Welchen Status hat die Architekturfotografie heute? Einerseits sorgen die Bilder für die massenhafte mediale Verbreitung von Bauwerken. Andererseits schaffen die Fotografinnen und Fotografen durch ihre Haltung, ihre Interessen und ihren Stil sehr individuelle Bilder dieser gebauten Wirklichkeit. Sie erzählen eigene Geschichten der Gebäude, entscheiden, ob sie diese belebt oder unbelebt in Szene setzen, inszeniert oder naturalistisch, mit oder ohne Kontext, als Neubau oder im Gebrauch. Welche Auswirkung hat dieser fotografische Blick auf die Vermittlung der Gebäude und ihrer Architekten? Viele Architekten verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit einzelnen Fotografen. Wie stark prägen mögliche Bilder schon den Entwurf? Welche Bilder schaffen Aufmerksamkeit, welche neue Blickwinkel?
Gerade in Zeiten der Bilderflut, in der sich Fotos und Renderings scheinbar kaum mehr unterscheiden lassen, holt die Publikation den Beitrag der Architekturfotografie vor den Vorhang und ermöglicht gleichzeitig einen Blick hinter die Kulissen. In acht bildreichen Kapiteln werden die Beziehungen zwischen Architektur und Fotografie einem Sichtwechsel unterzogen. Die unterschiedlichen Positionen treten dabei in einen spannungsvollen Dialog. Erkenntnisgewinn und Schauvergnügen gehen Hand in Hand.

ISBN
978-3-0356-0587-7
Beiträge von
Angelika Fitz, Elke Krasny, Gabriele Lenz und Philipp Ursprung
Sprache
Deutsch, Englisch
Publikationsdatum
2015
Umfang
288 S., 200 Abb. (Farbe)
Format
gebunden, 23,5 x 29,2 cm

Presseschau
22. Dezember 2015Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Im Spiegelglas des Augenblicks

(SUBTITLE) Vom Nutzen der Architekturfotografie

Die Neuerscheinung «Vom Nutzen der Architekturfotografie» untersucht den «kulturellen Wert» der Architekturfotografie. Gleichzeitig beleuchtet sie die Beziehung von Bild und Architektur.

Nicht der Schrift-, sondern der Fotografieunkundige wird, so hat man gesagt, der Analphabet der Zukunft sein. In seiner «Kleinen Geschichte der Fotografie» von 1931 zitierte Walter Benjamin die seherische Aussage von Charles Baudelaire. Benjamin erblickte in der Fotografie jene Eigenschaften, die über die reine Abbildung sichtbarer Realität weit hinausreichen. Er war fasziniert vom magischen Moment, vom Augenblick, dem Geheimnisvollen, dem Verborgenen, der emotionalen Wahrnehmung und begriff die Bedeutung des Mediums Fotografie instinktiv.

Was wäre Architektur ohne ihr fotografisches Abbild? Die visuelle Kargheit eines um die vorletzte Jahrhundertwende gedruckten Buches über Architektur oder Städtebau, das sich mit blassen Heliogravüren begnügt, würde heute wohl kaum mehr ansprechen. Ohne die Fotografie wäre Architektur kaum zu vermitteln. Nun haben die Kulturtheoretikerin Angelika Fitz und die Gestalterin Gabriele Lenz einen Band ediert, der sich der Architektur und ihrer Fotografie widmet. «Vom Nutzen der Architekturfotografie» untersucht den «kulturellen Wert» der Architekturfotografie und beleuchtet Positionen zur Beziehung von Bild und Architektur. Die einleitenden Worte führen den Leser und Betrachter in eine intelligent kuratierte Dramaturgie, die sich um den Begriff der Nutzung schlängelt. Weniger auf den Abbildcharakter der Fotografie und der Architektur bedacht, nehmen sich die reflexiven Beiträge des Beziehungsgeflechts zwischen Individuum, Raum, Investor und schliesslich der Architektur und der Fotografie an.

