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01. September 2010Köbi Gantenbein
hochparterre

Der Sonne verschrieben

Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn...

Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn...

Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn tragende Solaragentur Schweiz und ihr Chef, der Umweltpolitiker Gallus Cadonau, erhoben ihn zur Baukultur. Unerbittlich werden Volt und Watt, Kilowattstunden und CO 2-Ausstoss aufgereiht. Das schafft Verbindlichkeit, starke Argumente vor Gericht und Seriosität in der Debatte. Doch Zahlen vernebeln auch, denn das Leben und das Bauen sind bunter, als Ziffern versprechen. Fiel in den ersten Jahren das Auge des Solarpreis auf die am und ums Haus installierte Leistung, kamen bald Kennzahlen dazu, die angeben, ob und wie ein Haus abgedichtet ist. Doch während die technischen Zahlen — als Trumpfkarten freudvoll ausgespielt — komplexer werden, ist der Aufwand zurückhaltend, der betrieben wird, um die Sonnenenergie ins Haus zu bringen.

Der Solarpreis sollte beherzt auch mit kaufmännischen Zahlen fechten. Erst wenn die Immobilienfirmen wissen, was Bau und Betrieb kosten und ihre Renditen mit der Sonnen Energie kalkulieren können, werden auch Siedlungen neben den schmucken Plus-Energie-Einfamilienhäusern stehen. Doch die Kosten der dicken Dächer und der komplexen Fassaden, die keine Wärme mehr hinein- und hinauslassen, können auch kritisch befragt werden: Wenn es stimmt, dass es viel mehr Sonnenenergie in der Schweiz gibt, als wir brauchen — und erst noch gratis —, wäre es dann nicht angebracht, sie künftig zu verwenden und Sonnenfangmaschinen und Erdspeicher zu bauen anstatt teure Dächer und komplexe Fassaden?

Die Integration des Bauteils

Metron-Gebäude in Brugg (Metron Architekten), Bundesamt für Statistik in Neuenburg (Bauart), Forum Chriesbach in Dübendorf (Bob Gysin & Partner), Mövenpick Marché in Kempthal (Beat Kämpfen), Eulachhof Winterthur (Dietrich Schwarz) — schauen wir in das Archiv der zeitgenössischen Schweizer Architektur, so finden wir einige, die ambitioniere Architektur mit Energievernunft verbinden und damit auf der Bühne des Solarpreises gestanden sind. Dazu kommen architektonisch aparte Sanierungen wie die Magnusstrasse in Zürich (Viridén & Partner), das Haus Burri in Uetikon am See (Beat Kämpfen) oder ein Jugendstilhaus in Arlesheim (Daniel Wyss).

Doch der zweite wichtige Beitrag des Solarpreises zu Baukultur und Architektur ist nicht die Auflistung , sondern der Kampf um den Ort der Sonnen-Installationen. Von Anfang an setzten Cadonau und seine Leute sich für die «Integration» der Paneele in Haus und Fassade ein. Für Windanlagen, die nun als Kleinkraftwerke die Landschaften zu bedrohen beginnen, hat sich der Preis nicht stark gemacht, als Förderer frei stehender Sonnenmaschinen wurde er nicht laut — gut so. Als Organisator einer langjährigen baukulturellen Debatte versammelte Cadonau über Jahre Denkmalpfleger, Heimatschützer, Baubehörden, Energiefachleute und -beamte, sodass schliesslich 2005 die Publikation «Integration Solaranlagen» sieben Richtlinien vorschlug, wie Sonnenanlagen in bestehende Gebäude eingefügt und wie neue Sonnenhäuser gebaut werden sollen. Zusammengefasst: Dem Solarhaus soll man seine Technik nicht ansehen. Keine Experimente und formale Erfindungen, kaum Spielraum für entwerferischen Furor. Folgerichtig — und das ist die architekturpolitisch wichtige Tat — ist es den Förderern gelungen, im Raumplanungsgesetz den Artikel 18a einfügen zu lassen, der bis auf wenige Ausnahmen eine «sorgfältig» ins Haus integrierte Solaranlage zu einem Recht macht. Baubeamte und Denkmalpfleger — skeptisch wegen der Häufung matt glänzender Flächen — sitzen seither am kurzen Hebel. Auch ein altes Haus muss unter Umständen seine Würde hergeben, wenn es gilt, die Energiewende herbeizubauen. Der baukünstlerischen Entfaltung setzt die «sorgfältige Integration» einen engen Spielraum. Das ist gut, wenn wir an all die von Designdruck Geplagten denken. Das ist schlecht, wenn wir an die denken, die Baukunst machen und mit neuer Technik neue Erfindung und Form wollen. Und das ist gut, wenn wir dran denken, dass die Energiewende vor allem mit Sanierungen, nicht allein mit Neubauten gewonnen werden wird.

Der politische Raum

Für ihre Ziele ziehen Cadonau und die Seinen seit zwanzig Jahren alle Register der Politik von lustvoller Polemik in Leserbriefspalten, Rechtshändeln bis vor Bundesgericht, Volksabstimmungen, Präsenz in und vor Parlamenten und klugen Essays in Broschüren. Zum politischen Raum gehören auch geschickte Koalitionen mit der wachsenden Sonnenbranche — Hans Ruedi Schweizer von Schweizer Metallbau in Hedingen ist Pionier und als Unternehmer von Anfang an Solarpreis-Mitträger. Zur Politik gehört der Prominentenboulevard.

Schon für die erste Aufführung des Preises lotste man Bundesrat Adolf Ogi nach Brienz-Brinzouls in den Kanton Graubünden und mit ihm Parlamentarier aller Couleur, Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften und Arbeitgeber, allen versichernd, sie täten etwas Gutes, wo doch die Energiepolitik anfangs der Neunzigerjahre vollkommen blockiert war. Seither ist jede Preisverleihung ein grosser Bahnhof mit Bundesrat. Und um auch in der Szene der Architekten an Aufmerksamkeit zu gewinnen, patroniert neu Lord Foster mit seinem Namen den Preis für die Kategorie der Häuser, die mehr Energie herstellen, als sie brauchen. Der Lord ist eine Galionsfigur und ein Könner des energievernünftigen Bauens im grossen Massstab. Doch auch herausragende Architekten predigen Wasser und trinken Wein. Zur Preisfeier wird er wohl mit seinem Privatjet herbeidüsen und wir werden ihn fragen, wie es möglich sei, mit einem Schloss am Genfersee und gut gedämmten Behausungen im Engadin und anderswo auf eine Wohnfläche zu kommen, die mit der persönlichen Nachhaltigkeit verträglich ist? Sagen wir vierzig Quadratmeter pro Person?

Und nun?

Gallus Cadonau fasst den Wandel des Solarpreises in einem Brief an mich so zusammen: «Zuerst, 1991, haben wir jene Familie ausgezeichnet, die am meisten Sonnenkollektoren pro Kopf vorweisen konnte. Daraufhin meinte Jurymitglied Pierre Fornallaz, dass diese Familie mit besseren Fenstern und nur halb so vielen Kollektoren auf dem Dach energetisch besser fahren würde. Und so rückte je länger je mehr zu den erneuerbaren Energien die Energieeffizienz in den Fokus.» Stetig und vif hat der Preis auf Wandel reagiert, neulich als er die Plus-Energie-Bauten als Richtschnur des Bauens aufs Podest hob. Mit 100 000 Franken ist das eine der bestdotierten Auszeichnungen in der Architekturszene.

