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20. Oktober 2018Gabriele Reiterer
Spectrum

Wie baut man „alpin“?

Von der Faszination alter Bauernstuben, der Gleichgültigkeit im Umgang mit der Landschaft und einer Gegenwart, in der alles besser werden soll: die Alpen zwischen Massentourismus,Sünden der Vergangenheit und neuem Nachhaltigkeitsbedürfnis.

Von der Faszination alter Bauernstuben, der Gleichgültigkeit im Umgang mit der Landschaft und einer Gegenwart, in der alles besser werden soll: die Alpen zwischen Massentourismus,Sünden der Vergangenheit und neuem Nachhaltigkeitsbedürfnis.

In den 1970er-Jahren poppte im Tiroler Raum eine schräge Idee auf. Teile alter Bauernhäuser, meist die getäfelten Stuben, wurden abgetragen und in neu erbaute Villen oder Hotels implantiert. Ein Stück bäuerliche Geschichte im Haus galt als stylish. Auch der Vater war einmal in Sachen Bauernstuben unterwegs. Mit einem Transporter fuhr er das Teil aus dem Zillertal über den Brennerpass von Nord- nach Südtirol. Für seinen Freund, den Architekten.

Der Architekt war viel bei uns zu Gast. Er rauchte Pfeife, sprach über Le Corbusier und dessen Proportionssystem, den Modulor. Die Stube baute er dann in sein eigenes Haus in Meran ein. Dieses war ein Bauwerk von charmanter Modernität, die mich damals begeisterte. Eingangs rechterhand lag ein großes Wohnzimmer mit riesiger Glasfront und Blick in einen üppig wuchernden Garten. Stahlrohrmöbel verströmten den Geist neuen Bauens. Linkerhand vom Eingang führte eine Holztür in die Welt bäuerlicher Geschichte, eben in das alte Stübl.

Die seltsame Grille der Bauernstuben fiel nicht zufällig in die Zeit der größten Ignoranz gegenüber traditionellen alpinen Welten. Sie spiegelte eine zerrissene, ausgefranste Identität von bäuerlicher Landschaft und Kultur. Im Bauernstubenphänomen begegneten einander eine an Ironie grenzende Inszenatorik und gleichzeitige Sehnsucht nach echter regionaler Identität.

Jener freimütige Umgang mit dem bäuerlichen Erbe war eine kurze, aber heftige zeitgeistige Erscheinung. Manieristische Gesten waren allerdings im alpinen Raum nichts Neues. Die überzeichnete Romantisierung bäuerlicher Geschichte trat durch die Jahrhunderte immer wieder bizarr in Erscheinung. Und ab den 1970er-Jahren glichen die bäuerlich-rustikalisierten Neubauten in den Dörfern der Tiroler Täler grinsenden, mit roten Balkongeranien verzierten Fratzen. Die brennenden Lieben, so hieß die Scharlachlichtnelke am Balkon umgangssprachlich, überzeichneten eine potemkinsche alpine Welt. In jenen Dekaden des 20. Jahrhunderts begann der endgültige Ausverkauf von alpiner Landschaft und Kultur. Er stoppte erst eine Sekunde vor dem Kollaps. Dabei hatte einst alles vielversprechend begonnen.

Im frühen 19. Jahrhundert zeichnete sich in Europa eine Neubewertung ab. Ein vormals ideal konstruiertes Bild der Natur trat in den Hintergrund. Landschaft wurde malerisch und sinnlich erlebbar. Diese „Entdeckung“ des Gefühls für die Natur wurde zum Fundament einer ganzen reformistischen Bewegung. Sie stellte sich gegen die entmenschlichenden Folgen der Industrialisierung. Der rasenden Geschwindigkeit des technokratischen Fortschritts wurde zivilisationskritisch die unberührte Reinheit der Natur gegenübergestellt.

England lag damit vorne, da hier die Industrialisierung bereits sehr früh einsetzte. Eine neue Kunst feierte Gefühl und Sinnlichkeit. William Turners atmosphärische Bilder waren Oden an die Leidenschaft. Natur boomte. Country life und country stylewurden zu geflügelten Worten. Das Konzept des englischen Landschaftsgartens spiegelte die befreite Natur.

Auf dem Kontinent war man vorsichtiger und distanzierter. Zwischen Mensch und Landschaft lagen noch unsichtbare Grenzen. Die Berge waren eine Art Kulisse, von der latent Gefahr dräute. Die alpinen Grandhotels des 19. Jahrhunderts waren in die Natur versetzte, abgezirkelt urbane Mikrokosmen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Alpen schließlich immer populärer. Die Natur wurde Gefühlsquelle und Inspiration. Zunehmend erschloss eine breitere Schicht die als gesund und heilsam erachtete Kraft der Berge.

Durch die stampfende Maschine, nämlich die neue Eisenbahn, hielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitere Veränderung Einzug. Die technische Transportneuerung produzierte eine gewaltige raum-zeitliche Veränderung: Durch die Geschwindigkeit der Eisenbahn wurde Landschaft anders als früher wahrgenommen. Nun zeigte die durch Bewegung bereicherte Szenerie nicht mehr das Ganze, sondern die Abfolge.

Dieser Blick, nämlich das Panorama, ist ein Schlüsselbegriff für die Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts. Er war ein Ergebnis der Eisenbahn. Dem neuen Transportmittel folgte die große infrastrukturelle Erschließung der alpinen Räume. Den Beginn der touristischen Entwicklung Tirols etwa markierte die Errichtung der Brenner- und Pustertalstrecken durch die k.k. Südbahngesellschaft in den Jahren 1867 bis 1871. Die neuen Bahnstrecken erschlossen landschaftlich reizvolle Regionen wie das Hochpustertal und die Dolomitengebiete. Dann ging es Schlag auf Schlag. Theodor Christomannos, ein Cousin des Griechischlehrers von Kaiserin Elisabeth, gründete 1890 den „Verein für Alpenhotels“. Das war der Auftakt der Tiroler alpinen Grandhotellerie.

Eine weitere wichtige Voraussetzung zur touristischen Erschließung der Berge steuerten die neuen Seilschwebebahnen bei. 1908 zählte die Kohlerer Bahn bei Bozen neben dem Wetterhornaufzug in der Schweiz zu den ersten Seilbahnbauten der Welt. Vier Jahre später baute der Wiener Architekt Gustav von Birkenstaedt unter Mitarbeit des jungen Franz Baumann die Südtiroler Vigiljochbahn, eine hohe technische Herausforderung, die im Wesentlichen über trial and error bewältigt wurde.

Während sich der Tourismus in den Alpen bis zum Ersten Weltkrieg noch in überschaubaren Dimensionen abspielte, wurde die Zwischenkriegszeit zur expansiven Epoche. Eine neue Sport- und Freizeitgeneration trat auf den Plan. Der Adel hatte abgedankt. Die bürgerliche Gesellschaft erkor den Sport und die Berge zu ihrem Schauplatz. Eine ebenfalls neue Unternehmerschicht prägte den Tourismus. Die Hoteliers agierten fortschrittlich und innovativ. Die herausragende klassische Architekturmoderne in Tirol ist nicht zuletzt dem Innovationsgeist jener Bauherren zu verdanken. In jenen Jahren bestimmte ein expansives und noch ausgewogenes Feld die Erschließung der Alpen.

Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete die Schleusen zum alpinen Massentourismus. Die Folgen eines mangelnden Bewusstseins für den Umgang mit Landschaft und Natur sind problematische Erbgüter aus jenen Dekaden. Der Fernsehmehrteiler „Piefke-Saga“ aus den 1990ern ironisierte die Befindlichkeiten. Die fiktive Figur des deutschen Industriellen Karl-Friedrich Sattmann verbeißt sich darin gemeinsam mit dem Bürgermeister einer Tiroler Gemeinde in ein profitgieriges Unternehmensprojekt. Am Ende gelangt das Abwasser der Produktionsanlage im fatalen Kreislauf über die Schneekanonen in das Grundwasser des Dorfes und verseucht die Bewohner. Nur allzu ähnlich war die Geschichte Felix Mitterers der Realität. Ökonomische Interessen ohne Rücksicht auf Verluste prägten jene Zeit ungebremsten Aufschwungs.

Ein neues Bewusstsein für die sensible Balance von Natur, Landschaft und Tourismus entstand vor allem durch die Krise der Tourismusindustrie in den späten 1980ern. Sie führte zum Umdenken und zu neuen Konzeptionen. Ablesen lässt sich ein neues und nachhaltiges Bewusstsein an der Architektur. Peter Zumthor etwa setzte mit der Therme in Vals 1996 neue regionale Standards. In der archaischen Landschaft Graubündens entstand mit dem Bau ein wagemutiges und ikonisches Projekt der Moderne.

Das neue Bauen in den Alpen spiegelte ein Gleichgewicht von Mensch und Natur. Qualität ersetzte zunehmend die Quantität. Protagonisten sind, um nur einige wenige zu nennen, Mario Botta, Gion Caminada, Rainer Köberl, Valerio Olgiati und Peter Märkli. Zu den Höhepunkten im hochalpinen Bauen, technologisch gereift, formal beeindruckend, gehört auch Andrea Deplazes' futuristische neue Monte-Rosa-Hütte in den Walliser Alpen. Während beim Bau der alten Monte-Rosa-Hütte noch die Maulesel die Lasten der Bauteile über den Gletscher trugen, lief der Bau der neuen Hütte über eine lückenlose Logistikkette aus Schienen, Straßen und, im letzten Streckenteil, über den Gletscher, per Helikopter. In Südtirol wiederum hat jüngst die kupferummantelte Schwarzensteinhütte der Architekten Stifter+Bachmann eine neue Dimension des Bauens im hochalpinen Raum eröffnet.

Und wo steht der Alpentourismus heute? Der Band „Alpenreisen“, herausgegeben von Kurt Luger und Franz Rest, geht der Befindlichkeit der alpinen Bergwelt nach. Als „Ort des guten Lebens“, die Wortwahl ist der neueren Soziologie entnommen, wolle man sich das Land der Berge bewahren. Raumtransformationen, Trends, Veränderungen, Kontexte, Ökologie, Nachhaltigkeit sind die Themen, die sich im Lebensraum Alpen stellen. Experten aus einem schillernden Reigen von Disziplinen kommen dabei zu Wort. Der beeindruckende Band wird der komplexen Lage und der vielfältigen Sachverhalte gerecht. „Alpenreisen“ ist, und wird es wohl lange bleiben, das gültige Standardwerk zur Welt des alpinen Raumes.

Die Frage nach einem angemessenen Umgang mit alpinen Landschaften ist Gegenstand anhaltender Verhandlungen. Die Architektur ist dabei gleichsam eine Metapher. Ging es vormals eher um einen entsprechenden Stil, stehen gegenwärtig Technologie, Transformationen, kulturelle und ökologische Verträglichkeit im Vordergrund. Formalästhetische Fragen sind komplexen Kontexten und Metamorphosen sozialen und geopolitischen Wandels gewichen.

Die alpine Landschaft bildet seit je herausfordernde Bedingungen. Weitab von urbanen Zentren definieren dörfliche Strukturen oder Einzellagen, regionale, gesellschaftliche und soziokulturelle Faktoren den Handlungsspielraum. Konstruierte Landschaft, kulturelle Befindlichkeit, technologische und ökologische Bedingungen, die Überformung bäuerlicher Kultur in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft sind die problematischen Themen. So wie sich neue Wege im Tourismusmanagement abzeichnen, wie Nachhaltigkeit und wertschätzender gedeihlicher Umgang mit dem Erbe der Kulturlandschaft gepflegt werden können, werden sich plausible Antworten finden lassen.

Zurück zu den Bauernstuben: Die prominenteste Bezugsquelle für die bäuerlichen Versatzstücke waren die Walder-Brüder aus dem Osttiroler Villgratental. Sie betrieben einen florierenden Handel mit alten Stuben. Die schwatzten sie den Bauern ab, boten Ersatz mit Resopal und verkauften gegen hohe Summen.

In den 1980er-Jahren dann gerieten sie in die Schlagzeilen. Freilich nicht mit den Stuben. Die Walder-Brüder waren die wohl berühmtesten Wilderer des 20. Jahrhunderts. Pius fand einen gewaltsamen Tod durch den Jäger Johann Schett. Durch einen Schuss in den Hinterkopf niedergestreckt. Was hätte Ludwig Ganghofer, der große Alpendramatiker, zu all dem gesagt? „Alle Torheit ist ein Umweg zur Klugheit“, schrieb er 1885. Möge dies für die Zukunft der Alpen gelten.

Spectrum, Sa., 2018.10.20

20. Mai 2017Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Mit Baukunst die Regeln brechen

Die Architektur der Wiener Moderne widerspiegelte vielfältige Einflüsse. Das macht sie für die Gegenwart so interessant.

Die Architektur der Wiener Moderne widerspiegelte vielfältige Einflüsse. Das macht sie für die Gegenwart so interessant.

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27. Februar 2016Gabriele Reiterer
Spectrum

Ich gestalte, also bin ich

Wer auf Architektur und Gestaltung baut, erzeugt, erntet und verbreitet mehr Wert. Über das Verhältnis von Architektur und Unternehmertum.

Wer auf Architektur und Gestaltung baut, erzeugt, erntet und verbreitet mehr Wert. Über das Verhältnis von Architektur und Unternehmertum.

Blühende Geometrie“ nannte Ralph Waldo Emerson die Kunst des Bauens. Wohl unbestritten ist Architektur neben ihrer Anmut von hoher ethischer und gesellschaftlicher Relevanz: Gestaltete Räume prägen unser Handeln und Sein. Aber wird diese Bedeutung von Architektur und Gestaltung gewürdigt und vor allem genutzt? Gibt es eineUnternehmenskultur, die auf diesen Mehrwert baut? Welchen Nutzen können Architektur und Gestaltung einem Unternehmen bringen?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte der wichtigste Weg zum neuen Bauen über die Architekturen der Industrie. Walter Gropius' Bau des Fagus-Werks in Alfeld an der Leine im Jahre 1911 schrieb Architekturgeschichte. Zwei Jahre davor ließ die deutsche Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, kurz: AEG, eine Turbinenhalle in Berlin-Moabit errichten, die zur Inkunabel moderner Architektur avancierte.

Ein weiteres Beispiel der Verbindung von Unternehmenskultur, Architektur und Gestaltung ist jenes der norditalienischen Firma Olivetti. Die berühmten Schreibmaschinen stammten aus einem kulturell hoch ambitionierten Unternehmen. Die erste Fabrik war ein großer Backsteinbau. Der Firmengründer, Camillo Olivetti, begann 1908 mit der Herstellung der ersten Schreibmaschinen in Italien. Sein Sohn Adriano Olivetti lernte nach dem Ingenieurstudium in Turin die neuesten Produktionsformen und das Management in den Vereinigten Staaten kennen. Er modernisierte das Unternehmen im Jahr seines Firmeneintritts, 1926, von Grund auf. Für ein neues Fabrikgebäude beauftragte Olivetti zwei junge Architekten des Razionalismo, Luigi Figini und Gino Pollini. Die Gestaltung spiegelte den neuen Geist des Unternehmens. Transparenz durch Glas entsprach der offenen und freien Atmosphäre. Nach den verkrusteten Feudalstrukturen des alten Italiens bildete die Haltung der Unternehmensführung eine atemberaubende Neuerung. Noch heute wirkt das Gebäude harmonisch, licht und erhaben. In den Dreißigerjahren wurden in der Umgebung des Geländes Sozial- und Wohnbauten errichtet, und wiederum entwarfen Figini und Pollini ein modernes Wohnviertel.

Adriano Olivetti war humanistisch gebildet und sozialreformatorisch ambitioniert. Den Menschen wollte er erhebend behandeln. Sein Ethos bewies er auch durch seine politische, antifaschistische Haltung. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung floh er 1944 in die Schweiz. Im selben Jahr veröffentlichte er eine Schrift mit sozialutopischen Gedanken; 1946 gründete er die Zeitschrift „Comunità“ und den gleichnamigen Verlag, in dem er eine hochstehende geistige und künstlerische Autorenschaft versammelte. Die Fabrik in Ivrea, einer kleinen Stadt zwischen Turin und Aosta, entwickelte sich zum internationalen Unternehmen. Mario Bellini, Designer und Architekt, erzählte später: „Als ich zu Olivetti ging und dort meine erste Maschine entwarf, erhielt ich dafür 1964 gleich den zweiten Compasso d'Oro. Und das, obwohl ich keinen blassen Schimmer hatte von Maschinendesign.“

Die Geschichte der Allianz von Architektur, Gestaltung und Unternehmertum ließe sich weiter fortsetzen. Die beiden Welten scheinen einander dialektisch zu beflügeln. So entsteht ein Schauplatz wechselseitiger kreativer Explosionen, der Innovationenmöglich macht.

Der österreichische Nationalökonom undVater der Innovationsforschung Joseph Alois Schumpeter wies in seiner 1912 veröffentlichten Wirtschaftstheorie dem künstlerischen Prinzip einen hohen Rang zu. Innovationen als „Durchsetzung neuer Kombinationen“ sind nach Schumpeter „die überragenden Tatsachen in der Wirtschaftsgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft“. Wirtschaftliche Entwicklung begriff Schumpeter als durch Innovationen ausgelöste Übergangsprozesse zwischen jeweils stationären Kreisläufen. Dabei baue jede ökonomische Entwicklung auf einem Prozess der schöpferischen oder kreativen Zerstörung auf. Durch die Zerstörung von alten Strukturen werden die Produktionsfaktoren immer wieder neu geordnet. Zerstörung ist also notwendig, damit Neuordnung stattfinden kann. Auslöser für die schöpferische Zerstörung sind Innovationen, die von den Unternehmern vorangetrieben werden, mit dem Ziel, sich auf dem Markt durchsetzen zu können.

Damit schließt sich der Kreislauf von der Wesensart der Wirtschaft hin zum verwandten Wesen der Kunst. Bei beiden handelt es sich um schöpferische und kreative Welten. Schumpeters Theorie und dessen Kreativitätsprinzip wird im Übrigen gegenwärtig wieder höchstes Interesse entgegengebracht. Die Aktualität seiner Theorie liegt auch in der Anerkennung der Rolle des Individuums begründet. Schumpeter sah den Unternehmer als ein kreativ-schöpferisches Individuum im wirtschaftlichen Prozess. Kunst und unternehmerische Innovation sind also in ihrer Wesensart weitaus verwandter als weithin geglaubt. Ja mehr noch, es gibt eine gleichsam innere Verwandtschaft zwischen Entrepreneurship und künstlerischen, kreativen Welten.

Große Innovationsschübe jeglicher Art entstehen mit Vorliebe auf dem Nährboden kreativen Denkens. Die Grundlage von Innovation ist stets der Effekt einer Schnittmenge verschiedenster Hintergründe und Bereiche. Ideen aus einem Gebiet finden ihren fruchtbaren Niederschlag in einem scheinbar vollkommen artfremden Feld und bewirken auf diesem eine zündende Neuerung. In diesem Zusammenhang prägte sich auch der Begriff der Cultural Entrepreneurship. Deren Merkmale sind „die Nähe zum kreativen Schaffensprozess in der Kunst, ein künstlerisch geprägtes innovatives Denken und Handeln, eine kulturprägende Haltung und ein ebenso kulturprägendes unternehmerisches Gebaren“.

Mehrwert, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit sind Schlagworte unserer Zeit. Der allgemeine Wunsch einer Umkehr vom rein materialistischen Denken hin zu einem bewussteren und den Menschen wertschätzenden Umgang wird viel beschworen. Unsere Gesellschaft braucht dazu definitiv ein nachhaltiges unternehmerisches Gebaren – und dazu braucht sie auch die Welt der Kunst. Somit ist die unternehmerische Affinität zu Kunst und Architektur, bewusst oder unbewusst, weit mehr als eine kultursinnige Geste. Und wer auf Architektur und Gestaltung baut, erzeugt, erntet und verbreitet definitiv mehr Wert.

Spectrum, Sa., 2016.02.27

22. Dezember 2015Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Im Spiegelglas des Augenblicks

Die Neuerscheinung «Vom Nutzen der Architekturfotografie» untersucht den «kulturellen Wert» der Architekturfotografie. Gleichzeitig beleuchtet sie die Beziehung von Bild und Architektur.

Die Neuerscheinung «Vom Nutzen der Architekturfotografie» untersucht den «kulturellen Wert» der Architekturfotografie. Gleichzeitig beleuchtet sie die Beziehung von Bild und Architektur.

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verknüpfte Publikationen
Vom Nutzen der Architekturfotografie

12. Juli 2013Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Athen an der Donau

Zu den grössten Architekten Wiens zählt der heute vor 200 Jahren in Kopenhagen geborene Theophil Hansen. Einen Höhepunkt seines baukünstlerischen Könnens bildet das Parlamentsgebäude.

Zu den grössten Architekten Wiens zählt der heute vor 200 Jahren in Kopenhagen geborene Theophil Hansen. Einen Höhepunkt seines baukünstlerischen Könnens bildet das Parlamentsgebäude.

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27. März 2010Gabriele Reiterer
Spectrum

Der Zweck und sein Apostel

Das Wiener Café Museum wird seinen unglückseligen Loos-Nachbau in diesen Tagen endlich wieder los. Im Original gibt's Loos dafür anderswo: am Semmering. Ein Ausflug zum Looshaus auf dem Kreuzberg.

Das Wiener Café Museum wird seinen unglückseligen Loos-Nachbau in diesen Tagen endlich wieder los. Im Original gibt's Loos dafür anderswo: am Semmering. Ein Ausflug zum Looshaus auf dem Kreuzberg.

Mit der Errichtung der Südbahnstrecke um die Mitte des 19. Jahrhunderts brach in der Wiener Gesellschaft das Semmeringfieber aus. Reichenau, Raxgebiet und die umliegenden Orte wurden zu bevorzugten Aufenthaltsorten von Adel und vermögendem Bürgertum. Bereits 1911 fertigte Adolf Loos einen Entwurf für ein Projekt am Semmering an: Der Plan für einen Internatsbau für Eugenie Schwarzwald, die Grande Dame der Reformpädagogik, wurde nie umgesetzt. Aus dem Jahre 1913 stammt ein Entwurf für ein Hotel am Semmering. 1928 bot sich eine weitere Möglichkeit: Der Wiener Fabrikant Paul Khuner übertrug Adolf Loos die Planung für den Bau eines Landhauses am Semmering. Loos errichtete das Haus in Hanglage mit atemberaubendem Blick auf die umliegenden Bergmassive.

In enger Zusammenarbeit mit Heinrich Kulka griff er am Kreuzberg, auf 900 Meter Höhe, teils auf die traditionelle Bauweise in den Bergen zurück: ein Unterbau aus Bruchstein, braun gebeizte Blockwände und ein zinkblechgedecktes Pfettendach. Denn die überlieferten „Formen“ seien „der urväterweisheit geronnene substanz“, so Loos in seinen Schriften. So zurückhaltend die Hülle, umso radikaler organisierte der Architekt den Raum. Loos konnte im Landhaus Khuner seine Vorstellung der Offenheit räumlicher Dispositionen verwirklichen. Das Zentrum des Hauses bildet eine große, längsförmige Halle, die über zwei Stockwerke, mit einer Fensterfront talwärts, ausgerichtet ist. Die weiteren Räume werden über eine umlaufende Galerie erschlossen.

Loos entwarf die gesamte Innenausstattung des Landhauses. Große Teile des Interieurs sind noch belassen, nahezu alle Räume befinden sich in weitgehendem Originalzustand. Die Einbauten zeugen von einer kultivierten und verfeinerten Funktionsauffassung. Im Haus Khuner zeigt sich Loos' Hingabe an die hochstehende Handwerklichkeit, die Farbe und die Faszination für das ausgeklügelte Detail. Die Stäbe des Galeriegeländers sind ebenso wie die Heizkörper rot lackiert. Zartes Blau bestimmt das kirschholzgetäfelte Schlaf- und Wohnzimmer der Tochter. Das einstige Refugium des Hausherrn verfügt noch über das originale Badezimmer und schlichte Loossche Lampen.

Die Individualität des Loosschen Geistes, auch dessen Selbstständigkeit innerhalb der Moderne, ist oft auf Ursprung und Genese befragt worden. Ein Blick auf Loos' Quellen ist nicht nur in diesem Zusammenhang von Interesse. Die Geschichte der Loosschen Vorbilder ist eine Geschichte für sich, da Loos sich selbst und seine Ideen nur allzu gerne als genuin präsentierte. Doch auch Loos griff auf etliche – und mitunter sehr außergewöhnliche – Vorbilder zurück. So ist der berühmte Raumplan, die Aufhebung der Geschoße und damit die beliebige Erweiterung des Grundrisses in die Höhe, für viele seiner Bauten charakteristisch, mit Sicherheit vom Konzept des englischen Landhauses inspiriert. Wer an jene hallenartigen Entrees und Galerien denkt, erkennt darin nicht unschwer eine Quelle dieser räumlichen Überlegung wieder.

Eine weitere Inspiration für Loos' Gedankenwelt liegt versteckter. Bekanntlich hielt sich der junge Loos 1892 bis 1896 in den Vereinigten Staaten auf. In den Ideen der Kreise um Louis H. Sullivan wurzelte nicht nur seine Begeisterung für viele nationalromantisch-kulturtheoretischen Gedanken, sondern auch seine berühmte Ornamentkritik, die immer wieder missverstanden wurde. Das Ornament sei für die Architektur wichtig, meinte Louis H. Sullivan, es solle aber aus dem organischen Prinzip von Form und Funktion erwachsen. Ornament sei das Ergebnis einer architektonischen Logik und dürfe keinesfalls als purer Schmuck gestaltet werden und niemals aufgesetzt erscheinen. Sullivans Worte „Form follows function“ standen ursprünglich in einem komplexen kulturtheoretischen Zusammenhang und wurden später von der Moderne auf eine technoide Bedeutung reduziert. Viel radikaler waren jedoch die Aussagen John Wellborn Roots zum Ornament. Jener verwendete erstmals die Formulierung des „architectural crime“, des „architektonischen Verbrechens“, wie später auch Adolf Loos.

Loos' Ideenwelt entstammte noch einer Quelle, die von der Loosforschung nie berücksichtigt wurde. Loos kam während seiner amerikanischen Zeit mit der Welt der Shaker in Verbindung. Die Shaker waren eine Sekte, die, einst von England ausgewandert, in den Staaten eigene Gemeinden bildete. Obwohl sich die Sekte mit ihrer extremen Lebensform von der Außenwelt abschottete, waren die Shaker ökonomisch sehr erfolgreich. Mit ihren Möbeln und Gebrauchsgegenständen erwarben sie sich den Ruf der Meisterschaft. Die Möbel der Shaker waren schlicht und funktional im Entwurf, in der Ausführung von höchster Qualität. Das Gestaltungsdenken der Shaker entsprang einem strengen, religiösen Funktionalismus. Jeder überflüssige Zierrat musste vermieden werden, Reduktion und Einfachheit wurden zum obersten Prinzip erhoben. Der sogenannte Shaker-Funktionalismus faszinierte damals die Kreise um Root und Sullivan im selben Maße, wie die Lebensform der Sekte als abstoßend empfunden wurde.

Quellen berichten von Berührungen Loos' mit den Shakern, ja angeblich habe er bei ihnen das Maurerhandwerk erlernt. Abgesehen von seiner hohen Affinität zum soliden Handwerk, zur Schlichtheit und Funktionalität von Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die auch in seinen Entwürfen zum Ausdruck kommen, deckte sich das extreme, puristische Denken der Sekte durchaus auch mit Loos' Persönlichkeitsstruktur. In Loos' Texten finden sich Passagen, die auf eine Affinität zu dieser Haltung hinweisen. So meinte er, das Ornament habe seinen „Zusammenhang mit der Weltordnung“ verloren.

Loos' Forderung nach Reduktion, Einfachheit, Authentizität entsprang einer puristischen Haltung, die auch orthodoxe Züge trug. Karl Kraus nannte ihn nicht umsonst den „Zweckmäßigkeitsapostel“. Was Loos jedoch bei allen Extremen auszeichnete, war die unvergleichliche Fähigkeit, das Wesentliche, den Kern einer gestalterischen Aufgabe zu erkennen und sie ästhetisch auf höchstem Niveau zu lösen.

Auch das Haus Khuner atmet ein tiefes Verständnis für die spezifische gestalterische Aufgabe, die Sensibilität für die Rahmenbedingungen und die ästhetische Meisterschaft im Entwurf.

Die jüdische Familie Khuner konnte ihr Landhaus nur wenige Jahre genießen. Noch vor dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland emigrierte sie nach Amerika. Das Haus wurde beschlagnahmt. Während der Kriegsjahre bewohnten Soldaten der Wehrmacht die Landvilla. Im Jahr 1959 erwarb eine niederösterreichische Wirtin das Haus. Kaum jemand interessierte sich damals für den Bau. So wurde schließlich aus dem Landhaus Khuner der Alpengasthof Kreuzberg. Später kümmerte sich das Denkmalamt um Adolf Loos' einziges realisiertes Semmeringprojekt. In Zusammenarbeit mit den neuen Besitzern wurden schließlich kleine Veränderungen zur Umwandlung in eine Pension und einen Gastbetrieb vorgenommen. Das Ergebnis dieser sanften Metamorphose ist durchaus gelungen.

Spectrum, Sa., 2010.03.27

09. Oktober 2009Gabriele Reiterer
Der Standard

Architektur und nationale Mythen

Architektur auf dem Balkan, insbesondere Rekonstruktionen, sind nicht nur architektonisch brisant. Sie werden auch zu ethnischen und religiösen Propagandazwecken missbraucht.

Architektur auf dem Balkan, insbesondere Rekonstruktionen, sind nicht nur architektonisch brisant. Sie werden auch zu ethnischen und religiösen Propagandazwecken missbraucht.

Dass gebauter Raum ein kulturelles Gedächtnis verkörpere und für das Individuum Erinnerung dauerhaft abrufbar mache, ist eine alte und beständige Vorstellung. Vor allem Städte sind für die Konstruktion von Erinnerungsräumen bedeutsam, sie funktionieren gewissermaßen als Gedächtniskarten. Die gezielte Verräumlichung des Gedächtnisses bildet umgekehrt eine subtile und machtvolle Kraft im Umgang mit der Vergangenheit.

Aus diesem Grunde zählt auch die Aufladung von Bauten mit Erinnerung und kulturellem Gedächtnis zu den meiststrapazierten Themen der Architektur. Das Überdauern eines Bauwerks wird mit dem Überleben des kulturellen Erbes und mit Kontinuität eines Systems gleichgesetzt. Dieses Denken misst der Erhaltung architektonischer Substanz unverhältnismäßige Bedeutung zu. Wenn das einst mit Bedeutung aufgeladene Bauwerk nicht mehr vorhanden ist, entsteht die Idee der Rekonstruktion. Der exzessive Höhepunkt dieses Gedankens ist die freie Nachgestaltung historischer Bauten. Vor allem in den südlichen Ländern der Region Südosteuropa sind Rekonstruktionen ein heikles Thema.