In zehn thematischen Kapiteln erfolgen episodenhafte Analysen. Sie sind visuell angelegt, die Fotografie und die Fotografen erklären sich somit selbst und vermitteln implizit auch die Bedeutung der künstlerischen Identität der Architekturfotografen und -fotografinnen. Reflektiert werden auch die Rahmenbedingungen der Architekturfotografie. Beiträge behandeln das dynamische Verhältnis von Fotografie und Architektur. Erkennbar wird dabei das Potenzial der Fotografie als analytisches Instrument zum Nutzen der Architekten und Architektinnen. Weiter wird die Rolle der Fotografie zur diskursiven Formation von Strömungen wie etwa der klassischen Moderne befragt.

Und wie ist es mit unseren Sehgewohnheiten? Der Moderne diente das «Bild» als wichtigste rhetorische Botschaft. Die visuelle Vermittlung überholte die geschriebene Sprache. Die Folge dieser visuellen Strategie war eine Veränderung der Ästhetik des Gebauten, die sich zunehmend – so paradox dies klingen mag – von ihrer eigenen Dokumentation beeinflusst zeigte. Die vermeintlich nur dokumentierende Fotografie wurde zum dialektischen Treibmittel der modernen Ästhetik. Somit haben Bilder die Geschichte der Architektur verändert, aber nicht durch die Objekte, die abgebildet wurden, sondern einzig und allein, weil sie gedruckt wurden. Eine ähnliche Dynamik lässt sich auch in der gegenwärtigen Architektur- und Städtebaudiskussion beobachten. Die Dominanz der Bildästhetik prägt in hohem Mass den architektonischen Diskurs der Gegenwart. Die Ästhetik des digitalen Zeitalters ist zum formierenden Bestandteil der Architektur(ästhetik) und unseres Bildes der Stadt geworden. Virtuelle Bilder und Raumsimulationen beeinflussen Entwurfsansätze und Umsetzungen in der Architektur. Unser gegenwärtiges urbanistisches und architektonisches Image ist stark von virtueller Bildkultur geprägt. Bilderwelten umfluten uns wie im barocken Spiegelkabinett und begleiten die Architektur.

Die Architekturfotografie war und ist seit je eine poetologische, philosophische und diskursive Reflexionskraft. Wohl auch deshalb wurde das Buch «Vom Nutzen der Architektur» von der Interessengemeinschaft der österreichischen Fotografen und Fotografinnen initiiert und in einer Arbeitsgemeinschaft umgesetzt. Es ist ein intelligentes und zugleich sehr poetisches Buch. Es schliesst zu einem in wahrstem Sinne bisher unterbelichteten Thema eine Lücke. Und «Erkenntnisgewinn und Schauvergnügen» (Angelika Fitz) gehen bei diesem inhaltlich und auch gestalterisch gelungenen Band Hand in Hand.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2015.12.22

[ Vom Nutzen der Architekturfotografie (dt./engl.) Hrsg. Angelika Fitz und Gabriele Lenz. Birkhäuser-Verlag, Basel 2015. 288 S., Fr. 65.–. ]

14. November 2015Franziska Leeb
Spectrum

Werk im Bild

Friedrich Achleitners Architektenporträts aus sechs Jahrzehnten und ein Standardwerk zur Architekturfotografie: zwei Buchempfehlungen.

Man solle keinen Architekten entwerfen. Die ersten Striche würden schon an der Entwurfsmethode scheitern, sodie Conclusio Friedrich Achleitners am Ende des Porträts von Boris Podrecca, das zugleich eine brillante Reflexion über die Schwierigkeit ist, mit Sprache einen Menschen einem anderen zu vermitteln. „Wie entwirft man einen Architekten?“ ist auch die Textsammlung betitelt, die die Herausgeberinnen Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek kürzlich vorstellten. Aus rund 500 von Achleitner aus verschiedenen Anlässen verfassten Ausstellungsrezensionen, Eröffnungsreden, Laudationes, Katalogbeiträgen oder Nachrufen wählten sie 86 „Porträts von Aalto bis Zumthor“, viele davon bislang nie gedruckt veröffentlicht, mittlerweile vergriffen oder schwer zugänglich. Wie der Untertitel ankündigt, sind die zwischen 1963 und 2011 entstandenen Beiträge alphabetisch gereiht. Es finden sich alte Unbekannte, Überraschungskandidaten, Männer und Frauen, Alte und Junge – wobei aus heutiger Sicht manch alter Herr zum Zeitpunkt der Achleitner'schen Befassung mit ihm ein Jungspund war.

