn-Jahr-Jubiläum der Tschechoslowakei auf dem neuen Brünner Messegelände konzipiert. Als Baugrund fand man ein Areal unweit der Messe, beim „Wilson-Wald“ am westlichen Stadtrand mit Blick ins Grüne. Den Grünblick gibt es heute noch, allerdings führt nun eine große Umfahrungsstraße nahe an der Siedlung vorbei.

Die Siedlung war, man muss es sagen, ein ziemliches Desaster. Die Besucherzahlen erreichten nicht die Erwartungen, kaum ein Haus wurde verkauft. Dabei war in Brünn der Boden für die architektonische Moderne denkbar gut – die gesamte Stadt ist bis heute das wohl beste Beispiel für den Dialog, den eine unaufgeregte, konsequent moderne Sachlichkeit mit der historischen Umgebung einer gewachsenen Stadt eingehen kann. Für die Siedlung engagierten die beiden Initiatoren neben Größen der Brünner Architektur wie Bohuslav Fuchs, Jiří Kroha und Ernst Wiesner (deren Häuser als Erste verkauft wurden) auch Nachwuchsplaner, die teilweise ihr Studium noch nicht abgeschlossen hatten. Besonders deren glamourös funktionalistische Hauseinheiten, klar unter dem bestimmenden Einfluss von Le Corbusier entstanden, wurden selbst von der wohlwollenden Kritik gnadenlos zerpflückt: Schlafzimmer ohne direkte Belichtung und Belüftung, 1,50 Meter hoch und zugänglich nur über eine steile Hühnerstiege – das war, bei aller Aufgeschlossenheit, nicht das, was man sich unter dem Wohnen der Zukunft vorstellen mochte.

Nun lässt sich das wohl von allen Werkbundsiedlungen in Stuttgart, Brünn, Breslau, Zürich, Wien und Prag behaupten: dass ihre Wohnkonzepte großteils nicht verstanden, nicht geschätzt wurden und, ja, teilweise auch schlecht durchdacht waren und an den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigingen. Ebenso wie für Le Corbusiers Stuttgarter Doppelhaus wie für die Brünner Studentenprojekte fanden sich überhaupt erst Bewohner, nachdem die Häuser radikal umgebaut worden waren. Da die meisten der Brünner Hauseinheiten zudem erst nach Beginn der Ausstellung fertiggestellt wurden, gibt es kaum Fotografien der ursprünglichen Innenraumaufteilungen und -einrichtungen.

Als Modelle für den Massenwohnbau, das machte die Ausstellung des Wien Museums vor sechs Jahren deutlich, konnten die Siedlungen nicht dienen. Als Mustersiedlungen konzipiert, waren sie dennoch als experimentelle Projekte wichtig – sei es in Bezug auf neue Materialien wie in Stuttgart, sei es in puncto Grundrisskonzepte und Raumausnutzung wie in Wien, sei es bezüglich neuartiger kollektiver Wohnformen wie in Breslau.

Die Brünner Siedlung, die heuer ihr 90-Jahr-Jubiläum feiert, ist wohl die, der am übelsten mitgespielt wurde. Der Verkauf der als großbürgerliche Wohnstätten konzipierten Häuser – die dennoch als Muster für künftigen Massenwohnbau dienen sollten – zog sich bis 1942 hin und konnte, mit großen finanziellen Verlusten der Investoren, erst nach weitreichenden Umbauten einiger Hauseinheiten abgeschlossen werden. Der in der Mitte der Siedlung vorgesehene Spielplatz wurde schließlich als Abstellplatz für die Mülltonnen der Siedlungsbewohner genutzt.

Die – aus der Sicht der Nutzer sicher sinnvollen – Umbauten des Jahres 1942 blieben bis heute bestehen. Denkmalgeschützt sind lediglich einige wenige Fassaden der Siedlung. Damit sind weiteren Veränderungen Tür und Tor geöffnet, wenngleich man sich bemüht hat, bestehende originale Bausubstanz zu sichern. Der größte Schock ergibt sich für Leser der Dokumentation jedoch, wenn man erfährt, dass noch in den 1990er-Jahren manche der Häuser, darunter das besonders markante frei stehende Einfamilienhaus von Jiří Kroha, dermaßen radikal ungebaut wurde, dass man selbst als Fachfrau kaum zu erkennen vermag, ob und wie das alte Haus im heutigen steckt. Die Zukunft der Siedlung? Man wird sehen.

Spectrum, Sa., 2018.02.24

05. Januar 2018Iris Meder
Spectrum

Was vom Werke übrig blieb

Die Glanzstofffabrik in Sankt Pölten: Ab 1905 war sie weltweit die zweitgrößte Produzentin von Viskosefasern, 2008 kam das Aus. Wo große Teile des Werkareals abgerissen wurden, sind heute Wohnungen und Arbeitsräume geplant. Und auch die Kunst hat sich des ehemaligen Werks angenommen.

Die Glanzstofffabrik in Sankt Pölten: Ab 1905 war sie weltweit die zweitgrößte Produzentin von Viskosefasern, 2008 kam das Aus. Wo große Teile des Werkareals abgerissen wurden, sind heute Wohnungen und Arbeitsräume geplant. Und auch die Kunst hat sich des ehemaligen Werks angenommen.

„Bau d. Wasserreinigers Karl Fellerer Linz“, informiert ein Schild am Baugerüst des Wasserturms. Die Bauarbeiter haben sich am Fuß des Turms zu einem Gruppenfoto versammelt. Wir schreiben das Jahr 1905. In Viehofen bei St. Pölten wird das Werk der Ersten österreichischen Glanzstoff-Fabrik A.G. errichtet, ein riesiger festungsartiger Komplex mit drei zylindrischen Wassertürmen mit Spitzkegeldächern, die die Eckpunkte der Anlage markieren und später das einprägsame neusachliche Logo der Firma bilden werden. Ist auch der Kupferschmied Karl Fellerer auf dem Foto? Nahm er vielleicht einmal seinen halbwüchsigen Sohn, den späteren Architekten Max Fellerer, mit auf die Baustelle?

„Glanzstoff“, vulgo Kunstseide, war eine bahnbrechende Erfindung der Jahrhundertwende. Eines der unterschiedlichen Herstellungsverfahren hatten sich der aus der Südsteiermark stammende Johann Urban und der Deutsche Max Fremery 1897 patentieren lassen. Für ihre zart schimmernde Kupferkunstseide auf Zellulosebasis erfanden sie den Namen „Glanzstoff“, um allen Assoziationen zur Künstlichkeit billiger Ersatzstoffe das Versprechen eines neuartigen, besseren Materials entgegenzusetzen.

Als ein Zollabkommen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Wareneinfuhr aus Deutschland erschwerte, entschlossen sich die Gründer der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG zum Bau eines Werks in Österreich. Aus Kosten- und Logistikgründen wurde es in Viehofen angesiedelt – mit ausreichend Wasser und über einen eigenen Schienenweg an die Trasse der Westbahn angeschlossen. In elegante Gärten gebettete Villen für Direktoren und leitende Angestellte ergänzten das Produktionsareal ebenso wie von der Gemeinde geforderte Arbeiterwohnhäuser. Architekten waren der Leiter des städtischen Bauamtes, Josef Prokop, und der Bauunternehmer Richard Frauenfeld. Das Werk stellte schließlich bis zu 12.000 Tonnen Viskosefasern pro Jahr her, zeitweise war es der zweitgrößte Produzent der Welt. Im Ersten Weltkrieg wurde ein Teil des Geländes von der Torpedofabrik Whitehead genutzt, und auch der „Glanzstoff“ war weniger friedlich als sein Name, produzierte man doch Garne für Fallschirme und Kartuschbeutel für Granaten. Und auch „die Glanzstoff“ galt als Dreckschleuder – dem höchsten Fabrikschlot des Landes entstieg schwefelig-fauliger Pesthauch, giftige Substanzen entwichen nicht nur in die Luft, sondern kontaminierten auch Boden und Grundwasser. Besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren kam hochgiftiges Asbest zum Einsatz, Sulfate, FCKW, Zink und Schwefelwasserstoff reicherten sich im Boden an.

St. Pölten, dem Viehofen 1923 eingemeindet wurde, blieb dem wichtigsten Arbeitgeber der Stadt mehr als ein Jahrhundert lang in Hassliebe verbunden. Man überstand Wirtschaftskrisen, temporäre Schließzeiten, die NS-Zeit mit der Beschäftigung zahlreicher Zwangsarbeiter, eine drohende Sprengung, den Abtransport der Hälfte des Maschinenparks durch die Rote Armee, Reparationszahlungen, mehrere Produktionsumstellungen sowie Stilllegungspläne. 1993 war ein Konkurs nicht mehr abzuwenden. Das endgültige Aus kam 2008 nach einem Brand der Abluftreinigungsanlage. Die neuen Emissionsauflagen erfüllte das Werk, das unterdessen als sauberste Viskosefertigung der Welt galt, nicht mehr. In dem, was von den Hallen und den Verwaltungsbauten blieb, sind heute keine Maschinen mehr zu finden. Nach diversen Firmenumschichtungen gehört der Rest des Werks heute zu einer Holding, die am ehemaligen Standort 15 Mitarbeiter beschäftigt. 2009 wurde der große Schornstein gesprengt.

Große Teile des Werksareals wurden abgerissen, der verbliebene Rest wurde unter Denkmalschutz gestellt. Wo einst die Direktorenvilla gegenüber dem Werksareal stand, ist heute eine Brachfläche. Das Wiener Architekturbüro F+P Architekten/Sepp Frank erstellte einen Masterplan für den Bau von 1300 Wohnungen und Raum für 1000 Arbeitsplätze. 2015 setzte sich Felix Mitterers Theaterstück „Glanzstoff“ an zwölf simultanen Plätzen auf dem Areal mit der Geschichte des Ortes auseinander. Peter Noever brachte sich mit einem Kunst- und Designkonzept ein. Die 2500 Quadratmeter große historische Produktionshalle war von 2012 bis zu deren Umzug in einen Neubau im Jahr 2015 ein Standort der New Design University. Die Geschichte des Glanzstoff-Areals ist typisch für postindustrielle Areale der Gegenwart. Für die Geschichte des 15 Hektar großen Glanzstoff-Areals beginnt jedenfalls eine neue Phase, die von Wohnen und Arbeiten unter anderen als den historischen Prämissen geprägt sein wird, ähnlich wie etwa die historischen Areale ehemaliger Stahlwerke heute (teil)öffentlichen Mischnutzungen dienen.

Die jüngste Intervention auf dem Gelände ist die Eröffnung von Brigitte Kowanz' permanenter Installation „Fountain“. Aus Kowanz' eingehender Beschäftigung mit dem Ort und seiner Geschichte ging eine letztlich auf maximale Einfachheit reduzierte Intervention hervor: Ein weißer Lichtstrahl, aus der Nähe betrachtet sind es drei parallele, ergießt sich in elegantem Schwung aus der Spitze eines der drei Fellerer'schen Wassertürme in das Erdreich. Nach diversen Zubauten und dem Abriss jüngerer Anfügungen ist der Turm nun in die heterogene Struktur einer unverputzten Außenwand, die einmal eine Innenwand war, integriert, ein wenig hilflos in der Wand steckend, auf einem teils abgeräumten, teils bebauten Gelände, das seiner Zukunft harrt. Die glatte Materialität des Metallbogens mit seinen schlanken Lichtröhren kontrastiert mit den rauen Oberflächen der Wände, den nun im Freien liegenden, bröckelnden Böden ehemaliger Innenräume und den unkrautbewachsenen Schotterfeldern der Abrissflächen. Ein Zeichen der Hoffnung, wenn man so will.

Spectrum, Fr., 2018.01.05

04. November 2017Iris Meder
Spectrum

Am Anfang war das Erdbeben: Skopje revisited

Es ist ein unwillkommener Schatz, den die mazedonische Hauptstadt Skopje birgt: ein einzigartiges Ensemble brutalistischer und metabolistischer Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre. Derzeit in einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Es ist ein unwillkommener Schatz, den die mazedonische Hauptstadt Skopje birgt: ein einzigartiges Ensemble brutalistischer und metabolistischer Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre. Derzeit in einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Am Anfang des modernen Skopje stand ein verheerendes Erdbeben, das die über Jahrhunderte osmanisch geprägte Bausubstanz der historischen Stadt im Juli 1963 zu 80 Prozent zerstörte. In weltweiter Solidarität steuerten Staaten aus Ost und West, die das blockfreie Jugoslawien stets besonders umwarben, finanzielle und auch architektonische Unterstützung in Form von Planung und Ausführung öffentlicher Bauten wie Schulen und Museen bei.

Nach der Katastrophe bewies man in Skopje langen Atem und vermied einen schnellen, planlosen Wiederaufbau. 1965 schrieben stattdessen der UN-Sonderfonds, die jugoslawische Regierung, die Union Internationale des Architectes (UIA) und die jugoslawische Architektenvereinigung einen urbanistischen Wettbewerb unter acht geladenen einheimischen und internationalen Teams aus. Zur Disposition stand die Neugestaltung des zerstörten Stadtzentrums auf einer Fläche von circa zweimal zwei Kilometern. Der Jury stand der Zagreber Architekt Ernest Weissmann vor, ein ehemaliger Mitarbeiter Le Corbusiers, der 1932 die linksgerichtete Arbeitsgruppe Zagreb gegründet und sich damit in der ersten Reihe der internationalen Moderne positioniert hatte. Zur Mitarbeit eingeladen wurden unter anderem der italienische Stadtplaner LuigiPiccinato und die Niederländer Van den Broek en Bakema.

Ganz im Sinne der Nachkriegsmoderne begriff man die Zerstörungen als Chance für eine Neukonzeption der Stadt, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehreren Modernisierungs- und Erweiterungswellen unterworfen wurde – zuletzt 1948 mit einem urbanistischen Leitplan des Tschechen Luděk Kubeš, der den Prinzipien der Funktionentrennung nach der „Charta von Athen“ der internationalen Architektenvereinigung CIAM folgte. 1963 begann man indes bereits,die Rigidität der Charta von Athen infrage zu stellen – und das neue Skopje sollte den aktuellsten Ansprüchen genügen.

Gespannt erwartete die internationale Fachwelt die Entstehung einer modellhaften „cité mondiale“, die Lösungen für die aktuelle „urban crisis“ bieten und Wege zur Humanisierung der gebauten Umwelt zeigen sollte. Dass diese Ziele erreicht wurden, lässt sich allerdings nur sehr eingeschränkt behaupten. Das Siegerprojekt des Wettbewerbskam vom japanischen Architekten Kenzo Tange, der sich auf die archaischen Bilder von Stadtmauer und Stadttor berief, freilich in Form von Wohnhochhaus-Zeilen in bombastischem Maßstab einer modernen Metropole, zu der Skopje werden sollte. Tanges nur teilweise umgesetztes Projekt brachte auch die Gedanken des in Japan um 1960 entwickelten architektonischen Metabolismus auf den Balkan, der organische Prinzipien von Wachstum und Stoffwechsel auf Architektur und Stadtplanung übertrug, mit flexiblen, erweiterbaren Großstrukturen und Verkehrssträngen als „Adern“ des Organismus Stadt. Tange entwarf letztlich nur den Bahnhof von Skopje, die Planung der einzelnen Gebäude oblag Architekten und Architektinnen wie den Einheimischen Janko Konstantinov, der bei Alvar Aalto studiert und beim emigrierten Wiener Victor Gruen in Kalifornien gearbeitet hatte und unter dem Eindruck der Katastrophe in sein Heimatland zurückkehrte, und Georgi Konstantinovski, der in Yale abgeschlossen und mit den amerikanischen Architekturgrößen Paul Rudolph und Ieoh Ming Pei zusammengearbeitet hatte. Konstantinovski realisierte in Skopje unter anderem das Stadtarchiv, einenbrutalistischen Turmbau mit gerillten Sichtbetonwänden, und das Studentenheim „Goce Deltchev“, die ebenso zu Ikonen der gegenwärtigen Brutalismus-Renaissance taugen wie Konstantinovs Post- und Telekommunikationsamt, dem die Kuratoren der Ausstellung im Wiener Ringturm (noch zu sehen bis 17. November) kürzlich ein eigenes Buch widmeten.

Ein Spezifikum von Skopjes architektonischem Erbe ist jedoch die Internationalität seiner Planer, die die architektonischen Geschenke ihrer Länder projektierten. So entwarf der Schweizer Alfred Roth, ein enger Mitarbeiter Le Corbusiers, die Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule. Den Wettbewerb für das Museum zeitgenössischerKunst gewann die Warschauer Gruppe der „Tiger“ mit einem erdbebensicher konstruierten Bau in Form eines liegenden Quaders mit zurückspringendem verglastem Erdgeschoß, Skulpturengarten und weißer Marmorverkleidung auf einer Anhöhe über der Stadt. Auf Einladung der Unesco unterstützten Künstler und Künstlerinnen das Museum durch Schenkungen beim Aufbau seiner Sammlung.

Weitere Highlights des modernen Skopje sind etwa das Mazedonische Nationaltheater, das mit seinen schrägen Ebenen die Oper von Oslo vorwegzunehmen scheint, die vom slowenischen Architekten Marko Mušič entworfene Universität St. Kyrill und Method, das Mazedonische Museum, die Messe und das Hydro-Meteorologische Institut. Einige von ihnen finden sich unterdessen in der Brutalismus-Datenbank des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt, das sich der Dokumentation von Bauten des sperrigen Stils der 1960er- und 1970er-Jahre widmet und sie unter dem Motto „Rettet die Betonmonster!“ ab 9. November in einer Ausstellung präsentiert. Auch in der Retrospektive zur jugoslawischen Architektur der Tito-Ära, die das New Yorker MOMA für 2018plant, wird Skopje vertreten sein.

Für einige der Bauten scheint die neue Wertschätzung indes zu spät zu kommen – das 2010 von der damaligen Regierung gestartete milliardenteure Programm „Skopje 2014“ versuchte die Moderne zugunsten Las-Vegas-artiger neoklassizistischer Kitschbauten im Rekordtempo aus dem Erscheinungsbild der Stadt zu löschen. Vielfach wurden Bauten der als „sozialistisch“ diskreditierten Nachkriegsmoderne kurzerhand pseudoklassizistisch „verpackt“. Widerstand aus der Bevölkerung, die großteils mit Monatseinkommen von 300 bis 500 Euro auskommen muss, blieb nicht aus. Mittels medienwirksamer Aktionen wie des „Umarmens“ der doch nicht so verhassten Gebäude konnten weitere Demolierungen verhindert werden.

Die Mitte dieses Jahres gebildete neue sozialdemokratische Regierung versprach den Rückbau der 2014-Projekte. Umgesetzt wurde er nicht, da dies auch Abrisse von Neubauten bedeutet hätte. Auch die jüngste Zeitschicht wird wohl ein Teil von Skopje bleiben.

Spectrum, Sa., 2017.11.04

09. September 2017Iris Meder
Spectrum

Nah am Wasser gebaut

Intelligente Verdichtung bei baupolizeilichen Beschränkungen: zum Neubau eines Kleingarten-Doppelhauses an der Unteren Alten Donau. Bemerkenswert, raffiniert!

Intelligente Verdichtung bei baupolizeilichen Beschränkungen: zum Neubau eines Kleingarten-Doppelhauses an der Unteren Alten Donau. Bemerkenswert, raffiniert!

„Häuser am Wasser“ nennt der Architekt Jürgen Radatz das Doppel-Kleingartenhaus. Oder Kleingarten-Doppelhaus? Egal, „Häuser am Wasser“. Das löst Assoziationen aus: Seezugang mit eigenem Bootssteg? Blick auf adriatische Gestade? Oder Gelseninvasion und Überflutung?

Wasserzugang gibt es natürlich nicht nur in Altaussee, Antibes und Alicante, sondern auch in Wien. In den 1920er- und 1930er-Jahren boomten die Wochenendhauskolonien in Klosterneuburg und Kritzendorf, in denen sich eigene Weekend-Gesellschaften als soziale Biotope mit lockeren Umgangsformen und lässig-sportivem Lifestyle entwickelten. Auch Ansätze, durch Reihenhauszeilen die Kosten zu senken und die Weekendhaus-Zersiedelung der Donauufer einzudämmen, gab es schon damals. Heute ist vom damaligen Weekend-Bewusstsein praktisch nichts mehr da, die hölzernen Weekendhäuser an der Donau erfreuen sich aber bei einer jungen Klientel neuer Beliebtheit, verbunden mit entsprechenden Preisen. Manche Häuser sind auch grobschlächtigen Ausbauten für eine Dauernutzung nicht entgangen.

Auch in Wiener Kleingartenanlagen geht der Trend seit Langem zum legalisierten Dauerwohnen. Vielfach ist hier auf „Gartensiedlung“ gewidmet worden, was maßstabsprengende dreigeschoßige Bauten erlaubt. Bei Kleingarten-Widmungen halten rigidere baupolizeiliche Beschränkungen der Grundflächen und Volumen Auswüchse im Zaum. Für Planer und Planerinnen bedeuten derartige Bauaufgaben einen sorgfältigen Umgang mit der mitunter kniffligen Entwicklungvon Raumprogrammen, was dem Ergebnis, richtig verstanden und umgesetzt, aber nur guttun kann. Gleichzeitig haben Kleingartenanlagen mit ihrer teils öffentlichen Durchwegung und ihrem hohen Anteil an Grün eine nicht zu unterschätzende Bedeutung fürdas städtische Mikroklima und die Qualität urbaner Erholungszonen.

Beim Bau der beiden Häuser an der Alten Donau wurde die geltende Kleingartensiedlungs-Beschränkung auf maximal zwei oberirdische Geschoße – je 50 Quadratmeter Fläche – als positive Herausforderung begriffen. Gewünscht war dabei durchaus die Qualität von Einfamilienhäusern mit Garten, allerdings in reflektierter Weise: Auf den beiden je 200 Quadratmeter großen Kleingarten-Parzellen sollte mit Bauland sparsam umgegangen und der obligatorische Abstand der Gebäude zur Grundstücksgrenze nicht für Alibi-Grünstreifen verschwendet, sondern für größere, qualitätvollere Freiräume genutzt werden. Die Entscheidung für eine verdichtete Bauweise mit einem Doppelhaus anstelle zweier frei stehender Häuser lag daher auf der Hand. Eine 90-Grad-Abwinkelung ermöglichte dabei die Ausbildung von geschützten Gartenhöfen für beide Einheiten. Sichtschutz zum belebten öffentlichen Fuß- und Radweg bieten efeubewachsene Grünwände. Bäume und Weinstöcke, die denHolzbau sukzessive weiter in die Vegetation einwachsen lassen, sind gepflanzt, duftenderbodendeckender Thymian ersetzt pflegeintensive Rasenflächen.

Im nördlichen Hausteil nimmt das Erdgeschoß eine vermietete Zweizimmerwohnung ein, das Obergeschoß Büro und Archiv des Auftraggebers, der selbst ein Naheverhältnis zur Architektur hat. Entsprechend eng war die Zusammenarbeit mit dem Architekten, aus der eine bemerkenswerte Lösung für die Bauaufgabe des kleinen suburbanen Einfamilienhauses entstanden ist. Äußerlich gibt sich das in Holzriegelbauweiseerrichtete Doppelhaus unauffällig mit ruhig gruppierten Quadern und einer Fassade in hell lasierter Rot-Zeder, die allmählich ergraut und dabei einen warmen Rotbraunton behält. Geschützte Sitzplätze und Pergolen, deren Sichtbeton-Oberflächen den gleichen Holzbretter-Rhythmus haben wie die Fassade, sichern im Erdgeschoß Privatsphäre, während die Obergeschoße mit großen Fenstern den Ausblick auf Fluss und Stadt ins Haus holen.

Besonders der südliche Hausteil erweist sich in seinem Inneren als raffinierte Schichtung von Raumvolumen auf insgesamt sieben Ebenen, die – kein Zufall, da Auftraggeber und Architekt mit den Qualitäten der Wiener Moderne vertraut sind – als intelligente Umsetzung eines Loos'schen Raumplans im kleinen Maßstab gesehen werden kann: Das oberste Niveau bildet der Arbeitsraum der Bauherrin, von dem sich, halbstöckig versetzt, das Raumkontinuum des als offene Empore ausgebildeten Wohnzimmers und der niedrigen Küche mit luftigem, hohem Essplatz zur Eingangsebene hin staffelt. Das im Tiefparterre liegende Schlafzimmer bleibt im Sommer kühl, verstellbare Metall-Lamellen schützen tagsüber vor Sonne und geben nachts Sicherheit. Weiter in dieErde eingegraben sind die Niveaus der Sanitärräume und eines kleinen Pool-Dampfbad-Bereichs, der über ein Glas-Oberlicht mit Tageslicht versorgt wird.

Während die Häuser äußerlich über den Maßstab der umgebenden Bauten nur unwesentlich hinausgehen, bieten sie in ihrem Inneren jeweils rund 120 Quadratmeter helle Wohnfläche. Zum Raumkonzept gehören neben Schrägdurchblicke ermöglichenden Treppenläufen und offenen Emporenebenenauch Einbaumöbel, die das begrenzte Raumangebot bestmöglich ausnutzen. Für eine angenehme Haptik und ein gutes Klima nicht nur in architektonischer, sondern auch in technischer Hinsicht sorgen Zellulosedämmung, Massivholzdecken, Lehm-Innenputz und eine zentrale Wasser-Wärmepumpe, die über die rötlichen Akazien-Stabparkett-Fußböden heizt und kühlt.

Vom geschützten Wohnbereich aus erweitert sich die Wohnqualität ganz selbstverständlich nicht nur für die Besitzer des Hauses, sondern für die Allgemeinheit auch in den öffentlichen Bereich hinein: Über den Fußweg auf den frei zugänglichen Badesteg und ins laue Naturgewässer gesprungen – morgens im glitzernden Gegenlicht, abends bei spektakulär verfärbtem Himmel über der Wolkenkratzer-Skyline der Großstadt und manchmal mit der akustischen Untermalung einer Frosch-Sinfonie.

Da möchte man wieder einmal Tucholsky zitieren: „Ja, das möchste: / Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, / vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; / mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, / vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – / aber abendszum Kino hast dus nicht weit.“ In der Tat, ein Spaziergang von zehn Minuten entlang der Alten Donau bringt einen zur U-Bahn und den Lichtern der Metropole zurück.

Spectrum, Sa., 2017.09.09



verknüpfte Bauwerke
Häuser am Wasser

12. August 2017Iris Meder
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Wo Luxus Tradition hat

Einst waren es die Architekten der Donaumonarchie, die an der Küste von Opatija bauten, dann folgte ein Bauboom unter Tito. Nach dem Jugoslawienkrieg sollte Qualität an erster Stelle stehen, doch gelang dieser Versuch nicht. Erst heute führt ein neuer Aufschwung die Geschichte von einst fort: Es wird spannend.

Einst waren es die Architekten der Donaumonarchie, die an der Küste von Opatija bauten, dann folgte ein Bauboom unter Tito. Nach dem Jugoslawienkrieg sollte Qualität an erster Stelle stehen, doch gelang dieser Versuch nicht. Erst heute führt ein neuer Aufschwung die Geschichte von einst fort: Es wird spannend.

In Regen auf den Semmering. Im Coupé Adolf Loos, über sein Haus am Michaelerplatz, die Angriffe, über Altenberg etc.“ Das waren noch Zeiten, als man, wie hier Arthur Schnitzler, im Zug einen Plausch mit Adolf Loos halten konnte. Dass der Semmering mit seiner ganzen Hotel- und Villenarchitektur ein rein auf Profit ausgerichtetes Investorenprojekt der Südbahngesellschaft war und architektonische Klasse zugunsten eines – bestenfalls – gefälligen Mainstreams kaum eine Chance hatte, tat seiner Beliebtheit auch bei versnobten Intellektuellen und Architekten wie Loos keinen Abbruch.

Als Ende 1879 die Steuerbefreiung der Südbahngesellschaft auszulaufen drohte, versprach ihr Direktor Friedrich Julius Schüler bei Verlängerung der Steuerbefreiung den Bau von Kur- und Hotelanlagen zur Attraktivierung der Gegend nach dem Vorbild von Toblach. Villengrundstücke wurden Bauern billig ab- und mit Gewinn verkauft, 1881 entstand das Südbahnhotel. Der von der Arbeitsgemeinschaft Wildhack & Morpurgo mehrmals erweiterte Hotelkasten ist mit seinen Anhäufungen pittoresker Motive ein ziemlich verhauter Komplex. Das Innere des leer stehenden Hotels, das gelegentlich für Theateraufführungen genutzt wird, beeindruckt aber immer noch mit seinen riesigen Sälen und der bis zu den Toilettenbereichen erhaltenen Einrichtung.

Während es bürgerliche Intellektuelle wie Schnitzler ins Südbahnhotel zog, dürfte sich Loos nach der gemeinsamen Zugfahrt eher ins Panhans begeben haben, das Hotel des früheren Südbahn-Restaurantpächters Vinzenz Panhans, von den Architekten Fellner & Helmer 1913 im Stil eines Schweizer Lungensanatoriums auf eine gigantomanische Länge von fast 300 Metern mit 400 Zimmern auf fünf Etagen erweitert.

Schnitzler hingegen blieb gelegentlich auch im Coupé sitzen und gelangte so nach Abbazia, heute Opatija, wo er wie sein Autorenkollege Richard Beer-Hofmann in der Villa Quisisana, dem heutigen Hotel Opatija, Quartier nahm. Wie das Südbahnhotel am Semmering war in Opatija das Quarnero der Brückenkopf der touristischen Entwicklung. Personal und Restaurantpächter kamen teils vom Semmering. Bald entstand ein zweites Südbahn-Hotel, das Kronprinzessin Stephanie (später Moskva, heute Imperial), das 1902 durch den Anbau des „Erzherzog-Ludwig-Viktor-Hallenbades“ attraktiviert wurde. Beide Hotels bauten Wildhack und Morpurgo, deren Bürogemeinschaft sich freilich baldnach der von massiven Kostenüberschreitungen geprägten Erweiterung des Hauses am Semmering auflöste.

Alfred Wildhack realisierte noch einige Villen in Opatija und am Semmering, während sich der aus einer Triestiner jüdischen Familie kommende Robert Morpurgo unter Zurücklassung seiner einer Südbahn-Investoren-Familie entstammenden Frau und eines großen Schuldenberges mit seiner Geliebten nach Amerika absetzte. Platzhirsch im Villenbau von Abbazia war Carl Seidl, ein Schüler Theophil Hansens. In Seidls pittoreskem mediterranem Zuckerguss-Historismus sitzt man auf der Caféterrasse des heutigen Hotels Milenj (Ex-Villa Hasslinger, Hotel Al Mare, Hotel Principe Umberto, Pension Hausner und Hotel Jadran) und in der Villa der Baronin Haas-Teichen, dem heutigen Hotel Ariston, auf dessen Sofas schon die Kennedys und Coco Chanel Platz nahmen. An der Villa entlang führt der vom „Abbazianer Verschönerungsverein“ angelegte zwölf Kilometer lange Lungomare zwischen Lovran im Westen und dem Fischerhafen Volosko, heute ein Agglomerat von Restaurants, im Osten, vorbei an der Villa Angiolina, die ebenfalls der Südbahngesellschaft gehörte und heute das Tourismus-Museum von Opatija beherbergt. Im Park begegnet Besuchern eine Büste des als Wohltäter des Ortes verehrten Südbahn-Developers Friedrich Julius Schüler.

Gegen ein Zuviel an schönbrunnergelber Mehlspeisen-Architektur sind in Opatija auch Kräutlein gewachsen – so steht in einem Palmenhain neben der Villa Quisisana das Erstlingswerk des slowenischen Otto-Wagner-Schülers Max Fabiani, das Kronprinzessin-Stephanie-Kurhaus für k. k. Staatsbeamte, heute Gesundheitszentrum. Sonst hatte die Moderne im frühen 20. Jahrhundert aber am Küstenland nicht mehr Chancen als am Semmering. Der Krieg machte der österreichischen Geschichte Opatijas ohnehin ein Ende. Abbazia wurde italienischund Italien sehr bald faschistisch. Diese Epoche hat im Ort kaum Spuren hinterlassen, anders als die Tito-Zeit, deren augenfälligstes Zeugnis das Hotel Ambasador ist.

Das Hochhaus an der Uferpromenade war ein ambitioniertes Projekt der 1960er-Jahre. Vom Museum moderner Kunst in Rijeka koordiniert, war der Bau des Architekten Zdravko Bregovac ein Gesamtkunstwerk mit Arbeiten der besten jugoslawischen Künstler ihrer Zeit: von Skulpturen von Dušan Džamonja und Wandgemälden von Edo Murtić über ein Grafikkonzept bis zu den Uniformen des Personals war das gesamte Erscheinungsbild durchdesignt. Nach einer durchgreifenden Sanierung ist davon praktisch nichts geblieben. Das Innere ist heute in jenem ubiquitären Hotelstil gehalten, den das Publikum offenbar goutiert. Ein weiterer Bau von Bregovac, das 1967 gebaute schlicht-elegante Hotel Paris, steht hingegen seit Jahren leer. Im benachbarten Ičići baute Bregovac das Ferienhaus von Ivo Robić, das sogar ein Plattencover des Sängers zierte. Robić vermachte das Haus der katholischen Kirche, die es zu einem Gotteshaus umbaute – im blauen Quader an der Hauptstraße wird heute die Messe gelesen.

Im Zeichen des Brutalismus steht das Hotel Adriatic, dessen sägezahnartig versetzte Zimmereinheiten den Blick auf Meer und Inseln inszenieren. Der Architekt Branko Žnidarec realisierte den Erweiterungstrakt mit Konferenzräumen 1970. Teils unsensibel umgebaut, lassen manche Bereiche des Inneren noch die räumliche Großzügigkeit des Entwurfs erkennen, der, Standard im damaligen Jugoslawien, weitläufig mit künstlerischen Arbeiten – hier spacigen Op-Art-Reliefs – ausgestattet wurde.

Nach dem Jugoslawienkrieg versuchte man in Opatija auf Qualität zu setzen. Einige Hotels wurden abgerissen, die Parzellen im Stadtzentrum bislang aber nicht neu bebaut. In manche der Villen und Pensionen zogen Sportwettencasinos. Aber vor wenigen Jahren hat der Architekt Idis Turato zwischen Volosko und Rijeka das Hotel Navis gebaut. Stylish, nicht billig, aber Luxus hat hier ja Tradition. Die Geschichte geht weiter.

Spectrum, Sa., 2017.08.12

10. Juni 2017Iris Meder
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Urlaub in der KPČ-Villa

In den 1950er-Jahren wurden Architekten in Prag aufgrund von „modernistischem Formalismus“ inhaftiert – später mussten sie eine Wochenendsiedlung für die kommunistischen Machthaber am Moldau-Stausee planen. Heute wird dort exklusiv geurlaubt.

In den 1950er-Jahren wurden Architekten in Prag aufgrund von „modernistischem Formalismus“ inhaftiert – später mussten sie eine Wochenendsiedlung für die kommunistischen Machthaber am Moldau-Stausee planen. Heute wird dort exklusiv geurlaubt.

Die Lage: großartig. Ein Nadelwald über der Moldau, unweit des Schwarzenberg-Schlosses Orlik, eine Stunde südlich der Hauptstadt. Segeln, schwimmen,fischen, tagsüber dienstliche Besprechungen, danach gemütlich auf der Terrasse sitzen und bei einem Gläschen mit den Kollegen auf das zwischen den Kiefernstämmen glitzernde Wasser schauen. Alles, was man brauchte, um sich von der anstrengenden Arbeit in Prag zu erholen.

Andere hatten es nicht so gut. Um im berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác zu sitzen, konnten schon Anklagen wie „modernistischer Formalismus“, „architektonischer Kosmopolitismus“ oder „funktionalistische Vergangenheit“ ausreichen – juristisch verbrämt als „Devisenvergehen“ oder „Bereicherung an sozialistischem Eigentum“. Nach NS-Widerstandskämpfern, gefolgt nach Kriegsende von NS-Größen und Kollaborateuren, saßen seit den „Säuberungen“ der Stalinzeit auch sozialistische Intellektuelle in Pankrác ein, darunter mehrere Architekten. Stalins Schatten waren lang: In der Sowjetunion herrschte das „Tauwetter“ Chruschtschows, in Prag drohte, vertrat man seine kulturellen Auffassungen zu offen, mehrjährige Haft.

Die Perversion der kommunistischen Machthaber kannte keine Grenzen. Als man 1959 daran ging, am neu angelegten Moldau-Stausee eine Wochenendhaussiedlung für die Funktionäre der KPČ zu planen, wurden eben jene inhaftierten Architekten zur Planung verpflichtet, die ihre architektonische Überzeugung ins Gefängnis gebracht hatte. Für die Ausführungsplanung zog man inhaftierte Techniker, Handwerker und Bauleiter heran. Praktisch: Die inkognito arbeitenden Planer konnten niemandem von der streng geheimen, auf keiner Karte verzeichneten Siedlung erzählen. Und: Man musste sie nicht bezahlen. Unter der Leitung des Technischen Instituts des Innenministeriums entstand das, was heute in Tschechien als „Knastprojekt“ bekannt ist.

Zur Erschließung des 470 Hektar großen Areals wurden 15 Kilometer neue Straßen und Wege angelegt, durchgehend elektrisch beleuchtet und gesäumt von immergrünen Bäumen, die eine Lokalisierung des Geländes sogar aus der Luft unmöglich machten. Zäune und Schranken riegelten das streng bewachte Areal von der Außenwelt ab. Wer beim Segeln oder Surfen dem Funktionärsufer zu nahe kam, wurde von Polizeibooten umgehend zu „erlaubten“ Gestaden eskortiert. Für die Planung der euphemistisch „Wochenendhütten“ genannten Bungalows hatte die Nomenklatura eindeutige Vorgaben: „Die Wände haben auf jeden Fall lotrecht und gerade zu sein, keinesfalls wie Damenkleider!“, lautete eine eher skurrile.

Mehrfache Planänderungen auf Wunsch der Politbüro-Mitglieder sind dokumentiert. Letztlich entstand jedoch ein singuläres Ensemble dessen, was in Tschechien in Anlehnung an die Brüsseler Weltausstellung von 1958 als „Brüsseler Stil“ bezeichnet wird: Perverserweise stand gerade dieser für die Hoffnung auf eine internationale Öffnung in der Kultur eines Staatssozialismus, dessen Konzept ein „menschliches Antlitz“ (noch) nicht vorsah.

Zentrum der Anlage ist ein Hotelbau mit Außen- und Innenpool, Saunen und Tennisplatz. Die Zimmer – alle mit Fernsehern „Firma Grundig, mit Fernbedienung“, wie man nach der Samtenen Revolution von 1989 erfuhr – dienten auch zur Unterbringung von Mitgliedern der sozialistischen Bruderparteien, die zur Hirsch- und Schwarzwildjagd anreisten. Den Hotelbau plante, wie man heute weiß, Bedřich Rozehnal, Professor an der TH Brünn und international anerkannter Spezialist für Krankenhäuser, den sein funktionalistischer Ansatz und offene Worte zur Organisation der Brünner Universität nach Pankrác gebracht hatten. Auch den locker im umgebenden Wald verstreuten 15 Funktionärsvillen, Sportanlagen und Cafépavillons, meist mit Flachdächern, offenen Grundrissen, großen Fensterwänden und Terrassen, ist der Einfluss des tschechischen Funktionalismus anzusehen, kombiniert mit den stumpfwinkligen Grundrissen und gekurvten Linien Oscar Niemeyers und Le Corbusiers. Kein Wunder: Le Corbusiers ehemaliger Mitarbeiter Jaroslav Vaculík war ebenso unter den Planern.

Das größte Haus entwarfen der Architekt Jiří F. Kaisler und der Statiker František Bäumelt für den damaligen Staatspräsidenten Antonín Novotný. Die Villa mit repräsentativer Empfangshalle, Pool und wellenförmigem Sonnendach liegt in größerer Entfernung auf einem Hügel mit Blick über den Stausee. Sie könnte ohne Weiteres in Lugano stehen oder in Beverly Hills. Gerade diese Villa war es, die nach 1989 durch Vandalismus am meisten beschädigt wurde. Seit 2010 ist sie im Besitz der Familie der früheren Besitzer des Grundstücks, ebenso wie die einstige Villa des Premierministers. „Privateigentum“-Schilder und Schranken halten Unbefugte fern. Einige Villen sind dauerhaft vermietet, etwa die Hälfte ist als Ferienhäuser über das nach wie vor bestehende Hotel zu mieten.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus fiel das Areal an den Staat, der anteilig an der heutigen Betreibergesellschaft beteiligt ist. Der Ruf der Anlage blieb miserabel: In den 1990er-Jahren bewohnten mehrere Mitglieder der tschechischen Mafia und der tschetschenische Terrorist Schamil Bassajew die Bungalows. Innerhalb von zwei Jahren flogen auf dem Gelände zwei Autos in die Luft, wenig später wurde ein lästiger Kronzeuge bestialisch aus dem Weg geräumt und ein seitdem vermisster Geschäftsmann und Polizeispitzel gekidnappt.

Das heutige Spa-Hotel Orlik hat sich von seiner dunklen Vergangenheit befreit. Die vernachlässigten Gebäude wurden umsichtig restauriert und ihr Moderne-Glamour für eine junge Klientel wirkungsvoll inszeniert. Mit Midcentury-Möbelklassikern nach Entwürfen von George Nelson und Charles und Ray Eames sind Hotel und Villen sicher weitaus schicker eingerichtet, als sie es je waren – durchgestylt bis zur passenden Typografie und eleganten Zimmerschlüsselanhängern. Von der Vergangenheit der Anlage erwähnen Website und Infomaterial nichts –ein Lageplan des Gesamtareals wird aber bereitwillig ausgedruckt und auch der Standort der Präsidentenvilla eingezeichnet. Die vor einigen Jahren vielfach publizierten Ruinen der Moderne gibt es hier nicht mehr zu sehen. Aber Nutzung ist ohnehin die beste Denkmalpflege.

Spectrum, Sa., 2017.06.10

25. März 2017Iris Meder
Spectrum

Das glücklose Haus

Über die Höhen und Tiefen gleichermaßen wie über die diversen Häuser im Leben des Schriftstellers Jakob Wassermann – und seines Architekten Oskar Strnad.

Über die Höhen und Tiefen gleichermaßen wie über die diversen Häuser im Leben des Schriftstellers Jakob Wassermann – und seines Architekten Oskar Strnad.

Die Geschichte meinte es nicht allzu gut mit dem Haus, Planern und Bauherren brachte es kein Glück. Dabei hatte alles so schön begonnen. Oder auch wieder nicht. Die Ups und die Downs lagen nahe beieinander im Leben des Schriftstellers Jakob Wassermann. Und auch in dem seines Architekten Oskar Strnad.

Wassermann war 1898 aus München nach Wien gezogen und schnell in den Kreis um Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal integriert. Die Verehrung der jungen, exzentrischen Julie Speyer mündete bald in eine Heirat, die dem mittellosen Dichter ein sorgenfreies Leben durch die stattliche Mitgift der Braut versprach. Es kam anders. Das Geld war nach zehn Jahren aufgebraucht, die Ehe, der vier Kinder entsprangen, schon früher. Im Versuch zu kitten, was nicht zu kitten war, baute das Paar 1914 ein Haus in einem Grinzinger Weinberg. Finanziert wurde es von einem Gönner Wassermanns – besser gesagt von dessen Frau, einer Verehrerin des Autors, die über ihre Mutter, eine geborene Rothschild, immensen Reichtum mit in ihre Ehe gebracht hatte.

Den Architekten vermittelte wohl Hugo von Hofmannsthal, der selbst seine Stadtwohnung von Strnad einrichten ließ. Es wurde ein epochales Haus, viel publiziert und wohl das schönste des Architekten, mit einem lichtdurchfluteten weiß gestrichenen Wohn-Ess-Musik-Raum, einem sonnigen Wohnhof und einer Dachterrasse mit Blick über die Stadt. „Innen praktisch und bizarr und theilweise sehr schön“ fand es Schnitzler, den stolzen Hausherrn „wichtig, düster und mit Schlapfen“. Wenige Wochen nach dem Einzug lernte Wassermann, der Einladungen zum Missfallen seiner Frau allein wahrzunehmen pflegte, bei Egon und Emmy Wellesz, Nachbarn aus der Kaasgraben-Siedlung, Emmys Schulfreundin Marta Karlweis kennen. Wie 16 Jahre zuvor stellte wieder ein Sommer in Altaussee, in dem man sich näherkam, die Weichen für sein Leben.

Während Karlweis' Ehe bald geschieden wurde, erreichte Wassermann erst nach langen Streitereien eine Trennung. Mithilfe zahlloser Anwälte versuchte Julie Wassermann-Speyer daraufhin, ihren Mann finanziell zu ruinieren. Trotz seiner Zahlungen häuften sich Schulden und Hypotheken, sodass ein Großteil des umgebauten und erweiterten Hauses vermietet werden musste. 1934 wurde das Haus versteigert und von der Sängerin Tini Senders und ihrem Mann erworben; es blieb bis vor wenigen Jahren im Besitz der Familie. Jakob Wassermann lebte unterdessen mit Marta Karlweis ständig in Altaussee, durch Unterhaltszahlungen finanziell ausgehungert, als Autor aber erfolgreich, womit der Wunsch nach einem repräsentativen großen Haushalt mit Personal, wie ihn Thomas Mann und Hofmannsthal führten, wuchs.

Schließlich vermittelte Hofmannsthal dem Freund die Jahrhundertwende-Villa des Literaten Leopold von Andrian, die einige Zeit zuvor an den Berater der Kunstsammlerin Helene Kröller-Müller, Salomon van Deventer, verkauft worden war. Wassermanns Selbststilisierung als weltentrückter armer Poet machte sich bezahlt, als er den Kaufpreis auf die Hälfte dessen, was Deventer einst bezahlt hatte, drücken konnte und auch die zweite Hälfte des Hauses in Form eines äußerst günstigen Kredits quasi geschenkt bekam – diesmal war der generöse Geldgeber Paul Goldstein, Generaldirektor der Depositenbank und enger Mitarbeiter des berüchtigten „Finanzhais“ Camillo Castiglioni. Nach dem Konkurs der Depositenbank entzogen sich Castiglioni und Goldstein Haftbefehlen durch die Flucht ins Ausland.

Im Sommer 1923 wurde Wassermanns neues Haus von Paul Schultze-Naumburg umgebaut. Als Reformarchitekt hatte er einst den Deutschen Werkbund mitbegründet. In den 1920er-Jahren radikalisierte er sich jedoch künstlerisch und politisch und machte Hitler, Himmler und Goebbels zu seinen Freunden. Schultze-Naumburg wurde später einer der schlimmsten Hetzer gegen die „entartete“ Moderne in Kunst und Literatur. Der Gegensatz zum humanistischen, progressiven Strnad, der aus einem ähnlichen jüdisch-liberalen Milieu wie Wassermann kam, hätte kaum größer sein können – Wassermann wollte sich wohl auch ästhetisch vom unterdessen als „närrisch“ betrachteten, verhassten Wiener Haus distanzieren. Schultze-Naumburg hatte seinerseits immer wieder jüdische Bauherren – in Ebensee baute er 1909 das Landhaus des Berliner Bankiers und Mäzens Franz von Mendelssohn. Im Hause Wassermann-Karlweis wurde bald ein Sohn geboren, nach Wassermanns Scheidung konnte geheiratet werden. Als einem von wenigen Autoren bot ihm sein Verleger Samuel Fischer das Du an, mit Manns und Hesses urlaubte man öffentlichkeitswirksam in St. Moritz.

Nach der Machtergreifung Hitlers distanzierte sich die neue Verlagsleitung unter Samuel Fischers Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer von Wassermann. Zudem ließ seine erste Frau unter Berufung auf ausstehende Zahlungen Wassermanns Verlagskonto sperren. Wassermann musste fürchten, das Haus zu verlieren. In der Neujahrsnacht 1934 starb er, angeblich nach einer von Fischer abgelehnten Bitte um einen Vorschuss. Marta Karlweis zog noch im Jänner nach Zürich, wo sie bei C. G. Jung ihr unterbrochenes Psychologiestudium fortsetzte. Von Julie Wassermann-Speyer, die in den Besitz des Hauses zu kommen versuchte, wurde sie mit Klagen überzogen. 1938 ebenfalls nach Zürich emigriert, mietete sich Wassermann-Speyer im gleichen Haus wie Karlweis ein, die nach ihrem Studienabschluss nach Kanada floh. Als die Altausseer Villa versteigert wurde, kaufte sie Leopold von Andrian zurück. Er musste sie 1939 wieder verkaufen und emigrierte nach Brasilien. Salomon van Deventer wurde wie Schultze-Naumburg zum begeisterten Nationalsozialisten und setzte sich in der NS-Zeit an die Spitze des Kröller-Müller-Museums.

Oskar Strnads Glück wendete sich schon kurz nach dem Bau des Wassermann-Hauses, als nach einem Rechtsstreit sein Bauherr Josef Kranz, Kriegsspekulant und einflussreicher Freimaurer, ankündigte, dafür zu sorgen, dass der Architekt nie mehr einen Auftrag bekommen werde. Strnad baute tatsächlich nur noch wenig und arbeitete bis zu seinem Tod 1935 hauptsächlich als Bühnenbildner. Das Wiener Haus stand zuletzt längere Zeit zum Verkauf und begann zu verfallen, schließlich wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End.

Spectrum, Sa., 2017.03.25

03. Dezember 2016Iris Meder
Spectrum

Kleine Budgets als Chance

Dem Procedere nach ähnelt er einem Bachmannpreis der Architektur: der deutsche Erich-Schelling-Preis. Bei der Vergabe sind nicht nur architektonisch, sondern auch gesellschaftlich relevante Planungskonzepte gefragt. Heuer mit Nominierten aus Mexiko und den Niederlanden und einem Sieger aus Belgien.

Dem Procedere nach ähnelt er einem Bachmannpreis der Architektur: der deutsche Erich-Schelling-Preis. Bei der Vergabe sind nicht nur architektonisch, sondern auch gesellschaftlich relevante Planungskonzepte gefragt. Heuer mit Nominierten aus Mexiko und den Niederlanden und einem Sieger aus Belgien.

Zu Anfang war der deutsche Erich-Schelling-Architekturpreis nicht so ganz klar definiert. „Zukunftsweisende Entwurfsideen und Projekte“ sollen prämiert werden, so der eher allgemein gehaltene Zweck der Karlsruher Schelling-Stiftung, die den Preis im Zweijahresrhythmus vergibt. Die erstenPreisträger waren im Jahr der Stiftungsgründung, 1992, die Wiener Coop Himmelb(l)au, gefolgt von Zaha Hadid, diese wiederum von Peter Zumthor.

In den vergangenen Jahren hat man sich allerdings zunehmend auf nicht nur architektonisch, sondern auch sozial und gesellschaftlich relevante Planungskonzepte konzentriert und dem von der Witwe des Architekten Erich Schelling und dem Begründer der Deutschen Architekturmuseums, Heinrich Klotz, initiierten Preis damit ein klareres Profil verliehen. Das Procedere ist dabei etwa das eines Bachmannpreises der Architektur: Drei von einer Jury nominierte Architekten, Architektinnen respektive Büros werden nachKarlsruhe geladen und präsentieren sich nacheinander in öffentlichen Kurzvorträgen. Danach entscheidet die Jury, wer den mit 20.000 Euro dotierten Preis erhält. Mitglied der Jury ist auch der schon zuvor gekürte jeweilige Sieger der Kategorie Theorie.

Dies war heuer der britisch-kanadische Architekturkritiker Doug Saunders, der in den vergangenen Jahren mit seinen Publikationen „Arrival City“ und „Mythos Überfremdung“ bekannt geworden ist. Saunders' Forschungen zu Einwanderungsquartieren westlicher Gesellschaften flossen auch in die Programmierung des deutschen Pavillons aufder diesjährigen Architekturbiennale in Venedig ein. In intelligenter Weise wurden dort die Prämissen für das Funktionieren migrantisch geprägter Quartiere in deutschen Städten thematisiert.

Mit städtischen Infrastrukturen befasst sich auch die für den Preis nominierte junge mexikanische Architektin Rozana Montiel, die dieses Jahr bereits zum vierten Mal auf der Architekturbiennale vertreten war. Sie baut hinreißend schöne Häuser für kleine und größere Budgets, in klarer Formensprache, mit natürlichen Materialien, in präziser architektonischer Formulierung, die ihr bereits einen Platz im aktuellen Architekturdiskurs sichern würden. Um die ging es im Rahmen des Preises aber nicht, sondern um Montiels Eigeninitiativen zu urbanen Interventionen.

Mit Projekten wie „Common-Unity“ in Mexico City unternimmt es Montiel, in sozial schwachen Quartieren die Lebenssituation über die Gestaltung gemeinschaftlicher Freiräume zu verbessern. „Nicht nur für Menschen, sondern mit ihnen“ zu planen nennt sie als ihren Grundsatz, und mittels Recycling Geldmangel als Chance zu nutzen. Im konkreten Fall wurden von Anwohnern zur Erweiterung des beengten Wohnraums errichtete Abtrennungen und Überdachungen im öffentlichen Raum zu gemeinsamen Sonnenschutzdächern umgewandelt und ephemere Strukturen damit zu sinnvoller genutzten permanenten gemacht. Entstanden ist, mit Hilfe der zuerst zögerlichen öffentlichen Verwaltung, ein multifunktionaler Bereich mit Spielplätzen, Bibliothek und nutzungsneutralen Zonen. „DieMenschen engagieren sich, wenn sie einbezogen sind, sie fühlen sich verantwortlich und sind stolz auf das Projekt. So entsteht eine Gemeinschaft über alle Altersgruppen hinweg“, so Montiel.

In anderen Projekten setzt Montiel neue Räume auf bestehende Sozialwohnbauten oder konzipiert öffentliche Nutzungen für leer stehende Lagerhäuser entlang der U-Bahn-Linien von Mexico City, ausgehend von einem Begriff der Stadt als ganzheitlichem sozialem Konstrukt und Netzwerk aus informellen Netzwerken.

Ihr ambitionierter, hochqualitativer sozialer Wohnbau brachte auch den aus Deutschland stammenden, in den Niederlanden arbeitenden André Kempe und Oliver Thill eine Nominierung für den Preis. Der Architektur des Büros, das hierzulande vor einigen Jahren mit dem Franz-Liszt-Konzerthaus im burgenländischen Raiding bekannt wurde, ist die Vorbildwirkung der reduzierten Klassizität der deutschen Architekturikonen Friedrich Schinkel und Ludwig Mies van der Rohe anzumerken, ihre unaufgeregte, ruhige, nicht auf Effekte bedachte analytische Herangehensweise ist wohltuend im allgemeinen Konzert architektonischen Selbstmarketings.

Gewonnen hat den Preis schließlich, nach einer knappen Juryentscheidung, nicht Rozana Montiel, die die klare Favoritin vor allem der zahlreich anwesenden Studierenden war, sondern das dritte nominierte Büro, de Vylder Vinck Taillieu. Wie Montiel begreifen auch Inge Vinck, Jan De Vylder und Jo Taillieu kleine Budgets als Chance. Die eher im privaten Sektor angesiedelten Projekte des Genter Büros umfassen auch unfertige, halb abgerissene oder ruinöse Räume, die stehen bleiben und mit minimalen Interventionen nutzbar gemacht werden.

Sehr wienerisch mutet der Ansatz des Büros an, mit den Gegebenheiten des Projekts zu interagieren und dabei auch Veränderungen und Probleme jeder Art in den dynamischen Planungsprozess einzubeziehen. So wurden bei einem Projekt in Gent, bei dem im Betonguss jede Menge Dinge katastrophal falsch liefen, die Schadstellen kurzerhand knallrot markiert – was heute wie ein Kunstprojekt wirken mag, aber keineswegs als Methode verstanden werden soll: „Wenn sich unvorhersehbare Situationen ergeben, geht es nicht darum, sie zu lösen, sondern sie als Gelegenheit zu begreifen und die Problemstellung zu verändern. Der Moment und die konkrete Situation zählen. Die Arbeit der Architekten ist mit dem Entwurf keineswegs erledigt“, so die Architekten. „Ein Projekt beginnt in dem Moment, in dem es sich die Bewohner aneignen und es verändern.“ Nicht verwunderlich: Das Dreierteam schätzt die Arbeit des Wieners Hermann Czech sehr. Und auch den ähnlich formulierten Ansatz eines weiteren Wieners: Josef Frank.

Spectrum, Sa., 2016.12.03

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Artikel 12

06. November 2018Wojciech Czaja
Der Standard

Architekturhistorikerin Iris Meder gestorben

Meder Rettete mehrere bedeutende Baudenkmäler der Wiener Moderne vor dem Abriss

Meder Rettete mehrere bedeutende Baudenkmäler der Wiener Moderne vor dem Abriss

Sie war eine der wichtigsten und tatkräftigsten Initiatorinnen bei der Rettung bedeutender Baudenkmäler der Wiener Moderne. Ihrem Kampf ist es zu verdanken, dass das von Erich Boltenstern geplante, 1935 errichtete Kahlenberg-Restaurant nicht abgerissen, sondern unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nun ist Iris Meder nach schwerer Krankheit am 5. November gestorben. Meder, 1965 in Pforzheim geboren, studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft und zog Anfang der 1990er-Jahre nach Wien, wo sie sich der Wiener Architekturgeschichte widmete. Zu ihren Themen zählten Josef Frank, Oskar Strnad, Otto Wagner, das Hochhaus in der Herrengasse sowie die europäische Badekultur, der sie ein Buch widmete. Meder war Mitglied des Kunstkollektivs H.A.P.P.Y. und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und kuratierte Ausstellungen für das Wien-Museum sowie für das Jüdische Museum Wien.

05. November 2018Wolfgang Freitag
Die Presse

Mit untrüglicher Kennerschaft für die Wiener Moderne

Als sie vergangenen Februar einen Beitrag über die Brünner Werkbundsiedlung in der „Presse“ publizierte, gewohnt sorgfältig recherchiert, gewohnt kennerisch...

Als sie vergangenen Februar einen Beitrag über die Brünner Werkbundsiedlung in der „Presse“ publizierte, gewohnt sorgfältig recherchiert, gewohnt kennerisch...

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Presseschau 12

24. Februar 2018Iris Meder
Spectrum

Schatten ihrer selbst

Der Brünner Werkbundsiedlung „Nový dům“ (Das neue Haus) ist anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums eine umfassende Buchdokumentation gewidmet – indes bietet die Anlage heute ein trauriges Bild. Zur Geschichte der kleinen Schwester der Wiener Werkbundsiedlung.

Der Brünner Werkbundsiedlung „Nový dům“ (Das neue Haus) ist anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums eine umfassende Buchdokumentation gewidmet – indes bietet die Anlage heute ein trauriges Bild. Zur Geschichte der kleinen Schwester der Wiener Werkbundsiedlung.

Man könnte sie eine kleine Schwester der Wiener Werkbundsiedlung nennen. Eine etwas glücklose Schwester, die sich von Anfang an an die Falschen gehängt hat, an der früh herumoperiert wurde. Und die heute ein Schatten ihrer selbst ist.

Sechs Schwestern sind sie, die Werkbundsiedlungen, angefangen mit der 1927 gebauten Stuttgarter Weißenhofsiedlung, gefolgt von Brünn im nächsten und Breslau im übernächsten Jahr sowie 1931 von Zürich-Neubühl sowie 1932 von der Prager Baba-Siedlung und der Wiener Werkbundsiedlung, der zu ihrem 80-Jahr-Jubiläum, gleichzeitig dem 100. Gründungsjubiläum des Österreichischen Werkbundes, eine fulminante Ausstellung mit ausführlicher Monografie im Wien Museum gewidmet war.

Nun ist, zu ihrem 90. Geburtstag, auch der Brünner Werkbundsiedlung „Nový dům“ (Das neue Haus) eine umfassende tschechisch-englische Buchdokumentation gewidmet, herausgegeben vom in Sachen Moderne äußerst engagierten Museum der Stadt Brünn. Man konnte dabei auf einen Fundus aus zahlreichen Fotografien aus der Bau- und Eröffnungsphase zurückgreifen, diedie hochgesteckten Ambitionen der Siedlung anschaulich machen.

Heute bietet die Siedlung allerdings ein eher trauriges Bild – nur mit großer Mühe bringt man die historischen Ansichten der meisten der 16 in Xylolith-Leichtbauweise errichteten Häuser mit den heutigen zusammen. Es ist das Ergebnis eines von Beginn an fragwürdigen Ansatzes, der sich, wenigstens zum Teil, aus dem Überschwang einer im Aufbruch begriffenen Zeit in einer im Aufbruch begriffenen jungen Republik erklärt.

Ein Ursprung der Siedlung liegt im überwältigenden Eindruck der Stuttgarter Siedlung, die als begehbares Exponat 1927 errichtet wurde, unter der künstlerischen Leitung Ludwig Mies van der Rohes und unter Beteiligung großer Teile der Creme der damaligen Architektur, darunter auch der Wiener Josef Frank. Noch im selben Jahr begann man die Planung für Brünn – allerdings unter komplett anderen Prämissen: als privates Investitionsprojekt zweier Bauunternehmer, die die Häuser als Generalplaner errichteten und im Anschluss an die öffentlicheAusstellung zu verkaufen beabsichtigten. Das Ganze war als Spin-off der für das Jahr 1928 geplanten großen Ausstellung zum Zehn-Jahr-Jubiläum der Tschechoslowakei auf dem neuen Brünner Messegelände konzipiert. Als Baugrund fand man ein Areal unweit der Messe, beim „Wilson-Wald“ am westlichen Stadtrand mit Blick ins Grüne. Den Grünblick gibt es heute noch, allerdings führt nun eine große Umfahrungsstraße nahe an der Siedlung vorbei.

Die Siedlung war, man muss es sagen, ein ziemliches Desaster. Die Besucherzahlen erreichten nicht die Erwartungen, kaum ein Haus wurde verkauft. Dabei war in Brünn der Boden für die architektonische Moderne denkbar gut – die gesamte Stadt ist bis heute das wohl beste Beispiel für den Dialog, den eine unaufgeregte, konsequent moderne Sachlichkeit mit der historischen Umgebung einer gewachsenen Stadt eingehen kann. Für die Siedlung engagierten die beiden Initiatoren neben Größen der Brünner Architektur wie Bohuslav Fuchs, Jiří Kroha und Ernst Wiesner (deren Häuser als Erste verkauft wurden) auch Nachwuchsplaner, die teilweise ihr Studium noch nicht abgeschlossen hatten. Besonders deren glamourös funktionalistische Hauseinheiten, klar unter dem bestimmenden Einfluss von Le Corbusier entstanden, wurden selbst von der wohlwollenden Kritik gnadenlos zerpflückt: Schlafzimmer ohne direkte Belichtung und Belüftung, 1,50 Meter hoch und zugänglich nur über eine steile Hühnerstiege – das war, bei aller Aufgeschlossenheit, nicht das, was man sich unter dem Wohnen der Zukunft vorstellen mochte.

Nun lässt sich das wohl von allen Werkbundsiedlungen in Stuttgart, Brünn, Breslau, Zürich, Wien und Prag behaupten: dass ihre Wohnkonzepte großteils nicht verstanden, nicht geschätzt wurden und, ja, teilweise auch schlecht durchdacht waren und an den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigingen. Ebenso wie für Le Corbusiers Stuttgarter Doppelhaus wie für die Brünner Studentenprojekte fanden sich überhaupt erst Bewohner, nachdem die Häuser radikal umgebaut worden waren. Da die meisten der Brünner Hauseinheiten zudem erst nach Beginn der Ausstellung fertiggestellt wurden, gibt es kaum Fotografien der ursprünglichen Innenraumaufteilungen und -einrichtungen.

Als Modelle für den Massenwohnbau, das machte die Ausstellung des Wien Museums vor sechs Jahren deutlich, konnten die Siedlungen nicht dienen. Als Mustersiedlungen konzipiert, waren sie dennoch als experimentelle Projekte wichtig – sei es in Bezug auf neue Materialien wie in Stuttgart, sei es in puncto Grundrisskonzepte und Raumausnutzung wie in Wien, sei es bezüglich neuartiger kollektiver Wohnformen wie in Breslau.

Die Brünner Siedlung, die heuer ihr 90-Jahr-Jubiläum feiert, ist wohl die, der am übelsten mitgespielt wurde. Der Verkauf der als großbürgerliche Wohnstätten konzipierten Häuser – die dennoch als Muster für künftigen Massenwohnbau dienen sollten – zog sich bis 1942 hin und konnte, mit großen finanziellen Verlusten der Investoren, erst nach weitreichenden Umbauten einiger Hauseinheiten abgeschlossen werden. Der in der Mitte der Siedlung vorgesehene Spielplatz wurde schließlich als Abstellplatz für die Mülltonnen der Siedlungsbewohner genutzt.

Die – aus der Sicht der Nutzer sicher sinnvollen – Umbauten des Jahres 1942 blieben bis heute bestehen. Denkmalgeschützt sind lediglich einige wenige Fassaden der Siedlung. Damit sind weiteren Veränderungen Tür und Tor geöffnet, wenngleich man sich bemüht hat, bestehende originale Bausubstanz zu sichern. Der größte Schock ergibt sich für Leser der Dokumentation jedoch, wenn man erfährt, dass noch in den 1990er-Jahren manche der Häuser, darunter das besonders markante frei stehende Einfamilienhaus von Jiří Kroha, dermaßen radikal ungebaut wurde, dass man selbst als Fachfrau kaum zu erkennen vermag, ob und wie das alte Haus im heutigen steckt. Die Zukunft der Siedlung? Man wird sehen.

Spectrum, Sa., 2018.02.24

05. Januar 2018Iris Meder
Spectrum

Was vom Werke übrig blieb

Die Glanzstofffabrik in Sankt Pölten: Ab 1905 war sie weltweit die zweitgrößte Produzentin von Viskosefasern, 2008 kam das Aus. Wo große Teile des Werkareals abgerissen wurden, sind heute Wohnungen und Arbeitsräume geplant. Und auch die Kunst hat sich des ehemaligen Werks angenommen.

Die Glanzstofffabrik in Sankt Pölten: Ab 1905 war sie weltweit die zweitgrößte Produzentin von Viskosefasern, 2008 kam das Aus. Wo große Teile des Werkareals abgerissen wurden, sind heute Wohnungen und Arbeitsräume geplant. Und auch die Kunst hat sich des ehemaligen Werks angenommen.

„Bau d. Wasserreinigers Karl Fellerer Linz“, informiert ein Schild am Baugerüst des Wasserturms. Die Bauarbeiter haben sich am Fuß des Turms zu einem Gruppenfoto versammelt. Wir schreiben das Jahr 1905. In Viehofen bei St. Pölten wird das Werk der Ersten österreichischen Glanzstoff-Fabrik A.G. errichtet, ein riesiger festungsartiger Komplex mit drei zylindrischen Wassertürmen mit Spitzkegeldächern, die die Eckpunkte der Anlage markieren und später das einprägsame neusachliche Logo der Firma bilden werden. Ist auch der Kupferschmied Karl Fellerer auf dem Foto? Nahm er vielleicht einmal seinen halbwüchsigen Sohn, den späteren Architekten Max Fellerer, mit auf die Baustelle?

„Glanzstoff“, vulgo Kunstseide, war eine bahnbrechende Erfindung der Jahrhundertwende. Eines der unterschiedlichen Herstellungsverfahren hatten sich der aus der Südsteiermark stammende Johann Urban und der Deutsche Max Fremery 1897 patentieren lassen. Für ihre zart schimmernde Kupferkunstseide auf Zellulosebasis erfanden sie den Namen „Glanzstoff“, um allen Assoziationen zur Künstlichkeit billiger Ersatzstoffe das Versprechen eines neuartigen, besseren Materials entgegenzusetzen.

Als ein Zollabkommen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Wareneinfuhr aus Deutschland erschwerte, entschlossen sich die Gründer der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG zum Bau eines Werks in Österreich. Aus Kosten- und Logistikgründen wurde es in Viehofen angesiedelt – mit ausreichend Wasser und über einen eigenen Schienenweg an die Trasse der Westbahn angeschlossen. In elegante Gärten gebettete Villen für Direktoren und leitende Angestellte ergänzten das Produktionsareal ebenso wie von der Gemeinde geforderte Arbeiterwohnhäuser. Architekten waren der Leiter des städtischen Bauamtes, Josef Prokop, und der Bauunternehmer Richard Frauenfeld. Das Werk stellte schließlich bis zu 12.000 Tonnen Viskosefasern pro Jahr her, zeitweise war es der zweitgrößte Produzent der Welt. Im Ersten Weltkrieg wurde ein Teil des Geländes von der Torpedofabrik Whitehead genutzt, und auch der „Glanzstoff“ war weniger friedlich als sein Name, produzierte man doch Garne für Fallschirme und Kartuschbeutel für Granaten. Und auch „die Glanzstoff“ galt als Dreckschleuder – dem höchsten Fabrikschlot des Landes entstieg schwefelig-fauliger Pesthauch, giftige Substanzen entwichen nicht nur in die Luft, sondern kontaminierten auch Boden und Grundwasser. Besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren kam hochgiftiges Asbest zum Einsatz, Sulfate, FCKW, Zink und Schwefelwasserstoff reicherten sich im Boden an.

St. Pölten, dem Viehofen 1923 eingemeindet wurde, blieb dem wichtigsten Arbeitgeber der Stadt mehr als ein Jahrhundert lang in Hassliebe verbunden. Man überstand Wirtschaftskrisen, temporäre Schließzeiten, die NS-Zeit mit der Beschäftigung zahlreicher Zwangsarbeiter, eine drohende Sprengung, den Abtransport der Hälfte des Maschinenparks durch die Rote Armee, Reparationszahlungen, mehrere Produktionsumstellungen sowie Stilllegungspläne. 1993 war ein Konkurs nicht mehr abzuwenden. Das endgültige Aus kam 2008 nach einem Brand der Abluftreinigungsanlage. Die neuen Emissionsauflagen erfüllte das Werk, das unterdessen als sauberste Viskosefertigung der Welt galt, nicht mehr. In dem, was von den Hallen und den Verwaltungsbauten blieb, sind heute keine Maschinen mehr zu finden. Nach diversen Firmenumschichtungen gehört der Rest des Werks heute zu einer Holding, die am ehemaligen Standort 15 Mitarbeiter beschäftigt. 2009 wurde der große Schornstein gesprengt.