„Balkanology“ im AZW

Im Architekturzentrum Wien wird sich die Ausstellung Balkanology mit Aspekten ungesteuerter architektonischer und städtebaulicher Entwicklungen als Abbild turbokapitalistischer, neoliberaler Wirtschaftsprinzipien befassen und neuere, innovative Lösungen in den Blick nehmen. Ohne das Thema der Rekonstruktionspraxis und deren Hintergründe zu berühren, ist ein Verständnis der Planungen in den südlichen Ländern Südosteuropas aber kaum möglich.

Sie enthüllen eine tiefwurzelnde ethnisch-nationale Problematik, die in Architektur und Städtebau ihren Ausdruck findet. Auch manche urbanistische Handlungen in den Hauptstädten werden über das Wissen um die ethnische, nationale Geschichte und Gegenwart verständlicher. Vor allem in Zeiten der Finanzkrise tritt dieser Aspekt verstärkt zutage.

In der mazedonischen Hauptstadt Skopje wurden jüngst mehrere Bauvorhaben begonnen. Das alte Stadttheater aus der Zeit des Königreichs Jugoslawien wird am Hauptplatz wieder aufgebaut. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine klassische Rekonstruktion des alten Theaters, sondern um ein symbolisches Spiel mit der Hülle.

Die Fassade des Gebäudes wird originalgetreu gestaltet, innen wird es neu ausgestattet. Auch der Maßstab ist nicht ganz getreu, das neue „alte“ Theater wird wesentlich größer ausfallen als das einstige Bauwerk. Das spektakulärste Projekt dieser Art ist eine orthodoxe Kirche in historischer Manier des vierzehnten Jahrhunderts mitten auf dem Hauptplatz von Skopje.

Der Entwurf ist eine willkürliche, fantasievolle Interpretation des einstigen Bauwerks. An dieser Stelle stand einst eine Moschee, für die albanische Bevölkerung von Skopje ist diese Tatsache befremdlich. Eine gewisse Absurdität liegt weiters darin, dass diese Bauvorhaben im Wettbewerbsverfahren entschieden wurden. Nicht zufällig ist der Hauptplatz von Skopje Schauplatz dieser Bauvorhaben.

Dessen große prominente Bauten verkörperten im frühen 20. Jahrhundert eine neue politische, ökonomische und kulturelle Bedeutung der Stadt. Dazu gehörte das Gebäude der Nationalbank, das Stadttheater und der Offiziersklub. Die alte Brücke über den Fluss Vardar verband diese Symbole urbaner Macht zu einem eindrucksvollen Ganzen. Es war die Zeit des Königreichs Jugoslawien und der kulturellen Vorherrschaft Serbiens. Dieses alte Skopje, das heute von großen Teilen der Bevölkerung in der Überlieferung wehmütig beschworen wird, orientierte sich nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft, wie viele andere Städte Südosteuropas, kulturell zunehmend an Europa.

Wurzeln in der Vergangenheit

Die aktuellen, von Regierungsseite beschlossenen, architektonischen Projekte Skopjes kommunizieren eine eindeutige Botschaft. Es sind gezielte Rückgriffe auf eine konstruierte nationale Identität, deren Wurzel in der Vergangenheit liegt. Darüber hinaus beschwört der kulturpolitische Kurs der ultranationalistischen Regierung mit den Rekonstruktionen ein sehr einseitiges Geschichtsbild.

Diese alte und hartnäckig weitergereichte Interpretation der Geschichte betrachtet den Beginn der einstigen Osmanenherrschaft als radikale Unterbrechung einer vormals kulturell hochstehenden Entwicklung, die sich mit Europa im Einklang befand. Die Folge dieser Unterbrechung, das „türkische Joch“, war nach dieser Diktion kulturelle Regression und Barbarisierung.

Dieses mit nationalen Mythen aufgeladene Geschichtsbild wurde in den südosteuropäischen Ländern ab dem 18. Jahrhundert im Ringen um nationale Emanzipation beschworen und ist teils noch heute aufrecht. Die architektonischen Rekonstruktionen beschwören diese europäische Identität.

Eine paradoxe Umkehrung spielt sich indes in der Hauptstadt des Nachbarlandes Bulgarien ab. Auch Bulgariens nationale Mythen beschworen stets die Wurzeln der europäischen Identität. Dort ist sie baulich überreich vorhanden. Die Altstadt Sofias ist eine architektonische Schwester Wiens. Sofia wurde im 19. Jahrhundert als neue Hauptstadt im Fürstentum Bulgarien zur Gänze von Architekten der österreichisch-ungarischen Monarchie erbaut. Sie nahmen sich nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft die Residenzstadt Wien zum gestalterischen Vorbild.

Während nun in Skopje baulich rekonstruiert wird, entging das tatsächlich vorhandene europäische Erbe in Sofia vor einem Jahr nur um Haaresbreite der Zerstörung. Einem großen Teil der historischen Innenstadt Sofias drohte im Herbst 2008 zugunsten eines Investorenprojektes der Abriss. Im letzten Moment wurde die Zerstörung der Altstadt Sofias vereitelt. In der Folge möchte die Regierung Bulgariens mit einem städtebaulichen Vorhaben nun großmaßstäblich aufholen.

Intelligente Umgestaltungen

Dominique Perrault hat sich in einem Wettbewerb zur Planung eines neuen Stadtteils gegen prominente internationale Konkurrenz wie Zaha Hadid, Norman Foster, Massimiliano Fuksas durchgesetzt. Das Projekt sieht ein großangelegtes zweites Zentrum Sofias östlich der Altstadt vor. In Anbetracht des überdimensionierten Vorhabens sind die kritischen Stimmen berechtigt. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob Sofia ein neues Zentrum braucht. Intelligente Umgestaltungen, Umnutzungen, kluge Interventionen in der Altstadt oder Regulationen könnten im Sinne urbanistischer Regeneration mehr bringen als spektakuläre Großprojekte und Staraufgebote.

In Mazedonien herrscht dagegen ein ausgeprägtes Bewusstsein der jüngeren Architektengeneration. Im April protestierten Studenten der Architekturfakultät gegen die Rekonstruktionen am Hauptplatz, die Aneignung des öffentlichen Raumes und gegen die Zerstörung der Stadt. Die Kundgebung artete zu einer gewalttätigen Manifestation ethnisch-politischer Glaubenssätze aus und endete blutig.

Aggressive Suche

Dieser Vorfall spiegelt einen zentralen Faktor der Situation der Länder Südosteuropas wider; eine aggressive Suche nach nationaler und religiöser Identität, die sich auch der Architektur bedient. Architektur und Städtebau dienen dabei als Träger ethnisch-religiöser Botschaften. Planungsvorhaben werden benutzt, um populistische Botschaften zu vermitteln. Sie erzeugen ein explosives Amalgam, dem sinnvolle Planungen eher nachgereiht werden.

Das Thema besitzt über die gemeinsame kulturhistorische Geschichte hinaus auch eine europäische Dimension. Denn die Geschichte Europas ist eine Geschichte der Städtevielfalt. Die europäischen Städte sind nicht nur lebendiges Erbe, sondern Lebensräume, Schauplätze und Potenziale der Zukunft. Ein bewusster, achtsamer Umgang ist angesagt.

[ Gabriele Reiterer, Architektur- und Stadtwissenschafterin, forschte 2008-2009 im Rahmen des Projektes „Europa urban“ zu Städten in Südosteuropa. ]

Der Standard, Fr., 2009.10.09

28. Februar 2009Gabriele Reiterer
Spectrum

Die Biologie des Bauens

Wie Charles Darwin die Baukunst beeinflusste: Hinweise auf eine Evolutionstheorie der Architektur.

Wie Charles Darwin die Baukunst beeinflusste: Hinweise auf eine Evolutionstheorie der Architektur.

Wer denkt an Architektur, wenn der Name Charles Darwin fällt? Darwins Jubiläumsjahr kann aber kaum ohne einen Blick in die faszinierende Verflechtung seiner Denkmodelle mit den Künsten vergehen. Der indirekte Einfluss von Darwins Werk auf die Theorie der Baukunst war immens. So exotisch diese Verbindung scheint, so prägend und bahnbrechend war sie seinerzeit, ja ohne Darwins Werk wäre die Baukunst des späten 19. und frühen 20.Jahrhunderts, wie wir sie kennen, kaum denkbar. Vor allem in Wien fand diese Gedankenhybridisierung aus Naturwissenschaft und Bautheorie ihre prominente Umsetzung.

Den Auftakt für einen Wandel, der in der Folge auch die Gedanken zur Architektur betraf, bildeten die neuen Forschungen der Biologie. Étienne Geoffroy Saint-Hilaire hatte bereits 1795 festgestellt, dass Species „nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus“ seien. Georges Cuvier legte kurz darauf neue, vergleichende anatomische Einteilungen und Ordnungen vor. Diese neuen anatomisch-biologische Klassifikationen veränderten in einem entscheidenden Punkt jede bislang herrschende Systematik: Sie setzten die Bedeutung der Funktion des Organs an die erste Stelle. Die endgültige Zäsur brachte aber das Werk von Charles Darwin. Darwins Annahme sah vor, dass „Arten einer Veränderung unterliegen und dass die jetzigen Lebensformen durch wirkliche Zeugung aus anderen früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind“. Die Entwicklungsgeschichte der Organismen wurde ab jetzt nicht mehr beschreibend, sondern erklärend begriffen.

Weit über den Kreis der Darwinisten hinaus bahnte sich die neue Art, zu denken und zu ordnen, ihren Weg in andere Bereiche. Auch die Stilentwicklung und Ästhetik in den Künsten wurden unter veränderten Vorzeichen beleuchtet. Neue Klassifikationen wurden auch hier aufgestellt. Der bedeutendste Vertreter der neuen Richtung war der Architekt Gottfried Semper. Semper legte seinen Gedanken zur Architektur die neue Systematik und Ordnung der Natur zugrunde.

Gottfried Semper schuf sowohl ein gebautes als auch ein theoretisch bahnbrechendes Werk. Dabei glich die Karriere des bedeutendsten Architekten des 19. Jahrhunderts insgesamt der Fahrt einer Hochschaubahn. Nachdem er in sehr jungen Jahren bereits europaweit großen Erfolg und einen Höhepunkt seiner Laufbahn als Kunsttheoretiker, Akademieprofessor und Hofarchitekt im sächsischen Dresden erreicht hatte, fiel er durch die politischen Umstände in Ungnade. Nach Ausbruch des Maiaufstandes 1849, auf dessen Seite er sich gestellt hatte, drohten ihm Verhaftung und Gefängnisaufenthalt, ein Schicksal, dem er sich nur durch rasche Flucht entziehen konnte.

Der gefallene Hofarchitekt gelangte über Paris nach London. In den folgenden harten und auftragsarmen Jahren legte er das Fundament zu seinem theoretischen Hauptwerk. Es kulminierte 1860 bis 1863 im mehrbändigen Werk „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik“, eine Schrift, die zum einflussreichsten theoretischen Werk der Baukunst des 19.Jahrhunderts avancieren sollte. Gleichzeitig war „Der Stil“ auch das von Architekten am wenigsten gelesene, aber darüber noch später.

Gottfried Semper entwickelte seine Gedanken zur Architektur parallel zu den neuen Ordnungen der Natur. Seinem theoretischen Werk legte er ein evolutionsgeschichliches, funktionsmorphologisches Gerüst zugrunde. Damit schuf er einen vollkommen neuen Denkansatz der Entwicklung der Baukunst. Seine vergleichenden Systeme und seine Suche nach Urformen in der Architektur hatte er in enger Anlehnung an die neuen vergleichenden Anatomien erarbeitet. Semper erklärte, man müsse wie in der Naturwissenschaft auch die Entwicklung der Architektur, die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung der Baustile in ein ordnendes System fassen. Vereinfacht ausgedrückt: Er begründete eine Evolutionstheorie der Architektur.

Laut Semper hatte sich die Baukunst aus der textilen Kunst entwickelt. Den historischen Ursprung des Bauens sah er in einem strukturierenden Gerüst, das eine textile Umhüllung besaß. Die Beobachtung einer einfachen karibischen Hütte auf der Londoner Weltausstellung war für ihn eine Bestätigung dieser Urform der Architektur. Die Hütte bestand aus einem einfachen Gerüst, war mit Flechtwerk versehen und mit Stoffen umhüllt. Durch das Prinzip des „Stoffwechsels“, diesen Begriff hatte er von den Forschungen des holländischen Physiologen Jacob Moleschott entlehnt, hätten die ursprünglichsten Formen sich ihren Weg gebahnt, so argumentierte Semper. Aus der textilen Hülle wurde schließlich die steinerne Wand der Architektur. Die Ornamentik sei demnach nichts anderes als ein symbolisches, „versteinertes“ textiles Muster. Aus der einfachen Technik des Wandbereitens, dem Urprinzip des Bekleidens, entstand nach Semper in einer Metamorphose alles weitere, es rückte einfach in eine höhere Stufe, ein Urtypus wechselte in einen anderen Stoff.

Eine höchste kreative und gewagte Theorie, eine kühne Neubetrachtung der Entwicklung der Baukunst. Gottfried Semper hatte in einer Ideenhybridisation ein naturwissenschaftliches Denkmodell in die Architektur übertragen. „Der Stil“ und „Die vier Elemente der Baukunst“ von 1851 waren in jedem Atelier zu finden. Sempers Schriften waren Nachschlagwerk und Bibel der schaffenden Architekten.

Vor allem in Wien fiel Sempers Credo auf fruchtbaren Boden. Freilich handelte es sich reihenweise um produktive, kreative Missverständnisse. Denn wenige Architekten hatten den „Stil“ gelesen. Zu Recht. Tatsächlich ist die Hunderte Seiten umfassende Schrift zwar in ihrer grundlegenden Denkleistung faszinierend, aber in der Darstellung eher mühselig, mit Stoffmengen überfrachtet, abschnittsweise recht konfus. Trotzdem prägte Sempers biologistische Systematik der Baukunst das ausgehende Jahrhundert.

Die Kernaussage der Semperschen Theorie konnte in wenige knappe Sätze gefasst werden. Vor allem war dieser Kern höchst bildhaft vorstellbar, und als solcher wurde erauch rezipiert. Die Architekten verfuhren mit der Idee einer biologistischen Entwicklung des Bauens höchst frei undbildhaft inspiriert. Siebot dem breiten Feldder neuen konstruktivenMöglichkeiten viel Raum und verführte vor allem in der Wiener Rezeption zum reizvollen und eloquenten gestalterischen Spiel. Otto Wagner, Max Fabiani oder Josef Ple?nik reizten den Umgang mit Hülle und Kern des Bauwerks bis zum Höhepunkt. Die ornamentierte, geschmückte Fassade wurde zum unverzichtbaren Ausdruck jedes Bauwerks.

Materialien und Verzierungen wurden als „Stoffe“, als verfeinerte Hülle metaphorisch beschworen. Der Kern des Bauwerks wurde theatralisch bekleidet. Bei Otto Wagners Prachtbauten an der Wienzeile war es die exzessive Verwendung von Majolika, bei Max Fabianis Geschäftsbau für Portois & Fix im dritten Wiener Bezirk waren es kühle, farbige Fliesen, mit denen er die Fassade gestaltete.

Die Fassadenkunst des 19.Jahrhunderts begründete mit der Geschichte der Entwicklung des Wandbereitens ihre sinnlich-spielerische Ausdrucksform. In seiner ausgeronnenen Variante erschien das Ornament später als massenproduzierter, aus dem Musterkatalog entnommener Zement- oder Gipsguss, der auf den Fassaden gründerzeitlicher Zinspaläste angebracht wurde. Zwischen diesem oberflächlichen Verfahren und jenen schmückenden Ideen lagen Welten. Denn der Ursprung des Gestaltungsgedankens war durchdacht. Kunstgewerbe, Ornamentik, Geschichtsbezug, evolutionistische Ordnungen waren wesentliche Grundlagen der historistischen Baukunst. Die zugrunde liegende Systematik war der neuen Wissenschaft der Natur entnommen.

Gottfried Semper selbst war zwischenzeitlich längst wieder zu Ruhm gelangt. Für die großen Ringstraßenplanungen war er 1871 nach Wien gezogen. In der zwangsbeglückenden, problematischen Verbindung mit Karl Hasenauer, der ihm nicht ansatzweise das Wasser reichen konnte, waren Burgtheater und Museen entstanden. Sempers Kaiserforum, die große imperiale Geste, wurde nie vollendet. Dem Lauf der Geschichte verdanken wir die asymmetrische, halbseitige Stadtsituation.

An die Habsburgermetropole sollte sich Semper ausschließlich schlechte Erinnerungen, einen „Blick zurück im Zorn“ bewahren. 1876 hatte er hier völlig entnervt das Handtuch geworfen. In seinen Briefen schrieb er von der rutschigen Spiegelglätte und zerstörerischen Intriganz des Wiener Parketts, das ihm schwer zu schaffen machte. Der letzte Band des „Stils“ sollte nie erscheinen.

Sempers evolutionistische Theorie wies scheinbar janusköpfig zurück und vorwärts zugleich. Sein System versöhnte vordergründig Historismus und Moderne, besaß Potenzial zur stetigen evolutionären Weiterentwicklung des Bauens. In der Praxis sah es anders aus. Sempers Lehre war einer Architektur des Steines und der Fassade vorbehalten. Die neue Transparenz der Eisenkonstruktionen fand in seinen Augen keine Gnade. Die frühe Moderne bewegte sich jedoch von der Umhüllung weg und begann, die Außenmauer zu lösen, trennte das Band zur versteinerten Welt der Väter. Die großen kulturhistorischen Systeme und Klassifikationen, die Ratio der Geschichte war in ihren Augen obsolet geworden.

Die evolutionistischen Geschichtsmodelle hatten ihre Gültigkeit verloren. Semper wurde als Materialist gescholten. Auf das rationale Denken folgte im letzten Abschnitt des Jahrhunderts eine Umkehr. Die verdrängten Mächte loderten empor. Auf die positivistische Naturlehre folgte nun, allgemein gesprochen, eine neue Irrationalität. Seele, Stimmung und Gefühl begannen sich wieder als geistig-künstlerische Instanzen zu behaupten.

Die Architektur reagierte seismografisch auf die neuen Werte. Nicht die objektive, sondern die subjektive, nicht die logische, die allgemeine Auffassung der Dinge, sondern ihre gefühlsmäßige, besondere, persönliche wurde zum neuen Leitspruch ausgerufen.

Ein „warmes Fühlen in den kalten Mauern“, so Josef Maria Olbrich über sein Haus der Wiener Secession, entließ endgültig die Ratio der geschichtsbewussten Zeit. Die Grundlagen eines anderen Bauens begannen sich zu formen. Seelenwerte galten als deren Organisatoren, das künstlerische Schaffen aus den Tiefen des Ichs wurde zu einem neuen Leitmotiv der Zeit.

[ Unser Bild ist dem Band „Analogien – Moderne Architektur und Tierwelt“ von Alejandro Bahamón und Patricia Pérez entnommen, der in der Deutschen Verlags-Anstalt, München, erschienen ist (Aus dem Spanischen von Laila G. Neubert-Mader. 192 S., brosch., € 30,80). ]

Spectrum, Sa., 2009.02.28

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Presseschau 12

20. Oktober 2018Gabriele Reiterer
Spectrum

Wie baut man „alpin“?

Von der Faszination alter Bauernstuben, der Gleichgültigkeit im Umgang mit der Landschaft und einer Gegenwart, in der alles besser werden soll: die Alpen zwischen Massentourismus,Sünden der Vergangenheit und neuem Nachhaltigkeitsbedürfnis.

Von der Faszination alter Bauernstuben, der Gleichgültigkeit im Umgang mit der Landschaft und einer Gegenwart, in der alles besser werden soll: die Alpen zwischen Massentourismus,Sünden der Vergangenheit und neuem Nachhaltigkeitsbedürfnis.

In den 1970er-Jahren poppte im Tiroler Raum eine schräge Idee auf. Teile alter Bauernhäuser, meist die getäfelten Stuben, wurden abgetragen und in neu erbaute Villen oder Hotels implantiert. Ein Stück bäuerliche Geschichte im Haus galt als stylish. Auch der Vater war einmal in Sachen Bauernstuben unterwegs. Mit einem Transporter fuhr er das Teil aus dem Zillertal über den Brennerpass von Nord- nach Südtirol. Für seinen Freund, den Architekten.

Der Architekt war viel bei uns zu Gast. Er rauchte Pfeife, sprach über Le Corbusier und dessen Proportionssystem, den Modulor. Die Stube baute er dann in sein eigenes Haus in Meran ein. Dieses war ein Bauwerk von charmanter Modernität, die mich damals begeisterte. Eingangs rechterhand lag ein großes Wohnzimmer mit riesiger Glasfront und Blick in einen üppig wuchernden Garten. Stahlrohrmöbel verströmten den Geist neuen Bauens. Linkerhand vom Eingang führte eine Holztür in die Welt bäuerlicher Geschichte, eben in das alte Stübl.

Die seltsame Grille der Bauernstuben fiel nicht zufällig in die Zeit der größten Ignoranz gegenüber traditionellen alpinen Welten. Sie spiegelte eine zerrissene, ausgefranste Identität von bäuerlicher Landschaft und Kultur. Im Bauernstubenphänomen begegneten einander eine an Ironie grenzende Inszenatorik und gleichzeitige Sehnsucht nach echter regionaler Identität.

Jener freimütige Umgang mit dem bäuerlichen Erbe war eine kurze, aber heftige zeitgeistige Erscheinung. Manieristische Gesten waren allerdings im alpinen Raum nichts Neues. Die überzeichnete Romantisierung bäuerlicher Geschichte trat durch die Jahrhunderte immer wieder bizarr in Erscheinung. Und ab den 1970er-Jahren glichen die bäuerlich-rustikalisierten Neubauten in den Dörfern der Tiroler Täler grinsenden, mit roten Balkongeranien verzierten Fratzen. Die brennenden Lieben, so hieß die Scharlachlichtnelke am Balkon umgangssprachlich, überzeichneten eine potemkinsche alpine Welt. In jenen Dekaden des 20. Jahrhunderts begann der endgültige Ausverkauf von alpiner Landschaft und Kultur. Er stoppte erst eine Sekunde vor dem Kollaps. Dabei hatte einst alles vielversprechend begonnen.

Im frühen 19. Jahrhundert zeichnete sich in Europa eine Neubewertung ab. Ein vormals ideal konstruiertes Bild der Natur trat in den Hintergrund. Landschaft wurde malerisch und sinnlich erlebbar. Diese „Entdeckung“ des Gefühls für die Natur wurde zum Fundament einer ganzen reformistischen Bewegung. Sie stellte sich gegen die entmenschlichenden Folgen der Industrialisierung. Der rasenden Geschwindigkeit des technokratischen Fortschritts wurde zivilisationskritisch die unberührte Reinheit der Natur gegenübergestellt.

England lag damit vorne, da hier die Industrialisierung bereits sehr früh einsetzte. Eine neue Kunst feierte Gefühl und Sinnlichkeit. William Turners atmosphärische Bilder waren Oden an die Leidenschaft. Natur boomte. Country life und country stylewurden zu geflügelten Worten. Das Konzept des englischen Landschaftsgartens spiegelte die befreite Natur.

Auf dem Kontinent war man vorsichtiger und distanzierter. Zwischen Mensch und Landschaft lagen noch unsichtbare Grenzen. Die Berge waren eine Art Kulisse, von der latent Gefahr dräute. Die alpinen Grandhotels des 19. Jahrhunderts waren in die Natur versetzte, abgezirkelt urbane Mikrokosmen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Alpen schließlich immer populärer. Die Natur wurde Gefühlsquelle und Inspiration. Zunehmend erschloss eine breitere Schicht die als gesund und heilsam erachtete Kraft der Berge.

Durch die stampfende Maschine, nämlich die neue Eisenbahn, hielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitere Veränderung Einzug. Die technische Transportneuerung produzierte eine gewaltige raum-zeitliche Veränderung: Durch die Geschwindigkeit der Eisenbahn wurde Landschaft anders als früher wahrgenommen. Nun zeigte die durch Bewegung bereicherte Szenerie nicht mehr das Ganze, sondern die Abfolge.

Dieser Blick, nämlich das Panorama, ist ein Schlüsselbegriff für die Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts. Er war ein Ergebnis der Eisenbahn. Dem neuen Transportmittel folgte die große infrastrukturelle Erschließung der alpinen Räume. Den Beginn der touristischen Entwicklung Tirols etwa markierte die Errichtung der Brenner- und Pustertalstrecken durch die k.k. Südbahngesellschaft in den Jahren 1867 bis 1871. Die neuen Bahnstrecken erschlossen landschaftlich reizvolle Regionen wie das Hochpustertal und die Dolomitengebiete. Dann ging es Schlag auf Schlag. Theodor Christomannos, ein Cousin des Griechischlehrers von Kaiserin Elisabeth, gründete 1890 den „Verein für Alpenhotels“. Das war der Auftakt der Tiroler alpinen Grandhotellerie.

Eine weitere wichtige Voraussetzung zur touristischen Erschließung der Berge steuerten die neuen Seilschwebebahnen bei. 1908 zählte die Kohlerer Bahn bei Bozen neben dem Wetterhornaufzug in der Schweiz zu den ersten Seilbahnbauten der Welt. Vier Jahre später baute der Wiener Architekt Gustav von Birkenstaedt unter Mitarbeit des jungen Franz Baumann die Südtiroler Vigiljochbahn, eine hohe technische Herausforderung, die im Wesentlichen über trial and error bewältigt wurde.

Während sich der Tourismus in den Alpen bis zum Ersten Weltkrieg noch in überschaubaren Dimensionen abspielte, wurde die Zwischenkriegszeit zur expansiven Epoche. Eine neue Sport- und Freizeitgeneration trat auf den Plan. Der Adel hatte abgedankt. Die bürgerliche Gesellschaft erkor den Sport und die Berge zu ihrem Schauplatz. Eine ebenfalls neue Unternehmerschicht prägte den Tourismus. Die Hoteliers agierten fortschrittlich und innovativ. Die herausragende klassische Architekturmoderne in Tirol ist nicht zuletzt dem Innovationsgeist jener Bauherren zu verdanken. In jenen Jahren bestimmte ein expansives und noch ausgewogenes Feld die Erschließung der Alpen.

Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete die Schleusen zum alpinen Massentourismus. Die Folgen eines mangelnden Bewusstseins für den Umgang mit Landschaft und Natur sind problematische Erbgüter aus jenen Dekaden. Der Fernsehmehrteiler „Piefke-Saga“ aus den 1990ern ironisierte die Befindlichkeiten. Die fiktive Figur des deutschen Industriellen Karl-Friedrich Sattmann verbeißt sich darin gemeinsam mit dem Bürgermeister einer Tiroler Gemeinde in ein profitgieriges Unternehmensprojekt. Am Ende gelangt das Abwasser der Produktionsanlage im fatalen Kreislauf über die Schneekanonen in das Grundwasser des Dorfes und verseucht die Bewohner. Nur allzu ähnlich war die Geschichte Felix Mitterers der Realität. Ökonomische Interessen ohne Rücksicht auf Verluste prägten jene Zeit ungebremsten Aufschwungs.

Ein neues Bewusstsein für die sensible Balance von Natur, Landschaft und Tourismus entstand vor allem durch die Krise der Tourismusindustrie in den späten 1980ern. Sie führte zum Umdenken und zu neuen Konzeptionen. Ablesen lässt sich ein neues und nachhaltiges Bewusstsein an der Architektur. Peter Zumthor etwa setzte mit der Therme in Vals 1996 neue regionale Standards. In der archaischen Landschaft Graubündens entstand mit dem Bau ein wagemutiges und ikonisches Projekt der Moderne.

Das neue Bauen in den Alpen spiegelte ein Gleichgewicht von Mensch und Natur. Qualität ersetzte zunehmend die Quantität. Protagonisten sind, um nur einige wenige zu nennen, Mario Botta, Gion Caminada, Rainer Köberl, Valerio Olgiati und Peter Märkli. Zu den Höhepunkten im hochalpinen Bauen, technologisch gereift, formal beeindruckend, gehört auch Andrea Deplazes' futuristische neue Monte-Rosa-Hütte in den Walliser Alpen. Während beim Bau der alten Monte-Rosa-Hütte noch die Maulesel die Lasten der Bauteile über den Gletscher trugen, lief der Bau der neuen Hütte über eine lückenlose Logistikkette aus Schienen, Straßen und, im letzten Streckenteil, über den Gletscher, per Helikopter. In Südtirol wiederum hat jüngst die kupferummantelte Schwarzensteinhütte der Architekten Stifter+Bachmann eine neue Dimension des Bauens im hochalpinen Raum eröffnet.

Und wo steht der Alpentourismus heute? Der Band „Alpenreisen“, herausgegeben von Kurt Luger und Franz Rest, geht der Befindlichkeit der alpinen Bergwelt nach. Als „Ort des guten Lebens“, die Wortwahl ist der neueren Soziologie entnommen, wolle man sich das Land der Berge bewahren. Raumtransformationen, Trends, Veränderungen, Kontexte, Ökologie, Nachhaltigkeit sind die Themen, die sich im Lebensraum Alpen stellen. Experten aus einem schillernden Reigen von Disziplinen kommen dabei zu Wort. Der beeindruckende Band wird der komplexen Lage und der vielfältigen Sachverhalte gerecht. „Alpenreisen“ ist, und wird es wohl lange bleiben, das gültige Standardwerk zur Welt des alpinen Raumes.

Die Frage nach einem angemessenen Umgang mit alpinen Landschaften ist Gegenstand anhaltender Verhandlungen. Die Architektur ist dabei gleichsam eine Metapher. Ging es vormals eher um einen entsprechenden Stil, stehen gegenwärtig Technologie, Transformationen, kulturelle und ökologische Verträglichkeit im Vordergrund. Formalästhetische Fragen sind komplexen Kontexten und Metamorphosen sozialen und geopolitischen Wandels gewichen.

Die alpine Landschaft bildet seit je herausfordernde Bedingungen. Weitab von urbanen Zentren definieren dörfliche Strukturen oder Einzellagen, regionale, gesellschaftliche und soziokulturelle Faktoren den Handlungsspielraum. Konstruierte Landschaft, kulturelle Befindlichkeit, technologische und ökologische Bedingungen, die Überformung bäuerlicher Kultur in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft sind die problematischen Themen. So wie sich neue Wege im Tourismusmanagement abzeichnen, wie Nachhaltigkeit und wertschätzender gedeihlicher Umgang mit dem Erbe der Kulturlandschaft gepflegt werden können, werden sich plausible Antworten finden lassen.