Es ist eigentlich kein Architekturbuch, eher eine Abfolge von Prosaminiaturen – von scheinbar leichter Hand souverän hingeworfenen verbalen Bildnissen. In Wirklichkeit ging dieser Leichtigkeit der Texte mit großer Sicherheit nicht nur eine eingehende Befassung mit den jeweils Porträtierten voran, sondern auch qualvolles und sorgfältiges Abwägen des Gesagten und Geschriebenen. Denn selbst bei intimer Kenntnis der Porträtierten sind Achleitners Texte nie distanzlos, nie anbiedernd, nie unterwürfig, nie selbstgefällig.

Die Auswahl haben sich die Herausgeberinnen nicht leicht gemacht. Sie sollten einerseits durch die Spanne ihrer Entstehungszeit Achleitners Entwicklung und die damit verbundenen Interessen und Beziehungen abbilden, quasi so etwas wie eine indirekte Biografie von Friedrich Achleitner sein, erklärt Eva Guttmann. Etliche stammen aus Friedrich Achleitners frühen Jahren als Architekturkritiker für die „Presse“. Man könnte vorschnell hinterfragen, wen heute noch Texte über Antonio Gaudí oder Eileen Gray interessieren, deren Werke längst Eingang in den Bildungskanon gefunden haben. Wenn aber Achleitner im Jahr 1970 feststellt, dass die Architektin, deren Tisch E 1027 seit Jahrzehnten in jedem populären Einrichtungsmagazin zu sehen ist, „bis vor Kurzem in Wiener Architektenkreisen nicht einmal ein Geheimtipp“ gewesen sei, werden auch Texte über heute Berühmte zu wichtigen Dokumenten der jeweils zeitgenössischen Architekturrezeption. Besonders erfreulich ist es, Würdigungen von auch heute noch nur in Fachkreisen bekannten Persönlichkeiten zu finden, wie jene zum 70. Geburtstag des Bau- und Siedlungsforschers Adalbert Klaar (1900– 1981), dessen Bauaufnahmen und Baualterpläne österreichischer Dörfer und Städtenicht nur Architekturgeschichte dokumentieren, sondern auch eine wichtige Grundlage für die denkmalpflegerische Praxis sind.

Unglaublich inspirierend und erkenntnisfördernd ist diese Zusammenstellung, deren Aufmachung (Buchgestaltung: Peter Duniecki) ebenso unprätentiös und griffig ist wieAchleitners Architektenentwürfe. Ein großartiges Lesebuch und ein wertvoller Beitrag zur österreichischen Architekturgeschichtsschreibung!

In die Architekturgeschichte geht nur ein, was beschrieben, dokumentiert und – seit dem 19. Jahrhundert – fotografiert wurde. Während das Geschriebene Gefahr läuft,nicht gelesen zu werden, kann man sich dem Bild schwer entziehen. Die Vermittlung von Architektur über Bilder ist nicht dasselbe wie das Erleben des Originals oder eine gut reflektierte Architekturkritik. Aber wie sehr architektonische Handschriften undikonische Gebäude in unseren Köpfen präsent sind, hängt in erster Linie mit deren fotografischer Dokumentation zusammen. Um den „professionellen Umgang mit dem Medium Architekturbild zu verbessern“ und zur „allgemeinen Sensibilisierung für den kulturellen und ideellen Wert der Architekturfotografie“ beizutragen, haben sich vor zwölf Jahren österreichische Architekturfotografinnen und -fotografen zur IG Architekturfotografie zusammengeschlossen. Schon allein dieses gemeinsame Auftreten hat viel dazu beigetragen, Bewusstsein für den Wert ihrer Arbeit zu schaffen. Mit einem Buch, herausgegeben von der Kulturtheoretikerin Angelika Fitz und der Buchgestalterin Gabriele Lenz, hat die Szene nun ein Statement gesetzt, das weit mehr als eine Leistungsschau mit schönen Architekturbildern ist. „Vom Nutzen der Architekturfotografie“ lautet sein Titel, und diesen Nutzen bildet das Buch in vielfacher Hinsicht ab.