Blättern wir die Solarpreis-Kataloge durch, fällt ein weiterer Wandel auf. Die ersten Ausgaben feiern Gemeinden und Gemeinschaften, die sich der Sonne verschreiben und städtebauliche Ambitionen haben. In den Neuzigerjahren wird der weite Blick präziser — und also enger. Blieb die politische Perspektive immer bezogen auf die grosse Bühnen der Energiepolitik, definierte der Preis seine Kategorien nun näher am Haus und dem Sonnengerät. Das «Solarpreis-Gericht» setzte Gartenzaun und Grundstück als Grenze fest. Einen Widerspenstigen, der vor dem «Schweizer Solarpreisgericht» Beschwerde gegen ein ausgezeichnetes Zweifamilienhaus führte, weil ein solches die Zersiedelung und damit Energieverschleiss fördere und also nicht gelobt werden dürfe, stellte Jurist Cadonau nach allen Regeln der Juristenkunst samt Verweis auf RPG, ZGB und Bundesverfassung in den Senkel. Diese Ge schichte möge anregen, den Blickwinkel zu öffnen. Denn es gilt auch in städtebaulichen Erwägungen zu gewichten, welchen Beitrag eine haustechnische Musterleistung zu einer guten Siedlung, Stadt, Landschaft und zu nachhaltigen Lebensweisen beiträgt. Die Solarpreis-Ausgabe 2010 lobt die Gemeinde Hessigkofen für die politische, finanzielle und kulturelle Förderung von Sonnen- und erneuerbarer Energie von der Versorgung von Wohnhäusern über Strassenleuchten bis hin zum E-BikeSharing. Und sie zeichnet die Monte Rosa-Hütte des SAC aus, zweifellos eine Verdichtung von Designwillen, technischem Können und grosser Ausstrahlung. Doch kann dieses Edelstück mehr als andere SAC Hütten seit eh und je können? Gewiss, sie gibt viel mehr Gästen viel mehr Komfort, sie bietet mehr WC, mehr Platz pro Kopf, die Schlafräume sind hier oben geheizt statt kalt und sogar warm duschen ist Realität. Doch fördern das hohe Können, der Aufwand, der nicht aus den Übernachtungserlösen wird bezahlt werden können, und exzellente technische Zahlen das richtige Leben? Oder fördert das alles nicht vorab unsere Freizeitgesellschaft, die munter und fröhlich ständig mehr Ressourcen verbraucht? «Glacier paradise», das Restaurant der Zermatt Berg b ahnen auf dem kleinen Matterhorn, 3883 Meter über Meer, erhält eine Auszeichnung. Sonnenkollektoren und integrierte Fotovoltaikanlagen liefern die gesamte Energie. Schnitt Südfassade: Die Solarzellen werden von der kalten Bergluft hinter lüftet und gekühlt. Die so erwärmte Luft wird für die Lüftung gebraucht.

hochparterre, Mi., 2010.09.01



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18. Januar 2010Köbi Gantenbein
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Das Bad in der Farbkammer

Miller & Maranta Architekten haben im Dorfkern von Samedan einen Badeweg durch farbige Räume gebaut.

Miller & Maranta Architekten haben im Dorfkern von Samedan einen Badeweg durch farbige Räume gebaut.

Wer in Samedan über den Hauptplatz spaziert, kann denken: «Da haben die Gläubigen aber tief in die Tasche gegriffen und ihre barocke Kirche zeitgenössisch erweitert. Wie zurückhaltend der Baukörper ist. Wie farbenfroh die Fensterrahmen. Streng und farbig - ein Fest für den protestantischen Liebgott!» Denn nichts deutet darauf hin, dass der Anbau an die Kirche ein Badhaus ist. Wer den Ort früher kannte, sieht jetzt: Dieser Ort will eine neue Bedeutung. Dafür schrieb der Gemeindevorstand vor acht Jahren einen Ideenwettbewerb unter Architekten aus, der aber nichts Tragfähiges zustande brachte. Immerhin öffnete er die Augen und gab der Idee Flügel, ein Bad mitten im Dorf zu bauen. Ihre Erfinder heissen Roger Bernet und Peter Arnold von der Firma Acqua-Spa-Resorts, die auch in Bern, auf dem Hürlimannareal in Zürich oder auf der Rigi Badhäuser realisiert. Nachdem der Boden planerisch und politisch bereitet war, übergab der Gemeindepräsident Thomas Nievergelt der Firma die Führung des Vorhabens, mit dem sanften Hinweis, dass das Bad mit einem Architekturwettbewerb gefunden werden soll. Miller & Maranta Architekten gewannen den Studienauftrag unter fünf Büros. Ihr Projekt bestand politische Prüfungen, einen Auftritt vor Bundesgericht und ist nun als «Mineralbad & Spa Samedan» für die Baderinnen und Bader geöffnet.

Weiterbauen

Das Dorf - den Ort - weiterbauen gehört zum Wortschatz der Architekten Quintus Miller und Paola Maranta. Was heisst das für ein Badhaus, das in Samedan in ein Dorfbild nationaler Bedeutung zu stehen kommt? Es heisst an- und einfügen in das Bild, das die Nachbarhäuser, der neuneckige «Plaz» und die engen Strassenräume schon hergeben. Demütig haben die Architekten die Traufhöhe des Bades nicht nur jener der Kirche, sondern auch jener der benachbarten Wohnhäuser untergeordnet. Leicht zurückversetzt von der Gassenlinie steht das Badhaus an der einen Seite des «Plaz», eine Zurückhaltung, die natürlich auch den Fussgängern nützt. Diese Platzierung betont die vom Platz wegführende Gasse und bindet einen ehrwürdigen Nachbarn in den Platz- und Gassenraum ein. Die Bausünde gegenüber, die im letzten Jahrhundert dem «Plaz» arg zugesetzt hat, verschwindet deshalb nicht. Das Bad tut, wie wenn sie nicht da wäre, und selbstverständlich verbieten sich die Architekten auch alle dekorativen Bauteile, die Schellenursli verwendet, um engadinerisch zu bauen: Sgraffito, Sulertor und balcun tort, wie der Erker malerisch hierzulande heisst. Auch auf das Vordach, wie es in den Bergen Sitte und Brauch ist, haben die Architekten verzichtet. Sie lassen ihr flaches Dach nur drei Finger breit überkragen. Das unterstützt die Zurückhaltung und den Eigensinn des Hauses. Doch Regen, Schnee und Pflotsch kennen kein Pardon vor subtilem Design. Erste Spuren tränen über den Putz.

Und noch eine Eigenart des Ortes bauen die Architekten analog zur Kirche weiter: Wer vor ihr steht, weiss nicht, wie es drinnen weitergeht. Die Fassade ist prächtig, der Campanile hoch, die Kirchenwand aber kurz. Welcher Innenraum erwartet uns? Auch das Badhaus stellt Rätsel. Der Bader ahnt nicht, dass innen für ihn ein Badeweg durch Kammern, Höfe und über Treppen bis aufs Dach eingerichtet ist. Er weiss nicht, dass das Haus fast so tief im Boden steckt wie es in die Luft ragt. Und er rätselt: «Wozu sind wohl die unterschiedlich grossen und farbig eingefassten Fenster?»

Beiläufig ist denn auch der Eingang in die Fassade gesetzt. Der Bader tritt durch eine Schwingtüre in einen geduckten, kleinen Raum, die graue, warme Farbe gibt ihm Höhlengefühl. Er kauft an der Holztheke sein Billett, trinkt am Brunnen Mineralwasser und sitzt auf eine Arvenholzbank. Hei, wird es hier lustig zu und hergehen, wenn die Mutter kein Wechselgeld hat, der Vater das Garderobebändchen nicht anschnallen kann, der verlorene Sohn immer noch nicht aufgetaucht ist und der Männerchorausflug frohgemut ansteht. Dieser Empfangsraum ist auch ein Programmzettel: «Unser Bad ist kein Massenapparat. Hier gibt es keine Rutschbahnen und keine Lautsprecher mit Anweisungen für die Gymnastik.» Grau in Grau steigt der Bader ins Untergeschoss, wo in rotbraun glänzendem Redwoodfurnier Garderoben, ein Frisierlokal und Gästekästchen eingerichtet sind. Auch hier: kein Platzluxus und kein Massenbad. Eine noble Stimmung. Sind die 130 Garderoben-Kästchen vergeben, ist ausverkauft.