Zurück zu den Bauernstuben: Die prominenteste Bezugsquelle für die bäuerlichen Versatzstücke waren die Walder-Brüder aus dem Osttiroler Villgratental. Sie betrieben einen florierenden Handel mit alten Stuben. Die schwatzten sie den Bauern ab, boten Ersatz mit Resopal und verkauften gegen hohe Summen.

In den 1980er-Jahren dann gerieten sie in die Schlagzeilen. Freilich nicht mit den Stuben. Die Walder-Brüder waren die wohl berühmtesten Wilderer des 20. Jahrhunderts. Pius fand einen gewaltsamen Tod durch den Jäger Johann Schett. Durch einen Schuss in den Hinterkopf niedergestreckt. Was hätte Ludwig Ganghofer, der große Alpendramatiker, zu all dem gesagt? „Alle Torheit ist ein Umweg zur Klugheit“, schrieb er 1885. Möge dies für die Zukunft der Alpen gelten.

Spectrum, Sa., 2018.10.20

20. Mai 2017Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Mit Baukunst die Regeln brechen

Die Architektur der Wiener Moderne widerspiegelte vielfältige Einflüsse. Das macht sie für die Gegenwart so interessant.

Die Architektur der Wiener Moderne widerspiegelte vielfältige Einflüsse. Das macht sie für die Gegenwart so interessant.

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27. Februar 2016Gabriele Reiterer
Spectrum

Ich gestalte, also bin ich

Wer auf Architektur und Gestaltung baut, erzeugt, erntet und verbreitet mehr Wert. Über das Verhältnis von Architektur und Unternehmertum.

Wer auf Architektur und Gestaltung baut, erzeugt, erntet und verbreitet mehr Wert. Über das Verhältnis von Architektur und Unternehmertum.

Blühende Geometrie“ nannte Ralph Waldo Emerson die Kunst des Bauens. Wohl unbestritten ist Architektur neben ihrer Anmut von hoher ethischer und gesellschaftlicher Relevanz: Gestaltete Räume prägen unser Handeln und Sein. Aber wird diese Bedeutung von Architektur und Gestaltung gewürdigt und vor allem genutzt? Gibt es eineUnternehmenskultur, die auf diesen Mehrwert baut? Welchen Nutzen können Architektur und Gestaltung einem Unternehmen bringen?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte der wichtigste Weg zum neuen Bauen über die Architekturen der Industrie. Walter Gropius' Bau des Fagus-Werks in Alfeld an der Leine im Jahre 1911 schrieb Architekturgeschichte. Zwei Jahre davor ließ die deutsche Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, kurz: AEG, eine Turbinenhalle in Berlin-Moabit errichten, die zur Inkunabel moderner Architektur avancierte.

Ein weiteres Beispiel der Verbindung von Unternehmenskultur, Architektur und Gestaltung ist jenes der norditalienischen Firma Olivetti. Die berühmten Schreibmaschinen stammten aus einem kulturell hoch ambitionierten Unternehmen. Die erste Fabrik war ein großer Backsteinbau. Der Firmengründer, Camillo Olivetti, begann 1908 mit der Herstellung der ersten Schreibmaschinen in Italien. Sein Sohn Adriano Olivetti lernte nach dem Ingenieurstudium in Turin die neuesten Produktionsformen und das Management in den Vereinigten Staaten kennen. Er modernisierte das Unternehmen im Jahr seines Firmeneintritts, 1926, von Grund auf. Für ein neues Fabrikgebäude beauftragte Olivetti zwei junge Architekten des Razionalismo, Luigi Figini und Gino Pollini. Die Gestaltung spiegelte den neuen Geist des Unternehmens. Transparenz durch Glas entsprach der offenen und freien Atmosphäre. Nach den verkrusteten Feudalstrukturen des alten Italiens bildete die Haltung der Unternehmensführung eine atemberaubende Neuerung. Noch heute wirkt das Gebäude harmonisch, licht und erhaben. In den Dreißigerjahren wurden in der Umgebung des Geländes Sozial- und Wohnbauten errichtet, und wiederum entwarfen Figini und Pollini ein modernes Wohnviertel.

Adriano Olivetti war humanistisch gebildet und sozialreformatorisch ambitioniert. Den Menschen wollte er erhebend behandeln. Sein Ethos bewies er auch durch seine politische, antifaschistische Haltung. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung floh er 1944 in die Schweiz. Im selben Jahr veröffentlichte er eine Schrift mit sozialutopischen Gedanken; 1946 gründete er die Zeitschrift „Comunità“ und den gleichnamigen Verlag, in dem er eine hochstehende geistige und künstlerische Autorenschaft versammelte. Die Fabrik in Ivrea, einer kleinen Stadt zwischen Turin und Aosta, entwickelte sich zum internationalen Unternehmen. Mario Bellini, Designer und Architekt, erzählte später: „Als ich zu Olivetti ging und dort meine erste Maschine entwarf, erhielt ich dafür 1964 gleich den zweiten Compasso d'Oro. Und das, obwohl ich keinen blassen Schimmer hatte von Maschinendesign.“

Die Geschichte der Allianz von Architektur, Gestaltung und Unternehmertum ließe sich weiter fortsetzen. Die beiden Welten scheinen einander dialektisch zu beflügeln. So entsteht ein Schauplatz wechselseitiger kreativer Explosionen, der Innovationenmöglich macht.

Der österreichische Nationalökonom undVater der Innovationsforschung Joseph Alois Schumpeter wies in seiner 1912 veröffentlichten Wirtschaftstheorie dem künstlerischen Prinzip einen hohen Rang zu. Innovationen als „Durchsetzung neuer Kombinationen“ sind nach Schumpeter „die überragenden Tatsachen in der Wirtschaftsgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft“. Wirtschaftliche Entwicklung begriff Schumpeter als durch Innovationen ausgelöste Übergangsprozesse zwischen jeweils stationären Kreisläufen. Dabei baue jede ökonomische Entwicklung auf einem Prozess der schöpferischen oder kreativen Zerstörung auf. Durch die Zerstörung von alten Strukturen werden die Produktionsfaktoren immer wieder neu geordnet. Zerstörung ist also notwendig, damit Neuordnung stattfinden kann. Auslöser für die schöpferische Zerstörung sind Innovationen, die von den Unternehmern vorangetrieben werden, mit dem Ziel, sich auf dem Markt durchsetzen zu können.

Damit schließt sich der Kreislauf von der Wesensart der Wirtschaft hin zum verwandten Wesen der Kunst. Bei beiden handelt es sich um schöpferische und kreative Welten. Schumpeters Theorie und dessen Kreativitätsprinzip wird im Übrigen gegenwärtig wieder höchstes Interesse entgegengebracht. Die Aktualität seiner Theorie liegt auch in der Anerkennung der Rolle des Individuums begründet. Schumpeter sah den Unternehmer als ein kreativ-schöpferisches Individuum im wirtschaftlichen Prozess. Kunst und unternehmerische Innovation sind also in ihrer Wesensart weitaus verwandter als weithin geglaubt. Ja mehr noch, es gibt eine gleichsam innere Verwandtschaft zwischen Entrepreneurship und künstlerischen, kreativen Welten.

Große Innovationsschübe jeglicher Art entstehen mit Vorliebe auf dem Nährboden kreativen Denkens. Die Grundlage von Innovation ist stets der Effekt einer Schnittmenge verschiedenster Hintergründe und Bereiche. Ideen aus einem Gebiet finden ihren fruchtbaren Niederschlag in einem scheinbar vollkommen artfremden Feld und bewirken auf diesem eine zündende Neuerung. In diesem Zusammenhang prägte sich auch der Begriff der Cultural Entrepreneurship. Deren Merkmale sind „die Nähe zum kreativen Schaffensprozess in der Kunst, ein künstlerisch geprägtes innovatives Denken und Handeln, eine kulturprägende Haltung und ein ebenso kulturprägendes unternehmerisches Gebaren“.

Mehrwert, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit sind Schlagworte unserer Zeit. Der allgemeine Wunsch einer Umkehr vom rein materialistischen Denken hin zu einem bewussteren und den Menschen wertschätzenden Umgang wird viel beschworen. Unsere Gesellschaft braucht dazu definitiv ein nachhaltiges unternehmerisches Gebaren – und dazu braucht sie auch die Welt der Kunst. Somit ist die unternehmerische Affinität zu Kunst und Architektur, bewusst oder unbewusst, weit mehr als eine kultursinnige Geste. Und wer auf Architektur und Gestaltung baut, erzeugt, erntet und verbreitet definitiv mehr Wert.

Spectrum, Sa., 2016.02.27

22. Dezember 2015Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Im Spiegelglas des Augenblicks

Die Neuerscheinung «Vom Nutzen der Architekturfotografie» untersucht den «kulturellen Wert» der Architekturfotografie. Gleichzeitig beleuchtet sie die Beziehung von Bild und Architektur.

Die Neuerscheinung «Vom Nutzen der Architekturfotografie» untersucht den «kulturellen Wert» der Architekturfotografie. Gleichzeitig beleuchtet sie die Beziehung von Bild und Architektur.

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verknüpfte Publikationen
Vom Nutzen der Architekturfotografie

12. Juli 2013Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Athen an der Donau

Zu den grössten Architekten Wiens zählt der heute vor 200 Jahren in Kopenhagen geborene Theophil Hansen. Einen Höhepunkt seines baukünstlerischen Könnens bildet das Parlamentsgebäude.

Zu den grössten Architekten Wiens zählt der heute vor 200 Jahren in Kopenhagen geborene Theophil Hansen. Einen Höhepunkt seines baukünstlerischen Könnens bildet das Parlamentsgebäude.

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27. März 2010Gabriele Reiterer
Spectrum

Der Zweck und sein Apostel

Das Wiener Café Museum wird seinen unglückseligen Loos-Nachbau in diesen Tagen endlich wieder los. Im Original gibt's Loos dafür anderswo: am Semmering. Ein Ausflug zum Looshaus auf dem Kreuzberg.

Das Wiener Café Museum wird seinen unglückseligen Loos-Nachbau in diesen Tagen endlich wieder los. Im Original gibt's Loos dafür anderswo: am Semmering. Ein Ausflug zum Looshaus auf dem Kreuzberg.

Mit der Errichtung der Südbahnstrecke um die Mitte des 19. Jahrhunderts brach in der Wiener Gesellschaft das Semmeringfieber aus. Reichenau, Raxgebiet und die umliegenden Orte wurden zu bevorzugten Aufenthaltsorten von Adel und vermögendem Bürgertum. Bereits 1911 fertigte Adolf Loos einen Entwurf für ein Projekt am Semmering an: Der Plan für einen Internatsbau für Eugenie Schwarzwald, die Grande Dame der Reformpädagogik, wurde nie umgesetzt. Aus dem Jahre 1913 stammt ein Entwurf für ein Hotel am Semmering. 1928 bot sich eine weitere Möglichkeit: Der Wiener Fabrikant Paul Khuner übertrug Adolf Loos die Planung für den Bau eines Landhauses am Semmering. Loos errichtete das Haus in Hanglage mit atemberaubendem Blick auf die umliegenden Bergmassive.

In enger Zusammenarbeit mit Heinrich Kulka griff er am Kreuzberg, auf 900 Meter Höhe, teils auf die traditionelle Bauweise in den Bergen zurück: ein Unterbau aus Bruchstein, braun gebeizte Blockwände und ein zinkblechgedecktes Pfettendach. Denn die überlieferten „Formen“ seien „der urväterweisheit geronnene substanz“, so Loos in seinen Schriften. So zurückhaltend die Hülle, umso radikaler organisierte der Architekt den Raum. Loos konnte im Landhaus Khuner seine Vorstellung der Offenheit räumlicher Dispositionen verwirklichen. Das Zentrum des Hauses bildet eine große, längsförmige Halle, die über zwei Stockwerke, mit einer Fensterfront talwärts, ausgerichtet ist. Die weiteren Räume werden über eine umlaufende Galerie erschlossen.

Loos entwarf die gesamte Innenausstattung des Landhauses. Große Teile des Interieurs sind noch belassen, nahezu alle Räume befinden sich in weitgehendem Originalzustand. Die Einbauten zeugen von einer kultivierten und verfeinerten Funktionsauffassung. Im Haus Khuner zeigt sich Loos' Hingabe an die hochstehende Handwerklichkeit, die Farbe und die Faszination für das ausgeklügelte Detail. Die Stäbe des Galeriegeländers sind ebenso wie die Heizkörper rot lackiert. Zartes Blau bestimmt das kirschholzgetäfelte Schlaf- und Wohnzimmer der Tochter. Das einstige Refugium des Hausherrn verfügt noch über das originale Badezimmer und schlichte Loossche Lampen.

Die Individualität des Loosschen Geistes, auch dessen Selbstständigkeit innerhalb der Moderne, ist oft auf Ursprung und Genese befragt worden. Ein Blick auf Loos' Quellen ist nicht nur in diesem Zusammenhang von Interesse. Die Geschichte der Loosschen Vorbilder ist eine Geschichte für sich, da Loos sich selbst und seine Ideen nur allzu gerne als genuin präsentierte. Doch auch Loos griff auf etliche – und mitunter sehr außergewöhnliche – Vorbilder zurück. So ist der berühmte Raumplan, die Aufhebung der Geschoße und damit die beliebige Erweiterung des Grundrisses in die Höhe, für viele seiner Bauten charakteristisch, mit Sicherheit vom Konzept des englischen Landhauses inspiriert. Wer an jene hallenartigen Entrees und Galerien denkt, erkennt darin nicht unschwer eine Quelle dieser räumlichen Überlegung wieder.

Eine weitere Inspiration für Loos' Gedankenwelt liegt versteckter. Bekanntlich hielt sich der junge Loos 1892 bis 1896 in den Vereinigten Staaten auf. In den Ideen der Kreise um Louis H. Sullivan wurzelte nicht nur seine Begeisterung für viele nationalromantisch-kulturtheoretischen Gedanken, sondern auch seine berühmte Ornamentkritik, die immer wieder missverstanden wurde. Das Ornament sei für die Architektur wichtig, meinte Louis H. Sullivan, es solle aber aus dem organischen Prinzip von Form und Funktion erwachsen. Ornament sei das Ergebnis einer architektonischen Logik und dürfe keinesfalls als purer Schmuck gestaltet werden und niemals aufgesetzt erscheinen. Sullivans Worte „Form follows function“ standen ursprünglich in einem komplexen kulturtheoretischen Zusammenhang und wurden später von der Moderne auf eine technoide Bedeutung reduziert. Viel radikaler waren jedoch die Aussagen John Wellborn Roots zum Ornament. Jener verwendete erstmals die Formulierung des „architectural crime“, des „architektonischen Verbrechens“, wie später auch Adolf Loos.

Loos' Ideenwelt entstammte noch einer Quelle, die von der Loosforschung nie berücksichtigt wurde. Loos kam während seiner amerikanischen Zeit mit der Welt der Shaker in Verbindung. Die Shaker waren eine Sekte, die, einst von England ausgewandert, in den Staaten eigene Gemeinden bildete. Obwohl sich die Sekte mit ihrer extremen Lebensform von der Außenwelt abschottete, waren die Shaker ökonomisch sehr erfolgreich. Mit ihren Möbeln und Gebrauchsgegenständen erwarben sie sich den Ruf der Meisterschaft. Die Möbel der Shaker waren schlicht und funktional im Entwurf, in der Ausführung von höchster Qualität. Das Gestaltungsdenken der Shaker entsprang einem strengen, religiösen Funktionalismus. Jeder überflüssige Zierrat musste vermieden werden, Reduktion und Einfachheit wurden zum obersten Prinzip erhoben. Der sogenannte Shaker-Funktionalismus faszinierte damals die Kreise um Root und Sullivan im selben Maße, wie die Lebensform der Sekte als abstoßend empfunden wurde.

Quellen berichten von Berührungen Loos' mit den Shakern, ja angeblich habe er bei ihnen das Maurerhandwerk erlernt. Abgesehen von seiner hohen Affinität zum soliden Handwerk, zur Schlichtheit und Funktionalität von Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die auch in seinen Entwürfen zum Ausdruck kommen, deckte sich das extreme, puristische Denken der Sekte durchaus auch mit Loos' Persönlichkeitsstruktur. In Loos' Texten finden sich Passagen, die auf eine Affinität zu dieser Haltung hinweisen. So meinte er, das Ornament habe seinen „Zusammenhang mit der Weltordnung“ verloren.

Loos' Forderung nach Reduktion, Einfachheit, Authentizität entsprang einer puristischen Haltung, die auch orthodoxe Züge trug. Karl Kraus nannte ihn nicht umsonst den „Zweckmäßigkeitsapostel“. Was Loos jedoch bei allen Extremen auszeichnete, war die unvergleichliche Fähigkeit, das Wesentliche, den Kern einer gestalterischen Aufgabe zu erkennen und sie ästhetisch auf höchstem Niveau zu lösen.

Auch das Haus Khuner atmet ein tiefes Verständnis für die spezifische gestalterische Aufgabe, die Sensibilität für die Rahmenbedingungen und die ästhetische Meisterschaft im Entwurf.

Die jüdische Familie Khuner konnte ihr Landhaus nur wenige Jahre genießen. Noch vor dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland emigrierte sie nach Amerika. Das Haus wurde beschlagnahmt. Während der Kriegsjahre bewohnten Soldaten der Wehrmacht die Landvilla. Im Jahr 1959 erwarb eine niederösterreichische Wirtin das Haus. Kaum jemand interessierte sich damals für den Bau. So wurde schließlich aus dem Landhaus Khuner der Alpengasthof Kreuzberg. Später kümmerte sich das Denkmalamt um Adolf Loos' einziges realisiertes Semmeringprojekt. In Zusammenarbeit mit den neuen Besitzern wurden schließlich kleine Veränderungen zur Umwandlung in eine Pension und einen Gastbetrieb vorgenommen. Das Ergebnis dieser sanften Metamorphose ist durchaus gelungen.

Spectrum, Sa., 2010.03.27

09. Oktober 2009Gabriele Reiterer
Der Standard

Architektur und nationale Mythen

Architektur auf dem Balkan, insbesondere Rekonstruktionen, sind nicht nur architektonisch brisant. Sie werden auch zu ethnischen und religiösen Propagandazwecken missbraucht.

Architektur auf dem Balkan, insbesondere Rekonstruktionen, sind nicht nur architektonisch brisant. Sie werden auch zu ethnischen und religiösen Propagandazwecken missbraucht.

Dass gebauter Raum ein kulturelles Gedächtnis verkörpere und für das Individuum Erinnerung dauerhaft abrufbar mache, ist eine alte und beständige Vorstellung. Vor allem Städte sind für die Konstruktion von Erinnerungsräumen bedeutsam, sie funktionieren gewissermaßen als Gedächtniskarten. Die gezielte Verräumlichung des Gedächtnisses bildet umgekehrt eine subtile und machtvolle Kraft im Umgang mit der Vergangenheit.

Aus diesem Grunde zählt auch die Aufladung von Bauten mit Erinnerung und kulturellem Gedächtnis zu den meiststrapazierten Themen der Architektur. Das Überdauern eines Bauwerks wird mit dem Überleben des kulturellen Erbes und mit Kontinuität eines Systems gleichgesetzt. Dieses Denken misst der Erhaltung architektonischer Substanz unverhältnismäßige Bedeutung zu. Wenn das einst mit Bedeutung aufgeladene Bauwerk nicht mehr vorhanden ist, entsteht die Idee der Rekonstruktion. Der exzessive Höhepunkt dieses Gedankens ist die freie Nachgestaltung historischer Bauten. Vor allem in den südlichen Ländern der Region Südosteuropa sind Rekonstruktionen ein heikles Thema.

„Balkanology“ im AZW

Im Architekturzentrum Wien wird sich die Ausstellung Balkanology mit Aspekten ungesteuerter architektonischer und städtebaulicher Entwicklungen als Abbild turbokapitalistischer, neoliberaler Wirtschaftsprinzipien befassen und neuere, innovative Lösungen in den Blick nehmen. Ohne das Thema der Rekonstruktionspraxis und deren Hintergründe zu berühren, ist ein Verständnis der Planungen in den südlichen Ländern Südosteuropas aber kaum möglich.

Sie enthüllen eine tiefwurzelnde ethnisch-nationale Problematik, die in Architektur und Städtebau ihren Ausdruck findet. Auch manche urbanistische Handlungen in den Hauptstädten werden über das Wissen um die ethnische, nationale Geschichte und Gegenwart verständlicher. Vor allem in Zeiten der Finanzkrise tritt dieser Aspekt verstärkt zutage.

In der mazedonischen Hauptstadt Skopje wurden jüngst mehrere Bauvorhaben begonnen. Das alte Stadttheater aus der Zeit des Königreichs Jugoslawien wird am Hauptplatz wieder aufgebaut. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine klassische Rekonstruktion des alten Theaters, sondern um ein symbolisches Spiel mit der Hülle.

Die Fassade des Gebäudes wird originalgetreu gestaltet, innen wird es neu ausgestattet. Auch der Maßstab ist nicht ganz getreu, das neue „alte“ Theater wird wesentlich größer ausfallen als das einstige Bauwerk. Das spektakulärste Projekt dieser Art ist eine orthodoxe Kirche in historischer Manier des vierzehnten Jahrhunderts mitten auf dem Hauptplatz von Skopje.

Der Entwurf ist eine willkürliche, fantasievolle Interpretation des einstigen Bauwerks. An dieser Stelle stand einst eine Moschee, für die albanische Bevölkerung von Skopje ist diese Tatsache befremdlich. Eine gewisse Absurdität liegt weiters darin, dass diese Bauvorhaben im Wettbewerbsverfahren entschieden wurden. Nicht zufällig ist der Hauptplatz von Skopje Schauplatz dieser Bauvorhaben.

Dessen große prominente Bauten verkörperten im frühen 20. Jahrhundert eine neue politische, ökonomische und kulturelle Bedeutung der Stadt. Dazu gehörte das Gebäude der Nationalbank, das Stadttheater und der Offiziersklub. Die alte Brücke über den Fluss Vardar verband diese Symbole urbaner Macht zu einem eindrucksvollen Ganzen. Es war die Zeit des Königreichs Jugoslawien und der kulturellen Vorherrschaft Serbiens. Dieses alte Skopje, das heute von großen Teilen der Bevölkerung in der Überlieferung wehmütig beschworen wird, orientierte sich nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft, wie viele andere Städte Südosteuropas, kulturell zunehmend an Europa.

Wurzeln in der Vergangenheit

Die aktuellen, von Regierungsseite beschlossenen, architektonischen Projekte Skopjes kommunizieren eine eindeutige Botschaft. Es sind gezielte Rückgriffe auf eine konstruierte nationale Identität, deren Wurzel in der Vergangenheit liegt. Darüber hinaus beschwört der kulturpolitische Kurs der ultranationalistischen Regierung mit den Rekonstruktionen ein sehr einseitiges Geschichtsbild.

Diese alte und hartnäckig weitergereichte Interpretation der Geschichte betrachtet den Beginn der einstigen Osmanenherrschaft als radikale Unterbrechung einer vormals kulturell hochstehenden Entwicklung, die sich mit Europa im Einklang befand. Die Folge dieser Unterbrechung, das „türkische Joch“, war nach dieser Diktion kulturelle Regression und Barbarisierung.

Dieses mit nationalen Mythen aufgeladene Geschichtsbild wurde in den südosteuropäischen Ländern ab dem 18. Jahrhundert im Ringen um nationale Emanzipation beschworen und ist teils noch heute aufrecht. Die architektonischen Rekonstruktionen beschwören diese europäische Identität.

Eine paradoxe Umkehrung spielt sich indes in der Hauptstadt des Nachbarlandes Bulgarien ab. Auch Bulgariens nationale Mythen beschworen stets die Wurzeln der europäischen Identität. Dort ist sie baulich überreich vorhanden. Die Altstadt Sofias ist eine architektonische Schwester Wiens. Sofia wurde im 19. Jahrhundert als neue Hauptstadt im Fürstentum Bulgarien zur Gänze von Architekten der österreichisch-ungarischen Monarchie erbaut. Sie nahmen sich nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft die Residenzstadt Wien zum gestalterischen Vorbild.

Während nun in Skopje baulich rekonstruiert wird, entging das tatsächlich vorhandene europäische Erbe in Sofia vor einem Jahr nur um Haaresbreite der Zerstörung. Einem großen Teil der historischen Innenstadt Sofias drohte im Herbst 2008 zugunsten eines Investorenprojektes der Abriss. Im letzten Moment wurde die Zerstörung der Altstadt Sofias vereitelt. In der Folge möchte die Regierung Bulgariens mit einem städtebaulichen Vorhaben nun großmaßstäblich aufholen.

Intelligente Umgestaltungen

Dominique Perrault hat sich in einem Wettbewerb zur Planung eines neuen Stadtteils gegen prominente internationale Konkurrenz wie Zaha Hadid, Norman Foster, Massimiliano Fuksas durchgesetzt. Das Projekt sieht ein großangelegtes zweites Zentrum Sofias östlich der Altstadt vor. In Anbetracht des überdimensionierten Vorhabens sind die kritischen Stimmen berechtigt. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob Sofia ein neues Zentrum braucht. Intelligente Umgestaltungen, Umnutzungen, kluge Interventionen in der Altstadt oder Regulationen könnten im Sinne urbanistischer Regeneration mehr bringen als spektakuläre Großprojekte und Staraufgebote.

In Mazedonien herrscht dagegen ein ausgeprägtes Bewusstsein der jüngeren Architektengeneration. Im April protestierten Studenten der Architekturfakultät gegen die Rekonstruktionen am Hauptplatz, die Aneignung des öffentlichen Raumes und gegen die Zerstörung der Stadt. Die Kundgebung artete zu einer gewalttätigen Manifestation ethnisch-politischer Glaubenssätze aus und endete blutig.

Aggressive Suche

Dieser Vorfall spiegelt einen zentralen Faktor der Situation der Länder Südosteuropas wider; eine aggressive Suche nach nationaler und religiöser Identität, die sich auch der Architektur bedient. Architektur und Städtebau dienen dabei als Träger ethnisch-religiöser Botschaften. Planungsvorhaben werden benutzt, um populistische Botschaften zu vermitteln. Sie erzeugen ein explosives Amalgam, dem sinnvolle Planungen eher nachgereiht werden.

Das Thema besitzt über die gemeinsame kulturhistorische Geschichte hinaus auch eine europäische Dimension. Denn die Geschichte Europas ist eine Geschichte der Städtevielfalt. Die europäischen Städte sind nicht nur lebendiges Erbe, sondern Lebensräume, Schauplätze und Potenziale der Zukunft. Ein bewusster, achtsamer Umgang ist angesagt.

[ Gabriele Reiterer, Architektur- und Stadtwissenschafterin, forschte 2008-2009 im Rahmen des Projektes „Europa urban“ zu Städten in Südosteuropa. ]

Der Standard, Fr., 2009.10.09

28. Februar 2009Gabriele Reiterer
Spectrum

Die Biologie des Bauens

Wie Charles Darwin die Baukunst beeinflusste: Hinweise auf eine Evolutionstheorie der Architektur.

Wie Charles Darwin die Baukunst beeinflusste: Hinweise auf eine Evolutionstheorie der Architektur.

Wer denkt an Architektur, wenn der Name Charles Darwin fällt? Darwins Jubiläumsjahr kann aber kaum ohne einen Blick in die faszinierende Verflechtung seiner Denkmodelle mit den Künsten vergehen. Der indirekte Einfluss von Darwins Werk auf die Theorie der Baukunst war immens. So exotisch diese Verbindung scheint, so prägend und bahnbrechend war sie seinerzeit, ja ohne Darwins Werk wäre die Baukunst des späten 19. und frühen 20.Jahrhunderts, wie wir sie kennen, kaum denkbar. Vor allem in Wien fand diese Gedankenhybridisierung aus Naturwissenschaft und Bautheorie ihre prominente Umsetzung.

Den Auftakt für einen Wandel, der in der Folge auch die Gedanken zur Architektur betraf, bildeten die neuen Forschungen der Biologie. Étienne Geoffroy Saint-Hilaire hatte bereits 1795 festgestellt, dass Species „nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus“ seien. Georges Cuvier legte kurz darauf neue, vergleichende anatomische Einteilungen und Ordnungen vor. Diese neuen anatomisch-biologische Klassifikationen veränderten in einem entscheidenden Punkt jede bislang herrschende Systematik: Sie setzten die Bedeutung der Funktion des Organs an die erste Stelle. Die endgültige Zäsur brachte aber das Werk von Charles Darwin. Darwins Annahme sah vor, dass „Arten einer Veränderung unterliegen und dass die jetzigen Lebensformen durch wirkliche Zeugung aus anderen früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind“. Die Entwicklungsgeschichte der Organismen wurde ab jetzt nicht mehr beschreibend, sondern erklärend begriffen.

Weit über den Kreis der Darwinisten hinaus bahnte sich die neue Art, zu denken und zu ordnen, ihren Weg in andere Bereiche. Auch die Stilentwicklung und Ästhetik in den Künsten wurden unter veränderten Vorzeichen beleuchtet. Neue Klassifikationen wurden auch hier aufgestellt. Der bedeutendste Vertreter der neuen Richtung war der Architekt Gottfried Semper. Semper legte seinen Gedanken zur Architektur die neue Systematik und Ordnung der Natur zugrunde.

Gottfried Semper schuf sowohl ein gebautes als auch ein theoretisch bahnbrechendes Werk. Dabei glich die Karriere des bedeutendsten Architekten des 19. Jahrhunderts insgesamt der Fahrt einer Hochschaubahn. Nachdem er in sehr jungen Jahren bereits europaweit großen Erfolg und einen Höhepunkt seiner Laufbahn als Kunsttheoretiker, Akademieprofessor und Hofarchitekt im sächsischen Dresden erreicht hatte, fiel er durch die politischen Umstände in Ungnade. Nach Ausbruch des Maiaufstandes 1849, auf dessen Seite er sich gestellt hatte, drohten ihm Verhaftung und Gefängnisaufenthalt, ein Schicksal, dem er sich nur durch rasche Flucht entziehen konnte.

Der gefallene Hofarchitekt gelangte über Paris nach London. In den folgenden harten und auftragsarmen Jahren legte er das Fundament zu seinem theoretischen Hauptwerk. Es kulminierte 1860 bis 1863 im mehrbändigen Werk „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik“, eine Schrift, die zum einflussreichsten theoretischen Werk der Baukunst des 19.Jahrhunderts avancieren sollte. Gleichzeitig war „Der Stil“ auch das von Architekten am wenigsten gelesene, aber darüber noch später.