Große Teile des Werksareals wurden abgerissen, der verbliebene Rest wurde unter Denkmalschutz gestellt. Wo einst die Direktorenvilla gegenüber dem Werksareal stand, ist heute eine Brachfläche. Das Wiener Architekturbüro F+P Architekten/Sepp Frank erstellte einen Masterplan für den Bau von 1300 Wohnungen und Raum für 1000 Arbeitsplätze. 2015 setzte sich Felix Mitterers Theaterstück „Glanzstoff“ an zwölf simultanen Plätzen auf dem Areal mit der Geschichte des Ortes auseinander. Peter Noever brachte sich mit einem Kunst- und Designkonzept ein. Die 2500 Quadratmeter große historische Produktionshalle war von 2012 bis zu deren Umzug in einen Neubau im Jahr 2015 ein Standort der New Design University. Die Geschichte des Glanzstoff-Areals ist typisch für postindustrielle Areale der Gegenwart. Für die Geschichte des 15 Hektar großen Glanzstoff-Areals beginnt jedenfalls eine neue Phase, die von Wohnen und Arbeiten unter anderen als den historischen Prämissen geprägt sein wird, ähnlich wie etwa die historischen Areale ehemaliger Stahlwerke heute (teil)öffentlichen Mischnutzungen dienen.

Die jüngste Intervention auf dem Gelände ist die Eröffnung von Brigitte Kowanz' permanenter Installation „Fountain“. Aus Kowanz' eingehender Beschäftigung mit dem Ort und seiner Geschichte ging eine letztlich auf maximale Einfachheit reduzierte Intervention hervor: Ein weißer Lichtstrahl, aus der Nähe betrachtet sind es drei parallele, ergießt sich in elegantem Schwung aus der Spitze eines der drei Fellerer'schen Wassertürme in das Erdreich. Nach diversen Zubauten und dem Abriss jüngerer Anfügungen ist der Turm nun in die heterogene Struktur einer unverputzten Außenwand, die einmal eine Innenwand war, integriert, ein wenig hilflos in der Wand steckend, auf einem teils abgeräumten, teils bebauten Gelände, das seiner Zukunft harrt. Die glatte Materialität des Metallbogens mit seinen schlanken Lichtröhren kontrastiert mit den rauen Oberflächen der Wände, den nun im Freien liegenden, bröckelnden Böden ehemaliger Innenräume und den unkrautbewachsenen Schotterfeldern der Abrissflächen. Ein Zeichen der Hoffnung, wenn man so will.

Spectrum, Fr., 2018.01.05

04. November 2017Iris Meder
Spectrum

Am Anfang war das Erdbeben: Skopje revisited

Es ist ein unwillkommener Schatz, den die mazedonische Hauptstadt Skopje birgt: ein einzigartiges Ensemble brutalistischer und metabolistischer Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre. Derzeit in einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Es ist ein unwillkommener Schatz, den die mazedonische Hauptstadt Skopje birgt: ein einzigartiges Ensemble brutalistischer und metabolistischer Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre. Derzeit in einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Am Anfang des modernen Skopje stand ein verheerendes Erdbeben, das die über Jahrhunderte osmanisch geprägte Bausubstanz der historischen Stadt im Juli 1963 zu 80 Prozent zerstörte. In weltweiter Solidarität steuerten Staaten aus Ost und West, die das blockfreie Jugoslawien stets besonders umwarben, finanzielle und auch architektonische Unterstützung in Form von Planung und Ausführung öffentlicher Bauten wie Schulen und Museen bei.

Nach der Katastrophe bewies man in Skopje langen Atem und vermied einen schnellen, planlosen Wiederaufbau. 1965 schrieben stattdessen der UN-Sonderfonds, die jugoslawische Regierung, die Union Internationale des Architectes (UIA) und die jugoslawische Architektenvereinigung einen urbanistischen Wettbewerb unter acht geladenen einheimischen und internationalen Teams aus. Zur Disposition stand die Neugestaltung des zerstörten Stadtzentrums auf einer Fläche von circa zweimal zwei Kilometern. Der Jury stand der Zagreber Architekt Ernest Weissmann vor, ein ehemaliger Mitarbeiter Le Corbusiers, der 1932 die linksgerichtete Arbeitsgruppe Zagreb gegründet und sich damit in der ersten Reihe der internationalen Moderne positioniert hatte. Zur Mitarbeit eingeladen wurden unter anderem der italienische Stadtplaner LuigiPiccinato und die Niederländer Van den Broek en Bakema.

Ganz im Sinne der Nachkriegsmoderne begriff man die Zerstörungen als Chance für eine Neukonzeption der Stadt, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehreren Modernisierungs- und Erweiterungswellen unterworfen wurde – zuletzt 1948 mit einem urbanistischen Leitplan des Tschechen Luděk Kubeš, der den Prinzipien der Funktionentrennung nach der „Charta von Athen“ der internationalen Architektenvereinigung CIAM folgte. 1963 begann man indes bereits,die Rigidität der Charta von Athen infrage zu stellen – und das neue Skopje sollte den aktuellsten Ansprüchen genügen.

Gespannt erwartete die internationale Fachwelt die Entstehung einer modellhaften „cité mondiale“, die Lösungen für die aktuelle „urban crisis“ bieten und Wege zur Humanisierung der gebauten Umwelt zeigen sollte. Dass diese Ziele erreicht wurden, lässt sich allerdings nur sehr eingeschränkt behaupten. Das Siegerprojekt des Wettbewerbskam vom japanischen Architekten Kenzo Tange, der sich auf die archaischen Bilder von Stadtmauer und Stadttor berief, freilich in Form von Wohnhochhaus-Zeilen in bombastischem Maßstab einer modernen Metropole, zu der Skopje werden sollte. Tanges nur teilweise umgesetztes Projekt brachte auch die Gedanken des in Japan um 1960 entwickelten architektonischen Metabolismus auf den Balkan, der organische Prinzipien von Wachstum und Stoffwechsel auf Architektur und Stadtplanung übertrug, mit flexiblen, erweiterbaren Großstrukturen und Verkehrssträngen als „Adern“ des Organismus Stadt. Tange entwarf letztlich nur den Bahnhof von Skopje, die Planung der einzelnen Gebäude oblag Architekten und Architektinnen wie den Einheimischen Janko Konstantinov, der bei Alvar Aalto studiert und beim emigrierten Wiener Victor Gruen in Kalifornien gearbeitet hatte und unter dem Eindruck der Katastrophe in sein Heimatland zurückkehrte, und Georgi Konstantinovski, der in Yale abgeschlossen und mit den amerikanischen Architekturgrößen Paul Rudolph und Ieoh Ming Pei zusammengearbeitet hatte. Konstantinovski realisierte in Skopje unter anderem das Stadtarchiv, einenbrutalistischen Turmbau mit gerillten Sichtbetonwänden, und das Studentenheim „Goce Deltchev“, die ebenso zu Ikonen der gegenwärtigen Brutalismus-Renaissance taugen wie Konstantinovs Post- und Telekommunikationsamt, dem die Kuratoren der Ausstellung im Wiener Ringturm (noch zu sehen bis 17. November) kürzlich ein eigenes Buch widmeten.

Ein Spezifikum von Skopjes architektonischem Erbe ist jedoch die Internationalität seiner Planer, die die architektonischen Geschenke ihrer Länder projektierten. So entwarf der Schweizer Alfred Roth, ein enger Mitarbeiter Le Corbusiers, die Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule. Den Wettbewerb für das Museum zeitgenössischerKunst gewann die Warschauer Gruppe der „Tiger“ mit einem erdbebensicher konstruierten Bau in Form eines liegenden Quaders mit zurückspringendem verglastem Erdgeschoß, Skulpturengarten und weißer Marmorverkleidung auf einer Anhöhe über der Stadt. Auf Einladung der Unesco unterstützten Künstler und Künstlerinnen das Museum durch Schenkungen beim Aufbau seiner Sammlung.

Weitere Highlights des modernen Skopje sind etwa das Mazedonische Nationaltheater, das mit seinen schrägen Ebenen die Oper von Oslo vorwegzunehmen scheint, die vom slowenischen Architekten Marko Mušič entworfene Universität St. Kyrill und Method, das Mazedonische Museum, die Messe und das Hydro-Meteorologische Institut. Einige von ihnen finden sich unterdessen in der Brutalismus-Datenbank des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt, das sich der Dokumentation von Bauten des sperrigen Stils der 1960er- und 1970er-Jahre widmet und sie unter dem Motto „Rettet die Betonmonster!“ ab 9. November in einer Ausstellung präsentiert. Auch in der Retrospektive zur jugoslawischen Architektur der Tito-Ära, die das New Yorker MOMA für 2018plant, wird Skopje vertreten sein.

Für einige der Bauten scheint die neue Wertschätzung indes zu spät zu kommen – das 2010 von der damaligen Regierung gestartete milliardenteure Programm „Skopje 2014“ versuchte die Moderne zugunsten Las-Vegas-artiger neoklassizistischer Kitschbauten im Rekordtempo aus dem Erscheinungsbild der Stadt zu löschen. Vielfach wurden Bauten der als „sozialistisch“ diskreditierten Nachkriegsmoderne kurzerhand pseudoklassizistisch „verpackt“. Widerstand aus der Bevölkerung, die großteils mit Monatseinkommen von 300 bis 500 Euro auskommen muss, blieb nicht aus. Mittels medienwirksamer Aktionen wie des „Umarmens“ der doch nicht so verhassten Gebäude konnten weitere Demolierungen verhindert werden.

Die Mitte dieses Jahres gebildete neue sozialdemokratische Regierung versprach den Rückbau der 2014-Projekte. Umgesetzt wurde er nicht, da dies auch Abrisse von Neubauten bedeutet hätte. Auch die jüngste Zeitschicht wird wohl ein Teil von Skopje bleiben.

Spectrum, Sa., 2017.11.04

09. September 2017Iris Meder
Spectrum

Nah am Wasser gebaut

Intelligente Verdichtung bei baupolizeilichen Beschränkungen: zum Neubau eines Kleingarten-Doppelhauses an der Unteren Alten Donau. Bemerkenswert, raffiniert!

Intelligente Verdichtung bei baupolizeilichen Beschränkungen: zum Neubau eines Kleingarten-Doppelhauses an der Unteren Alten Donau. Bemerkenswert, raffiniert!

„Häuser am Wasser“ nennt der Architekt Jürgen Radatz das Doppel-Kleingartenhaus. Oder Kleingarten-Doppelhaus? Egal, „Häuser am Wasser“. Das löst Assoziationen aus: Seezugang mit eigenem Bootssteg? Blick auf adriatische Gestade? Oder Gelseninvasion und Überflutung?

Wasserzugang gibt es natürlich nicht nur in Altaussee, Antibes und Alicante, sondern auch in Wien. In den 1920er- und 1930er-Jahren boomten die Wochenendhauskolonien in Klosterneuburg und Kritzendorf, in denen sich eigene Weekend-Gesellschaften als soziale Biotope mit lockeren Umgangsformen und lässig-sportivem Lifestyle entwickelten. Auch Ansätze, durch Reihenhauszeilen die Kosten zu senken und die Weekendhaus-Zersiedelung der Donauufer einzudämmen, gab es schon damals. Heute ist vom damaligen Weekend-Bewusstsein praktisch nichts mehr da, die hölzernen Weekendhäuser an der Donau erfreuen sich aber bei einer jungen Klientel neuer Beliebtheit, verbunden mit entsprechenden Preisen. Manche Häuser sind auch grobschlächtigen Ausbauten für eine Dauernutzung nicht entgangen.

Auch in Wiener Kleingartenanlagen geht der Trend seit Langem zum legalisierten Dauerwohnen. Vielfach ist hier auf „Gartensiedlung“ gewidmet worden, was maßstabsprengende dreigeschoßige Bauten erlaubt. Bei Kleingarten-Widmungen halten rigidere baupolizeiliche Beschränkungen der Grundflächen und Volumen Auswüchse im Zaum. Für Planer und Planerinnen bedeuten derartige Bauaufgaben einen sorgfältigen Umgang mit der mitunter kniffligen Entwicklungvon Raumprogrammen, was dem Ergebnis, richtig verstanden und umgesetzt, aber nur guttun kann. Gleichzeitig haben Kleingartenanlagen mit ihrer teils öffentlichen Durchwegung und ihrem hohen Anteil an Grün eine nicht zu unterschätzende Bedeutung fürdas städtische Mikroklima und die Qualität urbaner Erholungszonen.

Beim Bau der beiden Häuser an der Alten Donau wurde die geltende Kleingartensiedlungs-Beschränkung auf maximal zwei oberirdische Geschoße – je 50 Quadratmeter Fläche – als positive Herausforderung begriffen. Gewünscht war dabei durchaus die Qualität von Einfamilienhäusern mit Garten, allerdings in reflektierter Weise: Auf den beiden je 200 Quadratmeter großen Kleingarten-Parzellen sollte mit Bauland sparsam umgegangen und der obligatorische Abstand der Gebäude zur Grundstücksgrenze nicht für Alibi-Grünstreifen verschwendet, sondern für größere, qualitätvollere Freiräume genutzt werden. Die Entscheidung für eine verdichtete Bauweise mit einem Doppelhaus anstelle zweier frei stehender Häuser lag daher auf der Hand. Eine 90-Grad-Abwinkelung ermöglichte dabei die Ausbildung von geschützten Gartenhöfen für beide Einheiten. Sichtschutz zum belebten öffentlichen Fuß- und Radweg bieten efeubewachsene Grünwände. Bäume und Weinstöcke, die denHolzbau sukzessive weiter in die Vegetation einwachsen lassen, sind gepflanzt, duftenderbodendeckender Thymian ersetzt pflegeintensive Rasenflächen.

Im nördlichen Hausteil nimmt das Erdgeschoß eine vermietete Zweizimmerwohnung ein, das Obergeschoß Büro und Archiv des Auftraggebers, der selbst ein Naheverhältnis zur Architektur hat. Entsprechend eng war die Zusammenarbeit mit dem Architekten, aus der eine bemerkenswerte Lösung für die Bauaufgabe des kleinen suburbanen Einfamilienhauses entstanden ist. Äußerlich gibt sich das in Holzriegelbauweiseerrichtete Doppelhaus unauffällig mit ruhig gruppierten Quadern und einer Fassade in hell lasierter Rot-Zeder, die allmählich ergraut und dabei einen warmen Rotbraunton behält. Geschützte Sitzplätze und Pergolen, deren Sichtbeton-Oberflächen den gleichen Holzbretter-Rhythmus haben wie die Fassade, sichern im Erdgeschoß Privatsphäre, während die Obergeschoße mit großen Fenstern den Ausblick auf Fluss und Stadt ins Haus holen.

Besonders der südliche Hausteil erweist sich in seinem Inneren als raffinierte Schichtung von Raumvolumen auf insgesamt sieben Ebenen, die – kein Zufall, da Auftraggeber und Architekt mit den Qualitäten der Wiener Moderne vertraut sind – als intelligente Umsetzung eines Loos'schen Raumplans im kleinen Maßstab gesehen werden kann: Das oberste Niveau bildet der Arbeitsraum der Bauherrin, von dem sich, halbstöckig versetzt, das Raumkontinuum des als offene Empore ausgebildeten Wohnzimmers und der niedrigen Küche mit luftigem, hohem Essplatz zur Eingangsebene hin staffelt. Das im Tiefparterre liegende Schlafzimmer bleibt im Sommer kühl, verstellbare Metall-Lamellen schützen tagsüber vor Sonne und geben nachts Sicherheit. Weiter in dieErde eingegraben sind die Niveaus der Sanitärräume und eines kleinen Pool-Dampfbad-Bereichs, der über ein Glas-Oberlicht mit Tageslicht versorgt wird.

Während die Häuser äußerlich über den Maßstab der umgebenden Bauten nur unwesentlich hinausgehen, bieten sie in ihrem Inneren jeweils rund 120 Quadratmeter helle Wohnfläche. Zum Raumkonzept gehören neben Schrägdurchblicke ermöglichenden Treppenläufen und offenen Emporenebenenauch Einbaumöbel, die das begrenzte Raumangebot bestmöglich ausnutzen. Für eine angenehme Haptik und ein gutes Klima nicht nur in architektonischer, sondern auch in technischer Hinsicht sorgen Zellulosedämmung, Massivholzdecken, Lehm-Innenputz und eine zentrale Wasser-Wärmepumpe, die über die rötlichen Akazien-Stabparkett-Fußböden heizt und kühlt.

Vom geschützten Wohnbereich aus erweitert sich die Wohnqualität ganz selbstverständlich nicht nur für die Besitzer des Hauses, sondern für die Allgemeinheit auch in den öffentlichen Bereich hinein: Über den Fußweg auf den frei zugänglichen Badesteg und ins laue Naturgewässer gesprungen – morgens im glitzernden Gegenlicht, abends bei spektakulär verfärbtem Himmel über der Wolkenkratzer-Skyline der Großstadt und manchmal mit der akustischen Untermalung einer Frosch-Sinfonie.

Da möchte man wieder einmal Tucholsky zitieren: „Ja, das möchste: / Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, / vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; / mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, / vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – / aber abendszum Kino hast dus nicht weit.“ In der Tat, ein Spaziergang von zehn Minuten entlang der Alten Donau bringt einen zur U-Bahn und den Lichtern der Metropole zurück.

Spectrum, Sa., 2017.09.09



verknüpfte Bauwerke
Häuser am Wasser

12. August 2017Iris Meder
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Wo Luxus Tradition hat

Einst waren es die Architekten der Donaumonarchie, die an der Küste von Opatija bauten, dann folgte ein Bauboom unter Tito. Nach dem Jugoslawienkrieg sollte Qualität an erster Stelle stehen, doch gelang dieser Versuch nicht. Erst heute führt ein neuer Aufschwung die Geschichte von einst fort: Es wird spannend.

Einst waren es die Architekten der Donaumonarchie, die an der Küste von Opatija bauten, dann folgte ein Bauboom unter Tito. Nach dem Jugoslawienkrieg sollte Qualität an erster Stelle stehen, doch gelang dieser Versuch nicht. Erst heute führt ein neuer Aufschwung die Geschichte von einst fort: Es wird spannend.

In Regen auf den Semmering. Im Coupé Adolf Loos, über sein Haus am Michaelerplatz, die Angriffe, über Altenberg etc.“ Das waren noch Zeiten, als man, wie hier Arthur Schnitzler, im Zug einen Plausch mit Adolf Loos halten konnte. Dass der Semmering mit seiner ganzen Hotel- und Villenarchitektur ein rein auf Profit ausgerichtetes Investorenprojekt der Südbahngesellschaft war und architektonische Klasse zugunsten eines – bestenfalls – gefälligen Mainstreams kaum eine Chance hatte, tat seiner Beliebtheit auch bei versnobten Intellektuellen und Architekten wie Loos keinen Abbruch.

Als Ende 1879 die Steuerbefreiung der Südbahngesellschaft auszulaufen drohte, versprach ihr Direktor Friedrich Julius Schüler bei Verlängerung der Steuerbefreiung den Bau von Kur- und Hotelanlagen zur Attraktivierung der Gegend nach dem Vorbild von Toblach. Villengrundstücke wurden Bauern billig ab- und mit Gewinn verkauft, 1881 entstand das Südbahnhotel. Der von der Arbeitsgemeinschaft Wildhack & Morpurgo mehrmals erweiterte Hotelkasten ist mit seinen Anhäufungen pittoresker Motive ein ziemlich verhauter Komplex. Das Innere des leer stehenden Hotels, das gelegentlich für Theateraufführungen genutzt wird, beeindruckt aber immer noch mit seinen riesigen Sälen und der bis zu den Toilettenbereichen erhaltenen Einrichtung.

Während es bürgerliche Intellektuelle wie Schnitzler ins Südbahnhotel zog, dürfte sich Loos nach der gemeinsamen Zugfahrt eher ins Panhans begeben haben, das Hotel des früheren Südbahn-Restaurantpächters Vinzenz Panhans, von den Architekten Fellner & Helmer 1913 im Stil eines Schweizer Lungensanatoriums auf eine gigantomanische Länge von fast 300 Metern mit 400 Zimmern auf fünf Etagen erweitert.

Schnitzler hingegen blieb gelegentlich auch im Coupé sitzen und gelangte so nach Abbazia, heute Opatija, wo er wie sein Autorenkollege Richard Beer-Hofmann in der Villa Quisisana, dem heutigen Hotel Opatija, Quartier nahm. Wie das Südbahnhotel am Semmering war in Opatija das Quarnero der Brückenkopf der touristischen Entwicklung. Personal und Restaurantpächter kamen teils vom Semmering. Bald entstand ein zweites Südbahn-Hotel, das Kronprinzessin Stephanie (später Moskva, heute Imperial), das 1902 durch den Anbau des „Erzherzog-Ludwig-Viktor-Hallenbades“ attraktiviert wurde. Beide Hotels bauten Wildhack und Morpurgo, deren Bürogemeinschaft sich freilich baldnach der von massiven Kostenüberschreitungen geprägten Erweiterung des Hauses am Semmering auflöste.

Alfred Wildhack realisierte noch einige Villen in Opatija und am Semmering, während sich der aus einer Triestiner jüdischen Familie kommende Robert Morpurgo unter Zurücklassung seiner einer Südbahn-Investoren-Familie entstammenden Frau und eines großen Schuldenberges mit seiner Geliebten nach Amerika absetzte. Platzhirsch im Villenbau von Abbazia war Carl Seidl, ein Schüler Theophil Hansens. In Seidls pittoreskem mediterranem Zuckerguss-Historismus sitzt man auf der Caféterrasse des heutigen Hotels Milenj (Ex-Villa Hasslinger, Hotel Al Mare, Hotel Principe Umberto, Pension Hausner und Hotel Jadran) und in der Villa der Baronin Haas-Teichen, dem heutigen Hotel Ariston, auf dessen Sofas schon die Kennedys und Coco Chanel Platz nahmen. An der Villa entlang führt der vom „Abbazianer Verschönerungsverein“ angelegte zwölf Kilometer lange Lungomare zwischen Lovran im Westen und dem Fischerhafen Volosko, heute ein Agglomerat von Restaurants, im Osten, vorbei an der Villa Angiolina, die ebenfalls der Südbahngesellschaft gehörte und heute das Tourismus-Museum von Opatija beherbergt. Im Park begegnet Besuchern eine Büste des als Wohltäter des Ortes verehrten Südbahn-Developers Friedrich Julius Schüler.

Gegen ein Zuviel an schönbrunnergelber Mehlspeisen-Architektur sind in Opatija auch Kräutlein gewachsen – so steht in einem Palmenhain neben der Villa Quisisana das Erstlingswerk des slowenischen Otto-Wagner-Schülers Max Fabiani, das Kronprinzessin-Stephanie-Kurhaus für k. k. Staatsbeamte, heute Gesundheitszentrum. Sonst hatte die Moderne im frühen 20. Jahrhundert aber am Küstenland nicht mehr Chancen als am Semmering. Der Krieg machte der österreichischen Geschichte Opatijas ohnehin ein Ende. Abbazia wurde italienischund Italien sehr bald faschistisch. Diese Epoche hat im Ort kaum Spuren hinterlassen, anders als die Tito-Zeit, deren augenfälligstes Zeugnis das Hotel Ambasador ist.

Das Hochhaus an der Uferpromenade war ein ambitioniertes Projekt der 1960er-Jahre. Vom Museum moderner Kunst in Rijeka koordiniert, war der Bau des Architekten Zdravko Bregovac ein Gesamtkunstwerk mit Arbeiten der besten jugoslawischen Künstler ihrer Zeit: von Skulpturen von Dušan Džamonja und Wandgemälden von Edo Murtić über ein Grafikkonzept bis zu den Uniformen des Personals war das gesamte Erscheinungsbild durchdesignt. Nach einer durchgreifenden Sanierung ist davon praktisch nichts geblieben. Das Innere ist heute in jenem ubiquitären Hotelstil gehalten, den das Publikum offenbar goutiert. Ein weiterer Bau von Bregovac, das 1967 gebaute schlicht-elegante Hotel Paris, steht hingegen seit Jahren leer. Im benachbarten Ičići baute Bregovac das Ferienhaus von Ivo Robić, das sogar ein Plattencover des Sängers zierte. Robić vermachte das Haus der katholischen Kirche, die es zu einem Gotteshaus umbaute – im blauen Quader an der Hauptstraße wird heute die Messe gelesen.

Im Zeichen des Brutalismus steht das Hotel Adriatic, dessen sägezahnartig versetzte Zimmereinheiten den Blick auf Meer und Inseln inszenieren. Der Architekt Branko Žnidarec realisierte den Erweiterungstrakt mit Konferenzräumen 1970. Teils unsensibel umgebaut, lassen manche Bereiche des Inneren noch die räumliche Großzügigkeit des Entwurfs erkennen, der, Standard im damaligen Jugoslawien, weitläufig mit künstlerischen Arbeiten – hier spacigen Op-Art-Reliefs – ausgestattet wurde.

Nach dem Jugoslawienkrieg versuchte man in Opatija auf Qualität zu setzen. Einige Hotels wurden abgerissen, die Parzellen im Stadtzentrum bislang aber nicht neu bebaut. In manche der Villen und Pensionen zogen Sportwettencasinos. Aber vor wenigen Jahren hat der Architekt Idis Turato zwischen Volosko und Rijeka das Hotel Navis gebaut. Stylish, nicht billig, aber Luxus hat hier ja Tradition. Die Geschichte geht weiter.

Spectrum, Sa., 2017.08.12

10. Juni 2017Iris Meder
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Urlaub in der KPČ-Villa

In den 1950er-Jahren wurden Architekten in Prag aufgrund von „modernistischem Formalismus“ inhaftiert – später mussten sie eine Wochenendsiedlung für die kommunistischen Machthaber am Moldau-Stausee planen. Heute wird dort exklusiv geurlaubt.

In den 1950er-Jahren wurden Architekten in Prag aufgrund von „modernistischem Formalismus“ inhaftiert – später mussten sie eine Wochenendsiedlung für die kommunistischen Machthaber am Moldau-Stausee planen. Heute wird dort exklusiv geurlaubt.

Die Lage: großartig. Ein Nadelwald über der Moldau, unweit des Schwarzenberg-Schlosses Orlik, eine Stunde südlich der Hauptstadt. Segeln, schwimmen,fischen, tagsüber dienstliche Besprechungen, danach gemütlich auf der Terrasse sitzen und bei einem Gläschen mit den Kollegen auf das zwischen den Kiefernstämmen glitzernde Wasser schauen. Alles, was man brauchte, um sich von der anstrengenden Arbeit in Prag zu erholen.

Andere hatten es nicht so gut. Um im berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác zu sitzen, konnten schon Anklagen wie „modernistischer Formalismus“, „architektonischer Kosmopolitismus“ oder „funktionalistische Vergangenheit“ ausreichen – juristisch verbrämt als „Devisenvergehen“ oder „Bereicherung an sozialistischem Eigentum“. Nach NS-Widerstandskämpfern, gefolgt nach Kriegsende von NS-Größen und Kollaborateuren, saßen seit den „Säuberungen“ der Stalinzeit auch sozialistische Intellektuelle in Pankrác ein, darunter mehrere Architekten. Stalins Schatten waren lang: In der Sowjetunion herrschte das „Tauwetter“ Chruschtschows, in Prag drohte, vertrat man seine kulturellen Auffassungen zu offen, mehrjährige Haft.

Die Perversion der kommunistischen Machthaber kannte keine Grenzen. Als man 1959 daran ging, am neu angelegten Moldau-Stausee eine Wochenendhaussiedlung für die Funktionäre der KPČ zu planen, wurden eben jene inhaftierten Architekten zur Planung verpflichtet, die ihre architektonische Überzeugung ins Gefängnis gebracht hatte. Für die Ausführungsplanung zog man inhaftierte Techniker, Handwerker und Bauleiter heran. Praktisch: Die inkognito arbeitenden Planer konnten niemandem von der streng geheimen, auf keiner Karte verzeichneten Siedlung erzählen. Und: Man musste sie nicht bezahlen. Unter der Leitung des Technischen Instituts des Innenministeriums entstand das, was heute in Tschechien als „Knastprojekt“ bekannt ist.

Zur Erschließung des 470 Hektar großen Areals wurden 15 Kilometer neue Straßen und Wege angelegt, durchgehend elektrisch beleuchtet und gesäumt von immergrünen Bäumen, die eine Lokalisierung des Geländes sogar aus der Luft unmöglich machten. Zäune und Schranken riegelten das streng bewachte Areal von der Außenwelt ab. Wer beim Segeln oder Surfen dem Funktionärsufer zu nahe kam, wurde von Polizeibooten umgehend zu „erlaubten“ Gestaden eskortiert. Für die Planung der euphemistisch „Wochenendhütten“ genannten Bungalows hatte die Nomenklatura eindeutige Vorgaben: „Die Wände haben auf jeden Fall lotrecht und gerade zu sein, keinesfalls wie Damenkleider!“, lautete eine eher skurrile.

Mehrfache Planänderungen auf Wunsch der Politbüro-Mitglieder sind dokumentiert. Letztlich entstand jedoch ein singuläres Ensemble dessen, was in Tschechien in Anlehnung an die Brüsseler Weltausstellung von 1958 als „Brüsseler Stil“ bezeichnet wird: Perverserweise stand gerade dieser für die Hoffnung auf eine internationale Öffnung in der Kultur eines Staatssozialismus, dessen Konzept ein „menschliches Antlitz“ (noch) nicht vorsah.

Zentrum der Anlage ist ein Hotelbau mit Außen- und Innenpool, Saunen und Tennisplatz. Die Zimmer – alle mit Fernsehern „Firma Grundig, mit Fernbedienung“, wie man nach der Samtenen Revolution von 1989 erfuhr – dienten auch zur Unterbringung von Mitgliedern der sozialistischen Bruderparteien, die zur Hirsch- und Schwarzwildjagd anreisten. Den Hotelbau plante, wie man heute weiß, Bedřich Rozehnal, Professor an der TH Brünn und international anerkannter Spezialist für Krankenhäuser, den sein funktionalistischer Ansatz und offene Worte zur Organisation der Brünner Universität nach Pankrác gebracht hatten. Auch den locker im umgebenden Wald verstreuten 15 Funktionärsvillen, Sportanlagen und Cafépavillons, meist mit Flachdächern, offenen Grundrissen, großen Fensterwänden und Terrassen, ist der Einfluss des tschechischen Funktionalismus anzusehen, kombiniert mit den stumpfwinkligen Grundrissen und gekurvten Linien Oscar Niemeyers und Le Corbusiers. Kein Wunder: Le Corbusiers ehemaliger Mitarbeiter Jaroslav Vaculík war ebenso unter den Planern.

Das größte Haus entwarfen der Architekt Jiří F. Kaisler und der Statiker František Bäumelt für den damaligen Staatspräsidenten Antonín Novotný. Die Villa mit repräsentativer Empfangshalle, Pool und wellenförmigem Sonnendach liegt in größerer Entfernung auf einem Hügel mit Blick über den Stausee. Sie könnte ohne Weiteres in Lugano stehen oder in Beverly Hills. Gerade diese Villa war es, die nach 1989 durch Vandalismus am meisten beschädigt wurde. Seit 2010 ist sie im Besitz der Familie der früheren Besitzer des Grundstücks, ebenso wie die einstige Villa des Premierministers. „Privateigentum“-Schilder und Schranken halten Unbefugte fern. Einige Villen sind dauerhaft vermietet, etwa die Hälfte ist als Ferienhäuser über das nach wie vor bestehende Hotel zu mieten.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus fiel das Areal an den Staat, der anteilig an der heutigen Betreibergesellschaft beteiligt ist. Der Ruf der Anlage blieb miserabel: In den 1990er-Jahren bewohnten mehrere Mitglieder der tschechischen Mafia und der tschetschenische Terrorist Schamil Bassajew die Bungalows. Innerhalb von zwei Jahren flogen auf dem Gelände zwei Autos in die Luft, wenig später wurde ein lästiger Kronzeuge bestialisch aus dem Weg geräumt und ein seitdem vermisster Geschäftsmann und Polizeispitzel gekidnappt.

Das heutige Spa-Hotel Orlik hat sich von seiner dunklen Vergangenheit befreit. Die vernachlässigten Gebäude wurden umsichtig restauriert und ihr Moderne-Glamour für eine junge Klientel wirkungsvoll inszeniert. Mit Midcentury-Möbelklassikern nach Entwürfen von George Nelson und Charles und Ray Eames sind Hotel und Villen sicher weitaus schicker eingerichtet, als sie es je waren – durchgestylt bis zur passenden Typografie und eleganten Zimmerschlüsselanhängern. Von der Vergangenheit der Anlage erwähnen Website und Infomaterial nichts –ein Lageplan des Gesamtareals wird aber bereitwillig ausgedruckt und auch der Standort der Präsidentenvilla eingezeichnet. Die vor einigen Jahren vielfach publizierten Ruinen der Moderne gibt es hier nicht mehr zu sehen. Aber Nutzung ist ohnehin die beste Denkmalpflege.

Spectrum, Sa., 2017.06.10

25. März 2017Iris Meder
Spectrum

Das glücklose Haus

Über die Höhen und Tiefen gleichermaßen wie über die diversen Häuser im Leben des Schriftstellers Jakob Wassermann – und seines Architekten Oskar Strnad.

Über die Höhen und Tiefen gleichermaßen wie über die diversen Häuser im Leben des Schriftstellers Jakob Wassermann – und seines Architekten Oskar Strnad.

Die Geschichte meinte es nicht allzu gut mit dem Haus, Planern und Bauherren brachte es kein Glück. Dabei hatte alles so schön begonnen. Oder auch wieder nicht. Die Ups und die Downs lagen nahe beieinander im Leben des Schriftstellers Jakob Wassermann. Und auch in dem seines Architekten Oskar Strnad.

Wassermann war 1898 aus München nach Wien gezogen und schnell in den Kreis um Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal integriert. Die Verehrung der jungen, exzentrischen Julie Speyer mündete bald in eine Heirat, die dem mittellosen Dichter ein sorgenfreies Leben durch die stattliche Mitgift der Braut versprach. Es kam anders. Das Geld war nach zehn Jahren aufgebraucht, die Ehe, der vier Kinder entsprangen, schon früher. Im Versuch zu kitten, was nicht zu kitten war, baute das Paar 1914 ein Haus in einem Grinzinger Weinberg. Finanziert wurde es von einem Gönner Wassermanns – besser gesagt von dessen Frau, einer Verehrerin des Autors, die über ihre Mutter, eine geborene Rothschild, immensen Reichtum mit in ihre Ehe gebracht hatte.

Den Architekten vermittelte wohl Hugo von Hofmannsthal, der selbst seine Stadtwohnung von Strnad einrichten ließ. Es wurde ein epochales Haus, viel publiziert und wohl das schönste des Architekten, mit einem lichtdurchfluteten weiß gestrichenen Wohn-Ess-Musik-Raum, einem sonnigen Wohnhof und einer Dachterrasse mit Blick über die Stadt. „Innen praktisch und bizarr und theilweise sehr schön“ fand es Schnitzler, den stolzen Hausherrn „wichtig, düster und mit Schlapfen“. Wenige Wochen nach dem Einzug lernte Wassermann, der Einladungen zum Missfallen seiner Frau allein wahrzunehmen pflegte, bei Egon und Emmy Wellesz, Nachbarn aus der Kaasgraben-Siedlung, Emmys Schulfreundin Marta Karlweis kennen. Wie 16 Jahre zuvor stellte wieder ein Sommer in Altaussee, in dem man sich näherkam, die Weichen für sein Leben.

Während Karlweis' Ehe bald geschieden wurde, erreichte Wassermann erst nach langen Streitereien eine Trennung. Mithilfe zahlloser Anwälte versuchte Julie Wassermann-Speyer daraufhin, ihren Mann finanziell zu ruinieren. Trotz seiner Zahlungen häuften sich Schulden und Hypotheken, sodass ein Großteil des umgebauten und erweiterten Hauses vermietet werden musste. 1934 wurde das Haus versteigert und von der Sängerin Tini Senders und ihrem Mann erworben; es blieb bis vor wenigen Jahren im Besitz der Familie. Jakob Wassermann lebte unterdessen mit Marta Karlweis ständig in Altaussee, durch Unterhaltszahlungen finanziell ausgehungert, als Autor aber erfolgreich, womit der Wunsch nach einem repräsentativen großen Haushalt mit Personal, wie ihn Thomas Mann und Hofmannsthal führten, wuchs.

Schließlich vermittelte Hofmannsthal dem Freund die Jahrhundertwende-Villa des Literaten Leopold von Andrian, die einige Zeit zuvor an den Berater der Kunstsammlerin Helene Kröller-Müller, Salomon van Deventer, verkauft worden war. Wassermanns Selbststilisierung als weltentrückter armer Poet machte sich bezahlt, als er den Kaufpreis auf die Hälfte dessen, was Deventer einst bezahlt hatte, drücken konnte und auch die zweite Hälfte des Hauses in Form eines äußerst günstigen Kredits quasi geschenkt bekam – diesmal war der generöse Geldgeber Paul Goldstein, Generaldirektor der Depositenbank und enger Mitarbeiter des berüchtigten „Finanzhais“ Camillo Castiglioni. Nach dem Konkurs der Depositenbank entzogen sich Castiglioni und Goldstein Haftbefehlen durch die Flucht ins Ausland.

Im Sommer 1923 wurde Wassermanns neues Haus von Paul Schultze-Naumburg umgebaut. Als Reformarchitekt hatte er einst den Deutschen Werkbund mitbegründet. In den 1920er-Jahren radikalisierte er sich jedoch künstlerisch und politisch und machte Hitler, Himmler und Goebbels zu seinen Freunden. Schultze-Naumburg wurde später einer der schlimmsten Hetzer gegen die „entartete“ Moderne in Kunst und Literatur. Der Gegensatz zum humanistischen, progressiven Strnad, der aus einem ähnlichen jüdisch-liberalen Milieu wie Wassermann kam, hätte kaum größer sein können – Wassermann wollte sich wohl auch ästhetisch vom unterdessen als „närrisch“ betrachteten, verhassten Wiener Haus distanzieren. Schultze-Naumburg hatte seinerseits immer wieder jüdische Bauherren – in Ebensee baute er 1909 das Landhaus des Berliner Bankiers und Mäzens Franz von Mendelssohn. Im Hause Wassermann-Karlweis wurde bald ein Sohn geboren, nach Wassermanns Scheidung konnte geheiratet werden. Als einem von wenigen Autoren bot ihm sein Verleger Samuel Fischer das Du an, mit Manns und Hesses urlaubte man öffentlichkeitswirksam in St. Moritz.

Nach der Machtergreifung Hitlers distanzierte sich die neue Verlagsleitung unter Samuel Fischers Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer von Wassermann. Zudem ließ seine erste Frau unter Berufung auf ausstehende Zahlungen Wassermanns Verlagskonto sperren. Wassermann musste fürchten, das Haus zu verlieren. In der Neujahrsnacht 1934 starb er, angeblich nach einer von Fischer abgelehnten Bitte um einen Vorschuss. Marta Karlweis zog noch im Jänner nach Zürich, wo sie bei C. G. Jung ihr unterbrochenes Psychologiestudium fortsetzte. Von Julie Wassermann-Speyer, die in den Besitz des Hauses zu kommen versuchte, wurde sie mit Klagen überzogen. 1938 ebenfalls nach Zürich emigriert, mietete sich Wassermann-Speyer im gleichen Haus wie Karlweis ein, die nach ihrem Studienabschluss nach Kanada floh. Als die Altausseer Villa versteigert wurde, kaufte sie Leopold von Andrian zurück. Er musste sie 1939 wieder verkaufen und emigrierte nach Brasilien. Salomon van Deventer wurde wie Schultze-Naumburg zum begeisterten Nationalsozialisten und setzte sich in der NS-Zeit an die Spitze des Kröller-Müller-Museums.

Oskar Strnads Glück wendete sich schon kurz nach dem Bau des Wassermann-Hauses, als nach einem Rechtsstreit sein Bauherr Josef Kranz, Kriegsspekulant und einflussreicher Freimaurer, ankündigte, dafür zu sorgen, dass der Architekt nie mehr einen Auftrag bekommen werde. Strnad baute tatsächlich nur noch wenig und arbeitete bis zu seinem Tod 1935 hauptsächlich als Bühnenbildner. Das Wiener Haus stand zuletzt längere Zeit zum Verkauf und begann zu verfallen, schließlich wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End.

Spectrum, Sa., 2017.03.25

03. Dezember 2016Iris Meder
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Kleine Budgets als Chance

Dem Procedere nach ähnelt er einem Bachmannpreis der Architektur: der deutsche Erich-Schelling-Preis. Bei der Vergabe sind nicht nur architektonisch, sondern auch gesellschaftlich relevante Planungskonzepte gefragt. Heuer mit Nominierten aus Mexiko und den Niederlanden und einem Sieger aus Belgien.

Dem Procedere nach ähnelt er einem Bachmannpreis der Architektur: der deutsche Erich-Schelling-Preis. Bei der Vergabe sind nicht nur architektonisch, sondern auch gesellschaftlich relevante Planungskonzepte gefragt. Heuer mit Nominierten aus Mexiko und den Niederlanden und einem Sieger aus Belgien.

Zu Anfang war der deutsche Erich-Schelling-Architekturpreis nicht so ganz klar definiert. „Zukunftsweisende Entwurfsideen und Projekte“ sollen prämiert werden, so der eher allgemein gehaltene Zweck der Karlsruher Schelling-Stiftung, die den Preis im Zweijahresrhythmus vergibt. Die erstenPreisträger waren im Jahr der Stiftungsgründung, 1992, die Wiener Coop Himmelb(l)au, gefolgt von Zaha Hadid, diese wiederum von Peter Zumthor.

In den vergangenen Jahren hat man sich allerdings zunehmend auf nicht nur architektonisch, sondern auch sozial und gesellschaftlich relevante Planungskonzepte konzentriert und dem von der Witwe des Architekten Erich Schelling und dem Begründer der Deutschen Architekturmuseums, Heinrich Klotz, initiierten Preis damit ein klareres Profil verliehen. Das Procedere ist dabei etwa das eines Bachmannpreises der Architektur: Drei von einer Jury nominierte Architekten, Architektinnen respektive Büros werden nachKarlsruhe geladen und präsentieren sich nacheinander in öffentlichen Kurzvorträgen. Danach entscheidet die Jury, wer den mit 20.000 Euro dotierten Preis erhält. Mitglied der Jury ist auch der schon zuvor gekürte jeweilige Sieger der Kategorie Theorie.

Dies war heuer der britisch-kanadische Architekturkritiker Doug Saunders, der in den vergangenen Jahren mit seinen Publikationen „Arrival City“ und „Mythos Überfremdung“ bekannt geworden ist. Saunders' Forschungen zu Einwanderungsquartieren westlicher Gesellschaften flossen auch in die Programmierung des deutschen Pavillons aufder diesjährigen Architekturbiennale in Venedig ein. In intelligenter Weise wurden dort die Prämissen für das Funktionieren migrantisch geprägter Quartiere in deutschen Städten thematisiert.

Mit städtischen Infrastrukturen befasst sich auch die für den Preis nominierte junge mexikanische Architektin Rozana Montiel, die dieses Jahr bereits zum vierten Mal auf der Architekturbiennale vertreten war. Sie baut hinreißend schöne Häuser für kleine und größere Budgets, in klarer Formensprache, mit natürlichen Materialien, in präziser architektonischer Formulierung, die ihr bereits einen Platz im aktuellen Architekturdiskurs sichern würden. Um die ging es im Rahmen des Preises aber nicht, sondern um Montiels Eigeninitiativen zu urbanen Interventionen.

Mit Projekten wie „Common-Unity“ in Mexico City unternimmt es Montiel, in sozial schwachen Quartieren die Lebenssituation über die Gestaltung gemeinschaftlicher Freiräume zu verbessern. „Nicht nur für Menschen, sondern mit ihnen“ zu planen nennt sie als ihren Grundsatz, und mittels Recycling Geldmangel als Chance zu nutzen. Im konkreten Fall wurden von Anwohnern zur Erweiterung des beengten Wohnraums errichtete Abtrennungen und Überdachungen im öffentlichen Raum zu gemeinsamen Sonnenschutzdächern umgewandelt und ephemere Strukturen damit zu sinnvoller genutzten permanenten gemacht. Entstanden ist, mit Hilfe der zuerst zögerlichen öffentlichen Verwaltung, ein multifunktionaler Bereich mit Spielplätzen, Bibliothek und nutzungsneutralen Zonen. „DieMenschen engagieren sich, wenn sie einbezogen sind, sie fühlen sich verantwortlich und sind stolz auf das Projekt. So entsteht eine Gemeinschaft über alle Altersgruppen hinweg“, so Montiel.

In anderen Projekten setzt Montiel neue Räume auf bestehende Sozialwohnbauten oder konzipiert öffentliche Nutzungen für leer stehende Lagerhäuser entlang der U-Bahn-Linien von Mexico City, ausgehend von einem Begriff der Stadt als ganzheitlichem sozialem Konstrukt und Netzwerk aus informellen Netzwerken.

Ihr ambitionierter, hochqualitativer sozialer Wohnbau brachte auch den aus Deutschland stammenden, in den Niederlanden arbeitenden André Kempe und Oliver Thill eine Nominierung für den Preis. Der Architektur des Büros, das hierzulande vor einigen Jahren mit dem Franz-Liszt-Konzerthaus im burgenländischen Raiding bekannt wurde, ist die Vorbildwirkung der reduzierten Klassizität der deutschen Architekturikonen Friedrich Schinkel und Ludwig Mies van der Rohe anzumerken, ihre unaufgeregte, ruhige, nicht auf Effekte bedachte analytische Herangehensweise ist wohltuend im allgemeinen Konzert architektonischen Selbstmarketings.

Gewonnen hat den Preis schließlich, nach einer knappen Juryentscheidung, nicht Rozana Montiel, die die klare Favoritin vor allem der zahlreich anwesenden Studierenden war, sondern das dritte nominierte Büro, de Vylder Vinck Taillieu. Wie Montiel begreifen auch Inge Vinck, Jan De Vylder und Jo Taillieu kleine Budgets als Chance. Die eher im privaten Sektor angesiedelten Projekte des Genter Büros umfassen auch unfertige, halb abgerissene oder ruinöse Räume, die stehen bleiben und mit minimalen Interventionen nutzbar gemacht werden.

Sehr wienerisch mutet der Ansatz des Büros an, mit den Gegebenheiten des Projekts zu interagieren und dabei auch Veränderungen und Probleme jeder Art in den dynamischen Planungsprozess einzubeziehen. So wurden bei einem Projekt in Gent, bei dem im Betonguss jede Menge Dinge katastrophal falsch liefen, die Schadstellen kurzerhand knallrot markiert – was heute wie ein Kunstprojekt wirken mag, aber keineswegs als Methode verstanden werden soll: „Wenn sich unvorhersehbare Situationen ergeben, geht es nicht darum, sie zu lösen, sondern sie als Gelegenheit zu begreifen und die Problemstellung zu verändern. Der Moment und die konkrete Situation zählen. Die Arbeit der Architekten ist mit dem Entwurf keineswegs erledigt“, so die Architekten. „Ein Projekt beginnt in dem Moment, in dem es sich die Bewohner aneignen und es verändern.“ Nicht verwunderlich: Das Dreierteam schätzt die Arbeit des Wieners Hermann Czech sehr. Und auch den ähnlich formulierten Ansatz eines weiteren Wieners: Josef Frank.

Spectrum, Sa., 2016.12.03

12. November 2016Iris Meder
Spectrum

Haus ohne Trubel

Eine neue Schicht Gegenwart kann Unternalb im Retzer Land gut brauchen: In einem ehemaligen Gutshof werden Gästezimmer für den Urlaub am Biobauernhof geboten. Der Umbau erfolgte in Kooperation von Caritas-Klienten und Studenten der TU Wien.

Eine neue Schicht Gegenwart kann Unternalb im Retzer Land gut brauchen: In einem ehemaligen Gutshof werden Gästezimmer für den Urlaub am Biobauernhof geboten. Der Umbau erfolgte in Kooperation von Caritas-Klienten und Studenten der TU Wien.

Wer hierherkommt, sucht keinen Trubel. Schon gar nicht, wer ohne Auto kommt. Der Zug nach Retz fährt an Unternalb vorbei, hält aber mangels Bahnhof nicht an. Also wieder zwei Kilometer zurückspazieren, will man nicht drei Stunden auf den Bus warten. Auf dem Weg durch den leer gefegten Ort entfaltet sich im milden Nachmittagslicht allmählich der diskrete Charme des Weinviertels: archaisch wirkende Streuobstwiesen, von kleinen Bächlein durchflossen, teils umsichtig, teils brachial hergerichtete Zwerchhöfe, große alte Scheunen mit hohen Walmdächern, dazwischen ein dicker, stumpfer Kirchturm.

Das spätbarocke Anwesen rund um die Kirche öffnet sich Besuchern in einem großen Einfahrtshof, in der Mitte ein mächtiger alter Baum. Ein weiterer Hof liegt dahinter, dann noch einer, Heuschober, Ställe, Tiere, schließlich blickt man hinter einem offenen Tor auf eine bukolische Landschaft mit Teich, Obstbaumalleen, Hühnern, Kuh- und Schafweiden.

Drei große kirchliche Gutshöfe prägten einst den kleinen Ort: einer der Retzer Dominikaner, einer der evangelischen Kirche und dieser, der bis 1984 dem Stift Göttweig gehörte. Dann wurde er an die Caritas verkauft, die ihn als Biobauernhof mit Menschen mit Behinderungen betreibt – zurzeit insgesamt 95 Personen, von denen etwa ein Drittel auf dem Anwesen lebt. Ein Seitentrakt nimmt die Gästezimmer auf, die das Ziel der Reise sind. Als vor drei Jahren der Priester auszog, weil die Pfarre des auch infrastrukturell ausgedünnten Ortes der von Retz angegliedert wurde, entwickelte man bei einer Mitarbeiterkonferenz gemeinsam mit den Caritas-Klienten vor Ort die Idee, in den frei werdenden Räumen Gastzimmer für Urlaub am Bauernhof anzubieten.

Nun kam das von Peter Fattinger an der TU Wien geleitete Studio Design-Build ins Spiel: Studierende entwickeln hier seit 2000 gemeinsam temporäre und permanente Bauvorhaben von der Konzeption über die Planung bis zur Realisierung, mit Unterstützung von Fachbetrieben vor Ort. Mit der Caritas gab es schon bei drei Projekten eine erfolgreiche Zusammenarbeit: 2001 mit der Tmp?Homebase, einer temporären Einrichtung für Asylsuchende auf dem Flughafen Schwechat, 2007 mit einer Waisenheim-Erweiterung auf der indonesischen Insel Nias und 2013 mit der „YoungCaritas“, einem Kompetenzzentrum für sozial engagierte Jugendliche in einem Wiener Gürtelbogen. Alles nicht nur ethisch und sozial sinnvolle Projekte, sondern auch architektonisch mit ihrer äußerst fruchtbaren Mischung aus unvoreingenommener Herangehensweise, studentischer Verve, pragmatischer Lösungsorientiertheit und Liebe zum gemeinsamen Arbeiten überzeugend – Funktionalität und gestalterische Qualität ergänzen einander, wie man es gern häufiger sehen würde.

25 Studierende, davon etwa zwei Drittel Frauen, arbeiteten ein Semester lang am Entwurf; im März 2015 war Baubeginn. Ein Jahr dauerten die Arbeiten, deren professionelle Abwicklung in Zusammenarbeit mit Fachbetrieben vor Ort erfolgte. Neben lokalen Professionisten waren auch die neun Caritas-Werkstätten des Bauernhofs involviert. Mit konkreten Aufgaben betraut, blühten manche der behinderten Menschen während der Bauarbeiten geradezu auf.

Allzu experimentell durfte der Planungsansatz freilich nicht sein: Alle Baumaßnahmen mussten nicht nur die Anforderungen der Caritas erfüllen, etwa was die Bewirtschaftung durch die in Küche, Service und Reinigung tätigen Menschen mit Behinderung betraf, sondern auch in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt erfolgen. So wurde für die gewünschte Barrierefreiheit hofseitig ein dezenter Fahrstuhl angebaut. Insgesamt 75 Planungs- und Baubesprechungen mit Studierenden und Caritas waren erforderlich, bis alles feststand.

Wie sollte man beispielsweise mit den riesigen Raumhöhen der Pfarrerwohnung umgehen? Die historische Bausubstanz wurde nicht angetastet, die niedrigeren Sanitärblöcke separat so in die Zimmer gestellt, dass ihre Decken als begehbare Emporen dienen. Neben dem Gemeinschaftsaufenthaltsbereich mit mehreren Sitzebenen, der in den mit alten Kelheimer Platten belegten Gang eingebaut wurde, bietet diese Empore im „Prunkzimmer“ ein spezielles Raumerlebnis: Aus nächster Nähe kann man hier die barocken Deckenmalereien bewundern. Alle neuen Einbauten wurden konsequent zeitgenössisch gestaltet und auch in ihrer Materialität – helles Birkensperrholz mit weiß pigmentierter Imprägnierung – von der historischen Substanz abgehoben. Mit intelligent eingesetzten Mitteln wurde eine Ästhetik erreicht, die Kargheit mit warmen Materialien und Beleuchtungssituationen verbindet. Dabei zieht sich das ebenfalls von den Studierenden entwickelte Farbkonzept durchalle Räume – mit dem erstaunlichen Effekt, dass die vom Caritas-Lager stammenden, an sich völlig banalen unterschiedlichen Sitzgelegenheiten durch die gemeinsame matt-olivgrüne Lackierung eine äußerst charmanteEinheitlichkeit erhalten.

Darüber reflektiert es sich am besten im erdgeschoßigen Frühstücksraum – die Gäste sitzen hier bei lokalen Bioprodukten unter der gewölbten Decke an einem gemeinsamen Tisch aus hellrötlicher österreichischer Douglasie, die auch die Böden der Gastzimmer bildet. Durch Entfernen einzelner Wandteile entstand ein großzügiger Wohnküchenbereich mit einer vor Ort gegossenen langen Betonspüle und mit Ausgang zum Hof, wo ein Salettl und eine Feuerstelle neu angelegt wurden.

Das historische Ambiente ist am Ort ebenso selbstverständlich präsent wie die gestaltete Gegenwart – in dieses Konzept passen auch die Fotoarbeiten von Markus Fattinger, die man im ganzen Haus findet: Sie zeigen Details jener in Resten vorhandenen gemalten Wand- und Deckenornamente, die nicht freigelegt wurden und nun unter dem weißen Putz liegen.

Eine neue Schicht Gegenwart kann Unternalb gut brauchen. Im Ort gibt es kein Geschäft mehr, der (hervorragende und gut besuchte) Heurige ist seit vergangenem Jahr der einzige. Junge Familien sind die Zielgruppe des „OBENauf“ genannten Caritas Bed and Breakfast, bei dem man in der Landwirtschaft, etwa beim Tierfüttern, mithelfen kann, zudem Radurlauber und Weinliebhaber, die die zahlreichen Veranstaltungen in der Retzer Gegend besuchen. Auch die Infrastruktur für kleine Seminare ist da. Wer hierherkommt, findet keinen Trubel, aber die Gemeinschaft sozialen Miteinanders, die Wärme eines historischen Bauernhofs, den sinnlichen Genuss lokaler Kulinarik und nicht zuletzt die Qualität zeitgenössischer Architektur.

Spectrum, Sa., 2016.11.12

01. Oktober 2016Iris Meder
Spectrum

Happy End für ein Haus

Im Jahr 1938 beauftragte der Unternehmer Josef Volman in Čelákovice östlich von Prag zwei junge Architekten mit dem Bau seiner Villa. Aufgrund der Kriegswirren und der Emigration der Familie stand die Villa viele Jahre leer, dem Verfall preisgegeben – bis eine neue Eigentümergesellschaft die Instandsetzung anordnete.

Im Jahr 1938 beauftragte der Unternehmer Josef Volman in Čelákovice östlich von Prag zwei junge Architekten mit dem Bau seiner Villa. Aufgrund der Kriegswirren und der Emigration der Familie stand die Villa viele Jahre leer, dem Verfall preisgegeben – bis eine neue Eigentümergesellschaft die Instandsetzung anordnete.

Es war ein ungewöhnlicher Auftrag für die jungen Architekten. Karel Janů und Jiří Štursa waren beide erst 28 Jahre alt, als der Unternehmer Josef Volman sie im Jahr 1938 mit dem Bau seiner Villa betraute. Der 1883 geborene Volman hatte in den USA studiert und, nach Böhmen zurückgekehrt, in der Kleinstadt Čelákovice östlich von Prag eine Werkzeugmaschinenfabrik gegründet.

Bei seinem eigenen Wohnsitz, der gleichzeitig der Repräsentation der schnell wachsenden Firma dienen sollte, sparte Volman nicht. Unweit der Fabrik und der Angestelltensiedlungen sollte die Villa in einem parkartigen Gelände mit Ausblick auf die nahen Auen der Elbe stehen. Konsequent modern musste das Anwesen sein und so auch den technologischen Anspruch der Firma vermitteln. Der Auftrag ging an zwei No-Names, die dem radikal linken Prager Kreis um den Kritiker und Publizisten Karel Teige angehörten und bislang allenfalls durch die Gründung einer marxistischen Architektengruppe aufgefallen waren. Als Chefideologe des linken Funktionalismus propagierte Teige einen rationalistischen, tayloristischen Zugang zu Fragen der Architektur. Luxuriöse Privatbauten wie Ludwig Mies van der Rohes wenige Jahre zuvor entstandene Brünner VillaTugendhat wurden vehement abgelehnt und stattdessen Kollektivhäuser nach sowjetischem Vorbild propagiert.

Volman dürfte sich von der Zusammenarbeit mit den Frischlingen die Möglichkeit zur Mitbestimmung erhofft haben. Dabei „störte es Volman nicht weiter, dass wir Linke waren“, wie sich Štursa später erinnerte – „vielleicht weil er seine Maschinen an die Sowjetunion lieferte“. Unter dem Einfluss des von Teige verehrten André Breton und des französischen Surrealismus hatte sich das Interesse der Prager linken Intellektuellen unterdessen auf die psychoanalytischen Aspekte von Architektur verlagert, der Einfluss des zuvor als bourgeois abgelehnten Le Corbusier gewann an Bedeutung.

Mit einem jovialen „Meine Herren, zeichnen Sie mal was, dann sehen wir weiter“ begann die Planung. Eine asketische Architektursprache in Kombination mit psychologischbegründetem freiem Formenvokabular ermöglichte Janů und Štursa einen nicht mehr strikt rationalen, sondern geradezu lyrischen Zugang. Dabei hatten die Architekten immer wieder Schwierigkeiten, das Budget von einer Million Kronen auszuschöpfen. So planten sie zahlreiche Extras wie ein nierenförmiges Solarium auf der obersten Dachterrasse und eine kapriziös vor das Haus in den Park gestellte Terrasse.

Besucher näherten sich dem mit Travertinplatten verkleideten dreistöckigen Stahlbetonskelettbau über einen breiten Bruchsteinweg vom Pförtnerhaus. Das Automobil konnte in einer überdachten Vorfahrt hinter einer geschwungenen Steinmauer geparkt werden, trockenen Fußes betrat man die Garderobe hinter einer hochmodernen gerundeten Glasbausteinwand. Vom offenen Wohnbereich des Erdgeschoßes führte eine Treppe mit gelochter Holzbrüstung zu den Privaträumen des verwitweten Volman und seiner Adoptivtochter. Das Dachgeschoß mit seinen großen Terrassen diente dem Billard- und Kartenspiel des Hausherrn und seiner Freunde. Štursa erinnerte sich, wie der glückliche Volman mit dem Haus „vor seinen ausländischen Gästen angegeben und Karel und mich in seinem Zwölfzylinder-Buick mit Chauffeur herumkutschiert“ habe. Für die Rezeption des zweitteuersten Privathauses der Tschechoslowakei war das Timing denkbar schlecht: Erst nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht wurde es im Jahr 1939 fertiggestellt. Die Fachpresse konnte das Haus nicht mehr besprechen. Volman, zur Zusammenarbeit mit den Besatzern gezwungen, unterstützte den Widerstand und versteckte Archiv und Bibliothek des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomáš G. Masaryk auf dem Firmengelände.

Nach Volmans Tod im Jahr 1943 wurde die Fabrik bis zur Verstaatlichung von seinem Schwiegersohn geleitet. Der Zwangsarbeit in den Uranbergwerken von Jáchymov entkommen, emigrierte er mit seiner Familie nach Frankreich. Das als Kindergarten genutzte Haus, seit 1979 denkmalgeschützt, wurde nach der Samtenen Revolution der Eigentümerfamilie restituiert und anschließend verkauft. Es folgten Leerstand und Vandalismus, das Skelett der ruinösen Villa war lange Jahre ein von Fachwelt und Laien angeprangertes Memento eines nicht gewürdigten architektonischen Erbes.

Schließlich gab es für das Haus doch noch ein Happy End. Eine neue Eigentümergesellschaft beauftragte das Büro des Prager Architekten Marek Tichý mit der Instandsetzung und Restaurierung der Villa. In mühevoller Kleinarbeit wurden die eigenwillig pastellfarbigen ursprünglichen Wandanstriche analysiert und rekonstruiert, die zerschlagenen Marmorvertäfelungen der mit rosa, hellblau und hellgrünen Wannen ausgestatteten Badezimmer wieder zusammengesetzt, die leeren Fensterhöhlen mit Glasscheiben gefüllt. Der Preis für die großzügige Restaurierung der Villa war der Neubau mehrerer privater Wohnhäuser im immer noch riesigen Park.

Für Marek Tichý ist die nunmehr 15-jährige Beschäftigung mit dem Haus zu einem Teil seines Architektenlebens geworden. Als er den Auftrag erhielt, war er im selben Alter wie seinerzeit Karel Janů und Jiří Štursa. Unterdessen unterrichtet er überdies am selben Institut der Prager Technischen Hochschule wie früher die beiden Architekten. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass Jiří Štursa, der 1937 mit dem Bildhauer Otakar Švec ein Denkmal für Präsident Masaryk am Prager Letná-Hügel entworfen hatte, zwölf Jahre später, unter politischem Druck zur Teilnahme gezwungen, den Wettbewerb für ein Stalin-Denkmal am selben Standort gewann. Štursa und Janů starben im Abstand von fünf Tagen im Februar 1995. Die beiden Enkel Josef Volmans kommen manchmal auf Besuch nach Čelákovice. Die Restaurierung der Villa, so Marek Tichý, macht sie sehr glücklich.

Spectrum, Sa., 2016.10.01

13. August 2016Iris Meder
Spectrum

Frisch im Sommer

Als Sport, Körperkultur und Sonnenbräune um 1900 an Bedeutung gewannen, entstanden in Österreich die ersten Frei- und Seebäder. Einige überlebten den Konkurrenzkampf, andere sind heute Ruinen. Ein Ausflug in die Welten des Wassers.

Als Sport, Körperkultur und Sonnenbräune um 1900 an Bedeutung gewannen, entstanden in Österreich die ersten Frei- und Seebäder. Einige überlebten den Konkurrenzkampf, andere sind heute Ruinen. Ein Ausflug in die Welten des Wassers.

Nicht ohne ein Geschrei, nicht ohne ein wildes, teils von der Kühlung, teils von dem Behagen aufgeregtes Lustjauchzen“ warf sich einst Johann Wolfgang Goethe in die Fluten der Ilm. In Österreich dauerte es bis zum wirklichen Durchbruch des Sommerziels Freibad aber noch ein wenig länger. Schwimmen lernte man ab dem frühen 19. Jahrhundert nach der Methode von Ernst von Pfuel, preußischer Ministerpräsident und Freund Heinrich von Kleists: die Bewegungen des Frosches nachahmend – noch heute als Brustschwimmen praktiziert – und dabei an einer vom Schwimmlehrer gehaltenen angelartigen Rute hängend. Die von Pfuel entwickelten Militärschwimmschulen waren auch für Zivilisten zugänglich – darunter das als einzige Pfuel'sche Schwimmschule noch heute genutzte Seebad „Mili“ in Bregenz.

In Baden bei Wien entwarfen die Architekten der Wiener Oper, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, 1848 die beiden Freibecken der Mineralschwimmschule, die der Konkurrenz des unter Moritz II. Graf von Fries ausgebauten nahen BadVöslau Paroli bieten sollten. Die Reste des Bades gingen in den 1990er-Jahren in der heutigen „Römertherme“ auf. Mit der Wandlung medizinischer Standards gewannen Sport, Körperkultur und Sonnenbräune auch für Sommerfrischler an Bedeutung. An Donau, Ybbs, Kamp und Thaya boten hölzerne Flussbäder sommerliche Kühlung – sofern nicht die Abwässer des gnadenlosen Industriezeitalters ErfrischungSuchenden das Baden vergällten. Freischwimmbecken waren – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Verschmutzung vieler Flüsse – eine wichtige Alternative. Schon 1882 konnte die eigens gegründete „Badegesellschaft“ das Freibad in Payerbach – mit angrenzendem „Badegarten“ und bald auch einem Tennisplatz – eröffnen. Übertrumpft wurden die Payerbacher erst 1911, als das benachbarte Reichenau mit dem ersten geheizten Freibad der Monarchie konterte. Beide Bäder bestehen in veränderter Form noch immer.

Nach 1918 brachte das Wegbrechen weiter Teile ihres Publikums Österreichs Kurorten neue Herausforderungen. In Baden begegnete man ihnen 1926 mit dem Bau eines großzügigen Strandbades nach Entwürfen des lokalen Architekten Alois Bohn. Foyer und Umkleiden wurden mit Art-déco-Bleiglasfenstern aus den Werkstätten Geyling aufwendig ausgestattet. Der weiträumige Freibereich des Bades im Helenental konnte sich nicht nur mehrerer großer Thermalfreibecken, sondern auch des mit mehr als 3.700 Quadratmeter größten Sandstrandes Österreichs rühmen. Sand und Palmen evozieren bis heute die Sehnsuchtsstimmung einer mondänen Sommerfrische an der Riviera.

Im konkurrierenden Bad Vöslau konnte man Baden gegenüber mit dem von keinem Geringeren als dem Ringstraßenarchitekten Theophil Hansen zwischen 1863 und 1873 gebauten Mineralbad punkten. Nach dem Ersten Weltkrieg demolierte man die nun aus der Mode gekommene Anlage, in der Größen wie Arthur Schnitzler schwimmen gelernt hatten. Allzu modern wollte man es allerdings auch nicht haben. Den bis heute bestehenden neobarocken Komplex mit der markant geschwungenen Eingangskolonnade realisierte 1925/26 der ortsansässige Architekt Wilhelm Luksch. Durch die Eröffnung des Badener Strandbades in derselben Saison untermassiven Erfolgsdruck gesetzt, beauftragte man den Vöslauer Baumeister Louis Breyer zusätzlich mit einer umfangreichenNeugestaltung des oberen Teils des Bades als „Thermal-Parkstrandbad“, in das der angrenzende Marienpark integriert wurde. Noch heute schwimmt man je nach Plaisir im von schönbrunnergelben Kabinenflügeln gesäumten geheizten „blauen Becken“ im vorderen Teil des Bades, an das sich die den Geländesprung ausnutzenden „Schwedenduschen“ unter einer überlebensgroßen Frauenstatue anschließen, oder mit hartgesottenen Stammgästen im rückwärtigen Teil unter Platanen im kalten „grünen Becken“, dem Quellteich des Vöslauer Mineralwassers. Hangaufwärts verstecken sich zwischen den hohen Kiefern des Parks weitere kleinere Becken, Tennisplätze und die Milchbar. Der schon bei seiner Erbauung nicht gerade avantgardistische Charme des Bades trägt heute nicht wenig zur Beliebtheit des aus der Zeit gefallenen Ortes bei.

Auch das unweit gelegene, kleinere Bad Fischau-Brunn konnte da nicht zurückstehen: Gleichzeitig mit Baden und Vöslau baute der Ort sein zwischen 1872 und 1899 entstandenes Mineralschwimmbad mit zwei ovalen Quellteichen mit Kiesboden als kleinere Version von Vöslau aus. Die noch heute bestehenden gelb-grün gestrichenen Holzkabinen plante der Architekt Hans Goldschmied. Nicht lumpen lassen wollte man sich angesichts der neu ausgebauten Bäder der Gegend auch am Fuße der Rax. Im Kurort Edlach legte man im Sommer 1928 ein geheiztes Strandbad mit Holzkabinen des Klosterneuburger FertighausproduzentenKawafag, Strandkörben und echtem importiertem Adriasand aus Grado an. Dem liebevoll gepflegten Bad ähnelt auch die in maritimem Blau-Weiß gestrichene Holzkonstruktion des 1929 eröffneten Schwimm-, Luft- und Sonnenbades im nahen nordburgenländischen Bad Sauerbrunn.

Was dem müßigen Kurgast recht war, sollte ebenso dem Werktätigen frommen: Auch das Rote Wien baute in diesen Jahren moderne Freibäder, etwa das Kongressbad. Mit seinem innovativ mittels Nachtstrom erwärmten und mit einer Flutlichtanlage beleuchteten 100-Meter-Becken und einemZehn-Meter-Sprungturm war das Kongressbad Schauplatz der Ausscheidungskämpfe zur Arbeiterolympiade von 1931. Unter dem starken Eindruck des Roten Wien entstand in Mödling 1927/28 nach Entwürfen des ortsansässigen Architekten Hermann Tamussino das städtische Frei- und Hallenbad. Per Autobus direkt von Wien erreichbar, musste sich das Bad mit seinem ambitionierten Programm mit Modeschauen und Schwimmrevuen auch gegen die Konkurrenz des Badener Strandbades behaupten.

Im ganzen Land ging es nun mit den neuen Seebädern in Mattsee, Gmunden, Klagenfurt, Velden, Faak und Millstatt Schlag auf Schlag. 1931 bis 1933 zogen die Semmering-Grandhotels nach: das Panhans mit dem „Alpenstrandbad“ mit Liegewiese und seitlich öffenbarer Glaswand, das Südbahnhotel mit einem kleineren, aber mit orange lackierten Stahlrohrstühlen und Art-déco-Lüstern weit luxuriöseren Frei- und Hallenbad nach Entwürfen der Otto-Wagner-Schüler Emil Hoppe und Otto Schönthal. Beide Bäder sind heute nur noch Ruinen. Die Mineral-Freibäder in Baden, Vöslau und Fischau und ihre Geschwister hingegen sind geliebte Orte der ultimativen Entschleunigung geblieben, in denen zum „Erlebnis“ nicht mehr als das Glitzern der Sonne im Becken, die Kiesel unter den Füßen und vielleicht ein paar badende Enten notwendig sind.

Spectrum, Sa., 2016.08.13

25. Juni 2016Iris Meder
Spectrum

Auf der Rolltreppe zur Antike

Vor 20 Jahren wurde vor der kroatischen Insel Lošinj eine der besterhaltenen Bronzestatuen des griechischen Altertums entdeckt. Jetzt hat man ihr ein eigenes Museum errichtet. Ein Lokalaugenschein in der Inselhauptstadt, Mali Lošinj.