Das erste Prinzip: Der Auf- und Abstieg

Aus der Not haben Bauherr und Architekt eine Erfindung gemacht. Ein Bad ist normalerweise in die Fläche gebaut. Hier geht es in die Höhe, weil das Grundstück in der Fläche nur Platz für drei Dutzend Badewannen böte. Der Bader steigt treppauf, treppab. Im Keller die Garderoben, im Parterre das «Alpenbad», im ersten Stock das «Sprudel-», daneben das «Heissbad» und um den Luftraum des «Alpenbades», eine Folge von Dampfbädern unterschiedlicher Hitze, mit und ohne Kräuterduft. Im zweiten Geschoss sind Ruheräume. Für den letzten Badegang ist ein kleines Becken unter freiem Himmel ins Dach eingelassen. Der Bader schwadert auf dem Rücken und betrachtet den neben dem Badhaus aufstrebenden Campanile und einen Rest seiner goldenen Zwiebel, in der Perspektive so gelegt, dass er auf ihn herunterzufallen droht — kein Bergblick ist schauerlicher!

Das zweite Prinzip: Die Kammerung

Schon im «Alpenbad» im Parterre wird die Kammerung vorgeführt. In einem acht Meter hohen Raum sind um ein zentrales, bis an den Rand geflutetes Becken vier weitere gefügt. Im einen kann man liegen, im anderen in der Dünkle schweigen, im dritten über spitze Steine staksen und im vierten im Wasser und im Dampf sitzen. Gross, klein; weit, eng; hoch, tief; offen, zu; viereckig, mehreckig; Raum-Durchgang-Raum werden auf vier Etagen auf einem engen Grundriss zu einem Drama gefügt. Die Garderoben im Keller sind verschachtelte Holzkammern, das «Sprudelbad» ist ein Festsaal mit Lüster an der Decke. Das angrenzende «Heissbad» ist ein hoher, schmaler Schlauch mit einem Knick. Das Dampfbad geht durch vier unterschiedliche Kammern, die Ruheräume sind Zimmer mit und ohne Nischen. Das Innenraumgeschachtel des Engadiner Bauernhaues, seine überraschenden Raumfolgen vom Suler in die Stuben und über enge Treppen in die Kammern kommen dem Bader ebenso in den Sinn wie Bilder der Bäder im schon lange untergegangenen Al-Andalus, wo die Araber den Europäern in Spaniens Süden baden gelehrt haben. Der Badeweg über die Vertikale und die Kammern, gross und klein, sind zwei Trümpfe des Bades.

Das dritte Prinzip: Das Tageslicht

Im warmen Wasser liegend, kann der Bader das Fensterrätsel der Fassade auflösen. In die Kammern strahlt direkt oder indirekt das Sonnenlicht — und für die Nachtbader das im Engadin besonders helle Mondlicht. Für das Zusammenspiel mit dem Licht aus den Wandfenstern kommt Licht durch Luken in der Decke. Leuchten in den Becken sorgen dafür, dass sich die kleinen Wellen an den Wänden spiegeln. Der Kammervielfalt entsprechen unterschiedlich intensive Lichter: Die Sonne tröpfelt über ein kleines Dachfenster durch einen Schacht in den Nebel des Dampfbades. Die Lichtführung stimmt den Bader ruhig und froh, bringt aber seine Sinne nicht in Wallung, wie das die einer Kirche vermag. In der Erinnerung bleiben die durch ein Fensterchen in die Dunkelkammer des «Alpenbades» schimmernde Sonne und der Panoramablick aus dem Ruheraum auf einen Engadiner Palast.

Das vierte Prinzip: Die Farbenkacheln

Die Badkammern sind an Wänden, Decken und Böden mit farbigen Keramikkacheln im Format einer Handspanne verkleidet. Jedes Bad hat seinen Farbverlauf: Gelbtönungen des herbstlichen Lärchenwaldes im «Alpenbad», Tanz der roten Farbtöne im «Sprudelbad» und rotes Feuer in den Dampfbädern. Dunkelgrünblau ist der Ruheraum und im «Heissbad» wird das Abc des hellen Grüngelb buchstabiert, bis dem Bader, halb gekocht in vierziggrädigem Wasser, die Kachelfarben giftig in die Augen stechen. Er muss sich langsam an die ungewöhnliche Keramik-Stimmung heranbaden und ist froh, sind nicht viele Leute mit ihm, kichernd und schwatzend. Abgesetzt ist das Farbenspiel im Eingang und den Treppenhäusern: Sie sind mit Steinzeug-Keramik belegt. Das immer gleiche Grau ist ein Stilbruch, kein Kontrast.

Arven und Lärchen

Einen Kontrast dagegen erlebt der Bader, wenn er ermattet vom Dach ein paar Stufen hinuntertappt und in der «Lärchenkammer » auf den «Plaz» schaut oder in der «Arvenschatulle» Kräutertee trinkt. Er schaut dem Tanz der Äste über die Wände zu, den ein in die Arvenbretter gefräster «laufender Hund» unterstützt, ein Ornament, das einst als Sgrafitto in den Putz der Engadiner Fassaden geritzt wurde. Seiner Nase wird heimelig vom Geruch des einheimischen Waldes. Holz an den Wänden, an der Decke, auf dem Boden und für die Möbel. Viel Holz statt viel Keramik. Roger Bernet, der das Badprojekt entwickelt hat, erklärt: «Diese Räume sind mein Respekt vor dem einheimischen Handwerk. Ich wollte einen Holzraum von Ramon Zangger haben, dessen Werkstatt einen Steinwurf vom Bad entfernt ist. Er ist ein Kunsthandwerker, der sucht, wie einheimische Hölzer zeitgemäss gebraucht werden können. Und ich wollte der Lehrwerkstatt der Schreiner hier in Samedan eine Bühne geben. Und so haben die Lehrlinge für die «Lärchenkammer» 14 Barhocker aus Holz entworfen und gebaut.»

Der Architekt, seufzt kurz und knapp: «Der Bauherr hat das so entschieden. » Die zwei haben sich zeitweilig auseinanderbewegt. Ein Grund waren Unklarheiten der Bauherrenrolle. Entwickler, Investor, Generalunternehmer und Betreiber sind miteinander verknüpft und haben, so der Architekt, ihn bei Entscheiden ab und zu draussen gelassen. Roger Bernet entgegnet, dass der Architekt sich selbst aus dem Prozess genommen habe. Dass die zwei gegen Schluss unstimmig waren, hat Folgen für den Bau. So die immergleich grauen Fliesen in den Treppenhäusern, die nicht recht zum gestalterischen Raffinement des Bades passen wollen. Roger Bernet wählte sie aus: «Wir haben lange nach einem Belag gesucht, der die Badenden vor dem Ausrutschen schützt, sich den farbigen Kacheln unterordnet und die Anforderungen meiner Leute erfüllt, die das Bad putzen.» Drei weitere Entscheide brauchen des Baders kritischen Rat. Im Treppenhaus treten allerhand Dekorationen von alten Truhen über Holzblöcke mit Kerzen bis zu Kunst aus Steinen und Ästen gegen die reine Architektur an. Des Baders Rat: «Wegräumen - sie versperren Platz!» Die Anweisungen an den Bader hat jemand gar sorglos aus dem Computer geholt, in Plastikmäppchen gesteckt und auf Holztafeln oder auf Plexiglasständer geklebt. Des Baders Rat: «Typografie und Grafik gehören zum Bau und verdienen dieselbe Sorgfalt und Handschrift.» Schliesslich ist nicht jedes Möbel im Haus gestalterisch auf der Höhe. Das Möblierungskonzept ist irgendwo verloren gegangen. Die 14 Hockerentwürfe der Lehrlinge sind gut gemeint und gut für eine Semesterausstellung, weniger fürs Ruhen im Bad. Des Baders Rat: «Die Möblierung nachbessern!» Solche Knicke in der Schönheit können einfach geflickt werden. Sie irritieren - sie stören aber die packende Aufführung von Raum, Weg, Farbe, Licht und Wasser und das Badedrama in den Kammern und Höhlen nur in der Pause.

