Zwischen Avantgarde und sozialer Verantwortung, politischer Agitation und Boheme, Kosmopolitismus und regionaler Enge bewegte sich das kurze Leben des österreichischen Architekten Herbert Eichholzer. Einige seiner in kaum zehn Jahren realisierten Bauten gehören zum Interessantesten, was im Österreich der Zwischenkriegszeit entstanden ist.

Als eine der Leitfiguren des kommunistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus starb er im Alter von 39 Jahren unter dem Fallbeil.

Das Buch befragt Leben und Werk dieser vitalen, zeitlos faszinierenden Persönlichkeit. Zudem dokumentiert es ein Projekt an der Technischen Universität Graz, welches sich mit den realen Dokumenten des 2003 angekauften Eichholzer-Archivs virtuell – quasi als kulturelles Lebewesen – auseinandersetzt.

ISBN
3-211-21278-7
Beiträge von
Friedrich Achleitner (Vorwort) und Urs Hirschberg
Sprache
deutsch
Publikationsdatum
2004
Umfang
230 Seiten,
Format
Broschur, 19,8 x 29,1 cm

Presseschau
11. Dezember 2004Oliver Elser
Der Standard

Zerlegen, malen, führen, provozieren.

Die interessantesten Neuerscheinungen des Architekturbuchjahrgangs 2004. Gelesen, aufgeblättert und vorgestellt

THE PHAIDON ATLAS OF CONTEMPORARY WORLD ARCHITECTURE. Der deutsche Verleger Benedikt Taschen hat sie eingeführt, die Sumo-Klasse im Buchgeschäft. Der britische Phaidon-Verlag hatte bisher bereits einige „Ziegel“ im Sortiment, aber erst der ATLAS sprengt den Rahmen. Neun Kilo Gewicht, 1052 Gebäude aus 75 Ländern, 4600 Fotografien - plus Koffer gibt es diesen „coffeetable killer“ zum Preis von € 154,30. Aufgenommen wurde nur, was nach 1998 entstanden ist. Während andere Verlage schon mit weniger gewichtigen Sammelbänden oft scheitern, sind hier die Fotos durchgängig von exzellenter Qualität, und die Kurztexte vermeiden den Architektenjargon. Erstaunlich, wie gut recherchiert wurde. Unter den 42 Gebäuden aus Österreich sind auch weniger bekannte wie die Wohn-DNA von Weichlbauer/Ortis in Gratkorn oder der Glockenturm von Markus Pernthaler bei Judenburg zu finden. Dem aber stehen nur 24 Projekte in ganz Afrika oder 45 in Südamerika gegenüber, darunter etliche von westlichen Architekten. Es ist deren Perspektive, die das Buch dominiert, das ist sein einziges Manko.

SCHRUMPFUNGSPROZESSE Als das Architekturwort des Jahres 2004 wird „Schrumpfung“ in Erinnerung bleiben. Mit dem Aussterben von Wirtschaftsräumen beschäftigte sich nicht nur eine viel beachtete Ausstellung („Shrinking Cities“) in Berlin, auch auf dem Wiener Architekturkongress im November war das Thema präsent. Zu Unrecht bisher wenig beachtet wurde die Studie LERNEN VON ALLENTSTEIG, die in diesem Jahr von Erich Raith, Städtebauprofessor an der TU Wien, herausgegeben wurde (Springer, € 29,-/199 Seiten). Das Buch widmet sich der Kleinstadt am Rande des „Lochs im Waldviertel“, wie einer der größten europäischen Truppenübungsplätze auch genannt wird. 250.000 Übernachtungen pro Jahr würden andere Gemeinden jubeln lassen, doch es handelt sich überwiegend um Soldaten, während die Allentsteiger selbst immer weniger Perspektiven haben. Ob farbige Häuser nach dem Vorbild der Insel Burano ein Rezept wären? Auch wer nicht Architekt ist, findet in dem Buch genug Stoff, denn das Erzählen von Geschichten ist das eigentliche Medium der Annäherung an eine vergessene Stadt.