Vor 20 Jahren wurde vor der kroatischen Insel Lošinj eine der besterhaltenen Bronzestatuen des griechischen Altertums entdeckt. Jetzt hat man ihr ein eigenes Museum errichtet. Ein Lokalaugenschein in der Inselhauptstadt, Mali Lošinj.

Der Fund, den ein belgischer Tourist 1996 beim Tauchen vor der kroatischen Insel Lošinj machte, entpuppte sich nur wenig später als Sensation: In 45 Meter Tiefe lag eine der besterhaltenen griechischen Bronzestatuen, einen überlebensgroßen Athleten darstellend, der nach dem Kampf Öl, Sand und Schweiß mit einem Schaber von seinem Körper entfernt. Der ursprünglich aus sieben Einzelteilen zusammengesetzte Jüngling mit dem leicht melancholischen Gesichtsausdruck war, noch unbenutzt, im zweiten Jahrhundert vor Christus auf einem römischen Schiff zu seinem Aufstellungsort an der oberen Adria unterwegs, den er, wohl bei einem Sturm von Bord gefallen oder geworfen, nie erreichte. Zwischen zwei Felsen waagrecht stecken geblieben, sank er nicht weiter; Fotos vom Fundort zeigen das deutlich erkennbare, nach oben gewandte Gesicht.

Die Statue, die einer 1896 entdeckten im Wiener Ephesos-Museum ähnelt, aber weitaus besser erhalten und sogar noch im Besitz ihres originalen Sockels ist, dürfte die antike Kopie eines im Umkreis des Bildhauers Lysipp im vierten Jahrhundert vor Christus hergestellten Modells sein. Für die Datierung wurden neben chemischen Analysen des Materials im Inneren der Statue gefundene Samenkörner ebenso herangezogen wie der zeittypisch modische Schnitt der kurzen Locken, durch die sich der Athlet noch kurz vor dem vom Bildhauer festgehaltenen Moment des Abstreifens des Reinigungswerkzeugs mit der Hand gefahren zu sein scheint.

Zuerst in situ untersucht, dann geborgen, entsalzt, dokumentiert, durchleuchtet, stabilisiert, sieben Jahre lang akribisch restauriert und auf Welttournee geschickt, hat der kroatische Schaber (Apoxyomenos) nun seinen ersten Aufstellungsort in einem eigenen Museum in der Inselhauptstadt Mali Lošinj gefunden. Angewandt wurde für das jeweils zur Hälfte der Gemeinde und dem kroatischen Staat unterstehende Museum ein Gesetz, nach dem Antiken an ihrem Auffindungsort verbleiben sollen. Als Standort wählte man den zuletzt als Tanzsaal genutzten Kvarner-Palast an der Hafenpromenade des Städtchens. Aus einem Wettbewerb ging als Sieger ein Projekt des in Rijeka ansässigen Büros der Architekten Saša Randić und Idis Turato hervor.

Der Aufgabe, ein Museum für ein einziges Exponat zu inszenieren, das wissenschaftliche Ansprüche erfüllt, andererseits aber de facto hauptsächlich von Sommerurlaubern besucht wird, begegnete man mit einem speziellen Konzept: Ein Museumsbesuch ist innerhalb der Öffnungszeiten nur nach Voranmeldung mit einer Führung in Gruppen von maximal 20 Personen möglich, die, angetan mit Einweg-Überziehschlappen, eine szenografierte Sinnenwelt durchwandern. Das kann man populistisch finden – das oberflächliche touristische Abhaken lokaler Museen an Schlechtwettertagen dürfte aber jedenfalls zugunsten einer soliden und dennoch kurzweiligen Vermittlung der Faszination archäologischer Arbeit und antiker Kultur überhaupt vermieden werden.

In die historische Struktur des Gebäudes, dessen Inneres nicht erhalten werden musste, wurde von oben eine neue, abgehängte Stahlkonstruktion gesetzt, ähnlich wie auch die Statue selbst in ihrem Inneren durch eine metallene Stützkonstruktion stabilisiert wurde. Hinter dem Eingang von der sonnenübergossenen Promenade sehen sich Besucher in einen Raum mit ultramarinblauen Wänden mit schwammartiger Putzstruktur gespült, mit einer hängenden Decke aus in der lokalen Werft geschweißtem weißem Blech, die an einen Schiffsbauch denken lässt. Alles klar, hier sollen wir uns auf dem Meeresgrund befinden. Desgleichen im nächsten Raum, zugänglich über die einzige Rolltreppe der Insel, der auffallend heruntergekühlt und allseitig mit schwarzem Noppenkautschuk ausgeschlagen ist. Er enthält eine ausführliche Dokumentation des Statuenfundes in viersprachig beschrifteten Leuchtkästen. Optisch, olfaktorisch und – übertriebenerweise – über Soundcollagen auch akustisch unterschiedene Räume schließen sich an: Auf einen zur Gänze mit geknüpften wollenen Wasserpflanzen-Gobelins ausgeschlagenen Kinoraum (daher die Patschen!), in dem ein Video zur Bergung und Restaurierung des Objekts gezeigt wird, folgt eine Zone mit Olivenholzverkleidung. In diesem Bereich ist ein erstes Original-Exponat zu sehen: ein Mäusenest, das im linken Bein des kroatischen Apoxyomenos gefunden wurde, nebst den Essensvorräten der ansässigen antiken Mäusefamilie, die im anderen Bein gelagert waren. Museumspädagogen hätten sich diesen Umstand nicht besser ausdenken können.

An mehreren Stellen sind auch überraschende Schrägdurchblicke, quasi aus der Mäuseperspektive, nach oben zur Statue möglich, die schließlich in einem mit durchscheinendem weißem Stoff und hinterleuchtetem Glasboden ausgestatteten Raum präsentiert wird. Ganz nah kann man dem antiken Männermodel hier kommen, seine aus rotem Kupfer eingelegten feinen Lippen und Brustwarzen betrachten und die leeren Augenhöhlen, durch die die neue Stahlkonstruktion im Inneren des Kopfes sichtbar wird.

Einen letzten Blick auf den Star des Museums erlaubt am Ende des Parcours noch der ein Stockwerk höher liegende „Kaleidoskop-Raum“, der mehr denn je mit der Wahrnehmung der Besucher spielt: Prismatische Deckenspiegel rücken den Hafen über das Meer und dieses über den Himmel, bunte Lounge-Möbel fordern zum abschließenden Herumlungern und zu weiteren Reflexionen über das Oben und das Unten, Meer, Himmel und Land, über heute, gestern, morgen und ihre Beziehungen heraus.

Dazu gehört dann auch die touristische Realität der Urlaubsinsel Lošinj, die rund um den Apoxyomenos eine umfassende Merchandising-Maschinerie mit Apoxyomenos-Menüs, -Schmuck, -Naturkosmetik, -Honig, -Tee und sogar Apoxyomenos-Massagen anbietet. Das Streben nach High-Class-Touristik bringt es mit sich, dass alle Hotels, mit teils hinterfragbaren Um- und Zubauten, auf Vier- oder Fünfstern-Standard aufgerüstet werden. Schlechte Karten für die Anlagen der Nachkriegszeit wie das Hotel Helios, eine luftige, filigrane Pavillonanlage des Architekten Zdravko Bregovac aus dem Jahr 1960, versteckt im Kiefernwald, die, derzeit als Unterkunft für das Personal der umliegenden Häuser genutzt, bald abgerissen werden soll. Das ist wohl der Lauf der Geschichte.

Spectrum, Sa., 2016.06.25

28. April 2016Iris Meder
Spectrum

Auffallend unauffällig

Ein einfaches Haus wurde gewünscht, in einer geschlossen bebauten Häuserzeile am Stadtrand. Ein unspektakulär funktionierender Ort zum Leben und Arbeiten ist es geworden. Geplant von Jürgen Radatz in Wien.

Ein einfaches Haus wurde gewünscht, in einer geschlossen bebauten Häuserzeile am Stadtrand. Ein unspektakulär funktionierender Ort zum Leben und Arbeiten ist es geworden. Geplant von Jürgen Radatz in Wien.

Vielleicht ist die Ära der Stararchitekten ja gerade dabei, zu Ende zu gehen. Der österreichisch-schwedische Anti-Star Josef Frank hat jedenfalls im Zuge der derzeitigen Ausstellung im MAK hierzulande in letzter Zeit eine enorme Fangemeinde gewonnen. Seine unaufgeregte, unpathetische und antimonumentale und jedenfalls immer offene, flexible Herangehensweise trifft offenbar den Nerv einer Gegenwart, die Architektur wieder als prozesshafte Entwicklung der besten Lösung im Dialog von Planenden und Auftraggebern begreifen möchte – in Reaktion auf die gegebenenUmstände in Topografie, Bestand und praktischen Anforderungen und inklusive der Möglichkeit zu Umbau, Weiterbau und Nutzungsänderungen. So selbstverständlich diese pragmatische Definition von Architektur klingt, so sehr ist sie mit der Entscheidung für ein uneitles, aber alles andere als unambitioniertes Berufsbild verbunden. Und es sind eben diese Qualitäten, die Architekten wie Friedrich Kurrent, Johannes Spalt und Hermann Czech in der verknöcherten Atmosphäre der Nachkriegsjahrzehnte Österreichs wieder entdeckt, geschätzt und in ihrer eigenen gebauten Praxis umgesetzt haben.

Oder Anton Schweighofer. Bei ihm, an der Wiener TU, hat der in Vorarlberg geborene Architekt Jürgen Radatz studiert, dessen Wiener Büro einen solchen Ansatz vertritt. Seine kleinen Interventionen im Stadtraum, ruhig und sorgfältig gestaltete Geschäftsportale, die die historische Umgebung respektieren, ohne sich ihr anzubiedern, nimmt wahr, wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, und sieht, wie Farben und Materialtexturen, Proportionen und Lichtführung ein schlüssiges Gesamtes ergeben.

So auch der Auftraggeber eines Hauses in Wien, der den Architekten kontaktierte, nachdem er eine solche Portalgestaltung in der Innenstadt gesehen hatte. „Haus eines geistigen Arbeiters“ hätte man so ein Projekt wohl in den 1920er-Jahren in der etwas pathetischen Sprache der Zeit genannt, „Wohnhaus in Wien“ hätte es bei Architekten wie Frank geheißen. Ein einfaches Haus sollte es sein, in einer geschlossen bebauten Häuserzeile am Stadtrand, für die Familie eines Kunsthistorikers, der nichts weniger als ein Kunstwerk mit Wohnfunktion wollte, sondern vielmehr einen unspektakulär funktionierenden Ort zum Leben und Arbeiten.

Das ist es geworden. Straßenseitig stand ein desolates ebenerdiges Wohnhaus, das nach Umbauten und Leerstand nicht erhaltenswert war. Im Hof des trapezförmigen Grundstücks fand sich die Bausubstanz einer ehemaligen Fabrikation für Nadeln zum Aufspießen von Insekten, nicht spektakulär, aber besser erhalten und prinzipiell adaptierbar. Der Abriss einer hofseitigen Garage ließ die Großzügigkeit der Parzelle sichtbar werden, die nach zwei Seiten mit Ziegelmauern zu den benachbarten Gärten abgegrenzt ist.

Entstanden ist ein Ensemble, das im Gegensatz zur häufigeren Vorgangsweise nicht das Alte an der öffentlichen Straßenseite bewahrt und im rückwärtigen Bereich zeitgenössisch auflöst, sondern die Situation umkehrt – ein Neubau wurde an der Straßenseite erstellt, während im Hof die alte Bausubstanz zum Teil belassen wurde. Durch den Abbruch des vorderen Gebäudes wurde die Neukonstruktion eines Wohntraktes möglich, der sich zur straßenseitigen Umgebung – ganz im Sinne der klassischen Moderne und dem Wunsch des Auftraggebers entsprechend – architektonisch eher distanziert verhält. Das heißt: Die Straßenfassade hat keine repräsentative Funktion, sondern ergibt sich aus der inneren Anlage des privaten Wohnhauses.

Dörflich wirkende Szenerie

Dabei ist sie in ihrer Reduktion harmonisch komponiert, mit einem breiten, durchgehenden Fensterband, das den dahinter liegenden Räumen Morgensonne gibt, über dem Tor der Doppelgarage, daneben zwei Nebenraumfenster und die schmale Haustür. Dahinter empfängt Eintretende ein sonniges Foyer mit Treppe ins Obergeschoß, das den geschützten Garten über eine große hofseitige Glastür ins Haus holt. Der Blick auf die fast dörflich wirkende Szenerie macht die Leichtigkeit und Transparenz deutlich, die die private Seite des Hauses kennzeichnen. Der neue Wohntrakt öffnet sich, von den Nachbargrundstücken uneinsehbar, zum Freibereich und nimmt in zeitgenössischer Form das Motiv der Pawlatsche auf: Verglaste Gänge erschließen die Räume im Erd- und Obergeschoß hofseitig und holen den Garten so permanent nach innen.

Den rechten Teil des u-förmigen Baus nimmt ein großzügiger Wohnbereich mit offener Küche ein, der zwei Glaswände zum Garten hat. Ihm vorgelagert ist ein gedeckter Sitzplatz, der durch die Terrasse vor dem Schlafzimmer im Obergeschoß entsteht. Hier war Schutz vor zu viel Südsonne gewollt, zugleich sollten aber die freien Blickbezüge zwischen Haus und Garten gewahrt bleiben. Daraus ergab sich für den Architekten als logische Konsequenz eine Abrundung der Terrasse. Dem Bauherrn, der mit Radatz' orthogonaler, reduzierter Architektursprache völlig einverstanden war, musste die vermeintlich verspielte Lösung erst vermittelt werden. Am Ende überzeugte sie ihn völlig.

Im gegenüberliegenden Trakt des lang gestreckten Ensembles, das an die regionaltypische Bauform eines Hakenhofes denken lässt, wurde der auf dem Grundstück vorgefundene kleine Fabrikstrakt belassen und zu Arbeitsräumen für das Bauherrenpaar gemacht. Aus den Gegebenheiten der Parzelle entstandene Unregelmäßigkeiten wurden aufgenommen und in das Konzept integriert, bis hin zur Wiederverwendung zweier vor Ort vorhandener alter Straßenlaternen und der Ziegel-Umfassungsmauer, die unverputzt blieb, wo die Garage weggerissen wurde, und bei sichtbar bleibender Mauerwerksstruktur hell gestrichen wurde, wo sie ohnehin nicht mehr roh war. Die Geschichte des Grundstücks und seiner Bebauung wurde so mitsamt zufälligen Gegebenheiten in das Konzept einbezogen und zum bereichernden Teil des Ganzen. „Ein Umbau ist interessanter als ein Neubau – weil im Grunde alles Umbau ist“, schrieb Hermann Czech einmal. Auch hier ist selbst der Neubau Umbau, indem er sich in Beziehung setzt zu dem, was schon da war, und zu dem, was davon geblieben ist.

Das alles ist im herkömmlichen Sinne nicht auffällig – außer durch seine Qualität. Es ist nicht spektakulär. Es hat nicht das Zeug zur Stararchitektur. Aber es gibt dem Leben der Bewohner einen guten Rahmen. Für das Grundstück und für das Straßenbild ist das – mit durchaus begrenzten finanziellen Mitteln realisierte – Einfamilienhaus ein Glück, vielleicht ein Luxus. Und für die Beteiligten ist dies die Tatsache, dass im Zuge der Zusammenarbeit von Auftraggeber und Architekt beim Hausbau beide auch Freunde geworden sind

Spectrum, Do., 2016.04.28



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20. Februar 2016Iris Meder
Spectrum

Nix wie rein ins Grätzl!

Wer will schon kühle, gesichtslose Zimmer in Hotelketten? Dann lieber auf in die Quartiere, die teilnehmen lassen am wahren Leben der Stadt. Über die Stadtlofts der Wiener „Grätzlhotels“ – und die „Wiener Gäste Zimmer“ in einer Favoritner Essigfabrik.

Wer will schon kühle, gesichtslose Zimmer in Hotelketten? Dann lieber auf in die Quartiere, die teilnehmen lassen am wahren Leben der Stadt. Über die Stadtlofts der Wiener „Grätzlhotels“ – und die „Wiener Gäste Zimmer“ in einer Favoritner Essigfabrik.

Es gibt eine Welt zwischen Fünf-Sterne-Plus, Backpacker-Hostel und Airbnb. Auch und gerade in Wien, wo steigende Tourismuszahlen ein Publikum mit neuen Bedürfnissen mit sich bringen. So viel Berlin war lange nicht. Flohmarktmöbel, Oma-Lampen und Glühfäden-Birnen vor rohen Ziegelwänden, Vollbärte, Nerd-Brillen und Duttfrisuren über kreativer Arbeit zwischen Laptop, Chai und veganem Dinkelkuchen allüberall. Die neue Prenzlberg-Gemütlichkeit ist im anspruchsvollen Mainstream angekommen und bereits Anlass satirischen Spotts.

Auch das Wiener Café „Zur Rezeption“ beim Karmelitermarkt spielt mit dem Repertoire des Anti-Stylings mit selbstironischer, preisgünstiger Second-Hand-Möblierung in entkernten Räumlichkeiten, wie man es zuletzt bei Magdas Hotel gesehen hat. Der Birnenkuchen ist großartig, Publikum und Personal im entspannten Bereich zwischen lokal und weltläufig und die Hipster-Dichte weit weniger hoch als in vergleichbaren Lokalitäten. Eben diese Nestwärme eines zwanglosen Insidertums mit individualistischem Gesicht ist die Intention der Hotellerie-Idee, deren Wiener Zentrale die „Rezeption“ ist.

Seinen österreichischen Anfang nahm das Konzept 2006 mit der Gründung des Kulturvereins „Pixel Hotel“ in der damaligen designierten europäischen Kulturhauptstadt Linz: Über die Stadt verteilte einzelne Zimmer mit dislozierter Infrastruktur ergänzten temporär die überforderte lokale Hotellerie und sprachen damit ein Publikum an, das am üblichen ubiquitären Hotelkettenstil mit gemustertem Spannteppich und undefinierbaren Stilmöbeln ebenso wenig Interesse hatte wie an überteuerten Designer-Boutiquehotels.

Wie beim Projekt Pixel Hotel waren auch beim Wiener Grätzlhotel engagierte junge Architekten entscheidende Initiatoren des Unternehmens. Das Konzept: Leer stehende Geschäftslokale werden zu einzelnen Hotelsuiten umgewandelt. Sie sind mit Spiegelglas und dicken Vorhängen verlässlich blickdicht zu machen und mit Schlafbereich, Küchenzeile, großem (Ess-)Tisch und Sitzecke zu temporären Kleinwohnungen umgebaut, die Gastlichkeit nicht nur vonseiten der Hoteliers gegenüber den Gästen, sondern auch für diese selbst vermitteln sollen – Gäste der Gäste sind während deren Aufenthalts im Grätzlhotel willkommen. Die Versorgung übernehmen benachbarte Lokalitäten – den Schlüssel holt man, je nach Hotelzimmer-Cluster, in einem Café um die Ecke, wo etwa auch gefrühstückt werden kann.

Die „Rezeption“ bildet die Ausnahme – sie ist als Café mit Rezeption tatsächlich Teil des Hotels. Der Plan ist, dass sich Grätzlbewohner hier mit den Grätzlhotelbewohnern mischen und denen so ein Gefühl des Privatgast-Seins mit allen zuschaltbaren Annehmlichkeiten eines regulären Hotelbetriebs gegeben werden soll. Übernachtungsgästen wird in diesem Sinne der Status von „Wienern auf Zeit“ zugesagt, die sich in den hippen Grätzlhotel-Grätzln dank Tipps der Beherberger wie Einheimische fühlen und bewegen sollen. Ein nicht zu unterschätzender positiver Effekt des Konzepts, für das sich eine Betreibergesellschaft aus Architekten, Unternehmensberatern, Marketing- und Hotelleriefachleuten gebildet hat, ist die intendierte Belebung verwaister Erdgeschoßzonen.

Die Ausstattung der zwischen 25 und 45 Quadratmeter großen „Stadtlofts“ für zwei bis vier Personen in den drei Grätzln Karmelitermarkt, Meidlinger Markt und Belvedere kommt von den auch als Betreiber involvierten Architekturbüros BWM und Kohlmayr Lutter Knapp. Dabei wird jeweils in irgendeiner Form Bezug auf die vorherige Nutzung genommen – etwa mit den in ihrer installativen Ballung als cool kontextualisierten uncoolen Lampen aus einem zugesperrten Lampengeschäft.

Ein alternatives Übernachtungskonzept fährt seit Kurzem auch die Favoritner Essig- und Bierbrauerei Gegenbauer. Der 1929 gegründete Familienbetrieb gelangte durch den Bau von Hauptbahnhof und Sonnwendviertel vom Randlagen-Niemandsland unverhofft in den Dunstkreis eines aufstrebenden Stadtquartiers. Anlass genug für Erwin Gegenbauer, zusätzlich zum erdgeschoßigen Verkaufsraum fünf Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen im ersten Stock seines Elternhauses zu Gästezimmern zu machen. Abgeschält bis zur rohen Substanz mit Ziegeln, Dippelbaumdecken, Stahlträgern, Holzdielen und offen verlaufenden Leitungen, wird der raue Industrieschick der Zimmer aufgefangen durch raumgreifende Bett-Anlagen – so muss man das wohl nennen: Die aus Kanthölzern ohne Nägel konstruierten modularenSchlafmöbel sind allseitig um Infrastruktur-Zubauten erweitert, die die Funktionen von Schreibtisch, Kasten, Regal und Sitzecke aufnehmen.

Entwickelt wurde das Bettsystem vom Wiener Architekturbüro heri&salli (Heribert Wolfmayr und Josef Saller), dessen Aufgeschlossenheit dem freien Experimentieren mit strukturellen Konzepten gegenüber Prinzip ist. „Wir befinden uns auf einem zur Verfügung stehenden räumlichen Feld. Mögliche darin befindliche Einbauten und Funktionen sind eher temporäre Markierungen“, so die Architekten über die Gegenbauer'schen „Bed & Breakfast“-Zimmer. Der Ansatz traf sich mit dem des Bauherrn, dessen Hauptanliegen im bislang eher nicht durch hochqualitative Nachhaltigkeit aufgefallenenGrätzl hinter der Südbahn die Vermittlung erstklassiger Handwerksarbeit ist. Lowtech auf höchstem Handwerksniveau liefern in den Zimmern auch heimische Bett- und Badtextilien und von der Braumeisterin handgesottene Seife.

Ganz billig sind die Zimmer freilich nicht, ebenso wenig übrigens wie die des Grätzlhotels. Dafür kann man sich bei Gegenbauers am großen Holztisch der „Kuchl“ selbst ein Frühstück mit Kräutern und Eiern aus dem Terrassengarten im Hof des Hauses, hausgeröstetem Kaffee, Brot aus Eigenproduktion und Honig von den Bienen der Balsamico-Terrasse fabrizieren. Für noch mehr Hedonismus sorgt ein Schwimmbad mit Sauna im zweiten Stock.

Spectrum, Sa., 2016.02.20

31. Januar 2016Iris Meder
dérive

Mitteleuropa, dalmatinisch

Nikola Dobrovic´ zählt noch immer zu den großen Unterschätzten der Moderne. Selbst wem er kein Begriff ist, dem mögen Dobrovic´s dalmatinische Bauten vor...

Nikola Dobrovic´ zählt noch immer zu den großen Unterschätzten der Moderne. Selbst wem er kein Begriff ist, dem mögen Dobrovic´s dalmatinische Bauten vor...

Nikola Dobrovic´ zählt noch immer zu den großen Unterschätzten der Moderne. Selbst wem er kein Begriff ist, dem mögen Dobrovic´s dalmatinische Bauten vor Ort auffallen als irritierend innerhalb der Tourismus- und Villeggiaturenarchitektur der östlichen Adria, eigenwillig, sperrig, sichtbar unter dem Einfluss Le Corbusiers entstanden, dabei fast unsichtbar hinter üppiger Vegetation, die schmale Sichtfenster freigibt auf rauhe Betonmauern, Flachdächer, offene Loggien. Eigenwillige Symmetrien, seltsame Schrägen, Punktmuster aus in die Wand eingelassenen Glas-bausteinen, in späteren Jahren Wände aus bossierten Steinwürfeln, die Fugen mit Kieseln ausgekittet. Dick, schwer, massiv, trotz teils weißer Putzflächen dunkel, schrullig, ja verschroben ist das alles und hat nichts von der südlichen Leichtigkeit anderer Moderner.

Eines von Dobrovics Markenzeichen waren dabei aus den Attiken und Betonbrüstungen ausgeschnittene Jahreszahlen, Namen der Villen, Hotels und Garten-Follies, auch sein eigener: Das 1936 entstandene Grand Hotel auf der kleinen Insel Lopud vor Dubrovnik signierte der Architekt auf der Terrasse über dem Garteneingang mit seinem Namen samt Beruf in 30 cm hohen ausgesparten Buchstaben.

Dennoch war Dobrovic´ keineswegs ein Blender und Angeber, sondern ein reflektierter Homme à lettres, Mitteleuropäer par excellence: geboren im südungarischen Pécs, wo sein Bruder, der expressionistische Maler Petar Dobrovic´, 1921 Präsident der kurzlebigen ungarisch-serbischen Räterepublik Baranya-Baja wurde. Ausgebildet in Budapest und Prag, wo u. a. ein elegantes städtisches Wohn- und Geschäftshaus am Wenzelsplatz entstand. Seit den frühen 1930er Jahren ansässig in Dubrovnik, das sein Lebensthema in Theorie und Praxis wurde, auch wenn er zehn Jahre später nach Belgrad zog, wo er eine Professur bekleidete. Das von ihm entworfene Belgrader Generalstab-Gebäude steht dort nach den NATO-Bombardements bis heute als Ruine und Mahnmal im Zentrum der Stadt. In Montenegro schließlich entstanden in den frühen 1960er Jahren mit einem Kindersanato-rium in Igalo sowie Postamt, Rathaus und Wohnbauten in Herceg Novi wichtige Spätwerke Dobrovic´s.

Der Dubrovniker Zeit Dobrovic´s widmet sich nun eine neue Publikation mit Texten des Zagreber Architekten und Architekturhistorikers Krunoslav Ivanic´ in und der Belgrader Architekturprofessorin und Mo-derne-Fachfrau Ljiljana Blagojevic´ sowie Fotografien des Wieners Wolfgang Thaler. Sie werden ergänzt durch Pläne und historische Aufnahmen der Häuser in Bau und in Benutzung, inklusive Fotos aus den Privatarchiven der Auftraggeberfamilien.

Wolfgang Thalers Fotostrecken dokumentieren die Bauten in ihrem heutigen – teils, wie beim ikonischen Grand Hotel in Lopud, ruinösen – Zustand. Sie führen Betrachter und Betrachterinnen dabei auch auf die Terrassen und ins Innere der Bauten, die von öffentlichen Bereichen oft selbst äußerlich nur sehr schwer einsehbar und, mit Ausnahme des heute als Hostel geführten, innen komplett veränderten studentischen Ferienheims in Dubrovnik, schon gar nicht zugänglich sind. Eher dunkel und massiv geben sich die Häuser auch im Inneren, Glasbausteine, geschlossene Stiegenbrüstungen und die Holzoberflächen von Einbauschrankwänden prägen die Räume, die die Verschattung im warmen Klima Süddalmatiens wohl auch kühl hält.

Ivanic´ ins und Blagojevic´s ebenso kompetente wie spannende Texte beleuchten kompetent die Hintergründe von Dobrovic´s Schaffen, von biografischen und zeithistorischen Zusammenhängen über die Auftraggeberschaft des Architekten, die zu einem großen Teil aus Medi-zinern, oft aus Prag oder Wien, bestand, bis zum ikonologischen Zusammenhang der mythologischen Namen, die Dobrovic´ seinen Bauten gab. Den Abschluss des durchgehend englischsprachigen Bandes bilden übersetzte Texte Dobrovic´s, in denen er sich mit der baulichen und urbanistischen Tradition von Dubrovnik und seinen Raum- und Platzbildungen auseinandersetzt.

Schade ist lediglich, dass sich das Buch über einen Architekten, den heute sowohl Serbien als auch Kroatien als Teil ihrer jeweiligen nationalen Architekturgeschichte sehen, nur mit Dobrovic´s Zeit in Dubrovnik befasst – eine umfassende Dobrovic´-Monografie ist somit nach wie vor ein Desiderat. Eine Empfehlung als Weihnachts- oder sonstiges Geschenk für Freunde und Freundinnen des Mediterranen jenseits der touristischen Oberfläche sowie der Mo-derne jenseits ihrer gewohnten Hagiografie wird hiermit jedenfalls ausgesprochen.


Krunoslav Ivanicin, Wolfgang Thaler,
Ljiljana Blagojevic´
Dobrovicin Dubrovnik.
A Venture in Modern Architecture
Berlin: Jovis, 2015
176 S., englisch, 38 Euro

dérive, So., 2016.01.31



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07. November 2015Iris Meder
Spectrum

Lust auf Luft

1934 emigrierte Josef Frank nach Schweden, wo er zeitlebens für ein Einrichtungshaus tätig war. Heute gilt er als „Hausheiliger der schwedischen Formgebung“. In Wien gibt es ab Ende November Frank-Stücke zu bewundern und zu erwerben.

1934 emigrierte Josef Frank nach Schweden, wo er zeitlebens für ein Einrichtungshaus tätig war. Heute gilt er als „Hausheiliger der schwedischen Formgebung“. In Wien gibt es ab Ende November Frank-Stücke zu bewundern und zu erwerben.

Es wäre wohl zynisch zu sagen, dass der Architekt Josef Frank nun posthum nach Wien heimkehrt. Zu tief war seine Frustration. Den „Anschluss“ wartete Frank nicht ab, als er, Sozialdemokrat und jüdischer Herkunft, nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 das Land mit seiner schwedischen Frau Anna Sebenius Richtung Stockholm verließ. Hinter sich ließ er auch die jahrelangen Querelen im Österreichischen Werkbund, die nach dem von Meinungsverschiedenheiten grundlegender Art begleiteten Bau der Wiener Werkbundsiedlung zur endgültigen Spaltung der Vereinigung geführt hatten, deren Gründungsmitglied Frank 1912 gewesen war.

Wie viele Architekten der Wiener Moderne konnte Frank auf ein Netzwerk von Freunden, Verwandten und ganzen Clans bauen, die ihn, wie etwa die Blitz und die Beers, in mehreren Generationen immer wieder beauftragten. Den mit ihm verwandten Fabrikanten und Philanthropen Hugo und Olga Bunzl baute er nahe deren Papierfabrik im niederösterreichischen Pernitz Arbeitersiedlungen, einen Kindergarten und ein Sommerhaus, dessen Einrichtung sich von denen der Arbeiterhäuser nicht prinzipiell unterschied. Franks leichte und wie improvisiert wirkenden Möblierungen waren für das Wiener Bürgertum der Ersten Republik die coolere Variante zu den weltentrückten Gesamtkunstwerken der Wiener Werkstätte: Während man dort, wie Spötter meinten, ständig darauf achten musste, nicht die Sessel aus ihrer Achse zu verrücken oder das Ensemble durch falsche Kleidung zu stören, lieferte Franks Einrichtungsunternehmen „Haus und Garten“ den mehr intellektuell als gediegen wirkenden Hintergrund zu einem entspannten Dasein, dessen leicht Boheme-hafter Touch auch einem Bankiers- oder Unternehmerhaushalt gut anstehen mochte.

Wem die Wiener Werkstätte zu ästhetizistisch und Adolf Loos' Stein- und Holzvertäfelungen zu dunkel waren, der fand Alternativen bei Frank und seinem Umkreis. Der „Haus und Garten“-Showroom in der Bösendorfer Straße, an der damaligen Endstation der Badner Bahn, machte der Zielgruppe Lust auf die luftigen, hellen Interieurs. Franks Einrichtungskonzept erlaubte es auch, einzelne Stücke mit alten, schon vorhandenen zu kombinieren. Die Möbel sollten dezidiert nicht „zueinander passen“, sondern in den in neutralem Weiß gestrichenen Räumen einladende, zwanglose „Wohninseln“ bilden. Ein gewisses Chaos war dabei durchaus Konzept: „Im modernen Raum herrscht Unordnung“, war Frank überzeugt und kann damit noch heute all jenen ein Quell der Freude und Erleichterung sein, die an der Aufrechterhaltung minimalistischer Aufgeräumtheit in ihren vier Wänden konsequent scheitern.

Franks unorthodoxes Verständnis von Moderne führte ihn früh zu Konflikten sowohl mit den Kollegen Josef Hoffmann und Clemens Holzmeister als auch mit dem Bauhaus und dem Deutschen Werkbund. Was zu seiner Emigration nach Schweden mit beigetragen haben dürfte – neben der Tatsache, dass er das Glück hatte, in der Gründerin des Stockholmer Einrichtungshauses „Svenskt Tenn“, Estrid Ericson, im Jahr 1934 eine lebenslange Förderin und Arbeitgeberin zu finden.

Bis 1938 behielt Frank seine Wiener Wohnung in der Wiedner Hauptstraße, kehrte immer wieder zurück und betreute Wiener Projekte. Bereits 1941 jedoch war nicht nur Österreich, sondern auch Schweden kein sicherer Hafen mehr – Frank zog vorübergehend nach New York, wo er an der New School for Social Research unterrichtete. Eine Rückkehr nach Wien war keine Option – nicht zuletzt, weil niemand ihn auf Dauer zurückholte. Einen Vortrag im Ottakringer Volksheim hielt Frank immerhin 1948 auf Einladung des damaligen KPÖ-Kulturstadtrats Viktor Matejka. Ironische Bemerkungen über jene auf Ehrenplätzen in der ersten Reihe sitzenden Kollegen, deren Hetze wegen er Wien einst verlassen hatte, verkniff er sich dabei nicht. Clemens Holzmeister, einer der Angegriffenen, besaß im Jahr 1965 dennoch die Größe, die auf Initiative der Architekten Friedrich Kurrent und Johannes Spalt zustande gekommene Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Frank zu unterstützen. Zur feierlichen Übergabe schickte der damals 80-jährige Frank seine Nichte. Seine Wiederentdeckung durch die jungen Kollegen Kurrent, Spalt, Friedrich Achleitner, Hermann Czech und Otto Kapfinger dürfte ihn dennoch gefreut haben.

Svenskt Tenn wurde Mitte der 1970er-Jahre von seiner Gründerin an eine Stiftung verkauft, die das Unternehmen heute noch besitzt. Jüngst hat die Stiftung mit dem Haus Claeson im südschwedischen Falsterbo Franks schwedisches Hauptwerk erworben, um es zu restaurieren. Franks Möbel- und Stoffentwürfe machen nach wie vor den bei Weitem größten Teil des Umsatzes von Svenskt Tenn aus. Ihre ungebrochene Beliebtheit beruht auch auf dem bewusst eingesetzten Tante-Jolesch-Prinzip der Verknappung: Man muss schon in das Svenskt-Tenn-Stammhaus an der noblen Stockholmer Adresse Strandvägen 5 fahren, um die handwerklich anspruchsvoll verarbeiteten Stücke in Augenschein zu nehmen. Svenskt Tenn betreibt keine Filialen. Heuer macht man aber eine Ausnahme: von 25. November bis Mitte Februar 2016 werden in einem Pop-up-Store in der Wiener Operngasse 8 Möbel, Einrichtungsgegenstände und jene rund 45 in Schweden gewebten und in Frankreich und England im Siebdruckverfahren bedruckten, meist bunt floral gemusterten Frank-Stoffe zu erwerben sein, die derzeit in Produktion sind. Bei einem Bestand von rund 120 Entwürfen kann man es sich dabei leisten, das Repertoire ab und an zu modifizieren.

Trotz des extrem hohen Preislevels der Produkte sieht sich Svenskt Tenn nicht als Luxusmarke. Nicht Lifestyle will man vermitteln, sondern einen „Way of Living“. Den einst aus Wien vertriebenen Way of Living von Josef Frank, der in Schweden heute als ein Hausheiliger der schwedischen Formgebung gilt, kann man im Übrigen demnächst nicht nur in der Operngasse inhalieren: Ab 15. Dezember zeigt das MAK am Stubenring eine von Hermann Czech und Sebastian Hackenschmdt kuratierte Frank-Ausstellung mit dem treffenden Titel „Against Design“. Da wird sich wohl das eine oder andere Frank-Stück auf den Weihnachts-Wunschzetteln finden.

Spectrum, Sa., 2015.11.07

10. Oktober 2015Iris Meder
Spectrum

Ein Brünner in Pilsen

In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es in Pilsen nur ein Must-have: Wohnungseinrichtungen oder Hausumbauten von Adolf Loos. Während des Kulturhauptstadtjahres sind die zahlreichen Loos-Wohnungen öffentlich zugänglich.

In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es in Pilsen nur ein Must-have: Wohnungseinrichtungen oder Hausumbauten von Adolf Loos. Während des Kulturhauptstadtjahres sind die zahlreichen Loos-Wohnungen öffentlich zugänglich.

Man könnte sich, wollte man böse sein, an englische Gesellschaftssatiren der 1920er- und 1930er-Jahre, etwa von E. F. Benson, erinnert fühlen. Wie in Bensons fiktivem Städtchen Tilling, so musste auch in Pilsen, so könnte man meinen, jeder Haushalt, der auf sich hielt, unbedingt das ebenfalls haben, was die tonangebenden Familien als das neue Must-have-Ding betrachteten. In der westböhmischen Industriestadt waren das in jener Zeit Wohnungseinrichtungen, noch besser: Hausumbauten von Adolf Loos.

Loos' Verbindungen zu Pilsen waren schon früh vorhanden, und sie waren stark. Der gebürtige Brünner und tschechoslowakische Staatsbürger hatte unter den jüdischen Unternehmerdynastien der Stadt seine ersten Auftraggeber – zunächst bei jenen Familienmitgliedern, die nach Wien gezogen waren, später auch bei den Holz-, Drahtgitter-, Farb-, Leder-, Schuhcreme-, Wursthäute- und Baustoffhändlern in Pilsen selbst. Es waren kultivierte Familien mit Anspruch. Abends traf man sich im „Autoklub“ im Hotel Smitka, dem heutigen Hotel Slovan. Auch Loos hatte Entwürfe für die Neueinrichtung der Klubräume gemacht, die schließlich, von Loos beeinflusst, das ortsansässige Büro Fischer & Deutsch gestaltete.

Zu Hause setzte sich das warme anglophile Ambiente entspannten, lässigen Komforts fort, mit holzvertäfelten Wänden, kassettierten Decken, marmornen Türrahmen. Den Semlers baute Loos ein ganzes „Raumplan“-Haus mit höhenversetzten Ebenen und raffinierten Schrägdurchblicken in einen Altbau ein. Auch vor dem Einsatz hohler Pfeilerstellungen und nicht funktionierender Scheinkamine schreckte Loos nicht zurück, wenn es dem harmonischen Raumeindruck diente.
Die Familien Kraus, Hirsch, Beck, Friedler, Teichner, Liebstein, Eisner, Vogl, Kapsa, Müller, Semler und Brummel – fast alle jüdischer Herkunft und irgendwie miteinander verwandt, verschwägert, befreundet oder Geschäftspartner – liebten ihren eigensinnigen Architekten und beauftragten ihn teils in mehreren Familienzweigen und Generationen immer wieder, überwiesen ihm das Honorar doppelt und übernahmen seine Arztrechnungen, wenn sie von seinen Geldschwierigkeiten erfuhren.

Das Verhältnis zur Familie Beck, die zu Loos' größten Fans und Förderern zählte, wurde freilich getrübt, als sich die als Fotografin ausgebildete Tochter Claire in den um Jahrzehnte älteren Architekten verliebte und ihn auch noch durchaus heiraten wollte. Der mit Loos fast gleichaltrige Brautvater Otto Beck blieb der Hochzeit demonstrativ fern, seine Frau Olga hingegen scheint, darf man dem Hochzeitsfoto glauben, ebenso viel Spaß an der Zeremonie gehabt zu haben wie das Brautpaar, Loos' treue Haushälterin Mitzi Schnabl, sein Pilsener Mitarbeiter Norbert Krieger und sein aus Mähren stammender Büroleiter Heinrich Kulka, der neben Olga Beck den Trauzeugen machte. Der ebenso intelligente wie patente und umgängliche Kulka und seine an der Wiener Kunstgewerbeschule ausgebildete Frau Hilde waren Mittler zwischen dem in praktischen Dingen – wie etwa Finanzen – eher weltfremden Loos und seiner Umwelt.

Heinrich Kulka managte das Büro in den Jahren von Loos' Krankheit, Hilde Kulka besorgte die Verwaltung und machte sich nicht zuletzt auch darum verdient, Loos' zahlreiche Pläne und Skizzen, die er in seinen letzten Jahren wegwerfen wollte, zu sammeln und so der Nachwelt zu erhalten. Loos' dritter Ehe war wie seinen beiden vorherigen keine Dauer beschieden. Claire Beck trennte sich nach wenigen Jahren von ihm. Trotzdem pries sie in ihren Erinnerungen den Genius Loos ebenso nachdrücklich wie Kulka, der nach Loos' Tod 1933 die Pilsener Auftraggeberfamilien architektonisch weiterbetreute, bis er nach 1938 ebenso wie beinahe alle Bauherren zur Emigration gezwungen war.

1945 wurde Pilsen von US-amerikanischen Truppen unter General George S. Patton Jr. befreit – was nach dem sozialistischen Umsturz von 1948 allerdings nicht mehr erwähnt werden durfte. Für die großteils nach 1938 „arisierten“ Pilsener Loos-Wohnungen bedeutete die Etablierung der ?SSR die Verstaatlichung. Ihre soliden, nach Loos' Credo keinen kurzlebigen Moden unterworfenen, aber mit besten Materialien handwerklich sorgfältigst durchgeführten Ausstattungen blieben, abgesehen vom beweglichen Mobiliar, größtenteils erhalten – trotz neuer Nutzungen als Kindergärten, Zahnambulatorien und Studentenheime.

Die Geschichte der Tätigkeit Loos' und seiner Auftraggeber in Böhmen und Mähren ist in den letzten Jahren von tschechischer Seite detailliert aufgearbeitet und in einer Ausstellung unter anderem in Prag, Brünn und Pilsen präsentiert worden. Nicht zuletzt seinem einzigartigen Bestand an Loos-Wohnungen verdankt Pilsen in diesem Jahr den Status der europäischen Kulturhauptstadt. Die aus dem Kulturhauptstadt-Budget finanzierte Restaurierung der Wohnungen war einer der Bausteine des Programms. Im Rahmen von Rundgängen, ganz ähnlich den „Wohnungswanderungen“, die Loos in den Zwischenkriegsjahren in Wien veranstaltete, werden die Wohnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ein Glücksfall ist es dabei, dass das Haus der seinerzeit eng mit den Becks befreundeten Holzgroßhändlerfamilie Brummel restituiert wurde. Seit 1989 ist es wieder im Besitz der heute über mehrere Erdteile verstreuten Familie, die ihr sorgfältig restauriertes Haus immer wieder im Rahmen von Veranstaltungen öffnet.

Ein Foto der Festgesellschaft bei Loos' 60. Geburtstag, den er 1930 im „Společenské Klub“ in Prag feierte, zeigt den augenscheinlich recht zufriedenen Architekten in der Mitte eines Sofas, umgeben von Freunden und Auftraggebern, zu Füßen des Meisters vor ihm auf dem Parkettboden sitzend seine treuen tschechischen Mitarbeiter Norbert Krieger, Heinrich Kulka und Kurt Unger. Wie sich der Schweizer Architekt Alfred Roth erinnerte, arbeitete Loos selbst, nicht ohne Selbstironie, an seiner Rolle. Nach besonders geistvollen Aperçus, so Roth, habe sich Loos gern an den ihn begleitenden Kulka mit der Aufforderung gewandt: „Kulka, schreiben Sie bitte unverzüglich auf, was Adolf Loos soeben gesagt hat, auf dass die Menschheit sich dessen noch in 500 Jahren erinnere!“ Keine Sorge – so schnell gerät Loos nicht in Vergessenheit.

Spectrum, Sa., 2015.10.10

27. Juni 2015Iris Meder
Spectrum

Die Moderne von Malinska

Historische Hotelanlagen kann man auf Krk und anderen kroatischen Ferieninseln entdecken. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm bietet bis 23.Oktober einen Überblick über das reiche architektonische Erbe Kroatiens von der Antike bis zu zeitgenössischen Bauten.

Historische Hotelanlagen kann man auf Krk und anderen kroatischen Ferieninseln entdecken. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm bietet bis 23.Oktober einen Überblick über das reiche architektonische Erbe Kroatiens von der Antike bis zu zeitgenössischen Bauten.

Lachende junge Mädchen mit Badehauben schwimmen im Meer oder winken von der Dachterrasse in die Kamera. Die Insel Krk war schon in den 1930er-Jahren ein beliebtes Sommerziel. Die schwarzweiße Mehrbildansichtskarte, die aus der Sommerfrische nach Hause geschrieben wurde, ging in die Tschechoslowakei. Sie zeigt Szenen aus dem im Jahr 1931 im schönsten weißen Funktionalismus gebauten tschechischen Kinderferienheim im Inselort Malinska. In der Ersten Republik zählten Tschechen zu den wichtigsten Adria-Touristen. Das Land stand wirtschaftlich gut da, das Bürgertum war unternehmungslustig und neugierig – und auch architektonisch anspruchsvoll. Daher finden sich, ganz besonders in Malinska, zahlreiche weiß verputzte Würfel und Quader, die bei Einheimischen und Lokalhistorikern als „tschechische Häuser“ gelten. Als Wiener fühlt man sich heute an Adolf Loos und seine Schüler erinnert, an die Werkbundsiedlung und Josef Frank.

Schon zu Zeiten der Monarchie engagierten sich nicht nur Österreicher, sondern auch Ungarn und Tschechen an der östlichen Adria. Sie kamen nicht nur als Touristen, sondern auch als Investoren, die Architekten und Gäste mitbrachten. Während besonders Baška am Südende von Krk – mit Hotels namens Zvonimir, Praha und Dalibor – als Meereszugang der Tschechen galt, war die Insel Rab (Arbe) fest in österreichischer Hand.

Crikvenica hingegen, auf der Höhe von Krk auf dem Festland gelegen und damit noch im Einzugsbereich der Südbahn, galt als ungarischer Badeort. Der Architekt Kálmán Rimanóczy entwarf 1906 das Hotel Miramare, heute die traurige Ruine eines eleganten Jugendstilbaus, der seiner Revitalisierung harrt. Bereits 1895 eröffnete Dr. Heinrich Ebers' Wasserheilanstalt, späterHotel Erzherzog Joseph, dann Palace Hotel Therapia, ab 1946 Hotel Moskva, nach der Lösung Tito-Jugoslawiens von Stalin Hotel Terapia, seit 2014 als Kvarner Palace einprunkvolles Grand Hotel, das an seine historischen Namen in Form eines Fußbodenmosaiks in der Lobby erinnert. Die 1930er-Jahre brachten dem malerischen Seebad zahlreiche funktionalistische Sommerhäuser mit Terrassen und Flachdächern, darunter ein Haus des kroatischen Adolf-Loos-Schülers Zlatko Neumann.

Auch die Insel Lošinj (Lussin) zehrt noch heute von ihrer kaiserlich- und königlichen Vergangenheit. In der idyllischen Čikat-Bucht (Cigale) bauten Wiener Architekten wie Rudolf Goebel und Alfred Keller rund um Kaiserin Elisabeths Villa Carolina ihr Insel-Abbazia aus Sommerhäusern und Pensionen mit Türmchen, Balkonen, Erkern und Namen wie Osternig-Wienerheim, Mirasole, Fritzi, Hygiea, Favorita, Cyclamina, Flora, Steinhäusl, Ilona und Alhambra. In Veli Lošinj (Lussingrande) wurden die Kuranstalt Maria Amalia für Wiener Mädchen und das Seehospiz der Stadt Wien errichtet, und auchin Mali Lošinj (Lussinpiccolo) hießen die Hotels Marienbad und Vindobona.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Lošinj als damals italienisches Bad von der Fremdenverkehrswirtschaft vernachlässigt, während Krk einen touristischen Aufschwung erlebte. In Malinska entstanden die weißen Flachdach-Quader der Hotels Slavija, Strnad und Malin. Der auf Krk geborene Architekt Kazimir Ostrogović brachte mit dem Haus Einwalter die Moderne Le Corbusiers nach Malinska. Ostrogovićs Sommerhaus Koch, das heute als Ferienhaus zu mieten ist, entpuppte sich als Arbeitsplatz eines deutschen Spions, als der Bauherr 1942 seine Wehrmachtsuniform anlegte – er hatte von seinem Haus aus Lichtsignale in das italienische Rijeka (Fiume) gesendet.

Die Moderne von Malinska wurde nach Kriegsende neu codiert. Die „tschechischen Häuser“ wurden unter Tito zu Ferienheimen staatlicher Betriebe umfunktioniert, auch die tschechische Kinderferienkolonie nutzte nun jugoslawischer Arbeiternachwuchs. An die 1936 neben dem Kinderheim gebaute Pension Haludovo dockte Anfang der 1970er-Jahre ein gigantisches Ferienresort an – das heute als berühmteste Hotelruine Ex-Jugoslawiens gilt. Der weiträumige Komplex nach Entwürfen des Architekten Boris Magaš eröffnete 1972. Er umfasste Hotels, Ferienwohnungen und Atriumhäuser verschiedener Kategorien, dazu Infrastruktur mit diversen Restaurants, Cafés, Grills, Diskotheken, mit Frei- und Hallenbad und einem Casino. Internationale, vor allem amerikanische, Klientel sollte die Involvierung des „Penthouse“-Gründers Bob Guccione bringen.

Der Jugoslawien-Krieg, der den Tourismus an der östlichen Adria zum Erliegen brachte, bedeutete das Ende der Glamour-Phase von Malinska. Nach Krieg und Flüchtlingsbelegung blieb vielen der Hotels nur der Leerstand. Zu hohe Investitionen wären nötig gewesen, um die Infrastruktur der kleinen, schlicht bis karg ausgestatteten Hotelzimmer, meist ohne Bad, aufzuwerten – die Hotelgäste würden ohnehin jeden Tag im Meer baden und brauchten daher keine eigenen Badezimmer, war noch Kazimir Ostrogović überzeugt. Nach dem Ende auch der sozialistischen Betriebsferienheime ist Haludovo heute nur die bekannteste der zahlreichen Ruinen, die den Strand von Malinska säumen. Auch das tschechische Kinderheim verfällt mehr und mehr – ob es noch einen Retter findet, scheint fraglich.

Neue Hotelarchitektur in Kroatien orientiert sich, dem freien Markt ohne staatliches Regulativ ausgeliefert, allzu oft an den simplen Anforderungen architektonisch anspruchsloser Investoren, die die subtilen Landschaftsbezüge und raumplanerischen Qualitäten ihrer Vorgänger vermissen lassen. Dennoch entsteht, oft an touristisch weniger prominenten Standorten, qualitätvolle Architektur. Auf Krk ist dies vor allem dem aus der Gegend stammenden Architekten Idis Turato zu verdanken. Unter anderem sind im gleichnamigen Hauptort der Insel nach den Entwürfen von Turato und seinem Büropartner Saša Randić seit 2002 ein Kindergarten sowie die Mittelschule des Ortes entstanden, zu der jüngst eine neue Sporthalle gekommen ist – ein Highlight zeitgenössischer Architektur am Rande der von einer Stadtmauer umgebenen historischen Altstadt und in vorbildlicher, Hoffnung machender Harmonie mit ihr.

Einen sehenswerten Überblick über die jahrtausendealte Baukultur von Krk und anderen kroatischen Inseln bietet noch bis 23.Oktober eine Ausstellung im Ringturm. Krk ist hier nur eines von zahlreichen Beispielen für einen Landstrich, der mehr zu bieten hat als Strand und Meer

Spectrum, Sa., 2015.06.27

02. Mai 2015Iris Meder
Spectrum

Petržalka ist überall

1966. Die Stadt Bratislava schreibt einen Wettbewerb für ihr neues Viertel Petržalka aus. Sieger gibt es keine, aber fünf der 84 Teilnehmer werden mit dritten Preisen ausgezeichnet. Letztlich beauftragt freilich wird jemand ganz anderer. Über Wiener Lösungen – dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs.

1966. Die Stadt Bratislava schreibt einen Wettbewerb für ihr neues Viertel Petržalka aus. Sieger gibt es keine, aber fünf der 84 Teilnehmer werden mit dritten Preisen ausgezeichnet. Letztlich beauftragt freilich wird jemand ganz anderer. Über Wiener Lösungen – dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs.

Der Kurs stand auf West, damals, im Wien des Jahres 1954. Da entwarfen Roland Rainer und Carl Auböck, der gerade von einem Studienaufenthalt in Boston nachWien zurückgekommen war, gemeinsam eine ambitionierte Modellhaussiedlung. Das Projekt war von der US-Wirtschaftskommission initiiert worden, das im Rahmen des Marshall-Plans fünf Jahre zuvor gegründete Österreichische Produktivitäts-Zentrum finanzierte es. Nicht zufällig lag der vorgesehene Bauplatz in Lainz an der Veitingergasse, direkt gegenüber der Wiener Werkbundsiedlung, an deren Innovationspotenzial man anknüpfen wollte.

Rainer und Auböck konzipierten eine Gruppe von 15 Sperrholz-Fertigteil-Bungalows mit Gärten, gepflasterten Sitzplätzen, fußläufigen Erschließungswegen und einer kleinen Piazza mit Wasserbecken. Die erdgeschoßigen Bungalows mit flachen Satteldächern konnten in achteinhalb Stunden aufgestellt werden. „Amerikanische“ offene Grundrisse, Warmluftheizung und Klimaanlagen sollten modernes Leben vermitteln; demgemäß wurden die Häuser mit dem Slogan „Designed for modern living“ beworben. Aus einem komplexen Katalog von Grundrissmodulen, Oberflächen, Materialien und zahlreichen Extras bis hin zu verschiedenen Obstbäumen für die Gartenbepflanzung sollten sich Käufer ihr Anwesen individuell zusammenstellen können.

Dem Projekt war wenig Glück beschieden: Die Prototypen wurden von Medien und Volksmund als „Baracken“ geschmäht und gingen letztlich nie in Produktion. Heute ist die in das üppige Grün ihrer Gärten geschmiegte Siedlung auch Fachleuten kaum ein Begriff. Wer die gerade restaurierte Werkbundsiedlung besucht, nimmt meist nicht wahr, dass auch ein Blick auf die andere Straßenseite lohnt. Das Beton-Flugdach der Autoabstellplätze an der Veitingergasse rottet vor sich hin, das Wasserbecken ist lange trockengelegt. In die Häuser aber sind die Kinder der Erstbesitzer eingezogen, teils auch Architekten, die die hohe Wohnqualitätder Häuser mit ihren geschützten Gartenhöfen, offenen Wohnbereichen und großflächigen Fensterwänden – und wohl auch die im Vergleich zur großen Schwester von gegenüber geringe Anzahl neugieriger Architekturtouristen – zu schätzen wissen.

Einen weit größeren Maßstab hatte ein anderes Projekt, das Roland Rainer zwölf Jahre später erarbeitete: 1966 hatte die Stadt Bratislava einen internationalen Wettbewerb für den urbanistischen Leitplan ihres neuen Stadtviertels Petržalka ausgeschrieben. Es war die Zeit des sich ankündigenden Prager Frühlings, mit Alexander Dubček als damaligem Erstem Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei der Slowakei. Der neue Stadtteil südlich der Donau, auf dem einst von Kleingärten geprägten Gebiet der Gemarkung Engerau oder Pozsonyligetfalu, die seit der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei den Kunstnamen Petržalka – etwa: Petersilistan – trug, sollte für 100.000 Bewohner konzipiert werden. Unter den 84 Wettbewerbseinreichungen wurden erste und zweite Plätze nicht vergeben – die Jury war zu dem Schluss gekommen, „dass keiner der Entwürfe den Qualitätsstandards und den Anforderungen der Wettbewerbsausschreibung gerecht wurde“. Fünf dritte Preise gingen ex aequo an Teams aus Bratislava, Olmütz, Tokio, Los Angeles sowie an das Trio Roland Rainer, Albin Arzberger und Herbert Karrer aus Wien. Ihr Entwurf strukturierte die riesigen Baumassen in ringförmigen Clustern mit südseitig abgetreppten Gebäudehöhen. Es erinnert an Wiener Lösungen, wie die Geschichte ausging: Schließlich wurde keines der Teams auch nur zu einer weiteren Ausarbeitung eingeladen. Stattdessen beauftragte man zwei Architekten des ortsansässigen Entwurfsbüros Stavoprojekt mit der Ausarbeitung eines neuen Bebauungsplanes. Als Petržalka realisiert wurde, war der Prager Frühling bereits der bleiernen „Normalisierung“ gewichen, Dubček kaltgestellt, architektonische Ambition durch Plattenbau ersetzt.

Diese und andere mitteleuropäische Architekturprojekte diesseits, jenseits und über den Eisernen Vorhang und andere Staatsgrenzen hinweg, überraschend fruchtbare, unbekannte, gut gemeinte und gescheiterte, präsentieren in Wien derzeit Ausstellung und Katalog des internationalen Projektes „Lifting the Curtain“, das erstmals im vergangenen Jahr auf der Architekturbiennale in Venedig zu sehen war. 36 beispielhafte Case Studies kommen aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Österreich und Ex-Jugoslawien.

Das Forschungsprojekt zu Architekturnetzwerken in Mitteleuropa, zu dem die Ausstellung gehört, ist noch im Gange. Weitere Studien sind in Arbeit – so ein heute vergessenes Wiener Großprojekt, das parallel mit Petržalka lief: Im selben Jahr, 1966, plante man ein riesiges Stadterweiterungsgebiet mit dem Arbeitstitel „Wien-Süd“, für damalige Begriffe verkehrsgünstig gelegen an der Südautobahn zwischen Vösendorf und Inzersdorf (die heute in der Tat hauptsächlich als „Knoten“ eben dieser Autobahn ein Begriff sind), und zudem in unmittelbarer Nähe einer großen Fertigteilbaufirma. Ziel war die „Schaffung eines funktionell ausgewogenen und weitgehend ,selbstständigen‘ Stadtteiles für 75.000 Menschen mit Wohnungen, circa 25.000 Arbeitsplätzen und allen nötigen Folgeeinrichtungen“.

Von der Absichtserklärung dauerte es bis 1970, bis ein Wettbewerb für die 942 Hektar große Satellitenstadt ausgeschrieben wurde. „Die Jury tagt“, berichtete die Wiener Rathauskorrespondenz vom 1. Juni 1971. In einer Halle auf dem Wiener Messegelände wählten internationale Fachleute aus den 219 eingegangenen Entwürfen die Preisträger. Am Ende der Beratungen wurde vermeldet: „Erster Preis an USA“. Das Projekt des Teams Geddes Brecher Qualls Cunningham trug den Sieg davon, der zweite Preis ging an das slowakische Siegerteam von Petržalka: Jan Kavan, Tibor Alexy, Filip Trnkus und Jan Antal.

Dem großen Wettbewerb folgte keine Realisierung. In den kommenden Jahrzehnten wurde das Gebiet teils mit Gewerbebauten, teils mit ambitionslosen Einfamilienhäusern, teils mit kleineren Siedlungen und teils gar nicht bebaut. Eine Wiener Lösung.

Spectrum, Sa., 2015.05.02

28. Februar 2015Iris Meder
Spectrum

Land der großen Gesten

Eine Architekturausstellung im Wiener Ringturm zeigt Serbien als einen der Schauplätze der Moderne. Ikonenhafte Bauten und großzügige Konzepte hatten in den Nachkriegsjahren ihre Hochblüte.

Eine Architekturausstellung im Wiener Ringturm zeigt Serbien als einen der Schauplätze der Moderne. Ikonenhafte Bauten und großzügige Konzepte hatten in den Nachkriegsjahren ihre Hochblüte.

Zum Beispiel Nikola Dobrović. Geboren im ungarischen Pécs, Studium in Prag, Tätigkeit in Belgrad, wichtigste Werke zu einem großen Teil an der Adriaküste. Das wohl beeindruckendste Beispiel ist Dobrovićs Grand Hotel auf der kleinen Insel Lopud vor Dubrovnik. Ein Bau, der die Zeiten der heroischen weißen Moderne noch in seinem gegenwärtigen ruinösen Zustand erahnen lässt: beeinflusst von Le Corbusier und dem russischen Konstruktivismus, geprägt von Bauten wie Moissei Ginsburgs Narkomfin-Gebäude in Moskau – dynamische Balkone und durchzischende Laubengänge, Fensterbänder, kajütenartig kleine Schlafzimmer, dafür große Gemeinschaftsbereiche.

Zwei Ikonen der Moderne, beide in desaströsem Zustand, leerstehend, verfallend. Ginsburgs Narkomfin-Gebäude liegt im Einflussbereich der benachbarten US-Botschaft, die es wohl aus Sicherheitsgründen am liebsten abreißen würde. Dobrovićs Grand Hotel hingegen scheint im letzten Moment wohl doch ein zweifelhaftes Glück zuteil zu werden: Angeblich hat die Hilton-Gruppe das Hotel, das Dobrović 1936 in erster Linie für tschechische Touristen – die in den 1930er-Jahren wohl häufiger reisten als Bürger des verarmten Österreich – baute, gekauft. Hinter einem Lattenzaun und einem aus der Bauzeit stammenden extensiven Palmenhain zu erahnen und auf historischen Fotografien auszumachen ist immer noch die Grandezza eines noblen Hauses für auch architektonisch anspruchsvolle Gäste. Bauarbeiten am denkmalgeschützten Hotel sind im Gange, die einst leeren Fensterhöhlen wieder verglast, man darf hoffen.

Dobrović wird heute sowohl von Kroatien als auch von Serbien als jeweils einheimischer Architekt gesehen, was völlig in Ordnung ist, da nationalstaatliche Zuordnungen zumindest in diesem Fall – siehe oben – obsolet sind. Schließlich steht in Belgrad ein weiteres Hauptwerk von Dobrović: der Nachkriegsbau des Generalstab-Gebäudes der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee, im Jugoslawien-Krieg durch Beschuss schwer beschädigt und bis heute ein noch nicht wiederhergestelltes Kriegsmahnmal in sich. Ab den 1950er-Jahren entstand, unter anderem auf den urbanistischen Grundlagen Dobrovićs und der Charta von Athen aufbauend, Novi Beograd (mit dem von Ivan Antić entworfenen, 1965 eröffneten ikonischen Museum zeitgenössischer Kunst) als neues Stadtviertel, ähnlich wie Novi Zagreb oder Bratislava-Petržalka, durchgrünt und großzügig und heute allmählich wieder von der Fachwelt geschätzt und gewürdigt.

Wenn der Ringturm der Wiener Städtischen Versicherung jetzt eine Architekturausstellung zur Moderne in Serbien zeigt, so wird dabei klugerweise von Serbien als Schauplatz, nicht als geistigem Ursprungsort gesprochen. Und da waren, wie in jeder Großstadt, immer auch Architekten aus anderen Gegenden tätig – in Belgrad zum Beispiel die in Wien bei Adolf Loos und Josef Hoffmann ausgebildeten Kroaten ZlatkoNeumann und Anton Ulrich mit dem Parlament der föderativen sozialistischen Republik Jugoslawien, der aus Slowenien stammende Jože Plečnik mit einer zylindrischen Kirche und der slowenische Bosnier Ivan Štraus (der 1983 auch das während des Jugoslawien-Krieges zu medialer Aufmerksamkeit gelangte Holiday Inn in Sarajevo entworfen hat) mit dem großartigen Donut-förmigen Luftfahrtmuseum, um dessen – leicht zeitversetzte – Realisierung wohl jeder britische Architektur-Utopist der 1960er-Jahre die einstige jugoslawische und heutige serbische Hauptstadt beneiden könnte. Als Gründungsort der Bewegung der Blockfreien Staaten hatte Belgrad im Europa des Kalten Krieges eine besondere Rolle, die es nutzte, um mittels Technologieexport unter anderem in den dekolonisierten Ländern Afrikas zu reüssieren – auch das Headquarter der hier in den 1970er- und 1980er-Jahren führenden staatlichen Entwurfs- und Baugesellschaft Energoprojekt, die rund 80 Prozent ihres Gewinns in Ländern wie Sambia, Nigeria, Sudan und Gabun, aber auch im Irak und Dubai erwirtschaftete, ist in der Ausstellung zu sehen.

Die große Zeit serbischer Architektur, die nach der Loslösung von Moskau den sozialistisch-realistischen Stalin-Stil nie mitmachen musste, lag in den Nachkriegsjahrzehnten, als es unter Tito einiges an Möglichkeiten sowohl zur großen Geste wie auch zu nachhaltigen infrastrukturellen Konzeptionen gab. Ein kaum bekanntes Beispiel hierfür ist die westserbische Stadt Užice, einst Partisanenzentrum und zu Ehren des ehemaligen Partisanen Josip Broz nach dem Zweiten Weltkrieg in Titovo Užice (und 1992 zurück) umbenannt, mit ihrem von Stanko Mandić konzipierten Platz des Partisanen, der in seiner Anlage auf die vorgefundenen topografischen Verhältnisse reagiert. Die Post am Platz wurde im Jugoslawien-Krieg zerstört, die Tito-Statue gestürzt, aber das innen mit Kuhfellen als Akustik-Elementen ausgekleidete Theater steht in seiner skandinavisch anmutenden Sechzigerjahre-Schönheit am Platz wie eh und je.

Außerdem zu entdecken sind im Zuge der verstärkten Industrialisierung und Urbanisierung seit dem späten 19. Jahrhundert ausgebaute Städte wie das südserbische Niš mit seiner beachtlichen Dreißiger- und Fünfzigerjahre-Architektur oder die Hauptstadt der Vojvodina, das „serbische Athen“ Novi Sad und sein Lokalmatador der Zwischenkriegszeit, Djordje Tabaković. Herausragende Zeugnisse der Nachkriegszeit sind hier das nach Entwürfen des aus Dalmatien stammenden Ivan Vitić von 1960 bis 1970 gebaute Museum der Nationalen Revolution (heute Museum für zeitgenössische Kunst derVojvodina), ein hocheleganter flacher Baukörper auf quadratischem Grundriss, und das mit seinen sichtbaren Beton-Geschoßdecken und Sichtziegelwänden an italienische Architektur erinnernde Gemeindezentrum, von Dušan Krstić in Form ineinandergeschobener Quader entworfen und ebenfalls1970 realisiert. Aus demselben Jahr stammt das Warenhaus Bazar, eines der Hauptwerke des Slowenen Milan Mihelič.

Der Katalog zur Ausstellung weist auch auf den wohl implizit bekanntesten (aber nicht als solchen wahrgenommenen) serbischen Architekten hin: Aljoša Josić, aus der Vojvodina stammend, in Paris als Teil des Büros Candilis-Josic-Woods berühmt – und als Verteter eines rigiden Brutalismus berüchtigt – geworden und als Teil des ebenso berüchtigten Team X für die Auflösung der CIAM und damit die Abkehr von der klassischen Moderne verantwortlich.

Spectrum, Sa., 2015.02.28

02. Februar 2015Iris Meder
dérive

Wächterhäuser: Schönheit an Schienen

Vielfach bearbeitet in Essay- und Bildbänden zu Infrastruktur, Architektur und Kulturgeschichte, ist das Semmeringgebiet dennoch ein vergessenes, aus der...

Vielfach bearbeitet in Essay- und Bildbänden zu Infrastruktur, Architektur und Kulturgeschichte, ist das Semmeringgebiet dennoch ein vergessenes, aus der...

Vielfach bearbeitet in Essay- und Bildbänden zu Infrastruktur, Architektur und Kulturgeschichte, ist das Semmeringgebiet dennoch ein vergessenes, aus der Welt gefallenes Habitat langsamer Zugfahrten, leerstehender Hotelbauten und verstaubter Ferienimmobilien geblieben. Während die Semmering-Aufenthalte der Wiener Intellektuellen als zumindest teilweise erforscht gelten können, lässt sich dies überraschenderweise von der Infrastruktur der Semmeringbahn nur bedingt sagen. Das zeigt das vor kurzem erschienene Buch von Roland Tusch über die Wächterhäuser der Semmeringbahn. Mit ebensoviel Liebe zur Materie bis ins Detail wie wissenschaftlicher Sorgfalt hat Roland Tusch, ausgebildeter Architekt und Lehrender am Institut für Landschaftsarchitektur der BOKU, mit seinem Team die Häuser erforscht, katalogisiert und analysiert. Dabei tut sich ein Panorama einer unter der Ägide der Südbahn entstandenen »Architektur der Einfachheit« (Tusch) auf, in Form einer dichten Reihung an der Bahnstrecke stehender Häuser mit einheitlichem Grundriss- und Fassadenschema, aber modifiziert, wie die Untersuchung anschaulich macht, nach Fassadenoberfläche, Detailaufrissen, vor allem aber topografischer Situierung, abhängig von den Gegebenheiten des Geländes und der Trassenführung der Bahn, die die Standorte und Orientierungen der schlichten Satteldachhäuser bestimmte. Die Herleitung der eigentümlichen Bruchsteinfassaden mancher Häuser fehlt ebenso wenig wie ausführliche Zitate aus Primärquellen zu Planung, Bau und Nutzung der Häuser.

Was zunächst als Randgruppensujet für Eisenbahnfreaks erscheinen mag – in der Tat ist das Buch als Band 8 der Publikationen des Südbahn Museums erschienen –, entfaltet sich, lässt man sich darauf ein, als kammermusikalische Studie zu einem Thema, das mangels Blockbuster-Qualität eine breite Öffentlichkeit nicht finden wird. Umso wichtiger sind aber, wie hier geschehen, ernsthafte wissenschaftliche Dokumentationen und Auseinandersetzungen mit derartigen Beispielen von Landschaftsplanung – ein eigenes Kapitel widmet sich dem Landschaftsbezug der Häuser – und Architektur. Gerade sie sind am stärksten von Verfall, entstellender Umnutzung und schleichender bis plötzlicher Zerstörung bedroht.

Einer allgemeinen Analyse lässt das Buch einen Katalog der Häuser mit Planzeichnungen folgen, im Anschluss zeigt ein Fotoessay von Gisela Erlacher die lakonische Ästhetik der Häuser an den Schienen und in der Landschaft. Dennoch bleibt der Band keineswegs in kontemplativer Bahn-Nostalgie verhaftet: Auch eine Untersuchung zum Berufsbild und zum alltäglichen Leben der Bahnwärter und Bahnwärterinnen – auch diese gab es – ist Teil des Bandes. Nicht zuletzt ist das Buch auch als Objekt äußerst angenehm – in seiner inhaltlich wie optisch und redaktionell sorgfältigen Behandlung, mit grafisch reduziertem Erscheinungsbild, ohne dabei minimalistisch sein zu wollen, und mit gutem Lektorat gibt es sich ruhig und sachlich. Ein Mehr an Text hätte man sich lediglich für das Kapitel »Die Zukunft der Wächterhäuser« wünschen können. Dort konstatiert Roland Tusch: Für eine zukünftige Nutzung der heute teils bewohnten, teils sanierungsbedürftigen, teils leerstehenden und verfallenden Häuser »müssen neue Konzepte entwickelt werden«. Hier wäre es interessant, wie diese aussehen könnten.