Badetechnik

Das Badhaus reicht 12 Meter tief in den felsigen Boden. Im zweiten Untergeschoss stehen auf engem Raum die Werkstatt des Badetechnikers, seine Steuer- und Überwachungsmaschinen, die Wasseraufbereitungsanlagen, Heizkessel, Pumpen und Filter, die die Bäder, die Dampfsaunen, die Massage- und die Ruheräume versorgen. Die Heizenergie kommt aus der Erde unter
dem Bad und dem Dorfplatz; Maschinen holen die Wärme aus der Abluft zurück. Beim Bohren nach Erdwärme machte Roger Bernet einen Sechser im Lotto: Die Bauarbeiter stiessen auf eine Ader mit schwefel und calciumhaltigem Wasser, genügend gut, dass das Bad das geschützte Siegel «Mineralwasser» tragen darf.

Der Besitzer

Wer in Samedan badet, badet vielleicht in seinem Pensionskassengeld. Denn das Mineralbad & Spa gehört der Credit Suisse Anlagestiftung Real Estate Switzerland. Die Bank hat diese Finanzfirma 2002 lanciert; sie verfügt heute über 4,2 Mrd. Franken und investiert zehn Prozent ihrer Anlagen in «Wasserwelten». Das Hammam Oktogon in Bern, das Solbad in Schönbühl oder das Thermalbad, das Mario Botta auf der Rigi plant, gehören dazu. Die Projekte entwickelt Roger Bernet mit seiner von der Bank unabhängigen Firma Aqua-Spa-Resorts. Als GU ist meist MLG aus Bern mit von der Partie, geführt von Rolf Marti, einem ehemaligen Marazzi-Mann. Aqua-Spa-Resorts mietet die Bäder mit langfristigen Verträgen. Landläufig heisst es, ein Bad sei ein Fass ohne Boden. Werden der Standort, das Einzugsgebiet, die Höhe der Investition, die Betriebskosten und die Eintritte kalkuliert, so gehe die Rechnung auf, so Roger Bernet. Für Samedan rechnet er mit 50 000 Gästen im Jahr. Eine erwachsene Baderin, zum Beispiel, muss 36 Franken Eintritt bezahlen.

hochparterre, Mo., 2010.01.18



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12. Dezember 2005Köbi Gantenbein
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Ziegen unter rotem Dach

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger...

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger...

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger werden. Lebten 1983 insgesamt 12 322 Ziegen in Graubünden, so sind es heute noch 9351 Tiere. Sie brauchen dennoch neue Ställe und Alpen. Zum Beispiel auf der Alp Puzzetta bei Fourns in der Nähe des Lukmanierpasses auf 1850 m ü. M. Die Alp steht dort schon seit vielen Generationen. Sie reichte für zeitgenössisches Wirtschaften nicht mehr und also schlugen Marlene Gujan und Conrad Pally vor, die alten Gebäude abzubrechen. Ihre neue Alp ist ein Holzständerbau, seine Hülle aus Alu strahlt in dunklem Rot, die präzise gesetzten Nähte, die scharf ausgeschnittenen Fenster geben dem Blechkleid einen eleganten Ton. Die abgetreppte Form ist nicht nur der Topografie geschuldet, sondern auch der Ziegenwirtschaft. Im oberen Teil ist der Melkstand für die 350 Ziegen, dann geht die Milch eine Stufe hinab, wo sie Käse, Joghurt, Quark oder Trinkmilch wird. Die Alp Puzzetta ist ein Pilotprojekt, denn es müssen viele Alpen abgebrochen oder saniert werden. Bauen aber genügt nicht, es braucht auch Vorstellungen, wie aus der Ziegenmilch und ihren Produkten mehr Geld gewonnen werden kann.

hochparterre, Mo., 2005.12.12



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Ziegenalp Puzzetta - Sanierung



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16. Oktober 2005Köbi Gantenbein
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Missratene Architektur

Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den...

Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den...

Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den Geschmacksterror der Einfamilienhäuser anprangern, die Architekten beschuldigen und ihre ästhetischen Zumutungen tadeln. Ich tat, wie mir befohlen, und wies darauf hin, dass die Architekten wenig Schuld haben, denn ihr Anteil gemessen an den Bauinvestitionen von 15 Milliarden Franken pro Jahr ist so klein, dass es nicht einmal Zahlen gibt. Und ich lobte die Geschmacks- und Kulturexplosion im 20. Jahrhundert, dank der die Deutungshoheit übers Gute und Wahre untergegangen sei, und schloss: «Die Schönheit hat also verloren – das hat auch Vorteile. So können wir uns statt der zu bewertenden der messbaren Architektur widmen. Da sie nicht ästhetisch verhandelt werden muss, lege ich drei Postulate zur schlechten Architektur und ihrer Bekämpfung auf:
— Die Schweiz hat eine Errungenschaft: die Bauzone. Diese ausweiten heisst, schlechte Architektur fördern. Das tun die eidgenössischen Räte, wenn sie den fünf parlamentarischen Initiativen, vier Motionen und einer Standesinitiative stattgeben, die eines fordern: Das Bauen ausserhalb der Bauzonen erleichtern! Sie werden so die wichtigste Errungenschaft der Raumplanung in der Schweiz aushebeln. Sie wollen aus Ställen Wohnhäuser und aus stillen Matten Sitze für Millionäre machen. Dieses erste Postulat zur Bekämpfung schlechter Architektur heisst: keine Aufweichung der Bauzone!

Die Siedlungsfläche pro Kopf beträgt in der Schweiz 400 Quadratmeter. Babies im Stubenwagen und Greise im Altersheim mitgezählt. So viel ist Land- und Energieverschleiss und also schlechte Architektur. Dran ist das allein stehende Einfamilienhaus massgeblich beteiligt. Dieser Bautyp, so scharf geschnitten seine Kanten sein mögen, so wohl frisiert sein Treppengeländer und so schön gefügt seine Raumfolgen, ist keine gute Architektur, denn er beansprucht zu viel Fläche und zu viel Energie für seine Versorgung und seinen Betrieb. Minergie mag ein Tropfen sein auf den heissen Stein, denn in der Doppelgarage warten die Autos – und schon wird aus dem wohl bedachten Haus ein Mahnmal missratener Architektur. Das Postulat Nummer zwei heisst also: Reduktion der Siedlungsfläche um die Hälfte!

Auch für Architektur im Haus drin ist die Energie eine unbestechliche Leitlinie. Schlechte Architektur ist aus Materialien gebaut, die über schlechte Energie- und Schadstoffbilanzen verfügen. Und sie wird noch schlechter, wenn die Materialien so verbaut sind, dass sie das Klima fahrlässig beeinflussen, weil sie das Haus schlecht isolieren. So missratene Architektur können nicht alle auf den ersten Blick sehen. Der Bauphysiker und der Energieingenieur können sie uns sichtbar machen. Und immer wieder auch mit dem Finger auf Perlen zeitgenössischer Architektur zeigen, von denen einige bei messendem Hinschauen zu Dreck- und Ener-gieschleudern werden. Dieses Postulat verlangt: Besteuert die Baustoffe nach ihrer grauen Energie. Nach dem Vortrag gab es Most, Wurst und Brot und alle von mir Belehrten stiegen in ihren BMW und brausten aufs Land hinaus nach Hause.

hochparterre, So., 2005.10.16



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Publikationen

Presseschau 12

01. September 2010Köbi Gantenbein
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Der Sonne verschrieben

Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn...

Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn...

Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn tragende Solaragentur Schweiz und ihr Chef, der Umweltpolitiker Gallus Cadonau, erhoben ihn zur Baukultur. Unerbittlich werden Volt und Watt, Kilowattstunden und CO 2-Ausstoss aufgereiht. Das schafft Verbindlichkeit, starke Argumente vor Gericht und Seriosität in der Debatte. Doch Zahlen vernebeln auch, denn das Leben und das Bauen sind bunter, als Ziffern versprechen. Fiel in den ersten Jahren das Auge des Solarpreis auf die am und ums Haus installierte Leistung, kamen bald Kennzahlen dazu, die angeben, ob und wie ein Haus abgedichtet ist. Doch während die technischen Zahlen — als Trumpfkarten freudvoll ausgespielt — komplexer werden, ist der Aufwand zurückhaltend, der betrieben wird, um die Sonnenenergie ins Haus zu bringen.

Der Solarpreis sollte beherzt auch mit kaufmännischen Zahlen fechten. Erst wenn die Immobilienfirmen wissen, was Bau und Betrieb kosten und ihre Renditen mit der Sonnen Energie kalkulieren können, werden auch Siedlungen neben den schmucken Plus-Energie-Einfamilienhäusern stehen. Doch die Kosten der dicken Dächer und der komplexen Fassaden, die keine Wärme mehr hinein- und hinauslassen, können auch kritisch befragt werden: Wenn es stimmt, dass es viel mehr Sonnenenergie in der Schweiz gibt, als wir brauchen — und erst noch gratis —, wäre es dann nicht angebracht, sie künftig zu verwenden und Sonnenfangmaschinen und Erdspeicher zu bauen anstatt teure Dächer und komplexe Fassaden?

Die Integration des Bauteils

Metron-Gebäude in Brugg (Metron Architekten), Bundesamt für Statistik in Neuenburg (Bauart), Forum Chriesbach in Dübendorf (Bob Gysin & Partner), Mövenpick Marché in Kempthal (Beat Kämpfen), Eulachhof Winterthur (Dietrich Schwarz) — schauen wir in das Archiv der zeitgenössischen Schweizer Architektur, so finden wir einige, die ambitioniere Architektur mit Energievernunft verbinden und damit auf der Bühne des Solarpreises gestanden sind. Dazu kommen architektonisch aparte Sanierungen wie die Magnusstrasse in Zürich (Viridén & Partner), das Haus Burri in Uetikon am See (Beat Kämpfen) oder ein Jugendstilhaus in Arlesheim (Daniel Wyss).

Doch der zweite wichtige Beitrag des Solarpreises zu Baukultur und Architektur ist nicht die Auflistung , sondern der Kampf um den Ort der Sonnen-Installationen. Von Anfang an setzten Cadonau und seine Leute sich für die «Integration» der Paneele in Haus und Fassade ein. Für Windanlagen, die nun als Kleinkraftwerke die Landschaften zu bedrohen beginnen, hat sich der Preis nicht stark gemacht, als Förderer frei stehender Sonnenmaschinen wurde er nicht laut — gut so. Als Organisator einer langjährigen baukulturellen Debatte versammelte Cadonau über Jahre Denkmalpfleger, Heimatschützer, Baubehörden, Energiefachleute und -beamte, sodass schliesslich 2005 die Publikation «Integration Solaranlagen» sieben Richtlinien vorschlug, wie Sonnenanlagen in bestehende Gebäude eingefügt und wie neue Sonnenhäuser gebaut werden sollen. Zusammengefasst: Dem Solarhaus soll man seine Technik nicht ansehen. Keine Experimente und formale Erfindungen, kaum Spielraum für entwerferischen Furor. Folgerichtig — und das ist die architekturpolitisch wichtige Tat — ist es den Förderern gelungen, im Raumplanungsgesetz den Artikel 18a einfügen zu lassen, der bis auf wenige Ausnahmen eine «sorgfältig» ins Haus integrierte Solaranlage zu einem Recht macht. Baubeamte und Denkmalpfleger — skeptisch wegen der Häufung matt glänzender Flächen — sitzen seither am kurzen Hebel. Auch ein altes Haus muss unter Umständen seine Würde hergeben, wenn es gilt, die Energiewende herbeizubauen. Der baukünstlerischen Entfaltung setzt die «sorgfältige Integration» einen engen Spielraum. Das ist gut, wenn wir an all die von Designdruck Geplagten denken. Das ist schlecht, wenn wir an die denken, die Baukunst machen und mit neuer Technik neue Erfindung und Form wollen. Und das ist gut, wenn wir dran denken, dass die Energiewende vor allem mit Sanierungen, nicht allein mit Neubauten gewonnen werden wird.

Der politische Raum

Für ihre Ziele ziehen Cadonau und die Seinen seit zwanzig Jahren alle Register der Politik von lustvoller Polemik in Leserbriefspalten, Rechtshändeln bis vor Bundesgericht, Volksabstimmungen, Präsenz in und vor Parlamenten und klugen Essays in Broschüren. Zum politischen Raum gehören auch geschickte Koalitionen mit der wachsenden Sonnenbranche — Hans Ruedi Schweizer von Schweizer Metallbau in Hedingen ist Pionier und als Unternehmer von Anfang an Solarpreis-Mitträger. Zur Politik gehört der Prominentenboulevard.

Schon für die erste Aufführung des Preises lotste man Bundesrat Adolf Ogi nach Brienz-Brinzouls in den Kanton Graubünden und mit ihm Parlamentarier aller Couleur, Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften und Arbeitgeber, allen versichernd, sie täten etwas Gutes, wo doch die Energiepolitik anfangs der Neunzigerjahre vollkommen blockiert war. Seither ist jede Preisverleihung ein grosser Bahnhof mit Bundesrat. Und um auch in der Szene der Architekten an Aufmerksamkeit zu gewinnen, patroniert neu Lord Foster mit seinem Namen den Preis für die Kategorie der Häuser, die mehr Energie herstellen, als sie brauchen. Der Lord ist eine Galionsfigur und ein Könner des energievernünftigen Bauens im grossen Massstab. Doch auch herausragende Architekten predigen Wasser und trinken Wein. Zur Preisfeier wird er wohl mit seinem Privatjet herbeidüsen und wir werden ihn fragen, wie es möglich sei, mit einem Schloss am Genfersee und gut gedämmten Behausungen im Engadin und anderswo auf eine Wohnfläche zu kommen, die mit der persönlichen Nachhaltigkeit verträglich ist? Sagen wir vierzig Quadratmeter pro Person?

Und nun?

Gallus Cadonau fasst den Wandel des Solarpreises in einem Brief an mich so zusammen: «Zuerst, 1991, haben wir jene Familie ausgezeichnet, die am meisten Sonnenkollektoren pro Kopf vorweisen konnte. Daraufhin meinte Jurymitglied Pierre Fornallaz, dass diese Familie mit besseren Fenstern und nur halb so vielen Kollektoren auf dem Dach energetisch besser fahren würde. Und so rückte je länger je mehr zu den erneuerbaren Energien die Energieeffizienz in den Fokus.» Stetig und vif hat der Preis auf Wandel reagiert, neulich als er die Plus-Energie-Bauten als Richtschnur des Bauens aufs Podest hob. Mit 100 000 Franken ist das eine der bestdotierten Auszeichnungen in der Architekturszene.

