Oberösterreich gilt als Land des Heimatstils – es hat aber auch bemerkenswerte neue Architektur zu bieten Das Land Oberösterreich gilt als dynamischer Wirtschaftsstandort. In seinen kulturellen Ambitionen scheint es jedoch eher der Vergangenheit zugewandt. Dieses Bild vermag der Band „Architektur in Oberösterreich seit 1980“ nachhaltig zu relativieren. Romana Rings Bestandsaufnahme, die dort einsetzt, wo Friedrich Achleitners Standardwerk „Architektur des 20. Jahrhunderts“ endet, versammelt eine erstaunliche Fülle interessanter, nicht selten international wahrgenommener Bauten wie z. B. das Seebad Häupl in Attersee (Luger/Maul), die Kirche in Steyr/Resthof (Riepl/Riepl) oder das Lentos Kunstmuseum der Stadt Linz (Weber+Hofer AG). Nach Regionen geordnet, mit Übersichtskarten und zahlreichen Fotos ausgestattet, erschließt der Band eine reizvolle Architekturlandschaft jenseits der Ballungsräume.

ISBN
3-7025-0478-8
Sprache
deutsch
Publikationsdatum
2004
Umfang
ca. 192 S., zahlreiche Duplex-Abbildungen und Karten
Format
Hardcover, 13,3 x 21,4 cm

Presseschau
11. Dezember 2004Oliver Elser
Der Standard

Zerlegen, malen, führen, provozieren.

Die interessantesten Neuerscheinungen des Architekturbuchjahrgangs 2004. Gelesen, aufgeblättert und vorgestellt

THE PHAIDON ATLAS OF CONTEMPORARY WORLD ARCHITECTURE. Der deutsche Verleger Benedikt Taschen hat sie eingeführt, die Sumo-Klasse im Buchgeschäft. Der britische Phaidon-Verlag hatte bisher bereits einige „Ziegel“ im Sortiment, aber erst der ATLAS sprengt den Rahmen. Neun Kilo Gewicht, 1052 Gebäude aus 75 Ländern, 4600 Fotografien - plus Koffer gibt es diesen „coffeetable killer“ zum Preis von € 154,30. Aufgenommen wurde nur, was nach 1998 entstanden ist. Während andere Verlage schon mit weniger gewichtigen Sammelbänden oft scheitern, sind hier die Fotos durchgängig von exzellenter Qualität, und die Kurztexte vermeiden den Architektenjargon. Erstaunlich, wie gut recherchiert wurde. Unter den 42 Gebäuden aus Österreich sind auch weniger bekannte wie die Wohn-DNA von Weichlbauer/Ortis in Gratkorn oder der Glockenturm von Markus Pernthaler bei Judenburg zu finden. Dem aber stehen nur 24 Projekte in ganz Afrika oder 45 in Südamerika gegenüber, darunter etliche von westlichen Architekten. Es ist deren Perspektive, die das Buch dominiert, das ist sein einziges Manko.

SCHRUMPFUNGSPROZESSE Als das Architekturwort des Jahres 2004 wird „Schrumpfung“ in Erinnerung bleiben. Mit dem Aussterben von Wirtschaftsräumen beschäftigte sich nicht nur eine viel beachtete Ausstellung („Shrinking Cities“) in Berlin, auch auf dem Wiener Architekturkongress im November war das Thema präsent. Zu Unrecht bisher wenig beachtet wurde die Studie LERNEN VON ALLENTSTEIG, die in diesem Jahr von Erich Raith, Städtebauprofessor an der TU Wien, herausgegeben wurde (Springer, € 29,-/199 Seiten). Das Buch widmet sich der Kleinstadt am Rande des „Lochs im Waldviertel“, wie einer der größten europäischen Truppenübungsplätze auch genannt wird. 250.000 Übernachtungen pro Jahr würden andere Gemeinden jubeln lassen, doch es handelt sich überwiegend um Soldaten, während die Allentsteiger selbst immer weniger Perspektiven haben. Ob farbige Häuser nach dem Vorbild der Insel Burano ein Rezept wären? Auch wer nicht Architekt ist, findet in dem Buch genug Stoff, denn das Erzählen von Geschichten ist das eigentliche Medium der Annäherung an eine vergessene Stadt.