Dabei geht es aber nicht allein darum, wie die Architekturfotografie der Architektur in einem dokumentarischen und propagandistischen Sinne dienlich ist, was sie zweifelsohne ist. Mit der medialen Verbreitung steigt nicht nur der Wert des Gebäudes, sondern auch der Ruf derer, die es geplant haben. In den meisten Fällen ist Architekturfotografie Auftragsarbeit. Architekten brauchen die Bilder für ihre Portfolios, sie dienen der Akquise, und ohne eine Serie guter Fotografien ist die Publikation eines Bauwerks in Fachmagazinen heute undenkbar. Dennoch sind die Fotografen nicht bloße Erfüllungsgehilfen. Ihr Blick ist auch ein interpretierender und kritisierender. Oft erzählen die Hintausansicht eines Gebäudes oder ein Detail mehr über sein Wesen als die Cover-taugliche Totale der Fassadenfront. Das Bild einer Seilbahnstation aus Perspektive des Skitouristen, der sich in der Gondel der Bergstation nähert, zeigt zwar den praktischen Nutzen der Bergstation für den Skibetrieb. Jenes Bild, bei dem bloß ein Stück Gebäudehülle hinter einer schroffen Felsformation hervorblitzt, inspiriert aber viel mehr zu Reflexionen über die Konditionen des Bauens in hochalpinen Gefilden.

Welche Rolle spielen Nutzungsspuren, Menschen und Tiere, wie werden Bilder inszeniert, wie kann der richtig gewählteStandpunkt des Fotografen architektonische Intentionen unterstreichen, was kann er über den städtebaulichen Kontext erzählen? Welche Rolle spielt der Fotograf als Komplize oder Kritiker? Jedem professionell in der Architektur Tätigen, sei es planend und bauend,sei es publizistisch, bietet das Buch mannigfaltige Erkenntnisse. Das gelingt schon durch die Choreografie der ausgewählten Fotos auf der Bildebene. Ein Standardwerk zur Architekturfotografie wollten die Protagonistinnen vorlegen – das ist ihnen gelungen. Den Schau-und Lesegenuss erhöht, dass sie nicht auf einer technoid-didaktischen Ebene blieben, sondern ein hochgradig sinnliches Werk zustande brachten.

Spectrum, Sa., 2015.11.14



verknüpfte Publikationen
Wie entwirft man einen Architekten?

30. Oktober 2015Maik Novotny
Der Standard

Auf den drit­ten Blick

Zwi­schen Eye­cat­cher-Zwang und über­ra­schen­den Blick­win­keln, Kunst­form und PR, Kom­pli­zen­schaft und Kri­tik: Das Ver­hält­nis von Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie und Ar­chi­tek­tur ist so un­trenn­bar wie kom­plex. Ei­ne Buch­pu­bli­ka­ti­on bringt jetzt Klar­heit.

Die Fo­to­gra­fie ist heu­te kei­ne ein­sa­me Pro­fes­si­on mehr. Was sich einst mit iko­ni­schen Ein­zel­stü­cken be­haup­te­te, muss sich heu­te ge­gen die welt­wei­te On­li­ne-Bil­der­flut stem­men. 2003 ta­ten sich ei­ni­ge ös­ter­rei­chi­sche Fo­to­gra­fen zu­sam­men und grün­de­ten die In­te­res­sen­ge­mein­schaft IG Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie. Was aus wirt­schaft­li­cher Not­wen­dig­keit ent­stand, ist gleich­zei­tig ein Ab­bild ei­ner selbst­be­wuss­ten, auf ho­hem Ni­veau ope­rie­ren­den Sze­ne. In der jetzt er­schei­nen­den Buch­pu­bli­ka­ti­on Vom Nut­zen der Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie wird das ei­ge­ne Tun mit reich­hal­ti­gen Bild­be­wei­sen un­ter­sucht.