Blättern wir die Solarpreis-Kataloge durch, fällt ein weiterer Wandel auf. Die ersten Ausgaben feiern Gemeinden und Gemeinschaften, die sich der Sonne verschreiben und städtebauliche Ambitionen haben. In den Neuzigerjahren wird der weite Blick präziser — und also enger. Blieb die politische Perspektive immer bezogen auf die grosse Bühnen der Energiepolitik, definierte der Preis seine Kategorien nun näher am Haus und dem Sonnengerät. Das «Solarpreis-Gericht» setzte Gartenzaun und Grundstück als Grenze fest. Einen Widerspenstigen, der vor dem «Schweizer Solarpreisgericht» Beschwerde gegen ein ausgezeichnetes Zweifamilienhaus führte, weil ein solches die Zersiedelung und damit Energieverschleiss fördere und also nicht gelobt werden dürfe, stellte Jurist Cadonau nach allen Regeln der Juristenkunst samt Verweis auf RPG, ZGB und Bundesverfassung in den Senkel. Diese Ge schichte möge anregen, den Blickwinkel zu öffnen. Denn es gilt auch in städtebaulichen Erwägungen zu gewichten, welchen Beitrag eine haustechnische Musterleistung zu einer guten Siedlung, Stadt, Landschaft und zu nachhaltigen Lebensweisen beiträgt. Die Solarpreis-Ausgabe 2010 lobt die Gemeinde Hessigkofen für die politische, finanzielle und kulturelle Förderung von Sonnen- und erneuerbarer Energie von der Versorgung von Wohnhäusern über Strassenleuchten bis hin zum E-BikeSharing. Und sie zeichnet die Monte Rosa-Hütte des SAC aus, zweifellos eine Verdichtung von Designwillen, technischem Können und grosser Ausstrahlung. Doch kann dieses Edelstück mehr als andere SAC Hütten seit eh und je können? Gewiss, sie gibt viel mehr Gästen viel mehr Komfort, sie bietet mehr WC, mehr Platz pro Kopf, die Schlafräume sind hier oben geheizt statt kalt und sogar warm duschen ist Realität. Doch fördern das hohe Können, der Aufwand, der nicht aus den Übernachtungserlösen wird bezahlt werden können, und exzellente technische Zahlen das richtige Leben? Oder fördert das alles nicht vorab unsere Freizeitgesellschaft, die munter und fröhlich ständig mehr Ressourcen verbraucht? «Glacier paradise», das Restaurant der Zermatt Berg b ahnen auf dem kleinen Matterhorn, 3883 Meter über Meer, erhält eine Auszeichnung. Sonnenkollektoren und integrierte Fotovoltaikanlagen liefern die gesamte Energie. Schnitt Südfassade: Die Solarzellen werden von der kalten Bergluft hinter lüftet und gekühlt. Die so erwärmte Luft wird für die Lüftung gebraucht.

hochparterre, Mi., 2010.09.01



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18. Januar 2010Köbi Gantenbein
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Das Bad in der Farbkammer

Miller & Maranta Architekten haben im Dorfkern von Samedan einen Badeweg durch farbige Räume gebaut.

Miller & Maranta Architekten haben im Dorfkern von Samedan einen Badeweg durch farbige Räume gebaut.

Wer in Samedan über den Hauptplatz spaziert, kann denken: «Da haben die Gläubigen aber tief in die Tasche gegriffen und ihre barocke Kirche zeitgenössisch erweitert. Wie zurückhaltend der Baukörper ist. Wie farbenfroh die Fensterrahmen. Streng und farbig - ein Fest für den protestantischen Liebgott!» Denn nichts deutet darauf hin, dass der Anbau an die Kirche ein Badhaus ist. Wer den Ort früher kannte, sieht jetzt: Dieser Ort will eine neue Bedeutung. Dafür schrieb der Gemeindevorstand vor acht Jahren einen Ideenwettbewerb unter Architekten aus, der aber nichts Tragfähiges zustande brachte. Immerhin öffnete er die Augen und gab der Idee Flügel, ein Bad mitten im Dorf zu bauen. Ihre Erfinder heissen Roger Bernet und Peter Arnold von der Firma Acqua-Spa-Resorts, die auch in Bern, auf dem Hürlimannareal in Zürich oder auf der Rigi Badhäuser realisiert. Nachdem der Boden planerisch und politisch bereitet war, übergab der Gemeindepräsident Thomas Nievergelt der Firma die Führung des Vorhabens, mit dem sanften Hinweis, dass das Bad mit einem Architekturwettbewerb gefunden werden soll. Miller & Maranta Architekten gewannen den Studienauftrag unter fünf Büros. Ihr Projekt bestand politische Prüfungen, einen Auftritt vor Bundesgericht und ist nun als «Mineralbad & Spa Samedan» für die Baderinnen und Bader geöffnet.

Weiterbauen

Das Dorf - den Ort - weiterbauen gehört zum Wortschatz der Architekten Quintus Miller und Paola Maranta. Was heisst das für ein Badhaus, das in Samedan in ein Dorfbild nationaler Bedeutung zu stehen kommt? Es heisst an- und einfügen in das Bild, das die Nachbarhäuser, der neuneckige «Plaz» und die engen Strassenräume schon hergeben. Demütig haben die Architekten die Traufhöhe des Bades nicht nur jener der Kirche, sondern auch jener der benachbarten Wohnhäuser untergeordnet. Leicht zurückversetzt von der Gassenlinie steht das Badhaus an der einen Seite des «Plaz», eine Zurückhaltung, die natürlich auch den Fussgängern nützt. Diese Platzierung betont die vom Platz wegführende Gasse und bindet einen ehrwürdigen Nachbarn in den Platz- und Gassenraum ein. Die Bausünde gegenüber, die im letzten Jahrhundert dem «Plaz» arg zugesetzt hat, verschwindet deshalb nicht. Das Bad tut, wie wenn sie nicht da wäre, und selbstverständlich verbieten sich die Architekten auch alle dekorativen Bauteile, die Schellenursli verwendet, um engadinerisch zu bauen: Sgraffito, Sulertor und balcun tort, wie der Erker malerisch hierzulande heisst. Auch auf das Vordach, wie es in den Bergen Sitte und Brauch ist, haben die Architekten verzichtet. Sie lassen ihr flaches Dach nur drei Finger breit überkragen. Das unterstützt die Zurückhaltung und den Eigensinn des Hauses. Doch Regen, Schnee und Pflotsch kennen kein Pardon vor subtilem Design. Erste Spuren tränen über den Putz.

Und noch eine Eigenart des Ortes bauen die Architekten analog zur Kirche weiter: Wer vor ihr steht, weiss nicht, wie es drinnen weitergeht. Die Fassade ist prächtig, der Campanile hoch, die Kirchenwand aber kurz. Welcher Innenraum erwartet uns? Auch das Badhaus stellt Rätsel. Der Bader ahnt nicht, dass innen für ihn ein Badeweg durch Kammern, Höfe und über Treppen bis aufs Dach eingerichtet ist. Er weiss nicht, dass das Haus fast so tief im Boden steckt wie es in die Luft ragt. Und er rätselt: «Wozu sind wohl die unterschiedlich grossen und farbig eingefassten Fenster?»

Beiläufig ist denn auch der Eingang in die Fassade gesetzt. Der Bader tritt durch eine Schwingtüre in einen geduckten, kleinen Raum, die graue, warme Farbe gibt ihm Höhlengefühl. Er kauft an der Holztheke sein Billett, trinkt am Brunnen Mineralwasser und sitzt auf eine Arvenholzbank. Hei, wird es hier lustig zu und hergehen, wenn die Mutter kein Wechselgeld hat, der Vater das Garderobebändchen nicht anschnallen kann, der verlorene Sohn immer noch nicht aufgetaucht ist und der Männerchorausflug frohgemut ansteht. Dieser Empfangsraum ist auch ein Programmzettel: «Unser Bad ist kein Massenapparat. Hier gibt es keine Rutschbahnen und keine Lautsprecher mit Anweisungen für die Gymnastik.» Grau in Grau steigt der Bader ins Untergeschoss, wo in rotbraun glänzendem Redwoodfurnier Garderoben, ein Frisierlokal und Gästekästchen eingerichtet sind. Auch hier: kein Platzluxus und kein Massenbad. Eine noble Stimmung. Sind die 130 Garderoben-Kästchen vergeben, ist ausverkauft.

