Was ist ein einzigartiges Objekt? Ein seltsames Ding, ein Meteorit, ein sich auf einen einzigen Punkt zuspitzendes Absolutes, das mit nichts anderem austauschbar ist. Vielleicht auch eine Idee, ein Bauwerk, eine Farbe, ein Gefühl, ein menschliches Wesen. Immer ist es seine Einzigartigkeit, die es in Gefahr bringt.

Wo lassen sich angesichts der Mediatisierung und Globalisierung der Kultur, der Nivellierung der Werte und Generalisierung eines Denkens, das bloß aus Meinungen besteht, noch einzigartige Objekte finden? Wie lassen sie sich definieren, schaffen, beschützen und erkennen?

Der Philosoph Jean Baudrillard und der Architekt Jean Nouvel spinnen ihren Dialog um diese Themen herum und schneiden damit grundlegende Probleme an, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Sie stellen sich vor, wie die Stadt von morgen aussehen könnte. Fragen sich, warum das Ideal der Transparenz nach und nach alle Bereiche durchdringt. Und sprechen schließlich auch von der Schwierigkeit, frei zu sein.

Ein Versuch über die Einzigartigkeit, die beider Werk und Forschung beseelt. Ein Text, der sich leidenschaftlich mit den großen Wandlungen unserer Zeit auseinandersetzt.

ISBN
3-85165-589-3
Publikationsdatum
2003
Umfang
125 S.,
Format
Broschur,

Presseschau
31. Dezember 2004Klaus Englert
Neue Zürcher Zeitung

Einzigartige Architektur?

(SUBTITLE) Baudrillard und Nouvel im Gespräch

Der holländische Architekt Rem Koolhaas hat in den neunziger Jahren, als Südostasien von anämischen Hochhauslandschaften überwuchert wurde, von der unaufhaltsamen...

Der holländische Architekt Rem Koolhaas hat in den neunziger Jahren, als Südostasien von anämischen Hochhauslandschaften überwuchert wurde, von der unaufhaltsamen Ausbreitung des «junk space» gesprochen. Angesichts dieser Tendenz könnte man meinen, dass Architektur zum Refugium der «happy few» unter den internationalen Stars geworden ist, die sich ihre Bauherren aussuchen können. Jean Nouvel, selbst einer der «happy few», und der Philosoph Jean Baudrillard fragten in einer vom Pariser Maison des écrivains organisierten Diskussionsreihe nach der Einzigartigkeit der Architektur. Wie nicht anders zu erwarten, tastete man sich zunächst langsam zu den begrifflichen Voraussetzungen des Gesprächs vor. Denn wenn bei weitem nicht alles Gebaute schon Architektur ist, unter welchen Umständen kann dann von «einzigartiger Architektur» gesprochen werden? Oder, allgemeiner, von «einzigartigen Objekten»?

In seinem beachtlichen Frühwerk «Le système des objets» hatte Baudrillard eine kontrollierte Warenwelt beschrieben, in der die Objekte zu einem Gefüge von Funktionen geworden sind, denen jegliches Mysterium und Naturhafte ausgetrieben ist. Für diese Welt des Konsums, die nichts von ihrem Produktionsgrund weiss und nur noch die kulturelle Kohärenz von «Zeichen-Objekten» kennt, kann es keine einzigartigen Objekte geben. Angesichts der Globalisierung hat Baudrillard nun diese These revidiert. Das Einzigartige versteht er als Stachel in der globalen Entwicklung des Kapitalismus; als «Riss» in der weltweiten Vernetzung der Machtzentren. Im Jahre 2000, als Baudrillard das Gespräch mit Nouvel führte, schien er seine anarchische Lust noch bändigen zu wollen, als er den Finanzmoloch New York als einen Körper beschrieb, «der bereits da ist und den man nicht mehr zerstören kann». Nach dem Attentat vom 11. September 2001 glaubte er verkünden zu sollen: «Der Zusammenbruch der Türme ist ein symbolisches Ereignis höherer Ordnung. [. . .] Er ist ein einzigartiges Ereignis in der Geschichte der modernen Stadt, er präfiguriert eine Form des dramatischen Endes, um nicht zu sagen des Verschwindens dieser Form von Architektur wie auch des von ihr inkarnierten Weltsystems.»

Gibt es tatsächlich so etwas wie die «Architektur als reines Ereignis», von der Baudrillard träumt? Sicherlich liegt sie am ehesten in einer Bestimmung, der am Schluss beide Gesprächspartner zustimmen: Wenn eine gebaute Architektur etwas Einzigartiges ist, dann nur, wenn sie Ballast abwirft, wenn sie aus der Idee und der Geschichte der Architektur heraustritt. Solche Architektur zielt nicht auf Veränderung anhand von Modellen, sondern auf ein Werden ohne klare Richtungsangabe. Baudrillard: «Dahin zu gelangen, alles auszuschalten, leer zu machen, ist zweifellos die Vorbedingung zu jedem authentischen Schaffensakt. Wenn du keine Leere machst, wirst du niemals zur Einzigartigkeit gelangen.»

[ Jean Baudrillard, Jean Nouvel: Einzigartige Objekte. Architektur und Philosophie. Passagen, Wien 2004. 125 S., Fr. 28.80. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.12.31

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