ARCHITEKTURLEHRE HANS KOLLHOFF Muss gute Architektur provozieren? Hans Kollhoff würde diese Frage strikt verneinen und ist gleichzeitig doch einer der ganz wenigen zeitgenössischen Provokateure. Seine Bauten stoßen in aufgeklärten Architektenkreisen meist auf Entsetzen oder entschiedenes Kopfschütteln. „Faschismus“ murmelte die Fachpresse bei mehr als einem seiner Projekte und erinnert stets wehmütig daran, dass Kollhoff in den Achtzigerjahren zu den „Jungen Wilden“ der deutschen Architektenszene zählte, dann aber seine Seele dem Teufel der Monumentalität geopfert habe. Doch wer sich in den vergangenen Jahren an der ETH in Zürich in seinen Zeichensaal verirrte, konnte auch auf irritierend banale Einfamilienhäuschen treffen, weil der rastlose Professor Kollhoff seine Studenten auf die Suche nach der verlorenen Gemütlichkeit geschickt hatte. Ein opulent bebilderter Band stellt jetzt die Studentenarbeiten der Jahre 1987 bis 2002 vor und erläutert die Entwicklung von Architekt und Lehre (Niggli, € 79,-/372 Seiten). Eine alte neue Droge, auch für die abgeklärtesten Architekturjunkies

LE CORBUSIER ALS KÜNSTLER Auch in der Architektur gibt es Groupies. Menschen, um es neutraler zu formulieren, die bereit sind, sich in den Dienst eines verehrten Genies zu stellen. Heidi Weber hat ihr Leben Le Corbusier gewidmet. Die junge Innenarchitektin sah 1958 in Zürich eine Ausstellung über den damals schon weltbekannten Architekten und wollte ihn daraufhin unbedingt kennen lernen. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, die bis zum Tod Le Corbusiers im Jahr 1965 immer intensiver wurde. Er überließ ihr nicht nur einige Möbelskizzen zur Serienproduktion, sondern bestimmte die Schweizerin als alleinige Verwalterin seines künstlerischen Werkes und baute ihr einen Pavillon am Ufer des Zürichsees. Seither hat Heidi Weber vier hervorragend illustrierte Bücher über die Gemälde, Zeichnungen und Grafiken Le Corbusiers herausgegeben, die der Birkhäuser-Verlag, der auch die legendäre Buchkassette des uvre complète vertreibt, nun übernommen hat. Der Preis liegt je nach Band zwischen 45 und 163 Euro. Da es keine Neuauflage ist, bleibt nur eine begrenzte Anzahl verfügbar.

TOTES LEBEN GIBT ES NICHT ist ein Zitat Herbert Eichholzers und der Titel einer Monografie über den steirischen Architekten und Widerstandskämpfer, der 1943 im Alter von neununddreißig Jahren hingerichtet wurde (Springer, € 25,-/ 231 Seiten). Die Autoren Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer heben Eichholzers Werk nicht auf den Sockel eines „lange Verkannten“, sondern sorgen für kluge Querverweise und lassen ein lebendiges Bild von einem Mann entstehen, der stolz auf seine Harley-Davidson war, bei Le Corbusier als Praktikant und in Moskau als Architekt arbeitete, seine Aufträge meist aus dem gehobenen Grazer Bürgertum bekam und zunächst so klug war, sofort nach dem „Anschluss“ Österreich zu verlassen. Eichholzer ging zu Clemens Holzmeister nach Ankara, doch 1940 gab es dort nichts mehr für ihn zu tun, und so stürzte er sich in das waghalsige Unternehmen nach Graz zurückzukehren, um für die KPÖ eine Widerstandsorganisation aufzubauen. Die meisten seiner Bauten sind längst verschwunden, nur das Haus Lind in der Grazer Rosenbergstraße wäre noch zu retten.

IM BAUEN SCHWELGEN Architekturbücher sind zu 99 Prozent reine Fotobücher. Der Bau ist fertig, der Fotograf rückt an, Bilder werden zwischen Buchdeckel gepresst, mit Texten von Kritikern, besser noch Philosophen garniert - und ab geht's in die Regale, von wo das Buch dann meistens nur vom Architekten selbst wieder hervorgezogen wird, um dem nächsten Bauherrn in die Hand gedrückt zu werden. Die preisgekrönte Bezirkshauptmannschaft Murau der Architekten Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer wurde bereits 2002 fertig gestellt, aber erst jetzt ist unter dem schlichten Titel MURAU (Pustet, € 28,-/128 Seiten) eine Dokumentation erschienen, die von dem Abenteuer handelt, einen außergewöhnlichen Bau mit ungewöhnlichen Mitteln in der Landschaft ganz wortwörtlich zu „verankern“. Ganz ohne Fotos und Texte (Christa Kamleithner/Walter M. Chramosta) kommt auch dieses Buch nicht aus, aber seine Stärke ist das Zerlegen des fertigen Baus in Zeichnungsserien, die nicht so abstrakt sind wie Architekturpläne, sondern sich bestens eignen, komplexes Denken anschaulich zu machen.