Das erste Prinzip: Der Auf- und Abstieg

Aus der Not haben Bauherr und Architekt eine Erfindung gemacht. Ein Bad ist normalerweise in die Fläche gebaut. Hier geht es in die Höhe, weil das Grundstück in der Fläche nur Platz für drei Dutzend Badewannen böte. Der Bader steigt treppauf, treppab. Im Keller die Garderoben, im Parterre das «Alpenbad», im ersten Stock das «Sprudel-», daneben das «Heissbad» und um den Luftraum des «Alpenbades», eine Folge von Dampfbädern unterschiedlicher Hitze, mit und ohne Kräuterduft. Im zweiten Geschoss sind Ruheräume. Für den letzten Badegang ist ein kleines Becken unter freiem Himmel ins Dach eingelassen. Der Bader schwadert auf dem Rücken und betrachtet den neben dem Badhaus aufstrebenden Campanile und einen Rest seiner goldenen Zwiebel, in der Perspektive so gelegt, dass er auf ihn herunterzufallen droht — kein Bergblick ist schauerlicher!

Das zweite Prinzip: Die Kammerung

Schon im «Alpenbad» im Parterre wird die Kammerung vorgeführt. In einem acht Meter hohen Raum sind um ein zentrales, bis an den Rand geflutetes Becken vier weitere gefügt. Im einen kann man liegen, im anderen in der Dünkle schweigen, im dritten über spitze Steine staksen und im vierten im Wasser und im Dampf sitzen. Gross, klein; weit, eng; hoch, tief; offen, zu; viereckig, mehreckig; Raum-Durchgang-Raum werden auf vier Etagen auf einem engen Grundriss zu einem Drama gefügt. Die Garderoben im Keller sind verschachtelte Holzkammern, das «Sprudelbad» ist ein Festsaal mit Lüster an der Decke. Das angrenzende «Heissbad» ist ein hoher, schmaler Schlauch mit einem Knick. Das Dampfbad geht durch vier unterschiedliche Kammern, die Ruheräume sind Zimmer mit und ohne Nischen. Das Innenraumgeschachtel des Engadiner Bauernhaues, seine überraschenden Raumfolgen vom Suler in die Stuben und über enge Treppen in die Kammern kommen dem Bader ebenso in den Sinn wie Bilder der Bäder im schon lange untergegangenen Al-Andalus, wo die Araber den Europäern in Spaniens Süden baden gelehrt haben. Der Badeweg über die Vertikale und die Kammern, gross und klein, sind zwei Trümpfe des Bades.

Das dritte Prinzip: Das Tageslicht

Im warmen Wasser liegend, kann der Bader das Fensterrätsel der Fassade auflösen. In die Kammern strahlt direkt oder indirekt das Sonnenlicht — und für die Nachtbader das im Engadin besonders helle Mondlicht. Für das Zusammenspiel mit dem Licht aus den Wandfenstern kommt Licht durch Luken in der Decke. Leuchten in den Becken sorgen dafür, dass sich die kleinen Wellen an den Wänden spiegeln. Der Kammervielfalt entsprechen unterschiedlich intensive Lichter: Die Sonne tröpfelt über ein kleines Dachfenster durch einen Schacht in den Nebel des Dampfbades. Die Lichtführung stimmt den Bader ruhig und froh, bringt aber seine Sinne nicht in Wallung, wie das die einer Kirche vermag. In der Erinnerung bleiben die durch ein Fensterchen in die Dunkelkammer des «Alpenbades» schimmernde Sonne und der Panoramablick aus dem Ruheraum auf einen Engadiner Palast.

Das vierte Prinzip: Die Farbenkacheln

Die Badkammern sind an Wänden, Decken und Böden mit farbigen Keramikkacheln im Format einer Handspanne verkleidet. Jedes Bad hat seinen Farbverlauf: Gelbtönungen des herbstlichen Lärchenwaldes im «Alpenbad», Tanz der roten Farbtöne im «Sprudelbad» und rotes Feuer in den Dampfbädern. Dunkelgrünblau ist der Ruheraum und im «Heissbad» wird das Abc des hellen Grüngelb buchstabiert, bis dem Bader, halb gekocht in vierziggrädigem Wasser, die Kachelfarben giftig in die Augen stechen. Er muss sich langsam an die ungewöhnliche Keramik-Stimmung heranbaden und ist froh, sind nicht viele Leute mit ihm, kichernd und schwatzend. Abgesetzt ist das Farbenspiel im Eingang und den Treppenhäusern: Sie sind mit Steinzeug-Keramik belegt. Das immer gleiche Grau ist ein Stilbruch, kein Kontrast.

Arven und Lärchen

Einen Kontrast dagegen erlebt der Bader, wenn er ermattet vom Dach ein paar Stufen hinuntertappt und in der «Lärchenkammer » auf den «Plaz» schaut oder in der «Arvenschatulle» Kräutertee trinkt. Er schaut dem Tanz der Äste über die Wände zu, den ein in die Arvenbretter gefräster «laufender Hund» unterstützt, ein Ornament, das einst als Sgrafitto in den Putz der Engadiner Fassaden geritzt wurde. Seiner Nase wird heimelig vom Geruch des einheimischen Waldes. Holz an den Wänden, an der Decke, auf dem Boden und für die Möbel. Viel Holz statt viel Keramik. Roger Bernet, der das Badprojekt entwickelt hat, erklärt: «Diese Räume sind mein Respekt vor dem einheimischen Handwerk. Ich wollte einen Holzraum von Ramon Zangger haben, dessen Werkstatt einen Steinwurf vom Bad entfernt ist. Er ist ein Kunsthandwerker, der sucht, wie einheimische Hölzer zeitgemäss gebraucht werden können. Und ich wollte der Lehrwerkstatt der Schreiner hier in Samedan eine Bühne geben. Und so haben die Lehrlinge für die «Lärchenkammer» 14 Barhocker aus Holz entworfen und gebaut.»

Der Architekt, seufzt kurz und knapp: «Der Bauherr hat das so entschieden. » Die zwei haben sich zeitweilig auseinanderbewegt. Ein Grund waren Unklarheiten der Bauherrenrolle. Entwickler, Investor, Generalunternehmer und Betreiber sind miteinander verknüpft und haben, so der Architekt, ihn bei Entscheiden ab und zu draussen gelassen. Roger Bernet entgegnet, dass der Architekt sich selbst aus dem Prozess genommen habe. Dass die zwei gegen Schluss unstimmig waren, hat Folgen für den Bau. So die immergleich grauen Fliesen in den Treppenhäusern, die nicht recht zum gestalterischen Raffinement des Bades passen wollen. Roger Bernet wählte sie aus: «Wir haben lange nach einem Belag gesucht, der die Badenden vor dem Ausrutschen schützt, sich den farbigen Kacheln unterordnet und die Anforderungen meiner Leute erfüllt, die das Bad putzen.» Drei weitere Entscheide brauchen des Baders kritischen Rat. Im Treppenhaus treten allerhand Dekorationen von alten Truhen über Holzblöcke mit Kerzen bis zu Kunst aus Steinen und Ästen gegen die reine Architektur an. Des Baders Rat: «Wegräumen - sie versperren Platz!» Die Anweisungen an den Bader hat jemand gar sorglos aus dem Computer geholt, in Plastikmäppchen gesteckt und auf Holztafeln oder auf Plexiglasständer geklebt. Des Baders Rat: «Typografie und Grafik gehören zum Bau und verdienen dieselbe Sorgfalt und Handschrift.» Schliesslich ist nicht jedes Möbel im Haus gestalterisch auf der Höhe. Das Möblierungskonzept ist irgendwo verloren gegangen. Die 14 Hockerentwürfe der Lehrlinge sind gut gemeint und gut für eine Semesterausstellung, weniger fürs Ruhen im Bad. Des Baders Rat: «Die Möblierung nachbessern!» Solche Knicke in der Schönheit können einfach geflickt werden. Sie irritieren - sie stören aber die packende Aufführung von Raum, Weg, Farbe, Licht und Wasser und das Badedrama in den Kammern und Höhlen nur in der Pause.