Roland Tusch
Wächterhäuser an der Semmeringbahn.
Haus Infrastruktur Landschaft.
Mit einem Fotoessay von Gisela Erlacher
Band 8 der Reihe Publikationen des SÜDBAHN Museums
Innsbruck: Studienverlag, 2014
224 S., EUR 25,-

dérive, Mo., 2015.02.02



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10. Januar 2015Iris Meder
Spectrum

Lehm, Bambus, Stroh

Das gemeinsam mit Christoph Schlingensief geplante Operndorf Afrika machte ihn bekannt. Sein beim Studium in Europa erworbenes Wissen setzt Diébédo Francis Kéré in seiner Heimat, Burkina Faso, ein, um der Bevölkerung ein selbstständiges Weiterarbeiten mit lokalen Materialien zu ermöglichen.

Das gemeinsam mit Christoph Schlingensief geplante Operndorf Afrika machte ihn bekannt. Sein beim Studium in Europa erworbenes Wissen setzt Diébédo Francis Kéré in seiner Heimat, Burkina Faso, ein, um der Bevölkerung ein selbstständiges Weiterarbeiten mit lokalen Materialien zu ermöglichen.

Ein „Household Name“, das muss man sagen, ist Erich Schelling außerhalb Baden-Württembergs nicht gerade. Während des Zweiten Weltkriegs mit Planungen für das ins Reich heimgeholte Elsass befasst, wurde der entnazifizierte Architekt in den 1950er-Jahren zu einem der Protagonisten der Nachkriegsmoderne im deutschen Südwesten. Eine heute denkmalgeschützte Ikone ist seine 1953 realisierte Schwarzwaldhalle in Karlsruhe, mit ihrem parabolischen Spannbeton-Hängedach, die erste ihrer Art in Europa. Nicht weit von ihr baute Schelling für die Bundesgartenschau von 1967 die Nancyhalle, einen leichten Stahlbau aus quadratischen Modulen mit Schrägdächern und baumbestandenen Innenhöfen.

Dafür, dass Schelling nach seinem Tod nicht in Vergessenheit geriet, sorgte neben diesen Bauten vor allem auch seine Frau, die 2009 verstorbene Innenarchitektin Trude Schelling-Karrer. Die unter ihrer Federführung in den 1950er-Jahren im kapriziösen Farbakkord Schwarz-Weiß-Gold mit viel Kunst mondän ausgestattete Karlsruher Wohnung des Ehepaars ist heute Sitz der Schelling Architekturstiftung, die seit 1992den von Trude Schelling-Karrer gemeinsam mit dem Gründungsdirektor des Karlsruher ZKM, Heinrich Klotz, begründeten Schelling-Architekturpreis vergibt. Alle zwei Jahre wird die Wohnung so vom Arbeitsplatz der Stiftungsmitarbeiter zum Schauplatz eines Empfangs für Nominierte und Preisträger der Kategorien Theorie – Preisträger Juhani Pallasmaa – und Praxis.

Ehrte der mit 30.000 Euro dotierte Preis früher arrivierte Büros, so soll er nun innovative Konzepte jüngerer Planer fördern, die von der Jury in einer für das jeweilige Jahr festgesetzten Kategorie nominiert werden. Eine leicht Bachmann-Preis-mäßige Dynamik verleiht der Sache die endgültige Entscheidung der Jury unmittelbar nach öffentlichen Vorträgen der drei Nominierten.

Den diesmal für nachhaltige Architekturkonzepte ausgelobten Preis erhielt der aus Burkina Faso stammende Diébédo Francis Kéré. In Berlin ausgebildet, wurde Kéré vor allem mit dem Operndorf bekannt, das er mit Christoph Schlingensief in Burkina Faso plante. Das beim Studium in Europa erworbene Wissen setzt Kéré vor Ort ein, um der Bevölkerung ein selbstständiges Weiterarbeiten mit lokalen Materialien, vor allem vor Ort hergestellten Lehmziegeln, zu ermöglichen. Überzeugungsarbeit ist nötig, wo Stroh und Lehm für Armut stehen und Beton und Blechdächer für Komfort, auch wenn sie klimatisch unsinnig sind.

Kérés Schul- und Krankenhausbauten aus Lehm haben schattenspendende Dächer mit Abstand zu den Wänden, so dass warme Luft entweichen und indirektes Licht in die Räume fallen kann. Bei der derzeit im Bau befindlichen Schulbibliothek von Kérés Heimatort Gando spenden in das Dach integrierte Tontöpfe Licht und Feuchtigkeit für die Begrünung. Das Leben der Menschen in seinem Heimatdorf zu verbessern – und dabei die eigene Angst, zu enttäuschen, zu überwinden – nennt Kéré als seinen Ansatz. Lehm ist billig, nachhaltig und kann von bezahlten Arbeitern vermauert und von den Mitgliedern der Frauenkooperative bearbeitet werden. Die Bevölkerung erhält so die Möglichkeit, selbst weiterzubauen. Langfristig dient die Arbeit, indem sie Infrastruktur und Wissen produziert, der Schaffung eines kollektiven Gedächtnisses. Technik wie Ästhetik sollen replizierbar sein, die Bauten als Typen fungieren, die Pläne sind konsequenterweise als Open Source downloadbar. Kérés Ansätze tragen bereits Früchte auch in anderen Ländern – Mali, Niger, Togo besinnen sich auf ihre Lehmarchitektur und fördern das nötige Wissen und Können.

Lässt sich davon etwas auf Mitteleuropa, wo Arbeit der größte Kostenfaktor ist, übertragen? Auf die Frage, was Europa vom Bauenin Afrika lernen kann, nennt Kéré die Verbesserung des Gemeinschaftssinnes, inklusive öffentlicher Diskussionen und dem Aneignen von Freiräumen. Für eine seit Jahrzehnten leer stehende Kaserne in Mannheim, die in Parzellen aufgeteilt und verkauft werden sollte, projektiert Kéré ein System öffentlicher Freiräume, die den ganzen Komplex für die Allgemeinheit aufmachen. Mit dem Bewusstsein der Begrenztheit von Ressourcen und der Notwendigkeit, Dinge zu ändern, ist das Potenzial verbunden, mit Hilfe alternativer Materialien den High-Tech-Faktor von Gebäuden zu reduzieren und diese, so Kéré, „intelligenter“ zu machen.

Einen sehr ähnlichen Ansatz verfolgt die zweite für den aktuellen Schelling-Preis Nominierte, Anna Heringer. In Linz ausgebildet, engagiert sich die Architektin seit fast 20 Jahren in Bangladesch. Wie Kéré wurde sie für ihre aus Lehm, Stroh und Bambus gemeinsam mit der Ortsbevölkerung realisierten Schulbauten vor einigen Jahren mit dem Aga Khan Award ausgezeichnet. Angesichts des hier üblichen, aber nur für eine Minderheit der Menschheit leistbaren Konzepts von Nachhaltigkeit propagiert sie eine Low-Tech-Nachhaltigkeit, mit arbeitsintensivem Bauen dort, wo es sinnvoll ist, Arbeit zu schaffen. Dabei muss auch auf ehrenamtliche Gemeinschaftsarbeit gesetzt werden, etwa bei dem Lehmbau, der derzeit in Vorarlberg realisiert wird.

Offenheit für neues Denken nennt Heringer als wichtigen Ansatz und als Ziel, die Kontrolle im Laufe des Projektes abzugeben, so dass lokale Handwerker die Gebäude reparieren und auch verbessern können. Architektur, mit der sinnlichen Ästhetik nachhaltiger Materialien als Katalysator, sieht sie als Mittel, Entwicklungen in Gang zu setzen. Konsequenterweise hat sie mit Näherinnen aus Bangladesch jüngst ein anspruchsvolles Mode-Projekt auf der Basis fairer Arbeitsbedingungen und adäquater Bezahlung initiiert. Ihr ethischer Zugang fußt dabei auf dem kategorischen Imperativ in moralischer wie architektonischer Hinsicht: Jede Entscheidung, so Heringer, muss mit sieben Milliarden multiplizierbar sein. Dabei ist ihr, ähnlich wie man es in der frühen Moderne für die Funktion behauptete, Nachhaltigkeit gleich Schönheit.

Auch wenn man das nicht so radikal in eins setzen möchte, so hätten doch alle drei Nominierten den Preis verdient, auch die in Rio de Janeiro tätige Carla Juaçaba, deren Bauten in Formensprache und Material subtil auf ihre Umgebung eingehen und Pragmatik mit hoher sinnlicher Qualität vereinen. So sah das wohl auch der Preisträger – in seiner Dankesrede gab Diébédo Francis Kéré bekannt, das Preisgeld mit Anna Heringer und Carla Juaçaba zu teilen.

Spectrum, Sa., 2015.01.10

08. November 2014Iris Meder
Spectrum

Im Egg Chair am See

Eine Kombination aus opulenter Naturkulisse außen und lebendigem Naturmaterial innen – schlichte, unauffällige Quader in Holzbauweise, geschmiegt in die umgebenden Wiesen: Ferienbungalows am Traunsee. Eine Erholung.

Eine Kombination aus opulenter Naturkulisse außen und lebendigem Naturmaterial innen – schlichte, unauffällige Quader in Holzbauweise, geschmiegt in die umgebenden Wiesen: Ferienbungalows am Traunsee. Eine Erholung.

Dass der Tourismus am Traunsee boomen würde, kann man nicht gerade behaupten. Zu kurz die Saison, zu unsicher das Wetter in der hassgeliebten Wahlheimat des Thomas Bernhard. In Gmunden gibt es nach der Schließung mehrerer großer historischer Häuser kaum noch erwähnenswerte Hotellerie – das 150-Jahr-Jubiläum der Erhebung zum Kurort ließ man vor zwei Jahren unbemerkt verstreichen, da es nach allgemeiner Ansicht nichts zu feiern gab. Auf der anderen Seite hat sich jüngst das kulturelle Leben in der Region positiv entwickelt. In diesem Zusammenhang gibt es Hoffnung auf einen neuen, individuellen Tourismus, der über die kurze Sommersaison hinausreicht.

Während der Attersee mit dem Haus Eichmann von Clemens Holzmeister und Max Fellerer und dem Haus Gamerith von Ernst Plischke zwei Bauten von Großmeistern der österreichischen Moderne aufzuweisen hat, sich sonst aber eher privat gibt, kennzeichnet die Westseite des Traunsees ein in weiten Teilen öffentlich zugängliches Ufer, das aber ebenfalls über einige architektonische Feinkost verfügt: 1927 entwarf Franz Gessner das Seebad Gmunden als von zeitgemäßer Horizontalität geprägte Stahlbetonkonstruktion mit Flachdach-Terrassen, während Johannes Spalt 1946 mit dem Seebad im benachbarten Altmünster, einer schlichten U-förmigen Holzriegelkonstruktion mit zentraler Veranda, seinen allerersten Bau realisierte. Im südlich anschließenden Traunkirchen steht neben der historistischen Spitzvillaheute ein Restaurant mit Seeterrasse und öffentlichem Park, das 1936 von Max Fellerer realisierte Landhaus Clody, ein schlichter, L-förmiger Bau mit französischen Fenstern und verglaster seeseitiger Veranda, außerdemdas Haus Frentz, 1962 entworfen von der Arbeitsgruppe 4 mit Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Johannes Spalt.

Als das Architektenpaar Michael Buchleitner und Mira Thal Buchleitner, die gemeinsam das Wiener Büro Lakonis Architekten betreiben, sich in der Gegend nach einem Seegrundstück für ein Feriendomizil umsahen, waren sie nicht sicher, ob sie sich ein solches – mit entsprechendem Bauvorhaben – überhaupt würden leisten können. Was sich ergab, war ein Glücksfall: circa 2000 Quadratmeter in Hanglage an der Hauptstraße von Traunkirchen, die nach dem Bau einesUmfahrungstunnels de facto zur verkehrsberuhigten Zone geworden war, mit spektakulärem Panorama über den See und zum gegenüberliegenden Traunstein. Geplant und realisiert wurden schließlich, gegenüber einem öffentlichen Badeplatz, zwei Bungalows mit einer respektive zwei Wohneinheiten. Grundlage war die Absicht, die neu errichteten Bauten durch temporäre Vermietung als Ferienwohnungen möglichst wenig leer stehen zu lassen und so die Masse kaum genutzter Zweitwohnsitze in Österreichs Urlaubsorten nicht allzu stark zu vermehren.

Realisiert wurden die Bauten als in die umgebende Wiese geschmiegte schlichte, unauffällige Quader in Holzbauweise, mit beplankten Sitzterrassen und Fassaden in fahl vorgegrauter Lärche. Großflächige Verglasungen inszenieren den kaum überbietbaren Logenblick auf See und Berge. Klar und einfach sind die Grundrisse der Wohnungen mit 150 Quadratmetern im Einzelhaus und je 80 Quadratmetern im Doppelhaus, deren Zentrum jeweils ein geräumiger Wohn-Koch-Essbereich mit hölzernem Esstisch und Sitzbereich bildet. Gebürstete und geölte Lärche in ihrem charakteristischen blassen, warmen Farbton und mit dem einladenden Geruch gesägten Holzes gibt die Oberfläche für Boden, Decke und Wände inklusive Türen und Einbauschränke ab. Nachts und bei übermäßiger Sonneneinstrahlung – oder nach Naturschock durch die überwältigende Präsenz von Bergpanorama und glitzernder Seeoberfläche – lässt sich das archetypische Geborgenheit vermittelnde Holzkisten-Gefühl mittels elektronisch steuerbaren Herunterlassensder innenliegenden Holzjalousien perfektionieren. Die Verwendung der querverlegten breiten Latten lässt dabei alles andere als rustikale Lederhosen-Gediegenheit aufkommen, sondern stattdessen eher an die immer moderne, weil zeitlose und nicht ideologisch befrachtete Verwendung von Holz in der Schweiz und Vorarlberg denken.

Die Kombination aus opulenter Naturkulisse außen und lebendigem Naturmaterial innen zog dabei eine subtile Regie nicht nur in der Grundrissgestaltung, sondern auch in Form und Farbigkeit der Ausstattung nach sich. Auch hier wurde auf das Schlichteste und zugleich optimal Ausgearbeitete zurückgegriffen: Zwei Egg Chairs, 1958 vom dänischen Architekten Arne Jacobsen entworfen, liefern elegante Ohrensessel-Gemütlichkeit vor dem freistehenden Kamin, schlichte zylindrische Filzhocker die einzigen apfelgrünen Farbtupfer in der ansonsten dezent hellgrau gehaltenen Einrichtung. Arne-Jacobsen-Nachttischlampen erfreuen die Augen müder Design-Auskenner auch in den fast skihüttenmäßig schlichten, kleinen Schlafzimmern – schließlich hat man es bei aller ländlichen Umgebung mit einem temporären Domizil für Labsal suchendeStädter mit anstrengenden Broterwerbstätigkeiten zu tun. Feinsteinzeug-Verfliesung in der Art dunkelgrauen Natursteins haben die Architekten in den Badezimmern verwendet, die mit durchgehender Spiegelwand, Badewanne, Extra-Dusche und eingebauter kleiner Sauna als Miniatur-Spa ausgestattet sind.

Ziel war es, so Michael Buchleitner, die Infrastruktur für eine Allwetterdestination zu schaffen – das Skigebiet Feuerkogel ist schließlich nur zehn Minuten entfernt. Dabei kann man sich aber durchaus auch sehr gut vorstellen, bei Dreck und Matschwetter draußen, Kaminfeuer innen und einem gefüllten Glas in der Hand im Eiersessel zu kuscheln und das Spiel des Wetters auf See und Bergen zu beobachten. Und darüber zu sinnieren, ob man nicht die eigene Wohnung ein wenig ausmisten sollte, um immer so eine schlichte, schöne, anregende Umgebung zu haben.

Spectrum, Sa., 2014.11.08



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20. September 2014Iris Meder
Spectrum

Kein Glamour am Berg

Das Panhans, das Kurhaus und das Südbahnhotel am Semmering: drei Beispiele für die Melancholie des Leerstandes und des freudlosen Dahinexistierens. Der ehemals mondäne Höhenluftkurort im architektonischen Dornröschenschlaf.

Das Panhans, das Kurhaus und das Südbahnhotel am Semmering: drei Beispiele für die Melancholie des Leerstandes und des freudlosen Dahinexistierens. Der ehemals mondäne Höhenluftkurort im architektonischen Dornröschenschlaf.

Am Ende nützten auch die Badezimmer-Fliesen mit den vierblättrigen Kleeblättern nichts mehr. 1976 schloss das Südbahnhotel am Semmering seine Pforten. Es folgten Leerstand, Verkauf, temporäre Nutzung durch die Festspiele Reichenau und weiterer Leerstand – mit derzeit nicht absehbarem Ende. Sein seinerzeit großer Konkurrent, das Panhans, existiert seit einer brachialen Achtzigerjahre-Sanierung nach mehreren Verkäufen so irgendwie vor sich hin, während das dritte der großen Semmering-Hotels, das Palace-Hotel Deisinger, später Sanatorium Dr. Hecht, später Artis-Hotel, heute Panhans Sport Hotel, bis zur Unkenntlichkeit totsaniert wurde und heute wie ein Gewerkschaftsheim der Siebzigerjahre wirkt.

Es ist eine seltsame Sache: Einerseits scheint die ganze Region mitsamt ihrem künstlichen Ort Semmering immer noch in einer Art Paralyse gefangen zu sein, die Entwicklungen hemmt oder völlig verhindert – andererseits zeugen zahlreiche Initiativen von einem großen Interesse, das man der Gegend in der Hauptstadt und anderswo entgegenbringt. Absurderweise wird dabei seit Jahren beharrlich eine touristische Vermarktung unter dem Label Zauberberg versucht. Mit Thomas Mann und Lungensanatorien hat der Semmering freilich nichts zu tun.

Erst jüngst sind zwei recht unterschiedliche Publikationen zum Thema erschienen. Den Infrastrukturbauten der Landschaftserschließung widmet sich Roland Tuschs Buch über die Wächterhäuser der Semmeringbahn, die im Zuge eines Forschungsprojektes detailliert katalogisiert, in Planzeichnungen dargestellt und in Architektur und Kontext analysiert wurden. In dichter Reihung stehen die Häuser mit einheitlichen Grund- und Aufrissschemata, aber modifiziert nach Fassadenausführung und Material – teils verputzt, teils Bruchstein –, nach Detailaufrissen, vor allem aber nach ihrer topografischen Situierung, an der Eisenbahnstrecke, abhängig von den Gegebenheiten des Geländes und der Trassenführung der Bahn, die die Standorte und Orientierungen der schlichten Satteldachbauten bestimmte. Ein Fotoessay von Gisela Erlacher zeigt die lakonische Ästhetik der Häuser an den Schienen und in der für die Bahnreisenden inszenierten Landschaft. Mangels Glamourfaktors sind die Häuser nicht weniger als die Palasthotels von Verfall, entstellender Umnutzung und Zerstörung bedroht.

Während Roland Tusch auch das Berufsbild und das alltägliche Leben der Bahnwärter und Bahnwärterinnen – auch diese gab es – zwischen Signal geben und Hühner füttern beleuchtet, ist ein im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Jüdischen Museums Wien publizierter Bildband der Fotografin Yvonne Oswald ausschließlich dem leer stehenden Südbahnhotel gewidmet, dessen melancholische Stimmung der Abwesenheit mondäner Gäste es dokumentiert. Der eher nüchterne Altbau von 1882, der in den Siebzigerjahren in Apartments umgewandelt wurde, bleibt dabei ausgespart. Thema ist der monumentale Zubau vom Beginn des 20. Jahrhunderts, entworfen von Alfred Wildhack und Robert von Morpurgo, die im Auftrag der Südbahn-Gesellschaft nicht nur den Semmering bebauten, sondern auch Opatija – die Klientel der verschiedenen Resorts war wohl ähnlich, wenn auch am Semmering ein wenig intellektueller. Die Architektur am Berg sollte jedenfalls mehr Burgenromantik-Heimatschutz als Secession bieten. Während Franz Panhans die Wiener Theaterfachleute Fellner & Helmer für die Erweiterung seines Hotels engagierte, weist das von Franz von Krauß und Josef Tölk entworfene Kurhaus – ein weiterer trauriger Langzeit-Leerstand – immerhin einige Elemente des (um 1910 auch schon nicht mehr ganz frischen) Secessionsstils auf. Mit Alma Mahlers von Hartwig Fischel entworfenem Landhaus am Kreuzberg und Joseph Urbans Villa Landau ist die Dichte moderner Architektur in der Boomzeit des Semmerings zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg eher dürftig.

Nach einer gewissen Erholung von der Zäsur des Weltkrieges plante in der Ersten Republik Adolf Loos, mit Peter Altenberg, Karl Kraus und Josephine Baker selbst häufiger Semmering-Besucher, ein nicht gebautes Schulprojekt für Eugenie Schwarzwald und ein realisiertes Haus für den Wiener Margarinefabrikanten Paul Khuner hoch über Payerbach – heute immerhin ein positives Beispiel für eine erfolgreiche, sensible Nutzung als Pension und Restaurant.

In der Zeit nach 1930 rüsteten angesichts veränderter Bedürfnisse eines anspruchsvollen reiseerfahrenen Publikums auch Panhans und Südbahnhotel ihre Infrastruktur auf, etwa durch Autogaragen mit Reparaturwerkstätten und diverse Sporteinrichtungen. Hallenschwimmbäder mit öffenbaren Glaswänden und vorgelagerten Liegewiesen waren das Ding der Stunde, entworfen von Anton Liebe und Ludwig Stiegler mit dem Gartenarchitekten Josef Oskar Wladar für das Panhans und von den Otto-Wagner-Schülern Emil Hoppe und Otto Schönthal für das Südbahnhotel. Während das Panhans-Alpenbad in den Achtzigerjahren abgebrochen wurde, ist das Schwimmbad des Südbahnhotels, auf dessen Flachdach einst zum Fünf-Uhr-Tee getanzt wurde, heute noch als ein Schatten seiner selbst erkennbar. Die auf einer Seite orange-weiß gestreiften, auf der anderen Seite gelben Marmorglas-Wandverkleidungen wurden vor einigen Jahren mutwillig kaputtgeschlagen. Details wie die Beschriftungen am Beckenrand, die verchromten Deckenluster und die elegant geschwungenen Geländer der Eistiegsleitern sind noch vorhanden, die orange lackierten Stahlrohr-Freischwinger sind mittlerweile aus dem verfallenden Bad verschwunden.

Mag auch die Melancholie des gegenwärtigen Zustandes zur Erinnerung an das vertriebene Publikum der Vorkriegszeit à la Stefan Zweig passen – der Semmering hätte eine lebendigere Zukunft verdient.

Spectrum, Sa., 2014.09.20

08. August 2014Iris Meder
Spectrum

Offenheit auf Abruf

50 Jahre nach seiner Errichtung ist der Bonner Kanzlerbungalow Star des deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig. Der zeitgleich entstandene Neubau der Deutschen Botschaft in Wien dagegen steht vor dem Abriss.

50 Jahre nach seiner Errichtung ist der Bonner Kanzlerbungalow Star des deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig. Der zeitgleich entstandene Neubau der Deutschen Botschaft in Wien dagegen steht vor dem Abriss.

Nicht alle haben so ein Glück: 50 Jahre nach seiner Errichtung ist der Kanzlerbungalow der Star des deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig. Vom Wiederaufbau-Kanzler Ludwig Erhard in Auftrag gegeben, wurde der Bungalow vom Architekten Sep Ruf entworfen, dem Nachbarn Erhards am Tegernsee. Unter den Bäumen, an das Bonner Rheinufer geschmiegt, repräsentativ und doch zurückhaltend, dabei edel, elegant und weltläufig, ist der ebenerdige Bau ganz dem Geiste des Bauhaus und seines in die USA emigrierten Direktors Ludwig Mies van der Rohe verbunden. Nichts sollte an die Großmannssucht des Deutschen Reichs erinnern. Schon einmal hatte Deutschland auf den Zauber funktionalistischer Architektur in Glas, Stahl und Stein gesetzt, als Mies van der Rohes legendärer „Barcelona-Pavillon“ das radikale Statement der Weimarer Republik auf der Weltausstellung des Jahres 1929 war.

Auch Erhard setzte mit dem Bonner Kanzlerbungalow ein Zeichen. Moderner hat wohl selten ein Staatsoberhaupt gewohnt. Kein Zaun schränkte den Blick über den Garten zum Rhein ein. Gäste wurden im Atriumhof oder dem fließenden Raumkontinuum des Repräsentationsbereichs empfangen. Man saß auf Möbeln der amerikanischen Firma Herman Miller, am Klavier nahm einst Udo Jürgens Platz, später der Kanzler selbst, der unterdessen Helmut Schmidt hieß. Durch den Umzug der Regierung nach Berlin in seiner Funktion obsolet geworden, wurde der Kanzlerbungalow vor einigen Jahren mustergültig saniert und für Besucher zugänglich gemacht.

Auf der Architekturbiennale geht er nun gemäß dem Konzept der Architekten Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis eine kongeniale Synthese mit dem deutschen Biennale-Pavillon ein, der, ursprünglich 1909 als Pavillon des Königreichs Bayern entworfen, 1938 vom Architekten Ernst Haiger für die Zwecke NS-Deutschlands umgebaut wurde: Außen dem Geist der NS-Architektur verpflichtet, entpuppt sich der Bau nun im Inneren als 1:1-Nachbau des Kanzlerbungalows. Die Monumentalarchitektur des Dritten Reichs verwandelt sich in ihrem Inneren in die zukunftsfrohe, demokratische Nachkriegsmoderne, sozusagen ein Schaf im Wolfspelz. Ein ironischer Kommentar zur politischen Codierung von Architektur, erinnert die Installation nicht zuletzt auch an das Selbstbild eines entmilitarisierten, weltoffenen Westdeutschlands, wie es sowohl die Weimarer als auch die Bonner Republik in die Welt zu tragen bestrebt waren.

Zeitgleich mit dem Bonner Kanzlerbungalow entstand 1962 bis 65 der Neubau der Deutschen Botschaft in Wien. Den Wettbewerb, der nach dem Abriss der zuletzt, nach Umbau durch Josef Hoffmann, als „Haus der Wehrmacht“ dienenden, kriegsbeschädigten ehemaligen Deutschen Botschaft in der Metternichgasse ausgeschrieben wurde, gewannen ex aequo die drei Entwürfe von Sep Ruf, Alexander von Branca und Rolf Gutbrod, der den Bau letztlich realisierte. Gutbrod repräsentierte das neue, das gute Deutschland. Der Waldorfschüler orientierte sich nicht nur an den Lehren Rudolf Steiners. Lehrmeister waren auch Hermann Hesse, Max Frisch und Hannah Arendt, Kern seiner Arbeit war die Suche nach dem „Eigentlichen“, dem Angemessenen der Aufgabe. Seine Stuttgarter Liederhalle, die geschwungene, organische Formen in die Strenge der Bauhaus-Nachfolge brachte, zählt zu den besten architektonischen Zeugnissen ihrer Zeit in Deutschland.

Für das Wiener Botschaftsgebäude konzipierte Gutbrod eine Gruppierung locker um einen terrassierten Innenhof gesetzter, transparenter Baukörper. Heute kaum denkbar: Kein Zaun trennte den Garten von der Straße. Kein Bollwerk der Macht sollte die mit Arbeiten des Münchner Künstlers Blasius Spreng ausgestattete Botschaft sein, sondern ein für alle offenes Kulturzentrum, zart und schlank in der Konstruktion, mit Oberflächen in Glas und Sichtbeton, Quarzit und Muschelkalk, Chrom und Teakholz. Das Wiener Haus galt als eine der modernsten und schönsten Botschaften der Bundesrepublik.

Nun droht das Gebäude unter den Anforderungen der aktuellen bauphysikalischen und brandschutztechnischen Regelungen erdrückt zu werden. Noch vor wenigen Jahren galt der von der internationalen Denkmalschutzorganisation Docomono als unbedingt schutzwürdig eingestufte Bau als Musterbeispiel einer geschätzten und dadurch auch geschützten Nachkriegsmoderne. Zur Generalsanierung schrieb das deutsche Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2007 einen Wettbewerb aus. Ziel war, „die Nutzung dieses wertvollen Beispiels der Architektur der 1960er-Jahre langfristig zu sichern. Im Rahmen des Wettbewerbs sollten hierfür konzeptionelle Lösungsansätze unter Einbeziehung der vorhandenen Bausubstanz und der Urheberrechte dargestellt werden“.

Nachdem die Planungen zum Projekt des siegreichen Büros gildehaus.reich architekten bis 2011 voranschritten, wurde die Sanierung letztlich nicht realisiert. Nun soll das Gebäude abgerissen werden. Ein Denkmalschutz besteht von österreichischer Seite nicht. Von einer Ausschreibung für einen Neubau wurde noch nichts bekannt. Eine Besichtigung wird Interessierten seit Bekanntwerden der Abrisspläne verwehrt.

Die Deutsche Botschaft in Wien ist ein hochrangiges Zeugnis einer progressiven, offenen und antimilitaristischen Selbstdarstellung der Bundesrepublik Deutschland, wie sie zuletzt mit den Olympischen Spielen von München 1972 postuliert wurde. Der Terrorismus der 1970er-Jahre verhinderte später so viel Offenheit. Eine sinnvolle Adaptierung wäre möglich. Während der Kanzlerbungalow zu seinem 50. Geburtstag eine große Bühne in Venedig erhält, flattert der Wiener Deutschen Botschaft nun der Abrissbescheid ins Haus. Leider: Nicht alle haben so ein Glück.

Spectrum, Fr., 2014.08.08

31. Mai 2014Iris Meder
Spectrum

Zwischen Kunst und Konsum

Die Passage als Ort der Vergnügung hat ihren Ursprung im Paris des frühen 19. Jahrhunderts. Ihr bürgerlicher Charakter war wohl Grund dafür, dass sie sich im höfischen Wien nie wirklich durchsetzte. Ganz anders in Prag. Ein Streifzug an der Moldau.

Die Passage als Ort der Vergnügung hat ihren Ursprung im Paris des frühen 19. Jahrhunderts. Ihr bürgerlicher Charakter war wohl Grund dafür, dass sie sich im höfischen Wien nie wirklich durchsetzte. Ganz anders in Prag. Ein Streifzug an der Moldau.

Als Václav Havel, als Sohn wohlhabender Eltern dem kommunistischen Regime per se verdächtig, nicht an der Prager Filmhochschule studieren durfte, ging er als Bühnentechniker zum ABC-Theater. Die Bühne nahe dem Wenzelsplatz ist Teil eines umfangreichen Systems aus Wohntrakten über untereinander verbundenen Durchgängen mit Geschäften, Cafés, Kinos und Veranstaltungssälen. Teil des Komplexes ist die wohl bekannteste der Prager Passagen, die „Lucerna“, deren Auftraggeber 1916 Havels Großvater war.

Die Passage als Ort der Vergnügung hat ihren Ursprung in den Pariser Passagen des frühen 19. Jahrhunderts. Entstanden aus privater Bauspekulation, dienten sie dazu, tiefe Parzellen optimal zu erschließen, Querverbindungen zwischen Straßen zu schaffen und dabei Mieten von Geschäfts- und Cafébesitzern zu lukrieren. Technische Fortschritte ermöglichten die Überdachung der Durchgänge mit Glas-Eisen-Konstruktionen. Es entstanden geheizte, beleuchtete innerstädtische Habitate, verwandt mit den Wandelhallen der Kurorte, aber auch Bahnhöfen, Markthallen, Basaren: öffentliche Räume von Handel, Verkehr und Konsum, die Begegnungen harmloser wie konspirativer Natur ermöglichten. Mit einem zunehmend verstädterten Bürgertum als Voraussetzung betrat auch der Flaneur des 19. Jahrhunderts die Bühne.

Der bürgerliche Charakter des Bautyps Passage ist wohl auch der Grund dafür, dass er sich im höfischen Wien nie wirklich durchsetzte – dem von der Österreichisch-Ungarischen Nationalbank errichteten Palais Ferstel folgten neben der heute verlassenen kleinen Rotenturm-Passage nur zwei bescheidene Exemplare am Graben. Das intellektuelle Biotop Kaffeehaus bedurfte wohl der Passagen-Umgebung nicht.

Während im Paris Baron Haussmanns Großkaufhäuser gebaut wurden, entwickelten sich die Passagen in Italien und Russland zu gigantischen Konsumtempeln. Mit 100 Jahren Verspätung kam das Prinzip Passage in die böhmischen Länder. In Prag entstanden im 20. Jahrhundert rund um den Graben und den zunehmend zum Zentrum urbanen Lebens werdenden Wenzelsplatz die schönsten Exemplare. Die größten unter ihnen, wie die Jugendstil-Gesamtkunstwerke „Lucerna“ und „Koruna“, im unteren Teil des Wenzelsplatzes, verfügten ursprünglich nicht nur über Cafés, Restaurants und Kinosäle, sondern auch über Schwimm- und Schwitzbäder.

In der mit der „Lucerna“ verbundenen Passage „U Nováku“ residierte vor dem Krieg das futuristische „Befreite Theater“, das in den 1930er-Jahren immer offener gegen den Nationalsozialismus auftrat und, von der Zensur zunehmend drangsaliert, seinen Namen in „Gefesseltes Theater“ änderte. Nach der erzwungenen Schließung des Theaters 1938 emigrierten seine Protagonisten, die Schauspieler Jiří Voskovec und Jan Werich, in die USA. In der „Lucerna“ siedelte sich in den 1960er-Jahren das Theater „Rokoko“ an, in dem zahlreiche tschechische Popstars, darunter Musikprominenz des Prager Frühlings wie Marta Kubišová und Václav Neckář, ihre Karrieren begannen. Die Konkurrenz, das ebenso legendäre „Semafor“-Theater, spielte ein paar Häuser weiter in der 1927 in elegantem Funktionalismus erbauten „Alfa-Passage“, die in den 1930er-Jahren auch das surrealistische „Neue Theater“ aufnahm.

Der eigentliche Siegeszug der Prager Passagen begann nach dem Ersten Weltkrieg. Bauherren waren zunehmend Banken und Versicherungen wie die Riunione Adriatica, deren „Adria-Passage“ der Architekt Pavel Janák mit dem deutschsprachigen Prager Josef Zasche entwarf. Hier residierte neben einem Filmklub das „Theater vor dem Tor“, vor allem aber die legendäre Multimedia-Bühne „Laterna magika“. Die Nationalbank baute am Graben 1935 bis 1938 eine hochelegante Passage mit flachen Tonnengewölbe aus Glasbausteinen, wie es für die 1930er-Jahre typisch war. Decke und Böden aus Beton-Glas-Elementen kennzeichnen auch die der Nationalbank benachbarte, denkmalgeschützte Passage „?erná růže“ (Schwarze Rose), 1928 bis 1932 vom Architekten Oldřich Tyl gebaut und vor einiger Zeit ambitioniert restauriert. Auch die Stadt selbst sah bei Verwaltungsgebäuden Einkaufspassagen vor – so lässt sich zu Bürozeiten das Magistrat des ersten Bezirks funktionalistisch flanierend durchqueren, ebenso wie das Haus der Tschechischen Volkspartei.

Bis heute haben sich in den meisten Passagen Details wie kubische Beleuchtungskörper, vernickelte Profile, abgerundete Schaufenster, zylindrische Türdrücker, geometrisch gemusterte Mosaikböden und marmorverkleidete Brüstungen erhalten, zum Teil auch die Ausstattungen der Cafés – neben der „Lucerna-Passage“ etwa in der 1930 vom Architekten Josef Karel ?iha für eine Bergwerksgesellschaft erbauten „Komedie-Passage“, heute nach dem einstigen Star ihres Theaters „Vlasta-Burian-Passage“ genannt. Weniger bekannt als „Lucerna“, „Adria“ und „Koruna“, ist sie eine verborgene Perle in zweiter Reihe des städtischen Salons Wenzelsplatz, wie etwa auch die reizende kleine Passage „U Bumbrlička“ (Zum Pummelchen), außen funktionalistisch mit integriertem Barockportal, innen Sitz des Kindertheaters „Minor“ und daher auch „Kinderpassage“ genannt.

An Versammlungen eines konsum- und kulturfreudigen, selbstbewussten Bürgertums hatte der Sozialismus kein Interesse. Die letzte der Prager Passagen, die mit der „Alfa-Passage“ verbundene „Světozor-Passage“, entstand 1947, knapp vor der Machtübernahme der Kommunisten. Ihre städtische Funktion haben sich die Passagen auch über die Zeit des Sozialismus hinweg bewahrt. Heute sind manche geschlossen, die meisten aber nach wie vor belebt und vielfältig genutzt, elementare Bestandteile der lebendigen, sprudelnden Großstadt.

Spectrum, Sa., 2014.05.31

19. April 2014Iris Meder
Spectrum

Vergessen und erinnert

Technischer Planer, Architekturtheoretiker, Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, Designer für Thonet in den USA, Professor am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University: zur Erinnerung an den Wiener Architekten Walter Sobotka, der vor 40 Jahren in New York starb.

Technischer Planer, Architekturtheoretiker, Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, Designer für Thonet in den USA, Professor am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University: zur Erinnerung an den Wiener Architekten Walter Sobotka, der vor 40 Jahren in New York starb.

Dass Österreich arm sei an Vergessenen, kann man nicht wirklich behaupten. Ab und zu wird jemand wiederentdeckt, manche dagegen harren ihrer Wiederentdeckungen allerdings Jahr und Tag. Walter Sobotkas Ästhetik war jener der großen Neuerer der Wiener Moderne, Josef Frank und Oskar Strnad, wohl einfach zu nahe verwandt, auf den ersten Blick bis zur Ununterscheidbarkeit. 1888 wie Strnad und Frank im Umfeld des aufgeklärten Wiener jüdischen Bürgertums geboren, studierte Sobotka wie sie an der Wiener Technischen Hochschule Architektur.

Neben seiner planerischen Tätigkeit reflektierte er die Prinzipien seiner Tätigkeit auch in theoretischen Aufsätzen. „Das Möbel als Gerät“ waren sie überschrieben, „Familienwohnhaus – Mietwohnung“, „Der gute Gegenstand und die Wege zu seiner Verbilligung“, „Zur Entwicklung des Gebrauchsgegenstandes“ und „Organisationdes Wohnbetriebs“ – Themen, wie man sie ähnlich auch beim drei Jahre älteren Frank findet. Sogar Sobotkas Wohnung befand sich in Franks Nachbarhaus auf der Wiedner Hauptstraße. An der Arbeitsgemeinschaft von Frank, Strnad und Oskar Wlach warSobotka aber nur kurz beteiligt, als er 1925 in den ersten paar Monaten Teilhaber des von Frank und Wlach neu gegründeten Einrichtungsunternehmens „Haus und Garten“ war.

Im selben Jahr nahm Sobotka an der legendären Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes in Paris teil. 1927 richtete er eine Wohnung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ein, in Wien waren seine Interieurs Teil der Werkbund-Ausstellung von 1930. ZweiJahre später wurde er Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, dessen Verkaufslokal im Grand Hotel am Kärntnerring er ausstattete. In der Wiener Werkbundsiedlung baute er zwei Hauseinheiten. Gelegentlich arbeitete Sobotka mit anderen Vertretern der Wiener Moderne wie Walter Loos, Jacques Groag, Hofmann/Augenfeld und Hans Vetter zusammen – ein smarter, erfolgreicher Architekt mit den besten Zukunftsaussichten. Ein zeitgenössischer Artikel erwähnt beeindruckt „schon das Äußere seiner Persönlichkeit, das den Mann von wählerischem Geschmack erkennen lässt“.

In seinem Architekturbüro plante Sobotka Bürogebäude, Gemeindebauten und Einfamilienhäuser, so beispielsweise die luxuriöse Villa des Chemikers Dr. Emmerich Granichstaedten, der ein Vermögen durch die Entwicklung eines patentierten Verfahrens zum Härten von Speisefetten bei der Margarineherstellung gemacht hatte. Die Villa im Döblinger Cottageviertel, heute Sitz des kanadischen Botschafters, ist ein in seiner Unbekümmertheit faszinierendes Konglomerat aus englischem Landhaus, Klassizismus, Chinoiserie, Moderne und Art Déco bis zum Surreal-Manierierten. Hinter den großen Fenstern entfaltet sich das klassische großbürgerliche Wohnraumprogramm mit Speisezimmer, Musikzimmer und Wohnhalle mit geräumigem Kaminplatz; die Treppenhalle reicht bis in den offenen Dachstuhl. Emmerich Granichstaedten, aktiver Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, emigrierte im Jahr 1938 nach England und überschrieb das Haus seiner Frau, die nach der Scheidung der Ehe in Wien blieb. Er selbst kehrte nie nach Wien zurück.

Nicht besser erging es dem aus Sachsen stammenden Strickwarenfabrikanten Otto Adam und seiner Frau Ella, die Sobotkas Schwägerin war. Ihr elegantes, weiß verputztes Flachdachhaus im mährischen Iglau, das vom Architekten zur Gänze im unprätentiösen Stil von Franks „Haus und Garten“ eingerichtet wurde, brachte Sobotka internationale Anerkennung.

Nach dem Tod Otto Adams führten die zwei älteren Söhne die Strickwarenfabrik Adam & Seidner weiter. Während des Krieges wurden beide unter dem Vorwand unrechtmäßiger Bewirtschaftung von Produktionsmitteln hingerichtet, das Haus bezog die Gestapo. Ella Adam überlebte das Ghetto Theresienstadt, in dem Otto Adams Kompagnon Louis Seidner ermordet wurde. Nach dem Krieg residierte im Haus die Staatssicherheit, dann ein Kindergarten, dann,nach einer unsensiblen Sanierung, die sozialdemokratische Partei und heute eine Firma für agrarische Infrastruktur. Der von Sobotka gemeinsam mit dem Haus entworfene Garten wurde zerstört.

Wie ein großer Teil der Auftraggeber emigrierten nach dem „Anschluss“ 1938 ebenfalls Sobotka und seine Frau, die Schauspielerin Gisela Schönau. Mit ihrer Tochter Ruth flohen sie nach New York, wo Sobotka Designer der amerikanischen Niederlassung von Thonet wurde. Auch als Architekt erhielt er Aufträge, so etwa den Umbau mehrerer Kinos der RKO-Kette. Wenige Jahre später folgte eine Professur am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University.

Mit Wien sollte Sobotka ebenso noch einmal zu tun haben: Im Zeitraum von 1950 bis 1954 entstand gemeinsam mit dem Architekten Percy A. Faber ein Bürohaus für die Veitscher Magnesitwerke am Schubertring 10–12. Das Gebäude, in dem später statt des ursprünglichen Espressodie deutsche Tourismuszentrale und statt der Magnesitwerke die Staatspolizei untergebracht waren, gab zuletzt, aufgrund des jahrelangen Leerstands, einen dankbaren Kandidaten für innerstädtische Schandfleck-Rubriken ab. Obgleich kein wirklich bedeutender Bau seiner Zeit, ist es allerdings im Gegensatz zu anderen, unterdessen abgebrochenen Wiener Bauten Sobotkas denkmalgeschützt. Derzeit wird es zu einem Hotel umgebaut.

Sobotkas 1925 geborene Tochter Ruth war in der Nachkriegszeit eine bedeutende Tänzerin und Choreografin im Ensemble von George Balanchine. 1955 wurde sie die zweite Ehefrau des aufstrebenden Fotografen und Jungregisseurs Stanley Kubrick, der wie sie Nachkomme österreichisch-jüdischer Emigranten war. Schon zwei Jahre darauf trennte sich das Paar. Nach Ruth Sobotkas frühem Tod im Jahr 1967 gab Walter Sobotka ein Buch über die künstlerische Tätigkeit seiner Tochter heraus. Das fotografische Werk Stanley Kubricks wird ab 8. Mai in einer Ausstellung in Wien präsentiert („Eyes Wide Open“ im Bank Austria Kunstforum). Am selben Tag wird es genau 40 Jahre her sein, dass der Wiener Architekt Walter Sobotka in New York starb.

Spectrum, Sa., 2014.04.19



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Sobotka Walter

08. Februar 2014Iris Meder
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Erbe, saniert und adaptiert

Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet: die neue Durchwegung bei der Universitätszahnklinik Wien.

Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet: die neue Durchwegung bei der Universitätszahnklinik Wien.

Der Umgang mit dem architektonischen Erbe Wiens ist, man muss es leider sagen, nicht immer vorbildlich. Gnadenlos wird zurzeit das architektonische Tafelsilber verscherbelt: Öffentlich genutzte Bauten wie Postfilialen, Finanzämter, Gerichtsgebäude und Bankzentralen werden Developern anheimgegeben, die sie zu Drittwohnsitz-Penthouses und Luxushotels umwidmen. Zuvor Öffentliches wird privat, exklusiv, unzugänglich – seiner ursprünglichen Nutzung beraubt und de facto oft leer stehend. Umso erfreulicher sind die positiven Beispiele zeitgemäßer Restaurierung, Sanierung, Adaptierung und Weiternutzung historischer Bausubstanz. Der im letzten Jahr fertiggestellte Umbau des historischen Garnisonsspitals zur Universitätszahnklinik in Wien-Alsergrund ist eines davon.

Fest steht: Die Aufgabe des Bauens im Bestand wird an Umfang und Bedeutung noch wesentlich zunehmen – und damit die Anforderungen an Architektur, sich mit den Gegebenheiten historisch gewachsener Gefüge auseinanderzusetzen. Eines der größten dieser über Jahrhunderte gewachsenen Gefüge im Zentrum Wiens ist der Komplex des Alten AKH mit den angrenzenden Gebäudegruppen des Josephinums und des ehemaligen Garnisonsspitals sowie dem Narrenturm im Zwickel zwischen den beiden von den damaligen Basteien Wiens entlang der Achsen Alser Straße und Währinger Straße abgewinkelten Bereichen.

Während das Alte AKH, im 17. Jahrhundert als Armenhaus begründet, unter Joseph II. nach dem Vorbild des Pariser Hôtel-Dieu zum Allgemeinen Krankenhaus umgebaut wurde, plante man Narrenturm, Josephinum und Garnisonsspital als Neubauten. Architekt des gesamten Komplexes war Isidor Canevale, 1730 in Vincennes bei Paris geboren und 1760 nach Wien zugezogen. Er war der richtige Mann für Joseph II, der, wenn er seine Schwester Marie Antoinette in Paris besuchte, dort die Anfänge des keineswegs politisch, wohl aber architektonisch heute zu Recht so bezeichneten Revolutionsklassizismus kennengelernt hatte. Josephsstöckl und Portalbauten im Augarten, Grassalkovich- und Schönborn-Palais, Prater-Lusthaus, Kleine Gloriette, die Schlossparks in Rodaun und Laxenburg folgten, außerdem bemerkenswerte frühklassizistische Kirchenbauten wie der Dom im ungarischen Vác und die elegante kleine Pfarrkirche Maria Schnee in Wiener Neudorf. 1775 wurde Canevale Hofarchitekt.

Die Jahre 1783–1784 waren für den ambitionierten Zuwanderer von höchster Produktivität geprägt: Gleichzeitig plante und realisierte er Allgemeines Krankenhaus, Narrenturm, Garnisonsspital und Josephinum – die beiden Ersteren für die Unterbringung Kranker, die Letzteren für das Militär und die Ausbildung von Wundärzten konzipiert. Während sich die Militärchirurgische Akademie, das heutige Josephinum, als repräsentatives spätbarockes Palais mit einem Ehrenhof zur Währinger Straße öffnet, gibt sich das dahinter an der Van-Swieten-Gasse liegende Garnisonsspital als eher schmuckloser Zweckbau mit langgestreckten Trakten rund um zwei große Höfe – den „Kräuterhof“ und den „Garnisonshof“.

Der etwas kleinere Kräuterhof, von drei Trakten des Garnisonsspitals und der Rückseite des Josephinums gerahmt, nahm ursprünglich den botanischen Heilpflanzengarten der Militärchirurgischen Akademie auf – einst ein unverzichtbarer Bestandteil jeder medizinischen Ausbildungsstätte. In den letzten Jahren wurde der Komplex des Garnisonsspitals vom Büro Nehrer + Medek und Pohl ZT GmbH zur Universitätszahnklinik umgebaut, mit Ausbildungs- und Behandlungsräumen, Festsaal, Bibliothek, Kindergarten, ins Souterrain eingetieften Hörsälen und einer Cafeteria mit Schanigarten. Dazu wurde der historischen Struktur eine Glasspange entlang dem Trakt zwischen den beiden Höfen vorgelegt, die das gesamte Gelände von der Sensengasse her erschließt. Tagsüber fungiert diese Spange auch als eine Art Durchhaus zwischen Sensengasse und Van-Swieten-Gasse. Eine weitere neue Durchwegungsmöglichkeit des weitläufigen Geländes besteht von der Währinger Straße aus, wo dasselbe Architekturbüro im Rahmen eines weiteren Wettbewerbs den Neubau der Informatik- und Publizistik-Institute der Universität Wien realisierte.

So wurden auch beide historischen Höfe als Grünzonen im Stadtgefüge öffentlich zugänglich. Die Neugestaltung und Adaptierung an die gegenwärtigen Anforderungen lagen bei der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer. Der alte Baumbestand blieb erhalten. Das neue Gestaltungskonzept Anna Detzlhofers nimmt auf die historischen Wegestrukturen in abstrahierter Form Bezug und kombiniert sie mit einfachen Diagonalverbindungen zwischen den neu geschaffenen Zugängen.

Der Kräuterhof blieb mit seinen vielen hohen Bäumen ein intimer Grünraum. Neu angelegt wurde ein zum angrenzenden Kindergarten gehörender Spielplatz, außerdem ein Vorplatz vor der Treppe zum Festsaal der Medizin-Universität. Kleine Rasenböschungen mit korrodierten Stahlblecheinfassungen modulieren das Gelände und schaffen topografisch unterschiedliche Zonen.

Als großzügige Parkfläche fungiert hingegen der benachbarte Garnisonshof. Eine ebenerdige holzbeplankte Terrasse dient als sonniger Gastgarten der Cafeteria. Die neue Wegeführung markiert auch den Ort der nicht erhaltenen Kapelle, mit der Canevale einst die Mitte des leicht trapezförmigen Hofes markiert hatte. Heckensegmente sind konzentrisch rundherum verteilt; auch die schlichten blockartigen Metallsitzbänke mit integrierter indirekter Beleuchtung, die das zentrale Rondell säumen, folgen dem Leitmotiv des Kreisschwungs. Schlanke zylindrische Metall-Leuchtstelen flankieren die Wege in beiden Höfen. Zwischen den separat stehenden alten Bäumen sind einzelne Zonen zwanglos mit Gräsern, Sträuchern und Blütenstauden bepflanzt.

Entstanden ist ein für alle nutzbarer Ort, an dem man sich gerne aufhält, den man gerne auch nur durchquert, um im Vorbeigehen einen Eindruck von leichtem, luftigem Grün mitzunehmen. Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet. Das ist das Beste, was man von einer städtischen Struktur verlangen kann. Und gleichzeitig das Selbstverständlichste.

Spectrum, Sa., 2014.02.08

28. Dezember 2013Iris Meder
Spectrum

Mit Blick in die Zukunft

Anlässlich des Todes von Boris Magaš: Als einer der bedeutendsten Architekten Nachkriegs-Jugoslawiens zeichnete er verantwortlich für zwei große Hotelkomplexe an der dalmatinischen Küste und für das Poljud-Stadion des Fußballklubs Hajduk Split. Sein Interesse galt dabei stets dem Kommenden.

Anlässlich des Todes von Boris Magaš: Als einer der bedeutendsten Architekten Nachkriegs-Jugoslawiens zeichnete er verantwortlich für zwei große Hotelkomplexe an der dalmatinischen Küste und für das Poljud-Stadion des Fußballklubs Hajduk Split. Sein Interesse galt dabei stets dem Kommenden.

Es hat unterdessen einen gewissen Geheimtipp-Status als „meistfotografierte Ruine Kroatiens“ – das Hotelresort Haludovo bei Malinska auf der Insel Krk. Sein Architekt, Boris Magaš, ist nun 83-jährig verstorben. In Kroatien kennt man Magaš, langjähriger Architekturprofessor an der Universität Zagreb und in den 1990er-Jahren kurzzeitig Berater Franjo Tudjmans für Architektur und Stadtplanung, vor allem als Architekt preisgekrönter Sportstätten, allen voran des Mitte der 1970er-Jahre gebauten Poljud-Stadions, das die Heimat des Fußballklubs Hajduk Split ist.

Magaš selbst sah das Fußballstadion, das sich bei aller zeitgemäßen Formensprache auf das Prinzip zweier einander gegenüberstehender antiker Theater mit Zuschauern im Zentrum des Geschehens beruft, als sein Meisterwerk an. Im kulturellen Gedächtnis Adria-affiner Mitteleuropäer dürfte Magaš aber eher durch seine beiden großen Hotelkomplexe an der dalmatinischen Küste bekannt sein.

Den Anfang machte das auf einer mit Kiefernwäldern bestandenen flachen Halbinsel nördlich von Šibenik gelegene, in den Jahren 1967 und 1968 realisierte Resort Solaris, mit fünf architektonisch getrennten, aber gemeinsam verwalteten Hotels verschiedener Kategorien, Arbeiter-Ferienheim-Kapazitäten für die einheimischen Werktätigen und einem künstlichen „Ethnodorf“ in der Art dalmatinischer Bergnester, das Souvenirshops und Gastronomie beherbergt. Hochelegant sind die zwischen den dunklen, hohen Kiefern breit gelagerten flachen Quader der Hotelbauten, deren Fassaden mit filigran durchbrochenen weißen Schiebeläden verschließbare schattige Loggien bilden.

Wie alle größeren Hotelanlagen an der Küste wurde das Resort nach dem Jugoslawien-Krieg zum Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Bosnien. Nach dem Krieg stellte man die Anlage wieder für touristische Zwecke her. Das nobelste der fünf Hotels wurde kürzlich von dem Wiener Architekten Arkan Zeytinoglu revitalisiert. Die gesamte Anlage ist mit ihrem eklektizistischen Ansatz ein bis heute funktionierendes Beispiel für eine Durchmischung von Touristen verschiedener Urlaubskategorien und Einheimischer, die im Sommer die – wie in ganz Ex-Jugoslawien – prinzipiell öffentlichen und für alle zugänglichen Kiesstrände der Halbinsel bevölkern.

Das ähnlich wie Solaris strukturierte, aber noch ambitionierter dimensionierte Haludovo, nördlich des Ortes Malinska auf Krk gelegen, ergab sich für Magaš als Folgeauftrag aus dem bereits kurz nach seiner Fertigstellung mit einem Architekturpreis ausgezeichneten Šibeniker Projekt – mit demspeziellen Phänomen einer Involvierung des amerikanischen „Penthouse“-Herausgebers Bob Guccione.

Es folgten Jahre mit Hummer- undChampagner-Diners, mit illustren und teils zweifelhaften Gästen aus Jetset und Politik und Auftritten von internationalen Showstars, Krieg, Flüchtlingsbelegung, Wiederinbetriebnahme, Verkauf an einen armenischen Investor, Schließung, Teilabriss, Teilbetrieb und mittlerweile schon lange Jahre andauerndem Leerstand, begleitet von widersprüchlichen Gerüchten aller Art von Abriss bis zu Restaurierung.

Heute durchstreifen neugierige architekturaffine Reisende die Reste von Boris Magaš'atemberaubender Architektur, steigen überGestrüpp und Scherbenhaufen und bewundern zweistöckige Hallen, durchbrochene Sonnenschutz-Lamellenwände, dynamisch über die Baukörper hinausschießende Beton-Flugdächer, anmutig den flachen Hang hinabgetreppte Atrium-Einzelhäuser, großzügige Strandbars und halbrunde Badeterrassen am Meer. Zugleich ist die zunehmend devastierte Ruine das Memento mori einer versuchten Internationalisierung von Jugoslawiens Tourismusindustrie der frühen 1970er-Jahre.

Magaš selbst vertrat nicht lange vor seinem Tod in einem Interview, das in der von Michael Zinganel kuratierten Ausstellung „Urlaub nach dem Fall“ zu sehen war, die emotionslose Ansicht, ein Konzept wie Haludovo würde heute nicht mehr funktionieren, man solle den Komplex ruhig abreißen und zeitgemäßer neu bauen.

In den letzten Jahren beschäftigte sich Magaš mit der Fertigstellung eines 2012 in Zagreb erschienenen Grundlagenwerkes zu Fragen architektonischen Entwerfens und verfasste auch Aufsätze unter anderem zur Architektur des 19. Jahrhunderts. Dennoch blieb er immer vor allem dem Blick in die Zukunft verhaftet. Auch wenn sich Magaš als Kroate sah, ist mit seinem Tod Ende Oktober doch einer der bedeutendsten Architekten Nachkriegs-Jugoslawiens verstorben.

Nur wenige Wochen vor Magaš starb mit dem fast genau zehn Jahre vor Magaš geborenen Niko Kralj auch einer der wichtigsten Designer Jugoslawiens. Der Slowene Kralj, an der Technischen Universität Ljubljana Schüler von Jože Plečnik, Edvard Ravnikar und dem durch den touristischen Ausbau von Portorož bekannt gewordenen Edo Mihevc, profilierte sich nach seinem Architekturstudium vor allem als Möbeldesigner. Der soziale Ansatz und das humanistische Ziel des umtriebigen Kralj waren es, erstklassig gestaltete Produkte – vor allem Sperrholzmöbel – bei ökonomischer, rationeller Materialverwendung und ökologisch korrekter Produktion für möglichst viele leistbar zu machen. Jugoslawien gibt es nicht mehr, aber die Geschichte geht weiter. Kraljs ikonische Klappmöbel-Serie „Rex“ wird neu produziert und erlebt so seit einiger Zeit im Zuge des anhaltenden Mid-Century-Interesses eine ebenso beachtliche wie verdiente Renaissance.

Spectrum, Sa., 2013.12.28

15. November 2013Iris Meder
Spectrum

Suburb bei Wien

Geplant am Reißbrett nach US-Vorbild: der niederösterreichische Selbstbau-Pendler-Ort Strasshof. Eine Geschichte über Verbindungen zwischen Böhmen, Amerika und Österreich, jetzt von Judith Eiblmayr zusammengefasst in einem Buch.

Geplant am Reißbrett nach US-Vorbild: der niederösterreichische Selbstbau-Pendler-Ort Strasshof. Eine Geschichte über Verbindungen zwischen Böhmen, Amerika und Österreich, jetzt von Judith Eiblmayr zusammengefasst in einem Buch.

Wien darf nicht Chicago werden? Na ja – Strasshof aber schon! Was heute wie ein Witz der Geschichte anmutet, war damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, durchaus ernst gemeint – und es sollte ein großes Ding werden: die „Garten- und Industriestadt“ Strasshof nämlich, „die größte und schönste Stadt Niederösterreichs“.

Was eine rechte österreichische Geschichte ist, das fängt natürlich in den böhmischen Ländern an. Göding, tschechisch Hodonín, gleich hinter der Grenze. Die Stadt, in der nicht nur der erste tschechoslowakische Staatspräsident, Tomáš Garrigue Masaryk, geboren wurde, sondern auch die erste Ingenieurin Österreichs, die Architektin Helene Roth, die der starken jüdischen Gemeinde Gödings entstammte. Und die Stadt der Zuckerfabrikanten- und Bauunternehmerfamilie Redlich.

Der Drang der Gödinger nach Amerika war groß: Masaryk heiratete 1878 bei einem USA-Aufenthalt die Amerikanerin Charlotte Garrigue, deren Nachnamen er seinem hinzufügte. Josef Redlich, studierter Jurist, lehrte seinerseits 1910 als erster Österreicher an zwei amerikanischen Universitäten. Eine Verwandtschaft bestand mit der Ölmagnaten-Dynastie der Fanto, weswegen auch die „Mährische Bergbau Ges.m.b.H.“ ihren Sitz in Göding hatte.

Auftritt Ludvik Odstrčil, Notar aus dem nahen Klobouk (Klobouky u Brna) und gut bekannt mit den Redlichs. Gemeinsam planten sie den ganz großen Coup: die Etablierung einer neuen Stadt, verkehrstechnisch optimal gelegen an der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn und damit direkt an der Achse, die von Wien über Göding in die schlesischen Schwerindustriegebiete von Kattowitz und Ostrau führte. Dort hatte sich Odstrčil bei der „Mährischen Bergbau Ges.m.b.H.“ bereits früh genug Schürfrechte für Gelände nahe der Rothschild'schen Witkowitzer Eisenwerke gesichert, deren Abgeltung ihm nun beachtlichen Reichtum bescherte.

Gleich nach dem Bau des großen Verschubbahnhofs der Nordbahn im flachen, sandigen und nicht weiter aufregenden Strasserfeld hatte Odstrčil vor Ort einen Gutshof mit großen Ländereien erworben. Hier plante sein Sohn Johann, der in Wien Architektur studiert hatte, ab 1911 jene „Garten- und Industriestadt“, die den Unternehmern den Durchbruch bringen sollte, mithilfe der von Johann Redlichs Cousin Karl geführten Baufirma „Redlich & Berger“, die erstmals in Österreich amerikanische Großbaumaschinen einsetzte.

Der Masterplan der Siedlung beruhte auf einer rigiden Rasterstruktur in den Dimensionen von Gartenvororten Chicagos wie Oak Park. Inspiriert wurde sie offenbar von Ansichtskarten, die der in Illinois und Michigan lehrende Johann Redlich nach Hause geschickt hatte, wie nun die Architektin Judith Eiblmayr in ihrem jüngst erschienenen, hoch spannenden Buch zu Strasshof („Lernen vom Raster. Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne“) erläutert: Genormte Straßenbreiten von 24 beziehungsweise 16 Meter Breite mit Baumreihen, separiertem Trottoir und Blockbreiten von 80 Metern prägen das projektierte Ortsbild.

Die Wohnviertel sollten von Fabriken umrahmt werden – gedacht war nach Gödinger Vorbild an Zucker-, Petroleum- und Ziegelherstellung, die Arbeiterschaft sollte vornehmlich aus Mähren und Ungarn zuziehen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges standen erste Bauten wie Kirche und Schule einsam auf dem parzellierten Gelände nahe dem Verschubbahnhof. Nach Kriegsende lag die mährisch-schlesische Schwerindustrie im Ausland. Das hochfliegende Konzept war hinfällig.

Die nicht mehr zu verkaufenden Bauparzellen wurden billig abgegeben, teilweise für den Bau öffentlicher Bauten verschenkt. Ludvik Odstrčil lebte in seinem neu gebauten Schlösschen im Strasserfeld, Josef Redlich zog es nach einem kurzen Intermezzo als österreichischer Finanzminister im Jahr 1918 wieder in die USA, wo er 1926 einen Lehrstuhl für vergleichendes Recht in Harvard erhielt.

Über der Grenze erblühte derweil die Erste Tschechoslowakische Republik unter dem Amerika-erfahrenen Tomáš Garrigue Masaryk. Vorbild war dabei die liberale Verfassung der USA. Unweit von Göding nahm in Zlín die Schuhindustrie einen enormen Aufschwung. Der mit Militärstiefeln im Krieg reich gewordene Amerika-begeisterte Firmengründer Tomáš Baťa orientierte sich in seiner radikalen Rationalisierung an den Produktionsabläufen der Ford-Werke. Die architektonischen und urbanistischen Leitpläne seiner Schuhfabriken beruhten auf einem überall rigide angewandten amerikanischen Norm-Stützenraster von 6,15 Metern.

Anders als die Achse Zlín–Amerika kam die von Strasshof nicht zum Tragen. Der Donau-Oder-Kanal, den man 1913 noch hoffnungsfroh in die Lagepläne der Stadt eingezeichnet hatte, wurde nicht weitergebaut. Einen zweifelhaften Aufschwung brachte die Zeit des Nationalsozialismus mit dem Bau eines Heizhauses, das heute das Eisenbahnmuseum beherbergt, und der Einrichtung eines Militärflugplatzes. Die Geschichte des zur gleichen Zeit eingerichteten Zwangsarbeiter-Durchgangslagers wurde vor Kurzem von Irene Suchy in einem weiteren, ebenso lesenswerten Strasshof-Buch nachgezeichnet („Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“, erschienen im Metroverlag, Wien).

Heute präsentiert sich der zentrumslose Ort, der mit seinen breiten Straßen noch immer eigentümlich „amerikanisch“ wirkt, als Selbstbau-Pendler-Suburb von Wien, die in der Weltgeschichte eine ebenso kurze wie unrühmliche kriminalistische Berühmtheit erlangte, bis sie von Amstetten verdrängt wurde. In Judith Eiblmayrs Buch zitierter Kommentar einer Anwohnerin: „Strasshof hatte eh schon immer den Ruf von Klein-Chicago.“

Spectrum, Fr., 2013.11.15

11. Oktober 2013Iris Meder
Der Standard

Felsen, Buchten und Beton

Montenegro als Kristallisationspunkt der südosteuropäischen Moderne: Aber was hat man sich unter montenegrinischer Architektur vorzustellen? Zu einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Montenegro als Kristallisationspunkt der südosteuropäischen Moderne: Aber was hat man sich unter montenegrinischer Architektur vorzustellen? Zu einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Das Land der „Schwarzen Berge“ ist nicht die erste Adresse, wenn man an Architektur der Moderne denkt. Mit seinen schroffen Felsküsten, dem südlichsten Fjord Europas, der kargen, jäh abfallenden, weit ins Land verzweigten Bucht von Kotor, ausgedehnten, kaum bevölkerten Gebirgswäldern, der lange Zeit nur über einen Eselspfad von der Küste zugänglichen ehemaligen Hauptstadt Cetinje, dem in der Nachkriegszeit als Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik aufgebauten Titograd und seit den 1960er-Jahren verstärkt entwickelter touristischer Infrastruktur am Meer präsentiert sich Montenegro mit seiner ruralen Tradition undgroßartigen Naturkulisse eher als Folie, vor der sich die unterschiedlichen Architekturströmungen der Moderne abbilden.

In Wien eine Ausstellung zur Architektur der Moderne in Montenegro zu veranstalten ist nicht unbedingt die nächstliegende Idee. Wenn dies im Rahmen der von Adolph Stiller kuratierten Reihe „Architektur im Ringturm“ nun geschieht, so hat das natürlich damit zu tun, dass die im Ringturm ansässige Vienna Insurance Group in dem Land an der südöstlichen Adria tätig ist. Aus dem Engagement der Versicherung in Ostmittel- und Südosteuropa resultiert aber vor allem eine nunmehr bereits äußerst beachtliche Reihe an Architekturausstellungen, die sich zumeist das Bauschaffen eines Landes oder zumindest seiner Hauptstadt im 20. und 21. Jahrhundert zum Thema nehmen. Nach, unter anderem, Slowenien, Kroatien, Belgrad, Polen, Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und Tirana ist nun das seit 2006 unabhängige Montenegro an der Reihe.

Nach einem Exkurs zu traditionellen Steinhäusern mit Pultdach und ummauerten, mit den Nachbarn verbundenen Vorhöfen ist ein der Fachwelt bislang unbekanntes Highlight die französische Botschaft in Cetinje, eine von zahlreichen neu gebauten Gesandtschaften in der damaligen Hauptstadt des Fürstentums, das ab 1910 als Monarchie selbstständig war und 1922 Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen wurde. Die französische Botschaft entwarf 1911 Paul Guadet, der die architektonische Planung Auguste Perret, einem der Pioniere der französischen Moderne, überließ.

Einem feierlichen Klassizismus folgt das 1932 vom in Wien ausgebildeten kroatischen Bildhauer Ivan Meštrović entworfene Njegoš-Denkmal auf dem montenegrinischen Nationalberg Lovćen, während mit der 1935 entstandenen, nach wie vor genutzten Orthopädischen und Neurochirurgischen Klinik in Risan an der Bucht von Kotor bereits die Schlichtheit der Neuen Sachlichkeit einzog. Von ihrem Architekten Milan Zloković, der, 1887 in Triest geboren, in Graz studierte und nach Paris-Aufenthalten schließlich in Belgrad lebte, stammt auch das 1965/66 realisierte, aus mehreren Pavillons bestehende Hotel Mediteran in Ulcinj an der albanischen Grenze, von dem Teile nach dem Erdbeben 1979 geschleift werden mussten.

Ein weiterer Protagonist der Moderne in Montenegro war der aus dem südungarischen Pécs stammende, durch sein Studium in Prag von der radikalen tschechischen Moderne um Karel Teige geprägte Nikola Dobrović. Nach seinen in den 1930er-Jahren für tschechische Touristen gebauten ikonischen Hotels auf der Insel Lopud vor Dubrovnik realisierte er in seiner Spätzeit Anfang der 1960er-Jahre in Montenegro das Postamt von Herceg Novi und ein Kindererholungsheim in Igalo. Heute steht es, wie zahlreiche in der Ausstellung vorgestellte Bauten, leer, während neue, oft von russischen Investoren erstellte Hotelbauten ohne jegliche architektonische Ambition, aber mit enormer Rendite an der Küste emporgeschossen sind.

Die glorreiche Vergangenheit des Hotelbaus in Montenegro repräsentiert das ab 1955 als Hotelinsel ausgebaute Fischerdorf Sveti Stefan, das der Gegend einen Hype als Promi-Urlaubsresort bescherte, inklusive urbanistischen Leitplans, den der slowenische Architekt Edo Ravnikar Ende der 1960er-Jahre ausarbeitete, der aber nur teilweise realisiert wurde. Eine bemerkenswerte Lösung stellt Zlatko Ugljens in seiner differenzierten Struktur auf die Silhouetten des umgebendenBerglandes Bezug nehmendes Hotel Fjord in Kotor dar, das, 1979 entstanden, heute wie Dobrovićs Kinderheim leer steht.

Auch im Landesinneren findet man bemerkenswerte Bauten, in der Hauptstadt etwadas 1967 von Svetlana Radević entworfene Hotel Podgorica mit seinen schräg emporragenden Steinwänden oder das von Radoslav Zeković im Rahmen eines Wettbewerbs 1965 entworfene Verwaltungsgebäude der Republik Montenegro, ein spektakulärer Bau mit zwei parallelen Riegeln auf einem quer liegenden Gebäudesockel. Dank mehrerer in den letzten Jahren erschienenen Fotobände zur jugoslawischen Architekturmoderne mit einem Star-Status ausgestattet ist auch die skulpturale Sichtbetonstruktur des 1976 von Marko Mušić entworfenen Kulturzentrums Kolašin, das als Mahnmal für den Volksbefreiungskampf fungiert.