Im Round-Ta­ble-Ge­spräch mit dem Stan­dard er­klä­ren die Fo­to­gra­fen Pez Hej­duk, Her­tha Hur­naus und Ste­fan Oláh und die Buch­ma­che­rin­nen An­ge­li­ka Fitz und Ga­bri­e­le Lenz, wa­rum wir Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie brau­chen, in wel­chem Ver­hält­nis sie zur Ar­chi­tek­tur steht und ob Men­schen und Tie­re nun ins Bild ge­hö­ren oder nicht.

Stan­dard: Bü­cher mit Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fien sind üb­li­cher­wei­se auf pu­re Äs­the­tik set­zen­de Cof­fee-Ta­ble-Books. Auch die­ses ist vol­ler Bil­der, kommt aber eher da­her wie ei­ne Hand­rei­chung. Was für ei­ne Ab­sicht steckt da­hin­ter?

Fitz: Oh­ne Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie gibt es kei­ne Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te. Denn es geht ja um viel mehr, als nur ein Ge­bäu­de ab­zu­bil­den. Die Fo­to­gra­fie zeigt, was mit der Ar­chi­tek­tur pas­siert, un­ter wel­chen Be­din­gun­gen sie ent­steht. Sie ist kein pass­ives Me­di­um, son­dern ein ak­ti­ver Bei­trag zur Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te. Der Be­griff des „Nut­zens“ hält das Buch zu­sam­men: Wie wird die ab­ge­bil­de­te Ar­chi­tek­tur ge­braucht, und wie wer­den die Bil­der selbst ge­nutzt. Un­ser An­spruch war al­so nicht we­ni­ger, als ein Stan­dard­werk zur Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie zu ma­chen. Denn er­staun­li­cher­wei­se gibt es so et­was noch nicht.

Lenz: Die Ver­bin­dung zwi­schen Fo­to­gra­fie, Ar­chi­tek­tur und Buch ist am Bau­haus ent­stan­den, mit Lá­szló Mo­ho­ly-Na­gy. Da­mals war es nicht üb­lich, Fo­to­gra­fien in Bü­chern zu zei­gen, weil das als et­was rein Jour­na­lis­ti­sches galt. Spä­ter hat sich Le Cor­bu­sier – ein gro­ßer Selbst­ver­mark­ter – in­ten­siv mit der In­sze­nie­rung durch Fo­to­gra­fie be­schäf­tigt.

Oláh: Es war uns auch als IG Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie wich­tig, et­was Mu­ti­ges zu ma­chen und nicht ei­ne Werks­chau, in der je­der sei­ne fünf be­sten Fo­tos bei­steu­ert.

Hej­duk: Es soll­te auch kein Best-of der Ar­chi­tek­tur sein. Dann wä­re es wirk­lich ein Couch­tisch-Buch ge­wor­den. Es geht ex­pli­zit um das un­ge­klär­te Ver­hält­nis zwi­schen Fo­to­gra­fie und Ar­chi­tek­tur.

Hur­naus: Da­durch las­sen sich wie­der­um die Gren­zen aus­lo­ten, an de­nen Ar­chi­tek­tur an­fängt. Des­halb ist im Buch die gan­ze Band­brei­te von an­ony­mer Ar­chi­tek­tur bis zu Bau­ten von Her­zog & de Meu­ron ent­hal­ten.

Stan­dard: Vor zwölf Jah­ren wur­de die IG Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie ge­grün­det. Was war der Im­puls da­für?

Hej­duk: Es ging vor al­lem um Rechts­fra­gen – lei­der, denn man kann sich sei­ne Zeit auch schö­ner ver­trei­ben. Es war da­mals so, dass Pu­bli­ka­ti­ons­ho­no­ra­re bei Ver­la­gen zu­se­hends ab­ge­schafft wur­den und das In­ter­net mit sei­ner Gra­tis­men­ta­li­tät im­mer stär­ker wur­de. Es gab sehr vie­le Un­klar­hei­ten. Heu­te hat sich die Sach­la­ge be­ru­higt, was gut ist, denn wir wol­len ein Mit­ein­an­der.