Badetechnik

Das Badhaus reicht 12 Meter tief in den felsigen Boden. Im zweiten Untergeschoss stehen auf engem Raum die Werkstatt des Badetechnikers, seine Steuer- und Überwachungsmaschinen, die Wasseraufbereitungsanlagen, Heizkessel, Pumpen und Filter, die die Bäder, die Dampfsaunen, die Massage- und die Ruheräume versorgen. Die Heizenergie kommt aus der Erde unter
dem Bad und dem Dorfplatz; Maschinen holen die Wärme aus der Abluft zurück. Beim Bohren nach Erdwärme machte Roger Bernet einen Sechser im Lotto: Die Bauarbeiter stiessen auf eine Ader mit schwefel und calciumhaltigem Wasser, genügend gut, dass das Bad das geschützte Siegel «Mineralwasser» tragen darf.

Der Besitzer

Wer in Samedan badet, badet vielleicht in seinem Pensionskassengeld. Denn das Mineralbad & Spa gehört der Credit Suisse Anlagestiftung Real Estate Switzerland. Die Bank hat diese Finanzfirma 2002 lanciert; sie verfügt heute über 4,2 Mrd. Franken und investiert zehn Prozent ihrer Anlagen in «Wasserwelten». Das Hammam Oktogon in Bern, das Solbad in Schönbühl oder das Thermalbad, das Mario Botta auf der Rigi plant, gehören dazu. Die Projekte entwickelt Roger Bernet mit seiner von der Bank unabhängigen Firma Aqua-Spa-Resorts. Als GU ist meist MLG aus Bern mit von der Partie, geführt von Rolf Marti, einem ehemaligen Marazzi-Mann. Aqua-Spa-Resorts mietet die Bäder mit langfristigen Verträgen. Landläufig heisst es, ein Bad sei ein Fass ohne Boden. Werden der Standort, das Einzugsgebiet, die Höhe der Investition, die Betriebskosten und die Eintritte kalkuliert, so gehe die Rechnung auf, so Roger Bernet. Für Samedan rechnet er mit 50 000 Gästen im Jahr. Eine erwachsene Baderin, zum Beispiel, muss 36 Franken Eintritt bezahlen.

hochparterre, Mo., 2010.01.18



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12. Dezember 2005Köbi Gantenbein
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Ziegen unter rotem Dach

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger...

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger...

Je wackeliger der Milchpreis, umso besser geht es den Ziegen, denn sie und die Schafe versprechen den Bergbauern eine Alternative, auch wenn sie weniger werden. Lebten 1983 insgesamt 12 322 Ziegen in Graubünden, so sind es heute noch 9351 Tiere. Sie brauchen dennoch neue Ställe und Alpen. Zum Beispiel auf der Alp Puzzetta bei Fourns in der Nähe des Lukmanierpasses auf 1850 m ü. M. Die Alp steht dort schon seit vielen Generationen. Sie reichte für zeitgenössisches Wirtschaften nicht mehr und also schlugen Marlene Gujan und Conrad Pally vor, die alten Gebäude abzubrechen. Ihre neue Alp ist ein Holzständerbau, seine Hülle aus Alu strahlt in dunklem Rot, die präzise gesetzten Nähte, die scharf ausgeschnittenen Fenster geben dem Blechkleid einen eleganten Ton. Die abgetreppte Form ist nicht nur der Topografie geschuldet, sondern auch der Ziegenwirtschaft. Im oberen Teil ist der Melkstand für die 350 Ziegen, dann geht die Milch eine Stufe hinab, wo sie Käse, Joghurt, Quark oder Trinkmilch wird. Die Alp Puzzetta ist ein Pilotprojekt, denn es müssen viele Alpen abgebrochen oder saniert werden. Bauen aber genügt nicht, es braucht auch Vorstellungen, wie aus der Ziegenmilch und ihren Produkten mehr Geld gewonnen werden kann.

hochparterre, Mo., 2005.12.12



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16. Oktober 2005Köbi Gantenbein
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Missratene Architektur

Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den...

Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den...

Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den Geschmacksterror der Einfamilienhäuser anprangern, die Architekten beschuldigen und ihre ästhetischen Zumutungen tadeln. Ich tat, wie mir befohlen, und wies darauf hin, dass die Architekten wenig Schuld haben, denn ihr Anteil gemessen an den Bauinvestitionen von 15 Milliarden Franken pro Jahr ist so klein, dass es nicht einmal Zahlen gibt. Und ich lobte die Geschmacks- und Kulturexplosion im 20. Jahrhundert, dank der die Deutungshoheit übers Gute und Wahre untergegangen sei, und schloss: «Die Schönheit hat also verloren – das hat auch Vorteile. So können wir uns statt der zu bewertenden der messbaren Architektur widmen. Da sie nicht ästhetisch verhandelt werden muss, lege ich drei Postulate zur schlechten Architektur und ihrer Bekämpfung auf:
— Die Schweiz hat eine Errungenschaft: die Bauzone. Diese ausweiten heisst, schlechte Architektur fördern. Das tun die eidgenössischen Räte, wenn sie den fünf parlamentarischen Initiativen, vier Motionen und einer Standesinitiative stattgeben, die eines fordern: Das Bauen ausserhalb der Bauzonen erleichtern! Sie werden so die wichtigste Errungenschaft der Raumplanung in der Schweiz aushebeln. Sie wollen aus Ställen Wohnhäuser und aus stillen Matten Sitze für Millionäre machen. Dieses erste Postulat zur Bekämpfung schlechter Architektur heisst: keine Aufweichung der Bauzone!

Die Siedlungsfläche pro Kopf beträgt in der Schweiz 400 Quadratmeter. Babies im Stubenwagen und Greise im Altersheim mitgezählt. So viel ist Land- und Energieverschleiss und also schlechte Architektur. Dran ist das allein stehende Einfamilienhaus massgeblich beteiligt. Dieser Bautyp, so scharf geschnitten seine Kanten sein mögen, so wohl frisiert sein Treppengeländer und so schön gefügt seine Raumfolgen, ist keine gute Architektur, denn er beansprucht zu viel Fläche und zu viel Energie für seine Versorgung und seinen Betrieb. Minergie mag ein Tropfen sein auf den heissen Stein, denn in der Doppelgarage warten die Autos – und schon wird aus dem wohl bedachten Haus ein Mahnmal missratener Architektur. Das Postulat Nummer zwei heisst also: Reduktion der Siedlungsfläche um die Hälfte!

Auch für Architektur im Haus drin ist die Energie eine unbestechliche Leitlinie. Schlechte Architektur ist aus Materialien gebaut, die über schlechte Energie- und Schadstoffbilanzen verfügen. Und sie wird noch schlechter, wenn die Materialien so verbaut sind, dass sie das Klima fahrlässig beeinflussen, weil sie das Haus schlecht isolieren. So missratene Architektur können nicht alle auf den ersten Blick sehen. Der Bauphysiker und der Energieingenieur können sie uns sichtbar machen. Und immer wieder auch mit dem Finger auf Perlen zeitgenössischer Architektur zeigen, von denen einige bei messendem Hinschauen zu Dreck- und Ener-gieschleudern werden. Dieses Postulat verlangt: Besteuert die Baustoffe nach ihrer grauen Energie. Nach dem Vortrag gab es Most, Wurst und Brot und alle von mir Belehrten stiegen in ihren BMW und brausten aufs Land hinaus nach Hause.

hochparterre, So., 2005.10.16



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