Von einer spezifisch montenegrinischen Architekturmoderne kann man dabei kaum sprechen, waren doch die verschiedensten Architekten im Land tätig. Gerade darin liegt aber das Spezielle einer Betrachtung der früheren jugoslawischen Teilrepublik als Kristallisationspunkt verschiedener Strömungen der südosteuropäischen Moderne. So bringt die Ausstellung nicht nur Österreichern die Baugeschichte der Region nahe, sondern bietet überhaupt den ersten Überblick zur Architektur der Moderne in diesem Land.

Der Standard, Fr., 2013.10.11

24. August 2013Iris Meder
Spectrum

Junger Salon vorm Theater

Kultur und Party in Krakau: der „Garten der Künste“, ein Neubau des Juliusz-Slowacki-Theaters. Nahe der Altstadt, fungiert er als Magnet für studentisches Publikum.

Kultur und Party in Krakau: der „Garten der Künste“, ein Neubau des Juliusz-Slowacki-Theaters. Nahe der Altstadt, fungiert er als Magnet für studentisches Publikum.

Wichtige Komponenten sind das einstige jüdische Viertel Kazimierz, das mittlerweile, ähnlich wie etwa in Budapest, zum romantisch-abgeschabten angesagten Ausgehquartier wurde, und, in Verbindung hiermit, die durch Steven Spielbergs Film bekannt gewordene frühere Schindler-Fabrik, auf deren Gelände in den letzten Jahren neben einem Dokumentationszentrum in den alten Gebäuden der Neubau eines Museums für moderne Kunst entstanden ist. Trotz aller touristischerAttraktivität ist das historische Zentrum in Krakau aber auch ein beliebter Ausgeh-Ort für Einheimische, die abends die zahlreichen Gastgärten, Kellerlokale und Musikklubs bevölkern.

Um dem neben Party- und Populärkultur bestehenden Kulturhunger zu begegnen, hat jüngst das lokale Juliusz-Slowacki-Theater mit dem „Garten der Künste“ den Neubau einer zusätzlichen Spielstätte fertiggestellt. Wie das pompöse historistische Haupthaus liegt auch die neue Bühne nahe der Altstadt und dem Glacis. Der L-förmige Baugrund mit relativ schmalen Zugängen von zwei Straßen ist in einer dicht bebauten Gegend situiert, mit der Haupterschließung von einer engen Gasse gegenüber einer ehemaligen Kaserne aus dem 19. Jahrhundert, die heute die Universitätsbibliothek beherbergt. Das bringt viel studentisches Publikum und damit auch den Bedarf nach öffentlichen Freiräumen ohne Konsumationszwang mit sich.

Der aus einem 2005 ausgeschriebenen Wettbewerb hervorgegangene Entwurf des ortsansässigen Architekturbüros Ingarden & Ewý Architects, der nun realisiert wurde, setzt auf das Grundstück, dessen heterogener Zuschnitt keinen dominanten Solitär erlaubte, einen strukturellen Einbauvon Raumfolgen auf innerstädtischen Reststücken, der gleichzeitig als Verbindung zwischen zwei Straßen fungiert und im Sinne urbaner Nachverdichtung durch Abriss entstandene Lücken „auffüllt“, nach außen aber kaum als gebautes Volumen in Erscheinung tritt.

Der Hauptzugang tritt Passanten überhaupt nicht als gebaute Konstruktion, sondern als Freiraum entgegen: mit einem zeitgenössischen Beserlpark mit üppig begrünten Beeten und vom Architekten Krzysztof Ingarden entworfenen Betonbänken mit Holzsitzflächen und integrierter indirekter Beleuchtung. Der von den Landschaftsarchitektinnen Karolina Bober und Malgorzata Tujko vom Büro Land Arch geplante Freiraum fungiert als öffentlicher städtischer Salon wie auch als Pausenfoyer und Entrée zum dahinter liegenden Theater. Der umbaute und trotzdem offene Raum reagiert auf die umgebende gebaute Struktur – der Freibereich ist von einem offenen Metallgerüst gefasst und schattenspendend überdacht, das in abstrahierter Form eine nicht mehr bestehende Bebauung nachzeichnet. Teil der Geschichte des Ortes, und damit auch des Konzeptes des Neubaus am historischen Ort, ist schon der Name der Zugangsstraße Rajska, Paradiesstraße, der sich auf die einst in der Nähe bestehenden „Paradiesgärten“ Krakaus bezieht.

Der gesamte Theaterkomplex gibt sich, für die Bauaufgabe nicht unbedingt typisch, als Gitterkonstruktion aus terracottarotenvertikalen Keramikstäben, im Bereich des Vorgartens offen, in den gebauten Bereichen verglast. Beim Betreten des Foyers sieht man sich einer Ziegelwand gegenüber – der Rekonstruktion der Wand einer Reithalle, die hier einmal stand. Die schlichte, schmucklose Wand wurde abgetragen und anschließend im Zuge des Neubaus aus deneingelagerten Ziegeln akribisch wiederaufgebaut. Nun steht sie als einigermaßen aus dem Zusammenhang gerissenes und in seiner Bedeutung damit recht überfrachtetes Element etwas verloren im Neubau. Diese postmoderne Geste muss man allerdings wohl auch im Zusammenhang mit derGeschichte des von Zerstörungen immerwieder besonders stark mitgenommenen Polen sehen. Letztlich ist das rekonstruierte „historische“ Element aber das einzige im Neubau und funktioniert auch im Zusammenhang der neuen architektonischen Konzeption.

Hinter dem Foyer tut sich ein – über ein strukturell ebenfalls auf die historische Reithalle Bezug nehmendes Dachfenster – belichteter Raum auf, den man über die Empore betritt, und der als Pausenraum ebenso wie als Veranstaltungssaal fungieren kann, gefolgt vom gleichfalls über ein verdunkelbares Glasdach belichteten großen Theaterraum mit einem Fassungsvermögen von 300 Zuschauern. Ein völlig opakes Inneres bietet in der transparenten Hülle zusätzlich der Kinoraum im Untergeschoß, in dem das Theater künstlerische Filmreihen präsentiert. Im rückwärtigen Teil des Komplexes liegen die Büros der Theatermitarbeiter, während der rechtwinklig zur benachbarten Straße abgewinkelte Trakt eine Mediathek mit Lese- und Konferenzräumen und ein eingetieftes Café mit kleinem Gastgarten aufnimmt, das seinerseits für kleinere Musik-Acts genutzt werden kann.

Von hier führt der Weg schließlich über eine Rampe wieder nach oben auf das Straßenniveau, wo dem schmalen Neubautrakt ein zweiter Freibereich mit Beeten und Sitzbänken vorgeschaltet ist. Transparent, zugänglich, zeitgenössisch, nimmt der Komplex auf die Umgebung Bezug, ohne sich anzubiedern.

Spectrum, Sa., 2013.08.24

27. Juli 2013Iris Meder
Spectrum

Neu in der Burg

Neigung zum Unspektakulären: Das Kunstmuseum ist das einzige Museum in Ravensburg, das nicht von einem mittelalterlichen Gebäude beherbergt wird. Der Neubau erfolgte in Passivhaus-Bauweise – wofür es den Deutschen Architekturpreis 2013 gab.

Neigung zum Unspektakulären: Das Kunstmuseum ist das einzige Museum in Ravensburg, das nicht von einem mittelalterlichen Gebäude beherbergt wird. Der Neubau erfolgte in Passivhaus-Bauweise – wofür es den Deutschen Architekturpreis 2013 gab.

Die Lage am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen war ideal. Im 15. Jahrhundert erlebte die im Hinterland des Bodensees gelegene oberschwäbische Stadt Ravensburg ihre größte Blüte. Die Epoche des Spätmittelalters mit mächtigen Fachwerkhäusern, Stadttürmen und Klosterkirchen prägt noch heute ihr Erscheinungsbild. Ende des 19. Jahrhunderts gönnte sich die kunstsinnige Bürgerschaft ein Konzerthaus nach Entwürfen der Wiener Theaterarchitekten Fellner & Helmer. Das neueste architektonische Highlight in der historischen Reichsstadt ist das jüngst eröffnete Kunstmuseum, das das „Museumsviertel“ im historischen Zentrum komplettiert. In den vier Museen bildet sich, auf hohem gestalterischem und konzeptionellem Niveau, nicht zuletzt der legendäre Erfinder- und Unternehmensgeist der Alemannen ab: Während das „Humpis-Quartier“ in sieben historischen Gebäuden das Leben in der Stadt seit dem Mittelalter thematisiert, setzt sich das Wirtschaftsmuseum unter anderem mit der Geschichte der lokalen Leinen- und Papierindustrie auseinander. Das „Museum Ravensburger“ widmet sich dem traditionsreichen Spiele- und Jugendbuchverlag, der den Namen der Stadt in zahllose Kinderzimmer gebracht hat.

Als einziges Ravensburger Museum ist das Kunstmuseum nicht in einem mittelalterlichen Gebäude, sondern in einem Neubau untergebracht, direkt neben dem Museum Ravensburger und auf dem Gelände einer ehemaligen Produktionsstätte des Verlages. Basis ist die Sammlung des in der Tschechoslowakei geborenen Ravensburger Werbeberaters Peter Selinka und seiner Frau Gudrun. Nun ist es so, dass auch das Sammeln hochkarätiger moderner und zeitgenössischer Kunst in Baden-Württemberg durchaus gute Tradition ist – öffentlich zugängliche Sammlungen wie die des Schraubenfabrikanten Würth in Künzelsau und Schwäbisch Hall, des Neurologen Ottomar Domnick in Nürtingen, der Schokoladeproduzenten Ritter in Waldenbuch und der Zeitschalttechnik-Hersteller Grässlin in St. Georgen im Schwarzwald zeugen vom Niveau baden-württembergischer privater Kunstsammlungen ebenso wie die Sammlung des von Richard Meier geplanten Museums Frieder Burda in Baden-Baden.

Die in eine Stiftung eingebrachte und der Stadt Ravensburg als Dauerleihgabe überlassene Sammlung der Selinkas umfasst in erster Linie Arbeiten des deutschen Expressionismus von Künstlern und Künstlerinnen der Brücke und des Blauen Reiters sowie der Nachkriegsgruppierungen CoBrA und Spur. Bei der Planung des Museumsneubaus musste sich das renommierte Stuttgarter Architekturbüros Lederer + Ragnarsdóttir + Oei (Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir, Marc Oei) auf einem kleinen Grundstück einrichten, dessen Eingangsseite in einer schmalen Gasse am Rand des Stadtzentrums liegt. Zunächst einmal gibt sich der Bau burgartig geschlossen. Die von schießschartenartigen Luken durchbrochene Straßenfront mit halbrundem Zinnenkranz und Wasserspeiern an der Dachtraufe prägt eine Sichtziegelverkleidung. Gemäß dem kontextorientierten Credo des Büros „Erst kommt die Stadt, dann das Haus“ wurden gebrauchte Ziegel von einem abgerissenen belgischen Kloster verwendet. Die Fassade erhält so eine lebendige Anmutung des gewachsen Wirkenden.

Den Eingang ins Museum legten die Planer in einen intimen Vorhof, der mit dem Gartencafé des benachbarten Ravensburger-Museums über eine (leider verschlossene) Gittertür zumindest optisch verbunden ist. Gegen die vorbeiführende enge Straße grenzt den Hof eine Wand aus schmalen Glaslamellen ab, die, als Antithese zur massiven Ziegelmauer und dem oxidierten Kupfer des Eingangsbereichs, zarte Lichtreflexionen auf dem gepflasterten Boden und der umlaufenden betonierten Sitzbank schafft. Im Inneren sieht die Konzeption jeweils einen schlichten lang gestreckten rechteckigen Ausstellungsraum in Erdgeschoß sowie erstem und zweitem Obergeschoß vor, erschlossen durch ein straßenseitiges Treppenhaus, das über Oberlichtkuppeln und die schmalen Fassadenfenster natürliches Licht erhält.

Staunen macht vor allem der Wechselausstellungsraum im obersten Geschoß. Hier versteht man die runden Zinnen der Fassade, die motivisch an die Stufengiebel oberschwäbischer Stadttore und Kirchtürme erinnern. Sie bilden am Außenbau die schräg versetzten Ziegel-Tonnengewölbe des Ausstellungsraumes ab, die mit einer effektvollen Beleuchtung adäquat inszeniert werden. Eine ähnliche Decke, allerdings nicht im Grundriss, sondern im Aufriss schräg verschwenkt, realisierte Friedrich Kurrent vor einigen Jahren in seinem Maria-Biljan-Bilger-Museum in Sommerein am Leithagebirge nach dem Vorbild von Antoni Gaudís Bauhütte der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. Hier wie dort steht dahinter eine Haltung des „Nicht mehr als nötig“, eine Neigung zum Unspektakulären, Unaufgeregten, das Respektieren historischer und topografischer Kontexte, umgesetzt in die warme, haptische Materialität der Kombination von Beton, Ziegeln, Glas und Metall.

Ganz nebenbei ist das Ravensburger Museum auch das weltweit erste in Passivhaus-Bauweise zertifizierte Museumsgebäude. Bereits kurz nach seiner Eröffnung wurde der Bau, der von einer Errichtergesellschaft erstellt und von der Stadt Ravensburg rückgemietet wurde, mit dem Deutschen Architekturpreis 2013 ausgezeichnet. Herzliche Glückwünsche nach Stuttgart und Ravensburg.

Spectrum, Sa., 2013.07.27

22. Juni 2013Iris Meder
Spectrum

Das andere Lignano

Hausmeisterstrand? Von wegen! Eigentlich müsste die Gartenstadt an der Lagune schon lange ein bevorzugtes Urlaubsziel architekturaffiner Reisender sein, denn: Lignano kann viel mehr.

Hausmeisterstrand? Von wegen! Eigentlich müsste die Gartenstadt an der Lagune schon lange ein bevorzugtes Urlaubsziel architekturaffiner Reisender sein, denn: Lignano kann viel mehr.

Die touristische Geschichte Lignanos begann vor 110 Jahren mit der im April 1903 eröffneten ersten Meerbadeanstalt im damals nur per Dampfschiff erreichbaren Ortsteil Lignano Sabbiadoro. Anders als Grado nicht Teil Österreich-Ungarns, war Lignano vor allem ein Bad der Italiener. Die infrastrukturelle Zukunft wurde in der Zeit des Faschismus mit der Trockenlegung der Sümpfe vor der Lagune von Marano gesichert.
Vor 60 Jahren, im Jahr 1953, beauftragte man schließlich den 1921 geborenen Udineser Architekten und Urbanisten Marcello d'Olivo mit der Planung einer neuen Gartenstadt für Touristen und Sommerfrischler westlich von Sabbiadoro. D'Olivo liebte nicht nur seine Architekturgötter Frank Lloyd Wright und Le Corbusier, sondern auch Kreisbögen und Sinuskurven. Er hatte eine Leidenschaft für Mathematik, Quantenphysik und Relativitätstheorie – und für die achteckige Renaissance-Planstadt Palmanova bei Udine. Als nun unweit von Palmanova eine neue Sommersiedlung aus dem Sandboden einer pinienbewaldeten Landzunge gestampft werden sollte, setzte d'Olivo den Horizontalen des Meeres und des goldockerfarbenen Sandstrandes und den Vertikalen der Schwarzkiefernstämme einen urbanistischen Plan entgegen, der auf einer regelmäßigen Spirale basierte – mit der Piazza Rosa dei Venti, dem „Platz der Windrose“, als Zentrum.

Die Straßen heißen hier nicht Via und Strada, sondern Arco – Bogen (die konzentrischen) – und Raggio – Strahl (die leicht gebogenen radialen). Es gibt auch die eine oder andere gerade Straße in Lignano Pineta, etwa so, wie es in Manhattan auch die eine oder andere krumme gibt. Zum Beispiel den Viale dei Fiori, mit einem von Hortensien gesäumten Fußweg in der Mitte zwischen den Fahrspuren. Und es gibt eine elegant geschwungene Schneise, die vom Platz der Windrose zum Meer führt. Hier sah d'Olivo eine Konzentration von Einzelhandel und Gastronomie im Erdgeschoß und Apartments im Obergeschoß vor, rechts und links breite Gehsteige mit Schanigärten, seitlich Fahrbahnen für Autos. Das nur „Il treno“, der Zug, genannte Geschäftszentrum wurde seit seiner Errichtung kaum verändert und funktioniert nach wie vor als Corso und Flaniermeile, inklusive der von d'Olivo entworfenen gebogenen Beton-Straßenlampen.
Außerhalb von Zug und Windrose prägen Lignano Pineta Bungalows und Apartmenthäuser, dazwischen ein paar Hochhäuser. Die namensgebenden Pinien überragen die Waldsiedlung. Klugerweise trennte d'Olivo die bebaute Zone durch einen Waldstreifen von der Strandpromenade. In jenen Teilen, die als Park angelegt sind, kam seine Zuneigung zu Sinuskurven in der geschwungenen Wegeführung zum Tragen.

An vorderster Front Richtung Meer entstanden ab 1954 die ersten und gleichzeitig die prestigeträchtigsten Ferienhäuser der Siedlung, davon mehrere nach d'Olivos Entwurf. Die beiden spektakulärsten stehen nebeneinander: Die seinerzeit in zahlreichen Architekturzeitschriften publizierte Casa Spezzotti ist eine im Grundriss schwer durchschaubare Komposition aus konkaven und konvexen Kreisbögen. Der Eingang liegt in einem trichterartigen Einzug im Sockelgeschoß, eine geschwungene Rampe führt außen am Haus entlang zum Wohngeschoß. Als Donut gibt sich die Casa Mainardis – der Zugang erfolgt hier über eine schneckenförmige Treppe im offenen Zentrum des ringförmigen Hauses und weiter auf die Dachterrasse.

Es war die große mondäne Zeit Lignanos. Ein Foto zeigt d'Olivo zusammen mit Ernest Hemingway, dem er vor Ort seinen Entwurf erläutert. Abends traf man sich in der (noch existierenden) „Hollywood Bar“ im „Treno“ oder ein Stück die Straße hinauf im Dancing „Il Fungo“ (Der Pilz), das, ebenfalls von Marcello d'Olivo entworfen, eine – richtig geraten: runde Dachterrasse hatte. Man saß auf pilzförmigen Hockern, wenn man nicht zur Musik der Livebands tanzte. Abendgarderobe war Pflicht. Vom „Fungo“ ist heute nur noch der Schriftzug in der Mauerbrüstung an der Straßenecke geblieben, an seiner Stelle steht ein neues Apartmenthaus.

Marcello d'Olivo plante in der Folge viel für Afrika und den Nahen Osten, für Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Kongo, Zaire, Sierra Leone, Algerien, Jordanien und Libyen und legte sich dafür auch mit den Diktatoren seiner Zeit ins Bett. Dabei wurde nicht gekleckert: Nach d'Olivos Entwurf entstand im Auftrag von Saddam Hussein ab 1978 das Denkmal des unbekannten Soldaten in Bagdad, auf einem – eh klar – kreisrunden Sockel von 13 Meter Höhe, mit einem Durchmesser von 260 Meter, in der Mitte eine gigantische freitragende Kuppelschale.
Daneben widmete sich d'Olivo verstärkt einer weiteren Leidenschaft, der Malerei. Er war befreundet mit Giorgio de Chirico, Orson Welles, Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti, Giulio Carlo Argan und dem Publizisten, Dichter und Ingenieur Leonardo Sinisgalli, dessen Sommerhaus eine von d'Olivos ersten Bauten in Lignano Pineta war. Schließlich besann er sich wieder auf sein ursprüngliches Konzept: 1986 publizierte er den Plan einer „Ecotown“ bei Padua, in der Mensch, Architektur und Natur in Harmonie existieren sollten. Die gebaute Grundlage des nicht realisierten Entwurfs ist nach wie vor in Lignano Pineta zu sehen. Der Platz, an dem „der Zug“ das Meer erreicht, ist seit einigen Jahren nach seinem Schöpfer benannt: Piazza Marcello d'Olivo.

Spectrum, Sa., 2013.06.22

06. April 2013Iris Meder
Spectrum

Prophet im eigenen Land

Wer war Hans Adolf Vetter? Architekt, Philosoph, Poet und Womanizer, lebendes Inventar im Café Herrenhof nebst Musil, Broch und Co. Zum Leben und Werk eines wiederzuentdeckenden Wieners (1897–1963).

Wer war Hans Adolf Vetter? Architekt, Philosoph, Poet und Womanizer, lebendes Inventar im Café Herrenhof nebst Musil, Broch und Co. Zum Leben und Werk eines wiederzuentdeckenden Wieners (1897–1963).

New York 1982. Der Architekt Felix Augenfeld erinnert sich an seine Wiener Zeit vor 1938. Das Büro in der Wipplingerstraße bestand aus ihm, seinem Partner Karl Hofmann und der Sekretärin Else, der es oblag, „Kaffee zu kochen und mit den beiden Chefs Schach zu spielen, ebenso wie mit Hans Vetter, der fast täglich kam, entweder um auf unserer Maschine ein Gedicht zu tippen oder um sich Geld auszuborgen“. Augenfeld gehörte wie Hans Vetter zum Freundeskreis von Milan Dubrovic, der beide in seinem Buch „Veruntreute Geschichte“ verewigte.

Der Architekt, Poet, Philosoph und Womanizer Vetter war eine der zentralen Figuren des Café Herrenhof, zu dessen lebendem Inventar neben Dubrovic und Augenfeld Köpfe wie Friedrich Torberg, Albert Paris Gütersloh, Leo Perutz, Egon Erwin Kisch, Oskar Maria Graf, Elias Canetti, Joachim Ringelnatz, Hilde Spiel, Gina Kaus, Franz Werfel, Hermann Broch, Robert Musil, Milena Jesenská, Otto Neurath und der junge Peter Lorre zählten. „Patron war nicht mehr Weininger, sondern Dr. Freud; Altenberg wich Kierkegaard; statt der Zeitung nistete die Zeitschrift, statt der Psychologie die Psychoanalyse und statt des Espritlüftchens von Wien wehte der Sturm von Prag“, so Anton Kuh über das legendäre Café. Vetter selbst bemerkte aber auch: „Ich erinnere mich an ganz öde Sonntagnachmittage im Herrenhof, im Sommer – wenn einem das Gehirn verdorrte.“

Die Gefahr des ,Gehirnverdorrens‘ war bei ihm indes kaum gegeben. 1897 geboren, war Hans Adolf Vetter in der von Emil und Yella Hertzka als Komponistenkolonie initiierten, von Josef Hoffmann geplanten Villenkolonie Kaasgraben aufgewachsen, die mit ihren intellektuellen Bewohnern ein Zentrum liberalen Geistes war. Sein Vater Adolf Vetter war Direktor des Gewerbeförderungsamtes, Mitbegründer des Österreichischen Werkbunds, Bundestheater-Chef und erster „roter“ Sektionschef des Landes. Bei Vetters verkehrten Gustav Klimt, Anton Hanak, Egon Schiele und Oskar Kokoschka. Durch sein Elternhaus mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet, führte Hans Vetter das improvisatorische Leben eines vielseitig begabten, fantasievollen Bohemiens, basierend ebenso auf einer enormen Allgemein- und Fachbildung wie auf seinem von Witz und Esprit geprägten – so Dubrovic – „lebensfreudigen, bacchantischen Wesen“.

Nach seinem Studium bei Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule war Vetter mit seinem armenischen Kollegen Gabriel Guevrekian bei Robert Mallet-Stevens in Paris tätig. 1924 heiratete er Guevrekians Schwester Lydia. Danach arbeitete er in Wien fallweise mit Strnad oder Hofmann und Augenfeld zusammen und realisierte unter anderem zwei neusachlich schlichte Gemeindebauten. 1931 beteiligte er sich mit Max Fellerer am Wettbewerb für die Siedlung Froschberggründe in Linz. Das Projekt mit zwölf verschiedenen Haustypen errang den ersten Preis – die Typenhausentwürfe der letztlich nicht gebauten Siedlung können heute noch als beispielhafte Kleinhauslösungen gelten.

1932 gab Vetter gemeinsam mit Josef Frank den Band „Kleine Einfamilienhäuser“ mit Entwürfen und Bauten aus dem Werkbund-Umkreis heraus, darunter auch sein 1925 in Mödling gebautes Haus Garay. Vetter konzipierte das terrassierte Flachdachhaus gemeinsam mit dem Bauherrn, der Direktor des Bozner Gewerbeförderungsinstituts und wie Vetters Vater Gründungsmitglied des Österreichischen Werkbunds war. Ebenfalls in Vetters Buch veröffentlicht wurde das gegenüber seinem Elternhaus gelegene Haus Gerzabek.

Der auf ein Arkadengeschoß gestellte würfelförmige Bau mit Zeltdach, der zuletzt im Besitz von Peter Alexander war, ist eine Hommage an Oskar Strnad, der wie Josef Frank ein wichtiges Vorbild Vetters war. In der Wiener Werkbundsiedlung baute Vetter ein quaderförmiges frei stehendes Einzelhaus, dessen zur Straße gewandte Südseite mit ihren dem Goldenen Schnitt angenäherten Proportionen und Symmetrieachsen wie eine Grafik nach allen Regeln der Wiener Moderne komponiert ist, bis hin zur i-Punkt-artigen Rundluke über der Eingangstür. Vetter fand in den Jahren nach 1930 eine schlüssige Semantik für die Bauaufgabe des kleinen Einfamilienhauses Wiener Prägung, das sich trotz seiner bescheidenen Dimensionen als bürgerlich begreift und in seiner selbstbewussten, unspektakulären Modernität auch so definiert.

1933 war Vetter Chefredakteur der neuen Architekturzeitschrift „Profil“, wurde aber bereits nach einem Jahr durch einen mit den ständestaatlichen Doktrinen konformeren Kollegen ersetzt. Nach der Emeritierung Josef Hoffmanns übernahm er dessen Klasse an der Kunstgewerbeschule. Mit dem Anschluss wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ fristlos entlassen, legte er seinen zweiten Vornamen Adolf endgültig ab und emigrierte mit seiner jüdischen zweiten Frau, der polnischen Architekturstudentin Jadwiga Orzul, nach England. 1948 erhielt er einen Lehrstuhl für Architekturphilosophie am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh.

Kontakte nach Österreich bestanden nach wie vor – 1952 begründete Vetter in Salzburg die „Summer School of Architecture“. In dritter Ehe mit der Schweizer Gesangslehrerin Maria Malpi verheiratet, starb Vetter vor 50 Jahren, am 8. Mai 1963, in Pittsburgh. In den USA wird Vetter, einer der vielen vertriebenen Protagonisten des Wiener Kulturlebens, von denen, die ihn kannten, bis heute verehrt.

Spectrum, Sa., 2013.04.06

16. März 2013Iris Meder
Spectrum

Zurück in die Zukunft

Der Vergleich zum tristen Dahinvegetieren von Bad Gastein oder Baden bei Wien drängt sich auf – aber um wie viel besser bewältigte man ähnliche Herausforderungen im Schwarzwald. Der Kurort Wildbad: eine Visite.

Der Vergleich zum tristen Dahinvegetieren von Bad Gastein oder Baden bei Wien drängt sich auf – aber um wie viel besser bewältigte man ähnliche Herausforderungen im Schwarzwald. Der Kurort Wildbad: eine Visite.

Es war einmal der Stolz des kleinen Kurortes Wildbad im Nordschwarzwald: das Neue Eberhardsbad, 1977 eröffnet, über polygonalem terrassiertem Grundriss im Geiste der Stuttgarter Moderne an den Berghang im Tal des Flüsschens Enz geschmiegt. Das angrenzende „alte“ Graf-Eberhard-Bad am Kurplatz wurde geschlossen – am liebsten wollte man es abreißen. Dabei hatte der vom Hofbaumeister Nikolaus Thouret im seinerzeit topaktuellen neobyzantinisch-romanischen „Rundbogenstil“ geplante, mit dem ortstypischen roten Sandstein verkleidete Bau 130 Jahre zuvor den Weltruhm Wildbads begründet.

Im knietiefen warmen Schwefelwasser liegend, machten Politiker, Künstler und Monarchen das Schwarzwalddorf zum Modebad der englischen und russischen Aristokratie – nicht so großkotzig wie Baden-Baden und Karlsbad, feiner, bescheidener, ein wenig schwäbischer halt. Eine anglikanische Kirche und ein Moghul-Tempelchen standen für Weltläufigkeit, im Kurpark sah man zwischen Zaren, Kaisern und Komponisten Königin Olga von Württemberg, die, „wenn sie die Anlagen mit ihrem Windspiel durchschritt, der stolzen pfeilschnellen Artemis gleichsah“. Den Garaus machte dem international vorbildhaften Bad die große Kurwesenkrise um 1960. Mit dem Bau eines weiteren Thermalschwimmbades am gegenüberliegenden Berghang schien der historistische Bau mit seinen kleinen Becken obsolet.

Nach fast zwanzigjährigem Leerstand traf man schließlich die kluge Entscheidung, das Bad zu restaurieren und in seiner ursprünglichen Funktion wieder in Betrieb zu nehmen. Heute, nach der erfolgreichen Etablierung eines Rossini-Festivals im historischen Kurtheater, einer S-Bahn-Anbindung nach Karlsruhe und Stuttgart und dem Bau einer neuen Rheumaklinik, steht das Kurmittelzentrum Neues Eberhardsbad leer, während der nun den etwas dämlichen Namen „Palais Thermal“ tragende Altbau nach wie vor von Gästen aus Süddeutschland und dem nahen Frankreich gestürmt wird. Sein einziges Manko war das Fehlen eines Außenbeckens.

Dafür fand das schwäbische Architekturbüro Kauffmann Theilig & Partner eine vorbildliche Lösung. Da der obere Teil des Bades textilfreie Zone ist, galt es die neuen Außenbereiche vom Badhotel und dem tristen leer stehenden Kurmittelzentrum abzuschirmen, gleichzeitig aber die spektakuläre Aussicht auf die Schwarzwaldhänge mit ihren Kurhäusern und Bergbahnen nicht zu verbauen. Dazu wurden Teile der Terrassen des Kurmittelzentrums den neuen Freibereichen zugeschlagen, die zwischen die Dächer der beiden bestehenden Bauten eingepasst wurden. Einen leichten, quasi schwebenden Sicht- und Witterungsschutz bietet eine als weithin sichtbares Zeichen des erneuerten Bades fungierende Zeltkonstruktion, wie man sie von den Bauten der Olympischen Spiele in München 1972 kennt – nicht umsonst wurden diese vom in Stuttgart tätigen Günter Behnisch konstruiert, bei dem die Gründer des Büros ihr Handwerk gelernt haben. So kann man die lichtdurchlässige weiße Polyestermembran der Badüberdachung auch als eine Hommage an den während der Planungsphase verstorbenen Behnisch sehen. Die Vorgehensweise der Architekten ist dieselbe, die auch bei der Restaurierung der 1990er-Jahre angewendet wurde: Respekt vor dem historischen Bestand, gekoppelt mit entschieden zeitgenössischer Gestaltung in den neuen Bereichen. Das Ergebnis ist überzeugend: eine vielfältige begehbare, abends subtil beleuchtete Landschaft mit Treppen, Wasserbecken und Innenräumen über und zwischen den Dächern des Kurortes, die Oberflächen hand- und fußschmeichelnd mit Eschen- und Ulmenholz belegt. Die statische und infrastrukturelle Ertüchtigung des einzigartigen historischen Badetempels ließ sich das Land Baden-Württemberg als Bauherr rund drei Millionen Euro kosten. Zu hoffen bleibt, dass für den architektonisch durchaus anspruchsvollen 1970er-Jahre-Bau des Kurmittelzentrums bald eine neue Nutzung gefunden wird.

Der Vergleich zum tristen Dahinvegetieren der Kurortinfrastruktur von Bad Gastein, vor allem aber zu Baden drängt sich auf – auch hier hatte der Ort seine Glanzzeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Architektonisch kann Baden mit bedeutenden Bauten der Architekten Joseph Kornhäusel, Charles de Moreau sowie Sicardsburg/van der Nüll aufwarten. Man ließ hier allerdings die Chance ungenutzt, die Bäderbauten des 19. Jahrhunderts zumindest teilweise in ihrer ursprünglichen Funktion zu belassen – bis auf ein privates Hamam dient heute keines der kleinen Badner Bäder mehr Badezwecken. Moreaus Frauenbad wurde von den Architekten Lottersberger-Messner-Dumpelnik zum Arnulf-Rainer-Museum umgebaut, im Leopoldsbad ist das Tourismusamt, im Josefsbad ein Café untergebracht. Vom Mineralschwimmbad von Sicardsburg/van der Nüll wurden homöopathische Reste in Form des Foyers und einer Loggia im Freibereich der Sauna in die heutige Römertherme integriert. Erhalten hat sich einzig das 1926 eröffnete spätsecessionistische Strandbad. Im Zeitalter Developer-geplanter Kommerzthermen sind dessen unverwechselbare Architektur und Atmosphäre wie die des Wildbader Thermalbades ein unschätzbarer Wert.

Spectrum, Sa., 2013.03.16

09. März 2013Iris Meder
Spectrum

Alpin ohne Jodeln

Trotz großen Volumens kein Fremdkörper im kleinen Ort: Am Hotel „Travel Charme Bergresort Werfenweng“ in Salzburg ist erkennbar, was der persönliche Bezug des Architekten zu einem Bauort ausmachen kann.

Trotz großen Volumens kein Fremdkörper im kleinen Ort: Am Hotel „Travel Charme Bergresort Werfenweng“ in Salzburg ist erkennbar, was der persönliche Bezug des Architekten zu einem Bauort ausmachen kann.

Ort der Handlung: Werfenweng im Pongau. Im 45 Kilometersüdlich von Salzburg gelegenen 900-Einwohner-Ort, der vor allem vom Tourismus lebt, hat man sich seit 1997 einem touristischen Konzept der sanften Mobilität verschrieben. Unter dem Namen SAMO soll es das Anreisen mit der Bahn oder zumindest das Stehenlassen des Autos am Urlaubsort fördern, das die kostenfreie Nutzung von Elektroautos, Elektro-Scootern und Segways beinhaltet. Für die Gemeinde, die Partner des internationalen Projekts STARTER(Sustainable Transport for Areas with Tourism through Energy Reduction) ist, gehört dazu etwa auch die vermehrte Nutzung von Solarenergie.

Der Architekt Hermann Eisenköck kennt die lokalen Verhältnisse seit mehr als 30 Jahren. Dies trug mit dazu bei, dass das von Eisenköck geplante, vor wenigen Wochen eröffnete neue „Travel Charme Bergresort Werfenweng“ im Ort trotz seines Volumens nicht als Fremdkörper wirkt und auch nicht so empfunden wird. Eisenköck fungierte bei dem Projekt einerseits als eine Hälfte der „Werfenweng Hotelerrichtungs- und Besitzgesellschaft mbH“, als Auftraggeber und Bauherr und andererseits als verantwortlicher Planer des Architekturbüros ArchitekturConsult ZT GmbH, als Architekt und Generalplaner. Den Betrieb des Vier-Sterne-Plus-Hotels übernahm eine deutsche Kette. Mit ihren großteils an der deutschen Ostseeküste gelegenen Häusern fiel sie bisher nicht durch überdurchschnittliche Architektur auf – was sich nun mit der Expansion nach Österreich ändert.

Als Baugrund wurde ein annähernd 30.000 Quadratmeter großes Gelände imOrtszentrum zwischen Gemeindeamt, Feuerwehr, Volksschule, Kirche und Kindergarten ausgewiesen; am Garten des Hotels führt ein öffentlicher Fußweg vorbei. Eisenköck plante das Resort mit einer bebauten Fläche von insgesamt gut 6000 Quadratmetern als lose Gruppierung von drei Zimmer-Blöcken in Form liegender Quader, die über einem ein- bzw. zweigeschoßigen Sockelbereich dreistöckig aufragen. Das Erdgeschoß nimmt zwei Restaurants mit 230 respektive 50 Sitzplätzen, eine Bar, Bibliothek, Shop, Raucherlounge und einen Seminarraum auf. Auf dem zum Ort hin leicht abschüssigen Terrain ist der gut 1700 Quadratmeter große Spa-Bereich auf der Ebene unter der Lobby platziert, mit ebenerdigem Ausgang zu Freibecken und Garten.

Ergänzt wird dieser Bauteil durch drei zurückhaltend gestaltete holzverkleidete „Residenzen“. Die mit flachen Satteldächern gedeckten Bauten nehmen insgesamt 46 wie die Hotelzimmer und -suiten ausgestattete Eigentumsapartments auf, die vom Hotel mitbetrieben und vermietet werden, wenn die Eigentümer sie nicht selbst nutzen. Zusätzlich wurde eine auf dem Gelände befindliche ehemalige Pension als Wohnhaus für das Personal adaptiert. Insgesamt verfügt die Anlage mit ihren 120 Zimmern und Suiten und den Apartments über Kapazitäten für 400 Übernachtungsgäste, die von gut 80 Mitarbeitern betreut werden.

Der persönliche Bezug des Architekten zum Ort erwies sich als Vorteil. Die Baukörper wurden so gegeneinander versetzt und in der Höhe gestaffelt, dass ihre großen Volumen nicht als solche in Erscheinung treten. Leichtigkeit, Luftigkeit und die Inszenierung der Bergpanoramen in Kombination mit traditionellen Materialien sind in der gesamten Anlage spürbar. Schon beim Betreten des Gebäudes zelebriert die verglaste Lobby die spektakuläre Lage des Hauses, und der matte dunkle Boden aus geräucherter Eiche schafft eine einladende Stimmung. Hier hat sich auch die Zusammenarbeit mit dem auf Hoteleinrichtungen spezialisierten Innenarchitekten Lorenzo Bellini bewährt. In der Möblierung von Lobby und Zimmern greift Bellini auf die große Tradition der Moderne in den Tiroler Hotel- und Gastronomiebauten der Zwanzigerjahre zurück, was der Atmosphäre des Hotels sehr gut bekommt. Kombiniert werden Bellinis Massivholzmöbel mit Bergen von farbigen Kissen und Details, die leicht ironisch an die Sechzigerjahre erinnern.

Im ganzen Haus wird auf regionaltypische, alpine Materialien wie unbehandelte, gewachste und geräucherte Eiche, geölte Lärche, Wollstoffe und Filz gesetzt, einzelne farbige Akzente ergänzen die matten, holzigen Grundtöne. Die mit Lärchenholzlatten verkleideten Zimmertrakte sind so gegeneinander abgewinkelt, dass sich von den großzügigen Loggien aller Zimmer und Suiten Ausblicke auf Hochkönig, Tennen- und Hagengebirge bieten. Ein optisches Highlight des Hauses ist auch die von dunklem Holz geprägte Bar im Erdgeschoß. Neben Barhocker- und Fauteuil-Zonen, die durch unterschiedliche Fußbodenniveaus immer ein Kommunizieren mit den Barkeepern auf Augenhöhe ermöglichen, verfügt sie über ein „begehbares Weinregal“ in Form eines durch eine Glaswand vom Barbereich abgetrennten Extrazimmers mit Fenstern nach draußen. Trotz der warmen Atmosphäre der Bar ist hier jeder Alpinkitsch vermieden.

Sollte das alles irgendwem zu zeitgenössisch sein, gibt es noch eine Alternative: Aus dem Besitz der Familie Eisenköck stammt ein 400 Jahre altes Rauchhaus, das an seinem ehemaligen Standort ab- und auf dem Hotelgelände wiederaufgebaut wurde. Hier kann man im althergebrachten historischen alpinen Holzambiente schwelgen. Dieses wurde allerdings auf seine schöne, schlichte bauliche Substanz reduziert – platte Lederhosen-Jodel-Details aus der Geisterbahn des Wintertourismus wird man auch hier vergeblich suchen.

Spectrum, Sa., 2013.03.09

15. Januar 2013Iris Meder
dérive

Besprechung: Axonometrie und Alltag

100 Jahre Österreichischer Werkbund, und keiner thematisiert es? Zumindest das ebenfalls heuer anstehende 80jährige Jubiläum der Wiener Werkbundsiedlung...

100 Jahre Österreichischer Werkbund, und keiner thematisiert es? Zumindest das ebenfalls heuer anstehende 80jährige Jubiläum der Wiener Werkbundsiedlung...

100 Jahre Österreichischer Werkbund, und keiner thematisiert es? Zumindest das ebenfalls heuer anstehende 80jährige Jubiläum der Wiener Werkbundsiedlung hat das Wien Museum zum Anlass genommen, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Siedlung gründlich aufzuarbeiten. Dabei waren Kurator Andreas Nierhaus und Kuratorin Eva-Maria Orosz klug genug, sich von Anfang an der Mitarbeit u. a. Otto Kapfingers zu versichern, der gemeinsam mit Adolf Krischanitz die Grundlagenforschung für die letzte Sanierung von 1985 betrieben hat.

Die Ausstellung, die nicht im Hauptausstellungsraum des Wien Museums, sondern im ersten Stock zu sehen ist, könnte angesichts der Fülle an dokumentarischem Material etwas mehr Platz gut gebrauchen. Nach einer allgemeinen Einführung zum Kontext der nach dreijähriger Planung als vorletzte ihrer Art (einen Monat später folgte die völlig anders konzipierte Baba-Siedlung in Prag) eröffneten Werkbundsiedlung, dem Gemeindebau, der Wiener Siedlerbewegung und dem Kreis um Otto Neurath ist rund um ein großes Modell der gesamten Anlage auf Wandtafeln jedes einzelne Haus dokumentiert. Es lohnt dabei, sich – ausgestattet mit ausreichendem Zeitbudget – auch in den Details auf die Objekte einzulassen. Da wurde zum Teil Erstaunliches, auch für Fachleute Neues zu Tage gefördert – neben ausführlichen Unterlagen zu den langwierigen Vorplanungen für das ursprünglich vorgesehene Gelände bei der Spinnerin am Kreuz etwa Josef Franks (auf Deutsch geführter) Briefwechsel mit Gerrit Rietveld, in der Ausstellung faksimiliert und komfortabel am Tisch sitzend nachzulesen, oder André Lurçats aus Paris entlehnte schöne Axonometrien seiner vier Werkbund-Häuser mitsamt nicht ausgeführtem formal-modernistischem Gartenentwurf.

Dank der Möbel-Spezialistin Eva-Maria Orosz ist ein umfangreicher Teil der Ausstellung der Einrichtung der Musterhäuser gewidmet. Dabei wurde versucht, auch der Geschichte der zahlreichen beteiligten Tischlereien, Raumausstatter und Haushaltsgeräte-Lieferanten nachzugehen. Was mit dazu beiträgt, die Siedlung nicht als ein vom Himmel gefallenes Wohnmanifest, sondern auch als ein Spiegelbild der Produktpalette progressiver Alltagskultur der frühen 1930er Jahre zu erkennen. Beharrlich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich um Ausstellungswohnungen handelte und in diesen Einrichtungen nicht wirklich gelebt wurde. Hatte das denn jemand angenommen? In der Kombination mit einigen Originalmöbeln aus den Muster-Einrichtungen der Häuser (auf einigen Sesselmodellen aus derselben Zeit darf man sogar sitzen!) ergibt sich, gerade durch ihren demonstrativen Charakter, ein Panorama der Zeit, in dem sich selbstredend auch das ganze Ausmaß an historischen Entwicklungen spiegelt.

Dabei kann als ein bezeichnendes Fallbeispiel die Geschichte eines Hauses von Jacques Groag, einem Mitarbeiter von Adolf Loos, ausführlich dokumentiert werden. Nachdem ein geplanter Hausbau durch Loos gescheitert war, kaufte die mit Loos über seine Frau Claire verwandte Familie Schanzer das Groag-Haus und eignete es sich und ihrem Leben an. Die Odyssee der jüdischen Familie führte nach dem Selbstmord der verzweifelten Eva Schanzer 1938 über eine zu deren Rettung in die Wege geleitete Adoption der Kinder nach Australien und weiter in die USA, wo sich Vater, Sohn und Tochter schließlich wieder trafen. Historische Fotos vom Leben im Haus und ein Video-Interview mit Charles Paterson, dem einstigen Karli Schanzer, der, nach eigener Aussage beeinflusst durch sein Elternhaus, in den USA Architektur studierte und Mitarbeiter Frank Lloyd Wrights wurde, schließen den Kreis zur Gegenwart.

Ein weiterer wichtiger Teil des Nachlebens der Siedlung ist auch die Dokumentation von Kommentaren der Bewohnerschaft, die für den ORF im Zuge der Sanierung der 1980er Jahre dokumentiert wurden. Die bodenständige Sichtweise der kittelbeschürzten Bewohnerinnen in den – bis heute großteils über die GESIBA vermieteten – Häusern mit ihren klobigen Wohnzimmer-Einrichtungen mag aus der Distanz von bald drei Jahrzehnten zum Lachen reizen. Aber Menschen lassen sich eben nicht per architektonischer Absichtserklärung zu idealen Lichtgestalten umfunktionieren. Lebensalltag ist banal und jede Beschwerde über schlecht und unkoordiniert ausgeführte Bauarbeiten legitim. Den chronologischen Abschluss der Ausstellung bildet die jüngste denkmalpflegerische Bestandsaufnahme und Restaurierung durch das Wiener Architekturbüro p.good. Eines ist klar: Die Siedlung lebt, und ihre Geschichte geht weiter.

dérive, Di., 2013.01.15



verknüpfte Zeitschriften
dérive 50 Straße

15. Dezember 2012Iris Meder
Spectrum

Haushoch hinaus

Vormals das erste und lange Zeit das einzige Hochhaus Wiens, wurde das Gebäude in der Herrengasse nun als Handels- und Wohnort wiederentdeckt. Das nussschalengroße Café gewährt einen interessanten Durchblick.

Vormals das erste und lange Zeit das einzige Hochhaus Wiens, wurde das Gebäude in der Herrengasse nun als Handels- und Wohnort wiederentdeckt. Das nussschalengroße Café gewährt einen interessanten Durchblick.

Langsam scheint es wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu sickern: Nicht irgendein gesichtsloser Nachkriegsbau ist es, an dem man auf dem Weg vom Michaelerplatz zum Schottentor vorbeigeht, auch wenn die schwarz verglaste Front an der Herrengasse sich schlicht gibt – es handelt sich vielmehr um das erste Hochhaus Wiens. Während sich auf der linken Seite der Herrengasse nach wie vor barocke und klassizistische Adelspalais reihen, die heute großteils von Ministerien genutzt werden, wurde die rechte Seite der Gasse ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sukzessive neu bebaut, vor allem mit Bankgebäuden. Das ebenfalls von einer Bank errichtete Hochhaus – jahrzehntelang das Hochhaus von Wien – reckt sich freilich nur 15 Stockwerke in den Himmel. Es ist ein als Antithese zum Gemeindebau des Roten Wien 1932 errichteter Prestige-Wohnbau, in dem die mit Kochnischen und Badewannen ausgestatteten Garçonnièren für urbane Alleinstehende attraktiv und auch durchaus leistbar waren. Das Hochhaus-Völkchen setzte sich zu nicht unerheblichen Teilen aus Musikern, Schauspielern, Schriftstellern, Künstlern, Intellektuellen und Freigeistern jeder Art zusammen.

Die zum Hof zurückgetreppten oberen drei Stockwerke nahm ein Terrassencafé mit spektakulärer Aussicht über die Stadt ein. In den Sechzigerjahren wurde es geschlossen und zu Wohnungen umgewandelt. Besucher waren im Haus mit Ausnahme der Arztpraxen eher nicht mehr erwünscht, in den teilweise 1938 arisierten Mietwohnungen zog Normalität ein, die Bewohner wurden im Laufe der Jahrzehnte älter und wohl auch ruhebedürftiger.

Die Wiederentdeckung des von den Architekten Siegfried Theiß und Hans Jaksch in nobel zurückhaltender Eleganz entworfenen Hauses setzte vor circa zehn Jahren im Zusammenhang mit einem allmählichen Generationenwechsel in der Bewohnerschaft ein. Wieder zogen Architekten, Grafiker, Schriftsteller in das Haus. Eine umsichtige Verwaltung achtet auch darauf, dass bei den vielen kleinen Geschäftslokalen hinter der noblen Opalglas-Front an Herrengasse, Fahnengasse und Wallnerstraße eine gewisse Vielfalt gewährleistet bleibt. Die Vermietung eines großen Teils des Postamtes in der Wallnerstraße an eine deutsche Fast-Food-Pizza-Kette war da schon eine Ausnahme – der kleine Gastgarten belebt und bereichert den öffentlichen Raum vor dem Haus im Sommer aber zweifellos.

An der Ecke Herrengasse/Fahnengasse springt das Erdgeschoß des Hochhauses weit zurück und bildet so einen gedeckten Bereich aus, der als einladendes Entrée des Gebäudes fungiert – in den letzten Jahren wiesen Schilder an den verglasten Eingangs-Schwingtüren wohl nicht grundlos darauf hin, dass es sich hier nicht um einen U-Bahn-Eingang handle und dieser sich um die Ecke befinde. An derselben Ecke gibt es auch eine runde verglaste Vitrine vor dem Eingang. Sie umhüllt nicht zuletzt auf elegante Art die beiden Stahl-Doppelstützen, die den Turmteil des Gebäudes tragen. Genutzt wurde die Vitrine als großzügige Auslage, mit fast zu viel Platz für die paar Bücher, die in den Dreißigerjahren eher verloren darin drapiert waren. Die Fünfzigerjahre brachten die Einrichtung einer eher kurzlebigen, aber mit ihrer Jazz-Beschallung todschicken, internationales Flair nach Wien bringenden Espresso-Milchbar nach Entwürfen des Architekten Fritz Euler. In den „Glaskäfig“ kamen nach Aussage der Wirtin damals „nur feine Leute“.

Nun ist in die Vitrine aufs Neue ein nussschalengroßer Gastronomiebetrieb eingezogen. Der Entwurf stammt diesmal vom Büro BEHF. Der planende Architekt Stephan Ferenczy lebt selbst im Hochhaus und hat daher eine besondere Beziehung zum Gebäude und seiner speziellen Charakteristik. In der Gestaltung der neuen Weinbar sind Bezugnahmen auf das „Hochhaus-Espresso“ durchaus festzustellen. Wo in den Fünfzigerjahren wenige kleine Bistrotische an der Glaswand entlang gereiht waren, wurde nun eine mit weichem karamelfarbenem Leder bezogene durchgehende Sitzbank mit tischhoher Ablagefläche installiert. Die auf die Ästhetik der Fünfzigerjahre anspielende amöbenförmige Theke steht auf ihrem gewellten Edelstahlsockel frei im Raum, sodass es kein vorne und hinten gibt und die Bar weder den Passanten auf der Herrengasse noch den aus dem Haus Kommenden eine Rückseite zuwendet. Das Lokal funktioniert so als allseitig einsehbare, betretbare Vitrine seiner selbst, mit mehrstöckigen Stahlregalen voll gereihter Flaschen mit durchscheinendem Inhalt und gewissermaßen im zylindrischen Goldfischglas sitzenden Konsumenten von Kaffee und Wein – auch heute eher „feinen Leuten“. Die Durchsichtigkeit von innen nach außen und umgekehrt und genauso das Gesehenwerden sind im Glaszylinder selbstverständlicher Teil des Konzepts.

Rechts und links des Eingangs an der Ecke Herrengasse/Fahnengasse rahmen den Raum die zwei gestrichenen Stahlträger, auf denen der Turmteil des Hauses ruht. Der Boden ist in robustem anthrazitfarbenem Terrazzo ausgeführt, von der Decke ist über der Bar eine Art Bambusgeflecht abgehängt, das vielleicht schon ein bisschen zu sehr auf die Fünfzigerjahre verweist. Das Personal ist, optisch durchaus als Teil des Ganzen fungierend, in dezentem Grau-Braun-Beige gekleidet, passend zum gut riechenden Leder, das Bar, Sitzbank und Ablagen überzieht und kurz nach der Eröffnung schon einige Rotweinflecken aufweist, aber für würdiges Altern gut gerüstet zu sein scheint. Die haptischen Materialien und die dezente warme Farbgebung wollen jedenfalls gut zum schwarz-weißen Marmor des Hochhaus-Foyers, dem schwarzen Glas der Geschäftsfassaden und den eleganten Nirosta-Profilen der Fensterrahmen passen. Alles in allem versucht die Bar erfolgreich, sich quasi-selbstverständlich in den Bestand einzufügen. Es ist ein wenig, als sei die glamouröse Zeit des Hochhauses zurückgekehrt: Wie in Karl Maria Grimmes euphorischem Text zum Hochhaus-Café „blinken Metallsäulen, gleißen Geländerreifen, schimmern und spiegeln Glaswände“. Tatsächlich kann man spätestens nach dem ersten Achtel kaum glauben, dass es hier nicht immer so ein Lokal gegeben hat.

Spectrum, Sa., 2012.12.15



verknüpfte Bauwerke
Hochhaus Herrengasse

22. September 2012Iris Meder
Spectrum

Leben im Museum

Widersprüchlich, heterogen und ein einzigartiges Zeugnis der Wiener Moderne: Die Wiener Werkbundsiedlung ist das Aushängeschild des Österreichischen Werkbunds. Zur Ausstellung anlässlich ihres 80-jährigen Bestehens im Wien Museum am Karlsplatz.

Widersprüchlich, heterogen und ein einzigartiges Zeugnis der Wiener Moderne: Die Wiener Werkbundsiedlung ist das Aushängeschild des Österreichischen Werkbunds. Zur Ausstellung anlässlich ihres 80-jährigen Bestehens im Wien Museum am Karlsplatz.

Bauausstellungen waren in den 1920er- und 1930er-Jahren wichtig: mit 1:1-Häusern, die man anfassen, durchwandern und die man sich als neue Behausung im Sinne des Neuen Bauens ausmalen konnte. Da gab es viele Mustereinrichtungen, die temporär im Künstlerhaus und Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) zu begutachten waren. Bei der „Wohnung und Siedlung“ in Linz und diversen Wochenend- und Kleinhausschauen im Messepalast (heute Museumsquartier) und dem noch unverbauten Gelände hinter dem MAK wurden richtige Häuser aus Stahl, Ziegeln, Beton und Holz aufgebaut und eingerichtet. Nach Ende der Ausstellung wurden alle wieder abgebaut. Das vielleicht berühmteste Beispiel ist Ludwig Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon, gebaut als repräsentativer Empfangsraum des Deutschen Reichs auf der Weltausstellung von 1929. Hier war der Phantomschmerz über den beim Abtransport verschollenen Pavillon so groß, dass er in den 1980er-Jahren am Originalstandort auf dem Messegelände von Barcelona rekonstruiert wurde.

Anders war dies bei den Werkbundsiedlungen, die alle für ein permanentes Bewohnen nach der Dauer der Ausstellung konzipiert waren, teils als Mietshäuser wie in der Stuttgarter Siedlung, teils als großbürgerliche Villenkolonien mit Häusern nach den Wünschen der Bauherren wie in der Baba-Siedlung in Prag. Die im gleichen Jahr wie die Prager entstandene Wiener Werkbundsiedlung wurde zu einem Zwischending: Einige Häuser waren schon vor ihrer Fertigstellung verkauft, andere nach dem Ende der Ausstellung erweitert und adaptiert, der Großteil über die GESIBA vermietet. Einem Abriss entging die Werkbundsiedlung in der Zeit des Nationalsozialismus durch die Tatsache, dass der erste NS-Bürgermeister Wiens zur Zeit des Baus der Siedlung Präsident des Österreichischen Werkbunds gewesen war und die Siedlung als solcher mitgetragen und eröffnet hatte. Es folgten eine lange Zeit des Vergessens, eine Wiederentdeckung durch die Architekten der Wiener Nachkriegsmoderne, eine architektonisch fundierte, aber in den Ausführungsmodalitäten unglücklich verlaufene Sanierung, Bauschäden, Stagnation und eine neuerliche denkmalpflegerische Bestandsaufnahme und Restaurierung durch das Architekturbüro p.good.

In der schwierigen Entstehungs- und Bestandsgeschichte der Wiener Werkbundsiedlung, der das Wien Museum zurzeit anlässlich ihres 80. Geburtstags eine Ausstellung widmet, spiegelt sich die komplexe, immer wieder von Sezessionen und Animositäten geprägte Geschichte des Österreichischen Werkbundes. Gegründet wurde der Österreichische Werkbund vor exakt 100 Jahren. Seine Entstehung fällt zusammen mit der 6. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes, die im Juni 1912 in Wien stattfand.

Die Gründung eines Österreichischen Werkbundes, nun etwa mit Adolf Loos und Josef Frank, versprach neue Möglichkeiten für das Wiener Kunsthandwerk, das sich in einer der Industralisierung geschuldeten Krise befand. Unterschiedliche Auffassungen vom allumfassenden, einheitlich durchgestalteten Gesamtkunstwerk (Hoffmann) bzw. vom unpathetischen, widersprüchlichen, nicht formbaren Lebensumfeld (Frank und Loos) führten zunehmend zu Konflikten und 1920 zur ersten Werkbundspaltung mit Austritt der Hoffmann-Gruppe, die einen mangels eloquenter Vertreter nur begrenzt aktiven „Wiener Werkbund“ gründete. 1923 folgte noch dazu die Gründung des Steiermärkischen Werkbundes, den künstlerischer und großteils auch politischer Konservatismus kennzeichnete.

In der internationalen Wahrnehmung löste Frank Hoffmann zunehmend ab. Als einziger Österreicher baute er 1927 in der Stuttgarter Werkbundsiedlung und war er 1928 auf der Gründungstagung der Internationalen Kongresse für Neues Bauen CIAM im Schweizer La Sarraz. Trotz allem gelang damals mit viel gutem Willen die Wiedervereinigung von Österreichischem und Wiener Werkbund. Die Wiener Siedlung wurde schließlich nicht wie geplant zur Werkbund-Tagung 1930 fertig, sondern erst zwei Jahre später. Die mühsam aufrechterhaltene Einheit zerbrach kurz darauf, als Hoffmann, Clemens Holzmeister und Peter Behrens sich mit dem „Neuen Werkbund Österreichs“ erneut abspalteten. Auf der Weltausstellung in Paris stellte man noch gemeinsam aus, zu einer Wiedervereinigung kam es nicht mehr. Mit dem Anschluss wurde 1938 auch der Werkbund liquidiert.

Die Mehrzahl der Protagonisten der Wiener Moderne kehrte aus der Emigration nicht zurück. Der Werkbund versuchte einen Neustart mit Erich Boltenstern, Franz Schuster, Max Fellerer und Oswald Haerdtl. Haerdtl engagierte sich mit Grete Schütte-Lihotzky, Wilhelm Schütte und Karl Schwanzer in einer neu formierten österreichischen CIAM-Gruppe. 1949 zog Schwanzer in einem Brief an die Werkbund-Leitung ein resigniertes Resümee: „Nach der Gründung des Österreichischen Werkbundes ist dieser noch nicht mit wesentlichen Taten an die Öffentlichkeit getreten. Stattdessen erfreut sich die reaktionäre Baugesinnung in Wien und Österreich größter Blüte.“ Die Zeiten der engagierten Werkbund-Arbeit waren vorbei. Der Österreichische Werkbund wurde 1976 aus dem Vereinsregister gelöscht. Seine sichtbarste Hinterlassenschaft bleibt die Wiener Werkbundsiedlung – widersprüchlich, heterogen und ein einzigartiges Zeugnis der Wiener Moderne.

Spectrum, Sa., 2012.09.22

11. August 2012Iris Meder
Spectrum

Genuss in der Schublade

Apfel, Mohn, Vanille oder Kaffee lauten im Inneren die Farbvorgaben, schließlich ist ja gleich nebenan eine renommierte Konditorei. Das Hotel Pupp in Brixen, Südtirol: Bauen im Bestand, appetitanregend.

Apfel, Mohn, Vanille oder Kaffee lauten im Inneren die Farbvorgaben, schließlich ist ja gleich nebenan eine renommierte Konditorei. Das Hotel Pupp in Brixen, Südtirol: Bauen im Bestand, appetitanregend.

Südtirol stand während einer durchaus beträchtlichen Zeitspanne in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem für billige Busreisen, billigen Wein und gespritztes Obst, galt also nicht gerade als Sehnsuchtsziel junger, urbaner Genussmenschen. Dass sich daran in den vergangenen Jahren einiges geändert hat, ist allerdings nicht zu übersehen. Die Therme Meran etwa, konzipiert vom Berliner Architekturbüro Baumann und Zillich (mit Innenausstattung von Lokalmatador Matteo Thun), setzte 2006 ein Zeichen für eine Stadt, deren touristisches Angebot sich nunmehr auch an ein Lifestyle-orientiertes Publikum wenden wollte.

Ein weiteres Beispiel neben Meran ist Brixen, eine historische Stadt mit mittelalterlichem Kern, halb alpin, halb italienisch anmutenden Plätzen und Laubengängen, unterbrochen von weitläufigen Gartenanlagen aus fürstbischöflichem Besitz. Im Jahr 2004 wurde die 20.000-Einwohner-Stadt am Eisack zusätzlich zur bestehenden Philosophisch-Theologischen Hochschule um einen externen Standort der Universität Bozen bereichert.

Das neue Institutsgebäude am westlichen Rand der Altstadt nimmt mit seiner quadratischen Vierflügelanlage in Disposition und Dimension Bezug auf die vis-à-vis gelegene Hofburg. Der sich asketisch und karg gebende Sichtbetonbau der Stuttgarter Architekten Kohlmayer und Oberst war, nach Othmar Barths 1962 neben dem Priesterseminar am gegenüberliegenden östlichen Rand der Altstadt entstandenem Eisenbeton-Sichtziegel-Bau der Cusanus-Akademie, ein weiteres gelungenes Beispiel zeitgenössischen Bauens im Kontext einer historisch gewachsenen Umgebung.

Dann gab es noch das Nordende des Stadtzentrums. Dort bestand am Rand der Altstadt eine innerstädtische Brache zwischen dem in den 1990er-Jahren errichteten Erlebnisschwimmbad und der renommierten Konditorei Pupp. Für den Neubau eines kleinen Hotels initiierten die Brüder Christian und Martin Pupp 2010 einen geladenen Wettbewerb, aus dem schließlich der Entwurf des ortsansässigen Architekten Christian Schwienbacher siegreich hervorging. Dem sensiblen Standort zwischen dichter Altstadtbebauung und der heterogenen angrenzenden Mischzone wurde Schwienbacher mit einem Entwurf gerecht, der sich auf die Volumina der umgebenden Bauten bezieht, dabei aber selbstbewusst zeitgenössisch auftritt.

Leicht aus der Straßenflucht zurückversetzt, bildet die Bebauung an der Längsachse der Altstadt einen Vorplatz aus, der auch der Puppschen Konditorei einen größeren – und bereits ab dem frühen Morgen durchgehend gut besuchten – Gastgarten beschert. Wo man ein Zelebrieren der privilegierten Lage mit Ausblicken auf die pittoreske Umgebung erwartet hätte, erstrahlt ein weißer Solitär, der sich am ehesten mit einer Gruppierung dreier aufeinandergestellter, ineinanderverkeilter, auskragender Schubladen vergleichen ließe.

Besenstrich-Rauhputz, strahlend

Trotz der verglasten Eingangszone ist dieser Schubladenhaufen überraschend introvertiert – wie das eben bei Schubladen ist, die ja im Allgemeinen auch nicht nach vorne offen sind. Nur zwei Loggien mit Blick auf den Platz sind aus der weißen Quaderschichtung ausgeschnitten.

Außen und innen mit strahlend weißem, traditionellem „Besenstrich“-Rauhputz bedeckt, präsentiert sich das kompakte Haus in seinen Gastzimmern und Aufenthaltsbereichen mit kräftigen Farbakzenten. Im Inneren des von den Betreibern mit „small luxury“ beschriebenen Hotels setzt sich das Spiel mit dem Wechsel von Introvertiertheit und den als aufblitzende Extras inszenierten Ein- und Ausblicken fort. Von den nur elf, dafür aber umso großzügigeren Zimmern haben nur die beiden mit den straßenseitigen Loggien im ersten und zweiten Obergeschoß Stadtblick. Die drei Suiten im Erdgeschoss sind zu einem teils holzbeplankten, teils bepflanzten, terrassierten Hof an der Gebäuderückseite orientiert.

Mit ihren eichenen Böden und Einbaukästen, in den 1960er-Jahren vom dänischen Architekten Arne Jacobsen entworfenen klassisch-modernen „Swan Chairs“ und mit Glasmosaik ausgekleideten Badezimmern ausgestattet, folgen die einzelnen Zimmer in ihren farblichen Leitmotiven den appetitanregenden Ingredienzien der Puppschen Konditorei: Apfel, Marille, Zwetschke, Erdbeere, Mohn, Vanille, Kaffee, Kastanie, Pistazie, Schokolade und Sahne lauten die klaren Farbvorgaben.

In seiner Schubladenschichtung vermeidet der Bau auch das allzu Einfache und Eindeutige mittels leichter struktureller Verschiebungen. Hier landete man einen weiteren Glücksgriff mit der Beauftragung künstlerischer Arbeiten in Form von funktionalen Metallgittern nach Entwürfen der aus Südtirol stammenden Wiener Künstlerin Esther Stocker. Eine bessere wechselseitige Ergänzung der schicken und sehr eleganten Architektur als durch die quasi musikalischen Strukturen der leichten geometrischen Verschiebungen, die Esther Stockers lakonische Arbeiten kennzeichnen, lässt sich kaum denken.

Das überall wiederkehrende Thema der vor die Aussicht gesetzten Wände hat hier erstaunlicherweise keine klaustrophobische Einengung zur Folge, obwohl es konsequent durchgezogen wird – selbst vor das über Glaswände belichtete platzseitige Stiegenhaus legt sich eine Wandschürze, die eine Art schwebenden Lichthof vor dem Hoteleingang entstehen lässt. Das Motiv ist in Form von in ihrer Anmutung fast japanisch-meditativen, nach oben offenen introvertierten schmalen Höfen, die den übrigen Zimmern zugeordnet sind, durch das ganze Haus gezogen, das mit je 1300 Kubikmetern über gleich viel ober- und unterirdische Volumina verfügt.

Mit Belichtung über einen seitlich vorgelagerten Hof kommt viel Tageshelligkeit auch in den aus raumökonomischen Gründen in das Untergeschoß gelegten Frühstücksraum. Mit seinen bunten Charles-Eames-Schalensesseln aus den 1950er-Jahren verströmt der Raum nicht nur erfrischenden Midcentury-Chic – mit seiner Bestückung durch Christian Pupps Konditorei würde er allein schon des Frühstücks wegen jeden Aufenthalt lohnen.

Und wer dennoch einmal genug von der Introvertiertheit seines kleinen bepflanzten Höfchens haben sollte, der kann ja jederzeit den hoteleigenen Whirlpool auf der Dachterrasse mit Traumblick über Stadt und Umland nutzen.

Spectrum, Sa., 2012.08.11



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Hotel Pupp

02. Juni 2012Iris Meder
Spectrum

100 ist erst der Anfang

1912 wurde die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur gegründet. Und wie steht's um die hiesige Freiraumgestaltung ein Jahrhundert danach?

1912 wurde die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur gegründet. Und wie steht's um die hiesige Freiraumgestaltung ein Jahrhundert danach?

In diesen Tagen feiert die ÖGLA, die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, ihr hundertjähriges Gründungsjubiläum. In merkwürdigem Gegensatz hierzu steht die Tatsache, dass der Berufsstand der Landschaftsarchitektur in Österreich ein recht junger ist. Erst seit 1991 gibt es hierzulande ein reguläres Studium der Landschaftsarchitektur. Dass vor 21 Jahren, nach dem Studienversuch „LÖK“ (Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung), schließlich eine reguläre Studienrichtung LAP (Landschaftsplanung und Landschaftspflege) an der Universität für Bodenkultur eingeführt wurde, verdankt sich auch dem Engagement der ÖGLA.

Über Jahrhunderte hinweg waren es Architekten, Gärtner, Maler oder einfach Laien, die Gärten, Parks, öffentliche Plätze und Landschaften gestalteten. Parallel zu ähnlichen Diskussionen in der Architektur wurden in Österreich um 1900 verstärkt Debatten um die Befähigung und eine geregelte Ausbildung zur Gestaltung von Gärten und Parks geführt. Es war die Zeit erbitterter Stilkontroversen in Kunst, Architektur, Kunstgewerbe und auch Gartenkunst – und zwar vor allem zwischen ,landschaftlichen‘ und ,architektonischen‘ Gestaltungsprinzipien.

Landschaftsgärtner und Interessierte waren in der 1837 gegründeten, heute – ohne k.k. – noch existierenden „k.k. Gartenbau-Gesellschaft“ organisiert. Die nicht geschützte Berufsbezeichnung Gartenarchitekt führten vielfach auch Gärtner und Autodidakten. Als 1912 die „Vereinigung österreichischer Gartenarchitekten VÖGA“ mit dem ersten Vorsitzenden Franz Maxwald gegründet wurde, verstand sie sich als Berufsvertretung, die in erster Linie Wettbewerbsrichtlinien und Honorarordnungen erarbeitete und – wenn auch vergebens – einen Titelschutz für den Beruf des Gartenarchitekten anstrebte.

Im selben Jahr wie die VÖGA wurden auch der Österreichische Werkbund und die privat geführte Erste Wiener Gartenbauschule für Frauen im Kaasgraben in Grinzing gegründet. Die Geschichte der Vereinigungen spiegelt dabei im Laufe der Jahrzehnte immer auch die politischen Verhältnisse – so wurde die (später wiedergegründete) Österreichische Gartenbau-Gesellschaft 1934 behördlich aufgelöst, da mehrere ihrer führenden Mitglieder der nach den Februarkämpfen verbotenen sozialdemokratischen Arbeiterpartei angehörten. Das Ende der VÖGA – wie auch des Österreichischen Werkbundes und der Gartenbauschule für Frauen – kam 1938 mit der Eingliederung in den „Reichsnährstand“ der „Landesbauernschaft Donauland“.

Die Nachkriegszeit brachte eine Neugründung und Mitarbeit bedeutender Landschaftsarchitekten wie Albert Esch, Eduard Maria Ihm, Alfred Auer, Viktor Mödlhammer und Josef Oskar Wladar. Eine Aufnahme in den elitären Verband war bis in die frühen 1990er-Jahre nur über eine Bewerbung mittels einer einzureichenden Mappe möglich, die von einem Aufnahmekomitee geprüft und abschließend von der Vollversammlung gutgeheißen werden musste. Eine kleine Palastrevolution, vor allem aber eine Öffnung des Verbandes für alle Beitrittswilligen und einen damit verbundenen Generationenwechsel im Vorstand brachte das Engagement einer Gruppe jüngerer Landschaftsarchitekten wie Thomas Knoll, Karl Grimm, Thomas Proksch, Gerhard Prähofer, Brigitte Mang, Ursula Kose und Lilli Lička. Entsprechend neuen Tätigkeitsfeldern wie Stadt- und Dorferneuerung, Agrarförderung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Gartendenkmalpflege waren unterdessen auch Umwelt- und Naturschutz, kooperative Planungsverfahren und alltagstaugliche Freiraumgestaltung Teil des Selbstverständnisses von Landschaftsarchitekten geworden.