Gottfried Semper entwickelte seine Gedanken zur Architektur parallel zu den neuen Ordnungen der Natur. Seinem theoretischen Werk legte er ein evolutionsgeschichliches, funktionsmorphologisches Gerüst zugrunde. Damit schuf er einen vollkommen neuen Denkansatz der Entwicklung der Baukunst. Seine vergleichenden Systeme und seine Suche nach Urformen in der Architektur hatte er in enger Anlehnung an die neuen vergleichenden Anatomien erarbeitet. Semper erklärte, man müsse wie in der Naturwissenschaft auch die Entwicklung der Architektur, die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung der Baustile in ein ordnendes System fassen. Vereinfacht ausgedrückt: Er begründete eine Evolutionstheorie der Architektur.

Laut Semper hatte sich die Baukunst aus der textilen Kunst entwickelt. Den historischen Ursprung des Bauens sah er in einem strukturierenden Gerüst, das eine textile Umhüllung besaß. Die Beobachtung einer einfachen karibischen Hütte auf der Londoner Weltausstellung war für ihn eine Bestätigung dieser Urform der Architektur. Die Hütte bestand aus einem einfachen Gerüst, war mit Flechtwerk versehen und mit Stoffen umhüllt. Durch das Prinzip des „Stoffwechsels“, diesen Begriff hatte er von den Forschungen des holländischen Physiologen Jacob Moleschott entlehnt, hätten die ursprünglichsten Formen sich ihren Weg gebahnt, so argumentierte Semper. Aus der textilen Hülle wurde schließlich die steinerne Wand der Architektur. Die Ornamentik sei demnach nichts anderes als ein symbolisches, „versteinertes“ textiles Muster. Aus der einfachen Technik des Wandbereitens, dem Urprinzip des Bekleidens, entstand nach Semper in einer Metamorphose alles weitere, es rückte einfach in eine höhere Stufe, ein Urtypus wechselte in einen anderen Stoff.

Eine höchste kreative und gewagte Theorie, eine kühne Neubetrachtung der Entwicklung der Baukunst. Gottfried Semper hatte in einer Ideenhybridisation ein naturwissenschaftliches Denkmodell in die Architektur übertragen. „Der Stil“ und „Die vier Elemente der Baukunst“ von 1851 waren in jedem Atelier zu finden. Sempers Schriften waren Nachschlagwerk und Bibel der schaffenden Architekten.

Vor allem in Wien fiel Sempers Credo auf fruchtbaren Boden. Freilich handelte es sich reihenweise um produktive, kreative Missverständnisse. Denn wenige Architekten hatten den „Stil“ gelesen. Zu Recht. Tatsächlich ist die Hunderte Seiten umfassende Schrift zwar in ihrer grundlegenden Denkleistung faszinierend, aber in der Darstellung eher mühselig, mit Stoffmengen überfrachtet, abschnittsweise recht konfus. Trotzdem prägte Sempers biologistische Systematik der Baukunst das ausgehende Jahrhundert.

Die Kernaussage der Semperschen Theorie konnte in wenige knappe Sätze gefasst werden. Vor allem war dieser Kern höchst bildhaft vorstellbar, und als solcher wurde erauch rezipiert. Die Architekten verfuhren mit der Idee einer biologistischen Entwicklung des Bauens höchst frei undbildhaft inspiriert. Siebot dem breiten Feldder neuen konstruktivenMöglichkeiten viel Raum und verführte vor allem in der Wiener Rezeption zum reizvollen und eloquenten gestalterischen Spiel. Otto Wagner, Max Fabiani oder Josef Ple?nik reizten den Umgang mit Hülle und Kern des Bauwerks bis zum Höhepunkt. Die ornamentierte, geschmückte Fassade wurde zum unverzichtbaren Ausdruck jedes Bauwerks.

Materialien und Verzierungen wurden als „Stoffe“, als verfeinerte Hülle metaphorisch beschworen. Der Kern des Bauwerks wurde theatralisch bekleidet. Bei Otto Wagners Prachtbauten an der Wienzeile war es die exzessive Verwendung von Majolika, bei Max Fabianis Geschäftsbau für Portois & Fix im dritten Wiener Bezirk waren es kühle, farbige Fliesen, mit denen er die Fassade gestaltete.

Die Fassadenkunst des 19.Jahrhunderts begründete mit der Geschichte der Entwicklung des Wandbereitens ihre sinnlich-spielerische Ausdrucksform. In seiner ausgeronnenen Variante erschien das Ornament später als massenproduzierter, aus dem Musterkatalog entnommener Zement- oder Gipsguss, der auf den Fassaden gründerzeitlicher Zinspaläste angebracht wurde. Zwischen diesem oberflächlichen Verfahren und jenen schmückenden Ideen lagen Welten. Denn der Ursprung des Gestaltungsgedankens war durchdacht. Kunstgewerbe, Ornamentik, Geschichtsbezug, evolutionistische Ordnungen waren wesentliche Grundlagen der historistischen Baukunst. Die zugrunde liegende Systematik war der neuen Wissenschaft der Natur entnommen.

Gottfried Semper selbst war zwischenzeitlich längst wieder zu Ruhm gelangt. Für die großen Ringstraßenplanungen war er 1871 nach Wien gezogen. In der zwangsbeglückenden, problematischen Verbindung mit Karl Hasenauer, der ihm nicht ansatzweise das Wasser reichen konnte, waren Burgtheater und Museen entstanden. Sempers Kaiserforum, die große imperiale Geste, wurde nie vollendet. Dem Lauf der Geschichte verdanken wir die asymmetrische, halbseitige Stadtsituation.

An die Habsburgermetropole sollte sich Semper ausschließlich schlechte Erinnerungen, einen „Blick zurück im Zorn“ bewahren. 1876 hatte er hier völlig entnervt das Handtuch geworfen. In seinen Briefen schrieb er von der rutschigen Spiegelglätte und zerstörerischen Intriganz des Wiener Parketts, das ihm schwer zu schaffen machte. Der letzte Band des „Stils“ sollte nie erscheinen.

Sempers evolutionistische Theorie wies scheinbar janusköpfig zurück und vorwärts zugleich. Sein System versöhnte vordergründig Historismus und Moderne, besaß Potenzial zur stetigen evolutionären Weiterentwicklung des Bauens. In der Praxis sah es anders aus. Sempers Lehre war einer Architektur des Steines und der Fassade vorbehalten. Die neue Transparenz der Eisenkonstruktionen fand in seinen Augen keine Gnade. Die frühe Moderne bewegte sich jedoch von der Umhüllung weg und begann, die Außenmauer zu lösen, trennte das Band zur versteinerten Welt der Väter. Die großen kulturhistorischen Systeme und Klassifikationen, die Ratio der Geschichte war in ihren Augen obsolet geworden.

Die evolutionistischen Geschichtsmodelle hatten ihre Gültigkeit verloren. Semper wurde als Materialist gescholten. Auf das rationale Denken folgte im letzten Abschnitt des Jahrhunderts eine Umkehr. Die verdrängten Mächte loderten empor. Auf die positivistische Naturlehre folgte nun, allgemein gesprochen, eine neue Irrationalität. Seele, Stimmung und Gefühl begannen sich wieder als geistig-künstlerische Instanzen zu behaupten.

Die Architektur reagierte seismografisch auf die neuen Werte. Nicht die objektive, sondern die subjektive, nicht die logische, die allgemeine Auffassung der Dinge, sondern ihre gefühlsmäßige, besondere, persönliche wurde zum neuen Leitspruch ausgerufen.

Ein „warmes Fühlen in den kalten Mauern“, so Josef Maria Olbrich über sein Haus der Wiener Secession, entließ endgültig die Ratio der geschichtsbewussten Zeit. Die Grundlagen eines anderen Bauens begannen sich zu formen. Seelenwerte galten als deren Organisatoren, das künstlerische Schaffen aus den Tiefen des Ichs wurde zu einem neuen Leitmotiv der Zeit.

[ Unser Bild ist dem Band „Analogien – Moderne Architektur und Tierwelt“ von Alejandro Bahamón und Patricia Pérez entnommen, der in der Deutschen Verlags-Anstalt, München, erschienen ist (Aus dem Spanischen von Laila G. Neubert-Mader. 192 S., brosch., € 30,80). ]

Spectrum, Sa., 2009.02.28

26. Juli 2008Gabriele Reiterer
Der Standard

Die verlorene Geschichte Skopjes

Die mazedonische Hauptstadt Skopje ist eine unvergleichliche urbanistische Melange, aber auch der Versuch einer sozialutopischen Planstadt.

Die mazedonische Hauptstadt Skopje ist eine unvergleichliche urbanistische Melange, aber auch der Versuch einer sozialutopischen Planstadt.

Im Juni blühen in Skopje die Linden. Die ganze Stadt ist vom intensiven Duft erfüllt, den sie verströmen. Unter einem der riesigen schattenspendenden Bäume liegt das Straßencafé des Hotel Bristol, eines der wenigen übriggebliebenen Bauten des einstigen Skopje.

Am späten Nachmittag des 25. Juli 1963 kündigte Radio Skopje einen sommerlich heißen Folgetag an. Wenige Stunden später stand die Stadt nicht mehr. Im Morgengrauen des 26. Juli zerstörte ein zwanzig Sekunden dauerndes Erdbeben die mazedonische Hauptstadt. Fast alle wichtigen Gebäude fielen in Trümmer, mehr als tausend Tote wurden gezählt. Weitgehend unversehrt blieb der osmanische Teil, die Altstadt Skopjes am linken Ufer des Flusses Vardar.

Bereits wenige Tage nach dem Beben wurde der Bau einer neuen Stadt beschlossen. Marschall Tito sprach von der Notwendigkeit internationaler Unterstützung und Solidarität, die Skopje nun erhalten sollte. Trotz politischer Spannungen in der härtesten Zeit des Kalten Krieges wurde ein internationales Vorhaben über alle politischen Grenzen hinweg initiiert. Die Vereinten Nationen schrieben einen Wettbewerb für die Erbauung einer neuen Stadt aus. Eine Gruppe handverlesener internationaler Architekten und Stadtplaner, darunter der Italiener Luigi Piccinato und der Niederländer Jacob Bakema, wurde zur Teilnahme geladen. Der japanische Architekt Kenzo Tange setzte sich mit seinem Entwurf des Masterplans mehrheitlich durch.

Allerdings wurden als „zweite“ Gewinner, neben Tange auch Radovan Miscevic und Fedor Wenzler vom kroatischen Institut für Städtebau ausgezeichnet. Schließlich planten Teams japanischer, mazedonischer, kroatischer, griechischer und polnischer Architekten die in drei Zonen geteilte neue Stadt. Innerhalb weniger Monate wurde die mazedonische Hauptstadt zum internationalen Symbol, zum einzigartigen historischen Beispiel für internationale Solidarität und zum Zentrum einer urbanistischen Debatte zur Idealstadt. Die Augen der Welt waren auf Mazedonien gerichtet. Am 12. Februar 1965 erschien zu den Planungen in Skopje ein ausführlicher Bericht in der New York Times. Nachdem Teile der Planstadt über die Jahre errichtet worden sind, geriet die Bautätigkeit aus politischen Gründen Anfang der Achtzigerjahre ins Stocken, um schließlich ganz zu enden.

Eine geteilte Stadt

Wer nach Skopje kommt, erlebt die unvergleichliche Schichtung einer geteilten Stadt. Rechts des Flusses ragen die Wohntürme in die Höhe, ein Bürogebäude gleicht einem Raumschiff aus skulpturalem Beton, daneben liegt das Postgebäude wie ein umgedrehter versteinerter Krake. Auf der linken Seite des Flusses wurden die Kulturbauten des neuen Skopje erbaut. Die Oper, nach einem Entwurf slowenischer Architekten aus dem Jahre 1968, gleicht einer weißen scharfkantigen Skulptur, ein ausgreifender geometrisch-kristalliner Bau, dessen außergewöhnliche Raumfluchten Überraschungen bergen.

Vom Hauptplatz im neuen Teil der Stadt führt die Kameni most, die alte symbolträchtige Brücke über den Fluss Vardar, in die Altstadt Skopjes. Die orientalisch geprägte Stadt, die Carsija, ist voller verwinkelter Gassen, kleiner eingeschoßiger Häuser, reizvoller kleiner Plätze mit plätschernden Brunnen, beschirmt von mächtigen alten Bäumen. Hier wird die außergewöhnliche räumliche Qualität der orientalischen Städte spürbar. In der Carsija liegen die Moscheen, Hamam, die alten Karawansereien und noch existierenden einstigen Handwerkergassen.

Nicht selten steigen im Sommer die Temperaturen in Skopje auf mehr als vierzig Grad. Die Stadt gleicht in diesen Tagen einem Glutkessel, nur die Morgen- und Abendstunden sind erträglich. Um der Hitze zu entfliehen, reicht ein kurzer Weg. Die Stadtviertel an den Hängen des Vodno, des Berges bei Skopje, sind paradiesisch grün.

Die Stadt kippt hier wie ein Vexierbild plötzlich in eine üppige Kulturlandschaft mit Weingärten und Gemüsefeldern, in ein duftendes paradiesisches Land mit fruchtbarem Boden. Die Planstadt scheint weit entfernt. In den Abendstunden herrscht hier angenehme Kühle, der Blick auf die dunstige Stadt ist einzigartig. In der Nacht schwirren unzählige Glühwürmchen durch die Luft, am Wegrand sind Schildkröten anzutreffen.

Kampf um die Unabhängigkeit

Nach mehr als einem Jahrzehnt der Unabhängigkeit kämpft das kleine Mazedonien mit wirtschaftlichen Problemen. Die Probleme der ethnischen Diversität wiegen beträchtlich. Auch wenn es im Alltag ein Nebeneinander gibt, ist der Glaube an ein Miteinander kaum vorhanden. Die Südseite und die Nordseite des Vardar sind in Skopje Symbole einer getrennten Gesellschaft. Die ethnischen Grenzlinien sind messerscharf, die gebaute Stadt ist davon geprägt.

Insgesamt ist ein höchst eigenwilliges Geschichtsbild der Stadt und ihrer Identität im Bewusstsein vieler Bewohner verankert. So kursieren mündlich überlieferte Versionen der jüngeren Geschichte Skopjes, die mit den Fakten nicht viel gemein haben. Erzählt wird die Geschichte des schrecklichen Erdbebens und eines japanischen Stadtplaners, Tange, der kam und die Stadt nach dem Beben ein zweites Mal zerstörte. Die kaum zugänglichen, völlig lückenhaften Archive Skopjes tun ein Übriges, die Erinnerung zu verwischen.

Vor allem aber zirkuliert in der mazedonischen Hauptstadt das Gespenst der architektonischen Rekonstruktionen. Der Wiederaufbau einiger prominenter Gebäude des „alten“ Skopje wird debattiert. Auch ein Wettbewerb für den Bau einer Kirche in der Manier des 14. Jahrhunderts am Hauptplatz Skopjes wurde ausgeschrieben. Die Idee, die alte Stadt in Teilen wiederauferstehen zu lassen, entstammt einem nicht unproblematischen nationalistischen Gedanken.

Urbanistische Melange

Identität ist das Schlagwort, Identitätsfindung der Wunsch. Bedauerlicherweise werden bei dieser Suche bereits vorhandene interessante Potenziale dieser ungewöhnlichen Stadt wenig erkannt und gewürdigt. Die mazedonische Hauptstadt ist eine unvergleichliche urbanistische Melange aus verschiedenen Zeiten und Welten. Skopje ist ein Manifest, ein Versuch einer sozialutopischen Planstadt in der Begegnung mit osmanischem Erbe.

Skopjes Erdbeben war tragisch und mit immensem Leid verbunden. Skopje mag damals einen Teil der Geschichte verloren haben, und gleichzeitig hat es auch gewonnen. Mit gebührendem Abstand betrachtet, ist aus genau dieser Situation jene besondere urbane Identität Skopjes erwachsen. Skopje zählt zur heterogensten, zur vielleicht auratischsten Stadt des südlichen Balkans. Die Faszination der Stadt liegt in den Schichtungen, dem Aufeinanderprallen urbaner Welten, wie sie verschiedener und konträrer nicht sein könnten. Das abstrakte urbane Gebilde, das Kenzo Tange gemeinsam mit anderen Architekten als neue Stadt bereitstellte und das nur zum Teil realisiert wurde, spiegelt jene Absurdität, die allen Städten vom Reißbrett eigen ist.

Tanges Idee von Skopje lagen jene ambitionierten gesellschaftsutopischen Visionen der Sechzigerjahre zugrunde, die nicht selten unsanft landeten. Planstädte haben sich von jeher nur sehr bedingt umsetzen lassen. Städte besitzen schlichtweg ein ausgeprägtes Eigenleben und lassen sich genauso wenig steuern wie die Menschen, die sie bewohnen.

In Skopje hat sich das städtische Leben mit einer gewissen Unbekümmertheit über alles Planhafte, Zerrissene, Zerstörte und Verlorene hinweggesetzt. An vielen Stellen überwuchert die Vegetation die monumentalen Betongebilde, die großangelegten Vorplätze sind zu wilden, üppigen, grünen Inseln gewachsen. Ivan Mirkovski, ein junger mazedonischer Architekt, fand im Jahr 2006 im hintersten Speicher des Stadtmuseums von Skopje Kenzo Tanges Modell, mit dem der Japaner den Wettbewerb für den Masterplan gewonnen hatte. Es war in vier Teile zerlegt und verstaubte vergessen und unbeachtet in einem Eck des Depots.

Mirkovski hat 2008 eine Initiative ins Leben gerufen. Alljährlich bildet das „Forum Skopje“ eine Plattform für einen interdisziplinären architektonischen und städtebaulichen Diskurs zu Gegenwart und Zukunft Skopjes. Dies ist nicht nur für die Bewohner der Stadt von Bedeutung. Auch aus unserer Sicht ist wenig Wissen um die „neuen“ europäischen Städte vorhanden. Die urbanen Zentren Südosteuropas sind vielfach noch eine Terra incognita, die es in ihrer Vielfalt, Faszination und in ihren Potenzialen zu entdecken gilt. Ein Verständnis für ihre Geschichte und Gegenwart, so ist zu hoffen, kann mit den Boden für zukünftige konstruktive Möglichkeiten bereiten.

[ Gabriele Reiterer, Architektur- und Stadtwissenschafterin, forscht im Rahmen des interdisziplinären Projektes „Europa urban. Die Stadt lesen“ zu südosteuropäischen Städten. ]

Der Standard, Sa., 2008.07.26

19. März 2005Gabriele Reiterer
Spectrum

Die Welt und ihre Fugen

Vor kurzem wurde sie wieder entdeckt: seine kleine Wiener „Wohnmaschine“ aus den Zwanzigerjahren. Doch wer war überhaupt ihr Schöpfer, dieser Anton Brenner? Plädoyer für einen Vergessenen.

Vor kurzem wurde sie wieder entdeckt: seine kleine Wiener „Wohnmaschine“ aus den Zwanzigerjahren. Doch wer war überhaupt ihr Schöpfer, dieser Anton Brenner? Plädoyer für einen Vergessenen.

Auf dem Foto wirkt er wach, trotzig, ein wenig gequält. Eine Haltung wie auf dem Sprung, als hätte er sich eben nur für wenige Sekunden auf dem Stuhl niedergelassen. Hinter ihm lehnt die Ehefrau, neben ihm drängen sich zwei Kinder. Die Fotografie der Familie Brenner wurde in genau jener Wiener Wohnung aufgenommen, deren kürzliche Entdeckung den Protagonisten dieser Geschichte - nämlich Anton Brenner - nun wieder der Vergessenheit entreißt.

Anton Brenner ist ein Phänomen: jenes der seltsamen Dynamik der Geschichtsschreibung, die in scheinbarer Willkür Existenzen einfach schluckt oder verborgen hält, um sie manchmal Jahrzehnte oder Jahrhunderte später wieder freizugeben, wie der Gletscher seine Toten.

Anton Brenner war Architekt. Seine Biografie liest sich wie eine schillernde und gleichzeitig sehr unausgewogene Geschichte, seine Stationen waren erfolgsgekrönt, um dann doch wieder tragisch zu enden. Das Architekturstudium begleiteten frühe Wohnbaustudien im „Roten Wien“. Es folgte die Mitarbeit am Hochbauamt in Frankfurt bei Ernst May, einem der wichtigsten Zentren der Moderne. Den glanzvollen Höhepunkt der Architektenlaufbahn von Anton Brenner bildete seine Berufung an das Bauhaus in Dessau im Jahre 1929.

1896 in Wien geboren und aufgewachsen, war Brenners erste traumatische Erfahrung, wie die einer ganzen Generation, der Erste Weltkrieg. 1920 traf der Kriegsheimkehrer auf eine vollkommen veränderte Welt. In Österreich war nicht viel geblieben, wie es war, in diesem Österreich, „das nur noch als ein ungewisser, grauer und lebloser Schatten der früheren kaiserlichen Monarchie auf der Karte Europas dämmerte“, so Stefan Zweig in seiner „Welt von Gestern“.

Brenner begann sein Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule, zuerst bei Oskar Strnad und Josef Frank, später setzte er es an der Akademie der bildenden Künste bei Peter Behrens und schließlich Clemens Holzmeister fort. Über Josef Frank kam Brenner bald mit der Siedlungsbewegung in Berührung, eine Begegnung, die entscheidend für seine Architektenlaufbahn wurde. Die Experimente und Forschungen auf dem Gebiet des Wohnbaus prägten jene Jahre. Kostengünstig bauen, effizient planen und wohnen waren die Themen der „sozialen Frage“, die zum Ethos der Architekten avancierte.

Heinickegasse, Ecke Rauchfangkehrergasse, 15. Wiener Gemeindebezirk. Nichts scheint besonders auffällig an dem Bau aus den Zwanzigerjahren, der auf einem Eckgrundstück errichtet wurde. Von außen wirkt er kubisch, massig, mit schmuckloser Fassade. Eine kleine Treppe führt zur Eingangstüre hinauf, im Stiegenhaus stellt sich ein Gefühl der Kleinteiligkeit, ja Enge ein. Bereits hier befindet sich alles penibel genau an seinem Platz. Wer die Wohnungstüre im zweiten Stock öffnet und den Fuß über die Schwelle setzt, glaubt im ersten Moment seinen Augen nicht zu trauen. Was sich hier präsentiert, ist eine ausgeklügelte kleine Wohnmaschine im Geist der Zwanzigerjah-re. Puppenstubenhafte 38 Quadratmeter sind es genau, auf denen hier vier Personen lebten. Jeder Vorgang, jede Geste dieses Wohnens wurde vom Architekten des Hauses, nämlich Anton Brenner, durchdacht und entsprechend festgelegt. So galt die erste Handlung beim Betreten der Wohnung dem Ablegen des Hutes in das obere Fach des „Kleiderablageschranks“, der gleichzeitig „als Trennungswand von Vorraum und Besenkammer mit einem unteren Fach für Überschuhe“ diente. Seitlich befanden sich „Stock- und Schirmständer“. Im nächsten Raum gab es Klappbetten für die Kinder mit entsprechend einschwenkbaren Nachttischchen. Der winzige Raum des WCs funktionierte gleichzeitig als Dusche. Weiters verfügte die Wohnung über einen supermodernen zentralen Müllschlucker und vor allem jede Menge Einbaumöbel. Jeder Zentimeter in jedem Raum war bis ins Kleinste durchdacht und funktional geplant. Vor allem auch jener Arbeitsraum, der später durch Margarethe Schütte-Lihotzky eine aufsehenerregende Neukonzeption erfahren sollte: Hier, in der kleinen Küche der Wohnung in der Rauchfangkehrergasse, waren diese Gedanken bereits angelegt.

Die Hülle dieses Wohnetuis bildeten die Nischen und Einbauschränke. Brenners genialste „Erfindung“ war eine Auflösung der Mittelmauern bei gegeneinander versetzten Wohnungen in Pfeiler und Träger. Durch eine versetzte Anordnung der die Wohnung abgrenzenden Füllwände entstanden Nischen, also zusätzlicher Raum, den Brenner für Möbeleinbauten nutzte. Das Tragwerk bestand - völlig unüblich für einen Gemeindewohnbau jener Zeit - aus einem Stahlbetonskelett.

Wie war dieses Projekt zustande gekommen? Der junge Anton Brenner hatte bereits während seiner Studienzeit an der Akademie der bildenden Künste auf sich aufmerksam gemacht. Noch als Student nahm er an einem von der Stadt Wien ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Wohnbau teil. Als ein wichtiger Punkt des Wettbewerbsprogramms waren zweckmäßige Grundrisslösungen gefordert. Als die Preisträger bekannt wurden, machte Brenner seinem Ärger in einem Artikel im „Wiener Tagblatt“ Luft. Denn der erste und zweite Preis wiesen seinem Ermessen nach in keiner Weise die verlangte Innovation und Qualität auf, ja Brenner bezeichnete sie als die mit Abstand schlechtesten Beiträge. Im intriganten und korrupten Wien schien dies der klare Fall eines geschobenen Wettbewerbs zu sein. Die Folge war eine beträchtliche mediale Aufmerksamkeit, in deren Zentrum Brenner und nolens volens auch sein eigener Wettbewerbsbeitrag rückten.

Seinen nächsten Wettbewerb, diesmal für die Berliner Zeitschrift „Bauwelt“, konnte er für sich entscheiden. Brenner reüssierte mit einer Fülle von Ideen, mittels Einbaumöbel „Volkswohnungsgrundrisse“ kostengünstig und raumökonomisch zu gestalten.

Mit diesem Erfolg in der Tasche meldete sich Brenner beim Wiener Stadtrat Siegel, seines Zeichens Baureferent, zur Sprechstunde an. Was nun folgte, beschreibt Brenner in seiner ungedruckten Autobiografie mit großem Pathos: Alsbald folgte ein Auftrag der Stadt Wien für einen Wohnbau mit eingebauten Möbeln. Anton Brenner fertigte innerhalb weniger Stunden einen Entwurf und zeichnete binnen vier Tagen den ganzen Plan des Hauses im Maßstab 1:200. Und dann trat, wie immer wieder in Brenners Leben, eine dramatische Wende ein. Alles schien sich plötzlich gegen Brenner zu verschwören. Tatsächlich dürfte er neben seinem schwierigen Charakter auch dem Wiener Intrigantentum zum Opfer gefallen sein. Während seine Grundrisse und Ausstattungen der Kleinstwohnungstypen in Berlin publiziert wurden und dort größte Anerkennung fanden, wurde deren erstmalige Umsetzung in Wien, in der Rauchfangkehrergasse, mehr als behindert.

Plötzlich tauchten Zweifel an der Urheberschaft des Architekten auf. In der Folge entbrannte ein heftiger Streit um die „Urheberrechte“ der Grundrisse und einiger „Erfindungen“ Brenners, der schließlich sogar in einen Rechtsstreit mündete. Für Brenner waren die Folgen mehr als problematisch. Das in Bau befindliche Haus sollte nun innen nicht mehr, wie ursprünglich geplant, von ihm ausgestattet werden. Schließlich gelang ihm ein genialer Handstreich. In einer Wiener Ausstellung über den „neuzeitlichen Haushalt“ brachte er ein perfektes Modell einer Wohnung im Maßstab 1:10 unter und präsentierte es vor großem Publikum. Mit der Ankündigung, er werde selbst in dieser Wohnung wohnen, pries er unaufhaltsam deren Vorzüge - und nahm seine Zuhörerschaft samt Stadtrat im Sturme. Sofort wurde ihm die Ausstattung einer Musterwohnung zugesagt.

Nach ihrer Fertigstellung 1925 durfte die Wohnung von Anton Brenner, die kleine Wohnmaschine, auch öffentlich besichtigt werden. Das Publikum kam in Scharen. Die Wohnung schaffte es sogar bis auf das Titelblatt der „Kronen Zeitung“. Wenig rühmlich, treffsicher genug, empfing das Wienerherz, wie oft, die neue Sache mit skeptischer Distanz: „Doch wird durch die Maschine kaum, die Not man übertauchen, denn was man hier erspart an Raum, wird man am Steinhof brauchen“, dichtete ein Anonymus. Von der ganzen Sache am meisten beeindruckt zeigten sich die Sowjets, die sogar eine eigene Delegation zur Besichtigung nach Wien sandten.

Im Frühjahr 1929 trat Brenner eine Lehrverpflichtung am Bauhaus in Dessau an. Hier schien er ein kongeniales Umfeld gefunden zu haben. Aber wie so oft drohten Neid und Intrige. Diesmal war es Hannes Meyer, der Direktor, der gemeinsam mit Ludwig Hilberseimer hinter dem Rücken von Brenner einen „geschobenen“ Wettbewerb plante. Die Konsequenzen waren fürchterlich. „Mit einem Schlage war alles zunichte“, notierte Brenner in seinen Memoiren. Er kündigte stante pede. Es folgte eine weitere Episode am Frankfurter Stadtbauamt. Brenner sah sich aber rasch wieder benutzt und witterte Neid und Missgunst allerorten. So ging auch diese Episode einem eher unrühmlichen Ende entgegen. Brenner reichte Klage gegen Ernst May ein und kehrte nach Wien zurück, wo er sich am Bau der Werkbundsiedlung beteiligte.

In Österreich plante Brenner noch einige Bauten. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte eine Berufung nach Kharagpur in Indien. Sein Name geriet jedoch trotz unbestrittener Leistungen auf dem Gebiete des Wohn- und Siedlungsbaues in Vergessenheit. Anton Brenner - der Verkannte, der Unglückliche? Warum besitzt sein Name nicht mehr die Präsenz eines Josef Frank oder Adolf Loos? War es seine unbequeme bis schwierige Art, die ihn zum allzu sperrigen Subjekt der Geschichtsschreibung degradierte?

Anton Brenner wollte die Welt verbessern, er wollte Ordnung und System. Seine ausgeklügelten Rationalisierungsideen jagten die Bewohner seiner Häuser durch ein fließbandähnliches Wohnregister, in dem jeder Handgriff vom Morgen bis zum Abend geordnet war. Da gab es kein Entrinnen. Und wenn - nur einmal - das Nachttischchen des Klappbetts seinen Haken verfehlte, dann drohte in Brenners teilpatentiertem System die Welt aus ihren Fugen zu geraten. Trotz alledem ist sein Beitrag zum menschenwürdigen Wohnen bis heute in vieler Hinsicht ein faszinierendes und unvergleichliches Experiment.