ARCHITEKTURLEHRE HANS KOLLHOFF Muss gute Architektur provozieren? Hans Kollhoff würde diese Frage strikt verneinen und ist gleichzeitig doch einer der ganz wenigen zeitgenössischen Provokateure. Seine Bauten stoßen in aufgeklärten Architektenkreisen meist auf Entsetzen oder entschiedenes Kopfschütteln. „Faschismus“ murmelte die Fachpresse bei mehr als einem seiner Projekte und erinnert stets wehmütig daran, dass Kollhoff in den Achtzigerjahren zu den „Jungen Wilden“ der deutschen Architektenszene zählte, dann aber seine Seele dem Teufel der Monumentalität geopfert habe. Doch wer sich in den vergangenen Jahren an der ETH in Zürich in seinen Zeichensaal verirrte, konnte auch auf irritierend banale Einfamilienhäuschen treffen, weil der rastlose Professor Kollhoff seine Studenten auf die Suche nach der verlorenen Gemütlichkeit geschickt hatte. Ein opulent bebilderter Band stellt jetzt die Studentenarbeiten der Jahre 1987 bis 2002 vor und erläutert die Entwicklung von Architekt und Lehre (Niggli, € 79,-/372 Seiten). Eine alte neue Droge, auch für die abgeklärtesten Architekturjunkies

LE CORBUSIER ALS KÜNSTLER Auch in der Architektur gibt es Groupies. Menschen, um es neutraler zu formulieren, die bereit sind, sich in den Dienst eines verehrten Genies zu stellen. Heidi Weber hat ihr Leben Le Corbusier gewidmet. Die junge Innenarchitektin sah 1958 in Zürich eine Ausstellung über den damals schon weltbekannten Architekten und wollte ihn daraufhin unbedingt kennen lernen. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, die bis zum Tod Le Corbusiers im Jahr 1965 immer intensiver wurde. Er überließ ihr nicht nur einige Möbelskizzen zur Serienproduktion, sondern bestimmte die Schweizerin als alleinige Verwalterin seines künstlerischen Werkes und baute ihr einen Pavillon am Ufer des Zürichsees. Seither hat Heidi Weber vier hervorragend illustrierte Bücher über die Gemälde, Zeichnungen und Grafiken Le Corbusiers herausgegeben, die der Birkhäuser-Verlag, der auch die legendäre Buchkassette des uvre complète vertreibt, nun übernommen hat. Der Preis liegt je nach Band zwischen 45 und 163 Euro. Da es keine Neuauflage ist, bleibt nur eine begrenzte Anzahl verfügbar.

TOTES LEBEN GIBT ES NICHT ist ein Zitat Herbert Eichholzers und der Titel einer Monografie über den steirischen Architekten und Widerstandskämpfer, der 1943 im Alter von neununddreißig Jahren hingerichtet wurde (Springer, € 25,-/ 231 Seiten). Die Autoren Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer heben Eichholzers Werk nicht auf den Sockel eines „lange Verkannten“, sondern sorgen für kluge Querverweise und lassen ein lebendiges Bild von einem Mann entstehen, der stolz auf seine Harley-Davidson war, bei Le Corbusier als Praktikant und in Moskau als Architekt arbeitete, seine Aufträge meist aus dem gehobenen Grazer Bürgertum bekam und zunächst so klug war, sofort nach dem „Anschluss“ Österreich zu verlassen. Eichholzer ging zu Clemens Holzmeister nach Ankara, doch 1940 gab es dort nichts mehr für ihn zu tun, und so stürzte er sich in das waghalsige Unternehmen nach Graz zurückzukehren, um für die KPÖ eine Widerstandsorganisation aufzubauen. Die meisten seiner Bauten sind längst verschwunden, nur das Haus Lind in der Grazer Rosenbergstraße wäre noch zu retten.

IM BAUEN SCHWELGEN Architekturbücher sind zu 99 Prozent reine Fotobücher. Der Bau ist fertig, der Fotograf rückt an, Bilder werden zwischen Buchdeckel gepresst, mit Texten von Kritikern, besser noch Philosophen garniert - und ab geht's in die Regale, von wo das Buch dann meistens nur vom Architekten selbst wieder hervorgezogen wird, um dem nächsten Bauherrn in die Hand gedrückt zu werden. Die preisgekrönte Bezirkshauptmannschaft Murau der Architekten Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer wurde bereits 2002 fertig gestellt, aber erst jetzt ist unter dem schlichten Titel MURAU (Pustet, € 28,-/128 Seiten) eine Dokumentation erschienen, die von dem Abenteuer handelt, einen außergewöhnlichen Bau mit ungewöhnlichen Mitteln in der Landschaft ganz wortwörtlich zu „verankern“. Ganz ohne Fotos und Texte (Christa Kamleithner/Walter M. Chramosta) kommt auch dieses Buch nicht aus, aber seine Stärke ist das Zerlegen des fertigen Baus in Zeichnungsserien, die nicht so abstrakt sind wie Architekturpläne, sondern sich bestens eignen, komplexes Denken anschaulich zu machen.