1994 wurde der Berufsstand in die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten aufgenommen. Seitdem versteht sich der Verband vor allem als Instanz für nationale und internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbying, Weiterbildung und die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis. Der von der ÖGLA ausgeschriebene internationale Landschaftsarchitekturwettbewerb für Studierende wurde von Ursula Kose und Brigitte Lacina neu aufgesetzt, der von Gisa Ruland geführte „Arbeitskreis Wohnen im Grünen“ ist ebenso Teil der Vereinigung wie die unter dem Vorsitz von Lilli Lička begründete Online-Projektdatenbank „nextland“, die in Kooperation mit dem von Lička geleiteten Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur betreut wird. BOKU und ÖGLA veranstalten gemeinsam auch Tagungen und Vortragsreihen.

Die länderübergreifend in der „International Federation of Landscape Achitects (IFLA)“ vernetzte ÖGLA vertritt mit ihren heute knapp 200 Mitgliedern einen Berufsstand, der sich nach wie vor im Wandel befindet. So hat in den letzten Jahren die gestalterische Arbeit gegenüber Aufgaben wie Naturschutz stark aufgeholt. Neue Arbeitsbereiche der Landschaftsarchitektur bringt die Öffnung des Tätigkeitsfeldes in Richtung temporäre Interventionen und Beteiligungsprozesse.

Dennoch sehen sich Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen – in Studium und Beruf stellen Frauen heute in Österreich die Mehrheit – nach wie vor der Notwendigkeit gegenüber, Lobbying für Verständnis und Wertschätzung ihrer Arbeit zu betreiben: bei Laien, aber vielfach auch in der Architektenschaft. Auf der anderen Seite stehen fruchtbare Kooperationen gerade von jüngeren Büros mit Architekturschaffenden sowie mit Künstlern und Künstlerinnen. Gerade in der neuen Generation funktioniert die interdisziplinäre Vernetzung gut, auch durch Bürogemeinschaften, die direkten Austausch ermöglichen – so etwa bei Yewo, einer Gemeinschaft, bei der Landschaftsarchitekturbüro, Architektur-, Design- und Vermittlungslabor und Grafikatelier Räumlichkeiten, Ressourcen und geistigen Input teilen.

Übrigens ist mit Yewo Landscapes nach einem gewonnenen Wettbewerb heuer erstmals ein österreichisches Atelier auf dem renommierten „Festival du jardin“ im französischen Chaumont-sur-Loire vertreten. Eines ist jedenfalls gewiss: Es bleibt spannend für die Landschaftsarchitektur – hundert Jahre sind erst der Anfang.

Spectrum, Sa., 2012.06.02



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ÖGLA

21. April 2012Iris Meder
Spectrum

Parkplatz gefunden, Kinder versorgt

Der neue Schulcampus Krems des Wiener Architekturbüros NMPB vereint auf engstem Raum verschiedene Schulformen mit einer Parkgarage. Ein gelungenes Experiment.

Der neue Schulcampus Krems des Wiener Architekturbüros NMPB vereint auf engstem Raum verschiedene Schulformen mit einer Parkgarage. Ein gelungenes Experiment.

Als die Stadt Krems den Bau eines neues Schulzentrums beschloss, sollte dafür eigentlich das alte Messegelände nahe dem Bahnhof abgerissen und neu bebaut werden. Schließlich besann man sich stattdessen eines als Parkplatz genutzten trapezförmigen Grundstücks noch näher am Bahnhof, zwischen den Gleisen und mehreren bestehenden Schul- und Saalbauten. Die nicht gerade gewöhnliche Kombination von Parkgarage, Kindergarten, Sonderschule, Hauptschule und Polytechnikum in einem gemeinsamen Gebäudekomplex brachte eine, wie sich nun zeigt, bemerkenswert gut funktionierende Nutzungsvielfalt mit sich.

Das durch einen Wettbewerb entstandene Projekt des Wiener Architekturbüros NMPB (Nehrer Medek Pohl Bradić) geht angesichts des beschränkten zur Verfügung stehenden Platzes auf dem innerstädtischen Gelände von einem kompakten quaderförmigen Baukörper aus. Im Schulbereich wurde der Bau außen mit einem grau-beige-farbenen Putz mit leicht unregelmäßiger Oberflächenstruktur versehen. In der erdgeschoßig einspringenden stadtseitigen Ecke des Komplexes liegt der durch die Obergeschoße gedeckte Eingang. Hinter ihm öffnet sich eine zweistöckige Aula mit hellgrauen Sichtbeton-Oberflächen, die auch als Mensa genutzt wird. Tageslicht kommt über die verglaste Decke, über einen erdgeschoßigen überdachten Bereich, der als Freiluftklasse genutzt werden kann, und außerdem vom Pausenhof im Obergeschoß, der auf dem Dach der Turnhalle liegt und von der Aula über eine tribünenartige breite Treppe erreichbar ist. Ein bis auf Erdgeschoßniveau gehender Patio bringt zusätzlich reichlich Tageslicht in alle Bereiche des Gebäudekomplexes. Ein leichter Außenknick der Fassade nach Süden, dem auch die Klassenzimmer folgen, vermeidet durch seine leichte Unregelmäßigkeit eine allzu rigide Orthogonalität des Ganges vor den Klassen, der sich so platzartig zu weiten scheint.

Die Mischung der drei Schultypen, die sich Foyer, Turnhalle und Mehrzweckräume teilen und räumlich zueinander offen und durchlässig sind, war ein Experiment, mit dem die Nutzer heute, ein Jahr nach Inbetriebnahme, sehr zufrieden sind. Dabei wurde konzeptuell und architektonisch auch auf das Miteinander der Schüler gesetzt, zwischen denen Begegnungen und Kontakte gefördert werden sollen. Die Orientierung im Komplex wird erleichtert durch ein grafisches Leitsystem nach einem Konzept von Walter Bohatsch, das die einzelnen Schul- und Nutzungsbereiche nach Farben definiert. In den Treppenhäusern und an den Glastüren sind die grafisch reduzierten Gebäudeaufrisse zu geometrischen Ornamenten gruppiert. Bei den Toiletten leisteten sich die Architekten die augenzwinkernde politische Unkorrektheit, die Mädchen-WCs in Weiß mit Bonbonrosa zu halten – was erwartungegemäß auf Begeisterung seitens der jungen Nutzerinnen stößt.

Bei den Klassenraumgrößen musste man sich am räumlich beschränkten niederösterreichischen Standard orientieren. Zu den Normalklassen kommen dabei teilweise nutzungsoffene Sonderklassen wie ein zum Gang hin verglaster und öffenbarer Raum für unterschiedliche Belegungen, der wie die Turnhalle auch extern genutzt werden kann, und die „Wohnklassen“ des Sonderschulbereichs, in denen Alltagsleben in zwangloser Form vermittelt wird. Das licht- und sonnendurchflutet an einer verglasten Ecke des Baus liegende „Snoezelen-Zimmer“ dient der Förderung sinnlicher Wahrnehmung von psychisch beeinträchtigten Kindern.

In den Klassenzimmern und den Bereichen für das Lehrpersonal herrschen mit Holzoberflächen und naturfarbenen Akustikelementen wärmere Töne vor. Die Architektur bleibt dabei überall im besten Sinne zurückhaltend, sowohl in der einfachen, übersichtlichen Struktur des Gebäudekomplexes wie in der abgetönten Farbigkeit und der schlichten Materialität der Oberflächen mit Sichtbeton für Wände und Decke des Foyers und geschliffenem Estrich für den Fußboden – mit dem bemerkenswerten Effekt einer Unterschreitung der veranschlagten Kosten. Planungs- und Bauprozess verliefen, auch dank der Offenheit der Auftraggeberschaft und der involvierten Schuldirektionen, problemlos. Aufgrund von dreifachverglasten Fenstern mit dunklen Metallrahmen außen und Holzrahmen innen und einer kontrollierten Belüftung in den Klassenräumen hat der Komplex Niedrigenergiestandard. Die durch die kosteneffiziente Planung eingesparten Mittel erlaubten die zusätzliche Anschaffung von Möbeln, die über den Minimalstandard von Schulmöblierungen hinausgehen.

Bahnseitig ist an der dem Schuleingang gegenüberliegenden Ecke des Geländes die Parkgarage erschlossen, die sich mit einer Verkleidung aus grau-beigen Streckmetallgittern optisch so weit wie möglich unsichtbar macht. Im Inneren sind die Parkdecks mit einem zum Konzept von Walter Bohatsch gehörenden Leitsystem nach Persönlichkeiten aus der Kremser Geschichte definiert, deren abstrahierte Porträts die Wände zieren und dabei der Orientierung auf den verschiedenen Ebenen dienen.

Zum südöstlich gelegenen Bahnhof blickt der unabhängig von den Schulen erschlossene kleine Kindergarten. Zwischen ihm und der Schule entwickelt sich eine bepflanzte Hügellandschaft, die von der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer in Anlehnung an die Weinberge der Wachauer Umgebung gestaltet wurde. Über Rampen führt durch diese Miniaturlandschaft ein Weg auf mehrere Ebenen und schließlich auf das Flachdach, das beim Spielen einen Ausblick auf das nahe Stift Göttweig bietet.

Innen passen sich die Räume mit ihren niedrigen Parapeten den Dimensionen der kleinen Nutzer an. Warme Holztöne schaffen Wohnlichkeit. Hits sind zum einen ein gepolstertes Spiel-Krokodil mit Tunnel, zu dem die Treppe ins Obergeschoß samt dem Raum unter ihr gemacht wurde, und zum anderen die alkovenartigen holzverkleideten Nebenräume, in denen sich Kinder zurückziehen, ja gar verstecken können. Dazu kommen die großen Fenster in Richtung Bahnhof – mit dem Ein- und Ausfahren der Züge als täglich neue Attraktion.

Spectrum, Sa., 2012.04.21



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Schulzentrum Krems

09. April 2012Iris Meder
architekturjournal wettbewerbe

Corporate Architecture

Planende wie Auftraggeber profitieren von mit dem Unternehmen assoziierter qualitätvoller Architektur. Baukulturelle Verantwortung ist aber auch als Wahrung ethischer Grundsätze zu verstehen.

Planende wie Auftraggeber profitieren von mit dem Unternehmen assoziierter qualitätvoller Architektur. Baukulturelle Verantwortung ist aber auch als Wahrung ethischer Grundsätze zu verstehen.

Wenn in dieser Ausgabe des Architekturjournals wettbewerbe gleich vier neue Unternehmenszentralen vorgestellt werden, so ist das ein Anlass, das Prinzip Corporate Architecture näher zu beleuchten. Dass Architektur als Imageträger fungiert, ist kein neues Phänomen. War es in der Frühzeit der Industrialisierung vor allem die Größe, derentwegen Firmen Fabrikgebäude mit Reihen geschäftig rauchender Schlote auf Briefköpfen und in Annoncen abbildeten, so wurde und wird zunehmend auch über die Architektur selbst die Wahrnehmung von Unternehmen gesteuert, die oft abstrakte Konglomerate fusionierter Gesellschaften sind und, wie etwa Banken und Versicherungen, in der Außenwahrnehmung im Grunde keine positiv besetzte Identität mehr haben.

Man kann hier zu einem historischen Exkurs ausholen: Wer würde die Fagus Schuhleistenfabrik im niedersächsischen Alfeld an der Leine kennen, hätte ihr Chef Carl Benscheidt nicht einst den hoffnungsvollen jungen Architekten Walter Gropius beauftragt, sein Firmengebäude zu entwerfen? Das Fagus-Werk wurde 2011 zu seinem 100. Geburtstag mit dem UNESCO-Weltkulturerbe-Status ausgezeichnet und mit einer Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv geehrt. Der Firma hat das architektonische Wagnis im Übrigen nicht geschadet: Sie erzeugt im Gropius-Bau nach wie vor erfolgreich Schuhleisten.

Identitätsschärfung durch Architektur

Corporate Architecture at its best also – auch wenn der Begriff als solcher erst in den 1990er Jahren geprägt wurde. Der Gedanke einer Identitätsschärfung durch Architektur war zu Benscheidts Zeiten für Unternehmen recht neu. Als erstes Corporate-Architecture-Konzept und Teil eines professionellen Corporate-Design Konzeptes gilt der Auftritt der Berliner AEG, die sich 1907 die Skills von Peter Behrens holte. Als Chefgestalter der AEG entwarf Behrens nicht nur die legendäre Turbinenhalle auf dem Werksgelände in Moabit, sondern, neben einem prägnanten Logo und der gesamten Grafik, auch elektrische Wasserkessel, Bogenlampen, Wanduhren und Ventilatoren. Behrens‘ gestalterisches Konzept, das konsequent schnörkellose, zuverlässige Modernität vermittelte – ähnlich wie die Baťa-Schuhfabriken im mährischen Zlín, Erich Mendelsohns Schocken-Kaufhäuser oder das ebenfalls stark auf Architektur ausgerichtete Corporate Design von Olivetti – bewährte sich hervorragend. Neben der Linzer Tabakfabrik realisierte Behrens auch die Zentrale des Chemiekonzerns Hoechst im gleichnamigen Frankfurter Vorort. Der expressionistische Bau aus den 1920er Jahren ist auch ein Beispiel dafür, wie eine ikonische Firmenzentrale zur Bildmarke werden kann – Behrens‘ Torgebäude zierte das Logo bis 1997, als der Konzern in einem gesichtslosen Konsortium mit einem nach Marketing-Kriterien generierten Fantasienamen aufging.

Jenseits des Atlantiks ging und geht es bei der virilen Parade glitzernder Firmenzentralen vor allem um Machtdemonstration in Form von Stockwerken, vom New Yorker Hochhaus der Nähmaschinenfirma Singer, das zur Zeit seiner Errichtung 1908 das höchste Gebäude der Welt war (und seit 1968 posthum den Weltrekord des höchsten jemals freiwillig abgerissenen Baus hält), über Woolworth und Chrysler zu Lever, Seagram, Pan Am und AT & T Building, die Architekturinteressierten heute oft präsenter sind als die Marken, die hinter ihnen stehen – auch die Tageszeitung Chicago Tribune wäre ohne ihren 1922 mit viel Medienpräsenz durchgeführten Hochhauswettbewerb schwerlich in die Architekturgeschichte eingegangen.

Gefahren der Corporate Architecture

Prinzipiell profitieren natürlich Planende wie Auftraggeber von mit dem Unternehmen assoziierter qualitätvoller Architektur – umso mehr, je besser das Gebaute das Image der Marke umsetzt. Die Bedeutung dieses Zweiges der Planung schlägt sich auch in der Einrichtung eines Masterstudiengangs mit Forschungsschwerpunkt Corporate Architecture an der Fachhochschule Köln vor vier Jahren nieder. Vermittelt werden Kriterien und Strategien für die Steuerung der Außenwahrnehmung von Unternehmen an den Schnittstellen zu Marketing, Design, IT, Soziologie, Raumplanung und Regionalentwicklung – wie nicht zuletzt Frank O. Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao zeigte, kann beispielsweise ein spektakulärer Museumsbau nicht nur die Aufmerksamkeit von seinem physischen und ideellen Inhalt – der Kunst – weg und auf sich selbst als Architekturikone ziehen, sondern ganze Regionen aufwerten.

Hier sind auch die Gefahren der Corporate Architecture zu sehen. Liegen neben einer Imageaufwertung auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen, ökologische Effizienz, Nachhaltigkeit und positive Auswirkungen auf Infrastruktur und städtebauliche Zusammenhänge im Interesse des Unternehmens, sind die Voraussetzungen für das Entstehen qualitätvoller Architektur gut. Als Beispiel einer gelungenen Umsetzung von Unternehmensgrundsätzen auch im Bereich einer Szenen-Credibility könnte man den Schiffscontainer-Turm des Zürcher Taschen-Labels Freitag nennen, dessen Entwurf des Büros Spillmann Echsle mit dem neu geschaffenen Schweizer Award für Marketing und Architektur ausgezeichnet wurde. Der markante Turm, der in kurzer Zeit ohne nennenswerten Ressourcenverschleiß um- und rückbaubar ist, setzt die auch in den Freitag-Produkten vermittelten Prinzipien Nachhaltigkeit und Flexibilität jenseits reiner Marketingstrategien überzeugend um. Ähnliches ließe sich vom flexibel konzipierten adidas brand center des Wiener Büros querkraft architekten sagen. In Österreich, wo alle sechs Jahre der Staatspreis Architektur in der Kategorie Industrie und Gewerbe vergeben wird, finden sich an vorbildlichen Lösungen neben den MPreis-Supermärkten in Tirol beispielsweise die prämierte Lustenauer Zentrale der Firma S.I.E von Marte.Marte Architekten oder Georg W. Reinbergs Niedrigenergie-Büro- und Werkstättenkomplex des Naturschwimmteich-Bauers Biotop in Weidling bei Wien. [...]

architekturjournal wettbewerbe, Mo., 2012.04.09



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architekturjournal wettbewerbe 302

14. Januar 2012Iris Meder
Spectrum

Alt, neu und gut

Engadin, östliches Graubünden: In zahlreichen Orten findet sich städtisch geprägte Wohnkultur, die ihren Ursprung am Ende des Dreißigjährigen Krieges hat. Dank hartnäckiger Initiativen wird regionale Bautradition neben zeitgenössischer Architektur beibehalten. Ein Streifzug.

Engadin, östliches Graubünden: In zahlreichen Orten findet sich städtisch geprägte Wohnkultur, die ihren Ursprung am Ende des Dreißigjährigen Krieges hat. Dank hartnäckiger Initiativen wird regionale Bautradition neben zeitgenössischer Architektur beibehalten. Ein Streifzug.

Vrin, Flims, Vals heißen die bekannten Verwandten. Die Orte im westlichen Graubünden sind berühmt geworden durch ihre unaufgeregte, dem Ortsbild und lokalen Bautraditionen auf selbstverständliche Weise eingegliederte zeitgenössische Architektur. Rudolf und Valerio Olgiati prägten das Ortsbild von Flims, während Peter Zumthors Felsentherme in Vals die Ortschaft am Valser Rhein sofort auf die Landkarte architektonischer Musts setzte. Gion A. Caminadas unauffällige Holzbauten brachten erstmals Kulturtouristen in das abgelegene Bauerndorf Vrin. Entscheidend ist für Caminada das Ineinandergreifen von Dingen, Raumbildung: Wie kann ich die Kraft des Bestandes durch meine Intervention stärken?

Das vom Inn durchflossene Engadin im Osten Graubündens prägte, auch aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage, seit jeher Weltoffenheit. Mehrere Dorfquartiere mit Brunnenplätzen kennzeichnen die Engadiner Haufendörfer. Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs entstand eine städtisch geprägte Wohnkultur. In den Unterengadiner Bauernhöfen mit Wohnhaus, Scheune und Stall unter einem gemeinsamen Dach wurden bei typisierten Grundrissen Reste alter Wohntürme wiederverwendet, die Fenster der inneren Anordnung folgend asymmetrisch in die Fassaden gesetzt. Hier konnte auch zeitgemäßes regionales Bauen ansetzen, mit politischer Unterstützung durch Gemeinden, Kanton und einen progressiv agierenden Heimatschutz.

Das Beherbergen hat hier eine lange Tradition, schon immer waren viele Engadiner Bauern auch Wirte und Fuhrleute. Trotz ihrer frühen touristischen Erschließung haben Orte wie Scuol, Zuoz und das nahe St. Moritz gelegene Samedan ihre geschlossenen Ortsbilder bewahrt. Der Entdeckung einer Mineralheilquelle im historischen Kern von Samedan folgte 2009 der Bau eines Badehauses direkt neben der barocken Dorfkirche. Mit seinen weiß verputzten Mauern, den unregelmäßig in den Fassaden sitzenden Fenstern und dem Prinzip der vertikalen Stapelung unterschiedlich temperierter Beckenräume mit großzügigen Ausblicken auf den Dorfplatz nimmt der Bau der Basler Architekten Miller und Maranta die Proportionalität der umgebenden Bausubstanz auf, ohne seine Entstehungszeit zu verleugnen.

Auch das im 17. und 18. Jahrhundert entstandene Ortsbild von Guarda ist mit seinen charakteristischen halb öffentlichen Zonen und Sitzplätzen neben den Hauseinfahrten von seltener Geschlossenheit. Bemerkenswert ist, dass im 20. Jahrhundert durch mehrere Generationen hindurch die Bürgermeister der Gemeinde Architekten waren. Auch heute leben und arbeiten mehrere Architekten im gegenwärtig rund 200 Einwohner zählenden Ort. Anfang der 60er-Jahre begann eine Restaurierung unter der Leitung des ortsansässigen Planers Iachen Ulrich Könz, ein Konzept für die Dorfbildplanung kam vom renommierten Architekten Robert Obrist. Autos bleiben auf dem Parkplatz vor dem Ortseingang, das Dorfzentrum prägen öffentliche Räume mit Brunnen und Bänken, die nicht malerischen Konzepten, sondern den gewachsenen Traditionen der eidgenössischen Gesellschaft entspringen.

Heute lebt Guarda neben Landwirtschaft und Kleingewerbe auch vom Tourismus. Die Architekten Urs Padrun und Roger Vulpi bauen leer stehende Heuställe zu Ferien- und Dauerwohnhäusern aus. Zweitwohnsitz-Ghettos vermeidet die Gemeinde, die auch über eine dreiköpfige Baukommission verfügt, zugunsten dauerhaften Zuzugs, indem sie günstig Bauland an Zuzügler verkauft. Bauarbeiten müssen primär an ortsansässige Firmen vergeben werden, auch sprachliche Integration ist im rätoromanischen Dorf erwünscht. Die Stiftung „Pro Guarda“ setzt sich für denkmalpflegerischen Substanzerhalt in Verbindung mit verträglichem, nachhaltigem Tourismus ein. Ein jüngst von der Stiftung angekauftes leer stehendes Bauernhaus soll als „Chasa Guarda“ Wohnraum und Veranstaltungsflächen für Einheimische und Besucher bieten.

Wie in Guarda war auch in Vnà die Bevölkerungszahl, ausgedünnt durch Überalterung und Abwanderung, zwischenzeitlich stark gesunken, zuletzt von 200 auf 70. Schule, Geschäfte und Gasthaus waren geschlossen, als die Kulturmanagerin Urezza Famos ihr Konzept entwickelte, das wiederbelebte Gasthaus zum Zentrum eines dezentralen Dorfhotels zu machen. Im Stiftungsrat der 2004 gegründeten „Fundaziun Vnà“ saßen neben Landwirten auch Architekten und Künstler, Präsident der Stiftung wurde wie Famos' Lebensgefährte, der Kurator und Architekt Christof Rösch. Gemeinsam mit dem Basler Architekten Rolf Furrer baute Rösch das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert so für die neuen Bedürfnisse um, dass Veränderungen äußerlich nur punktuell sichtbar wurden. Das neue „Piz Tschütta“ erhielt eine schlichte, moderne Gaststube und ein Kaminzimmer, in den beiden „Stübli“ blieben die alten Holzvertäfelungen. Die Innenräume wurden weiter gemacht und Flure mit Aufenthaltsbereichen und offenen Kaminen geschaffen. Man reinigte die rohen Lärchenböden und beließ die alten Fenster, den alten Putz, die alte Dachdeckung. Aber was neu gemacht wurde, durfte dies auch zeigen. In die benachbarte Scheune stellten Rösch und Furrer, einen Glasquader, der weitere Zimmer aufnimmt. Die zehn Gasträume des „Piz Tschütta“ ergänzen externe Privatzimmer im Dorf, deren Gäste die Hotelinfrastruktur mitnutzen.

Der Partizipationsprozess verlief auch hier nicht ohne all jene Konflikte, die das Basisdemokratische dörflicher Strukturen mit sich bringt. Immerhin: Die von der Streichung bedrohte Buslinie nach Vnà verkehrt jetzt wieder stündlich. Jüngst hat sich die Zürcher Galeristin Eva Presenhuber von den Architekten Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler ein nicht unumstrittenes Beton-Ferienhaus bauen lassen, das die Prinzipien der alten Häuser in zeitgenössischer Form aufnimmt. Im benachbarten Tschlin wird von der Gemeinde unterstützt, wer Häuser im Ortskern kauft und renoviert – darunter auch die polnische Milliardärin und Mäzenin Grazyna Kulczyk. Ein spektakuläres 18-Millionen-Franken-Hotelprojekt von Peter Zumthor lehnte die Gemeindeversammlung dann aber doch lieber ab.

Spectrum, Sa., 2012.01.14

12. November 2011Iris Meder
Spectrum

Fünfzehn Minuten Ruhm

Ein Geheimtipp unter Architekturfans: der mährische Kurort Teplice nad Bečvou. Geprägt durch Bauhaus-Funktionalismus, erzählt der Ort die Lebensgeschichten von ehemals dort ansässigen Familien.

Ein Geheimtipp unter Architekturfans: der mährische Kurort Teplice nad Bečvou. Geprägt durch Bauhaus-Funktionalismus, erzählt der Ort die Lebensgeschichten von ehemals dort ansässigen Familien.

In den kleinen mährischen Kurort Teplice nad Bečvou verirrt man sich nicht leicht. Der Bahnhof aus den Dreißigerjahren ist eher eine notdürftig instand gehaltene Ruine mit abgesperrter Halle, deren kubische Schönheit noch zu erahnen ist.

Nach dem lebensgefährlichen Überqueren der Schnellstraße, die den Bahnhof vom Ortszentrum trennt, sucht man Kurcafés und Promenaden mit schicken Geschäften leider vergebens. Die Pensionisten bleiben während ihrer kassenärztlich verschriebenen Cardio-Rehabilitationskuren auch bei Schönwetter eher in den Kurheimen, Mittag- und Abendessen werden vorzugsweise mit Trainingsanzug und Hausschlapfen in den hauseigenen Speisesälen eingenommen.

In der Militär-Oberrealschule des nahen Städtchens Hranice, dem Teplice nad Bečvou (nicht zu verwechseln mit dem nordböhmischen Teplitz-Schönau) zeitweise eingemeindet war, erlebte Robert Musil jene Provinztristesse, in der er später die Handlung seines „Törless“ ansiedelte. Hauptattraktionen des malerisch im Tal der Bečva gelegenen Ortes sind die Zbrašover Aragonit-Höhle, dank dem lokalen Mineral-Thermalwasser die wärmste Höhle in Tschechien, und die Hranicer Schlucht, deren exakte Tiefe bislang nicht zu ermitteln war, die aber jedenfalls der tiefste Abgrund des Landes ist.

Unter Architekturfans ist der Ort am Rand der Beskiden dagegen noch immer ein Geheimtipp. Dabei hatte er in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik seine fünfzehn Minuten Ruhm, deren Spuren heute noch zu sehen sind. In Westböhmen standen auch nach dem Ersten Weltkrieg die k.u.k.-Hotspots Karlsbad und Marienbad hoch im Kurs, vor allem bei deutschsprachigen Gästen. Als mährisches Pendant wurde Luhačovice zum gesellschaftlichen Treffpunkt ausgebaut. Ähnliches hatte man mit dem etwas nördlicher gelegenen Teplice nad Bečvou vor.

Nach der Übernahme des Kurbetriebs durch die Prager Zentrale Sozialversicherung im Jahr 1930 baute der Architekt Karel Kotas, ein Schüler des Vaters der tschechischen Moderne Jan Kotěra, das alte Kurhaus Bečva am Ufer des gleichnamigen Flüsschens um und fügte ihm einen Hoteltrakt und eine luftige Kolonnade hinzu. Es folgten Kessel- und Maschinenhaus und der über zwei Freitreppen erschlossene Flachdachbau des Postamtes. Das Ensemble in schönstem Bauhaus-Funktionalismus prägt bis heute das Panorama des Ortes.

Aber es kam noch besser: 1933, Auftritt Oskar und Elly Oehler. Oskar Oehler und Elly Sonnenschein, beide aus mährischen Baumeisterfamilien stammend, hatten einander beim Architekturstudium an der Brünner Technischen Hochschule kennengelernt. Ab dem Jahr 1932 führten sie ein gemeinsames Atelier in Prag, wo sie mit ihrer Tochter in einer eleganten Wohnung lebten und neben hochmodernen Industriebauten atemberaubend radikale Häuser im Geiste Le Corbusiers entwarfen.

Vor dem Fall: Aufstieg und Villenbau

Oskar Oehler hatte zuerst beim führenden Brünner Funktionalisten Bohuslav Fuchs, dann bei Karel Kotas gearbeitet, der das Paar nach Teplice vermittelte. Dort entstand auf einer Anhöhe über dem Kurpark, dem Fluss und den Sanatorien eine von einer Dachterrasse gekrönte glamourös corbusianische Villa für Ladislav Řihovský, den Pächter der Kuranlagen.

Rechts und links von Řihovskýs Haus wuchsen in den folgenden Jahren die Villen der Kurärzte empor, darunter mehrere nach Entwürfen des Prager Architekten Karel Caivas, auch er Schüler Jan Kotěras und Verfechter eines organischen Funktionalismus mit einer Kombination aus Stein, Ziegeln, Holz und Glas und Schiffsmotiven wie Bullaugen, abgerundeten Terrassen und Stahl-Wendeltreppen. So auch das großzügige Haus des Chefarztes Oskar L. Stern, dessen Garten 1938 der Prager Gartenarchitekt Josef Miniberger gestaltete.

Kurz darauf erfuhr Teplices Blütezeit mit der Annexion der „Rest-Tschechei“ an das nationalsozialistische Deutschland einen herben Einschnitt. Die versuchte Emigration der Oehlers nach Australien endete am Brenner. Oskar Oehler wurde zur Zwangsarbeit verschleppt, während die Tochter des Ehepaars bei Bekannten in Prag versteckt wurde. Die einer jüdischen Familie entstammende Elly Oehler wurde 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert. Nach Kriegsende traten die ursprünglich deutschsprachigen Oehlers, die ihren Namen zu Olár tschechisiert hatten, der kommunistischen Partei bei. Ladislav Řihovský, der wieder den Kurbetrieb führte, holte sie zur Erweiterung der Kuranlagen erneut nach Teplice. Elly Oehler, die sich von ihrer Zeit in Theresienstadt nie erholte, starb 1953.

Der Familie des jüdischen Arztes Oskar L. Stern gelang nach der Internierung in einem Konzentrationslager 1941 die Flucht über Belgien, Finnland und Schweden nach Mexiko. Die Adoptivtochter Miroslava schlug dort nach einer gewonnenen Schönheitskonkurrenz eine Hollywood-Karriere ein. Dem Kriegstod ihres amerikanischen Verlobten folgten ein erster Selbstmordversuch und eine gescheiterte Ehe mit einem homosexuellen Schauspieler. Nach erfolgversprechenden Jahren und einer Hauptrolle in Luis Buñuels Film „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“ im Jahr 1955 nahm sich Miroslava Stern kurz nach Ende der Dreharbeiten mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.

Oskar Oehler verließ im Jahr 1966 desillusioniert die Partei. 1972 zog er zu seiner Tochter nach Wien, wo er wenig später starb. In den Jahren 2007/2008 wurde den Oehlers in Brünn eine Ausstellung mit Publikation gewidmet. Ihre Bauten in Prag, Oskar Oehlers Heimatstadt Přerov und in Teplice nad Bečvou sind in den letzten Jahren sorgfältig restauriert worden.

Die in den Siebzigerjahren aufgestockte und für Zwecke der Kurverwaltung genutzte Villa Řihovský wurde nach längerem Leerstand vor Kurzem von einer auf denkmalgeschützte Bauten der Moderne spezialisierten niederländischen Developer-Gesellschaft restauriert und zu einem Mehrfamilienhaus mit sieben Luxusappartements umgewandelt. Investoren verspricht die Website der Gesellschaft ein „reichhaltiges kulturelles und soziales Leben“ vor Ort. Einige der Wohnungen, so liest man auf einem Schild am Zaun des Grundstücks, sind noch zu haben.

Spectrum, Sa., 2011.11.12

27. August 2011Iris Meder
Spectrum

Von der Milchbar zur Disco

Die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon in Wien als Teil einer lebendigen Familiengeschichte, die sich seit 60 Jahren verfolgen lässt. Nach dem Umbau nicht nur für Nachtschwärmer sehenswert!

Die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon in Wien als Teil einer lebendigen Familiengeschichte, die sich seit 60 Jahren verfolgen lässt. Nach dem Umbau nicht nur für Nachtschwärmer sehenswert!

Denkmalgeschützte Diskotheken – das dürfte es nicht so oft geben. Wien hat eine, nämlich im Volksgarten. Sie setzt sich aus Dancing, „Banane“ und Pavillon zusammen, und manchmal braucht es Besuch aus dem Ausland, der einem wieder einmal klar macht, welch unglaublich cooles Ding da mitten in der Touristenzone steht und dabei dennoch recht insidermäßig in seinem Tagesschlummer dem brodelnden Nachtleben entgegendöst.

60 Jahre ist es her, da plante Oswald Haerdtl die „Milchbar“. Der Holzpavillon mit weit auskragendem Pultdach hat sich als Volksgarten-Pavillon weitgehend original bis in die Gegenwart erhalten. Dafür ist maßgeblich die Tatsache verantwortlich, dass die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon heute von zwei Söhnen des damaligen Auftraggebers in zweiter Generation betrieben werden. Die Lokalitäten und ihre Einrichtung sind daher wohl auch Teil einer lebendigen Familiengeschichte. Mit Haerdtl, einem von wenigen nicht durch den Nationalsozialismus korrumpierten und dennoch nicht emigrierten Wiener modernen Architekten, hatte man zweifellos einen Glücksgriff getan. Durch seine italienische Frau Carmela mit der schicken Espresso-Kultur südlich der Alpen vertraut, brachte Haerdtl dem deprimierten, wunden Nachkriegswien Glanzlichter kurzweiligen oder längeren Abhängens in luftiger, heller Umgebung wie das unverzeihlicherweise vor einigen Jahren zerstörte „Arabia“ am Kohlmarkt und das noch bestehende Café Prückel.

Auch im Volksgarten ließ der Erfolg nicht auf sich warten. Bereits 1958 wurde der Komplex vergrößert. Haerdtl erweiterte das kriegsbeschädigte halbrunde „Cortische Kaffeehaus“ mit seiner klassizistischen Säulenhalle rückseitig um zwei Glasquader mit öffenbaren Glasdecken, zwischen denen ein mit Bruchsteinen belegter Gang einen großzügigen neuen Zugang vom Ring ermöglichte. Die originalen rot-grün bezogenen Sessel und Sitzbänke flankieren noch heute asymmetrisch auskragende Tischchen neben den Fensterwänden des „Wintergartens“, dessen Glasdach sich über einer Pflanzeninsel mit tropischen Gewächsen zur Seite fahren lässt.

Öffnen lässt sich auch das Dach des Discoraumes im hinteren Gebäudeteil, dessen Einrichtung mehrmals gewechselt hat und nicht mehr original war. Hier setzte die Tätigkeit der beiden Wiener Büros Artec und BEHF an, die gemeinsam mit einer Adaption des Gebäudes beauftragt wurden. Im Gegensatz zum eleganten „Wintergarten“ war hier eine „Blackbox“ gegeben, die komplett neu gestaltet werden konnte.

Vielleicht inspiriert durch Haerdtls bunte Gartenlämpchen, die an den Tischen des Pavillongartens klemmen, wählte man als Leitmotiv von hinten beleuchtetes Lochblech für die Wände der Disco und des Erschließungsganges, aber auch für die Bars, die im Foyer und den beiden Räumen insgesamt fast 70 Meter lang sind. Robuste Gestaltung war angesichts der Nutzung ein Muss, wozu die metallischen Oberflächen im durchgängig in neutralem Schwarz gehaltenen und nur durch die wechselnden Lichtfarben akzentuierten Raum gut taugen. Sieht man vom Motiv der Lochstruktur ab, sucht die Neugestaltung keine dezente Anpassung an die Spätfünfziger-Formensprache von Haerdtl – anders als dies die letzte Umgestaltung vor zehn Jahren tat. Neue Einbauten sind sofort als solche zu erkennen. Heikel war hier vor allem der in seiner Gesamtheit des Haerdtl-Entwurfs erhaltene Wintergarten. Hier wurde die große Bar, die der ursprünglich hauptsächlich tagsüber genutzte Raum früher nicht brauchte, frei von allen Seiten zugänglich in eine Ecke gestellt. Die gemeinsame schwarze Lochblechfront bildet die formale Spange zu den beiden neuen Bars im Foyer und ihrer Fortsetzung im Tanzflächenraum.

Der wegen ihrer halbrunden Form schwierig zu bespielenden „Banane“, die immer wieder überarbeitet wurde und dadurch besonders heterogen war, gaben die Architekten durch eine den Geländesprung überwindende Rampe eine asymmetrische, nicht axiale Ausrichtung. Wie im Wintergarten wurden nachträglich eingebaute Deckenluster entfernt, sodass der Raum nun nur indirekt beleuchtet ist. Der quer verlaufende Erschließungsgang zwischen Banane und Disco ist nach der Neugestaltung ausschließlich über seine gelochten Wände indirekt belichtet. Die Öffnung des Ganges zum rückwärtigen Gartenteil verbindet diesen Teil des Komplexes nun noch stärker mit den räumlich eigenwilligen Außenbereichen. Hier ist für die Zukunft eine Überarbeitung durch das Landschaftsarchitekturbüro Auböck + Kárász vorgesehen.

In der eigentlichen Diskothek, die bei schönem Wetter zur Open-Air-Tanzfläche mit offenem Dach wird, musste man mit abtrennbaren VIP-Sitznischen den Prämissen heutiger Eventkultur Tribut zollen. Eine Erhöhung der schwarzen Sitzbereiche verhindert, dass der Blick der Sitzenden bereits an den Hinteransichten der davor stehenden Gäste hängen bleibt. In der Anordnung der Polsterbänke und der niedrigen achteckigen Tische, an denen man sich dank der Eckabschrägungen nicht die Knie anschlägt, orientierte man sich an der klassischen Lösung der Loos-Bar. Nicht nur in dieser Hinsicht steht die Location innerhalb der qualitätvollen Tradition gut gestalteter Wiener Bars.

Schön und sorgfältig gestaltet sind zudem die WCs – allen Klischees über paarweise verschwindende Frauen Rechnung tragend –, besonders die Damentoiletten. Hier wurden vor einer Spiegelwand halbrunde beige Sitzpolster zu einer Art Wohnlandschaft verdichtet, die auch zu längeren Gesprächen und/oder Restaurierungen von Outfit und Make-up einlädt.

Insgesamt wurde die ganze Anlage räumlich geklärt und dadurch besser wahrnehmbar. Ein Jammer nur, dass man das tagsüber, wenn das Lokal geschlossen ist, viel besser wahrnehmen kann als im nächtlichen Trubel. Wer altersmäßig oder musikalisch nicht zur Abendzielgruppe gehört, dem entgeht die ganz spezielle Stimmung des Volksgarten-Cafés. Und wie schön säße es sich auch in der Nachmittagssonne oder im Nieselregen in diesem Juwel der Wiener Innenstadt.

Spectrum, Sa., 2011.08.27

23. Juli 2011Iris Meder
Spectrum

Dort unten im Tal

Sloweniens Kurorte: Thermenarchitektur zwischen Erlebnisbädern für Familien und Erholungsoasen für Ruhesuchende. Beispiel „Rimske Terme“: über die Vereinbarkeit eines Neubaus mit bereits Bestehendem.

Sloweniens Kurorte: Thermenarchitektur zwischen Erlebnisbädern für Familien und Erholungsoasen für Ruhesuchende. Beispiel „Rimske Terme“: über die Vereinbarkeit eines Neubaus mit bereits Bestehendem.

Zu Zeiten der Donaumonarchie waren die Kurorte der Untersteiermark wie Rohitsch-Sauerbrunn (Rogaška Slatina), Tüffer (Laško) und Radein (Radenci) selbstverständliche Teile imperialer Sommerfrische. Nach eher lokaler Bedeutung während der sozialistischen Dekaden haben Sloweniens Kurorte in den letzten Jahren begonnen, auf qualitätvolle Architektur zu setzen und damit auch ein anspruchsvolleres internationales Publikum anzusprechen.

Der Kurbezirk von Podčetrtek nannte sich seines schwach radioaktiven Heilwassers wegen einst Atomske Toplice, Atombad. Der heute wohl dem Tourismus nicht sonderlich förderliche Name wurde mittlerweile durch Olimia ersetzt – die weitaus wohlklingendere alte Bezeichnung für den Ortsteil, der heute ein Sammelsurium von Bauten der letzten 40 Jahre darstellt. Das in den Achtzigerjahren in postsozialistischem pseudo-postmodernem Pragmatismus gebaute Kurbad „Termalija“ ließ bereits 2004 eine Investorengesellschaft mit geringem Budget vom jungen slowenischen Architekturbüro Enota mit einer Art Umbauung versehen, die das Bad selbst zwar nicht veränderte, aber um Ruhezonen und damit um spürbare räumliche Qualität bereicherte.

Im Zusammenhang mit dem Thermenumbau realisierten die Architekten für dieselben Auftraggeber vor Ort auch einen mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichneten Hotelbau und eine 2009 eröffnete weitere Therme, die in Anspielung auf die mehr als 40 in der Umgebung wachsenden Orchideenarten den Namen Orhidelia erhielt. Wie das Hotel verfolgt das Thermalbad die Strategie, die landschaftlich reizvolle Umgebung nicht durch Hochbauten zusätzlich zu verunklären, und gräbt sich als eine Art verglaste Gletscherspalte in das begrünte Terrain. Vor dem Hintergrund des vor den Wald gestellten rostroten Hotelbaus sind die nichts weiter als der Entspannung gewidmeten, durch räumliche Zonierung Intimität schaffenden Becken in der von baumartigen Stützen getragenen Thermenhalle mit blassroséfarbenem Glasmosaik ausgekleidet. „Interpassiv“ nennt der planende Architekt Dean Lah das Entspannungsbad mit einem von Slavoj Žižek geprägten Begriff.

Durch eine leuchtend rote Sport- und Mehrzweckhalle und ein mit einer quasi-organischen Metallstruktur umfangenes Besucherparkhaus gewinnt der Kurbezirk von Podčetrtek allmählich eine eigene architektonische Identität. Die Therme im nordslowenischen Kranjska Gora nimmt mit ihrem kompakten, mit Holzlatten verkleideten Baukörper Motive der tradierten lokalen Bauernhausformen auf.

Während in Laško vor einigen Jahren eine große neue Familien-Erlebnistherme mit Riesenrutsche und öffenbarem Glasdach gebaut wurde, setzt der südliche Nachbarort Rimske Toplice auf Ruhe und stilvolles Relaxen. Direkt an der Bahnlinie Wien-Ljubljana liegt das Dorf im lieblichen Tal des Flüsschens Savinja. Fernzüge, die in Laško zwischen Großbrauerei und Therme halten, durchfahren den traditionsreichen kleinen Kurort Rimske Toplice. Zur Anreise steigt man in den stündlich verkehrenden Nahverkehrszug um, der freundliche Bahnhofsvorsteher weist mit dem Zeigefinger den kurzen Weg über ein Brückchen und bergan zum nahen Kurbereich.

Aus der Anfangszeit des ab 1840 ausgebauten Kurbezirks, den einst Zelebritäten von Franz Grillparzer über Kaiserin Elisabeth bis zu Queen Victoria mit ihrer Anwesenheit beehrten, haben sich zwei noble Hotels in privilegierter Halbhöhenlage mit grandiosem Blick über das Tal erhalten. Wo man zwischen ihnen früher in einem Thermalfreibecken Heilung suchte, hat ein weiteres der erfolgreichen Generation junger slowenischer Architekten angehörendes Büro, Arhiveda, mit den verantwortlichen Architekten Rafko Napast und Nataša Marš Napast vor einiger Zeit mit großer Sensibilität einen dritten Hotelbau gesetzt. Neben der Infrastruktur aller drei zusammen als „Rimske Terme“ betriebenen Hotels nimmt der Neubau auch ein großes Thermalbad mit Therapieabteilung auf. Der mit tiefen, großen Sonnenterrassen den Nordhang hinunter gestaffelte Bau kostet die panoramatische Lage aus. Mit seiner der weitgehend verglasten Front vorgesetzten olivgrünen Metallgitterstruktur macht er sich aber zugleich in der Landschaft fast unsichtbar und wirkt damit in seiner Architektur beinahe schon übertrieben bescheiden.

Innen sind die großen Volumen des Neubaus auf weite, offene Flächen verteilt, die überall Grünblick und einen Bezug zur Umgebung haben. Ein besonderer Logenplatz ist die Caféterrasse mit ihren Sonnensegeln und skandinavisch-leichter Möblierung, die einen Rundblick auf Kurpark, Tal, Berge, Wälder und die Freibecken des Thermalbades bietet. Zusammen mit dem Neubau unterzog man auch die beiden historischen Hotels einer kompletten Überarbeitung, sodass sie sich nun als stilistisch einheitlich mit dem Neubau präsentieren. Alles ist bis ins Detail geprägt von großzügigen räumlichen Zusammenhängen und konsequenter Sensibilität in der Materialwahl.

Überraschend ist der teilweise introvertierte Charakter des Kurbades, das zwei mit grauen Kunststeinplatten verkleidete atriumartige Höfe als Ruhezonen ausbildet. Offene Emporen verbinden die Höfe mit der ebenfalls in steinernem Hellgrau gehaltenen Thermenhalle. Das für den Ort namensgebende Thema der römischen Antike ist dort mit zwanglos gestapelten und gegeneinander verschobenen quadratischen Öffnungen paraphrasiert, in denen die Badegäste auf leuchtend farbig bezogenen Schaumstoffmatten ruhen und die Blicke in alle Richtungen schweifen lassen können. Weitere Farbtupfer sind die irisierenden Keramikmosaikbecken und Wände der Duschen, Saunen, Dampfbäder und Whirlpools. Das alles lässt in seiner immer wieder gebrochenen und ironisierten Strenge ein wenig an die Bauten David Chipperfields denken, der in den letzten Jahren unter anderem einige Kaufhäuser in Österreich realisiert hat. Die spannungsreiche Heterogenität von Innen und Außen macht die Therme von Rimske Toplice zu einem der interessantesten Neubauten auf diesem Gebiet. Mehr in dieser Art würde man durchaus gerne auch hierzulande sehen.

Spectrum, Sa., 2011.07.23

18. Juni 2011Iris Meder
Spectrum

Korrekt wie im Bioladen

Am Beginn stand die Öko-Bewegung mit selbst gestrickten XXL-Pullis. Nun präsentiert sich Fair-Trade-Mode in Wien als Haute Couture im stylishen Ambiente. Der Dritte-Welt-Laden im 21. Jahrhundert.

Am Beginn stand die Öko-Bewegung mit selbst gestrickten XXL-Pullis. Nun präsentiert sich Fair-Trade-Mode in Wien als Haute Couture im stylishen Ambiente. Der Dritte-Welt-Laden im 21. Jahrhundert.

Es war einmal: eine Zeit, da demonstrierte man politisch und ökologisch korrekte Gesinnung durch selbst gefärbte violette Latzhosen, windelartige Halstücher, Jute-Einkaufstaschen und selbst angerührte Cremes (die immer schnell ranzig wurden und ausflockten). Da saßen Abgeordnete des deutschen Bundestags mit Strickzeug im Plenarsaal und verarbeiteten handgesponnene Wolle zu noch mehr sackartigen Pullovern, als sie ohnehin schon am Leib trugen (das Kratzen der mitgesponnenen Dornen und Zweigstücke kennt die Autorin aus eigener Erfahrung, weswegen ihr die Häme verziehen sei).

Heute hat Deutschland seinen ersten grünen Ministerpräsidenten, und selbst konservative Politiker und Politikerinnen sehen sich aus pragmatischen Gründen gezwungen, den Ausstieg aus der Kernenergie eigentlich doch zu befürworten. So fatal die Gründe hierfür sind, so erfreulich ist dennoch das im Laufe der letzten drei Dekaden gewachsene und gefestigte Bewusstsein für eine ökologische und soziale Verantwortlichkeit auch im persönlichen Konsum. Mehr als das: Korrektes Gebaren ist schick geworden, und auch als Hollywoodstar kann man heute schon fast nicht mehr anders, als sich im superkorrekten Hybridfahrzeug fortzubewegen. Vor allem hat sich aber mit der Ausweitung der Zielgruppe auch das Angebot an korrekt produzierten und fair gehandelten Produkten erweitert. Dabei muss natürlich gesagt werden, dass biologisch produziert und fair gehandelt nicht dasselbe ist, wenn es auch naturgemäß große Schnittmengen gibt.

Für Wien bedeutete die Einrichtung des Geschäftslokals von EZA Fairer Handel (früher hieß so etwas „Dritte-Welt-Laden“) am Lichtensteg im ersten Bezirk im Jahr 2002 eine neue Sichtweise bewussten Konsums. Die fair gehandelten Produkte gewannen durch ihre Präsentation in dem als Schaufenster seiner selbst mit großer Glasfront und zurückgenommener Einrichtung mit hochwertigen Materialien gestalteten Shop ein neues, durchaus stylishes Image. Das Büro Christian Heiss plante wenig später auch den EZA-Shop in der Lerchenfelder Straße in ähnlicher Weise. Dass Christian Heiss seine Karriere mit der Einrichtung von Burgerketten-Filialen begonnen und mit dem Bau des Evangelischen Kirchenzentrums in Wien-Währing erfolgreich fortgesetzt hat, ist dabei durchaus kein Widerspruch – qualitätvolle Gestaltung im Alltag sollte eben letztlich weder ein Privileg der Hochpreis-Konsumationsklasse noch eine Antithese zu biologisch, ökologisch und ethisch verantwortungsvoller Lebensführung sein.

Heute betreibt EZA ein eigenes Modelabel namens Anukoo, was aus dem Hindi kommt und so viel wie „passend, geeignet, vorteilhaft“ bedeutet. Nicht ohne Grund – ein Großteil der verarbeiteten Baumwolle stammt von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus Indien, kleinere Teile aus Malaysia und Burkina Faso. Die Produzenten verpflichten sich zur Einhaltung von Kernarbeitsnormen, effizientem Wassereinsatz, soweit wie möglich reduziertem Einsatz von Pestiziden und dem Verzicht auf gentechnisch verändertes Saatgut; bei Produktion gemäß Biostandards wird eine zusätzliche Prämie ausgezahlt. Transparenz und Qualitätskontrolle sind Voraussetzungen des gesamten Produktions- und Vertriebsprozesses. Während die Baumwolle in Mauritius in einer Spinnerei von behinderten Menschen verarbeitet wird, kommt die angebotene Seide von Handwebstühlen in indischen Dörfern – so wie es Mahatma Gandhi propagierte, um die ländliche Bevölkerung vom britischen Mutterland unabhängiger zu machen.

Auf die Gestaltung des Anukoo-Shops in der Gumpendorfer Straße haben diese Hintergründe – auch das ist ein Teil des neuen Images und Selbstverständnisses von Fair-Trade-Mode und ihren Konsumenten und Konsumentinnen – keinen sichtbaren Einfluss: Asia-Folklore darf man nicht erwarten. Den 70-Quadratmeter-Raum im szenig geprägten Bezirk Mariahilf kennzeichnen weiße Wände, das schöne, fahle Braun von Boden und Regalfronten, die in gewitterten, roh belassenen Eschenbrettern ausgeführt wurden, und das frische Apfelgrün eines als Miniatur-Lounge fungierenden Einbau-Sofas am hinteren Ende des Raumes.

Das leicht trapezförmige Geschäftslokal wurde durch den Einbau einer Zwischenwand, hinter der auf kleinem Raum zwei Umkleiden, Lager und Personal-Infrastruktur untergebracht sind, zur Keilform verdichtet. Verkaufs- und Regalpult führen die Schräge in den vorderen Teil des Geschäfts weiter, während die Seitenwände von Hängeregalen mit den (in dieser Saison hauptsächlich in Rot, Blau, Violett und Grün daherkommenden) Kleidungsstücken eingenommen werden. Unter ihnen werden auf niedrigen Sockeln Taschen, Etuis und Portemonnaies präsentiert. Mit der grünen Mini-Lounge wurde ein mit Kaffeemaschine und Leseecke ausgestatteter Ruhepunkt für urbanes Verweilen unter einem alten Fenster zum Hinterhof geschaffen. Eine halbkugelförmige weiße Deckenlampe sorgt hier zusätzlich für Intimität. Die Öffnung zum Hof erweitert außerdem den nicht besonders großen Raum durch die optische Durchlässigkeit und zweiseitige natürliche Belichtung.

Der Schriftzug des namengebenden Labels Anukoo präsentiert sich außen wie innen dezent als immaterielle Licht-Negativform, wenn er selbst leuchtend an der Fassade und innen an der Stirnwand des vorderen Raumteils (dort hinter weißen Voile-Vorhängen) beziehungsweise als indirekt beleuchtete Aussparung in der Front der hölzernen Verkaufstheke erscheint. Indirektes Licht leuchtet auch unter dem Verkaufspult hervor, während an einer Schiene unter der historischen Decke, an der freigelegte Spuren alter Bemalung sichtbar belassen wurden, montierte Strahler die zu erwerbenden Kleidungsstücke in Szene setzen – deren Preise im Übrigen nicht höher als in den Stores der großen Einkaufsstraßen sind.

„Nicht nur das Kleid muss passen, sondern auch das Umfeld, in dem es entsteht“ ist der Wahlspruch von Anukoo. Und zudem die Umgebung, in der es präsentiert wird, möchte man hinzufügen. Gelungen.

Spectrum, Sa., 2011.06.18



verknüpfte Bauwerke
Anukoo Fair Fashion Shop

14. Mai 2011Iris Meder
Spectrum

Zwischen Wald, Dom und Berg

Ein Wohnbau am Böhmischen Prater, in dem es sich leben lässt: viele Ein-, Aus- und Durchblicke, ein spektakuläres Panorama und ein Farbkonzept, das zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt.

Ein Wohnbau am Böhmischen Prater, in dem es sich leben lässt: viele Ein-, Aus- und Durchblicke, ein spektakuläres Panorama und ein Farbkonzept, das zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt.

Guter Wohnbau hat in Wien Tradition. Nicht umsonst war das Wohnen immer ein Hauptthema der Wiener Moderne. Das hindert natürlich nicht, dass auch hier, wie überall, mehr als genug Schlechtes, ja Miserables gebaut und künftigen Bewohnern und Bewohnerinnen zugemutet wurde und wird. Dennoch: Qualität gab es trotz aller Einschränkungen und Planungsvorgaben auch im geförderten Wohnbau immer. Zu den derzeit besten Architektinnen auf diesem Gebiet zählt Patricia Zacek, die sich bereits in ihrer Dissertation mit dem Thema Wohnbau beschäftigt hat. die jüngste von ihr geplante Anlage im zehnten Wiener Gemeindebezirk wurde vor Kurzem bezogen.

Das Stadterweiterungsgebiet am Böhmischen Prater nahe dem Monte Laa wurde in den letzten Jahren relativ dicht bebaut. Die Bewohner profitieren allerdings von der Nähe des Laaer Waldes mit seiner Flora und Fauna, die mit Vogelgezwitscher und Blätterrauschen akustisch fast das Gefühl gibt, auf dem Land zu leben. Die von Patricia Zacek geplante Wohnhausanlage am Rande des Wohnquartiers liegt zudem an der „Stadtkante“ direkt am Wald. Sie musste mit einem stabilen Wildschutzzaun vom Waldgebiet abgegrenzt werden, bietet aber eine Aussicht auf den nordöstlich liegenden dichten Wald, während sich nach Nordwesten ein spektakuläres Panorama über Wien samt Stephansdom- und Kahlenberg-Blick auftut.

Wichtig sind Patricia Zacek nicht nur die Grundrisse der nach Möglichkeit mehrseitig belichteten Wohnungen, sondern immer auch die stadträumliche Qualität von Wohnbau. So macht die kammförmige Anlage zwischen ihren zum Wald offenen vier Armen Höfe mit holzbeplankten Sitzplätzen und einem ebenfalls von der Architektin gestalteten Spielplatz auf. Da es sich nicht um einen Bauträgerwettbewerb, sondern um ein freie Vergabe der Buwog handelte, mussten Architektur und Freiraumplanung nicht getrennt vergeben werden. Ein breiter Durchgang von der Moselgasse setzt die Achse fort, die als Fußweg quer durch das Quartier zur Bushaltestelle an der Laaer-Berg-Straße führt, und schafft so auch für jene, die nicht das Privileg des Wohnens direkt am Waldrand genießen, einen erdgeschoßigen Sichtbezug zum Naturraum.

Nähert man sich der Anlage von der Stadtseite, fällt zuerst der verglaste Gemeinschaftsraum am vorderen Eck ins Auge. Ein weiteres Prinzip, auf das die Architektin großen Wert legt, sind einladende und dezidiert auch einsichtige, halb öffentliche Gemeinschaftsflächen. An der hofseitigen Erschließungsachse der Anlage sind verglaste, leuchtend grün beziehungsweise gelb gehaltene vitrinenartige Kinderwagen-, Fahrradabstell- und Waschräume dort platziert, wo Längs- und Quertrakte aufeinandertreffen. Die Zwischenzonen von halb öffentlichen und privaten Bereichen sind als räumlich angenehme Kommunikationszonen geplant.

Zusätzlich zum erdgeschoßigen Fußweg erschließt hofseitig eine parallel verlaufende,laufstegartige verglaste Brücke im ersten Obergeschoß die Wohnungen. Die Stellen, an denen die Glasbrücke die Stiegenhäuser trifft,sind zusätzlich durch Glaswände betont. Hinter ihnen leuchtet das Grün beziehungsweise Gelb der Stiegenhäuser einladend in die Hofräume. Mehrstöckige helle Lufträume prägen die Stiegenhäuser, so etwa gleich am Eingang bei den Briefkästen. Das Nachhausekommen wird so allein durch den großzügigen Raumeindruck zu einem positiven Alltagseindruck – eine räumliche Qualität, die auch der Kommunikation zwischen den Hausbewohnern förderlich sein dürfte. Ein-, Aus- und Durchblicke begünstigen dabei auch eine positiv verstandene soziale Kontrolle: Man sieht, wenn der Nachbar gerade nach Hause kommt, und kann, wenn man das möchte, ein paar Worte wechseln. Auf der anderen Seite dürften Vandalismus und Einbrüche durch den fehlenden Sichtschutz massiv erschwert werden.

Von der südwestseitig verlaufenden Moselgasse ist der Baukörper, der 103 Wohnungen auf sechs Stiegen aufnimmt, 2,5 Meter zurückgesetzt. So wird die dicht bebaute Straße aufgeweitet; vor allem aber bekommen die Bewohner der erdgeschoßig zugänglichen Maisonetten kleine Gärten, die, mit eigenem, vom asphaltierten Durchgangsweg durch seinen Steinplattenbelag und einen zum Teil bepflanzten Grünstreifen getrenntem und quasi privatem Zugang, fast reihenhausartig wirken. Auch an der Fassade sind die Erdgeschoß-Maisonetten mit ihrer Vertikalstruktur klar als einzelne Einheiten definiert. So stellt sich das psychologisch nicht unerhebliche Gefühl ein, praktisch in einer Reihenhauseinheit zu leben, die in eine größere Anlage integriert ist. Über den Maisonetten liegen einstöckige Wohnungen, was an der Fassade eine Entsprechung in einer horizontalen Strukturierung hat. Die beiden obersten Geschoße nehmen wiederum Maisonetten ein, deren Treppenuntersicht sich in einer Schräge im Stiegenhaus abbildet. Alle Wohneinheiten verfügen über private Freiräume in Form von Terrassen und/oder Loggien.

Sorgfalt in den Details ist ein weiteres wichtiges Thema der Architektin. So entwickelte sie ein typografisches Konzept, nach dem die Hinweisschilder in den Gemeinschaftsräumen, in den Stiegenhäusern und an den Aufzügen gestaltet wurden. Teil dieser sorgfältigen Detailgestaltung ist auch das Bestreben, darauf zu achten, dass Materialien gut altern können. Hier ist das etwa bei den Lochblech-Loggienbrüstungen spürbar, die außen bündig mit der Außenwand abschließen und auch farblich mit den gedeckten Ocker- und Grüntönen der verputzten Fassade harmonieren. Das Farbkonzept harmoniert mit den Farbtönen des angrenzenden Waldes, aber auch der benachbarten Wohnanlagen. Auch optisch wird so zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt. Unwillkürlich denkt man an Kurt Tucholsky, der 1927 über den Wohnwunschtraum des Durchschnittsbürgers ätzte: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn.“ Vorn der Laaer Wald, hinten der Stephansdom, Blick auf den Kahlenberg? Lässt sich machen.

Spectrum, Sa., 2011.05.14

26. März 2011Iris Meder
Spectrum

Gab es da was?

Wien und das Bauhaus: Die Verbindungen sind eher lose. Doch auf dem Gebiet des Wohnbaus gibt es einige sichtbare Spuren: Carl Auböck, Anton Brenner – und Marcel Breuer. Aus Anlass der Breuer-Ausstellung im Hofmobiliendepot: ein Überblick.

Wien und das Bauhaus: Die Verbindungen sind eher lose. Doch auf dem Gebiet des Wohnbaus gibt es einige sichtbare Spuren: Carl Auböck, Anton Brenner – und Marcel Breuer. Aus Anlass der Breuer-Ausstellung im Hofmobiliendepot: ein Überblick.

Es war, so sagte Marcel Breuer später, die unglücklichste Zeit seines Lebens. Die Rede war von der kurzen Zeitspanne (nach eigenen Angaben: einigen Stunden), die der aus dem südungarischen Pécs stammende Maturant dank eines Stipendiums an der Wiener Kunstakademie verbrachte. Breuer hielt es danach immerhin einige Wochen im Büro des Architekten Hans Bolek aus. Letztlich konnte den ehrgeizigen Breuer die Formensprache des Josef-Hoffmann-Schülers aber nicht fesseln. Zu sehr lockte das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus.

Die aktuell in Wien zu sehende Ausstellung zum Möbeldesigner und Architekten Marcel Breuer, die das Hofmobiliendepot vom Vitra Design Museum im schweizerischen Weil am Rhein übernommen hat, bietet einen Anlass zu Reflexionen über das Thema Wien und das Bauhaus. Gab es da was? Auf Anhieb will einem nicht viel einfallen. Die Moderne hatte in Wien schon vor der Jahrhundertwende mit der Secession ihren Paukenschlag und mit Adolf Loos und Oskar Strnad wenig später eine eloquente und geistreiche skeptische Revision erlebt. Nach 1918 war in dem geschrumpften Land, so schien es, ein wenig die Luft raus aus der Architekturmoderne. Das Rote Wien setzte auf ein kostengünstiges Arbeitsbeschaffungsprogramm mit Massivmauerwerk, tragendenWänden und genormten Sprossenfenstern. Experimente waren nicht gefragt.

Dennoch existierte nach dem Ersten Weltkrieg in Wien vorübergehend eine (derzeit auch in einer Ausstellung im Unteren Belvedere behandelte) lebendige Avantgarde-Szene, zu großen Teilen bestehend aus linksgerichteten ungarischen Künstlern, die nach der Niederschlagung der Räterepublik das Land verlassen hatten: Lajos Kassák gab in Wien die Zeitschrift „MA“ (Heute) heraus, in der Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, Tristan Tzara, El Lissitzky und Alexander Archipenko publizierten. Unterstützt wurde Kassák von seinen Landsmännern Sándor Bortnyik und László Moholy-Nagy.

Seit 1916 in Wien ansässig, betrieb außerdem der Schweizer Johannes Itten eine private Malschule. Auf Initiative von Adolf Loos stellte Itten 1919 in der Künstlervereinigung „Freie Bewegung“ in der Kärntner Straße aus. Während seiner Wiener Zeit befasste er sich nicht nur intensiv mit der auf Meditation und Vegetarismus basierenden Mazdaznan-Lehre, sondern auch mit Alfred Rollers ganzheitlichem pädagogischem Konzept an der Kunstgewerbeschule, der heutigen „Angewandten“. Eine Berufung an die Hochschule lehnte Itten 1919 jedoch ab und folgte dem Ruf des Bauhaus-Gründungsdirektors Walter Gropius nach Weimar. Mit Itten gingen mehr als 20 Schüler und Mitarbeiter, neben den Ungarn Gyula Pap und Margit Téry unter anderem Franz Singer, Friedl Dicker, Franz Probst, Franz Skala und Carl Auböck. Wenig später zogen auch Moholy-Nagy, Sándor Bortnyik und der junge Marcel Breuer nach Weimar. Mit seinen – angeblich vom Lenker seines Fahrrads inspirierten – Stahlrohrmöbeln stieg Breuer schnell zum Star der Tischlerwerkstatt auf.

Insgesamt war die Österreicherquote am Bauhaus eher gering. Franz Singer und Friedl Dicker eröffneten nach ihrer Rückkehr ein Atelier in Wien, Franz Skala führte, begeistert von Ittens Mazdaznan-Praxis, neben seiner künstlerischen Tätigkeit bis in die Sechzigerjahre ein vegetarisches Restaurant und eine Turnschule am Petersplatz, deren Einrichtung er selbst entwarf. – In Dessau unterrichtete, nachdem er einige Zeit mit Franz Schuster und Margarete Schütte-Lihotzky im kommunalen Wohnbau in Frankfurt am Main gearbeitet hatte, der Wiener Architekt Anton Brenner, dessen Spezialgebiet komplex verschränkte Siedlungen waren. In seinen von der Presse als „Wohnmaschine“ titulierten Gemeindebau in der Rauchfangkehrergasse zog er mit Frau und zwei Kindern selbst ein. Einbauschränke, Klappbetten und ein intelligentes Grundrisskonzept boten auf 38 Quadratmetern ausreichend Platz, auch noch für ein Planlager und zwei Arbeitsplätze. Brenners ebenerdige Atriumhäuser in der Werkbundsiedlung haben überlebt, während sein funktionalistisches Jugendheim in der Krottenbachstraße in den Achtzigerjahren zerstört wurde.

Marcel Breuer plante derweil minimalistische Einrichtungen unter anderem für den Theaterregisseur Erwin Piscator und dessen Frau. Obwohl man im durch die Stahlrohr-Verächter Adolf Loos und Josef Frank geprägten Wien Metallmöbeln skeptisch gegenüberstand, war der Eindruck der vielfach publizierten Wohnung nachhaltig. So findet sich etwa der charakteristische wandbreite Hängeschrank mehrfach in Wiener Einrichtungen wieder.

1937 entwarf Breuer ein Skihotel für Obergurgl – die Ausführung unterblieb nach dem „Anschluss“. Breuer, der jüdischer Herkunft war, lebte zu dieser Zeit wie Herbert Bayer und Walter Gropius bereits in den USA. In Lincoln/Massachusetts baute sich der frisch gebackene Harvard-Dozent ein außen kompaktes und schlichtes, innen aber räumlich offenes Junggesellenheim auf mehreren Ebenen. Franz Singer war nach England geflohen. Friedl Dicker leitete bis zu ihrer Ermordung Kindermalkurse im Ghetto Theresienstadt. Teile der spektakulär modernen Bauten des Duos Singer/Dicker fielen dem Krieg zum Opfer, bei anderen setzte die Stadt Wien in den Sechzigerjahren die Abrissbirne an, als sollten die Spuren einer idealistischen internationalen Moderne noch posthum getilgt werden – etwa beim Gästehaus Heriot in der Rustenschacherallee mit seinem glamourösen zylindrischen Glaslift.

Carl Auböck kehrte nach seinem Studium nach Wien zurück, um die noch heute existierende Metallwerkstätte seines Vaters zu übernehmen. In der Nachkriegszeit hinterließ sein gleichnamiger Sohn immerhin einige architektonische Spuren in Wien, etwa die den Geist der Moderne atmenden Wohnhausscheiben in der Vorgartenstraße oder die gemeinsam mit Roland Rainer entwickelte Fertighaussiedlung in der Veitingergasse. Mit der an den USA orientierten Siedlung schließt sich der Kreis zur emigrierten Bauhaus-Moderne. Die Häuser von Ernst Plischke, Roland Rainer, Carl Auböck, Karl und Eva Mang atmen mit ihren offenen Grundrissen, geschützten Wohnhöfen und Glaswänden denselben freien Geist wie die von Gropius und Breuer.

Spectrum, Sa., 2011.03.26

26. Februar 2011Iris Meder
Spectrum

Das Licht in der Auster

Saunen, Dampfbäder, Whirlpools und ein Wellnessbereich mit Salzraum. Dazu ein Lichtkonzept und sorgfältig begrünte Außenanlagen. Man spürt, dass die Architekten selbst passionierte Bad- und Saunabenutzer sind.

Saunen, Dampfbäder, Whirlpools und ein Wellnessbereich mit Salzraum. Dazu ein Lichtkonzept und sorgfältig begrünte Außenanlagen. Man spürt, dass die Architekten selbst passionierte Bad- und Saunabenutzer sind.

In der Freizeit sollte man ja nicht zuletzt Körper und Psyche Gutes tun. Dieses Gute kann beispielsweise darin bestehen, Sport zu betreiben. Oder aber auch sich einfach nur durch Nichtstun zu entspannen. Mit diesen beiden – gerne kombinierten beziehungsweise aufeinander folgenden – Aspekten hängen auch die sich wandelnden Anforderungen zusammen, die an Schwimmbäder gestellt werden. Mit einem 25-Meter-Becken mit abgegrenzten Bahnen ist da kaum noch wer hinterm Ofen hervorzulocken.

Ein Schwimmbad muss heute nicht nur Sportstätte, sondern auch, wenn nicht gar in erster Linie, Wellness-Zentrum sein, so viel ist klar. Dabei verschwimmen die Grenzen von Sportbad und Therme zusehends. Heilkräftige Quellen scheinen für einen Thermenbetrieb eigentlich gar nicht mehr notwendig zu sein. Gefragt sind Zentren für körperliche Wohltaten in warmem und kaltem Wasser, Dampf und Salzluft.