GUT GEFÜHRT Friedrich Achleitners Standardwerk über die österreichische Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts ist längst vergriffen - doch eine neue Generation unermüdlicher Jäger und Sammler ist unterwegs, um wenigstens die neuesten Bauten des Landes zu erfassen. Allen voran Otto Kapfinger, der sich nach VORARLBERG (Hatje Cantz 1998, € 24,80/336 Seiten) und TIROL (Pustet 2002, € 25,80/336 Seiten) nun die NEUE ARCHITEKTUR IN BURGENLAND UND WESTUNGARN (Pustet, € 22,-/256 Seiten) vorgenommen hat. Der dreisprachige Band gewichtet die Projekte nach Größe und Bedeutung und lässt keinen Quadratzentimeter Buchfläche ungenutzt. Luftiger hingegen ist die Darstellung der ARCHITEKTUR IN OBERÖSTERREICH SEIT 1980 von Romana Ring geraten (Pustet, € 25,-/200 Seiten) - da wäre etwas mehr mehr gewesen. Wie gut, dass das Mühlviertel mit dem Band HAUSVERSTAND (Pustet, € 18,-/ 120 Seiten) eigens unter die Lupe genommen wird.

Der Standard, Sa., 2004.12.11



verknüpfte Publikationen
Totes Leben gibt es nicht
The Phaidon Atlas of Contemporary World Architecture
Baukunst in Vorarlberg seit 1980
Bauen in Tirol seit 1980
Neue Architektur in Burgenland und Westungarn

12. Juli 2004Gerhard Neulinger
OÖNachrichten

Überraschende Fruchtbarkeit unserer Architektur-Szene

OÖN-Architekturkritikerin Romana Ring legte eine beachtliche Publikation zum Thema Bauen in Oberösterreich vor

Oberösterreich wird stets als zukunftsträchtiger Standort wirtschaftlich florierender Betriebe genannt. Die kulturellen Aktivitäten Oberösterreichs hingegen werden in der Öffentlichkeit weniger stark reflektiert. Insbesondere im Bereich der Baukultur hält sich hartnäckig das Image vom geschäftstüchtigen, in seinen kulturellen Vorlieben jedoch deutlich der Vergangenheit zugewandten Oberösterreichers.

Romana Ring, seit vielen Jahren als Architekturkritikerin für die OÖN tätig und im Vorjahr mit dem oberösterreichischen Landeskulturpreis ausgezeichnet, hat diesem Vorurteil mit ihrem Buch „Architektur in Oberösterreich seit 1980“ - ein deutliches Zeichen entgegengesetzt.

Rings Bestandaufnahme knüpft dort an, wo Friedrich Achleitners Standardwerk „Architektur des 20. Jahrhunderts“ endet. Das auch gestalterisch sehr sorgfältig gearbeitete Buch stellt etwa 300 Bauten in Oberösterreich vor. Die knapp gefassten Texte vermeiden sorgsam jeden Fachjargon und umreißen kurz das Wesentliche jeder Aufgabe. Im streng systematisch gehaltenen Dialog von Text und Abbildung gelingt es, die umfangreiche Materie im Überblick zu erfassen.

Beiträge zur Entwicklung

In sechs Regionen mit jeweils einer an den Anfang des Kapitels gestellten Karte gegliedert, lädt das solide, in seinem Format aber durchaus handlich ausgefallene Buch auf Entdeckungsreise durch Oberösterreich ein. Interviews mit politischen Entscheidungsträgern und kurze, zwischen die Dokumentationen der einzelnen Bauten gestellte Texte geben weitere Einblicke in die Architektur-Szene Oberösterreichs und ihre spezifischen Rahmenbedingungen.

Die Fruchtbarkeit dieser Szene kann eigentlich nur in ihrem Ausmaß überraschend sein. Sind doch Gebäude wie das Seebad Häupl in Attersee von Max Luger und Franz Maul (1991), die Kirche St. Franziskus in Steyr/Resthof von Peter und Gabriele Riepl (2001) oder das Lentos Kunstmuseum der Stadt Linz von Weber + Hofer AG (2003) längst weit über die Grenzen (Ober)österreichs hinaus als hervorragende Beispiele zeitgenössischen Bauens bekannt.

Es ist Romana Rings Verdienst, auch die weniger bekannten, darum aber nicht weniger wertvollen Beiträge zur Weiterentwicklung einer Baukultur gesammelt und dokumentiert zu haben, die sich wohl an internationalen Standards orientiert und dennoch den Reiz des Regionalen nicht verloren hat.

Architektur wird mit diesem Buch aus der unverbindlichen Ferne des Elitären in den Alltag geholt.

[ Romana Ring, „Architektur in Oberösterreich seit 1980“ (Pustet), 192 S, 25 Euro. Im Buchhandel sowie im Architekturforum OÖ, Prunerstraße 12, Linz. ]

OÖNachrichten, Mo., 2004.07.12

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