Oláh: Das Po­si­ti­ve ist: Weil es heu­te nie­man­den mehr gibt, der auf un­se­rem Ni­veau ar­bei­tet und zu­gleich sei­ne Bil­der und die Rech­te her­schenkt, eta­bliert sich auch ein Be­wusst­sein für Qua­li­tät.

Stan­dard: Die Auf­klä­rungs­kam­pag­ne hat ge­wirkt. Die Ar­chi­tek­ten be­nei­den heu­te die Fo­to­gra­fen um ih­re Durch­set­zungs­kraft.

Fitz: Und ge­nau weil die Fo­to­gra­fen das Be­wusst­sein für Nut­zungs­rech­te ge­schärft ha­ben, war es wich­tig, jetzt den näch­sten Schritt zu set­zen: die Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie als kul­tu­rel­le Pra­xis zu be­to­nen. Das ist „Nut­zen“ auf ei­ner an­de­ren Ebe­ne.

Hej­duk: Auf der ei­nen Sei­te wol­len die Ar­chi­tek­ten so viel wie mög­lich vi­su­ell prä­sent sein. Auf der an­de­ren Sei­te sind wir ein Lu­xus­seg­ment. Man kann auch bau­en, oh­ne es fo­to­gra­fisch zu do­ku­men­tie­ren.

Stan­dard: Trotz­dem wer­ben Ar­chi­tek­ten vor al­lem mit Bil­dern – und das, dank In­ter­net, mehr als je zu­vor.

Hej­duk: Schon. Aber wie vie­le Ar­chi­tek­tur­bü­ros wirk­lich pro­fes­sio­nell fo­to­gra­fie­ren las­sen, das steht in kei­ner Re­la­ti­on.

Fitz: Ich fin­de es er­staun­lich, wenn Ar­chi­tek­ten sich die Chan­ce auf den drit­ten Blick ent­ge­hen las­sen. Auch wenn es Auf­trags­fo­to­gra­fie ist, ist es nie Pro­pa­gan­da, son­dern ei­ne neue Sicht­wei­se. Die Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie war schon im­mer Kom­pli­zin und Kri­ti­ke­rin, und meis­tens ist sie im sel­ben Fo­to bei­des.

Stan­dard: Um auf den Buch­ti­tel zu­rück­zu­kom­men: Was ist der Nut­zen der Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie?

Hej­duk: Ganz ein­fach: Ich lie­be die­sen Be­ruf. Ei­gent­lich fo­to­gra­fie­re ich im­mer für mich selbst. Aber wir be­wah­ren in un­se­ren Ar­chi­ven auch Zeit­do­ku­men­te auf. Ein Ar­chiv zu füh­ren ist viel Ar­beit, das füllt Te­ra­by­tes und Ak­ten­schrän­ke voll mit ana­lo­gem Ma­te­ri­al. Wenn man dann zehn Jah­re spä­ter hin­ein­schaut, hat man ei­nen an­de­ren Blick und ent­deckt Sa­chen wie­der neu.

Oláh: Für mich zählt der Wil­le zum Su­chen und Ent­de­cken. Das Spü­ren ist ne­ben dem Se­hen das Wich­tigs­te – die Fra­ge, wie gern man sich in ei­nem Raum auf­hält. Den ge­sell­schaft­li­chen Mehr­wert be­kom­men Bil­der oft erst, wenn die Ge­bäu­de, die sie dar­stel­len, nicht mehr exis­tie­ren. Da­rü­ber denkt man aber bei der Ar­beit nicht nach.

Fitz: Für mich als Nutz­erin liegt der Wert da­rin, dass ich auf den Fo­tos et­was se­he, das ich nicht wahr­neh­me, wenn ich selbst hin­ge­he.

Stan­dard: Was macht man, wenn man ein Ge­bäu­de fo­to­gra­fie­ren soll, das man ein­fach schlecht fin­det?