In Graz ging man aufs Ganze und ersetzte das in den Sechzigerjahren nach Plänen der Architektin Hertha Rottleuthner-Frauneder gebaute Frei- und Hallenbad Eggenberg durch einen Neubau nach Plänen der Architekten fasch&fuchs, die als Sieger aus einem offenen EU-weiten Wettbewerb hervorgegangen waren. Das neue Bad rückten die Architekten an den Rand des Eckgrundstücks. Der Parzellenform folgend, ist der Baukörper bumerangartig abgewinkelt. Ein gemeinsames transparentes Foyer mit wasserblau verglastem Windfang, an türkischen Nougat erinnerndem, gesprenkeltem Boden und einem orange hinterleuchteten Info- und Kassenpult erschließt rechts das Sportbad mit 50-Meter-Wettkampfbecken und Zuschauertribünen, links den Wellnessbereich mit mehreren Innen- und Außenbecken und in der Mitte das Freibad, das im Mai eröffnet wird. Hier ist mit dem 50-Meter-Außenbecken ein letzter Rest der alten Anlage erhalten geblieben.

In seiner Dachlinie folgt der Bau den Funktionen, die er aufnimmt. Vom flachen Kleinkinder-Beckenbereich hinter dem Sportbecken schwingt er sich über das zweigeschoßige Foyer, über dem die teils mit spektakulären Ausblicken auf Freifläche und Schwimmhalle ausgestatteten Verwaltungsräume, ein Physiotherapie-Zentrum sowie eine verglaste VIP-Loge für Wettkämpfe liegen, und auf der anderen Seite wieder herunter bis zum intimen Bereich der finnischen Sauna mit vorgelagertem Ruhegarten. Das Bild einer Auster, die sich nach außen leicht öffnet und in ihrem Inneren irisiert und glänzt, prägte nicht nur den Entwurf von fasch&fuchs, sondern gab am Ende dem ganzen Bad seinen Namen.

Eine Stahlfachwerk-Konstruktion trägt das Dach mit einer Untersicht in weißlich lasiertem Holz. In der Schwimmhalle sind unter ihm weiße Textilsegel gespannt. Als gleichermaßen akustische wie brandschutztechnische Elemente sind sie von einer Seite geschlossen und öffnen sich, auch hier einer Auster ähnlich, zur anderen Seite. Der Rhythmus der dadurch entstehenden belebten Rautenstruktur folgt den Bahnen des Schwimmbeckens.

Mit einer großzügigen Verglasung gibt die hellbeige geflieste Halle den Blick nach Westen zum Freigelände und Schloss Eggenberg ebenso frei wie zur östlich gelegenen Straße. Fußgänger promenieren so parallel zu den auf der Empore entlanggehenden Schwimmern im Badekostüm, Passanten können Blicke auf die über eine Brücke erreichbaren Sprungtürme erhaschen. Tageslicht ohne Einblicke kommt über großzügige Oberlichtbänder sogar in die Sportlerumkleiden im Untergeschoß. Überhaupt sind die Umkleideräume mit auffallender planerischer Sorgfalt gestaltet – nicht düstere Kellergelasse, sondern angenehme, farblich fein abgestimmte, großzügig geschnittene Foyers, in denen man sich gern aufhält.

Dass beide Architekten nicht nur selbst gerne ihre Bahnen ziehen – Hemma Fasch ist ums Eck aufgewachsen und war in ihrer Jugend häufiger Gast des alten Bades –, sondern auch passionierte Saunagänger sind, ist dem Bau überall anzumerken. Auch in den auf rund 180 Besucher angelegten Wellnessbereich mit Salzraum, diversen Saunen, Tepidarien, Dampfbädern, Tauchbecken und Whirlpools fließt großzügig Tageslicht von vielen Seiten und aus unterschiedlichen Winkeln. Vielfältige Wegeführungen und Raumbildungen verschiedenster Ausformungen von höhlenartig bis offen ermöglichen Ruheterrassen auf diversen Levels. Das Klaustrophobische vieler Saunen wurde zugunsten von Glaswänden mit Ausblicken vermieden. Überall ermöglichen Leselampen, die wie Insektenfühler aus Wänden und Decke wachsen, ein entspannendes Zeitverbringen nach eigenem Ermessen. Schieferartige anthrazitgraue Bodenfliesen und schimmerndes Glasmosaik geben der lichtdurchfluteten Wellnesszone eine warme Atmosphäre. Ein je nach Wochentag und Tageszeit wechselndes Lichtkonzept entwickelte der Künstler Thomas Hamann. Subtropische Pflanzen bevölkern den Innenraum, die Gestaltung der Außenanlagen mit Tamariskengarten, Rosen, Bambus und niedrigen Hecken lag bei der Landschaftsarchitektin Alice Größinger und ihrem Büro Idealice.

Die Möblierung reicht von amorphen Sitzsäcken, die nach den Bedürfnissen der Besucher da- und dorthin gezogen und zum Lesen oder für ein Schläfchen genutzt werden, bis zu klassisch-modernen Max-Bill-Liegen und flaschenförmigen dänischen Lampen im schicken kleinen Restaurant des Bades. Dort konnten die planenden Architekten die Gestaltung bis hin zum Muster der Tischplatten, ja sogar bis zum Namen des Lokals selbst in die Hand nehmen – sie genossen bei ihrer Arbeit das volle Vertrauender Auftraggeber. „Der Bauherr war sehr interessiert und hat an allen Besprechungen teilgenommen“, betont Hemma Fasch die essenzielle Bedeutung von Partnern, die hinter dem Projekt und den Planenden stehen. Dass die Architekten selbst gerne Schwimmhalle und Sauna der Eggenberger „Auster“ besuchen, gibt ihrem Entwurf ebenso recht wie der enorme Besucheransturm seit der Eröffnung am 10. Februar. Und hier ist es ausnahmsweise der Optimalfall, wenn die Architekten von sich selbst als potenziellen Nutzern ausgehen: „Wir haben an unsere eigenen Bedürfnisse als Badbesucher gedacht.Eigentlich haben wir das für uns gemacht.“

Spectrum, Sa., 2011.02.26

15. Januar 2011Iris Meder
Spectrum

Der Wille zur Welt

Als einziges der von Robert Kotas gestalteten Kinos hat das „Gartenbau“ das große Kinosterben unbeschadet überstanden. Zum Glück! Sein Bau vor 50 Jahren brachte einen Touch von Internationalität an den Wiener Parkring.

Als einziges der von Robert Kotas gestalteten Kinos hat das „Gartenbau“ das große Kinosterben unbeschadet überstanden. Zum Glück! Sein Bau vor 50 Jahren brachte einen Touch von Internationalität an den Wiener Parkring.

Kirk Douglas trug schwarze Lack-Ballerinas. Seine gut gelaunte Anwesenheit bei der Eröffnung des Gartenbau-Kinos anlässlich der Österreich-Premiere seines Films „Spartacus“, des seinerzeit teuersten Films der Welt, im Dezember 1960 ist in zahlreichen Schnappschüssen dokumentiert. Auch die mieselsüchtigen Mienen des neben ihm und seiner Frau in der ersten Reihe platzierten Paares. Es ist wohl ein bezeichnendes Bild für die Wiener Dualität eines Willens zu Weltläufigkeit und Fortschrittlichkeit, gepaart mit einer prinzipiellen Skepsis und misstrauischen Selbstbeschränkung.

Für hiesige Verhältnisse griff das Gartenbau-Kino, dessen 50-jährige Geschichte derzeit in einer von Fiona Liewehr und Norman Shetler kuratierten Ausstellung vor Ort dokumentiert wird, durchaus ins Volle. Wie für die Einrichtung des Vorgängerbaus in den Blumensälen der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft lag die Konzeption und Gestaltung des 900 Zuschauer fassenden neuen Kinos beim Architekten Robert Kotas. Das Kino war Teil eines Neubauprojektes der Architekten Erich Boltenstern und Kurt Schlauss, das mit seiner längs zur Straße gestellten Hotel-Hochhausscheibe die geschlossene Struktur der historistischen Ringstraßenbebauung durchbrach und damit für heftige Proteste privater Denkmalschutz-Organisationen sorgte. Letztlich brachte der Bau mit seiner schlanken, filigranen Struktur aber doch einen Touch von Internationalität an den Parkring, wozu vor allem auch das elegante, großzügige Kino mit seinem gleißend erleuchteten verglasten Eingang beitrug.

Der aus Mährisch Ostrau gebürtige Kotas, Architekt der KIBA seit der frühen Nachkriegszeit, war als nicht nur in architektonischen, sondern auch in technischen Fragen versierter Kino-Spezialist in Wien fast konkurrenzlos. Als Schüler von Clemens Holzmeister und Carl Witzmann hatte er sein Handwerk bei zwei der renommiertesten Theater-Architekten gelernt. Kotas' erster Kino-Großbau war 1950 das in der ehemaligen Markthalle Stadiongasse untergebrachte Forum-Kino. Bereits im Foyer punktete der außen eher abweisend als monolithische Garage verkleidete Bau mit einer ungewohnten und von der Kritik besonders positiv hervorgehobenen Weiträumigkeit, die unter anderem auch die Präsentation von Skulpturenaustellungen erlaubte. Weich und fließend schwang sich die zweiarmige Freitreppe auf die Empore, die Ränge im 1147 Zuschauer fassenden Kinosaal führten den weichen Bewegungsfluss weiter.

Kotas' Kino-Erfolge setzten sich fort, im Kolosseum-Kino, im intellektuell anspruchsvoller programmierten und mit schicken Schwarzweiß-Kontrasten und klarer Geradlinigkeit auch entsprechend gestalteten Studio 1 des Flotten, im Tuchlauben, Opern, Stadtkino, Rabenhof und zahlreichen anderen, die heute verschwunden oder stark verändert sind. Dabei entwickelte Kotas auch eine Art Corporate Design mit eigenen Schrifttypen innerhalb der Ikonografie der Bauaufgabe Kino. Dennoch behielt jedes Haus gemäß seiner Umgebung und Dimension einen eigenen Charakter.

Das Gartenbau bot, anders als die anderen, durch seine Situierung in einem Neubau, die Chance, die Räumlichkeiten des Premierenkinos ohne vorgegebene bauliche Beschränkungen zu planen. So ist das Foyer des Gartenbau mit seiner theatralisch inszenierten Staffelung von Raumschichten mit Freitreppen, Emporen, Verengungen und Aufweitungen noch heute beeindruckend. Kotas übernahm neben dem architektonischen Entwurf nicht nur die Organisation der technischen Infrastruktur (wie der in die Stahlstützen der Sitze integrierten Entlüftungen), sondern widmete sich auch gestalterischen Detailaufgaben bis hin zu Café-Sitzbänken und Notausgangs-Schildern. Die aus Gründen der Raumakustik aus Platten mit zehnerlei verschiedenen Oberflächen zusammengesetzte Saaldecke komponierte Kotas zu einem auch farblich differenzierten abstrakten Bild.

Auch im Foyer gehen die künstlerischen Arbeiten großteils auf Kotas' Entwürfe zurück – so die konstruktivistische Mosaikwand im Gang zu den Toiletten. Neben der auf einem einzigen Träger ruhenden Treppe zur Café-Empore zählt die unverändert erhaltene Wand zu den schönsten Details des Hauses. Das großformatige hinterleuchtete Glasbild über dem Zugang zum Zuschauerraum stammt vom Künstler Johannes Peter Perz.

Ohne sich am extrovertierten Glamour Hollywoods zu orientieren, entwickelte Kotas eine adäquate zeitgenössische Formensprache für das, zumindest am Standort Ring, durchaus festliche gesellschaftliche Ereignis Kinobesuch. Auf den Architekturzeichnungen aus seinem Büro sind fast alle Besucherinnen in langen Kleidern dargestellt, im Zuschauerraum bot die KIBA vor dem Hauptfilm allabendlich moderierte Modeschauen. Vor der üppig bemessenen Leinwand von acht mal 17 Metern wurde für das kurzlebige „Cinemiracle“-Verfahren, bei dem mit drei Projektoren ein Surround-Effekt erzielt wurde, eine noch größere parabolförmig gebogene Projektionsfläche eingebaut.

Dass das Gartenbau als einziges der zig von Kotas in Wien und ganz Österreich eingerichteten Häuser das große Kinosterben nicht nur überlebt, sondern auch weitgehend unbeschadet überstanden hat, ist ein (zuletzt auch vielen privaten Aktivisten zu dankender) großer Glücksfall. Das von Leo Kammel gestaltete Weltspiegel-Kino am Gürtel beherbergt heute ebenso wie das von Albrecht F. Hrzan geplante Löwen-Kino einen Supermarkt. Geschlossen ist Karl Schwanzers Kolibri, verändert Rudolf Vordereggers Kosmos. Kotas' liebstes Kind, das Forum, wurde 1972 zugesperrt, das Gebäude 1975 abgerissen. Als Großkino hatte es mit dem Gartenbau eine letztlich zu starke Konkurrenz bekommen. Mehr Glück hatte Hrzans Filmcasino, das 1989 von Elsa Procházka restauriert und adaptiert wurde. Heute ist es neben dem Gartenbau der letzte authentische Zeuge der Wiener Kinokultur der Nachkriegsära. Mit ihren Auslagen und erleuchteten Foyers waren die zahllosen Lichtspielhäuser nicht zuletzt auch wichtige Bestandteile des großstädtischen öffentlichen Raums, die heute großteils verloren sind.

Spectrum, Sa., 2011.01.15

20. November 2010Iris Meder
Spectrum

Nutzung: der beste Schutz des Denkmals

Respekt vor dem Historischen und zugleich ein entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen: der Umbau eines 230 Jahre alten Nutzbaus in der Wiener Sensengasse zu einer hoch technisierten Universitäts-Zahnklinik.

Respekt vor dem Historischen und zugleich ein entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen: der Umbau eines 230 Jahre alten Nutzbaus in der Wiener Sensengasse zu einer hoch technisierten Universitäts-Zahnklinik.

Wenn ein 230 Jahre alter denkmalgeschützter Nutzbau zu einem hoch technisierten medizinischen Zentrum umgebaut werden soll, ist das keine geringe Herausforderung. Der Umgang mit dem architektonischen Bestand ist allerdings eine Bauaufgabe, die in Bedeutung und Umfang sicher noch zunehmen wird.

Daher zählt es mehr und mehr auch zu den Anforderungen an Architektur, nicht nur Idealbauten für die grüne Wiese zu planen, sondern sich auch mit den Gegebenheiten eines historisch gewachsenen Gefüges auseinandersetzen zu können. Zu denen, für die ein Umbau sogar interessanter ist als ein Neubau, gehört Manfred Nehrer. Mit seinem Büro Nehrer + Medek und Partner gewann er 1993 den EU-weiten Wettbewerb für den Bereich des alten Allgemeinen Krankenhauses (AKH) zwischen Josephinum und Narrenturm. Der Erfolg gab den Planern Recht: 1999 gewannen sie auch den nach diversen Änderungen in der Nutzungskonzeption ausgeschriebenen zweiten Wettbewerb für die Universitätszahnklinik auf demselben Areal.

„Nutzung ist die beste Art von Denkmalschutz. Das Zusammentreffen von Alt und Neu ist ja das Interessanteste“, bringt Manfred Nehrer seinen Zugang auf den Punkt.

Das ehemalige Wiener Garnisonsspital, an dem einst Wundärzte ausgebildet wurden, wurde wie das angrenzende Josephinum nach Plänen von Isidore Canevale 1783 bis 1784 gebaut. Es ist geprägt durch den Pragmatismus der Josephinischen Zeit. Analog zum benachbarten Allgemeinen Krankenhaus hat es großzügige Höfe – den „Kräuterhof“ und den „Garnisonshof“ –, um die sich lang gestreckte Trakte mit großen, hohen Krankensälen und großzügig belichteten hofseitigen Korridoren legten. Zur Sensengasse hin ist dem Gebäudekomplex ein kurioses kleines Robinienwäldchen vorgelagert, das unter Naturschutz steht.

Das Projekt von Nehrer + Medek, dessen erster Bauabschnitt jetzt unter der Projektleitung von Paul Steinmayr realisiert wurde, sah eine Erschließung des Komplexes von der Seite der Sensengasse vor, was für das gesamte architektonische Konzept bestimmend war. Zwischen dem nicht zugänglichen Stadtwäldchen und einem linkerhand neu gebauten Studentenheim wurde ein freier Vorplatz angelegt, der sich in Richtung Spitalgasse öffnet.

Von diesem ausgehend, definierten die Architekten eine rechtwinklig zur Sensengasse verlaufende Achse durch den Gebäudekomplex, die am Altbautrakt zwischen den beiden Höfen entlangläuft und die räumlichen Bezüge des Komplexes klärt. Leicht abgewinkelt wurde dem Altbautrakt hofseitig ein neuer Gebäuderiegel mit Glasfassade vorgelegt, ähnlich wie es im Universitätscampus des Alten Allgemeinen Krankenhauses geschah.

Durch die neue Erschließung wird die Außenwand des Altbaus zur Innenwand einer zentralen glasgedeckten Halle, die als Rückgrat des gesamten Komplexes, aber auch als Piazza und Wartezone fungiert. Trotz ihrer Größe vermeidet die Halle alle unangemessene Monumentalität. Hierzu tragen auch Details wie die nicht durchgehenden, sondern versetzt angeordneten Glas-Versprossungen und Bodenplatten bei. Ein Farbkonzept von Oskar Putz, das anstelle des vom Auftraggeber ursprünglich gewünschten Feng-Shui-Konzeptes zum Einsatz kam, prägt die Halle zusätzlich und korrespondiert mit den farbigen Projektionen des grafischen Leitsystems, das von Walter Bohatsch entwickelt wurde.

Die leicht konisch zulaufende Halle verteilt die Studierenden, Praktizierenden und Patienten der Zahnklinik auf die hofseitig mit Grünblick gelegenen Behandlungsräume, die im Neubauteil durch verschiedenfarbige Türen gekennzeichnet sind. Im Untergeschoß ist ein mit Eichenholz ausgekleideter Hörsaal für 240 Personen untergebracht, der natürliches Licht über eine Eintiefung im Hof erhält. Über dem Hörsaal fungiert eine ebenerdige holzbeplankte Terrasse als idyllischer Schanigarten einer Cafeteria.

Die autofreien Höfe mit erhaltenem altem Baumbestand gestaltete Anna Detzlhofer in zeitgemäßer abstrahierter Bezugnahme auf historische Strukturen. Im Altbauteil wurden die großen Raumhöhen beibehalten, in den neuen Stiegenhäusern nutzte man die Geschoßhöhen für Halbstöcke mit WCs. Innen wurden neue Fenster vor die restaurierten einfachverglasten Außenfenster des 19. Jahrhunderts gesetzt, die so nach wie vor das Außenbild des Altbaus bestimmen. Ebenso wurden die Dachgeschoße nicht ausgebaut – die alten Kamine dienen als Abluftkanäle, so dass der optische Eindruck der alten Dachlandschaft bestehen bleibt.

Im besonders schönen Bibliotheksraum konnte nach Rücksprache mit der Baubehörde die Eichenholzdecke von 1783 vollständig freigelegt werden. Ein neuer Eichenboden und Lesetische aus demselben Holz nehmen das historische Material in zeitgenössischer Form wieder auf, ebenso wie sich die Keramikfliesen der Neubauteile in ihrer Farbigkeit auf die historischen Sandstein-Bodenplatten beziehen. Der zweite Bauabschnitt wird unter anderem den am „Kräuterhof“ gelegenen neuen Festplatz und Festsaal der Medizin-Universität umfassen.

Respekt vor dem Historischen kennzeichnet die Verschränkung von Alt- und Neubauteilen ebenso wie ein selbstbewusstes, entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen.

Spectrum, Sa., 2010.11.20

09. Oktober 2010Iris Meder
Spectrum

Das Alte, das Gute und der Rest

Nur 100 Quadratmeter für Backstube, Kühlraum, Holzlager und Verkaufslokal – und das mitten im innerstädtischen Altbestand: Ja geht denn das? Die Bäckerei Gragger in der Spiegelgasse: Frankophilie à la viennoise.

Nur 100 Quadratmeter für Backstube, Kühlraum, Holzlager und Verkaufslokal – und das mitten im innerstädtischen Altbestand: Ja geht denn das? Die Bäckerei Gragger in der Spiegelgasse: Frankophilie à la viennoise.

Die Planungsgeschichte der kleinen Holzofenbäckerei in der Spiegelgasse begann nicht ganz gewöhnlich. Am Anfang stand der Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses in der Wiener Innenstadt. Ein Mensch mit vielen Interessen und Vorlieben. Unter anderem mit einer tief verwurzelten Frankophilie. Und mit einer großen Zuneigung zu gutem Brot.

Etwas wie das weltberühmte französische Poilâne-Brot, dachte er, müsste es hier in Wien auch geben: naturreiner Sauerteig ohne chemische Zusätze, im Holzofen gebacken. Schlicht, traditionell, biologisch. „Slow Food“ eben.

Als in dem 1786 erbauten Haus in der Spiegelgasse ein Geschäftslokal frei wurde, suchte er einen Bäckermeister. In Oberösterreich fand er den jungen Helmut Gragger, der in großen Industriebetrieben gesehen hatte, wie er es nicht machen wollte und sich stattdessen die Rückkehr zu den Ursprüngen des Backhandwerks auf die Fahnen geschrieben hatte. Zur Realisierung des Vorhabens musste als nächstes ein Architekt her. Vielleicht der, der dieses kleine Holzhaus entworfen hatte?

So simpel die Geschichte klingt, so kompliziert war die Durchsetzung, die letztlich drei Jahre dauerte. Für den Umbau des Geschäftslokals mit Nebenräumen zu Backstube, Kühlraum, Holzlager und Verkaufslokal mit Vor-Ort-Konsumationsmöglichkeit standen dem Architekten Jürgen Radatz gerade einmal rund 100 Quadratmeter zur Verfügung. Nur zwei Fensterachsen breit war das quadratische Verkaufslokal. Es hatte allerdings den großen Vorteil der Ecklage in dem aus der Straßenflucht der Spiegelgasse vorspringenden Haus. Hinter der bereits mit einer kleineren Öffnung durchbrochenen Brandmauer ergibt sich dort eine kleine, platzartige Erweiterung der schmalen Gasse.

Es lag daher nahe – und fand auch die Zustimmung des Denkmalamts –, diese Öffnung zu vergrößern und das kleine Geschäftslokal damit zweiseitig zu belichten. Zusätzlich bietet sich dadurch ein schönes innerstädtisches Panorama die enge Spiegelgasse entlang bis zum Graben. Der baufällige alte Vorbau wurde entfernt und damit die architektonische Struktur der Hausfassade wieder freigelegt, inklusive einem halbrunden Lünettenfenster über dem Geschäftseingang, das der Vorbau verdeckt hatte. Radatz entschied sich damit bewusst für eine Strategie des Freilegens und des teilweisen Rückbaus nach dem – mit dem der Bäckerei durchaus vergleichbaren – einfachen Grundsatz: „Was alt und gut ist, bleibt, der Rest kann weg.“

Die unterschiedlichen Wege, mit einer historischen Fassade umzugehen, lassen sich an der symmetrischen Front des Hauses vergleichen: Beim Geschäftsumbau rechts vom Hauseingang wurde der unverändert gebliebenen Fassade eine Glashaut vorgesetzt, wie man es auch in den Dreißigerjahren gerne machte, während Radatz die alte Struktur von Wand und Öffnung beibehielt. Neu formuliert wurde vor allem das Fenster zur seitlichen Feuermauer. An der mittels Eichenlatten optisch bis auf den Boden gezogenen Öffnung erlaubt ein Schiebefenster den Gassenverkauf mit Konsumationsmöglichkeit an zwei Stehtischen im Straßenzwickel.

Platzmangel führte auch im Inneren zu durchdachten Lösungen mit schlichter, formal sehr zurückgenommener Umsetzung. Vorne werden die Brote verkauft, die zwei Bäcker in der hinten im ehemaligen Pferdestall untergebrachten Backstube mit Hilfe eindrucksvoller Knet- und Teigteilmaschinen aus den Fünfzigerjahren fertigen. Als Verbindung zum rückseitig befüllten und vorne ausgeräumten Holzofen, der das funktionale und architektonische Zentrum des Geschäfts bildet, wurde ein enger Lichthof überdacht und so zum Verbindungsgang gemacht.

Der Verkauf der Backwaren sozusagen direkt am Ofen entspricht der französischen Tradition, die die Inspiration des Boulangerie-Projektes bildete. Den vom Bäckermeister gemeinsam mit einem oberösterreichischen Hafner entwickelten, 10 Tonnen schweren doppelstöckigen Holzofen, der erst nach langwierigen Verhandlungen mit dem Gewerbeamt realisiert werden konnte, verkleidete Radatz mit cremefarbenen Klinkern. Nächtens wird der Ofen mittels in den Boden eingelassener Spots effektvoll als das schon von Weitem sichtbare Herz des Betriebs inszeniert.

Ein mit Laden aus Edelstahl und geöltem Eichenholz bestücktes Verkaufspult mit Brotvitrine teilt den Verkaufsraum in zwei annähernd gleich große Hälften. Beleuchtet wird er nur über indirekte blendfreie Deckenlampen nach Entwürfen des Designers Gert Mosettig.

Die frischen Brote werden zum Auslüften in einem Eichenregal über Kopfhöhe stehend gelagert, an der rechten Wand läuft ein Holzstehtisch mit Barhockern entlang, an dem man das kleine Essensangebot konsumieren kann. Eine beschreibbare wandbreite Schiefertafel kann als Speisekarte fungieren, ist aber gleichzeitig als Wandbekleidung mit ihrer dezenten Struktur fast schon ornamental.

Schlichte Materialität und reduzierte formale Gestaltung sind Konsequenzen einer Haltung, die nicht darauf setzt, die Architektur zu inszenieren, sondern das Produkt durch sie wirken zu lassen: Stahl, Stein und Holz beziehen hier ihre Wirkung aus der Kombination mit den verschiedenen Brauntönen der Semmeln, Baguettes, Brotlaibe und Tartines. Zu dieser Haltung gehört es auch, die der Öffentlichkeit verborgen bleibende Backstube nach denselben Prinzipien zu behandeln wie den Verkaufsraum: Der anthrazitgraue Feinsteinzeug-Plattenboden zieht sich durch alle Räume, die historischen Gewölbe wurden überall erhalten, und der schmale Gang zwischen Backstube und Ofen ist sogar ganz besonders charmant: Mit seinen querrechteckigen weißen Wandfliesen erinnert er an die Pariser Metro und betont damit den frankophilen Touch der Bäckerei. Seine durch den jahrhundertealten Bestand gegebenen Ecken, Kanten und Krümmungen durfte der Gang behalten. Wo nötig, wurden die Fliesen an den Rundungen einfach hochkant verlegt.

Mit dem sorgfältigen Umgang mit der kleinen Bauaufgabe, mit der unaufgeregt modernen Behandlung formaler und struktureller Lösungen steht das Geschäft in der Tradition qualitätvoller Wiener Ladengestaltungen, wie sie vor mehr als 100 Jahren Fellner & Helmer und Otto Wagner begründeten und Architekten wie Ernst Lichtblau, Baumfeld/Schlesinger und Theiß & Jaksch in der Zwischenkriegsmoderne fortführten. Nicht nur für die Kundschaft, auch für Bäckermeister Helmut Gragger und seine Angestellten bewährt sich der Betrieb im Gebrauch: „In einer guten Umgebung arbeitet man ja auch besser.“

Spectrum, Sa., 2010.10.09



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Gragger & Cie Holzofenbäckerei

14. August 2010Iris Meder
Spectrum

Gläsernes Nest für 4000 Eier

Wie eine riesige Vitrine, die über dem Boden schwebt, sieht es aus, das neue Eiermuseum im burgenländischen Winden am See. Sehenswert!

Wie eine riesige Vitrine, die über dem Boden schwebt, sieht es aus, das neue Eiermuseum im burgenländischen Winden am See. Sehenswert!

Ein Bauherr, der durch sukzessives Ankaufen schmaler „Hosenträgergrundstücke“ Besitzer eines von einem Quellbächlein idyllisch durchzogenen Mühlengrundstücks in Winden am See im Nordburgenland geworden ist. Der in seinem Leben schon mit einigen Größen der österreichischen Architektur zusammengearbeitet hat. Der aus einer anhaltenden Faszination heraus in 50 Jahren rund 4000 eiförmige Objekte aus aller Welt und allen Epochen zusammengetragen hat. Und der das motorisierte Rasenmähen als meditative Tätigkeit und Inspiration seines eigenen künstlerischen Schaffens nicht missen möchte.

Alle diese Faktoren, neben anderen, prägten die Ausformung eines Baus, bei dem Bauherren und Architekten schlussendlich in kongenialer Weise zusammengefunden haben. Vor mehr als 50 Jahren, 1955, baute Roland Rainer das Grinzinger Atelierhaus des Bildhauers Wander Bertoni. Der Wunsch nach einem geräumigeren Atelier für großformatige Arbeiten führte zum Erwerb jener Mühle aus dem 19. Jahrhundert, die sich nach jahrzehntelanger Restaurierung heute als Teil eines ziemlich singulären Freilicht-Museums-Arbeits-Wohn-Ensembles präsentiert.

Der Adaptierung der großen Steinscheune zum Atelier folgte 1991 ein Galeriezubau durch Johannes Spalt. Der 2000 ebenfalls von Spalt entworfene frei stehende Museumsbau, eine leichte ebenerdige Holzkonstruktion mit verglastem Atriumhof, machte das Mühlen-Areal zu einem spannungsreichen Ensemble miteinander korrespondierender Einzelbauten, zu dem auch die spiegelnde Wasserfläche des kleinen Quellteichs gehört. Über niedrige Steinmäuerchen geht der Blick in die Weinberge. Museumsbesucher bleiben am Weg stehen, betreten zögernd den Hof und werden vom in der Galerie mittagessenden Ehepaar Bertoni freundlich eingeladen, doch nur hereinzukommen.

Seit Kurzem ist das Areal um einen das Ensemble komplettierenden Neubau bereichert. Gefragt war eine Herberge für die von Waltraudt Bertoni kuratorisch betreute Eiersammlung. Auf der planerischen Seite des Neubauvorhabens, das Wander Bertoni sich selbst (nach dem Museum zum 75.) zum demnächst anstehenden 85. Geburtstag schenkt, stand das Wiener Büro gaupenraub. Der ursprüngliche Gedanke, die beiden Spalt-Schüler Alexander Hagner und Ulrike Schartner Spalts Skizze eines Rundbaus ausarbeiten zu lassen, wurde während des Planungsprozesses aufgegeben. Eine Änderung des vorgesehenen Standortes ging mit einer architektonischen Neukonzeption einher, die am Ende auch Johannes Spalts Zustimmung fand.

Der Bau, ein Quadrat von zehn mal zehn Quadratmetern, präsentiert sich als im Erdgeschoß vollständig verglaste Vitrine, die es erlaubt, die Objekte in von der Decke abgehängten Regalen auch von außen zu betrachten, ohne das Innere des Gebäudes zu betreten. Darüber sitzt ein auskragendes Obergeschoß in Form einer Empore, auf der in speziellen Display-Modulen lichtempflindlichere bemalte Eier ausgestellt sind. Andere werden schon bald, mit Magneten unsichtbar befestigt, kopfüber an überhängenden Ausstellungsflächen schweben. Eine Leseecke mit Bücherregal ergänzt die intime Emporenzone, die ihre spezielle Lichtsituation durch ein schräg nach außen gekipptes Fensterband über dem Fußboden erhält. Der Blick geht so auch immer wieder zum Grün rundum.

Trotz der optischen Massivität des kupferblechverkleideten Holzdaches scheint der gesamte, in mattem Weiß gehaltene Raum schwerelos in seiner Umgebung zu balancieren. Auch das Mobiliar berührt den Fußboden nicht, mit Ausnahme zweier Vitrinen, die in den Dreißigerjahren vom Architekten Walter Loos entworfen wurden.

Konstruktiv ist das Gebäude – kongeniale Leistung des Statikbüros Werkraum Wien – hinter seinen Glasflächen durch dünne Edelstahl-Zugstangen in seiner Stahlbeton-Bodenplatte verankert. Man möchte glauben, es würde sonst abheben wie eine Montgolfière. Grundgedanke war der Wunsch der Architekten, einerseits im Erdgeschoß den grandiosen Blick in die Weinberge nicht aufzuhalten und andererseits mit dem schützenden Obergeschoß auf die Wuchsform der umgebenden knorrigen Baumkronen zu antworten.

Wichtig war dabei, den Bau eindeutig architektonisch und nicht bauplastisch zu definieren, um nicht mit Bertonis im Gelände verteilten stelenartigen Skulpturen zu konkurrieren. Nicht zuletzt deshalb entschied man sich für die per se introvertierte, statische Form des Quadrats. Das „Spalt-Dach“ mit weit heruntergezogenen Rändern ist dabei ebenso eine Hommage an den Lehrer wie das – durch die Schräge neu interpretierte – Lichtband über der Traufe, das entscheidend zur angestrebten Großzügigkeit und Leichtigkeit beiträgt.

Einziger augenzwinkernder Bezugspunkt zum Thema Ei (beziehungsweise Vogel) ist die „Zweibeinigkeit“ der Konstruktion, die auf zwei – in Analogie zu den windgeformten Bäumen des Ortes Winden – schräg stehenden Stahlstützen ruht. Sie werden ergänzt durch die dritte Stütze der diagonal auf die Empore führenden Stiege – mit ihren weiß gebürsteten Lärchenschichtholz-Stufen gemäß dem Wunsch des Bauherrn eine bequeme, einladende Treppe, die man gern beschreitet. Wie das von Friedrich Kurrent, einem alten Freund der Bertonis, im Nachbarort Sommerein gebaute Maria-Biljan-Bilger-Museum ist die Bertoni'sche Eiersammlung ein Low-Tech-Bau, ohne Heizung oder gar Klimaanlage, ohne fließendes Wasser; die Haustechnik beschränkt sich auf einen Stromanschluss für die Beleuchtung der Vitrinen auf der Empore.

Das Bauen buchstäblich „auf grüner Wiese“ schien Alexander Hagner – auch hier liegt ein Bezugspunkt zur Wiener Tradition der kritischen Moderne – eigentlich weniger interessant als das Sich-Reiben am Bestand. Der – nach mehreren Um- und Zubauten – erste frei stehende Bau des Büros gaupenraub wurde indessen kurz nach seiner Fertigstellung bereits mit dem Architekturpreis Burgenland ausgezeichnet. Das Projekt wäre nicht denkbar ohne seine ebenso gastfreundlichen und aufgeschlossenen wie auch kritischen Auftraggeber. „Normaler könnte ich mir das Verhältnis zwischen Architekten und Bauherren nicht vorstellen“, resumiert Architekt Alexander Hagner.

Entlang der von innen nach außen durchgehenden runden Stahlbeton-Bodenplatte des Eiermuseums zieht derweil Wander Bertoni ungehindert seine Rasenmähtraktor-Kreise um den Bau. Es ist, als wäre es schon immer so gewesen.

Spectrum, Sa., 2010.08.14



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Eiermuseum Bertoni

17. Juli 2010Iris Meder
Spectrum

Den Bauch des Gebäudes kitzeln

Der Donaukanal hat ein Terminal für den „Twin City Liner“ bekommen. In Wahrheit dient die Anlegestelle vor allem als Rahmen für die Gastronomie.

Der Donaukanal hat ein Terminal für den „Twin City Liner“ bekommen. In Wahrheit dient die Anlegestelle vor allem als Rahmen für die Gastronomie.

Der Donaukanal an einem Abend vor 15 Jahren. Ein städtebaulich übel gebeuteltes innerstädtisches Gebiet, in dem die Badeboote des 19.Jahrhunderts schon lange verschwunden waren, gezeichnet durch die Zerstörungen der letzten Kriegstage und den nachfolgenden autoverkehrsgerechten Wiederaufbau, geprägt durch den U-Bahn-Ausbau von Otto Wagners Wientallinie, mit einzelnen Infrastruktur-Objekten wie dem seit langer Zeit leer stehenden „Schützenhaus“ gegenüber dem Schottenring. (Zur Geschichte des Donaukanals siehe den Beitrag von Peter Payer auf Seite fünf.) Ein paar Jogger, ein paar Hundehalter auf Gassi-Tour. Fahle, schummrige Beleuchtung, nicht unbedingt das Ambiente, in dem man sich gerne länger aufhalten wollte. Heute – ein Flex, eine Summer Stage, eine Herrmannbar, ein Badeschiff, eine Adria Wien und einen Tel Aviv Beach später – ist das Gerinne kaum wiederzuerkennen. Jean Nouvel baut an seinen Gestaden, im bewegten Licht einer künstlerisch bespielten Medienfassade reiht sich eine Strandbar an die nächste, sodass wahre Coolness schon wieder zu den etwas weiter weg gelegenen Uferabschnitten auszuweichen beginnt.

Ein Heuchler, wer sich hier frühere Zeiten zurückwünschen wollte. Naschmarkt, Yppenplatz, Karmelitermarkt, Gürtel, Museumsquartier und Donaukanal: Die Verdichtungszonen öffentlichen Lebens, mit und ohne Konsumations-Kontext, haben sich in Wien seit den Neunzigern potenziert und, neben allen positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität der hier Wohnenden, auch erheblich dazu beigetragen, das internationale Image der Stadt von dem einer schläfrigen Senioren-Busreisen-Destination wegzubringen. Im Zusammenhang mit den neuen Möglichkeiten des alten Donauraumes stand auch die Einführung des – im Vergleich zu einer ÖBB-Fahrkarte freilich um ein Vielfaches teureren – „Twin City Liners“, eines speziellen Schnellbootes mit geringem Tiefgang, das es erlaubt, sich direkt am Schwedenplatz in Richtung Slowakei einzuschiffen und damit die zeitraubende Schleusenprozedur in der Freudenau zu umgehen.

Lange konnte es wohl nicht so weitergehen mit der ursprünglich eher off-szenigen Nutzung der „Vorkais“ – so der offizielle Name der Promenaden am Donaukanal. Ein „Terminal“ für die von einer Tochter der Wien Holding betriebene Bootslinie musste her, das sich indessen über ausgelagerte Gastro-Betriebe finanziell selbst tragen sollte. Die Anlegestelle für die überschaubare Anzahl von Passagieren ist also primär der Rahmen für eine rentable gastronomische Nutzung.

In der Ahnenreihe des nun fertiggestellten Baus stehen denn auch weniger Eugen Wachbergers für den Bau des „Lentos“ demolierte hochelegante Linzer DDSG-Anlegestelle als vielmehr Restaurantpavillons wie das bauhäuslerische „Kornhaus“ an der Elbe in Dessau, Wilhelm Riphahns Kölner „Bastei“ am Rhein oder, im Donau-Kontext, Ivan Antics dreieckiges Café am Zusammenfluss von Save und Donau in Belgrad.

Nun kann man prinzipiell die Frage stellen, ob es eine sinnvolle Idee ist, einen Bau mit Hunderten von Konsumations-Sitzplätzen auf zwei Ebenen am Ufer des Donaukanals aufzuführen, wo sich für die Sommermonate eine funktionierende Nutzung bereits etabliert hat und mittlerweile auch mehrere ganzjährig bespielte Restaurants und Bars existieren. Man muss der „Wiener Donauraum Länden und Ufer Betriebs- und Entwicklungs-GmbH“ als Auftraggeberin aber zugutehalten, dass zum 2006 ausgeschriebenen Wettbewerb eine hochrangige Auswahl an Büros geladen wurde. Die Entwürfe sahen leichte, transparente Konstruktionen für den Standort vor, an dem einst das still entschlummerte „Trialto“-Projekt realisiert werden sollte.

Die Stahlfachwerkkonstruktion von Fasch & Fuchs interpretiert sich städtebaulich als Brücke, die parallel zum Kai einen gekrümmten Weg zwischen Schweden- und Marienbrücke spannt, nur an ihren beiden Enden an das Ufer andockt und die Kaimauer, so eine Vorgabe des Wettbewerbs, ansonst unangetastet lässt. Der Zugang zum tiefer liegenden Fahrkartenschalter, dem touristische Präsentationsflächen der Stadt Bratislava angegliedert sind, erfolgt über eine Rampe. Dass auch ein öffentlicher Fußweg über die obere der beiden Restaurantebenen führt, hat zur Folge, dass die Gäste des Cafés nicht nur auf die gegenüberliegende braune Fünfzigerjahre-Bebauung blicken müssen, sondern an einer von Flaneuren bevölkerten auskragenden Uferpromenade über dem direkt am Wasser entlanglaufenden Fuß- und Radweg sitzen. Da die Steigung gemäß der Bauordnung hier keine Rampe erlaubte, führt der Weg freilich in flachen Stufen nach oben. Für Rollstuhlfahrer, aber auch Personen mit Fahrrad oder Kinderwagen wird die Benutzung des Weges damit zumindest sehr schwierig.

Auch mit dem dezenten Hellbeige seiner Hülle setzt der Bau von Fasch & Fuchs auf optische Leichtigkeit und Transparenz, die sich mit dem Sichtbarlassen der Tragstruktur auch im Inneren fortsetzen sollte. Die versetzten Ebenen von Ticketbereich und Restaurant machten hier Fensterbänder auf Fußbodenniveau möglich, die auf den Fluss und die Fahrt einstimmende Schrägdurchblicke zur Wasseroberfläche bieten.

Das Konzept der Restaurantnutzung sah allerdings dreiseitig geschlossene Sitznischenvor, die den Raum zur Kai-Seite mit schweren, gediegenen Holzvertäfelungen abriegeln. Ein schwarz-weiß gemusterter Fliesenboden macht den Raum zusätzlich unklar. Im darüberliegenden Cafébereich, einer Art Glaspavillon mit Ausblicken nach allen Seiten und einer dezenten, auf die Architektur weitaus harmonischer abgestimmten Möblierung, der wie das Restaurant vom Büro BEHF eingerichtet wurde, funktioniert das Konzept der Transparenz und eines fließenden Überganges von öffentlicher und Gastronomiezone, von Innen und Außen. Dass eine bessere Wahrnehmbarkeit des Donaukanals im ersten Bezirk ein Desiderat war, zeigt die intensive Nutzung des holzbeplankten Weges. Vom Schwedenplatz aus, vondem der Bau letztlich doch hauptsächlich wahrgenommen wird, fallen ärgerlicherweise vor allem die großen Werbeflächen ins Auge, die nicht etwa dem Bootsbetrieb, sondern einem Unterhaltungselektronik-Produzenten eingeräumt wurden. Die Grundidee des Baues erschließt sich vielleicht am besten von unten, vom Fußweg am Vorkai aus, wo tags die Reflexion des Wassers den Bauch des Gebäudes kitzelt und nachts in den Boden eingelassene Leuchten die Konstruktion zum Schweben bringen.

Spectrum, Sa., 2010.07.17



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Schiffsstation Wien City

19. Juni 2010Iris Meder
Spectrum

Leitmotiv: Schwarz

Das Prinzip: ausräumen, freilegen und möglichst roh belassen. Der Umbau eines Wohn- und Geschäftshauses am Wiener Franz-Josefs-Kai.

Das Prinzip: ausräumen, freilegen und möglichst roh belassen. Der Umbau eines Wohn- und Geschäftshauses am Wiener Franz-Josefs-Kai.

Es ist im Grunde ein ganz normales städtisches Wohn- und Geschäftshaus. Baujahr 1904, Franz-Josefs-Kai 3, hübsch, neobarock mit ein bisschen secessionistischen Anklängen halt, nichts Revolutionäres. Architekt war Julius Goldschläger, geboren im einst deutschen Bessarabien und 1940 in Wien gestorben, bevor er, wie es mit seiner Frau geschah, deportiert und ermordet werden konnte. Sowohl als Auftraggeberin wie als ausführende Firma fungierte die Familie Schwadron, die im Erdgeschoß am Kai einen Showroom für ihre renommierte Baukeramik-Produktion einrichtete. Der Bauunternehmer Victor Schwadron, aus Galizien stammend, hatte es in Wien zum Stadtbaumeister gebracht, sein Sohn Ernst studierte an der Kunstgewerbeschule Architektur. Ernst Schwadrons 1930 eingerichtetes, stilvolles Atelier-Penthouse im obersten Stock des Gebäudes, mit selbst entworfenen Möbeln, Teppichen der Künstlerin Erna Lederer-Mendel und großstädtischem Dachgarten, wurde in der deutschen Fachzeitschrift „Innendekoration“ vorgestellt. Schwadrons Ehe mit Erna Lederer hielt nur ein Jahr, das Wiener Bohèmeleben des Architekten, der sich auf Einrichtungen von Cafés und Geschäftslokalen spezialisierte, hielt bis 1938, als Schwadron nach New York und Erna Lederer nach Haifa emigrierten. Die noch heute oft in Hauseingängen zu findenden secessionistischen Fliesen der Firma Brüder Schwadron, bei der auch der später nach Shanghai emigrierte Wiener Architekt Viktor Lurje beschäftigt war, sind unterdessen Gegenstand von Fotoessays aufmerksamer Wien-Flaneure.

Seit 1934 war das Haus am Donaukanal im Besitz der Phoenix Lebensversicherung, 1936 kaufte es ein Textilfabrikant. Nach mehreren Stationen, darunter einer neuerlichen Nutzung durch die Firma Brüder Schwadron nach dem Zweiten Weltkrieg, Auftritt eines neuen Besitzers vor zirka zehn Jahren: kunstsinnig, interessiert an der Geschichte der Immobilie und ihrer Nutzer – ein Glücksfall. Außerdem familiär verbunden mit einem Mitglied des Architekturbüros propeller z – noch ein Glücksfall für das Haus, für dessen Erdgeschoßzone sich sein nunmehriger Eigentümer dezidiert eine Nutzung als Kunstraum wünschte.

Das Haus ist wohl prototypisch für die Wiener Bausubstanz mit ihrer Überlagerung unterschiedlichster historischer Schichten, die meist auch Schlaglichter auf das vertriebene Leben jüdischer Bevölkerung werfen. So lassen sich auch die Umbaumaßnahmen von propeller z im Wesentlichen als Ausräumen beschreiben: Wegnehmen von Gipskartonwänden und abgehängten Decken in nicht weniger als 24 kleinen Gelassen, die Anfang der Achtzigerjahre im Zuge des Einbaus einer Röntgen-Ordination und eines Hörgeräte-Geschäftes eingezogen wurden und unter anderem eine großartige secessionistische Deckenverfliesung im Eingangsbereich verbargen.

Der auffälligste Eingriff von propeller z, die den Umbau planten, bevor der künftige Mieter feststand, ist das Freilegen einer neuen Sichtachse, beginnend rund 35 Meter vom Kai bis zur rückwärtigen Wiesingergasse, über einen mit Treppen überbrückten Geländesprung von zirka 80 Metern und einen Grundrissknick des zweitraktigen Gebäudes, in dem ein jetzt zum Teil des Innenraumes gemachter kleiner glasüberdachter Hof liegt. Die durch die baulichen Gegebenheiten entstehenden Lichtwirkungen geben dem 630 Quadratmeter großen Raum einen eigenen spannungsvollen Rhythmus.

Das Budget von 500 Euro pro Quadratmeter ging, wie der planende Architekt Philipp Tschofen berichtet, großteils in die Statik. Der Grundsatz des Belassens von möglichst viel entkernter Bausubstanz in einem gestalterischen Minimalzustand ist natürlich trotz aller budgetärer Einschränkungen dennoch ein bewusst gewählter. So wurde der vormals nur vom Stiegenhaus zugängliche Keller als untergeschoßiger Ausstellungsraum über eine optisch „schwebende“, filigrane schwarze Stahlblechtreppe zum Teil des sich über mehrere Ebenen erstreckenden Innenraumes gemacht. Selbst das Souterrain erhält über Oberlichter einiges an Tageslicht von der besonnten Wiesingergasse.

Originale Glasbausteine und das Drahtglas der wieder freigelegten Hofüberdachung wurden, wo noch vorhanden, ebenso erhalten wie Teile der Schwadron'schen Keramikverkleidung an der aufgrund zahlreicher Veränderungen und Umbauten heute sympathisch heterogenen Kai-Front. Hier wie im Inneren ist die Farbe Schwarz Leitmotiv der neuen Interventionen – an der Fassade als auf die historische Verfliesung Bezug nehmende Vertikalstrukturierung einer strichcodeartigen vorgesetzten Raumschicht, im Inneren an den Stahlträgern, der Treppe und dem zum Manövrieren größerer künstlerischer Arbeiten teils öffenbaren Boden, an der Rückfront mit den Fensterrahmungen, die leicht kastenartig vorspringen, aber mit den Wandpfeilern bündig abschließen. Eines von vielen Ergebnissen des subtilen Form- und Proportionsverständnisses des Büros. Ein anderes Detail wäre der durch Aussägen eines Schlitzes entstandene Handlauf der Kellertreppe.

Industrie-Estrich als Boden, Leuchtstoffröhren an den roh belassenen Sichtbetondecken, schlichter orangeroter Lackanstrich der Wände in den Sanitärbereichen und ein kommandobrückenartiger Büroraum mit teils Milch-, teils Klarglaswänden und Ausblicken nach drei Seiten sprechen natürlich die Sprache schicker Galerien in den gentrifizierten alten Gewerbegebieten internationaler trendiger Metropolen. Obwohl man sich hier nicht in einer ehemaligen Schlachterei oder Bierbrauerei, sondern in einem großbürgerlichen städtischen Wohn- und Geschäftshaus befindet, wirkt das Prinzip der, wo nötig, mit architektonischen Eingriffen ergänzten Ausgeräumtheit nirgends aufgesetzt und gibt sich viel entspannter als etwa beim vom französischen Büro Lacaton & Vassal gestalteten Pariser Palais de Tokyo – wie der Wiener Raum ein Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst. Dort ist das Prinzip des Roh-Belassens von Vorgefundenem mitunter mit großem Aufwand und einer der Benutzerfreundlichkeit eher abträglichen Über-Konsequenz betrieben.

Auch ohne eine psychologische oder metaphorische Dimension des Freilegens zu bemühen, ist das Ergebnis des Wiener Umbaus von propeller z schlüssig und überzeugend. Die richtige Balance zwischen Eingreifen und Belassen, Wegnehmen und Tolerieren, Gestaltung und Zurücknahme ist gefunden, das Potenzial des heterogenen Raumes gerade auch für die Präsentation von Gegenwartskunst mit einer Vielfalt von Dimensionen und Lichtzonen von direktem über indirektes Tageslicht aus verschiedenen Richtungen bis zum fensterlosen Raum etwa für Projektionen gut genutzt. Unterdessen bewähren sich die Räumlichkeiten in der ersten Ausstellung des neuen Mieters, der Bawag Contemporary. Auf die Möglichkeiten, die die Räume künftigen Präsentationen bieten, darf man jedenfalls schon gespannt sein.

Spectrum, Sa., 2010.06.19

15. Mai 2010Iris Meder
Spectrum

Quelle, Steppe, Schnecke

Zwei neue Großprojekte auf dem Bädermarkt: die „Therme Wien“ und die „St. Martins Therme“ im burgenländischen Seewinkel. Erstere nach dem Bild eines Flusslaufs geplant, Letztere mit afrikanischem Flair, aber ohne Ethno-Kitsch.

Zwei neue Großprojekte auf dem Bädermarkt: die „Therme Wien“ und die „St. Martins Therme“ im burgenländischen Seewinkel. Erstere nach dem Bild eines Flusslaufs geplant, Letztere mit afrikanischem Flair, aber ohne Ethno-Kitsch.

Wohlfühlen“ ist wohl einer der lukrativsten Geschäftszweige in postindustriellen Gesellschaften wie unserer. Der Freizeit-Lifestyle reicht dabei vom viel beschworenen Erlebnis bis zum simplen Faulsein, sprich „Relaxen“. Nicht zuletzt die damit verbundene Bereitschaft, sich immer höhere Dosen an Verwöhnung zu gönnen, hat zum Thermen-Boom der letzten Zeit geführt. Allerorten wurde nach Goldadern in Gestalt von lukrativen Thermalquellen gesucht. Nach der Siebzigerjahre-Phase mit Künstlerkitsch-Deko von Friedensreich Hundertwasser bis Ernst Fuchs erkannte man in den Neunzigern – Initialzündung war Peter Zumthors intellektuell-asketische Felsentherme im Graubündner Bergdorf Vals –, dass architektonische Qualität Gäste durchaus nicht unbedingt abschreckt.

Es folgten geglückte Beispiele etwa im steirischen Fohnsdorf (Titus Pernthaler 2007) und in Gleichenberg, 2008 nach Entwürfen des norwegischen Büros Jensen og Skodvin gebaut. Nun gerieten auch die bislang gut funktionierenden Seventies-Kästen in Zugzwang, denen nicht selten der Charme von Park-and-Ride-Garagen eignete.

So auch das 1974 anlässlich der Internationalen Gartenschau WIG 74 über einer neu erschlossenen Thermalquelle gebaute Kurbad Oberlaa. Die legendären durchdringenden Huptöne, die zum raschen Wechseln der Sprudel- und Massagedüsen auffordern, können von Nostalgikern noch bis zum Sommer genossen werden, ebenso wie das Drehkreuz, das auch bei komplett leerem Becken den Zugang zum Whirlpool versperrt, wenn das Sprudel-Programm läuft. Nebenan entsteht nämlich die neue „Therme Wien“, die den Altbau ersetzen wird.

Auf dem besonders an der südostösterreichischen Thermenlinie allmählich gesättigten Markt der Thermal-Resorts zählt die Therme Wien gemeinsam mit der vor Kurzem eröffneten „St. Martins Therme & Lodge“ im burgenländischen Seewinkel zu den letzten Dinosauriern ihrer Gattung. In Wien hat manallerdings neben dem Wohlfühlbadebetrieb schon immer auf medizinische Anwendungen gesetzt. Der Bauteil des Kurmittelzentrums „Therme Wien Med“ wurde bereits imMärz eröffnet. Anders als bei den meisten auf der grünen Wiese errichteten Resorts liegt der kalkulierte Einnahmen-Schwerpunkt in Wien nicht auf dem Hotelbetrieb – das Hotel wird hier getrennt von der Therme betrieben, ein Neubau nach Entwürfen von Rüdiger Lainer ist in Planung. Für die Therme schrieb man 2003 einen geladenen Wettbewerb aus, den ersten Platz machten die Stuttgarter Bäderspezialisten 4a Architekten. Ihre Vorliebe für abgeschrägte, auskragende Baukörper lässt sich an der kleineren Bodenseetherme in Konstanz studieren, die 2007 eröffnet wurde.

In Wien ist das architektonische Leitmotiv der verglasten Thermenhallen das abstrahierte Bild eines Flusslaufs, der „Steine“ genannte geschlossenere Zonen unterschiedlicher Nutzung und atmosphärischer Gestaltung verbindet. Die Differenzierung der Raumformen erlaubt es, die riesigen Volumen des Komplexes sinnvoll zu strukturieren – auf 7,5 Hektar wollen zusätzlich zu den 4500 Quadratmetern des Gesundheitsbereiches 4000 Quadratmeter Wasserfläche und 3000 Quadratmeter Saunabereich mit 24 unterschiedlichen Saunen (gemischte sowie getrennte Damen- und Herrenbereiche) untergebracht sein – die Nutzfläche ist doppelt so groß wie beim Altbau. Die Erschließung einer zweiten Quelle erlaubt es, 55 Prozent des Energiebedarfs zu decken, der Rest wird mit Fernwärme abgedeckt.

Die bisherige Hauptklientel der Altersgruppe von 45 bis 65 soll um jüngeres Publikum erweitert werden, wobei man vor allem auf das Einzugsgebiet Bratislava setzt. Als „Totalunternehmer“ der von der Wien Holding mitfinanzierten Anlage mit einem Investitionsvolumen von 115 Millionen Euro fungiert „Vamed Vitality World“, die unter anderem auch das neue Thermenresort im Seewinkel betreibt.

Dort führte ein Zusammenschluss von 13 Gemeinden nach einer erfolgreichen Quellbohrung zum Bau eines Thermalhotels am Rand des Nationalparks Seewinkel mit dem Konzept einer „Lodge“ nach dem Vorbild afrikanischer Naturbeobachtungs-Stationen – angesichts der steppenähnlichen Landschaft des UNESCO-Welterbes mit seinen Wasserbüffel- und Vogelpopulationen weniger abwegig, als es zunächst scheint. Standort ist ein Schotterteich, der einen zusätzlichen Naturstrand bietet.

Dem Flusskonzept von 4a Architekten steht ein skulpturaler Baukörper vom Büro Holzbauer & Partner gegenüber. Auch hier musste der planende Architekt, Wolfgang Vanek, große Volumen unterbringen. Leitbild ist eine Schneckenform mit einem langen Nord-Süd-gerichteten Schweif für das 300-Betten-Hotel mit Terrassenrestaurant am Wasser und einer sich verdichtenden Spirale, die als Zentrum die zylindrische Thermenhalle aufnimmt. Hier zeigt sich ein österreichisches Spezifikum, nämlich der Wunsch des heimischen Thermengastes nach einer eigenen Liege – erstaunlicherweise geben die meisten Gäste als eines der wichtigsten Ziele in einem Thermalbad Lesen an. Eine architektonische Herausforderung besteht daher in der Verteilung ausreichend großer Ruhezonen – auch die Thermenhalle nehmen größtenteils nicht Wasserbecken, sondern Liegeterrassen ein.

Ein weiteres dem Markt geschuldetes Charakteristikum von Thermen-Resorts ist die Hierarchisierung des Publikums, die dem „normalen“ Tagesgast einen begrenzten Bereich zuweist, während unter anderem zusätzlich das „Upper Deck“-Programm mit Saunabenutzung und Liege auf der Empore der Halle zu buchen ist, außerdem das „Day Spa“, das Zutritt zum Hotelbereich gewährt.

Die Therme prägt ebenso wie den mit bemerkenswerter Sorgfalt geplanten Hotelbereich eine Bezugnahme auf das Lodge-Thema in Form eines Farb- und Materialkonzeptes, das auf erdige Ocker- und Brauntönesetzt, von der Putzfassade – mit Nistplätzen für Vögel – über die Steinzeugfliesen des Bodens bis zu den baupolizeilich zertifizierten Schilf-Wandverkleidungen einzelner Bereiche.Auf Eso-Ethno-Kitsch mit Buddhastatuen, Salzbrunnen und Feng-Shui-Ampeln wurde verzichtet, was der Klarheit der Architektur zugute kommt. Schön sind die intimen Ruhezonen und kleineren Innen- und Außenbecken des Day Spa, die – besonders spektakulär in der Abenddämmerung – nahtlos in den Teich und die Seewinkel-Steppe überzugehen scheinen. Fast wie in Afrika.

Spectrum, Sa., 2010.05.15

12. März 2010Iris Meder
Spectrum

Das Mascherl abgelegt

Devoter Schüler, dominanter Meister? Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Architektur am Beispiel Clemens Holzmeisters und seiner Studenten Holzbauer, Spalt und Kurrent.

Devoter Schüler, dominanter Meister? Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Architektur am Beispiel Clemens Holzmeisters und seiner Studenten Holzbauer, Spalt und Kurrent.

Am Ende trugen sie das „Holzmeister-Mascherl“ um den Hals. Nachzusehen in der hervorragenden Monografie zur „Arbeitsgruppe 4“,die jüngst zur Ausstellung im Architekturzentrum Wien erschienen ist. Das Foto zeigt die Mitglieder der Arbeitsgruppe gemeinsam mit ihrem Lehrer 1952 bei der Diplomverleihung an der Wiener Kunstakademie. Friedrich Achleitner bringt es in dem Band auf den Punkt: „Er kam pro Semester einmal zur Korrektur, ein auratischer Auftritt, wobei er uns zeigte, wo der ,architektonische Gott‘ wohnt.“ Clemens Holzmeister kannte offenbar auch die Wohnadresse der Herrenmode – ebenso übrigens wie Adolf Loos, mit dem ihn ansonsten wenig verband, wohl aber der durchaus bewusst eingeforderte Meisterstatus seinen Schülern gegenüber.

Wahre Nibelungentreue kennzeichnete schon das Verhältnis von Otto Wagners Schülern zu ihrem Lehrer. „Wir wollen die Aufgabe erfüllen, zu der er uns berufen hat, durch Tat und Wort und Schrift seinen Geist verkünden, sein Werk fördern“, kündigte in zeittypischem Pathos Karl Maria Kerndle im Wagnerschule-Portfolio für die Studienjahre 1902–04 an, und Teo Deininger jubelte im selben Ton: „Eine Schar kampfeslustiger, siegesbewusster Männer, mit unserem Meister als Führer und Lenker an der Spitze, kam herangebraust, alles niederwerfend, was sichihnen in den Weg stellte. Heil unserem hochverehrten Meister! Heil Otto Wagner, Heil!“

Nach dem Zweiten Weltkrieg war so eine ungebrochene Begeisterung nicht mehr möglich. Die durch den Weggang von Otto Leitner bald auf drei Mitglieder reduzierten „Dreiviertler“ der Arbeitsgruppe4 legten das Mascherl ab und forderten den einstigen Lehrer durch eigenständige architektonische Auffassungen heraus. 1955 reisten sie als Vertreter des österreichischen Architekturnachwuchses zumCIAM-Kongress nach La Sarraz. Gerade mal Mitte zwanzig, besaßen sie durchaus das nötige Selbstbewusstsein, den Bauherren eines von ihnen eingerichteten Kaffeehauses wie eines Musikaliengeschäfts ihren eigenen Namen, „3/4“, aufs Firmenschild zu bringen. Als Friedrich Kurrent – er trug damals eine Art verwuschelte Punkfrisur –, Johannes Spalt und Wilhelm Holzbauer ihrem Lehrer die Pläne zum Betontor der Kirche in Salzburg-Parsch zeigten, drohte der entsetzte Holzmeister ihnen für den Fall der Realisierung mit dem Aberkennen des Holzmeister-Schüler-Status.

Die von Oskar Kokoschka gestalteten Betontore wurden gebaut. Holzmeister überlebte den Schock. Sein Aufbrausen erklärt sich zumindest teilweise aus der katholischen österreichischen Tradition, in der Loyalität innerhalb der Hierarchie einer Lehrer-Schüler-Beziehung nur als Jüngertum denkbar ist. Dennoch ist es der Holzmeister-Schule zugute zu halten, dass sie keine Regimenter von Miniatur-Clemensen hervorbrachte. Im Gegenteil – nahezu die gesamte relevante österreichische Nachkriegsarchitektur scheint sich aus dem Holzmeister-Pool generiert zu haben, mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie, neben Kurrent, Spalt, Holzbauer, Leitner und Achleitner, Rudolf Baumfeld, Ernst Plischke, Carl Appel, Georg Lippert, Eugen Wörle, Hans Hollein, Gustav Peichl, Josef Lackner, Heinz Tesar, Anton Schweighofer und Johann Georg Gsteu.

Friedrich Kurrent und Johannes Spalt beschäftigten sich zunehmend auch mit der verschütteten Tradition der österreichischen Vorkriegsarchitektur, gerade auch mit der aus dem liberalen jüdischen Bürgertum gespeisten skeptischen Moderne um Adolf Loos und Josef Frank. Holzmeister hatte die Größe, auf ihre Initiative hin 1965 die Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Josef Frank zu ermöglichen. Unter der Bedingung, dass man Frank nichts von Holzmeisters Unterstützung sagen dürfe, da dieser den Preis sonst womöglich abgelehnt hätte. Ebenso wie Ernst Plischke verachtete Josef Frank seinen einstigen Studienkollegen Holzmeister lebenslang. Auslöser war wohl dessen Engagement im „arischen“ „Neuen Werkbund Österreichs“ während der Zeit des Ständestaats.

Holzmeister bot allerdings im türkischen Exil auch politisch oder „rassisch“ verfolgtenArchitekten und Architektinnen wie Margarete Schütte-Lihotzky, Herbert Eichholzer, Stephan Simony und Fritz Reichl Schutz und Unterstützung durch eine Beschäftigung in seinem Büro. Die Verachtung mancher trug er offenbar souverän – einerseits die seiner Person, andererseits die seiner Architektur, die selbst sein Büroleiter Max Fellerer nicht wirklich goutierte. Im Pädagogischen lag seine Stärke, trotz seiner dominanten Persönlichkeit, vor allem im Vermitteln der Fähigkeit zu eigenständigem Arbeiten. Dazu gehörte auch das Akzeptieren divergenter Positionen. Nicht umsonst zählen die besten unter Holzmeisters Schülern zur Tradition einer unorthodoxen Moderne, die Dogmen misstraute und unkorrumpierbar war. Das konsequente Verfolgen der eigenen Überzeugungen ist dabei verbunden mit tiefem Respekt gegenüber der Tradition der österreichischen Moderne.

Auf der anderen Seite ist auch im Muster von devoten Schülern dominanter Meister eine Kontinuität bis in die Gegenwart zu erkennen, vor allem in der Nachfolge von Trademark-Architekten. Deren Arbeit scheintin erster Linie die schematische Anwendungvon wiedererkennbaren, fototauglichen Motiven zu sein, mit dem Ziel einer „Star“-Qualität zur Gewinn- und Imagemaximierung sowohl für Investoren wie für die Planenden.

Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass, gerade auch durch Holzmeister-Schüler wie die Arbeitsgruppe 4, in Österreich eine Architektur bedeutend werden konnte, die an diesem Starkult nicht interessiert ist. Zahlreiche Zeugnisse sind in der derzeit laufenden „a4“-Ausstellung in Plänen, Fotografien und Modellen zu sehen: Mehrzweckhallen, Kirchen, Seelsorgezentren, Schulen. Kaum zu glauben, dass Projekte wie der seinerzeit mit dem zweiten Preis ausgezeichnete „a4“-Entwurf für den Neubau des Historischen Museums der Stadt Wien vor bald 60 Jahren entstanden. Oder die leider ebenfalls nicht realisierten Konzepte der „Wohnraumschulen“. Freiluftklassen und Wintergärten treten dort an die Stelle des herkömmlichen Schulschemas mit an Gängen aufgereihten Klassenräumen. Ähnlich empfand man in der Nachkriegszeit wohl die vergessene Vorkriegsmoderne: Man meint, nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zu sehen.

Spectrum, Fr., 2010.03.12

06. Februar 2010Iris Meder
Spectrum

Dunkel, schwer, streng

Ein Misanthrop und radikaler Konservativer mit vielen Feindbildern. Und doch. Was macht die Faszination des Adolf Loos aus? Ein Blick in Neuerscheinungen.

Ein Misanthrop und radikaler Konservativer mit vielen Feindbildern. Und doch. Was macht die Faszination des Adolf Loos aus? Ein Blick in Neuerscheinungen.

Ein Kulturmensch sieht nicht mehr zum Fenster hinaus; sein Fenster besteht aus Mattglas; es ist da, um Licht zu spenden, nicht um den Blick hinausschweifen zu lassen.“ – Fenster dienten Adolf Loos als Mittel effektvoller Lichtregie. Die meisten Menschen sind ratlos bis enttäuscht, wenn sie sich zum ersten Mal in einer Loos-Wohnung aufhalten: dunkel, schwer, streng und rigide in der Axialität und starren Festlegung der Funktionen, auf sich selbst zentriert mit all den verschrobenen, düsteren Sitznischen, unpraktisch mit all dem Auf und Ab der ewigen Stufen, konservativ die massiven Stilmöbel, die Steinverkleidungen, die Holzvertäfelungen. Wie anders letztlich als die luftigen, hellen, leichten und immer wie improvisiert wirkenden Gartenzimmer eines Josef Frank. Man muss das mögen, oder vielmehr: Man muss es nicht mögen. Worin besteht aber die anhaltende Faszination des großen Misanthropen, die uns allein im letzten Jahr drei dicke neue Publikationen beschert hat?

Hierzulande scheint man es vielfach tatsächlich nicht recht zu wissen. Erst vor ein paar Monaten hat die Bank Austria leichtherzig ihre 1914 von Loos als Zentralsparkasse eingerichtete Filiale in der Mariahilfer Straße zugesperrt. Die Zukunft des denkmalgeschützten Geschäftslokals mag man sich lieber nicht ausmalen. Im Dezember schloss das mit mehreren Millionen Euro vor ein paar Jahren aufwendigst rekonstruierte Café Museum. Nichts mehr mit einem neu aufgelegten „Café Nihilismus“ also, zu wenige besetzten die Loos'schen Thonetstühle. Nun überlegt man, den seinerzeit vom – ausgerechnet! – Josef-Hoffmann-Schüler Josef Zotti gestalteten Zustand von 1930 wiederherzustellen. Gelegenheiten zum Erwerb von Loos-Villen ließ die öffentliche Hand ebenso konsequent wie hartnäckig an sich vorbeiziehen, sodass architekturinteressierte Wien-Reisende Loos-Interieurs heute nur in Form der aus seiner Wohnung aus- und im Wien Museum eingebauten Kaminnische sehen können. Alternativen zu einer Reise in die Pension „Alpenhof“ nach Payerbach oder nach Prag, wo das 1930 von Loos für František und Milada Müller gebaute Haus als Museum zu besichtigen ist, bieten in Wien, neben zwei Räumen in der Musiksammlung der Wien Bibliothek und der halböffentlichen Zimmerflucht eines Vereinslokals, lediglich die Filiale der Raiffeisenbank im Haus am Michaelerplatz und die wohnküchengroße Loos-Bar, die sich immerhin gut hundert Jahre nach ihrer Eröffnung großer Beliebtheit erfreut.

Als bewohnte, genutzte Räume bildet in diesem Sinne der opulente Bildband von Ralf Bock und dem Fotografen Philippe Ruault Loos' Interieurs ab. Gerade darin liegt, neben einem untrüglichen Gefühl für Raumproportionen, wohl ihre größte Stärke: Nutzungen nicht nur aufzunehmen, sondern zu verlangen, im Gegensatz zu Loos' Feindbildern von der Wiener Werkstätte bis zum Bauhaus, bei denen ein falsch gekleideter, Sessel aus der Achse rückender Mensch, ein altes Bild an der Wand, ein abgeschabtes Möbelstück die Harmonie der Wohnzimmer gewordenen Utopie permanent bedrohen konnten. In seinem Textteil schreibt Bocks monografisch angelegter Band im Wesentlichen die überkommene Hagiografie fort, nicht ohne teils mehrfach vorkommende lange Zitate aus Loos' Schriften, die noch von ausführlichen Paraphrasierungen begleitet sind. Mehrfach sind Namen falsch geschrieben, was das Buch leider mit dem ansonsten hervorragend recherchierten zweisprachigen Katalog zur Prager Loos-Ausstellung von 2008 gemeinsam hat.