Die spektakuläre kleine Wiener Wohnmaschine wurde vor kurzem durch einen Zufall wieder entdeckt. Dem Umstand, dass Brenner selbst diese Wohnung bezogen hatte und Jahrzehnte mit seiner Familie dort wohnte, ist es zu verdanken, dass der Prototyp dieser Kleinstwohnung bis heute im Ansatz erhalten ist. Der Wiener Verein „Zeitraum“ hat mit Unterstützung des Bundesdenkmalamtes und der Kulturabteilung der Stadt Wien die behutsame Renovierung der Wohnung in der Rauchfangkehrergasse durchgeführt. Dieser Initiative ist es zu danken, dass das kleine Juwel erhalten bleibt. Ab Herbst wird die Wohnung als Museum öffentlich zugänglich sein.

[ Nähere Informationen beim Verein „Zeitraum“ unter Tel. 01/895-72-65. ]

Spectrum, Sa., 2005.03.19



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WHA Rauchfangkehrergasse

15. September 2004Gabriele Reiterer
zuschnitt

Die Kunst der Fuge

Wenn Geräusche in unsere Ohren dringen, geschieht naturwissenschaftlich mechanistisch betrachtet folgendes: Eine Schallquelle sendet Energieimpulse an...

Wenn Geräusche in unsere Ohren dringen, geschieht naturwissenschaftlich mechanistisch betrachtet folgendes: Eine Schallquelle sendet Energieimpulse an...

Wenn Geräusche in unsere Ohren dringen, geschieht naturwissenschaftlich mechanistisch betrachtet folgendes: Eine Schallquelle sendet Energieimpulse an Moleküle – genau genommen Luftmoleküle –, die sie an unser Trommelfell weiterleiten. Die Ohrmuscheln verstärken bestimmte Frequenzen. Sobald der Ton am Ende des Gehörkanals auf das Trommelfell trifft, werden die Druckwellen in mechanische Bewegungen übertragen und laufen über das Mittelohr zu den Gehörknöchelchen. In welcher Qualität die jeweiligen Schallquellen ihr Ziel erreichen, ist eine Frage der Akustik. Sie ist ein Thema, das sehr weit zurückverfolgt werden kann. Die Akustik gehört zu den ältesten Zweigen der Physik und entwickelte sich vermutlich aus musikalischen Untersuchungen, die Pythagoras vor über 2500 Jahren betrieb. Sobald Menschen zusammenkamen, um Musik, Theater oder Vorträge zu hören, musste räumlich die Akustik bedacht sein. Vitruv berichtet von großen Vasen, die innerhalb der Sitzreihen der Amphitheater aufgestellt wurden, um bestimmte Klänge zu verstärken. Die Masken der Schauspieler hatten in diesem Zusammenhang eine sehr bedeutende Funktion. Sie dienten als eine Art Megaphon und sorgten für eine effektive Anpassung der Stimme an den umgebenden Raum. Die Maske verstärkte zwar nicht die Stimme, erhöhte aber die Schallabstrahlung. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Akustik zu einer wissenschaftlichen Disziplin avanciert. Damals wurde vor allem der Versuch unternommen, die Erforschung der Sinneswahrnehmungen auf eine empirische Basis zu stellen. Eine neue Körperkonzeption bestimmte diese Absicht. Es war jene Zeit, in der die Naturwissenschaft mit dem Anspruch der Messbarkeit das Phänomen der Wahrnehmung untersuchen und wissenschaftlich begründen wollte. Die Folge war eine intensive Auseinandersetzung mit sinnesphysiologischen Themen. Auch die Architektur zeigte sich von diesem Paradigmenwechsel beeinflusst.

Die Raumakustik ist ein wesentliches Moment der Raumerfahrung und damit der Architektur, oder sollte es zumindest sein. Trotzdem ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Dimension der Raumakustik ein stark vernachlässigtes Thema. Das Erzeugen guter Raumakustik hat mit Planung und sehr viel mit Intuition zu tun. Es gibt wunderbare Beispiele gebauter Räume für Musik, die technisch nicht unbedingt bis ins letzte Detail begründbar sind. Die magische Welt der Klänge braucht ein sensibles elastisches Gefäß für die Töne, das einmal sich öffnen, dehnen und dann gleichzeitig ein fein austarierter Träger der Schwingungen sein soll.

Diehlgasse, fünfter Wiener Gemeindebezirk
Hier ist die Stadt rau und brüchig. Es ist keine schöne, im ästhetischen Sinne ansprechende Gegend. Und doch ist es ein ungemein reizvoller Teil der Stadt, der in seiner Heterogenität Charme besitzt.

Hier hat ein Bau aus den sechziger Jahren eine weitgehende Entkernung, Umgestaltung und außergewöhnliche Neunutzung erfahren. Die Architekten lichtblau.wagner haben ein Projekt umgesetzt, in dem der Aspekt der Sinne im Vordergrund steht. Ein unspektakulärer, aber bei näherem Blick sehr solide geplanter Gewerbebau diente ursprünglich als Verwaltungs und Produktionsstätte einer Stahlfirma, die hier eine Verzinkerei betrieb. Danach wurden in den Räumlichkeiten Nähmaschinen repariert. Das viergeschossige Haus verfügt über eine geräumige Halle mit Oberlicht, die, hofseitig gelegen, als ehemaliger Produktionsraum diente. Genau dieser Raum sollte zum zentralen Ort der künftigen Nutzer werden und sich zu einem Zentrum der Musik entwickeln. Das Klangforum Wien, ein in den 1980er Jahren gegründetes Orchester mit Schwerpunkt auf Stücken der Moderne, war von der alten Halle auf Anhieb begeistert. Dieser Eindruck führte schließlich zur Entscheidung, einen Großteil des Hauses sowohl als Verwaltungszentrale also auch als Produktionsstätte zu nutzen. Die „Produkte“, die in diesen Räumen erzeugt werden, sind im Unterschied zu den Vornutzern rein immaterieller Natur: Es sind Töne und Klänge. Deshalb war beim Umbau des Hauses die Halle der sensibelste Planungsteil. Die ehemalige Werkstätte sollte zum idealen Probe und Aufnahmeraum für das Klangforum umgewandelt werden und eine optimale Akustik erhalten.

lichtblau.wagner haben mit der Halle aus verschiedenen Gründen eine schwierige Situation vorgefunden. Das tonnenförmige Gewölbe mit Oberlichten besitzt zwar eine hohe ästhetische Qualität und gute Lichtverhältnisse, erwies sich jedoch im Sinne der Raumakustik als mittleres Desaster. Gute akustische Ergebnisse haben vor allem mit Oberflächen und Strukturen zu tun, d.h. ein Gewölbe muss in jedem Falle „gebrochen“ werden. Deshalb wurde die Hallenkonstruktion unsichtbar verändert. Die Bogenträger wurden seitlich verstärkt, die Oberlichten mit neuen Schallschutzfenstern versehen.

Der neue Fußboden ist auf den ersten Blick eher unauffällig. Nichts lässt auf seine wichtige und besondere Funktion schließen. Mit nackten Füßen eröffnet sich ein subtiles sinnliches Erlebnis. Weich, sanft, wie ein schmeichelnder und doch elastischer Untergrund schwingt, kaum merkbar, der gesamte Boden. Über die Fußsohlen läuft eine vibrierende, feine Spannung durch den gesamten Körper. Der Boden ist aus weichem Fichtenholz. Ideal wäre eigentlich Tanne – Rigatanne – gewesen, meint Andreas Lichtblau. Aus diesem Holz werden Geigen gebaut. Es ist die Dichte und Regelmäßigkeit des Holzes, auf die es ankommt. Unter dem neuen Boden befindet sich der alte Asphaltbelag. Über die Wärmedämmung, Fußbodenheizung und das Luftvolumen wurde der Holzschwingboden als einfacher Schiffboden verlegt. Das Luftvolumen in Kombination mit dem Material Holz fungiert als Klangkörper. Die eigentliche Kunst liegt aber in der Fuge. Eine breite umlaufende Fuge hält an allen vier Seiten einen Abstand des Bodens zur Mauer. Diese bedämpften Randbereiche absorbieren die Tiefentöne. Das Holz ist geölt, gewachst und dadurch idealerweise offenporig.

Die Akustik ist ein wiederkehrendes Thema von lichtblau.wagner. Bereits im Sonntagsmessraum des Pfarrzentrums Podersdorf (1999 – 2002), das ebenso wie die Räume für das Klangforum Wien in Zusammenarbeit mit Akustikern entstand, wurden Grenzen ausgelotet. In Podersdorf verabschiedeten sich die Spezialisten bereits in der Planungsphase, weil sie an das Ergebnis nicht glauben konnten. Die Kirche wurde ein voller Erfolg. Obwohl einige Mitglieder der Gemeinde ästhetische Vorbehalte bezüglich des Erscheinungsbildes äußerten, gibt es in einem Punkt vollkommene Einigkeit. Es ist die unvergleichliche Akustik des Raumes. Auf subtile Weise verstärkt sie den Gemeinschaftssinn und lässt mit dem gemeinsamen Gesang ein verbindendes Moment entstehen.

In der Diehlgasse ermöglichte nicht zuletzt die persönliche Beziehung von lichtblau.wagner zum Bauherrn und Besitzer das feine und in vieler Hinsicht sehr bereichernde Nutzungskonzept. Übrigens – im Erdgeschoss wird ein Lokal eröffnen und diesen Teil der Stadt, diesen urbanen Mikrokosmos, um eine weitere sinnliche Nuance verfeinern.

zuschnitt, Mi., 2004.09.15



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27. Mai 2004Gabriele Reiterer
Der Standard

Hommage an Margareten

Die herbe Schönheit zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Dass sich hier vor fast zweihundert Jahren ein Zentrum blühender Tuchproduktion befand, kann...

Die herbe Schönheit zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Dass sich hier vor fast zweihundert Jahren ein Zentrum blühender Tuchproduktion befand, kann...

Die herbe Schönheit zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Dass sich hier vor fast zweihundert Jahren ein Zentrum blühender Tuchproduktion befand, kann sich heute wohl kaum mehr jemand vorstellen.

Der Charakter des Bezirks Margareten ist spröde, ja fast karg - dann wieder atmosphärisch und packend. Mit Brachen und bezaubernden Inseln. Wer der Fadesse gutbürgerlicher Wohnbezirke entkommen möchte, ist mit Margareten gut beraten. Wien ist hier auf spezielle Art kosmopolitisch und international.


Wohnbauexperimente

In der multiethnischen Welt von Margareten geschieht eine Menge an außergewöhnlichen Aktivitäten in der Kunst und vor allem der Architektur. Wo anders könnte ein Projekt wie „making it/sprache der straße“ stattfinden, das die Stadtforschung auf ungewöhnliche Weise unterstützt?

Ein neuer Rad- und Fußweg, die Kulturzeile-Wienzeile, ist eine weitere Innovation, ebenso die Umgestaltung der Wiedner Hauptstraße durch ARTEC Architekten. Eine der Wiener Grätzeltouren eröffnet die mikrokosmische Welt dieses Teils der Stadt. Die Tour Margareten der Architekturtage rückt den Wohnbau in den Vordergrund; hier hat sich in den letzten Jahren im Bezirk viel getan.

Am Hundsturm ragt ein Wohnbau (ARTEC) bis fast in den Himmel und macht seinem Namen alle Ehre. Der Fertigteilproduzent Mischek zeichnet als Bauträger auch einige Straßen weiter verantwortlich.


Hängende Gärten

Frei nach Semiramis' mystischer Gartenwelt ist nach der Planung von Rüdiger Lainer, ARTEC, s&s architekten in der Wiedner Hauptstraße, Schusswallgasse und Hollgasse ein neuer Wohnblock entstanden, der auch besichtigt werden kann. Die „Raumgeschichten“ der Architekturtage zeigen in Margareten vor allem die Auseinandersetzung mit dem Kleinen und Großen, dem Einzelnen und dem Kontext, der Architektur und der Metropole.

Das dreidimensionale Artefakt Stadt besteht aus Architekturräumen, Nischen, Atmosphären - aus Orten die wir mögen oder auch nicht. Vertrautheiten ebenso wie Brüchigkeiten gehören dazu. Gehen Sie hin, es zahlt sich aus.

Der Standard, Do., 2004.05.27

17. Januar 2004Gabriele Reiterer
Der Standard

Aus diesen Bücher haben sie unsere Welt erbaut

Das Architekturzentrum Wien zeigt erstmals die Bibliothek Marzona

Das Architekturzentrum Wien zeigt erstmals die Bibliothek Marzona

Geknickte Regale schieben sich wie ein Highway nach einem Erdbeben durch den Raum. Darin ausgestellt wird ein Sprengstoff der besonderen Art: Bücher. Es ist keine Präsentation, die auf den ersten Blick verführt. Die auf eine Initiative der Kuratorin Elisabetta Bresciani zurückgehende Ausstellung zeigt die Architekturbibliothek Egidio Marzonas, dessen Name sonst eher mit einer der wichtigsten Sammlungen der Concept- und Minimal-Art assoziiert wird. Im Architekturzentrum werden über fünfhundert Bücher, Zeitschriften und Faltblätter aus dieser Sammlung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einige Bände können der Regallandschaft des Architekturbüros Holodeck.at entnommen werden, denn erst beim Blättern zeigt sich die Brisanz des Themas. Seit Beginn der Moderne sind Architekturbücher ohne Bilder fast undenkbar geworden. Die Ausstellung führt daher weit über das Präsentierte hinaus und mitten hinein in ein hochaktuelles Thema in Architektur und Städtebau. Es geht um die Präsenz und Ambivalenz von Bildästhetik, Bildproduktion und deren Auswirkungen auf die gestalterische Praxis.

Die optische Kargheit eines um 1890 gedruckten Buches über Architektur oder Städtebau, das sich, wenn überhaupt Abbildungen darin vorkamen, mit blassen Heliogravuren begnügte, würde einen Großteil des Publikums heute wohl kaum mehr ansprechen. Wer kann sich heute die Entwürfe zeitgenössischer Architekten ohne computergenerierte, dynamische Bilderwelten vorstellen? Ohne diese Bildkultur wären viele Theorien und Tendenzen nicht vermittelbar. Was hat es also auf sich mit dieser visuellen Vermittlung, die zentraler Bestandteil von Architektur, Städtebau und auch der Kunst geworden ist? Die Bildästhetik eines um 1925 gedruckten Werks hingegen trat gleichberechtigt neben den Text und machte diesen nicht selten überflüssig.

Mario Carpo hat in seinem Buch „Architecture in the Age of Printing“ auf eine wichtige Konsequenz der neuen abbildenden und dokumentierenden Medien hingewiesen. Die gedruckten Bilder haben demnach die Geschichte der Architektur verändert, aber „nicht durch die Objekte, die abgedruckt wurden, sondern einzig und allein, weil sie gedruckt wurden“. Im 19. Jahrhundert ereignete sich jene Zäsur, deren Potenzial alle bisherigen abbildungs- und drucktechnischen Mittel weit hinter sich ließ: die Erfindung der Fotografie. Mit dem neuen Medium begann das Zeitalter einer sich verändernden visuellen Kultur, die für Städtebau, Architektur und auch für die Kunst weit reichende Konsequenzen hatte. Der Einfluss der Reproduktionstechnik lag vor allem in der Verselbstständigung einer Ästhetik. Das Bild wurde zu einer eigenständigen ästhetischen Kraft.

Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden zahlreiche Architektur- und Kunstzeitschriften, die für die „Sprachentwicklung“ der Moderne als Geburtshelfer dienten. Dem „Bild“ kam die Rolle der wichtigsten „rhetorischen“ Botschaft zu. Die scheinbare Eindeutigkeit des Fotos ersetzte zunehmend das Wort, und die visuelle Vermittlung überholte die geschriebene Sprache. Die Folge dieser visuellen und medienkulturellen Strategien war eine Veränderung der Ästhetik des Gebauten, die sich zunehmend - so paradox dies klingen mag - von ihrer eigenen Dokumentation beeinflusst zeigte. Die vermeintlich nur dokumentierende Fotografie wurde zum dialektischen Treibmittel der modernen Ästhetik. Eine ähnliche Dynamik lässt sich auch in der gegenwärtigen Architektur- und Städtebaudiskussion beobachten. Die Präsenz und die ästhetische Dominanz einer bildästhetischen Ebene mit ähnlich vermittlungsstrategischen Zügen prägen in hohem Maß die Publizistik und den architektonischen Diskurs der Gegenwart. Die visuellen Möglichkeiten und die Ästhetik des digitalen Zeitalters sind zum zentralen Bestandteil der Architektur(ästhetik) und unseres Bildes der Stadt geworden.

Nun ist zum statischen Bild in unserer Zeit ein neues Element dazugekommen. Virtuelle Bilder und Raumsimulationen beeinflussen Entwurfsansätze und Umsetzungen. Auch unser gegenwärtiges urbanistisches und architektonisches „Image“ ist in hohem Maß von den digitalen Reproduktionsmöglichkeiten der virtuellen Bildkultur geprägt. Elaborierte Bildproduktionen vermischen sich mit realen Eindrücken bis hin zum illusionistischen Spiel. Wie im barocken Spiegelkabinett umflutet uns die Bilderwelt. Als Phänomen ist dies nicht neu. Bildproduktionen haben die Architekturproduktion stets begleitet. Nur eines sollte zu denken geben. Architektur als Bild alleine ist eine (nicht unproblematische) Illusion.


[„Wie bauen?“, Architekturzentrum Wien, nur noch bis zum 2. 2. 2004.
Am Samstag, 28. Januar 2004 um 19.00 Uhr führen Elisabetta Bresciani und Egidio Marzona durch die Ausstellung.]

Der Standard, Sa., 2004.01.17

15. November 2003Gabriele Reiterer
Der Standard

Hoffmanns Totentanz

Das Sanatorium Purkersdorf, bahnbrechender Bau der Wiener Jahrhundertwende, hat eine wechselvolle Geschichte. Nun aber es ist architektonisch heruntergewirtschaftet worden und geht als misslungenes Revitalisierungsprojekt in die Annalen ein.

Das Sanatorium Purkersdorf, bahnbrechender Bau der Wiener Jahrhundertwende, hat eine wechselvolle Geschichte. Nun aber es ist architektonisch heruntergewirtschaftet worden und geht als misslungenes Revitalisierungsprojekt in die Annalen ein.

An der stark befahrenen Bundesstraße gleich beim Ortsschild von Purkersdorf ist es nicht zu verfehlen. Bitte, treten Sie näher: „Wohnen mit Stil, Wohnen im Jugendstil“, prangt auf der großen Tafel. Damit sich auch niemand historisch vertut: Wir sind im „Hoffmannpark“. Allerdings in keiner Jahrhundertwende-Themenwelt, sondern in der neuen Zweigstelle der Senioren GmbH „Kräutergruppe“, genau genommen in der Filiale mit dem höchst belebenden Namen „Rosmarin“.

In den letzten Jahren war es verdächtig still um den berühmten Bau des Architekten Josef Hoffmann aus dem Jahre 1904, nachdem vorher eine intensive und viel versprechende Renovierungs- und Nutzungsdiskussion geführt worden war. Das nun vorliegende Ergebnis zählt wahrscheinlich zu den erschütterndsten Beispielen der letzten Jahrzehnte im Umgang mit architektonischen Denkmälern. Die Posse um die Inkunabel des „Quadratl-Hoffmann“ - wie er im Volksmund liebevoll genannt wurde - ist kaum zu glauben, wäre sie nicht wahr.

Das Sanatorium Purkersdorf hat eine mehr als glanzvolle Geschichte. Berta Zuckerkandl, Grande Dame des kulturellen Lebens des Wiener Fin de Siècle und leidenschaftliche Kämpferin für die „Sache der Secession“, gängelte ihren Schwager und Bauherrn Viktor im positiven Sinne. Das Ergebnis war seine Zustimmung zu einem Bau, der für die Zeit absolut wegweisend war. Den vor allem in konstruktiver Hinsicht höchst avancierten Bau in Stahlbeton nennt Eduard Sekler in seiner Monografie über Hoffmann in einer Reihe mit Frank Lloyd Wrights Larkin Building und Otto Wagners Postsparkasse. Der dreigeschoßige Kubus mit Flachdach war in der Einfachheit seiner Formen „bahnbrechend“.

Auch die Innenausstattung stammte zur Gänze von Josef Hoffmann in Zusammenarbeit mit der Wiener Werkstätte. Das alles hatte seinen Preis. Die explodierenden Errichtungskosten führten angeblich zum Krach mit dem Bauherrn Viktor Zuckerkandl. Der Architekt Leopold Bauer stockte den Bau im Jahr 1926 - gegen den Willen Hoffmanns - um ein Geschoß auf. Die Gästeschar des Sanatoriums war mondän. Hier begaben sich unter anderem Arthur Schnitzler und Gustav Mahler zum „Workout“ und zur Badekur.

1930 wechselte die Anlage den Besitzer und wurde zum Sanatorium Westend. 1938 folgte die Enteignung durch die Nationalsozialisten. Zu dieser Zeit begannen die ersten Plünderungen, die bis in die jüngste Vergangenheit dauerten. Von der ehemaligen Inneneinrichtung verschwanden nach und nach fast alle Stücke und fanden sich vielfach kurze Zeit später in Auktionshäusern und Galerien wieder. In der Nachkriegszeit diente die Anlage als Krankenhaus und Pflegeheim, danach stand sie lange leer. Seinen letzten und fragwürdigen Höhepunkt hatte der Hoffmann-Bau als Bühne einer Seifenoper von Paulus Manker.

1991 erwarb die Walter Klaus KG die Anlage. In den folgenden Jahren wurde das ehemalige Sanatorium durch den Architekten Sepp Müller außen renoviert sowie die Aufstockung von Leopold Bauer abgetragen. Eine eigens gegründete Gesellschaft befasste sich mit Nutzungsüberlegungen für den geschichtsträchtigen Bau. Dem Vorhaben einer musealen Verwendung folgte im Jahr 2000 ein Vorentwurf des Wiener Architektenteams Querkraft. Der Entwurf sah die zurückhaltende Adaptierung für verschiedene Sammlungen aus dem Architekturbereich, Räumlichkeiten für Wechselausstellungen und einen Shop vor.

Mit dem Erwerb der Anlage durch die Buwog im Jahr 2001 wurden unter anderem auch die Pläne einer zukünftigen kulturellen Nutzung des historischen Ensembles hinfällig. Die bis dato geführten Überlegungen wichen der Entscheidung einer kommerziellen Nutzung als Seniorenresidenz.

So weit, so gut. Für diese Nutzung sprach unter anderem auch die ursprüngliche Bestimmung des Baues als Sanatorium. Die Buwog, Bauen und Wohnen GmbH, fungierte in der Folge mit eigenen, euphemistischen Worten als „Vermittler“ zwischen den Betreibern und dem Bundesdenkmalamt. Als „Mieter“ hatte sich - unter nicht unumstrittenen politischen Umständen - die Rosmarin Senioren-Betreuungs GmbH, Mitglied der „Kräutergruppe“ eingefunden. Schließlich wurde der Wiener Architekt Wolfgang Rainer mit der Renovierung und Revitalisierung des ehemaligen Sanatoriums direkt beauftragt.

Laut Buwog bildeten Rainers Lokalkenntnisse - was immer darunter zu verstehen ist - das Entscheidungskriterium für die Vergabe. So weit, nicht gut. Mit dem Bundesdenkmalamt waren bereits in den 90er-Jahren erste Vereinbarungen getroffen worden. Für den Abriss der Nebenhäuser aus dem 19. Jahrhundert hatten die Eigentümer die originalgetreue Renovierung des Hoffmann-Baus in Aussicht gestellt. Allerdings hatte Hoffmann seinerzeit architektonisch auf die „alten Häuser“ reagiert. Ein ungemein reizvoller Wandelgang verband den Hauptbau mit dem älteren Teil.

Das Bundesdenkmalamt legte nun, in Hinblick auf die neue, kommerzielle Nutzung, drei Kategorien von Denkmalschutz für die Anlage fest. Absolut zu erhalten bzw. originalgetreu zu renovieren war der Eingangsbereich, das Stiegenhaus sowie der Speisesaal im Obergeschoß. Die weiteren Bereiche konnten flexibler behandelt werden.

Grundsätzlich kann einer derartigen Vorgehensweise auch zugestimmt werden. Die Ergebnisse dieses Dreiphasenkonzeptes und die Interpretation des Denkmalgedankens präsentieren sich in Purkersdorf allerdings befremdlich. Gleich im Eingangsbereich des ehemaligen Sanatoriums verkünden Wiener-Werkstätte-Täschchen in Schauvitrinen eine vermeintlich wieder gewonnene Identität. Zwei Bilder von Gustav Klimt als Reproduktionen grüßen von den Wänden. Das originalgetreu renovierte Stiegenhaus lässt die ehemalige Hoffmannsche Noblesse erahnen, heute ist es nicht viel mehr als ein Zitat, dem die Künstlichkeit des Eingriffs ins Gesicht geschrieben steht.

Im ersten Obergeschoß befindet sich der ehemalige Speisesaal mit riesiger Loggia, einst das Juwel des Hauses. Spätestens bei diesem Anblick hätte Josef Hoffmann verzweifelt über die Schwelle erbrochen. Aus dem großzügigen und eleganten Saal ist eine beklemmende Mischkulanz aus konservierter Grundsubstanz und kaufhausmäßiger Couture-Tristesse geworden. Inmitten der Jugendstilscheiben und originalgetreu nachgestellten Details findet sich eine Inneneinrichtung, wie sie unpassender nicht sein könnte. Stühle und Tische in fahl verbeiztem Braun verbreiten den depressiven Charme eines Landcafés, das modern sein möchte. Bizarre Details dieser Melange sind einige neu aufgelegte Hoffmann-Möbel, die verloren im ehemaligen Musikzimmer herumstehen. Der Boden präsentiert sich in gepunktetem Linoleum: subtile Hommage an die zarten Hoffmannschen Geometrien?

Beim Anblick des Wandelganges trifft die Faust vollends ins Auge - ein Knockout. Den einst elegant geschwungenen und durchgängig verglasten Gang behandelte Rainer in reichlich absurder kontrapunktischer Manier. Der ehemals atmosphärisch reizvolle Verbindungstrakt wurde zuerst abgeschnitten, erweitert und ein Café angedockt. Wie eine billige kleine Brosche sitzt es da und harrt vergebens.

Am Ende des Wandelganges befindet sich ein neuer Zubau. Das dreigeschoßige Gebäude beherbergt 79 der insgesamt 111 Betten. Der Versuch, im Entwurf ein „Idealkonzept der kurzen Wege“ zu realisieren, ist für eine Seniorenresidenz eine durchaus sinnvolle Grundüberlegung. Hier jedoch fehlt der rationalen Idee die architektonische Eloquenz der Umsetzung. Denn die „Dramaturgie“ der Wegführung besteht nur aus einer unsensiblen Aneinanderreihungen von Räumen. Zu wünschen übrig lässt vor allem die Detailausführung, ein Zeichen mangelnder Konsequenz in der Ausführung des Entwurfs.

Fazit - das Sanatorium Purkersdorf wird als misslungenes Projekt in die Annalen eingehen. Die Verantwortung dafür ist allerdings an mehreren Stellen zu suchen.

Zu allererst beim Auftraggeber, der ein epochales, kulturell bedeutendes Projekt klammheimlich im Direktauftrag vergeben und einem Architekten überantwortet hat, der dieser Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen war. Ein fähigerer Architekt hätte sie besser bewältigt und überzeugendere Lösungen gefunden. Ein qualifiziertes Wettbewerbsverfahren mit kompetenter Jury hätte dafür eine mögliche Grundlage geboten.

Die Verantwortung jedoch jetzt alleine beim handelnden Architekten zu suchen wäre verfehlt. Die Zusammenhänge der vorliegenden Problematik sind komplexer und gehen über das beschriebene Projekt hinaus. Denn der Umgang mit historischen Bauwerken, wie er derzeit von den gesetzlichen Institutionen in diesem Land betrieben wird, muss ebenfalls hinterfragt werden. Denkmalschutz bedeutet auch die eigenständige Weiterentwicklung eines architektonischen Gedankens, eine neue Interpretation, das Weiterdenken eines historischen Konzeptes in einer zeitgemäßen und vor allem niveauvollen Sprache. Historisches Bewusstsein darf nicht in falsche und missverstandene Ehrfurcht vor Vergangenem münden und die Frage nach der Qualität der gestalterischen Intervention unbeantwortet lassen. Architektur ist ein lebendiges und sinnliches Unterfangen, eine Syntax der Seele.

Eine Summe von Unbedachtheiten und verantwortungslosen Handlungen hat diesen seltsamen, toten Hybriden geriert. Josef Hoffmanns Sanatorium, einer der wichtigsten Bauten der Jahrhundertwende und Inkunabel der frühen Moderne, ist misshandelt und letztendlich zerstört worden. Schönes Schlamassel.

Der Standard, Sa., 2003.11.15



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Sanatorium Purkersdorf - Umbau

18. Oktober 2003Gabriele Reiterer
Der Standard

Italienischer Mikrokosmos in den Bergen

Edoardo Gellner oder die Natur des Bauens: Es gilt einen mittlerweile 94-jährigen Pionier der Moderne neu zu entdecken. Seine Ferienkolonie für italienische Kinder der Nachkriegszeit wird zur Zeit restauriert und ist in einer Schau im Architekturforum Tirol zu sehen.

Edoardo Gellner oder die Natur des Bauens: Es gilt einen mittlerweile 94-jährigen Pionier der Moderne neu zu entdecken. Seine Ferienkolonie für italienische Kinder der Nachkriegszeit wird zur Zeit restauriert und ist in einer Schau im Architekturforum Tirol zu sehen.

Ah, qui bisogna parlare il tedesco!" Schlohweißes Haar, die Stimme wechselt mühelos ins Deutsche, im Gespräch die unvergleichliche italienische Grandezza. Nein, eine Theorie habe er nie gehabt, es sei einfach viel Erfahrung und Instinkt gewesen, die ihn zu seinen architektonischen Lösungen geführt haben. Seine Arbeit hat sich immer wieder aus dem Prozess entwickelt, erklärt der 94-jährige Gellner.
Handwerk und Material, diese fast magischen Worte tauchen immer wieder in dem Interview auf, das in einer Ausstellung im Architekturforum Tirol zu sehen ist. Gellners Herkunft könnte einem Bilderbuch Altösterreichs entstammen. Seine Kindheit verbrachte er im Abbazia der Jahrhundertwende, die k. k. Riviera avancierte in jenen Jahren zum mondänen Kurort. Die Eltern betrieben eine bottega, hinlänglich zu übersetzen mit „Werkstätte“, wo anfänglich das Gewerbe der Schildermaler ausgeübt und später zunehmend Inneneinrichtungen hergestellt wurden. Hier absolvierte der junge Edoardo seine Lehrzeit.