Hur­naus: Den per­sön­li­chen Ge­schmack kann man zu­erst ein­mal zu­rück­neh­men. Man fil­tert durch spe­zi­fi­sche Aus­schnit­te ei­ne Es­senz her­aus und zeigt da­durch Aspek­te, die im er­sten Ge­samt­ein­druck gar nicht wahr­ge­nom­men wer­den.

Oláh: Das Fo­to­gra­fie­ren ist ein vi­su­el­les Auf­räu­men in der Un­ord­nung der Welt.

Stan­dard: Es ist ein alt­be­kann­tes Kli­schee, dass Ar­chi­tek­ten kei­ne Men­schen in ih­ren Bil­dern ha­ben wol­len. Trifft das noch zu?

Hur­naus: Das war frü­her tat­säch­lich so. Die jün­ge­re Ar­chi­tek­ten­ge­ne­ra­ti­on will aber stär­ker be­leb­te Bil­der. Als Fo­to­gra­fin ist es ei­ne in­tui­ti­ve Ent­schei­dung. Wenn der Mensch sich zu sehr in den Vor­der­grund drängt und man als Er­stes da­rauf schaut, was der an­hat, fin­de ich das schwie­rig. Aber grund­sätz­lich kön­nen Men­schen im Bild den Maß­stab der Ar­chi­tek­tur ver­deut­li­chen.

Oláh: Das hat auch mit der Tech­nik zu tun. Mit den Ka­me­ras, die wir vor 20 Jah­ren hat­ten, war es viel schwie­ri­ger, ei­nen Men­schen scharf ins Bild zu be­kom­men.

Fitz: Wir zei­gen im Buch auch Bei­spie­le, in de­nen neue Räu­me so fo­to­gra­fiert wer­den, dass sie nicht ste­ril aus­schau­en, son­dern dass man ihr Po­ten­zi­al er­kennt, das War­ten auf den An­sturm des Le­bens. Auch brand­neue Ge­bäu­de kön­nen von Nut­zung er­zäh­len.

Stan­dard: Man­che Ar­chi­tek­ten blen­den ger­ne die Um­ge­bung ih­rer Ge­bäu­de aus. Als Fo­to­graf kann man den Kon­text wie­der hin­ein­ho­len.

Hur­naus: Es ist ei­ne Fra­ge des Zeit­auf­wands: Je län­ger man sich mit ei­nem Ge­bäu­de aus­ein­an­der­set­zen kann, um­so mehr nimmt man auch das Um­feld wahr, und so ent­ste­hen um­fang­rei­che­re und in­te­res­san­te­re Do­ku­men­ta­tio­nen.

Hej­duk: Es gibt Auf­trag­ge­ber, die das Um­feld nicht ger­ne im Bild ha­ben. Da wird schon mal ver­langt, dass ein Bus­hal­te­häus­chen raus­re­tu­schiert wird.

Oláh: Das hängt stark da­von ab, wer der Auf­trag­ge­ber ist. Es kann sein, dass die Ku­ra­to­ren glü­cklich sind, weil sie den künst­le­ri­schen Wert des Bil­des se­hen, und die Mar­ke­tin­gab­tei­lung ist ent­setzt, weil im Bild ein Trak­tor her­um­steht, der die Per­fek­ti­on stört.

Hur­naus: Ein Bild­mo­tiv ist im­mer ei­ne Art Büh­ne, auf der al­les Mög­li­che statt­fin­den kann.

Hej­duk: Und al­le war­ten im­mer da­rauf, dass Hüh­ner, Scha­fe und Kat­zen ins Bild lau­fen!

Hur­naus: Und dass end­lich die Son­ne kommt. Oder dass sie end­lich wie­der weg­geht.

Der Standard, Fr., 2015.10.30

[ „Vom Nut­zen der Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie“, Hrsg. v. An­ge­li­ka Fitz und Ga­bri­e­le Lenz, € 49,95 / 288 Sei­ten, 250 Far­bab­bil­dun­gen, Birk­häu­ser-Ver­lag, Ba­sel, 2015 ]

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