Der tschechische Katalog ist eine echte Bereicherung der Loos-Forschung, nicht zuletzt in der genauen Dokumentation der teils erstaunlich gut erhaltenen Pilsner Wohnungseinrichtungen von Loos. Hier, in den Umbauten der teilweise auf unattraktiven Werksgeländen stehenden Industriellenhäuser, machte er Ernst mit den Milchglas- oder Japanpapier-Fenstern, die er als Isolationsschicht vor die banalen Rausschau-Scheiben stellte. Ganz klar, es ist nicht die puristische „weiße Moderne“, um die es hier geht. Ein radikaler Konservativer, geistesverwandt mit Karl Kraus, huldigt beharrlich seinem Ideal von materialisierter Wahrheit und findet dabei eine treue Klientel inklusive seiner, nach Lina und Elsie, dritten Frau Claire. Private Familienfotos und persönliche Dokumente bereichern die Baudokumentation um das zentrale Kapitel der Auftraggeber. Leider endet für das Buch deren Geschichte mit der Bauausführung. Von der Enteignung und Emigration eines großen, der Ermordung eines kleineren Teils von Loos' Bauherren, auch seiner Frau Claire, erzählt das Buch nichts.

Der hervorragenden Forschungsarbeit der Prager und Brünner Institutionen steht, man muss es leider sagen, in einigen Wiener Sammlungen eine finanzielle Aushungerungspolitik gegenüber, die die Forschung weitgehend lähmt. So bleibt es dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter der Leitung von Ákos Moravánszky vorbehalten, den dritten der neuen Loos-Bände zu liefern. Großteils von Nachwuchsforschern werden Einzelbauten beziehungsweise Einzelthemen wie Spiegel im Werk von Loos oder dessen Nietzsche-Bezüge behandelt, aber auch – immer noch ein Desiderat – zumindest ansatzweise die Werke seiner Schüler wie etwa seines treuen Mailänder Jüngers Giuseppe de Finetti.

Die Verehrung der Loos-Schüler für ihren sexistischen, unfairen, egozentrischen und manchmal boshaften Meister war immens. Heinrich Kulka, Loos' Bürochef und Trauzeuge, meinte: „An den Kreuzwegen, denen ich in meiner Arbeit begegnet bin, hat mir der Geist von Loos immer den rechten Weg gewiesen“; Paul Engelmann bekannte demütig, er habe „von Kraus, nicht zu schreiben; von Wittgenstein, nicht zu reden; von Loos, nicht zu bauen“ gelernt. Loos-Schüler sein hieß einer lebenslangen Gemeinschaft angehören.

Der Feindbilder waren viele im Loos'schen Weltbild: Secession, Licht von zwei Seiten, Zwetschkenknödel, Designer-Likörgläser, Einbrenn und falsch angenähte Knöpfe; zu den letzten verbürgten klaren Worten des Delirierenden gehörte die Warnung an seine Krankenschwester: „Hüten Sie sich vor Josef Hoffmann!“ Trost boten englische Anzüge, Potaufeu, Josephine Baker, Melanzani und ab und zu der heute ausgestorbene „Feingespritzte“ – mit Soda aufgespritzter Champagner. Vielleicht sollte ihn die Loos-Bar, neben dem Longdrink „Lina Loos“, wieder auf die Karte setzen.

Spectrum, Sa., 2010.02.06

02. Januar 2010Iris Meder
Spectrum

Ein Bau, der in den Park segelt

Die Nachkriegs-Moderne der exsozialistischen Länder erlebt derzeit einen wahren Hype. Nichts als große Gesten und Pathos der Moderne? Weit gefehlt! Einige Beispiele aus Kroatien.

Die Nachkriegs-Moderne der exsozialistischen Länder erlebt derzeit einen wahren Hype. Nichts als große Gesten und Pathos der Moderne? Weit gefehlt! Einige Beispiele aus Kroatien.

Sie erfährt derzeit einen enormen Hype: die Nachkriegsmoderne der exsozialistischen Länder. Websites wie www.restmodern.de, www.ostarchitektur.com, www.evidenca.org und www.eastmodern.com sammeln Zeugnisse einer Architektur, von der eine besondere Faszination auszugehen scheint. Ausstellungen wie die Reihe „Architektur im Ringturm“ oder die derzeit im Architekturzentrum Wien zu sehende „Balkanology“ widmen sich den Architekturlandschaften postsozialistischer Staaten.

Als sentimentale Sozialismus-Nostalgie nachgeborener „Westler“ sollte man dieses Interesse nicht abtun. Während im westlichen Teil Mitteleuropas wegweisende Lösungen nicht zuletzt im Wohnbau und im Urbanismus gesucht wurden, ist das, was Architektur des „Ostblocks“ in weit größerem Maße bieten kann, ein gewisses Pathos der Moderne, das in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gerade im deutschsprachigen Raum verpönt war und von dem daher heute eine umso größere Faszination ausgeht. Die viel publizierten Ostblock-Bauten der Fünfziger- und Sechzigerjahre sind vorwiegend repräsentative öffentliche Gebäude wie Devisenhotels, Hochschulen, Revolutionsmuseen, Nationalgalerien und Parteizentralen. Wohnbau wurde in großmaßstäblich aus dem Boden gestampften neuen Stadtteilen wie Novi Beograd, Novi Zagreb, Halle-Neustadt oder Bratislava-Petr?alka hauptsächlich in Plattenbau-Scheibenhochhäusern mit standardisierten Wohnungen untergebracht. In Bratislava schlug man eine Stadtautobahn über die Donau nach Petr?alka. Gemeinsam mit Teilen des historischen jüdischen Viertels musste der Magistrale auch die Synagoge weichen, die die Zeit des Nationalsozialismus überstanden hatte. In Leipzig wurde die gotische Universitätskirche gesprengt, in Bukarest wurden überhaupt große Teile des historischen Stadtzentrums abgerissen. Was man also in der Architektur der einstigen sozialistischen Länder wohl zuletzt suchen würde, sind Beispiele zum Thema urbane Nachverdichtung und Bauen im Bestand.

Zu Unrecht. In Jugoslawien etwa wusste man schon vor 50 Jahren, wie das geht. Ab 1960 entstand das vom Architekten Ivan Viti? geplante Kulturzentrum der jugoslawischen Volksarmee im dalmatinischen ?ibenik. Der ikonische Bau, der nach einer Generalsanierung mit teilweiser Änderung der Innendisposition heute als Stadtbibliothek dient, war 2007 in der Kroatien-Ausstellung im Wiener Ringturm zu sehen und kann derzeit wieder in der „Balkanology“-Schau des Architekturzentrums Wien bewundert werden.

Nähert man sich auf der in die Stadt führenden Hauptstraße dem Poljana-Platz, dessen meerseitigen Abschluss das Gebäudebildet, ist der Eindruck ein atemberaubender:Direkt aus der im ortstypischen weißen Steingebauten Stadtmauer wächst ein durchsichtiges Schiff. Opak steht gegen transparent, Stein entmaterialisiert sich zu Glas. Das prismatisch gefaltete Dach scheint sich im Wind zu blähen, mit seinem schmal zulaufenden Bug segelt der Bau in den angrenzenden Park. In der als UNESCO-Weltkulturerbe klassifizierten Altstadt von ?ibenik steht die Moderne buchstäblich auf den Schultern des Riesen Geschichte.

An der Rückseite, Richtung Meer, wird klar, dass das Kulturzentrum Teil eines städtebaulichen Komplexes ist, der vom 1917 in ?ibenik geborenen Ivan Viti? als Gesamtheit geplant wurde: Die bereits 1952 entstandene, rechtwinklig zum Kulturzentrum gestellte Schule bildet mit diesem und den Resten der Stadtmauer aus der Renaissancezeit eine öffentliche Piazza. Mit sozialistischem Pathos hat das alles, trotz der ursprünglichen Bestimmung des Gebäudes, nichts zu tun und mit Balkan erst recht nicht. Spürbar ist vielmehr eine selbstbewusste Balance zeitgenössischer Architektur und ihres respektierten Kontextes – eine Qualität, die auch heute alles andere als selbstverständlich ist. Als architektonische Vergleichsbeispiele fallen einem Carlo Scarpas Interventionen in historischer Substanz wie die Umbauten des Castelvecchio in Verona oder der Fondazione Querini Stampalia in Venedig ein, auf die auch die 2005 erschienene Viti?-Monografie hinweist.

Dabei konnte Ivan Viti? den Wunsch nach der großen sozialistischen Geste durchaus ebenfalls bedienen, wie etwa sein Gebäude der Parteizentrale auf dem neu erschlossenen flachen Bauland an der Save in Zagreb zeigt. Anders war die Situation in der historischen Umgebung seiner Heimatstadt. Auch das wenige Jahre vor dem Kulturhaus gebaute Rathaus von ?ibenik bezieht einen Teil der arkadengesäumten Stadtmauer mit ein. Mit dem ebenfalls von Viti? geplanten gegenüberliegenden Hotelbau entsteht auch hier eine zum Meer offene Piazza. Städtebauliche Fassung und Architektur überzeugen noch heute.

Ähnlich wie Viti? arbeitete der gleichaltrige Neven ?egvi?. 1961 realisierte er in seinerHeimatstadt Split anstelle eines kriegsbeschädigten Altbaus ein Bürogebäude, dessen verglastes Erdgeschoß Blicke auf archäologische Ausgrabungen erlaubt. Direkt am Peristyl desantiken Diokletianspalastes musste der Bau es mit einer noch heikleren historischen Nachbarschaft aufnehmen. Heute wäre eine so selbstbewusst zeitgenössische Lösung wohl nicht mehr ohne Weiteres möglich.

Weitere Kulturzentren nach Entwürfen von Ivan Viti? folgten dem von ?ibenik. Zu einem Nukleus des „kritischen Regionalismus“ von Viti? und ?egvi? wurde die dalmatinische Insel Vis. ?egvi? realisierte dort eine Atriumschule mit Freiluftklassen, schon Anfang der Fünfziger hatte Viti? mit einem den Maßstab des Altstadt-Kontextes aufnehmenden Wohnkomplex Zeichen für eine reflektierte Moderne in über Jahrhunderte gewachsener Umgebung gesetzt. Viti?s kleines erdgeschoßiges Kulturhaus von Komi?a auf Vis hat über quadratischem Grundriss eine ähnlich spektakulär gefaltete Dachlandschaft wie das in ?ibenik. Nach langem Verfall wird das Gebäude seit 2006 restauriert, Spender können über eine Homepage einzelne „Bausteine“ kaufen.

In den Sechzigerjahren plante Viti? eine Reihe von Pavillon-Motels an der dalmatinischen Küste, die wie die Kulturhäuser mit der Verbindung von Bruchsteinmauerwerk und Glaswänden lokale Materialien mit zeitgenössischen kombinieren. Nicht nur damit, auch mit ihren kleinen Maisonette-Einheiten stehen sie in der Nachfolge Le Corbusiers. Die Rettung des nicht am Strand, sondern an der viel befahrenen Durchgangsstraße gebauten und daher heute leer stehenden und verfallenden Motels in Trogir steht noch aus.

Spectrum, Sa., 2010.01.02

21. November 2009Iris Meder
Spectrum

Die gläserne Arterie

Allenthalben Licht, räumliche Flexibilität, Zugänge zu einst verbauten Räumen und Öffnungen nach allen Seiten: die neue Technische Universität Wien. Ein beachtlicher, teils überwältigender Umbau.

Allenthalben Licht, räumliche Flexibilität, Zugänge zu einst verbauten Räumen und Öffnungen nach allen Seiten: die neue Technische Universität Wien. Ein beachtlicher, teils überwältigender Umbau.

Vielleicht ist ein besserer baulicher Zugang zur Hochschule ja der erste Schritt zu besseren Studienbedingungen. Wenn es so wäre, dürften die – von Architekt Manfred Nehrer in ihren Protesten entschieden unterstützten – Studierenden Hoffnung schöpfen. Nachdem das von Heinrich von Ferstel entworfene Hauptgebäude der Universität am Ring in den letzten Jahren durch die Interventionen des Architekten Roger Baumeister einen barrierefreien, einladenden Eingang zum nunmehr lichterfüllten Foyer, dem freigeräumten Arkadenhof und dem helleren und geräumigeren Audimax bekommen hat, kann nun auch die Technische Universität (TU) den ersten Teilabschnitt ihres Umbaus präsentieren. Die Effekte sind beachtlich und teils überwältigend – nicht nur für jene, die den Bau zuvor gekannt und genutzt haben.

Gerade Bauten des 19. Jahrhunderts können durch schlechte Belichtung und innere Verhüttelung regelrecht umgebracht werden. So ist das einst düstere, zugige und durch mehrere Treppenabsätze geteilte TU-Foyer jetzt ein heller Raum, der seiner Erschließungsfunktion hervorragend gerecht wird. Beginnend mit einem neuen, stufenlos zum Eingang ansteigenden Granitbelag am Karlsplatz, zeigt der ab 1816 errichtete unübersichtliche Baukomplex auf einmal eine gläserne Arterie, die einen Durchblick vom Ressel-Denkmal vor dem Haupteingang bis zur Paniglgasse erlaubt.

Neue ringförmige Erschließungssysteme ohne Sackgassen, bessere Orientierungsmöglichkeiten, räumliche Flexibilität, Öffnungen nach allen Seiten, Aufmachen einst verbauter Räume könnte man als die Leitmotive des Entwurfs bezeichnen, mit dem das Büro NMPB den 2005 ausgeschriebenen Wettbewerb gewann. So ist die Eingangshalle durch das Entfernen seitlicher Scheintüren auf einmal fünfschiffig und der erdgeschoßige Prechtlsaal ohne Umwege direkt vom Foyer aus zugänglich. Durch ein vom renommierten Studio Bartenbach geplantes neues Beleuchtungssystem, das das Licht von den Gewölbefeldern reflektiert, wurden Lichtführung und Helligkeit um ein Vielfaches verbessert, und der Energieverbrauch wurde gleichzeitig auf die Hälfte gesenkt.

Rechterhand macht ein prismatisch geknickter Info-Counter aus eloxiertem rotem Aluminium klar, dass Gegenwart und Zukunft im Haus wohnen – wo genau, darüber informieren Airport-Atmosphäre suggerierende Großbildschirme über den Durchgängen. Ob die vom Wander-Bertoni-Schüler Walter Kölbl konzipierten schicken Aluminiumpaneele, auf die künftig Botschaften nur mehr projiziert werden sollen, das studentische Kommunikationsmedium Schwarzes Brett zu ersetzen vermögen, darf bezweifelt werden. Jedenfalls wird das mit neuen Sandsteinplatten ausgelegte Foyer schon jetzt so gerne als Aufenthaltsort genutzt, dass provisorische Sitzflächen in Tomatenrot zwischen die Pfeiler gespannt wurden, um kurzfristige Kommunikations- und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.

Aus der Spindel des biedermeierlichen Stiegenhauses wurde der Aufzug entfernt, Pfeiler und Wände sandgestrahlt. Wiedererstanden ist ein spektakulär schöner Treppenraum. Seine Alternative ist ein neuer gläserner Fahrstuhlturm, der mit denkmalpflegerisch korrektem Abstand zum Altbau in den Hof gesetzt wurde. Oben ist durch Entfernen nachträglich eingezogener Zwischenwände ein großes lichtdurchflutetes Foyer vor dem Festsaal entstanden.

Die eigentliche Sensation wartet unter dem Dach des Mitteltraktes. Dort entdeckte man hinter den Gipskartonplatten und abgehängten Decken des maroden und zuletzt feuerpolizeilich gesperrten Aktzeichensaals den „Schiffsdachboden“ der ersten Bauphase von 1816. Speziell ist das hier angewandte System der aus drei Brettern zusammengenagelten Bogenbinder nach dem System des französischen Renaissance-Architekten Philibert Delorme, das seinerzeit eine stützenfreie Eindeckung des 20 mal 24 Meter großen Raumes ermöglichte. Vor 100 Jahren wurde der gesamte Dachstuhl im Zuge der Aufstockung des Gebäudes mit beim Bau des Suezkanals verwendeten Hebemaschinen um ein Geschoß angehoben.

Dass das Bundesdenkmalamt nach dem Nachweis der notwendigen Brandsicherheit eine außen liegende Isolierung des Daches erlaubte, erhöhte die neu eingedeckte Kuppel um unmerkliche 18 Zentimeter, vor allem aber ermöglichte es unter Mitarbeit des Statikers Robert Krapfenbauer die Entstehung eines spektakulären zwölf Meter hohen Saals mit offenem, unverkleidetem Dachstuhl. Interventionen der letzten Jahrzehnte wie die im unteren Bereich eingebrochenen Fenster wurden ebenso beibehalten wie die Altersspuren an den knapp 200 Jahre alten Holzbindern. Notwendige neue Eingriffe wie etwa die Zu- und Abluftpaneele mit Eichenholz wurden aber deutlich von den alten Dachstuhlkonstruktionen in Fichte abgesetzt. In den aus Brandschutzgründen notwendigen neuen Boden in Stahlbetonkonstruktion wurde eine Fußbodenheizung integriert. Zwei Ebenen nach oben gerichteter Strahler plus ein an filigranen Metallleisten abgehängtes Spot-System machen den mit klassischen Arne-Jacobsen-Stühlen in Dunkelblau ausgestatteten Raum zu einem gekonnt inszenierten architektonischen Highlight. Dank einer hochprofessionellen Akustikplanung durch das Münchner Büro Müller-BBM bietet er einen großartigen Rahmen nicht nur für alltägliches studentisches Arbeiten, sondern auch für Musikaufführungen.

Mit der Fertigstellung der Umbauten im Mitteltrakt sind, so Manfred Nehrer, rund zehn Prozent der von der Arbeitsgemeinschaft NMPB und Helmut Neumayer geplanten Interventionen realisiert. Der Kostenrahmen von 2006 wurde dabei eingehalten. Weiter geplant ist die Anfügung zweier Vorbauten im Westteil des TU-Komplexes, vor allem ein in die Erde eines bislang kaum genutzten Hofes an der Wiedner Hauptstraße gegrabenes neues Audimax mit amphitheaterartigem Open-Air-Bereich. Dafür soll im Sinne des neuen Erschließungs- und Durchwegungskonzepts ein neuer Zugang zum Areal von der Wiedner Hauptstraße entstehen. Mit der Schaffung neuer Raumreserven müsste die TU bei großen Veranstaltungen dann nicht mehr externe Räumlichkeiten für viel Geld anmieten. Umso mehr ist es zu bedauern, dass für die Realisierung der weiteren Bauabschnitte derzeit keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Angemessenheit und Nachhaltigkeit auch in der formalen Instrumentierung nennt Manfred Nehrer immer wieder als zentrale Prämissen seiner Arbeit, gerade beim Bauen im Bestand. Neue Interventionen werden dabei konsequent zeitgenössisch instrumentiert. Dabei besitzt die Architektur von NMPB die Souveränität, sich im Bedarfsfall auch zurückzunehmen, ohne sich jedoch unsichtbar zu machen, und damit letztlich im Sinne des Baus selbst zu agieren.

Spectrum, Sa., 2009.11.21



verknüpfte Bauwerke
Umbau TU Wien

17. Oktober 2009Iris Meder
Spectrum

Becken mit Kunstblick

Die Lage könnte kaum besser sein. Der Umgang mit historischer Bausubstanz auch nicht. Wie sich das Badner Frauenbad zum Arnulf-Rainer-Museum wandelte.

Die Lage könnte kaum besser sein. Der Umgang mit historischer Bausubstanz auch nicht. Wie sich das Badner Frauenbad zum Arnulf-Rainer-Museum wandelte.

Wer stilgerecht mit der Badner Bahn anreist, sieht sich bei der Ankunft am Josefsplatz dem Arnulf-Rainer-Museum direkt gegenüber. Die Lage könnte nicht besser sein. Die Location: das ehemalige Frauenbad. Nun ist es in Baden so, dass allerorten Gebäude stehen, die mit „-bad“ endende Aufschriften tragen: Leopoldsbad (Sitz des Tourismusamtes), Josefsbad (beherbergt eine Bar), Franzensbad (heute ein Hamam, immerhin), Johannesbad (heute „Theater am Steg“). Die für Baden kennzeichnenden kleinen Badehäuser direkt über den einzelnen Schwefelquellen, zumeist aus der Zeit des Vormärz, sind allesamt nicht mehr in ihrer ursprünglichen Nutzung in Betrieb.

Das Frauenbad, 1821 nach Entwürfen von Charles de Moreau gebaut und bis 1973 als Bad in Betrieb, war, mit Umbauten des späten 19. Jahrhunderts, in seiner Substanz gut erhalten. Als moderner Franzose seiner Zeit war Moreau von der „Revolutionsarchitektur“ Claude-Nicolas Ledoux' und Etienne-Louis Boullées beeinflusst und einer starken Liebe zum Strengen, Stereometrischen verpflichtet, die seine Bauten, neben denen des in Baden ebenfalls gut beschäftigten Joseph Kornhäusel, hierzulande zu den bedeutendsten ihrer Zeit zählen lässt.

Ist bei historischen Gebäuden mit spezieller Bauaufgabe wie Bädern viel Originalsubstanz erhalten und kommt daher der Denkmalschutz ins Spiel, sind bei Nutzungsänderungen mehr denn je intelligente Konzepte gefragt. Gerade bei den unrentabel gewordenen großen Hallenbädern der Jahrhundertwende sind museale Nutzungen nicht selten. Vor allem in Deutschland mit seinem großen Bestand an Volksschwimmbädern werden mehrere Bäder museal oder als Theaterspielstätten genutzt. Auch das Frauenbad – nicht etwa ein Bad nur für Frauen, sondern nach der benachbarten Frauenkirche benannt – wurde seit 1977 für Ausstellungen genutzt. Die erste war Arnulf Rainer gewidmet.

Als vor ein paar Jahren das Land Niederösterreich beschloss, dass nach Hermann Nitsch und Adolf Frohner auch Rainer ein eigenes Museum bekommen sollte, wünschte sich Rainer keinen Neubau, sondern dezidiert das Frauenbad als Standort. Keinen neutralen „White Cube“ also, sondern einen Bau mit Geschichte, architektonisch und damit auch semantisch stark definiert und in seiner historischen Substanz praktisch nicht antastbar. Keine leichte Aufgabe für Architekturbüros. Aus einem 2006 ausgeschriebenen, zweistufigen Wettbewerb ging die junge Wiener Arbeitsgemeinschaft Lottersberger-Messner-Dumpelnik siegreich hervor.

Gegeben war ein an seiner Fassade streng symmetrischer, im Grundriss aber aufgrund der zwei unter den Becken sprudelnden Schwefelquellen asymmetrischer und seines städtebaulichen Zusammenhangs wegen trapezoider Baukörper. Das Konzept des Teams Lottersberger-Messner-Dumpelnik war im Wesentlichen ein Rückführen auf die architektonische Substanz. Am Äußeren signalisiert neben einer hellen Beleuchtung der Kolonnadenzone ein quaderförmiger Dachaufbau mit nach dem Vorbild von Karl Schwanzers Wiener „Zwanzgerhaus“ darauf angebrachter Rainer-Signatur in Neonblau die neue Codierung des Gebäudes. Die Dachlaterne wurde hierfür mit zwei Schichten transluzenten Lochblechs umhüllt, die in der Bewegung der sich Nähernden beabsichtigte Moiré-Effekte entstehen lassen. Zur Architektur des statischen klassizistischen Gebäudes kommen so kleine Bewegungsmomente.

In das Foyer, wo neue Infrastruktur für Kassen, Shop und Garderobe nötig war, stellten die Architekten eine Baldachin-Konstruktion in weiß gewachster Mooreiche. Die fahle Farbe und die haptische Materialität des Holzes ziehen sich durch das ganze Haus und kennzeichnen die zeitgenössischen Eingriffe, die hauptsächlich der Erschließung der Ausstellungsräume dienen. Die zurückgenommene Farbigkeit des Holzes korrespondiert hier mit den kühlen, noblen Marmorwänden der Becken und den neuen, weißen Terrazzoböden. Das im „Stundenbad“, einem kleinen Extrabecken, erhaltene alte Bodenmosaik blieb unangetastet.

Nicht verändert wurde, bis auf den neuen Terrazzoboden, auch der zentrale Festsaal mit gemaltem Marmordekor, für den eine sich anbietende Café-Nutzung bisher nicht durchgesetzt werden konnte. Seitlich sind über den Festsaal die Ausstellungsräume in den Becken und den dahinterliegenden Umkleidetrakten zugänglich. Über den beiden Becken des Frauen- und des kleineren Karolinenbades wurden die Anfang der Neunzigerjahre eingezogenen Glasböden entfernt und die Becken als solche stärker wahrnehmbar gemacht, als sie im gefüllten Zustand je waren. Es haben sich dadurch hohe Ausstellungsräume ergeben, die man einerseits durch Hinuntersteigen, andererseits auf Wasserspiegelebene über Holzstege und Aussichtkanzeln mit Glasbrüstungen betritt.

In den Umkleidebereichen wurden jeweils an einer Seite des Raumes die weiß gestrichenen Kabanen an Ort und Stelle erhalten. Darin werden, bei entfernten Türen, im Halbjahresrhythmus wechselnd, kleinere Einzelarbeiten Rainers gezeigt. Neu eingezogen wurde in diesem Bereich die leichte Konstruktion einer Zwischenebene für Bibliothek und Filmprojektionen.

Die Architektur wurde hier, durchaus im Sinne einer Re-Interpretation der Moderne, in sehr nüchterner Weise auf ihre wesentlichen Prinzipien zurückgeführt. Mit Rainers Arbeiten verträgt sich das sehr gut. Dass im Merchandising-Sortiment des Museums hellblau bestickte Gästehandtücher mit Rainer-Signatur zu erstehen sind, mutet da eher wie eine seltsame Fußnote an. Hoch anzurechnen ist es der Stadt Baden jedenfalls, dass den Architekten des Museums auch die Neugestaltung des Josefsplatzes übertragen wurde, der sich derzeit als wirres Agglomerat von halbhohem Gebüsch rund um die beiden Gleise der Badner Bahn präsentiert. Die unaufgeregte Herangehensweise von Lottersberger-Messner-Dumpelnik wird dem Platz mit Sicherheit guttun.

Spectrum, Sa., 2009.10.17



verknüpfte Bauwerke
Arnulf Rainer Museum

12. September 2009Iris Meder
Spectrum

Wer war Max Fellerer?

Als öde, karg und ärmlich hat man sie geschmäht, die Bauten Max Fellerers. Dabei war der Architekt ein bedeutender Vertreter einer unprätentiösen, antimonumentalen Moderne.

Als öde, karg und ärmlich hat man sie geschmäht, die Bauten Max Fellerers. Dabei war der Architekt ein bedeutender Vertreter einer unprätentiösen, antimonumentalen Moderne.

Bauten wie die von Max Fellerer haben es schwer, eine Lobby zu finden. Großteils in den Jahren des Wiederaufbaus nach 1945 entstanden und weniger dem schicken Espresso-Stil der Fifties als der reduzierten, schlichten Tradition der Wiener Vorkriegsmoderne verbunden, haben die Bauten Fellerers das Los, vielfach als öde, karg und ärmlich betrachtet zu werden – im Sinne von Josef Frank und seiner Beurteilung durch Hermann Czech als „Architektur, die nur spricht, wenn sie gefragt wird“.

Solche Architektur läuft natürlich Gefahr, einfach übertönt zu werden. Schon in den Achtzigerjahren musste das von Fellerer gemeinsam mit Carl Appel und Eugen Wörle geplante Haashaus am Stephansplatz dran glauben, um dem Neubau von Hans Hollein Platz zu machen. Dummerweise wurde dabei von den zahlreichen bestenfalls mittelmäßigen Nachkriegsbauten gegenüber der Domfassade ausgerechnet jener mit der höchsten architektonischen Qualität abgerissen. Beschlossene Sache sind der umfassende Umbau des von Fellerer mit seinem 20 Jahre jüngeren Büropartner Eugen Wörle realisierten Plenarsaals des Parlaments und der Abriss der vor 50 Jahren fertiggestellten Erweiterung des Finanzministeriums zwischen Himmelpfortgasse und Kärntner Straße.

Wenn sich Max Fellerers Geburtstag heuer am 15. Oktober zum 120. Mal jährt, wird diese Tatsache an seiner derzeit als Kulturhauptstadt Europas im Licht der internationalen Öffentlichkeit stehenden Geburtsstadt Linz wohl unkommentiert vorübergehen. Dabei hat Fellerer für seine Heimatstadt um 1930 mit dem Handel-Mazzetti-Hof und der Miethausanlage Poschacherwiese mehrere größere Wohnbauten im Sinne einer unprätentiösen, antimonumentalen Moderne entworfen. Im großstädtischen Kontext ist Fellerer/Wörles 1935 entstandener, nicht realisierter Entwurf für das Wiener Funkhaus dem hocheleganten Funktionalismus Le Corbusiers verpflichtet.

Studien bei Carl König an der Wiener Technischen Hochschule, bei Otto Wagner an der Akademie und bei Josef Hoffmann an der Kunstgewerbeschule, der heutigen „Angewandten“, boten Fellerer das gesamte Spektrum der Architektenausbildung seiner Zeit. Zunächst war er Büroleiter Hoffmanns, danach wurde er von Clemens Holzmeister angeworben, dessen Projekte er, wie er seinem Freund Milan Dubrovic anvertraute, eigentlich schauerlich fand. Holzmeisters dröhnende Kraftlackel-Attitude konnte dem rationalen Fellerer, dem die zurückhaltende, reflektierte Moderne eines Oskar Strnad weit mehr lag, kaum entsprechen. Mit zwei Reihenhäusern an der Wiener Werkbundsiedlung beteiligt, schaffte es Fellerer als einer von wenigen, sich nicht Josef Franks lebenslangen Hass zuzuziehen, obwohl er 1933 mit Holzmeister und Hoffmann dem „Neuen Werkbund Österreichs“ beitrat, der gegen den „Allerwelts-Internationalismus“ des Frank-Kreises mit einem Arierparagrafen anging.

Fellerers Beitritt zum „Neuen Werkbund“ ist als Akt der Loyalität gegenüber seinem Chef und keinesfalls als (kultur-)politisches Statement zu sehen. Zu fest war Fellerer im skeptischen Denken der Wiener Moderne verwurzelt. Bewohner des Hochhauses in der Herrengasse und Stammgast des benachbarten Café Herrenhof, frequentierte er mit Größen wie Robert Musil, Alfred Polgar und Leonhard Frank die intellektuellen Salons der Ersten Republik. Nach 1938 gehörte er mit den Familien seines Bruders Josef und seines Hochhausnachbarn Milan Dubrovic zum Kreis des Bauernhauses in Hochrotherd im Wienerwald, das die emigrierte Anna Freud den Besitzern des Manz-Verlages verkauft hatte, um es nicht in nationalsozialistische Hände fallen zu lassen. Das Haus wurde ein Zentrum von intellektuellen Nazigegnern, denen die horrible Zeit und persönliche Lebensgefahr nicht ihren anarchischen Humor zu nehmen vermochten. Von seinem Direktorsposten an der Kunstgewerbeschule war Fellerer unmittelbar nach dem „Anschluss“ zurückgetreten. In seiner Atelierwohnung im Hochhaus, die er seit 1939 mit der Kostümbildnerin Erni Kniepert bewohnte, nahm er verfolgte jüdische Freunde und Nachbarn wie den Arzt und Kunstsammler Paul Singer und dessen Frau, die Schauspielerin Eva Geyer, auf.

Nach 1945 hatte Fellerer wieder die Leitung der Kunstgewerbeschule inne. Mit Erich Boltenstern, Oswald Haerdtl und Otto Niedermoser gehörte er zu den an einer Hand abzählbaren Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich weder politisch noch architektonisch kompromittiert hatten. Unter diesen wurden nun die großen Projekte des Wiederaufbaus der Kultur- und Regierungsbauten am Ring aufgeteilt. 1953 wurde er gemeinsam mit Roland Rainer und den internationalen Stars Kenzo Tange, Pierluigi Nervi und Alvar Aalto zum Wettbewerb für die Wiener Stadthalle geladen. Von den in dieser Zeit entstandenen Salzburger Hotelum- und -neubauten Österreichischer Hof, Goldener Hirsch, Kultur- und Kongresshaus, Parkhotel Mirabell und Paracelsusbad ist ebenso wenig erhalten wie von ihren zahlreichen Geschäftseinrichtungen in der Wiener Innenstadt.

Ab 1947 waren Fellerer/Wörle am Bau der mit schwedischer Finanzhilfe gebauten Per-Albin-Hansson-Siedlung beteiligt, deren Konzept einer gemischten Reihenhaus- und Stockwerksbebauung mit privaten und öffentlichen Freiräumen noch heute funktioniert. Vor 60 Jahren wurde ihr wohl populärstes Werk fertiggestellt: der Neubau des kriegszerstörten Strandbades Gänsehäufel, dessen vor Kurzem sorgsam restaurierte filigrane Sichtbetonkonstruktionen nach wie vor die Augen vieler Badegäste erfreuen. Ein weiteres, unbekannteres Highlight ist der 1952–1958 entstandene Concordia-Hof neben der Kirche Maria am Gestade.

Fellerer starb er am 27. März 1957. Sein Büropartner Eugen Wörle, dem das Architekturzentrum Wien Anfang dieses Jahres eine kleine Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag widmete, lebte und arbeitete bis 1996. Die erste und bislang einzige Fellerer-Ausstellung richtete 1967 die Österreichische Gesellschaft für Architektur aus. Neben einem Besuch des Gänsehäufels empfiehlt sich auf den Spuren Fellerers und Wörles eine Einkehr in der Restaurant-Veranda des Tulbingerkogel-Hotels nahe Wien. Die nüchtern-moderne, bescheidene Sprache des 1932 gebauten Hotels in großartiger Wienerwald-Panoramalage steht in der besten Tradition der Wiener Moderne. Die vor wenigen Jahren realisierte Erweiterung durch das Büro Archisphere fügt dem Komplex einen adäquaten zeitgenössischen Teil hinzu. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung für die Architektur von Max Fellerer.

Spectrum, Sa., 2009.09.12



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Fellerer Max

24. Juli 2009Iris Meder
Spectrum

Becken, Bäder und Beton

Ins Freibad gehen, das hieß einmal: tropfendes Eis am Stiel und am rauen, knalltürkis getünchten Betonbecken aufgeschürfte Knie. Und heute? Aktuelle Freibadarchitektur in und um Österreich.

Ins Freibad gehen, das hieß einmal: tropfendes Eis am Stiel und am rauen, knalltürkis getünchten Betonbecken aufgeschürfte Knie. Und heute? Aktuelle Freibadarchitektur in und um Österreich.

Ins Freibad gehen – das hieß einmal: Schulferien, brütende Hitze, der Geruch nach Sonnencreme, ein Fettfilm auf der Wasseroberfläche, in altem Öl fritierte Pommes Frites, Ketchupflecken auf dem Badetuch, tropfendes Eis am Stiel. Und an rauen, knalltürkis gestrichenen Betonbecken aufgeschürfte Knie.

Zumindest die müssen Freibadbesucher heute weniger befürchten. An die Stelle der betonierten Becken sind vielfach solche aus Edelstahl getreten, wenn man nicht sowieso in Seen und auch wieder in Flüssen schwimmt, die noch in den Siebzigern oft durch Industrie-Abwässer verseucht waren. Allerorten werden Sommerbäder saniert, erweitert, revitalisiert oder neu gebaut. Dabei gibt es zunehmend Alternativen zum auch schon wieder in die Jahre gekommenen Konzept des „Erlebnisbades“ mit vorbereiteten, fertig gelieferten Attraktionen.

Klassiker der Neunziger sind mittlerweile schon Luger & Mauls unprätentiöse Holzbauten der Badeanlage Häupl in Mühlbach und des Seecamping Gruber in Nussdorf am Attersee. Über ein Seebad der besonderen Art verfügt Lunz: die von Hans Kupelwieser entworfene Seebühne, die außerhalb der Spielzeit als Liegefläche des Bades fungiert. Sie wurde mit dem österreichischen Baupreis 2005 prämiert.

Wer Seebad sagt, muss natürlich auch Kaltern sagen. Das von the next ENTERprise und den Landschaftsplanern Land in Sicht gestaltete Freibad mit seinem schwebenden Becken inklusive Boden-Gucklöchern zu den im Becken strampelnden Beinen ist mittlerweile legendär und ein schönes Beispiel dafür, wie ein „Erlebnis“ auch im Setting ambitionierter Architektur bestehen kann.

Historische Fluss- und Seebäder wie etwa die Holzkonstruktionen im Kamptal, das 1930 angelegte Millstätter Bad oder das 1927 von Franz Gessner entworfene Seebad in Gmunden am Traunsee, das 1994 von Hinterwirth Architekten saniert wurde, sind mit ihren charmanten Holzpavillons nach wie vor attraktiv. Aus den Zwanzigerjahren stammt auch das Freibad in Bleiburg, das 1996 behutsam und zurückhaltend erweitert wurde. Der Entwurf von Peter Fleiß führt mit den Materialien Edelstahl für die Becken, roh belassenem Holz für die Nebengebäude und Beton für die Erschließungsbereiche die dezent expressive Sprache der Zwanziger adäquat mit den Mitteln der Gegenwart weiter.

In Schrems revitalisierten der Architekt Thomas Konrad und der Landschaftsplaner Jakob Fina das naturnahe Moorfreibad. Eingebettet in einen Landschaftspark mit alten Bäumen, genießt das Bad eine privilegierte Lage. Dem Konzept der „Parkbäder“ folgend, wie sie vor allem in der Schweiz seit den Dreißigerjahren angelegt wurden, können hier Architektur und Landschaftsplanung zeigen, wie die Bauaufgabe des Open-Air-Schwimmbades die Landschaftswahrnehmung bereichern kann. Die Bauten von Thomas Konrad geben sich als schlichte Pavillons, Holz und Glas machen die subtil in die Landschaft eingebetteten flachen Quader zusätzlich leicht und transparent. In den unregelmäßig geformten Badebereich führen mehrere Stege, die mit warmen, roh belassenen Holzplanken belegt sind.

Wenig Veränderung war bei der denkmalpflegerisch begleiteten Restaurierung und Sanierung der Sichtbeton-Pavillons des Wiener Gänsehäufels nötig. Max Fellerers und Eugen Wörles Klassiker der Nachkriegsjahre hat sich in seiner Anlage mit teils auf zwei Fußgängerebenen geführter Erschließung bis heute beispielhaft bewährt.

In Linz haben Spittelwiese Architekten gemeinsam mit 3:0 Landschaftsarchitektur das Hummelhofbad von 1960 vorbildlich modernisiert. Die Sanierung und Erweiterung der in einer Waldumgebung gelegenen Anlage mit Frei- und Hallenbad bringt die Qualitäten der Nachkriegsmoderne zur Geltung und bereichert sie durch die infrastrukturellen Ergänzungen, die die Gegenwart verlangt. Die Bepflanzung mit hell blühenden Stauden, Zwiebelpflanzen und dunklen Hecken als Hintergrund inszeniert das Bad vor der Folie des angrenzenden Hummelhofwaldes unaufdringlich als die „Wellness-Oase“, als die ein Freizeitbad zusätzlich zu seinen Sport-Facilities heute fungieren muss.

Jenseits der Landesgrenze ist in Brünn neben dem funktionalistischen städtischen Freibad von Bohuslav Fuchs die Erweiterung mit weitgehendem Neubau des Frei- und Hallenbades Kraví hora sehens- und schwimmenswert. Das vom ortsansässigen Atelier DRNH geplante Bad bietet einen spektakulären Blick über die Stadt und zurückgenommene Architektur mit subtilem Einsatz von Holz und Stein. In der Umgebung finden sich neben dem Jugendstil-Thermalfreibad von Jurkovič Dušan im Kurort Luhačovice neue Freibäder in Litomišl von Hruša & Pelcák, in Mokrá von Petr Hovorák/Aleš Putna sowie in Znaim vom Büro Burián Krivinka.

Für das 1974 nach Entwürfen der Architektin Herta Rottleuthner-Frauneder gebauteWellenbad Gleisdorf in der Oststeiermark gabes keine Rettung. Ein Neubau des Büros Pittino & Ortner setzt auf kompromisslos zeitgenössische Architektur mit geneigten Ebenen, schrägen Sichtbetonwänden und einer auskragenden Restaurant-Terrasse. Auch das ursprünglich ebenfalls von Rottleuthner-Frauneder entworfene Frei- und Hallenbad Graz-Eggenberg konnte nicht erhalten werden. Derzeit entsteht an seiner Stelle der Neubau eines Sport- und Wellnessbades nach Entwürfen des Wiener Büros fasch&fuchs.

Auch beim Frei- und Hallenbad Amstetten lohnte der Erhalt des bestehenden Baus bis auf den jüngsten Saunazubau nicht. Den Neubau des „Naturbades“ planten Zechner & Zechner mit der Landschaftsarchitektin Cordula Loidl-Reisch als filigranen, öffenbaren Stahl-Glas-Quader mit Buchten, Inseln und Uferzonen im Freibereich.

Der jüngste Neuzugang im Bereich Naturbad – so werden die in die Landschaft eingebetteten einstigen „Parkbäder“ heute bezeichnet – findet sich im Pürgg-Trautenfels, Steiermark. Den zurückhaltenden Holzbau des kleinen Bades in idyllischer Lage mit weitem Landschaftspanorama, ausgezeichnet mit dem steirischen Holzbaupreis, entwarf das Büro KREINERarchitektur. Rückgrat der Anlage ist ein Holzsteg, der alle Bereiche erschließt, aber auch – nicht unwichtig in Freibädern – als Bühne für (Selbst-)Inszenierungen aller Art fungiert. Ein Thema der Zukunft werden, im Sinne einer Anpassung des Begriffes Naturbad auch an ökologische Prämissen, selbstreinigende Bäder wie das von den Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf in Biberstein im Schweizer Kanton Aargau realisierte Bio-Schwimmbad sein. Wir freuen uns darauf. Und jetzt bitte eine große Portion Pommes Frites mit Ketchup.

Spectrum, Fr., 2009.07.24

27. Juni 2009Iris Meder
Spectrum

Der Mann, der alles kann

Typograf, Surrealist, Konstruktivist, Plastiker, Raumplaner, Architekt – und noch so manches mehr: der Bauhäusler Herbert Bayer, dem eine Ausstellung in Linz gewidmet ist.

Typograf, Surrealist, Konstruktivist, Plastiker, Raumplaner, Architekt – und noch so manches mehr: der Bauhäusler Herbert Bayer, dem eine Ausstellung in Linz gewidmet ist.

Der Mann war ein Phänomen. Fotografie, Architektur, Grafik, Malerei, Typografie, Plastik, Assemblage, Wandmalerei, Fotomontage, Ausstellungsdesign, Tapisserie, bis hin zur Landschaftsarchitektur: Herbert Bayer konnte alles. Insofern war er vielleicht ein idealtypischer Bauhäusler – befähigt in allen Sparten durch die Ausbildung an einer Schule, an der zunächst Architekten fast ausschließlich von Malern unterrichtet wurden. Klee, Kandinsky, Feininger – Einflüsse, die jedoch eindeutig einer anderen Generation angehörten.

Ähnlich Marcel Breuer, der so nebenher mit Anfang 20 schnell mal das Möbeldesign des 20. Jahrhunderts revolutionierte, stammte Bayer aus der Provinz, aus einem wohl liberalen, aber nicht außergewöhnlichen bürgerlichen Elternhaus. In Haag am Hausruck zu Beginn des Jahrhunderts geboren und in Linz aufgewachsen, besuchte er dort ab 1919 die neu gegründete private Mode- und Kunstgewerbeschule des Architekten Georg Schmidhammer. Zwei Jahre später zog es ihn zum aus Wien stammenden Emanuel Josef Margold auf die postsecessionistische Mathildenhöhe nach Darmstadt. Die Wiener Kunstgewerbeschule, wo zu dieser Zeit Heinrich Tessenow, Josef Hoffmann, Oskar Strnad und Josef Frank unterrichteten, scheint keine Option gewesen zu sein – das wurde sie erst 1937, als das Leben und Arbeiten in Deutschland für Bayer bereits unerträglich geworden war und er eine Auswanderung nach Wien in Betracht zog. Ob Direktor Max Fellerer auf Bayers informelles Bewerbungsschreiben reagierte, ist nicht überliefert.

Bayers endgültiges Erweckungserlebnis dürfte die Lektüre von Wassili Kandinskys Buch „Über das Geistige in der Kunst“ gewesen sein. Sie ließ den erprobten Wandervogel (der sich Zeit seines Lebens nach den österreichischen Bergen sehnte) zu Fuß nach Weimar ziehen. Dort tobte die Moderne. Zu Gropius, Muche, Itten, Schlemmer und Kandinsky kam 1923 László Moholy-Nagy, nur fünf Jahre älter als Bayer selbst. Mit ihm zog eine neue Gebrauchsgrafik ein, Kleinschreibung inklusive.

Bayer wurde, mit Mitte 20, schnell Werkstättenleiter und der prominenteste Bauhaus-Grafiker, immer im Bewusstsein der Bedeutung eines guten Eigenmarketings. Auf der Kleinschreibung seines Namens bestand er noch, als Frakturschrift bereits nationalsozialistisches Dogma war, etwa im 1936 gestalteten Buch „Spuren zum Kampf“ des nach den Februarkämpfen aus politischen Gründen nach Deutschland emigrierten Tiroler Skiläufers Hellmut Lantschner.

Das Potenzial von Bayers konsequent moderner Werbegrafik erkannte offenbar auch Josef Goebbels – an offiziellen Aufträgen mangelte es nicht. 1934 gestaltete Bayer, der mit seiner jüdischen Exfrau, der Fotografin Irene Hecht, lebenslang eng befreundet war, die Ausstellung „Deutsches Volk, deutsche Arbeit“, offenbar ohne unüberwindbare Gewissenskonflikte. Parteipolitisch nicht engagiert, besaß Bayer allerdings doch eine solide humanistische Grundeinstellung, die es ihm, nicht nur infolge der Präsenz eigener surrealistischer Arbeiten in der Ausstellung „Entartete Kunst“, endgültig unmöglich machte, in Deutschland zu leben, als durch den „Anschluss“ auch der ihm wichtige Rückzugsbereich Österreich eliminiert war.

Spät, in den Fünfzigerjahren, kam Bayer doch noch dazu, Architektur zu machen, im als eine Art permanentes Alpbach konzipierten Skiort Aspen/Colorado, wo er mit seiner zweiten Frau auch seinen permanenten Wohnsitz nahm. Skulpturenparks entstanden dort nach seinen Entwürfen, Land-Art-ähnliche Landschaftsgestaltungen, Verwaltungs- und Seminargebäude für das „Aspen Institute for Humanistic Studies“, Wohnungen für Stipendiaten und Dozenten, nicht eigentlich bahnbrechend, aber jener soliden zeitgemäßen Moderne verbunden, wie sie die anderen emigrierten Bauhäusler in dieser Zeit in den USA vertraten: Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius. Später kamen große primärfarbige Plastiken auf Plätzen und Verkehrsinseln hinzu, in der Art der konkreten Kunst Schweizerischer Provenienz. Einflüsse Japans, Mexikos, Marokkos brachten immer neue Nuancen in Bayers Arbeiten.

Was ist nun das Besondere an Bayer, dem kongenialen Typografen, dem Surrealisten, Konstruktivisten, Fotomonteur, Plastiker und Raumplaner? Der Vergleich mit gegenwärtigen Architekten, die medientaugliche Trademark-Signets routiniert über Funktionen und Dimensionen stülpen und nebenher auch Teekannen, Zahnbürsten und Teppiche in analoger „Designer-Optik“ ausstoßen, macht das Besondere an Bayer deutlich: die Angemessenheit an das Medium, an den Zweck – ein eigentlich simpler Grundsatz der Moderne –, aus dem ein Werk entstand. Ein Werk, das beispielhaft Gropius' Diktum „Einen Bauhausstil gibt es nicht“ illustriert.

Ebenso wenig ist ein „Bayerstil“ auszumachen. Das berühmte surrealistische Selbstporträt mit fragmentierter Achsel und ein collagiertes „Denkmal für die Gefühle eines sentimentalen Klempners in Salzburg“ gestaltete Bayer ebenso überzeugend wie Offset-Schrifttypen, ein Inserat für „Adrianol-Emulsion gegen Heuschnupfen“ oder den 1977 realisierten „Orgelbrunnen“ vor dem Linzer Brucknerhaus. Immer mit einer entschiedenen Offenheit für Neues und einer nie versiegenden Bereitschaft zum Experiment.

Wir möchten uns Bayers Widmung auf einem Foto von 1933 anschließen, das ihn selbst, Xanti Schawinski und Walter Gropius (noch) herzhaft lachend zeigt, und damit dem Titel der Linzer Ausstellung, in bauhäuslerisch korrekter Kleinschreibung: „ahoi! herbert“.

Spectrum, Sa., 2009.06.27

29. März 2009Iris Meder
Spectrum

Gefalzt, geknickt, gelocht

Kunstschmied, Designer, Architekt. Gründungsmitglied der „Ecole de Nancy“ und der konsequenteste unter den Funktionalisten: Jean Prouvé. Eine fällige Wiederentdeckung. Jetzt im Wiener Hofmobiliendepot.

Kunstschmied, Designer, Architekt. Gründungsmitglied der „Ecole de Nancy“ und der konsequenteste unter den Funktionalisten: Jean Prouvé. Eine fällige Wiederentdeckung. Jetzt im Wiener Hofmobiliendepot.

Die Geschichte passt zu Jean Prouvé:Eines Tages kaufte er sich einen gebrauchten „Voisin“, eine jener Luxuskarossen, die Le Corbusier stets bei Fototerminen sorgfältig vor seinen Häusern zu platzieren pflegte. Prouvé lag aber nichts an der effektvollen Präsentation von „KFZ-Design meets Architektur“. Er erwarb das Gefährt vielmehr, um es zu zerlegen und damit dem konstruktiven Kern der Gestaltung ein wenig näher zu kommen.

Er war vielleicht der konsequenteste aller Funktionalisten. Als Sohn des Jugendstilkünstlers Victor Prouvé, Gründungsmitglied und einer der berühmtesten Köpfe der in der Hauptstadt von Lothringen beheimateten „Ecole de Nancy“, war Prouvé mit den Eigenschaften von Metallblechen seit seiner Jugend vertraut. Anders als seine Brüder studierte er aber nicht Architektur, sondern startete seine Karriere auf der Basis einer Ausbildung zum Kunstschmied.

Prouvé hielt sich nie mit der funktionalistischen Lieblingstheorie auf, die Form ergebe sich sozusagen in eindeutiger kausaler Relation aus den Anforderungen an die Funktion. So wenig wie es eine einzige Funktion gibt, das dürfte ihm klar gewesen sein, kann nur eine einzige daraus entwickelte mögliche Form die Konsequenz sein. Wohl aber hatte Material, im Gegensatz zum Abstraktum „Funktion“, klar definierbare chemische und physikalische Eigenschaften. Die Form entwickelte Prouvé folgerichtig aus den Erfordernissen des Materials und dessen möglichst rationeller Verarbeitung zu möglichst stabilen und gleichzeitig leichten Strukturen.

Mit dem Glamour des Art Déco hatte der 1901 Geborene demgemäß nur einen kurzenFlirt, als er im Alter von 26 Jahren vom Architekten Robert Mallet-Stévens für das Metallgitter eines Hauseingangs herangezogen wurde. Prouvés Gitter fiel geometrisch und sehr elegant aus, ist aber zugleich von jener lapidaren Nüchternheit, die sein gesamtes Werk kennzeichnet. – Gegen das Pathos des Stahlrohr-Modernismus immunisierte Prouvé bereits seine Abneigung gegen Rohrkonstruktionen. Lieber pflegte er sein Steckenpferd der trapezoid verjüngten Formen bei konstruktiven Elementen, sei es bei Tragstrukturen großer stützenfreier Gebäude, sei es bei Stuhlbeinen. Bereits in den Dreißigern antizipierte er so die Formensprache der Fünfzigerjahre. An deren filigraner Beschwingtheit lag ihm freilich wenig. Prouvés Design ist „brut“, es ist trocken wie der ungezuckerte Champagner der Witwe Clicquot.Billiges Sperrholz trifft auf Blech, mit sichtbaren Schrauben und groben Schweißnähten, aus Gründen der Stabilität gerne gefalzt, geknickt, durchlöchert oder an den Ecken abgerundet. Schiere Ökonomie und konstruktiver Pragmatismus, so scheint es, sind hier ohne jedes Funktionalismus-Pathoszum Gestaltungsprinzip gemacht.

Dabei bewies Prouvé immer Improvisationstalent, etwa wenn er die blechernen Wandelemente der Maison du Peuple in Clichy kurz entschlossen mit Bettfedern nachbesserte, um das störende Knacken bei Temperaturunterschieden zu dämpfen. Ein weiteres seiner Meisterstücke ist die 1957 entstandene Trinkhalle von Évian, die ihre faszinierende optische Schwerelosigkeit aus dem Ersetzen von Druck- durch Zugkräfte erhält. Ein anderes Chef-d'?uvre ist die 1953 realisierte Fassade eines Appartementhauses am Pariser Square Mozart. Das Gebäude mit den beweglichen Blechpaneelen bekommt durch die Aktivitäten der Bewohner und die daraus resultierenden Verschiebungen der Fassadenelemente immer ein anderes Gesicht.

Bei aller materialtechnisch bedingten Formgebung war Prouvé in seinem Bestreben, die inneren Kräfteverläufe sichtbar zu machen, klug genug, das ästhetische Potenzial der Konstruktion immer mitzudenken. Ersetzte es schlussendlich so virtuos wie kaum ein anderer in Szene. Mit Le Corbusier und dessen Mitarbeiterin Charlotte Perriand arbeitete er immer wieder zusammen. Im Gegensatz zu den Stahlrohr-Ikonen von Le Corbusier, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe vermag man sich aber Möbelstücke wie Prouvés „Antony“-Sessel schwerlich in Anwaltskanzleien und Bankzentralen vorzustellen. Prouvé – wie seine jüngste Tochter Catherine berichtet, ein passionierter Stuhlkippler – gab seinen Sitzmöbeln zur Sicherheit eine Tragfähigkeit von 400 Kilogramm. Was man ihnen durchaus ansieht. Vielleicht ist es gerade der herbe Charme ihrer Nüchternheit, der Prouvé-Objekten eine hohe Credibility bei Design-Fans sichert.

Das rigide durchgehaltene Prinzip des Rationellen wirkt rührend bei Prouvés eigenem Haus, das er aus übrig gebliebenen Teilen aus dem Lager seines eigenen Betriebes zusammenschweißte – kurz zuvor hatten ihn die Mehrheitsaktionäre endgültig aus der Firma gedrängt. Seine demontierbaren Schulen, Obdachlosen-Baracken und Aluminium-Fertighäuser hatten aber, zumindest als Prototypen oder in Kleinserien, durchaus Gelegenheit zu zeigen, was sie konnten.

Anders als viele seiner Kollegen ging Prouvé während des Zweiten Weltkriegs keinerlei Kompromisse mit dem Vichy-Regime ein und war in der Résistance aktiv. Nach Kriegsende brachte ihm diese aufrechte politische Haltung kurzfristig das Amt des Bürgermeisters von Nancy ein. Wie es sich für einen Modernen gehörte, engagierte er sich bei den internationalen Vereinigungen „Union des Artistes Modernes“ (UAM) und „Congrès Internationaux d'Architecture Moderne“ (CIAM). Selbst kein ausgebildeter Architekt, war er bei größeren Realisierungen aber meist zur Zusammenarbeit mit anderen gezwungen. Prouvé begründete keine Schule und gehörte auch nicht zu den PR-Genies wie Le Corbusier und Walter Gropius, die lange vor dem eigentlichen Bauen mit theoretischen Traktaten klarstellten, wo es langgehen sollte. Vielleicht erreichte sein Werk deshalb bisher nicht annähernd deren Popularität. Seine verdiente Wiederentdeckung hat aber, so scheint es, bereits begonnen.

Spectrum, So., 2009.03.29

11. August 2007Iris Meder
Spectrum

In der Höhle des Bären

Stadtplanung unbekannt, Goldgräberstimmung statt Grundbuch. Und doch: Österreichische Architekten bauen erfolgreich in Russland und Bulgarien.

Stadtplanung unbekannt, Goldgräberstimmung statt Grundbuch. Und doch: Österreichische Architekten bauen erfolgreich in Russland und Bulgarien.

Einen guten und einen schlechten Russentisch konnte Thomas Manns Held Hans Castorp seinerzeit im Speisesaal des Sanatoriums Berghof ausmachen. Wie der Protagonist des „Zauberberg“, der alsbald den Reizen einer ebendort Platzierten verfiel, sind in den letzten Jahren mehrere Wiener Architekturbüros in die Gesellschaft des „guten Russentischs“ aufgestiegen und realisieren erfolgreich architektonische und städtebauliche Projekte in Osteuropa.

Der Moskau-Kontakt des Büros hochholdinger knauer engl (hke), dessen Website neben Deutsch und Englisch auch die Sprachoptionen Russisch und Japanisch offeriert, ergab sich vor mittlerweile acht Jahren über Geschäftspartner eines Wiener Auftraggebers. Das erste Projekt war ein Autohaus mit der schönen Adresse „Chaussee der Enthusiasten“. Folgeaufträge kamen von einem anderen Moskauer Unternehmer, der nach einer militärischen Laufbahn sein Glück ebenfalls in der KFZ-Branche suchte. Der „saubere“ Aufstieg des zu großemWohlstand gelangten Businessman vollzog sich ortsuntypischerweise unter strikter Ablehnung von Schmiergeldzahlungen.

Als Projektentwickler liefert der Geschäftsmann westlichen Autofirmen fertige Mikrokosmen mit Autohandel, Werkstatt, teilweise auch Gebrauchtwagenabteilung, Verwaltungs- und Seminarräumlichkeiten sowie Infrastruktur wie Betriebskantinen für die jeweils circa 350 Beschäftigten. So realisierten hke 2005 mit einem ortsansässigen Partnerbüro die Moskauer Hyundai-Zentrale, einen mit Aluminiumplatten verkleideten, zeitgemäße Dynamik vermittelnden Baukörper mit abgeschrägten Wand- und Fensterflächen. Mittlerweile entstehen nach Entwürfenvon hke auch in St.Petersburg großzügige „Autoparks“, in denen sich mitunter zwei bis drei Franchise-Partner zusammenschließen.

Perfektionismus schminkt man sich bei der Arbeit in Russland schnell ab, wie die Architekten erzählen. Toleranz und Pragmatismus sind gefragt, der die heimische Architektur gewöhnlich prägende hohe Anspruch gerade bei der Detailausführung wird hier obsolet. Vielmehr gilt es, in einem Land, das keine Bebauungspläne und keine Grundbücher kennt, wo Grundstücke nur gepachtet sind und Versorgungsleitungen gerne kreuz und quer unter den Parzellen hindurch verlaufen, verträgliche Architektur auf einem soliden Niveau zu liefern, das auch planerischen Modifizierungen und den strengen Corporate-Identity-Vorgaben mancher Konzerne standhält.

Vom selben Auftraggeber wurde das Wiener Büro auch mit dem Bau von dessen eigenem 1700-Quadratmeter-Stadthaus betraut. Auf dem innerstädtischen Grundstück in der Granatnyi-Straße stand die – später abgerissene – Ruine eines abgebrannten Holzhauses aus der Zeit um 1820, das nach den Auflagen des Ensembleschutzes in seiner äußeren Form wiederherzustellen war. Prinzipielle Bedenken gegen die Rekonstruktion eines Jahre zuvor zerstörten, nicht denkmalgeschützten Gebäudes galt es abzulegen. An die Gartenseite der klassizistischen Villa dockten die Architekten einen verglasten Quader mit ähnlicher Kubatur an, der sich auf den Altbau bezieht, ohne von einer zeitgenössischen Architektursprache abzugehen.

Während seit kommunistischen Zeiten bestehende russische Großbüros mit oft mehr als 1000 Mitarbeitern rein kommerzielle Massenwohnbauten, gerne mit zurzeit sehr beliebten barocken Dekorationen, entwerfen, genießen österreichische Planer denRuf von Zuverlässigkeit und umfassender Kompetenz. „Handschlagqualität“, konkurrenzlos gute Zahlungsmoral und unbedingteLoyalität der Auftraggeber gegenüber ihren Architekten loben, neben dem internationalen „Österreicher-Bonus“, auch Regina und Michael Miksche vom Büro miksche roth, das derzeit mehrere städtebauliche Projekte in Bulgarien realisiert. Der Ost-Kontakt des Büros kam vor einigen Jahren über einen Investor zustande. „Architektonischen Mehrwert unauffällig verpacken“, definiert Michael Miksche die Strategie, robuste Konzepte einer befriedigenden Realisierung zuzuführen. Ziel vom miksche roths städtebaulichenLeitplänen für Stadtviertel von Sofia und Varna ist es, Investoren für alle Seiten akzeptable Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei ist „missionarisches“ Vorgehen gefragt, mit dem Ziel, die gewünschten hohen Bebauungsdichten zu reduzieren und auf ein vernünftiges Mittelmaß zu bringen. Hat manPech, werden die festgelegten Bebauungshöhen und -dichten freilich in späteren Planungsstadien unter Umgehung des Leitplanswieder willkürlich in die Höhe getrieben.

Auch in Bulgarien sind Begriffe wie Stadtplanung und Grundbuch eher unbekannt, ebenso wie die Idee einer Koordination unter den Developern. So kann es passieren, dass autonom nebeneinander her geplant wird und niemand einen Überblick darüber hat, wie viele Shopping Malls in ein und derselben Straße zur gleichen Zeit projektiert werden. Oder auch, dass über Nacht alle Bäume eines öffentlichen Parks gefällt werden, der dann zu Bauland umgewidmet wird.

Im Wiener Büro trägt man solche Vorkommnisse mit Fassung. Immerhin schaffte man es beim 30 Hektar großen Entwicklungsgebiet „Gara.City“ hinter dem Bahnhof von Sofia, aus einem rein kommerziell konzipierten Businesspark-Plan ein Entwicklungsgebiet mit gemischter Nutzung inklusive Hochschulen und kulturellen Einrichtungen zu machen. Bei guten Konzepten ist die Realisierungschance hoch, wie die Architekten berichten. Finanzielle Rahmenbedingungen werden dabei ohne Diskussion akzeptiert.

Die niedrigen Baukosten, etwa ein Sechstel des hierzulande Üblichen, gehen allerdings auch mit einer entsprechenden Ausführung einher. Qualifizierte Arbeiter gibt es praktisch nicht, eher abenteuerliche Bautrupps werken wild drauflos. Zu ertragen haben die österreichischen Planer gelegentlich auch eigenmächtige Überarbeitungen ihrer Projekte durch lokale Architekten, etwa in Bansko im südbulgarischen Pirin-Gebirge, das zurzeit von einer enthemmten Goldgräberstimmung heimgesucht wird. miksche roth haben hier die Leitpläne der Ski- und Golfresorts „Bojurland“ und „Razlog“ entworfen. Nach dem Weiterverkauf an Kleinanleger wird ohne Einflussmöglichkeit der Architekten in willkürlicher Art und Weise weiter ausgebaut. Ein dickes Fell ist beim Arbeiten in osteuropäischen Ländern wohl nicht nur wegen der härteren Witterung durchaus von Vorteil. Entsprechend gewappnet, kann man sich aber durchaus direkt in die Höhle des Bären begeben: Über die Eröffnung eines eigenen Büros in Moskau denkt man bei hochholdinger knauer engl bereits nach.

Spectrum, Sa., 2007.08.11

15. Oktober 2005Judith Eiblmayr
Iris Meder
Spectrum

Die moderate Moderne

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

Lässt man den Blick über die Hausberge von Wien schweifen und sieht den flachen Riegel des Kahlenberg-Restaurants, das im Dezember 1935, also vor genau 70 Jahren, eröffnet wurde, so schaut man auf Erich Boltensterns ersten großen Wiener Bau. Nach einem gemeinsam mit dem Architekten Leopold Ponzen gewonnenen Wettbewerb realisierte Boltenstern 1935 den elegant in die Topografie geschmiegten Komplex, der, als Krönung der Höhenstraße, zu einem neuen Wahrzeichen Wiens wurde. Im Sonnenlicht oder in nächtlicher Festbeleuchtung zierte er Schulbuchumschläge, Filmplakate und unzählige Ansichtskarten.

Boltensterns Werk ist mehr Wienern bekannt, als ihnen bewusst ist. Schon in der Innenstadt hat man mehrere seiner wichtigsten Bauten im Blickfeld, die alle an der Ringstraße oder in ihrer Nähe liegen: die Staatsoper, deren Innenräume unter Boltensterns Leitung von ihren Kriegswunden geheilt und gestalterisch erneuert wurden, das „Felderhaus“ - ein Bürogebäude der Wiener Städtischen Versicherung neben dem Rathaus -, die umgebaute Universitätsbibliothek, zwei Gebäude für die Nationalbank am Otto-Wagner-Platz, die nach einem Brand wiederaufgebaute Börse, den Gartenbau-Komplex vis-à-vis dem Stadtpark und als markanten Eckpfeiler - nicht nur der Ringstraße, sondern auch seines Werkes - den Ringturm.

Zwei dieser Bauten feiern im Gedenkjahr 2005 ihr 50-jähriges Jubiläum: Staatsoper und Ringturm. Die Oper wurde am 5. November 1955 nach fast zehnjähriger Bauzeit wiedereröffnet - ein für die Identifikation der Zweiten Republik ganz wesentlicher Akt. Es war wohl der größte Erfolg in Boltensterns Karriere, als er 1948 den Wettbewerb zum Wiederaufbau des Zuschauerraums gewann. Es sei seine schwierigste Arbeit gewesen, urteilte er später. Gleichzeitig schien sich für ihn mit diesem Projekt ein biografischer Kreis zu schließen: Der ausgebildete Sänger und Sohn einer Opernsängerin, der sich nicht für die Bühnenkarriere, sondern für die Architektur entschieden hatte, konnte Musikern wieder ein würdiges Ambiente planen. Für Boltenstern war die Theaterwelt von zentraler Bedeutung. Er hatte in den Zwanzigerjahren eine Dissertation zum Thema Theaterbau begonnen und war Assistent beim Architekten Oskar Strnad gewesen, der auch Bühnenbilder für große Inszenierungen der Theater-Avantgarde entworfen hatte. Nach Abschluss der Arbeiten an der Wiener Staatsoper weihte Boltenstern (inoffiziell) den Raum selbst ein, indem er vor seinen Mitarbeitern eine Arie vortrug.

Der Ringturm hingegen, das erste echte Hochhaus Wiens, galt als Symbol für die Modernisierung der Stadt. Die Idee dazu stammte vom Direktor der Wiener Städtischen Versicherung, Norbert Liebermann, der aus dem Exil in den USA zurückgeholt wurde und den eher zögerlichen Boltenstern, der bereits seit einiger Zeit für die Wiener Städtische tätig war, sozusagen dazu verpflichtete, sich mit der Bauaufgabe Hochhaus auseinander zu setzen. Der 1955 eröffnete Ringturm wurde schnell zum Symbol eines aus Ruinen erstandenen neuen Wien. So wie 20 Jahre zuvor das Kahlenberg-Restaurant zierte nun der Ringturm Fremdenverkehrs- und Wahlplakate, und Boltensterns anfängliche Bedenken gegen die Bauaufgabe Hochhaus zerstreuten sich in der allgemeinen Bewunderung für das zeitgemäß schlanke neue Wahrzeichen am Schottenring.

Als einer der wenigen modernen Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich dennoch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht kompromittiert hatten, führte Boltenstern die Vorkriegstradition der Wiener Moderne und internationale Strömungen der Gegenwart (vor allem aus Schweden und der Schweiz) zu einer Synthese, die das offizielle Österreich des Wiederaufbaus adäquat repräsentierte. - Was Erich Boltenstern trotz seines hohen Ansehens in Österreich verwehrt blieb, waren internationale Reputation und Aufträge im Ausland. Die meisten seiner Bauten entstanden in Wien und Umgebung; Ausnahmen waren das Grazer Krematorium von 1930 und der umfassende Umbau des Tiroler Landestheaters in Innsbruck (1964 bis 1967). Häufig nahm er an internationalen Wettbewerben teil - besonders dann, wenn es sich um Opern und Theater handelte, etwa für die Opernhäuser in Hamburg, La Valletta, Sydney und Belgrad.

Wesentlich für seinen Karriereverlauf wäre wahrscheinlich in den späten Fünfzigerjahren die Errichtung von fünf Rundfunkhäusern in der Türkei gewesen; der Auftrag wurde jedoch von den Errichtern nach Vertragsunterzeichnung wieder zurückgezogen. Hier hätte ihm vielleicht - auf den Spuren Clemens Holzmeisters - der internationale Durchbruch gelingen können. Aber Boltenstern drängte es nicht zur Expansion. In seiner bescheidenen Grundhaltung war er offensichtlich zufrieden mit dem, was er erreicht hatte - und das war nicht wenig.

Ohne konservativ zu sein, wollte er ein „Diener seiner Zeit“ sein und hat den Wiederaufbau Wiens entscheidend geprägt. Der Architekturtheoretiker Georg Schöllhammer schrieb in einem Nachruf anlässlich des Todes von Erich Boltenstern am 2. Juni 1991, dass dessen „ästhetischer Reduktionismus, der dank seiner noblen Detailkultur nie ins Ärmliche umkippt, nichts von den wahren Zeitverhältnissen verschweigt.“

Seine uneitle, konsensorientierte Haltung in schwierigen Zeiten brachte dem vielbeschäftigten Architekten und Professor zahlreiche Sympathien, wenngleich sich die junge Architektengeneration charismatischere Idole suchen musste, um Neues entstehen lassen zu können. Boltenstern war sich seiner Stellung in der Architekturszene bewusst; dennoch ist seine Herangehensweise als wesentlicher Beitrag einer „moderaten Moderne“ in die österreichische Baugeschichte eingegangen. „Wir sollten nobel und zurückhaltend bauen, nicht brutal aufdringlich und nach dem Nachbarn schielend, ob wir ihn übertrumpfen. Der Architekt ist Diener der Allgemeinheit“, schrieb Boltenstern in einem Artikel zur Architektenausbildung.

Diese unaufgeregte Architektur wird oft als banal abqualifiziert und fand auch in der Forschung bislang wenig Beachtung. Viele Gebäude wurden in ihrem Erscheinungsbild stark verändert oder überhaupt abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Wahrscheinlich brauchte es ein halbes Jahrhundert Abstand, um im Wertekanon der österreichischen Architekturgeschichte die spezifischen Qualitäten dieser Bauten zu erkennen und diese auch zu publizieren. Im Zuge der jüngsten Querelen um das vom Abriss bedrohte Kahlenberg-Restaurant, das in letzter Minute gerettet werden konnte, traten weitverbreitete Meinungen zutage, die auf eine völlige Negierung jeglicher Qualitäten sowohl dieses Baus wie auch des Ringturms hinausliefen.

[ Judith Eiblmayr und Iris Meder sind Kuratorinnen der Ausstellung „Moderat Modern - Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945“, die ab 22. Oktober im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist. ]

Spectrum, Sa., 2005.10.15

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