Genau hier liegt sicher auch ein Schlüsselmoment für Gellners späteres Schaffen. Die Logik und Praxis des Handwerks und der Materialtechnologien bestimmten von Anfang an spürbar sein gestalterisches und architektonisches Handeln. Seine weitere Ausbildung verlief mäandrierend. Eine weitere wichtige Phase, die allerdings nur kurz dauerte, war die Zeit an der Kunstgewerbeschule in Wien. Hier erfuhr Gellners im Handwerk wurzelnde Haltung eine fast ideologische Bestätigung.

Die damalige Ausbildung an dieser Schule atmete noch den Geist jener reformistischen Programme des 19. Jahrhunderts, die dem Kunstgewerbe - auch im architektonischen Kontext - eine höchst bedeutende Rolle einräumten. In den 30er-Jahren entwarf Gellner bereits in der Firma des Vaters, woraus sich bald in logischer Folge Aufträge aus dem Bereich der Innenarchitektur ergaben. Seine Tanzbars waren legendär; Gellner gelang ein genialer Transfer von Prinzipien handwerklich-kunstgewerblicher Meisterschaft in eine neue, leichte und hochprofessionelle Sprache. Sein gestalterisches Savoir-vivre atmete den Geist des frühen Designs, die Lebensfreude und Dynamik der Moderne. Architektur „studierte“ er erst später, nach mehreren Jahren Berufspraxis, sein Diplom erwarb der 37-Jährige nach dem Krieg an der Architekturfakultät in Venedig.

1958 bildete die Eröffnung der Feriensiedlung Corte di Cadore in der italienischen Provinz Belluno nahe Cortina d'Ampezzo den Höhepunkt der Umsetzung eines kongenialen Projekts. Inmitten einer atemberaubenden Bergkulisse in den Dolomiten des Venetos hatte Gellner für die damalige Zeit eine Ferienanlage der Superlative errichtet. Gemeinsam mit Enrico Mattei, dem Präsidenten des italienischen Energiekonzerns ENI, hatte der Architekt ein architektonisches und sozialreformatorisches Modell konzipiert und umgesetzt.

Auf einem über zweihundert Hektar großen Areal konnten über dreitausend Gäste in 252.000 Kubikmeter verbautem Volumen beherbergt werden. Die Idee stammte von Enrico Mattei - die Anlage sollte eine Ferienmöglichkeit für die Mitarbeiter des riesigen staatlichen Konzerns bilden.

Das Projekt in Corte di Cadore spiegelte von Anbeginn den Geist der italienischen Nachkriegszeit wider, einen christlich-demokratischen Wertgedanken und den großen unternehmerischen Ehrgeiz Matteis. Die sozialen Überlegungen, die zu Konzept und Bau der Anlage führten, waren großzügig und gleichzeitig ambivalent. Ein architektonisches Erbe des positivistisch-rationalistischen Geistes aus dem italienischen Faschismus findet sich hier ebenso wie das zutiefst katholische Denken des traditionellen Italien. Der Mikrokosmos Corte di Cadore zeigte sich in seiner sozialen und gesellschaftspolitischen Vision von diesen Werten durchwoben: Wer das Gelände bewohnte, wurde in ein klares Schema gestuft. Für die Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren, die ohne ihre Eltern mehrere Wochen in den Bergen zubrachten, war die Colonia der Zielort. Die riesige Anlage für sechshundert Kinder bestand aus Gemeinschaftsräumen und Schlafsälen, einer Krankenstation und Räumlichkeiten für die Betreuer. Streng funktionalistisch organisiert, entwickelte Gellner ein architektonisches und städtebauliches Konzept, das nach wie vor besticht. Der logistischen Strenge setzte er ausgeklügelte Farbgebungen und sensible Details entgegen. Die Kinder über zwölf Jahren waren im Campeggio, in kleinen Holzbauten, die Zelten nachempfunden waren, untergebracht. Mit zunehmendem Alter bekamen die Kinder mehr Freiraum, standen jedoch immer unter Aufsicht eines Betreuers.

Den interessantesten Abschnitt in Corte di Cadore bilden die Einfamilienhäuser. Dreihundert - ursprünglich waren 600 geplant - realisierte Einfamilienhäuser sind lose, wie zufällig, über den Hang des Monte Antelao verteilt. Sie waren für die Aufenthalte der „kompletten“ Familien gedacht. Die soziale Logik war überzeugend. Matteis Gedanke - ein Arbeiter könne noch nicht in einem Gebäude gemeinsam mit dem leitenden Angestellten wohnen, dafür sei die Zeit noch nicht reif - führte zu genau diesem Konzept der einzelnen Wohnhäuser. Sie entstanden in mehreren Abschnitten. An dieser Bauaufgabe schulte Gellner die Hervorbringung eines architektonischen Prototypen bis zur Perfektion. In einem offenen und experimentellen Prozess beschäftigte er sich mit Materialien, Farben, konstruktiven Möglichkeiten und unterschiedlichen Grundrissen. Regionale Baustoffe und ein zu jener Zeit noch absolut neuartiger Umgang mit ökologischen Themen kennzeichnen diesen Teil der Siedlung.

Der Gedanke der prototypischen Präfabrikation vereinte sich mit einer nahezu autochthonen Haltung, die Gellner über eine differenzierte Auseinandersetzung mit Region und Landschaft erreichte. Der Schotterhang des Monte Antelao war ursprünglich der Bauplatz zweiter Wahl gewesen, den Gellner jedoch nach reiflicher Überlegung vorgezogen hatte. Die „verwundete“ Landschaft wollte er durch Architektur im physischen Sinne versöhnen. Dieser Vorgang, den Friedrich Achleitner treffend als „Rekonstruktion“ bezeichnet hat, bedeutete gewissermaßen eine ökologische Sanierung der Natur mit den Mitteln der Architektur. Der vormals kaum bewaldete, karstige Hügel wurde mit Grasnarben bedeckt und aufgeforstet. Heute hat die Natur den Hang zurückerobert und sich symbiotisch mit der Architektur verbunden. Die Einfamilienhäuser sind von der Ferne kaum mehr sichtbar, nur die Kirche, die Edoardo Gellner gemeinsam mit dem italienischen Architekten Carlo Scarpa entworfen hatte, lugt zwischen den Baumwipfeln hervor.

Obwohl Corte di Cadore zu Recht als hervorragendes Beispiel für Bauen in den Bergen oder als Tourismusarchitektur in die Geschichtsschreibung eingegangen ist und auch vorwiegend über diesen Aspekt rezipiert wurde, sind die sozial- und kulturhistorischen Dimensionen dieses Großprojektes wichtige und wesentliche Momente des Unterfangens.

Wie sich wohl die kleinen Buben und Mädchen der Arbeiterschaft, die im Nachkriegsitalien alleine von ihren Eltern in die Berge geschickt wurden, um ihre schmächtigen Körper wenigstens für drei Wochen anständig zu ernähren und medizinisch versorgt zu wissen, in den piranesiartigen Fluchten und Erschließungsrampen der Colonia fühlten? Ob sie die „Landschaft“ spüren und genießen konnten? In Gellners fraglos außergewöhnliche Architektur, in die Tiefe der Farbigkeit, die ausgeklügelte Sprache der Details, mischt sich gelegentlich eine leise Beklemmung.

Corte di Cadore wurde bis in die 90er-Jahre von ENI betrieben, obwohl einige Planungen von Gellner nach dem Tod des Präsidenten nicht mehr ausgeführt wurden. Enrico Mattei, der unternehmerische Demiurg, hatte in der Zeit des Kalten Krieges Verträge über Energielieferungen mit der UdSSR abgeschlossen und lebte gefährlich. Die Explosion seines Hubschraubers, die er nicht überlebte, setzte einen tragischen Schlusspunkt unter eine schillernde Existenz.

Vor wenigen Jahren hat ein großes sardisches Bauunternehmen die Siedlung in Corte di Cadore erworben. Langsam haben die dringend nötigen Renovierungsmaßnahmen begonnen. Eine Marketingstrategie sieht für die teilweise auch strukturell völlig veraltete Anlage neue Nutzungen vor. Bereits renovierte Einfamilienhäuser können gemietet oder im Kauf erworben werden. Das „noble“ Hotel Boite, auch ein Teil der Anlage, steht jetzt ebenfalls für Gäste offen. Ein Besuch im „Boite“ gleicht einer Zeitreise, ist Architektur- und Landschaftserlebnis zugleich.

Die von Paolo Biadene sorgfältig kuratierte Schau im Architekturforum Tirol in Innsbruck (noch bis 24. Oktober) - Biadene zählt zu den zweifellos besten Kennern dieser Anlage - vermittelt vorwiegend die architektonische und landschaftliche Komplexität der Anlage. Ein Mittelpunkt der Ausstellung ist ein aktuelles filmisches Interview mit Edoardo Gellner. Es erhellt die einzelnen Aspekte seines Denkens auf ganz besondere Art. Die prophetische Aura des Architekten verführt und begeistert - zugleich bleiben einige Fragen offen. Alles hat er uns nicht gesagt. []

Der Standard, Sa., 2003.10.18

01. November 2002Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Urbanologen und Datensammler

Neuere Tendenzen im Städtebau

Neuere Tendenzen im Städtebau

Kaum ein Phänomen greift in seiner Differenziertheit und Komplexität derart über die Grenzen der Disziplinen hinweg und berührt direkt die Lebenszusammenhänge des Individuums wie die Stadt, ihre Entstehung und ihre Planung. Die Versuche, der Urbanität analytisch zu Leibe zu rücken, sind alt. Besonders der sogenannt wissenschaftliche Zugang zur Stadt hat im 20. Jahrhundert die moderne Bewegung stark beschäftigt, vor allem in den Niederlanden. Die empirischen Stadtanalysen, die Cornelis van Eesteren und Van Lohuizen ab den zwanziger und dreissiger Jahren durchführten, gelten als wichtige interdisziplinäre städtebauliche Beiträge und begründeten eine Tradition forschungsorientierter Auseinandersetzung, die sich bis in die Gegenwart auswirkt. So ist die architektonische Debatte in den Niederlanden weniger eng gefasst und weniger objektbezogen, dafür stärker in den Kontext der städtebaulichen Rahmenbedingungen eingebunden als anderswo. Die Faszination liegt dabei in der Synthese von Pragmatismus und Utopie und der daraus entstehenden produktiven Spannung.

Eine wichtige Tendenz der gegenwärtigen Städtebaudebatte nähert sich der Stadt über den forschungsbegleitenden Entwurf. Theorie und Praxis setzen dabei vor allem auf die rationalisierende Erfassung von Daten, auf deren Akkumulation und Verarbeitung. Winy Maas von MVRDV, einer der prominenten Vertreter dieser Richtung, spricht in diesem Zusammenhang von «Datascapes», mit Hilfe deren wichtige, auch verborgene Schwerpunkte städtebaulicher Fragen enthüllt werden sollen. Diese Form der Forschung und des Umgangs mit Daten generiert schliesslich Strukturen, die zur Grundlage computergenerierter Entwurfsmodelle werden.

Der Systemgedanke im Städtebau, wie er hier vorliegt, kennzeichnet eine grundsätzliche Position, die in anderer Form auch im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder auftauchte. Ihm liegt der Anspruch zugrunde, ein heterogenes System bzw. ein komplexes Gefüge ganzheitlich zu erfassen. Dabei erweisen sich die angewendeten Prinzipien allerdings meist als diffus und die beigezogenen Modelle oft als reichlich inkonsistent. Der heute forcierte digitale Umgang mit urbanen Phänomenen, dem in letzter Konsequenz auch der Entwurf überantwortet wird, bietet zwar ein gewisses Potenzial, das vor allem in der Erfassung verschiedener Fakten liegt. Aber der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit von applikablen Systemen hat auch seine Gültigkeitsgrenzen. Diese beginnen genau dort, wo die Materialisierbarkeit und die rationale Erfassbarkeit enden und die Unberechenbarkeit des Phänomens Stadt einsetzt. Hier stellt sich auch die Frage, ob auf dieser abstrakten, vermeintlich wissenschaftlichen Ebene tatsächlich - wie versprochen - Strategien erkannt und Lösungen zur Bewältigung hoch differenzierter urbaner Situationen gefunden werden können. Die Überantwortung von Verantwortung an ein systemisches Prinzip klammert implizit gewisse wichtige Momente der Stadt aus.

Genau diese Unberechenbarkeit und die Bedeutsamkeit immaterieller Ebenen, die ein rational nicht erfassbares Moment im Städtebau darstellen, haben immer wieder andere Wissenschaften formuliert. Der Soziologie und in jüngerer Zeit vor allem den Kulturwissenschaften sind wichtige Beiträge zum Phänomen Urbanität zu verdanken. Die klassische französische Soziologie, vor allem Maurice Halbwachs, stellte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bedeutung der Stadt und ihrer vertrauten Typologien für den Menschen fest. In seinem Werk über «das kollektive Gedächtnis» behandelt Halbwachs die Bedeutung der räumlichen Bilder im kollektiven Gedächtnis und die immateriellen Aspekte der Stadt im Sinne eines «vertrauten Dekors». Der Satz «Der Ort hat das Gepräge der Gruppe erhalten und umgekehrt» beschreibt das dialektische Prinzip des Menschen mit seinem gebauten Umraum und erkennt die Bedeutungsebenen der «lautlosen kulturellen Bestandteile» der Stadt an.

In jüngster Zeit hat der Soziologe Ulrich Beck mit der These der Individualisierung allerdings eine wesentliche gesellschaftliche Veränderung geortet. Deren Auswirkungen im Urbanismus bedeuten, dass die Stadt «nun nicht mehr identisch ist mit der räumlichen Manifestation einer Gemeinschaft, die eine klare - vorzugsweise hierarchische - Struktur besitzt». Diese Ansicht vertritt zumindest der holländische Architekturtheoretiker Bart Lootsma, der sich mit dem wichtigen Thema der Individualisierung und ihren Konsequenzen im städtebaulichen und architektonischen Kontext befasst. Demnach lässt die Gestalt und Struktur der Stadt keine Rückschlüsse mehr auf die «Struktur einer Gesellschaft» zu. Deshalb schlägt er vor, das Wort Stadt durch den Begriff «urbanisiertes Gebiet» zu ersetzen. Ist damit die Bedeutungs- und Identifikationsebene der Stadt und ihrer Bewohner obsolet geworden? Lootsma nennt die Individualisierung ein «implizites, heimliches Movens des architektonischen Diskurses». Dabei bedingen sich Individualisierung und Globalisierung wechselseitig. Für die Stadt bedeute diese Entwicklung die Auflösung traditioneller urbaner Typologien und das Ende der wechselwirksamen Beziehung der physischen Stadtgestalt und gesellschaftlichen Struktur.

Bedauerlicherweise wird Städtebau noch immer vielerorts allzu eng gesehen. Wenige Ausbildungsstätten entsprechen in ihrem Lehrangebot der heterogensten aller «wissenschaftlichen» und planerischen Disziplinen. Ein grosses Desideratum der Stadtforschung wäre ein stärkerer Zusammenschluss verschiedener Wissenschaftszweige. Die Zukunft liegt hier ganz klar in interdisziplinären Arbeitsgemeinschaften, denn noch immer driften die Disziplinen auseinander. Dabei wären synergetische Ansätze mehr denn je gefragt. Das sensible, komplexe Thema Stadt verlangt nach ebensolchen vielfältigen Auseinandersetzungen. Denn dieses «dreidimensionale Artefakt», wie André Corboz das Phänomen Stadt genannt hat, birgt viel. «Cities have emotions», hat Raoul Bunschoten geschrieben. Städtebauliche Forschung speist sich im Idealfall aus interdisziplinärem Denken und pragmatischem Handeln, Mut zur Utopie - und Poetik.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.11.01

09. August 2002Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Trouvaillen in Tirol

Ein Führer zur neuen Architektur

Ein Führer zur neuen Architektur

Bis vor wenigen Jahren stand Tirol noch im architektonischen Schatten seines westlichen Nachbarn Vorarlberg. Doch nun liegt ein Architekturführer vor, ein gelungener, sorgfältig recherchierter und gestalteter Band, der über 260 Projekte dokumentiert und aufbereitet sowie auf rund 240 weitere Bauten verweist. «Bauen in Tirol seit 1980» konzentriert sich dabei vorwiegend auf die mittlere und jüngere Generation von Architekten und bestätigt eine Tatsache, die längst kein Geheimnis mehr ist: Tirol ist mittlerweile eine architektonisch äusserst interessante und anspruchsvolle Gegend. Dafür verantwortlich ist eine Architekturszene, die vorhandene Bezüge kultiviert und weiterentwickelt hat. Von einer regionalen architektonischen Identität kann aber trotzdem nicht gesprochen werden. Charakteristisch für die Architekturlandschaft im westlichsten Teil Österreichs ist vielmehr deren Vielfalt. Die heterogenen Positionen bewegen sich dabei auf hohem Niveau, das durch die Innsbrucker Bauten von Zaha Hadid, Ben van Berkel, Dominique Perrault und Riegler Riewe noch gestützt wird.

Für das seit einigen Jahren immer stärker in Erscheinung tretende neue architektonische Bewusstsein gibt es mehrere Gründe. So hat sich - unterstützt durch die Aktivitäten des Architekturforums Tirol - ein fruchtbares Spannungsfeld von Regionalismus und Internationalität entwickelt, in dem die Akzeptanz moderner Baukunst gerade auch bei den Auftraggebern gewachsen ist. Erwähnt seien etwa die Aufträge der Supermarktkette M-Preis, die ihre Neubauten von Tiroler Architekten wie Wolfgang Pöschl, Rainer Köberl, Helmut Reitter, aber auch von Dominique Perrault errichten liess.


[Bauen in Tirol seit 1980. Hrsg. Architekturforum Tirol. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2002. S. 336, Fr. 44.50.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.08.09

15. März 2002Gabriele Reiterer
zuschnitt

La leggerezza del benessere

Als räumliche und delikate Ergänzung des bereits bestehenden italienischen Esslokals »solo pasta« wurde letztes Jahr das »solo vino« in Innsbruck eröffnet. Zwei Zugänge verbinden die beiden gastlichen Lokale. Der lange schmale Raum des »solo vino« ist mit Regalwänden umgeben, die das große Weinsortiment zur Geltung bringen. Boden, Tische und Regale sind aus dem unbehandelten Holz der Kupfereiche gefertigt. Der Faktor Zeit wird die rohen Oberflächen bald mit einer Patina überziehen. Einzig an der Decke wurden MDF Platten verwendet. Die Stühle sind nach dem Entwurf (1926) des Schweizer Architekten Max E. Häfeli ausgeführt.

Als räumliche und delikate Ergänzung des bereits bestehenden italienischen Esslokals »solo pasta« wurde letztes Jahr das »solo vino« in Innsbruck eröffnet. Zwei Zugänge verbinden die beiden gastlichen Lokale. Der lange schmale Raum des »solo vino« ist mit Regalwänden umgeben, die das große Weinsortiment zur Geltung bringen. Boden, Tische und Regale sind aus dem unbehandelten Holz der Kupfereiche gefertigt. Der Faktor Zeit wird die rohen Oberflächen bald mit einer Patina überziehen. Einzig an der Decke wurden MDF Platten verwendet. Die Stühle sind nach dem Entwurf (1926) des Schweizer Architekten Max E. Häfeli ausgeführt.

Innsbruck hat ein außergewöhnliches Lokal erhalten. Kürzlich hat hier eine Ergänzung des ein Jahr jungen italienischen Esslokals solo pasta eröffnet. Die Genese des neuen, anliegenden solo vino vollzog sich sozusagen unter den allerbesten Voraussetzungen. Ein gereifter architekturkonvertierter Bauherr, dessen erstes Lokal von sofortigem und anhaltendem Erfolg gekrönt war, sowie die kongeniale Zusammenarbeit mit einem Architektenteam mit ausgeprägten italophilen Affinitäten haben ein gastronomisch-architektonisches Gesamtkunstwerk entstehen lassen. Lag dem älteren solo pasta noch manch gastronomisch bedingter Vernunftgedanke zugrunde, entstand das danebenliegende kleine Weinlokal mit viel Lust und Freude. Das ist mehr als spürbar.

Die Architekten Thomas Giner und Erich Wucherer reüssierten bereits beim Speiselokal - einem schmalen durch die ganze Gebäudetiefe laufenden Raum mit zwei gegenüber liegenden Eingängen. Der Schankbereich liegt in der Mitte, er bildet das Gelenk für beide Lokalräume. Das solo vino verfügt zwar über einen eigenen Eingang, ist jedoch mit dem Esslokal über zwei Zugänge räumlich verbunden.

Auch im solo vino fand das graubraune, schlammfarbige Holz der seltenen Kupfereiche Verwendung, es bestimmt die Atmosphäre in hohem Ausmaß. Der schmale Raum ist mit Regalwänden förmlich ausgekleidet. Hier lagert die Essenz des Lokals, Weine aus sämtlichen Regionen Italiens, deren Angebot studiert und im Sortiments- und Preisvergleich auf kleinen Täfelchen selbst ausgesucht werden kann. Ebenfalls aus unbehandeltem Holz sind die langen Tische und der Boden. Die rohe, unbehandelte, edel-asketische Kupfereiche erweckt gleichzeitig die Empfindung von Dichte und Leichtigkeit, von Masse und Zurückhaltung. Dem unbehandelten Holz werden die Jahrewie vielen Weinen im solo vino- ausgezeichnet bekommen. Die Patina wird es noch verschönern. Als Kontrast wurde die Decke aus dem industriellen Produkt MDF gefertigt. Für die Holzarbeiten verantwortlich zeichnet der Innsbrucker Tischler Gerhard Höckner. Die Stühle sind Entwürfe aus 1926 von Max E. Häfeli, einem Schweizer Architekten der Klassischen Moderne. Das Licht, darunter Pendelleuchten aus gerostetem Stahl, wurde speziell für dieses Lokal in Zusammenarbeit mit Halotech entwickelt.

Der unprätentiöse Umgang mit dem Raum und das feine Gespür für Form und Material verbindet sich hier mit viel passione, eben jener ganz einfachen und gleichzeitig so schwer beschreibbaren irdischen Sinnlichkeit. Diese gelungene Symbiose ist dem solo vino ebenso eigen wie dem solo pasta. Hier trifft in Abwandlung zu: Auf alles ist Bedacht genommen und die Selbstverständlichkeit wirkt befreiend.

zuschnitt, Fr., 2002.03.15



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Solo Pasta - Solo Vino



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zuschnitt 05 Holz zu Gast

16. Februar 2002Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Die neue Stadt

Ausstellung über neue urbanistische Tendenzen in Wien

Ausstellung über neue urbanistische Tendenzen in Wien

Die Befindlichkeit des Individuums, der Raum, die Medien und veränderte urbane Strukturen bilden nur eine schmale Auswahl des schier unerschöpflichen Themas Stadt. Immer wieder neue Fragestellungen befassen sich mit der Vielschichtigkeit dieser Thematik. In den letzten Jahren war vor allem Rem Koolhaas' «Harvard Project» Vorzeigemodell einer transdisziplinären, progressiven, aber auch teilweise umstrittenen urbanistischen Forschung.

Als experimentelles, analytisches Treibhaus in Sachen Städtebauforschung kann das holländische Berlage-Institut gelten. Unter der Leitung von Bart Lootsma, Winy Maas, dem Soziologen Ulrich Beck und anderen sind in mehreren, von «Thesisgruppen» betreuten Forschungsprojekten neue Überlegungen und Analysen zum Thema Stadt entstanden. Zurzeit sind die durchaus interessanten Ergebnisse in einer Ausstellung im Heiligenkreuzerhof in Wien zu sehen. Die Methodik der urbanen Forschung erfährt in der Ausstellung «Urban Research: The Individual and Density» eine Neudefinition. So befasst sich der österreichische Architekt Peter Trummer mit dem Zusammenhang von Medien, Mobilität und urbanen Strukturen, die er am Beispiel des australischen Hinterlandes untersucht. Das Thema der vertikalen Stadt greift das Projekt der Gruppe um Winy Maas auf. In «3 D City» werden Stadtfunktionen erforscht - bis hin zum etwas ungewöhnlichen Vorschlag, Schweine in Zukunft in Hochhäusern zu halten (NZZ 24. 4. 01).

Die Gruppe um Bart Lootsma widmet sich dem Thema der Individualisierung, die sie als zentralen Faktor in Architektur, Urbanismus und Stadtplanung ortet. Das Phänomen der Individualisierung zählt, laut Ulrich Beck, neben jenem der Globalisierung und mit diesem in Wechselwirkung verbunden, zu «den bedeutsamsten Veränderungen, die während der letzten Jahrzehnte in den Gesellschaften der westlichen Welt vonstatten gegangen sind - eine Veränderung, die sich in absehbarer Zukunft noch deutlicher herauskristallisieren dürfte» (Lootsma). Dass bei den Forschungsprojekten nicht die Frage einer praxisbezogenen Anwendbarkeit im Vordergrund stand, sondern Analysen und Überlegungen, Gedanken und Experimente, lässt die Ergebnisse zu visuellen Inspirationen werden. Die unkonventionellen Ansätze und Zugänge sind vielleicht die ersten Antworten auf Problemstellungen, die mit alten, möglicherweise verjährten Forschungsmethoden nicht mehr bewältigbar sind. Einen vergleichenden und stark divergierenden Querschnitt neuer Forschungstendenzen im Städtebau bot ein begleitendes Symposium im Architekturzentrum Wien mit Vorträgen von Sanford Kwinter, Marcel Meili, Winy Maas, Bart Lootsma und Stefano de Boeri.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.02.16

21. Oktober 2000Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Wie werden wir wohnen?

„Future Vision Housing“ in Linz

„Future Vision Housing“ in Linz

Die Haltung der Moderne zum Urbanismus und zum Wohnen war von einem programmatischen «Funktionsreduktionismus» geprägt. Das diesjährige Thema der 1998 von Herbert Lachmayr, dem Kurator der Linzer Ausstellung Work & Culture, initiierten Wettbewerbsreihe «Future Vision Housing» versucht nun gerade in umgekehrter Richtung - also vom Funktionsansatz ausgehend - möglichst breite und unkonventionelle Lösungskonzepte aufzuzeigen. Eine lose thematische Vorgabe bildete dabei «die Wohnung für das Existenzminimum», die schon 1929 von den CIAM diskutiert wurde. Heute, in einer sich durch technologische Entwicklung und Globalisierung rapide verändernden Welt, stellt sich die Frage nach dem zukünftigen Wohnen erneut mit Vehemenz. Die Aufgaben und Ansprüche an die Architektur sind durch die rasante Entwicklung einem Veränderungsprozess ausgesetzt. Der Ausgangspunkt des vom Architekturforum Oberösterreich und dem Art & Tek Institute, einem Forschungsinstitut der Universität für Gestaltung in Linz, weltweit für Architekten unter 35 Jahren ausgeschriebenen Ideenwettbewerbs war ein «erweiterter Architekturbegriff», der neue Strategien und Konzepte zum Thema fördern soll. Aus den 360 eingereichten Arbeiten, deren Grenzen zwischen Realität und Utopie durchaus fliessend waren, wählte eine Jury die Preisträger aus. Der erste Preis ging an das österreichische Team Esslbauer, Horner, Tarcsay und Hinterreitner. Die Projekte sind im OK Centrum für Gegenwartskunst in Linz zu sehen.


[Bis 29. Oktober im OK Centrum für Gegenwartskunst Linz.]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.10.21

18. September 2000Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Gebaute Museumsreform

Eine Ausstellung in Wien

Eine Ausstellung in Wien

Der erste Museumsbau an der Wiener Ringstrasse wurde zu einem Vorbild für nachfolgende Kunstgewerbemuseen in Europa. Zwischen 1868 und 1871 errichtete Heinrich von Ferstl zusammen mit Rudolf von Eitelberger das k. k. Museum für Kunst und Industrie. Nach dessen provisorischer Unterbringung in der Hofburg war der anfängliche Plan einer Verbindung des Kunstgewerbemuseums mit den Hofmuseen an prominenter Lage gescheitert. Das Haus entstand am Stubentor, einem ehemaligen Exerzierplatz und zukünftigen Stadterweiterungsgebiet.

Beim verwirklichten Plan handelte es sich um Ferstls zweiten Entwurf. Das Museum stand von Anbeginn an unter zweckorientierter Prämisse. Die Produkte angewandter Kunst wurden nicht nur ausgestellt, sondern mit deren Herstellung und Gebrauch in Verbindung gebracht. Die Dreieinigkeit von Kunst, Wissenschaft und Industrie bestimmte - ganz im Sinne der Semper'schen Reformen - das Wiener Kunstgewerbemuseum. Die Architektur trug dem neuen künstlerischen Utilitarismus Rechnung. Ferstl kombinierte Renaissance-Elemente mit einer Glas-Eisen-Konstruktion. Die angrenzende Kunstgewerbeschule, ebenfalls von Ferstl ausgeführt, stellte die Pädagogik als Teil der Museumsreform des 19. Jahrhunderts ins Zentrum und spiegelte den Wiener Kulturliberalismus der zweiten Jahrhunderthälfte.

Die von Rainald Franz betreute, sorgfältig gestaltete Schau im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) dokumentiert die Baugeschichte des Wiener Kunstgewerbemuseums. Allerdings wäre für diesen im Kontext der Museumsarchitektur so wichtigen Bau ein grösserer Ausstellungsrahmen wünschenswert gewesen: So hätte das MAK seiner eigenen architektonisch-konzeptuellen historischen Vorreiterrolle mehr Bedeutung beimessen können.


[Die Ausstellung im MAK dauert bis zum 29. Oktober. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2000.09.18

10. August 2000Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Vom Kunstgewerbe zur Baukunst

Seit seiner Teilnahme an der Wiener Werkbundsiedlung und dem Bau des Pariser Weltausstellungspavillons zählte Oswald Haerdtl (1899-1959) zu Österreichs Architektenprominenz. Nach dem Krieg feierte man die raffinierte Innenraumgestaltung seiner Bauten. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm widmet sich nun dem lange Zeit fast vergessenen Architekten und Designer.

Seit seiner Teilnahme an der Wiener Werkbundsiedlung und dem Bau des Pariser Weltausstellungspavillons zählte Oswald Haerdtl (1899-1959) zu Österreichs Architektenprominenz. Nach dem Krieg feierte man die raffinierte Innenraumgestaltung seiner Bauten. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm widmet sich nun dem lange Zeit fast vergessenen Architekten und Designer.

Wien im Jahr 1950: Am Kohlmarkt, an prominenter Adresse, eröffnet das «Arabia-Espresso», das sofort zum Stadtgespräch wird: Mit seiner Umgestaltung des Erdgeschosses eines Gründerzeithauses in ein Café leitete der Architekt Oswald Haerdtl (1899-1959) eine Zäsur in der Geschichte des österreichischen Kaffeehauses ein: Italienische Eleganz, Flair und eine neue Form- und Farbenwelt belebten seither das graue Nachkriegs-Wien, denn Haerdtl zeichnete für die gesamte Ausstattung bis hin zu den Speisekarten, zum Geschirr und zur Kleidung des Personals verantwortlich.