GUT GEFÜHRT Friedrich Achleitners Standardwerk über die österreichische Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts ist längst vergriffen - doch eine neue Generation unermüdlicher Jäger und Sammler ist unterwegs, um wenigstens die neuesten Bauten des Landes zu erfassen. Allen voran Otto Kapfinger, der sich nach VORARLBERG (Hatje Cantz 1998, € 24,80/336 Seiten) und TIROL (Pustet 2002, € 25,80/336 Seiten) nun die NEUE ARCHITEKTUR IN BURGENLAND UND WESTUNGARN (Pustet, € 22,-/256 Seiten) vorgenommen hat. Der dreisprachige Band gewichtet die Projekte nach Größe und Bedeutung und lässt keinen Quadratzentimeter Buchfläche ungenutzt. Luftiger hingegen ist die Darstellung der ARCHITEKTUR IN OBERÖSTERREICH SEIT 1980 von Romana Ring geraten (Pustet, € 25,-/200 Seiten) - da wäre etwas mehr mehr gewesen. Wie gut, dass das Mühlviertel mit dem Band HAUSVERSTAND (Pustet, € 18,-/ 120 Seiten) eigens unter die Lupe genommen wird.

Der Standard, Sa., 2004.12.11



verknüpfte Publikationen
The Phaidon Atlas of Contemporary World Architecture
Architektur in Oberösterreich seit 1980
Baukunst in Vorarlberg seit 1980
Bauen in Tirol seit 1980
Neue Architektur in Burgenland und Westungarn

11. Juli 2004Colette M. Schmidt
Der Standard

Sozialer Architekt im Widerstand

„Totes Leben gibt es nicht“, schrieb einst der Grazer Architekt Herbert Eichholzer, ein konsequenter Vertreter der Moderne der Zwischenkriegszeit, in Bezug...

„Totes Leben gibt es nicht“, schrieb einst der Grazer Architekt Herbert Eichholzer, ein konsequenter Vertreter der Moderne der Zwischenkriegszeit, in Bezug auf lebendige Tradition im Bauen. Eine Monografie, die das Zitat als Titel führt, und eine Ausstellung an der Grazer TU arbeiten das Leben des sozialdemokratischen Kosmopoliten, der auch in seiner politischen Haltung stets konsequent blieb, auf. 1943 wurde Eichholzer von den Nazis erst vierzigjährig enthauptet.

In Graz sind nur wenige seiner Bauten im Originalzustand erhalten geblieben. Neben einigen Einfamilienhäusern oder einem Arbeiterwohnhaus im steirischen Judenburg gehört auch die Operngarage in Graz, die 1933 in der Tagespost als „Hotel für Autos“ begrüßt wurde, zum Erbe Eichholzers, der auch in Paris und Ankara arbeitete.

Das Buch und die Schau sind die Ergebnisse der interdisziplinären Forschungen von Kunsthistorikerin Antje de Grancy, Zeithistoriker Heimo Halbrainer und Architekt Günter Koberg. Ergänzend dazu publizierte Halbrainer im Verlag des Geschichtsvereins Clio den Band „Abessinische Reise 1925/26“: Eine Dokumentation der Reisen Eichholzers ins heutige Äthiopien.

In seiner urbanen Architektur der einfachen, klaren Formen sind deutlich die Einflüsse von Ludwig Mies van der Rohe, Josef Frank und nicht zuletzt von Le Corbusier, in dessen Atelier Eichholzer von 1928 bis 1929 arbeitete, abzulesen. Zudem schuf er funktionelle Möbel und die Holzspielzeugserie „Klump“, die die kindliche Fantasie unterstützen sollte.

Das politische Engagement begann während des Studiums in Graz. Im Februar 1934 kämpfte Eichholzer im Republikanischen Schutzbund und musste in der Folge fliehen. 1940 kehrte Eichholzer mit Margarete Schütte-Lihotzky nach Österreich zurück, um im Auftrag der KPÖ im Widerstand gegen die Nazis zu kämpfen.

[ „Totes Leben gibt es nicht“. Hg. von der TU Graz. Springer Verlag, 230 Seiten, 25 Euro. ]

Der Standard, So., 2004.07.11

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