1899 in Wien geboren, besuchte Haerdtl die Graphische Lehranstalt und absolvierte eine Tischlerlehre. Seit 1916 studierte er bei Kolo Moser an der Wiener Kunstgewerbeschule Malerei und schliesslich Architektur bei Oskar Strnad. Gleichzeitig hörte er Vorlesungen bei Josef Frank, mit dem er bald freundschaftlich verbunden war. Die Lehrzeit bei Strnad und Frank, den für ihre gestalterische Freiheit bekannten «Humanisten» der Wiener Moderne, bildete Haerdtls künstlerische Grundlage. Architektur und Formgebung wurden anhand der jeweiligen Aufgabenstellung definiert. Strnads Credo der Individualisierung und Josef Hoffmanns ästhetizistischer «Gestaltungswille» fielen bei Haerdtl auf fruchtbaren Boden. Der junge Architekt entwickelte seine Sprache aus dieser Verschiedenheit der Einflüsse, die er mit einer ihm eigenen Leichtigkeit annahm und umsetzte: Weder ein Theoriegerüst noch ein orthodoxes Moderneprogramm leiteten sein Schaffen.

Mit der Teilnahme an der Wiener Werkbundsiedlung unter der Leitung von Josef Frank positionierte sich Haerdtl 1932 innerhalb der österreichischen Architektenprominenz. In den Jahren 1935 und 1937 gestaltete er in Brüssel und Paris die Ausstellungspavillons der österreichischen Republik. In Paris präsentierte er ein Gebäude mit einem effektvollen, schaufensterartigen Kopfbau, in dem eine riesige Fotomontage von drei Alpenstrassen das Publikum beeindruckte. Der in mehrere Bereiche gegliederte Pavillon beherbergte - auf Haerdtls Vorschlag - auch eine «Kaffee-Konditorei», die «in amüsanter Art das Ausstellungsgut hochqualifizierten österreichischen Kunstgewerbes aufnehmen» sollte. Mit der Dramaturgie des Pariser Pavillons begründete Haerdtl wohl auch das auf Weltausstellungen inzwischen fragwürdig gewordene Image von Österreich als heiterem Land der Berge. Seine Inszenierungskünste waren unübertroffen. Mehrfach wurde Haerdtl denn auch für seinen äusserst medienwirksamen Bau ausgezeichnet.

Haerdtls Schaffen fusste tief in der handwerklichen Kultur. Mit Josef Hoffmann verband ihn ab etwa 1930 eine Büro- und Arbeitsgemeinschaft. Dabei wahrte er stets Distanz zum L'art pour l'art der Wiener Werkstätte. Mit Leichtigkeit schlug er Brücken vom Kunstgewerbe der Jahrhundertwende zum Industriedesign. Er selbst verkörperte das Neue und gab sich kühl, dynamisch und motorbegeistert. Haerdtls enge Beziehungen zu Italien hatten nicht zuletzt biographische Gründe, arbeitete doch seine Frau Carmela unter anderem als Kostümbildnerin an der Scala. In Mailand holte er sich Anregungen für seine Entwürfe. Doch es war auch umgekehrt: Gio Ponti, der mit ihm und seiner Frau befreundet war, hatte bereits in den dreissiger Jahren seine Begeisterung über die Innenausstattungen von Frank, Strnad und Haerdtl ausgedrückt.

Die Kriegsjahre verbrachte Haerdtl in Wien, wo er bereits seit 1935 an der Kunstgewerbeschule als Nachfolger Strnads eine Professur innehatte. Ab 1938 leitete er die Fachklasse für gewerblichen und industriellen Entwurf, die er später in «industrielle Formgebung» umbenannte. Zu den Nationalsozialisten verhielt sich Haerdtl indifferent bis ablehnend. Er zählt zu den wenigen österreichischen Architekten, die auch in dieser dunklen Zeit kontinuierlich modern arbeiteten. Nach dem Krieg kam Bauten wie dem Messepavillon Felten & Guilleaume eine wichtige Vorbildfunktion zu. Während sich die Architektur des Werkbundmitglieds und CIAM-Vertreters formal sachlich orientierte, spiegelte die raffinierte Innenraumgestaltung seiner Bauten den Geist der fünfziger Jahre. Sein Schaffen brachte mit der Vereinigung von Kunstgewerbe und Design konträre Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts zur gesamtkünstlerischen Symbiose: Noch immer besitzen seine Ringstrassencafés - etwa das Café Prückel - Gültigkeit; und der ehemalige Milchpavillon Volksgarten ist heute wieder Treffpunkt der jungen Wiener Szene.

Des nahezu vergessenen Architekten und Designers nimmt sich nun eine Ausstellung im Wiener Ringturm an. Die von Adolph Stiller gestaltete Schau und die Begleitpublikation, die das erste umfassende Verzeichnis von Haerdtls Werk enthält, erfüllen ein Desiderat der österreichischen Architekturgeschichtsschreibung. Die lückenhafte Historiographie der Wiener Moderne hat damit einen wichtigen Beitrag erhalten. Die Schau präsentiert erstmals Bestände aus dem im Besitz des Architektur-Zentrums Wien befindlichen Nachlass. Zusätzlich zur Präsentation der Hauptprojekte bietet eine Bilddatenbank eine Vielzahl weitere Dokumente.


( Die Ausstellung im Wiener Ringturm dauert bis zum 1. September. Katalog: Oswald Haerdtl. Architekt und Designer. 1899-1959. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2000. 285 S., Fr. 81.- (S 620.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2000.08.10

17. Januar 2000Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Endlose Utopien

Eine Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien präsentiert nicht realisierte Projekte des 19. und 20. Jahrhunderts für Österreichs Hauptstadt. Trotz einer Fülle von Exponaten, die vom frühen Stadterweiterungsprojekt über Entwürfe für das Kaiserforum und verschiedene Museen bis hin zur Uno-City reichen, ist das Ergebnis inhaltlich nicht wirklich überzeugend.

Eine Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien präsentiert nicht realisierte Projekte des 19. und 20. Jahrhunderts für Österreichs Hauptstadt. Trotz einer Fülle von Exponaten, die vom frühen Stadterweiterungsprojekt über Entwürfe für das Kaiserforum und verschiedene Museen bis hin zur Uno-City reichen, ist das Ergebnis inhaltlich nicht wirklich überzeugend.

Die Donaumetropole sähe ganz anders aus, wären alle städtebaulichen Projekte realisiert worden. Diese Erkenntnis ist auf viele Orte übertragbar, denn schubladisierte Entwürfe gab es in jeder grösseren Stadt und zu allen Zeiten. Ungebaute Konzepte für die österreichische Hauptstadt aus der Zeit von 1800 bis heute werden nun im Historischen Museum der Stadt Wien vorgestellt. Mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bahnte sich in der Hauptstadt des Kaiserreichs ein grosser Strukturwandel an. Der Vormärz brachte den Übergang von der Manufaktur zur Fabrik. Mit diesen Veränderungen zerbrach das ständisch geordnete Sozialsystem, an dessen Stelle die aufkeimende Industriegesellschaft trat. Die Umwälzungen der industriellen Revolution waren grundlegend und betrafen nahezu alle Bereiche. «Ausbruch aus dem Mittelalter» nennt daher die Schau jenen frühen Zeitabschnitt, in dem in Wien Grundlagen für die späteren städtischen Erweiterungsprojekte gelegt wurden.


Ringstrasse und Rotes Wien

Den offiziellen Beginn der städtebaulichen Planungen markierte 1857 das Handschreiben Kaiser Franz Josefs I., das die «Erweiterung der innern Stadt» sowie die «Verbindung derselben mit den Vorstädten» mit Bedacht auf «die Regulierung und Verschönerung» der Residenz anordnete. Diese Phase bezeichnet die Ausstellung wortspielerisch als «Ringen um die ideale Ringstrasse» und präsentiert unter anderem eine Auswahl der 85 im Rahmen einer internationalen Konkurrenz eingereichten Projekte. Die aufkeimende Städtebaudiskussion als Folge der veränderten Anforderungen an die Stadt findet hingegen kaum Erwähnung.

Die Wiener Prachtstrasse wurde schliesslich, wie Schorske schreibt, zum «Amboss für zwei Vorkämpfer des modernen Städtebaus, Camillo Sitte und Otto Wagner». Während Wagners Stadtplanung mit ihrer funktionalen Orientierung an Verkehr, Technik und Transport das «Verhüllen» hinter der Geschichte kritisierte, befasste sich Sitte vor allem mit Fragen von Raum und Wahrnehmung. Sittes «Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen» zählte zu den erfolgreichsten urbanistischen Publikationen jener Zeit. Um so bedauerlicher ist es, dass der Wiener Städtebautheoretiker, der sich für Kontinuität, Kontext und Organizität einsetzte, in der Schau über eine Erwähnung nicht hinauskommt.

Die Zeit um die Jahrhundertwende und das frühe 20. Jahrhundert werden unter einem sehr vereinfachenden Blickwinkel dargestellt. Gerade im städtebaulichen Zusammenhang erscheint das immer wieder beschworene Bild von Modernisten contra Traditionalisten als eher fragwürdig. Die weiteren Abschnitte der Schau berühren im Eiltempo Aspekte der ungebauten Stadt des 20. Jahrhunderts. Auf Wagners «unbegrenzte Grossstadt» folgen Projekte des Roten Wien, zusammengefasst unter dem Thema «modernisierte Traditionalität». Von den Plänen des Ständestaats und Hitlers für die Donaumetropole über die Ideen der Nachkriegszeit bis hin zu Hans Holleins Guggenheim-Projekt von 1994 reichen die vorgestellten Entwürfe. Doch die Kommentare dazu sind grossteils knapp, ja beschränken sich auf die Grundinformationen.


Verpasste Selbstbeschränkung

Die Gliederung der Ausstellung in 13 Zeitabschnitte erweist sich als problematisch. Kurze einleitende Textinformationen zu den einzelnen Kapiteln bilden die einzige Verbindungsklammer der umfangreichen Schau mit ihren oft anspruchsvollen Exponaten. Das Motto des Was-wäre- Wenn zieht sich als kraftloser Argumentationsstrang durch die Schau. Im kompilatorischen Kontext geht manch ungewöhnliches und interessantes Projekt nahezu unter. So etwa Adolf Loos' Plan für Wien aus dem Jahre 1909 oder die architektonische Auseinandersetzung mit dem Hochhaus als Thema der klassischen Moderne.

Ganz allgemein wäre weniger mehr gewesen. Die Beschränkung auf einen kürzeren Zeitabschnitt hätte die Möglichkeit geboten, auf kritische Positionen und auf das Thema Metropole vor dem Hintergrund der jeweiligen Epoche einzugehen. Die Vorstellung der Kuratoren, die ungebauten Projekte würden insbesondere «den zur Zeit ihrer Entstehung präsenten Diskurs städtebaulicher und architektonischer Probleme reflektieren», könnte einen Kern des Themas treffen. Ihn wirklich zu berühren ist aber der Wiener Ausstellung nicht gelungen. Immerhin wird die Ausstellung aber von einem umfangreichen Katalog begleitet, der die einzelnen Projekte zusammenfassend dokumentiert.


[ Bis zum 20. Februar im Historischen Museum der Stadt Wien. - Katalog: Das ungebaute Wien. 1800 bis 2000. Projekte für die Metropole. Hrsg. Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1999. 526 S., S 420.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2000.01.17

07. Januar 2000Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Mehr als nur Kisten

Als Architekturlandschaft nimmt Vorarlberg seit geraumer Zeit eine Spitzenposition unter Österreichs Bundesländern ein. Seit November 1999 besitzt nun...

Als Architekturlandschaft nimmt Vorarlberg seit geraumer Zeit eine Spitzenposition unter Österreichs Bundesländern ein. Seit November 1999 besitzt nun...

Als Architekturlandschaft nimmt Vorarlberg seit geraumer Zeit eine Spitzenposition unter Österreichs Bundesländern ein. Seit November 1999 besitzt nun auch Vorarlberg - wie alle anderen Bundesländer - ein Architekturinstitut. Diese Institution mit Sitz in Dornbirn will die theoretische Auseinandersetzung im Architektur- und Planungsbereich «forschend, vermittelnd und fördernd» unterstützen. - Die Eröffnungsausstellung des Vorarlberger Architekturinstituts befasst sich, wie könnte es anders sein, mit Architektur in Vorarlberg. Die «Momentaufnahme der Baukultur» findet dabei in Form einer inszenierten, symbolisch-metaphorischen Aufbereitung statt. Sie bündelt verschiedenste Bedeutungsebenen und strebt nach einer kritischen, manchmal fast ironisierenden Präsentation von Phänomenen.

Zur Diskussion gestellt wird damit indirekt auch die Gültigkeit der Position, die Vorarlberg in den siebziger und achtziger Jahren mit einer neuen soziokulturellen, kulturpolitischen und ästhetischen Standortbestimmung zum Thema Baukunst erreichte. Architektur in Vorarlberg ist seitdem gleichgesetzt mit aussergewöhnlichen Verbindungen von Tradition und Innovation, Reflexion und Pragmatismus. Bewusster Umgang mit den Ressourcen zeichnet die Architektur ebenso aus wie formalästhetisches Niveau. Dass die rege Bautätigkeit, die ausgeprägte Neigung der Vorarlberger zum Einfamilienhaus und die Konzentration auf Ressourcenmanagement aber auch ihre Schattenseiten haben, versucht die Schau zu vermitteln. So werden etwa die Probleme der Zersiedelung und der hier besonders ausgeprägten Einfamilienhauskultur, aber auch die Sackgassen der «Kistenarchitektur» sowie ein auf ökonomische Fakten ausgerichteter Pragmatismus kritisch thematisiert.


[ Die Ausstellung «Über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen. Momentaufnahme einer Baukultur» im Vorarlberger Architekturinstitut in Dornbirn dauert bis zum 30. Januar und wird von einem Katalogheft begleitet. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.01.07

14. August 1999Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Prachtbauten für die Donaumetropole

«Er war der Besten einer», urteilte Max Fabiani 1915 über seinen ehemaligen Lehrer. Tatsächlich zählte Carl König (1841-1915) zu den grossen späthistoristischen Architekten Wiens. Seine Bauten prägten das Gesicht der Donaumetropole. Fünf Jahrzehnte lehrte König am Wiener Polytechnikum, der «Ersten Schule der Monarchie». Zu seinen Schülern zählten spätere Protagonisten der internationalen Moderne wie Josef Frank, Oskar Strnad, Clemens Holzmeister, Rudolph Schindler, Richard Neutra und Friedrich Kiesler.

«Er war der Besten einer», urteilte Max Fabiani 1915 über seinen ehemaligen Lehrer. Tatsächlich zählte Carl König (1841-1915) zu den grossen späthistoristischen Architekten Wiens. Seine Bauten prägten das Gesicht der Donaumetropole. Fünf Jahrzehnte lehrte König am Wiener Polytechnikum, der «Ersten Schule der Monarchie». Zu seinen Schülern zählten spätere Protagonisten der internationalen Moderne wie Josef Frank, Oskar Strnad, Clemens Holzmeister, Rudolph Schindler, Richard Neutra und Friedrich Kiesler.

Die zeitgenössische Literatur nannte König noch in der Reihe der grossen Ringstrassenarchitekten. Mit seinen Bauten, fast alle zwischen 1882 und 1909 entstanden, galt König als «Wiederbeleber» und Protagonist des speziellen Wiener Barocks. Königs Auftraggeber entstammten vielfach, wie er selbst, dem vermögenden, assimilierten Judentum. Die Prachtbauten, von denen er etliche in der Metropole Wien baute, repräsentierten den Wohlstand einer Schicht, die an kulturelle und gesellschaftliche Codes des Adels anzuschliessen trachtete. Königs neobarocke Wohnpaläste wurden denn auch zum Vorbild für Miethäuser der Jahrhundertwende in Europa.

Nach dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien begann Königs fünfzigjährige Lehrtätigkeit am Wiener Polytechnikum, zuerst als Assistent Heinrich Ferstels, einige Jahre später als Professor, Dekan und schliesslich Rektor. Mit der Person Königs als Lehrer war eine eigenartige und faszinierende Widersprüchlichkeit verbunden. Als Bewahrer der «alten Grundlagen der Architektur» war er strikt und huldigte dem Glauben an die Geschichtlichkeit, im Gegensatz zu der frühen Bewegung der Moderne, die einem betonten Individualismus Platz einzuräumen begann. Seine Schüler jedoch waren von König fasziniert. Frank, Strnad, Oskar Sobotka und andere betonten später immer wieder die Bedeutung der von König vermittelten klassischen Grundlagen für ihre Suche nach einer eigenen Sprache.

Dass Carl König und sein architektonisches Erbe fast vollständig dem Vergessen anheimfielen, hat wohl mehrere Gründe. Zum einen galt König als Antipode Otto Wagners und damit als Vertreter einer konservativen Richtung in der Architektur. Damit war die historiographische Position Königs besiegelt. Auch besann sich ein Teil der Moderne - auf Selbstgründung eingeschworen - nicht mehr auf jene Herkunft, die noch dem Geschichtsdenken des 19. Jahrhunderts verhaftet war. Das Jüdische Museum Wien zeigt nun erstmals eine umfassende Werkdokumentation des historistischen Architekten. Begleitet wird die Ausstellung von einer monographischen Studie zu Carl Königs Leben und Werk, die einen wichtigen Beitrag zu einer differenzierteren Betrachtung der Entwicklung der österreichischen Moderne bildet.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.08.14

26. Juli 1999Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

„Beamtete“ Architektur

Die Architekturgeschichtsschreibung in Österreich hat der «beamteten» Architektur bisher nur wenig Platz eingeräumt. Dabei verdankt Wien sein architektonisches...

Die Architekturgeschichtsschreibung in Österreich hat der «beamteten» Architektur bisher nur wenig Platz eingeräumt. Dabei verdankt Wien sein architektonisches...

Die Architekturgeschichtsschreibung in Österreich hat der «beamteten» Architektur bisher nur wenig Platz eingeräumt. Dabei verdankt Wien sein architektonisches Gesicht nicht zuletzt dem 1835 gegründeten Wiener Stadtbauamt, das über viele Jahrzehnte und politische Machtgefüge hinweg das kommunale Bauen steuerte. Eine zentrale Position hatte das Amt zur Zeit des «Roten Wien» inne. Das sozialdemokratische Kommunalprogramm der zwanziger Jahre forderte eine grundlegende Reformierung der Bauordnung, die Verkehrserschliessung des Gemeindegebietes und den Bau von Wohnhäusern. Der grosse «Aufbruch» begann 1919; Stadtplanung und Architektur waren bestimmt vom immensen Bedarf an Wohnbauten. Hinter der Bezeichnung «Wiener Stadtbauamt» stand eine ganze Architektenschar.

Diesem Umfeld und einer herausragenden Persönlichkeit, dem Architekten Erich Leischner (1887-1970), widmet zurzeit das Architektur-Zentrum Wien eine Ausstellung, die sich auf die Zwischenkriegszeit konzentriert. Zu Leischners ersten Bauaufgaben zählten Entwürfe für Gemeindewohnbauten der frühen zwanziger Jahre. Bereits hier zeigte sich sein einfühlsamer Umgang mit der Topographie und seine Fähigkeit zu dialogischem Denken im Entwurf. Diese Eigenschaften lassen sich vermutlich auch auf Leischners Ausbildungsjahre an der Wiener Technischen Hochschule zurückführen. Vor allem Max Fabiani vertrat eine Auffassung von Raum und Ort, die sich in Leischners komplexer Architektur wiederfindet.

Die Bauvorhaben, an denen Leischner mitwirkte, umfassten auch Fürsorgeeinrichtungen und Nutzbauten wie Kindergärten, Schulen und Badeanlagen. Das 1928 eröffnete Kongressbad entstand in programmatischer Absicht der reformistischen Arbeiterkultur des «Roten Wien». Im Bürgerkriegsjahr 1934 beschloss die ständestaatliche Regierung den Bau einer Paradestrasse auf die drei Wiener Hausberge. Damit schufen sich die neuen Machthaber ein Vorzeigeprojekt; Überlegungen dazu hatte es allerdings schon seit Jahrzehnten gegeben. Es hatte unter anderem die Funktion eines Arbeitsbeschaffungsprogramms. Leischner plante eine serpentinenartige «Autoaussichtsstrasse» mit Brücken und Panoramastationen, die bis heute nichts von ihrer Beliebtheit eingebüsst hat. Einen Auftrag verschwieg Leischner in seiner Biographie wohlweislich. Baldur von Schirach, der Reichsstatthalter von Wien, beauftragte den Architekten für die Ausstattung seines Luftschutzbunkers auf dem Gallitzenberg. Bis 1949 war Leischner im Stadtbauamt tätig. In der Zeit des Wiederaufbaus übernahmen zunehmend freischaffende Architekten die kommunalen Bauaufgaben. (Bis 2. August)


[ Katalog: Amt Macht Stadt. Erich Leischner und das Wiener Stadtbauamt. Hrsg. Architektur-Zentrum Wien. Verlag Anton Pustet, Salzburg 1999. 95 S., ÖS. 380.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 1999.07.26

06. Juli 1999Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Das Haus Tugendhat

Ihr Rhythmus sei wie Musik, sagte der Architekt Ludwig Hilberseimer über die 1930 von Mies van der Rohe in Brünn erbaute Villa Tugendhat. In ihrer Formensprache...

Ihr Rhythmus sei wie Musik, sagte der Architekt Ludwig Hilberseimer über die 1930 von Mies van der Rohe in Brünn erbaute Villa Tugendhat. In ihrer Formensprache...

Ihr Rhythmus sei wie Musik, sagte der Architekt Ludwig Hilberseimer über die 1930 von Mies van der Rohe in Brünn erbaute Villa Tugendhat. In ihrer Formensprache radikal modern, gab sie einst Anlass zu Kontroversen. Die lokale Architektenschaft lehnte den kühl-eleganten Solitär nicht zuletzt aus ideologisch-politischen Gründen ab, obwohl der hohe technische Standard anerkannt wurde. Die Bauherren Fritz und Grete Tugendhat entstammten Brünns jüdischer Unternehmerschicht. Im Spannungsfeld von grossbürgerlicher Wohnkultur und deren Negierung angesiedelt, stand die Villa Tugendhat gewissermassen zwischen den Epochen. Nun ist die 1998 von Wolf Tegethoff gestaltete Münchner Ausstellung zur Villa Tugendhat in erweiterter Form im Wiener Ausstellungszentrum im Ringturm zu sehen. Die von Adolph Stiller betreute Ergänzung befasst sich mit Umfeld, Kontext und weiterführenden Fragestellungen. Eine neue Begleitpublikation dokumentiert die Entstehungsgeschichte des Hauses und betrachtet den Bau im kultur- und architekturhistorischen Zusammenhang der Zeit. (Bis 16. Juli)


[ Katalog: Das Haus Tugendhat. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 1999. 180 S., S 360.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.07.06

22. Mai 1999Gabriele Reiterer
Spectrum

„Gipfel des Snobismus“

Sie zählt zu den Meisterleistungen der Klassischen Moderne: die in den Jahren 1928 bis 1930 von Mies van der Rohe erbaute Brünner Villa Tugendhat. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm dokumentiert Ihre Baugeschichte und die Kontroversen, die sie auslöste

Sie zählt zu den Meisterleistungen der Klassischen Moderne: die in den Jahren 1928 bis 1930 von Mies van der Rohe erbaute Brünner Villa Tugendhat. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm dokumentiert Ihre Baugeschichte und die Kontroversen, die sie auslöste

Ich habe mir immer ein geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht. Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren“, so Grete Tugendhat über den Wunsch nach einer Architektur, die sich vom gründerzeitlichen Erbe verabschieden sollte.

Im Brünner Schwarzfeldviertel, einer gehobenen bürgerlichen Wohngegend, hatten Grete Löw Beers Eltern dem jungen Paar zur Hochzeit eine Parzelle zum Geschenk gemacht. 1928 fanden die ersten Gespräche mit Mies van der Rohe statt. Ende des Jahres legte Mies bereits die ersten und in ihren Zügen wesentlichen Entwürfe vor. Obwohl es während des weiteren immer wieder zu Modifikationen kam, dürfte in den Grundfragen große Übereinstimmung zwischen Auftraggebern und Architekt geherrscht haben.

Die ungewöhnlichste und innovativste Entwurfsentscheidung war jene zugunsten einer Stahlskelettkonstruktion: Es waren damit weniger tragende Teile nötig, die Mauerstärken konnten reduziert werden, und freiere Grundrißlösungen wurden möglich. Die Stahlkonstruktion ermöglichte in der Folge den riesigen lichten Wohnraum mit seinen Glasfronten.

Der zweieinhalbgeschoßige Bau befindet sich an stark abschüssigem Gelände und liegt quergestreckt in den Hang eingepaßt. Während die Villa zur Straßenseite hin nahezu hermetisch abgeschlossen anmutet, öffnet sie sich südseitig mit unvergleichlicher Aussicht auf die Stadt. Im Souterrainsockel befinden sich die Wirtschafts- und Wartungsräume des Hauses. In der dreiteiligen zweiten Ebene, dem Hauptwohngeschoß, dominiert der 280 Quadratmeter große Wohnraum. Empfangsraum, Arbeitsraum mit Bibliothek und Sitzecke, Wohnzimmer und Eßbereich gehen frei ineinander über; Arbeitsbereich und vorderer Wohnbereich sind von einer freistehenden Wand aus Onyxplatten getrennt. Im zweiten Teil befinden sich Küche und Diensträume, der dritte Teil beherbergt Personalzimmer, die über einen eigenen Zugang von außen verfügen. Im Obergeschoß mit Eingang von der Straße lagen die privaten Wohnräume der Eltern und Kinder.

Die technische Ausstattung der Villa war auf dem höchsten und neuesten Stand der Zeit: Zentralheizung, wobei die verglaste Südfront des Wohnbereichs über eine eigene, zusätzliche Heizanlage verfügte, die im Sommer als Kühlsystem Verwendung fand; ein Teil der riesigen Fenster konnte hydraulisch in den Boden versenkt werden; ein Lichtschranken mit Photozelle schloß die Verbindungstür zwischen Straße und Terrasse im Obergeschoß automatisch. Während das obere Geschoß konventioneller gehalten ist, evoziert das offene Konzept im Hauptgeschoß ein freies Raumerlebnis; im riesigen Wohnbereich ersetzt das Raumkontinuum die traditionelle Aneinanderreihung von räumlichen Funktionsbereichen.

Eine wesentliche Rolle der Raumteilung und -gliederung kommt dabei den freistehenden Wandelementen zu: der halbrunden Wand aus kostbarem Makassar-Ebenholz, die der Abgrenzung des Eßbereichs diente, und der teuren Onyx-Wand, deren Preis allein in etwa dem Wert eines Einfamilienhaus entsprach.

Die gesamte Innenausstattung plante Mies van der Rohe selbst; zum Teil in enger Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Lilly Reich. Ein Großteil der Möbel wurde vom Architekten eigens für die Villa Tugendhat entworfen. Die Inneneinrichtung der Villa Tugendhat ist wesentlicher Bestandteil der Planung, durch ihre raumgliedernde Rolle besitzt sie im Gesamtkonzept einen integrierenden Anteil.

Die lokale Architekturszene begegnete dem Bau, der 1930 bezugsfertig war – gelinde ausgedrückt –, mit Zurückhaltung. Brünn hatte sich zu jener Zeit neben Prag zu einem bedeutenden Zentrum moderner Architektur entwickelt. Hier bauten und lehrten Bohuslav Fuchs , Jiri Kroha, Arnošt Wiesner und andere. Bereits ab der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre entstand hier eine Architektur, die sich programmatisch mit der sozialen Frage, dem Wohnproblem der unteren sozialen Schichten auseinandersetzte.

Der kühl-elegante Solitär, dessen Baupreis angeblich so hoch war wie der von dreißig kleinen Einfamilienhäusern, bekannte sich radikal und eindeutig zur Formensprache der Moderne, sprengte jedoch zugleich fremdkörperartig die strukturelle örtliche Architekturentwicklung. Die Kritik am Bau kam von der Architekturavantgarde selbst. Karel Teige, wortgewaltiger Avantgardist und Schlüsselfigur der Bewegung, nannte den Bau ein Exempel für die verfehlte Richtung in der modernen Architektur, einen „Gipfel des modernen Snobismus“.

Das deutsche Echo gestaltete sich anfangs eher zurückhaltend. Walter Riezler besprach den Bau 1931 in der Werkbundzeitschrift „Die Form“. Er hob vor allem die Verwirklichung neuer Ideen hervor, die nicht nur in Zweckmäßigkeit resultiere, sondern „Geistigkeit“ evoziere. Justus Bier schließlich stellte in der darauffolgenden Ausgabe die Frage nach der „Bewohnbarkeit“ des Hauses. Er stellte zwar fest, „daß man sich in diesen Räumen dem Eindruck einer besonderen Geistigkeit sehr hohen Grades nicht entziehen kann“, zweifelte aber daran, „ob die Bewohner die großartige Pathetik dieser Räume dauernd ertragen werden, ohne innerlich zu rebellieren“.

Fritz und Grete Tugendhat reagierten umgehend auf die Kritik und verteidigten das Konzept. Ein Satz in Riezlers Kritik brachte schließlich genau jenes Moment zutage, das Bruno Reichlin die „Ambivalenz“ der Villa Tugendhat nennt. Denn bei aller Modernität übersteigt das Haus mit einer Gesamtnutzfläche von 1250 Quadratmetern die Ansprüche an ein Einfamilienhaus bei weitem.

Anlage und Struktur sind offensichtlich an einer Wohnform und einem gesellschaftlichem Kodex der vergangenen Zeit orientiert. Wolf Tegethoff hat in seinen Studien über die Villa Tugendhat auf deren repräsentative Ausrichtung hingewiesen. So diente etwa die Eingangshalle in ihrer Funktion als Wartefoyer für Besucher noch gesellschaftlich-zeremoniellen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Die Villa verfügte über einen beträchtlichen Personalstab, der auch großteils im Haus wohnte.

Die Abgrenzung der Wirtschaftsräume vom Aufenthaltsbereich der Bewohner in einem eigenen Trakt bedeutete ebenfalls eine Reminiszenz an vergangene Wohnformen. So „bleibt die Tatsache bestehen, daß der Gesamtorganismus des Hauses einen Zustand perpetuiert, der noch weitgehend den großbürgerlichen Idealen und Umgangsformen des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist“.

Die repräsentativen Funktionen wurden jedoch von der Familie Tugendhat nur mehr eingeschränkt wahrgenommen. Das Leben im Haus war insgesamt eher privat ausgerichtet, Fritz und Grete Tugendhat wahrten die gesellschaftlichen Codes ihrer Herkunft nur mehr in bedingtem Ausmaß. Im Spannungsfeld zwischen großbürgerlicher Wohnkultur und deren Negierung angesiedelt, steht die Villa Tugendhat gewissermaßen zwischen den Zeiten.

Der Familie Tugendhat verblieben nur wenige Jahre in ihrem Haus. 1938 emigrierte sie in die Schweiz, später nach Venezuela. Einen Teil der beweglichen Ausstattung nahm sie mit. Als „jüdisches Eigentum“, deren Besitzer zudem das Land verlassen hatten, galt die Villa den nationalsozialistischen Besetzern als herrenlos und ging automatisch in Staatsbesitz über. Bereits in den frühen vierziger Jahren war der Großteil des zurückgelassenen Inventars verschwunden.

Während des Krieges waren im Haus Konstruktionsbüros der Flugzeugbauer Messerschmidt untergebracht, nach 1945 nahm es die Rote Armee in Beschlag, der es zum Teil als Pferdestall diente. Nach dem Krieg richtete sich in der Villa eine private Rhythmikschule ein. Aus ihr wurde in der kommunistischen Tschechoslowakei 1962 die Abteilung für Heilgymnastik der Brünner Kinderklinik. Ein Jahr später erklärte die staatliche Behörde für Denkmalschutz die Villa zum Kulturdenkmal. Der Entscheidung waren jahrelange Bemühungen um eine Nutzungsänderung vorangegangen.

Trotz anfänglicher Pläne, das Haus einer kulturellen Nutzung zuzuführen, fand die Villa schließlich ab 1986 als hochrangiger Tagungsort und Repräsentationssitz der Stadt Brünn Verwendung. Die vorangegangene „Renovierung“ist heute heftigst umstritten. Durch keineswegs notwendige Erneuerungsmaßnahmen, vor allem in Bad und Küche, wurde originale Substanz teilweise vernichtet. Die Verwendung von unsachgemäßen Materialien zog zum Teil grobe Folgeschäden am gesamten Bau nach sich. Diese sind jetzt unter anderem Gegenstand einer grundlegenden Vorabklärung für das weitere Vorgehen.

Am 1. Juli 1994 wurde die Villa Tugendhat als Museum eröffnet. Aufgrund wesentlicher Baumängel wird jetzt eine weitere Instandsetzung – diesmal in Zusammenarbeit mit einer internationalen Expertenkommission, dem international anerkannten Wert des Hauses Rechnung tragend – durchgeführt.


Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Architektur im Ringturm“ist von 26. Mai bis 16. Juli (Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr)die umfassende Dokumentation „Das Haus Tugendhat. Ludwig Mies van der Rohe – Brünn 1930“ zu sehen [ Wien 1, Schottenring 30 ].

Spectrum, Sa., 1999.05.22



verknüpfte Bauwerke
Haus Tugendhat

07. Mai 1999Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Historische Rekonstruktion und Hyperrealismus

In der Garten- und Landschaftsarchitektur hat sich ein facettenreicher Diskurs entwickelt. Neben den vielfältigen Gestaltungsprinzipien sind es Fragen...

In der Garten- und Landschaftsarchitektur hat sich ein facettenreicher Diskurs entwickelt. Neben den vielfältigen Gestaltungsprinzipien sind es Fragen...

In der Garten- und Landschaftsarchitektur hat sich ein facettenreicher Diskurs entwickelt. Neben den vielfältigen Gestaltungsprinzipien sind es Fragen des theoretischen Zugangs, der Vorbilder, des Verhältnisses zur Architektur und zur historischen Materie sowie denkmalpflegerische Themen, welche die Diskussion bestimmen. Vermehrt sind aber auch ökologische Fragen wichtig geworden. Ende April diskutierten Fachleute in Wien den Stand der Landschafts- und Gartengestaltung und stellten - «auf der Suche nach zeitgenössischer Gartenkunst» - anhand ausgewählter Projekte unterschiedliche Positionen vor.

Fragen nach Vorbildern beantwortete der französische Gartenarchitekt Gilles Clément mit dem Hinweis auf den «grossen Garten Natur». Bei ihm steht eine Gartenkunst im Mittelpunkt, bei der der Gärtner zum «Erhalter» der Natur wird. Für den 1993 eröffneten Parc André-Citroën in Paris gestaltete Clément den Jardin en mouvement, dessen Charakteristiken die Vorherrschaft der Natur und eine poetische Auffassung des Prinzips der Selbstorganisation sind, wobei sich Eingriffe auf regulierende Massnahmen beschränken. Der holländische Landschaftsarchitekt Piet Oudolf hingegen stellt die Pflanze in den Mittelpunkt. In seinen Entwürfen scheut er sich nicht vor ungewöhnlichen Zusammenstellungen von Formen, Farben und Strukturen. - Von der historischen und kulturgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der Landschaft geprägt ist Bernard Lassus. Sein aufwendigstes und extravagantestes Projekt wurde nicht realisiert: Das Konzept zur Neugestaltung der Tuilerien-Gärten sah 1990 einen frei interpretierten «archäologischen» Umgang mit der Geschichte der Anlage vor. Mit der Restaurierung, aber auch mit der Neugestaltung gewisser Teile, basierend «auf einer schlüssigen Wiedererfindung», plante er eine Schichtung des Gartens auf mehreren Ebenen.

Ein problematisches und kontrovers diskutiertes Thema der Garten- und Landschaftsgestaltung bildet die Annäherung an historische Anlagen. Die Fragen der Gartendenkmalpflege drehen sich dabei um Rekonstruktion und Erhaltung beziehungsweise um die Definition dieser Begriffe und die gestalterische Freiheit innerhalb denkmalpflegerischer Grenzen. Das Schaffen des Schweizer Landschaftsarchitekten Guido Hager bewegt sich inmitten dieser Kontroverse. Seine Auffassung von Denkmalpflege lässt Spielraum für eine teilweise Neugestaltung und zeugt von einem imaginativen Umgang mit Alt und Neu. Er wendet sich gegen Rekonstruktionen, tritt aber gleichwohl für die Substanzerhaltung der Gärten ein. Im Zürcher Rechberggarten setzte er seine Auffassung um; unter Rücksichtnahme auf die historische Substanz «baute er am Vorhandenen weiter».

Als seiner Funktion weitgehend entkleidet sieht Franco Zagari den historischen Garten. Diesem begegnet der in Rom lebende Professor für Landschaftsarchitektur mit einem neuen Formenrepertoire. So bei der Villa Lante in Rom: Die 1525 von Giulio Romano erbaute Anlage zählt zu den eindrucksvollsten des italienischen Manierismus. Im Rahmen der Restaurierung des Gebäudes gestaltete Zagari, der sich dabei einzig an den Achsen der alten Anlage orientierte, den Garten neu.

Die in Deutschland tätige Landschaftsarchitektin Anneliese Latz legt Wert auf einen «strukturalistischen Dialog mit der Architektur». Ein Hauptprojekt des Büros Latz + Partner, der auf einem ehemaligen Industriegelände angelegte Landschaftspark Duisburg Nord, bei dem «Prinzipien und Strategien im Umgang mit Zerstörung und Verfall» umgesetzt werden, verabschiedet sich von jeder herkömmlichen Vorstellung von Gartenkunst. Avantgardistische Wege beschreiten auch der Niederländer Adriaan Geuze und das von ihm gegründete Planungsbüro West 8, das Architekten, Industrial-Designer und Botaniker beschäftigt. Ihre Arbeiten sind von einem pragmatischen Zugang zur Landschaft geprägt, dessen Wurzeln im klassischen Nutzungsdenken liegen. «Hyperrealist» nennt sich Geuze, und dies zeigt sich - trotz artifizieller Formensprache - auch in seiner Bereitschaft, sich mit ökologischen Problemstellungen zu befassen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.05.07

16. Februar 1999Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Der Städteplaner als Universalist

In Wien setzten die grossen städtebaulichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Ringstrasse ein. Die Prachtstrasse, so Carl Schorske, «machte...

In Wien setzten die grossen städtebaulichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Ringstrasse ein. Die Prachtstrasse, so Carl Schorske, «machte...

In Wien setzten die grossen städtebaulichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Ringstrasse ein. Die Prachtstrasse, so Carl Schorske, «machte Architektur zum Zentrum öffentlicher Leidenschaften und Streitigkeiten». Die Pioniere der Moderne, Otto Wagner an ihrer Spitze vertraten eine rationalistische Auffassung, die den Städtebau ausschliesslich vom Prinzip der Zweckmässigkeit her beurteilte. Eine Gegenposition zu Wagner nahm der Wiener Architekt und Theoretiker des Städtebaus Camillo Sitte ein. Sitte hatte 1889 seine vielbeachteten urbanistischen Forschungsergebnisse unter dem Titel «Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen» veröffentlicht. Darin erklärte er die «künstlerische Durchbildung» zu einem wesentlichen Faktor und wandte sich gegen eine Vereinnahmung der Disziplin durch Ingenieure und Techniker. Ihm ging es dabei nicht um stilistische Prinzipien oder um Nachahmung, sondern um «überzeitliche Gesetzmässigkeiten eines künstlerisch motivierten Städtebaus». Zentrale Gedanken seiner Vorstellungen galten Fragen der räumlichen Folge, der Kontinuität und Rücksichtnahme auf gewachsene Strukturen und auf die Topographie.

«Mediävalisierender Romantiker»

Sittes Vorstellungen beeinflussten auch nach seinem frühen Tod im Jahre 1903 die städtebauliche Praxis weit über den deutschen Sprachraum hinaus. Allerdings verhielt sich Wien gegenüber Sitte eher ambivalent. Seine Bemühungen um ein Lehramt an der Akademie der bildenden Künste verliefen erfolglos, und von Otto Wagner wurde er mehrfach öffentlich angegriffen. In den zwanziger Jahren bewegte sich die Bewertung von Sittes Urbanismus zwischen Ignoranz und Ablehnung. Eine traditions- und geschichtsfeindliche Moderne stempelte den Wiener Städtebautheoretiker schliesslich zum «mediävalisierenden Romantiker» ab.

Dabei war es Sitte, der erstmals (raum)konstituierende Momente der Stadt ausformuliert hatte. Seine Auffassung von Kontinuität, Kontext und Organizität sprengte die Grenzen einer reinen Städtebautheorie; und sein geistesgeschichtlicher Hintergrund bewegte sich weit über Architektur und Städtebaufragen hinaus. In seiner Vielseitigkeit zeigte er sich von nahezu sämtlichen geistigen Stömungen der Zeit berührt. Nun hat Michael Mönninger eine umfassende Untersuchung der geistigen Grundlagen Sittes unternommen. In einer partiellen Auswertung von dessen umfangreichen unpublizierten Schriften zu Architektur, Malerei, Musik, Kunstgeschichte, Kunstgewerbe und Pädagogik, die von der Forschung bisher nicht beachtet wurden, erkennt Mönninger theoriebildende Grundlagen zu Sittes «rätselhaftem Monument», seinem Hauptwerk.

So stand Sittes geistige Herkunft in engem Zusammenhang mit der damals jungen Wiener Schule der Kunstgeschichte. Seine Theorien waren - wie Mönninger zeigt - eng mit dem naturwissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit verknüpft. Dabei bildeten die Erkenntnisse des deutschen Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz, der sich mit dem Zusammenhang von Bild, Wahrnehmung und Physiologie befasst hatte, eine Forschungsgrundlage. Leider zu kurz kommt in diesem Zusammenhang die Bedeutung des deutschen Philosophen Gustav Theodor Fechner für Sittes Theorie der Wahrnehmung. Fechner, der sich im wesentlichen auf Helmholtz berief, wurde mit seinen psychophysischen Erkenntnissen zu einer Schlüsselfigur der Anfänge einer empirischen Ästhetik. Mönninger untersucht auch erstmals Sittes starke Prägung durch die biogenetischen Rekapitulationstheorien jener Zeit und zeigt so seine Auffassung der Stadt als «ein autonomes, quasibiologisches Gebilde» als von evolutionsbiologischen Konzepten bestimmt. Sittes Glaube an die Pädagogik stand ebenfalls in diesem Zusammenhang. Ausgehend von der Annahme, dass die kindliche Entwicklung die Stammesgeschichte wiederhole, gewann die Erziehungsfrage wesentliche Bedeutung.

Kulturalistische Position

Über allem stand jedoch das von Aristoteles hergeleitete Postulat, dass die Stadt die Menschen «glücklich» machen solle. Sittes Haltung stand fraglos in engem Zusammenhang mit der geistigen Krisis der Epoche und brachte eine Suche nach neuen Werten zum Ausdruck. Allerdings wurde seine «kulturalistische» Position in der Folge und vielfach noch immer als nostalgischer Schritt rückwärts bewertet. Sittes Ziel lag jedoch keinesfalls in der Rückkehr zur vorindustriellen Wohn- und Siedlungsform. Er befürwortete durchaus die städtischen Entwicklungen, betrachtete sie als wichtigen Schritt in die Zukunft und sah auch deren Vorteile sehr klar und realistisch. Auch setzte er, im Gegensatz zu den Utopisten, dem Ziel seiner Kritik kein idealisiertes, demiurgisches Modell entgegen. Beim Neuen verlangte er nach Innehalten und nach einem Reflektieren über bewährte Konstanten. Vorstellungen von Kontinuität, Kontext und Organizität verbanden sich in Sittes Auffassung mit der Empfindung des Menschen. - Die Auseinandersetzung mit Sittes Theorien beschränkte sich bisher vorwiegend - und oftmals sehr einseitig - auf architektonische und städtebauliche Fragen. Mönningers aussergewöhnliche Studie zeigt erstmals die Grundlagen und deutet die geistige Verankerung von Sittes Vorstellungen an. Deren Komplexität macht deutlich, dass sein Hauptwerk in seiner Bedeutung weit über ein «formalästhetisches Regelbuch» hinausging. Die Publikation würdigt den Universalisten - den Künstler, Schriftsteller und Gelehrten - Sitte in seiner eigentlichen, bisher noch kaum zur Kenntnis genommenen Bedeutung. Damit trägt sie zur Rehabilitation des Wiener Städtebautheoretikers bei.

[Michael Mönninger: Vom Ornament zum Nationalkunstwerk. Zur Kunst- und Architekturtheorie Camillo Sittes. Vieweg-Verlag, Braunschweig/Wiesbaden 1998. 235 S., Fr. 98-.]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.02.16

07. Dezember 1998Gabriele Reiterer
Neue Zürcher Zeitung

Der Traum vom Paradies

Der italienische Architekt Gio Ponti realisierte neben seinen vielen Mailänder Projekten ein Luxushotel im Hochgebirge: Der Albergo Sportivo Valmartello liegt inmitten unberührter Natur auf einer Höhe von 2160 Metern in der Nähe des Reschenpasses. Dieses Denkmal der italienischen Moderne und Symbol der faschistischen Okkupation Südtirols ist heute vom Verfall bedroht. Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich.

Der italienische Architekt Gio Ponti realisierte neben seinen vielen Mailänder Projekten ein Luxushotel im Hochgebirge: Der Albergo Sportivo Valmartello liegt inmitten unberührter Natur auf einer Höhe von 2160 Metern in der Nähe des Reschenpasses. Dieses Denkmal der italienischen Moderne und Symbol der faschistischen Okkupation Südtirols ist heute vom Verfall bedroht. Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich.

Im Jahre 1934 erhielt der Mailänder Architekt Gio Ponti (1891–1979) den Auftrag zu einem spektakulären Projekt. In völliger Abgeschiedenheit, am Fusse der Gletscher, umgeben von Dreitausendern sollte im Südtiroler Martelltal nach Pontis Plänen ein Alpinhotel der Superlative entstehen: der Albergo Sportivo Valmartello al Paradiso del Cevedale. Das vom italienischen Fremdenverkehrsministerium initiierte Unternehmen erfuhr unmittelbare Unterstützung durch die faschistische Partei. Das formale Raffinement des stilistisch gekonnt zwischen «Novecento» und Moderne wechselnden Architekten und Designers Ponti garantierte aber auch einen Hotelbau, der dem Lebensstil und den Vorstellungen der Vertreter des durch Mussolinis Regime gestärkten Finanz- und Industriekapitals entsprach.


Die funktionelle Zweiteilung

Dem Hotel waren verschiedene Funktionen zugedacht: die des Luxushotels als urbanem Mikrokosmos mit infrastruktureller Rundumversorgung, aber auch die eines Sporthotels für Bergtouristen und Alpinisten. Ponti entwarf einen nach Westen hin gekrümmten, dynamisch wirkenden Längsbau. Das fünfgeschossige Gebäude wird von einem steilen Pultdach abgeschlossen. Die Fassadengestaltung ist von betonter Einfachheit. Der Hauptfront ist asymmetrisch eine Terrasse vorgelagert, die den konvexen Schwung des Baukörpers betont. Haupteingang und Stiegenhaus befinden sich auf der Nordseite. Schon an der Hauptfassade ist die funktionelle Zweiteilung des kurz «Paradiso» genannten Hotels ablesbar. Der Westteil war den länger verweilenden Hausgästen vorbehalten. Hier befindet sich die Terrasse; und die Zimmer in den darüberliegenden Stockwerken verfügen über Balkone. Im Ostteil waren die Gäste der unteren Kategorien untergebracht. Die Differenzierung zwischen den verschiedenen sozialen Zielgruppen meisterte Ponti bravourös. Er führte sie bis in die Ausstattungsdetails. So gestaltete er die Gesellschaftsräume im noblen Westflügel luxuriös aus, während er für den im Untergeschoss befindlichen Gemeinschaftsraum der Alpinisten Mobiliar entwarf, das sich stark an traditionell-rustikale Regionalformen anlehnte.

Ponti, dessen Werk sich in jenen Jahren in einer entscheidenden Wende von einer neoklassizistischen hin zu einer rationalistischeren Auffassung bewegte, bewies mit dem «Paradiso» seine Fähigkeit zum geistreichen Ausdruck von Individualität. Diese findet ihre Umsetzung in der spielerisch ausgeklügelten Farbwelt der Innenraumgestaltung. Farbige Streifen und geometrische Deckenmusterungen verwandelten die Gesellschaftsräume und Gästezimmer im Westflügel trotz standardisierten Einrichtungselementen in Unikate. In den einfacheren Räumen des Osttraktes erhielten die Zimmer einen homogenen Farbanstrich. Selbstverständlich waren Vorhänge und Bettbezüge auf die Farbgebung der Zimmer abgestimmt. Das Farbenspiel setzt sich in den Aufenthaltsräumen fort. Es bildete das Erkennungszeichen des Hotels. Selbst das Werbematerial und die Hotelpostkarten wurden von Ponti als kleine Farbkunstwerke gestaltet.


Ein Prototyp als Vorläufer

Der Vorläufer für das «Paradiso» findet sich in einem Projekt Pontis, das nie zur Ausführung gelangte. 1930 war der Mailänder Architekt vom italienischen Fremdenverkehrsministerium mit einem gigantischen Projekt zur Erschliessung der Dolomiten beauftragt worden. Schwebebahnen mit einer Streckenführung von über 160 Kilometern sollten die Dolomiten zwischen Bozen und Cortina für den Tourismus erschliessen. Ponti plante nach eigenen Worten die Errichtung der grössten und beeindruckendsten Seilbahnanlage der Welt sowie ein touristisches Unternehmen der Superlative. Die Planung der infrastrukturellen Einrichtungen mit sämtlichen Stationsgebäuden der Haupt- und Nebenlinien, Hotels und Restaurantbetrieben bildete dabei die Hauptaufgabe des Architekten. Für die Hotelbauten entwarf Ponti einen variablen Prototyp. Dem Entwurfskonzept dieses Prototyps lagen Überlegungen der beliebigen Erweiterbarkeit und Orientierung an Landschaft und Klima durch eine standardisierte Architektur zugrunde, die er in der Lösung eines nuovo schema darlegte.
Bei der Planung des «Paradiso» einige Jahre später griff Ponti auf diesen Prototyp zurück. Die Parallelen sind offensichtlich, wenngleich sich das Hotel vor allem durch seine Innenraumgestaltung von Standardisierung und Typisierung entfernt. Im «Paradiso» waren die Klassen eben nicht abgeschafft. So scheint der Hotelbau ein exemplarisches Beispiel für die Ausprägung der italienischen Moderne zu sein, die nicht an den sozialen Gedanken und an ein demokratisches Bewusstsein gebunden war, sondern eine Allianz mit der faschistischen Diktatur einging. Zudem stand hinter dem Projekt ein programmatisches Anliegen: In einem gleichsam symbolischen Akt erfolgte eine steingewordene Machtdemonstration der Italianità und des neuen Regimes, das die «edlen Söhne des italienischen Volkes» verherrlichte und das kulturelle Selbstbewusstsein des faschistischen Italien demonstrierte. Noch heute weckt der Bau bei den Einheimischen widersprüchliche Erinnerungen. In einem kolonialistischen Akt implantiert, galt es als monumentales Zeichen der Okkupation: Vor der Kulisse einer atemberaubenden Bergwelt inmitten einer deutsch geprägten bäuerlichen Kulturlandschaft wurde das städtische Lebensgefühl der Herrscher zelebriert.


Kurze Blütezeit

Das «Paradiso» erlebte nur eine kurze Blütezeit. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus geschlossen. 1943 besetzten die deutsche Wehrmacht und die SS den Bau. Nach dem Krieg wurde der Hotelbetrieb kurz wieder aufgenommen, doch 1946 ging das Hotel endgültig in Konkurs. Anfang der fünfziger Jahre erwarb ein venezianischer Reeder das «Paradiso». Damals erhielt das einst hellgrüne Hotel seinen jetzigen Anstrich in Rosso veneziano. Der neue Besitzer liess einige Umbauten vornehmen, die jedoch nie zu einem Abschluss kamen. So wurde der Bau um zwei Geschosse aufgestockt und die Terrasse erweitert. Der seit 1955 leerstehende Bau wechselte in den späten sechziger Jahren erneut den Besitzer. Seither dämmert Pontis einziger Hotelbau in den Bergen dem Verfall entgegen.
Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich. Der historisch belastete Bau erhitzt noch immer die Gemüter. Obwohl Südtirol in den letzten Jahren mit der Aufarbeitung des architektonischen Erbes der Moderne begonnen hat, würde jede Aktivität in Sachen «Paradiso» von der Öffentlichkeit vermutlich umgehend zum Politikum hochgespielt werden. Die Verantwortung für die Erhaltung kann nicht allein in privater Hand bleiben. Als zu bewahrender Teil des Kulturerbes könnte der Bau einer – von deutschstämmiger und italienischer Seite subventionierten – Neunutzung als Hotel zugeführt werden und so erneut zum Symbolträger werden. Diesmal jedoch unter einem anderen Vorzeichen: dem der Versöhnung mit der Geschichte.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 1998.12.07



verknüpfte Bauwerke
Albergo Sportivo „Paradiso“

21. Februar 1998Gabriele Reiterer
Spectrum

Rechter Hand die Fifth

Chronischer Platzmangel begleitet das New Yorker Museum of Modern Art seit seiner Gründung im Jahr 1929. Die nun anstehende Erweiterung soll nicht bloß die Ausstellungsfläche vergrößern, sondern das MoMA als Institution für das nächste Jahrhundert neu erf

Chronischer Platzmangel begleitet das New Yorker Museum of Modern Art seit seiner Gründung im Jahr 1929. Die nun anstehende Erweiterung soll nicht bloß die Ausstellungsfläche vergrößern, sondern das MoMA als Institution für das nächste Jahrhundert neu erf

„International Style“: Museum of Modern Art, New York. Photo: Robert Damora Elf West, dreiundfünfzigste Straße. Rechter Hand die lärmtosende Fifth, links die westlichen Avenues. Dem Stadtunkundigen weisen die langen flatternden Fahnen an der Fassade den Weg. Wer sich immer noch nicht auskennt, kann ruhig nach dem Weg fragen. Oder sich an die Fersen der „culture vultures“, der Kulturgeier, heften, die tagtäglich in Scharen die Perle der New Yorker Museumslandschaft stürmen - das Museum of Modern Art.

Die New Yorker lieben ihre knapp 100 Museen, und besonderen Rang genießt das MoMA, ein sogenanntes „streetmuseum“: Es liegt im Block und nicht an einer großen Avenue wie die meisten anderen Museen der Stadt. Dieser Umstand ist „schuld“ am chronischen Problem des Hauses - Platzmangel.

Nach bereits mehreren An- und Umbauten in seiner 69jährigen Geschichte steht diesmal eine großangelegte Erweiterung und Renovierung bevor. Dabei - so der Chefkurator der Design- und Architekturabteilung, Terence Riley - geht es darum, „nicht nur die Ausstellungsfläche des Museums zu vergrößern, sondern das MoMA als Institution für das nächste Jahrhundert neu zu erfinden“.

Das Museum of Modern Art erfand in diesem Jahrhundert bereits einmal die Institution Museum neu. Als Raum der Begegnung mit zum Teil völlig neuen Inhalten, als Zentrum für Aktivitäten verschiedenster Art, Konferenzen, Filme, Diskussionen, als Ausstellungsort und Publikationsstätte hatte es von Anfang an nicht mehr viel mit den staatlichen europäischen Ausstellungstempeln gemein.

Die Gründung des MoMA fiel in das Jahr 1929. Drei wohlhabende Kunstsammlerinnen hatten die Idee und auch den nötigen Einfluß zur Gründung eines Museums für moderne Kunst. Eine der drei Damen war Mrs. John D. Rockefeller Jr. Mit diesem und den Namen der reichsten Familien Amerikas war das Haus von nun an eng verknüpft. Sie begannen dem Museum die beste Sammlung moderner Kunst zu finanzieren.

Unter der Leitung von Alfred H. Barr Jr. fanden die ersten Aktivitäten in einigen wenigen angemieteten Räumen in Manhattan statt. Das MoMA markierte von Anbeginn an einen Wendepunkt in der amerikanischen Museumsgeschichte und begann sehr schnell eine führende Rolle einzunehmen: Es war das erste Museum, das Photographie, Film und Industriedesign ausstellte; Vorträge, Debatten, Filme und Radioprogramme bildeten einen wesentlichen Bestandteil der Museumsaktivitäten; die schicken, spektakulären Eröffnungen temporärer Ausstellungen waren „sophisticated“ und gesellschaftliche Ereignisse der anderen Art.

Der Schritt war ein riesiger: Die soziale und kulturelle Rolle des Museums wurde neu definiert. Das MoMA wurde zusehends zum „agressive tastemaker“ und hatte bald machtvollen Einfluß auf Kunst und - vor allem - Architektur. 1932 konfrontierte die Ausstellung „International Exhibition: Modern Architecture“ das Land mit der Architektur, die später als „Internationaler Stil“ bezeichnet werden sollte. Zusammen mit der berühmten Gemeinschaftspublikation „The International Style: Architecture since 1922“ von Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson wurde sowohl das Thema wie auch die neue Architektur an den Mann gebracht.

Bald darauf und ganz in neuer Linie wurde das Hauptgebäude des neuen Museums fertiggestellt. Die Architekten Philip Goodwin und Edward Durrel Stone hatten im „International Style“ gebaut. Die unteren drei Stockwerke des sechsstöckigen Gebäudes dienten als Ausstellungsfläche, der vierte Stock beherbergte die bereits umfangreiche Bibliothek. Einen Stock höher befanden sich Büros und zuoberst der Konferenzraum und ein Restaurant mit Dachterrasse. Im Souterrain war ein Auditorium für Filmvorführungen untergebracht. Der Skulpturengarten, von John McAndrew entworfen, erfreute sich schnell großer Beliebtheit - als Oase in den New Yorker Hitzemonaten.

Die verschiedenen Abteilungen verfügten bereits über umfangreiche und stetig wachsende Sammlungen. Die einzelnen „departments“ präsentierten ständig wechselnde Ausstellungen. 1941 zeigte das Department of Industrial Design die Schau „Organic Design in Home Furnishings“, eine der einflußreichsten frühen Designausstellungen.

1949 wurde René d'Harnoncourt, ein gebürtiger Wiener, zum Direktor des Hauses bestellt. Das Museum begann jetzt mit ernsthaften Platzproblemen zu kämpfen. Eine erste Erweiterung wurde Anfang der fünfziger Jahre vom Architekten und Leiter der Abteilung Architektur und Design, Philip Johnson, vorgenommen. 1958 brach während Renovierungsarbeiten ein Brand aus, der mehrere Meisterwerke der Gemäldesammlung beschädigte und zerstörte, darunter die „Seerosen“ von Monet. Eine Welle öffentlicher Sympathie ließ bei einem großangelegten „fundraising“ die Spenden fließen.

Eine nochmalige Erweiterung und mehrere Umbauten im Hauptgebäude nach Plänen Philip Johnsons begannen. Im Mai 1964 eröffnete das MoMA seine neuen Räumlichkeiten mit einer Serie von Ausstellungen. Da die Sammlungen beständig wuchsen, war bereits in den frühen siebziger Jahren das Platzproblem neuerlich virulent.

Doch diesmal hatte das MoMA ein zusätzliches Problem. Erstmals in der Geschichte der Institution war das Geld knapp geworden. Wie die meisten amerikanischen Museen war das Museum of Modern Art von privaten Geldern abhängig. Diese waren immer reichlich geflossen. Zum einen verdankte sich das großzügige Kunstsponsoring dem kulturellen Bewußtsein und nationaler Verpflichtung einer vermögenden Schicht. Die öffentliche Tat war jedoch für die Stifter und Sammler nicht zuletzt auch wegen der hohen steuerlichen Begünstigung sehr attraktiv.

Trotz erstmaliger öffentlicher Zuschüsse reichte jetzt das Geld nicht mehr aus, und das MoMA entschloß sich schließlich zu einem heftigst umstrittenen Schritt. In jener Zeit tauchte in New Yorks Immobilienkreisen eine Neuheit auf: In einer Stadt, wo Raum nicht mehr vorhanden war, mußte er neu definiert werden. In Manhattan begann zu dieser Zeit der Handel um die Luftraumrechte. Das Museum verkaufte für den damaligen Rekordpreis von 17 Millionen Dollar seine Luftrechte an einen privaten Interessenten, um damit die anstehende Erweiterung finanzieren zu können.

Über dem westlichen Erweiterungsflügel wurde ein 53stöckiger Apartmentturm errichtet. Das MoMA bezog die zehn unteren Stockwerke, der Rest sollte als Büro- und Wohnraum dienen. Der von Cesar Pelli geplante Turm wurde 1984 fertiggestellt. Den Verbindungspunkt zwischen den bestehenden Gebäuden und dem Neubau bildet eine riesige Treppenhalle mit Rolltreppen. Die gläserne Halle ist zum Garten gewandt, von hier aus werden sämtliche Bereiche begangen. Das Raumangebot des Museums verdoppelte sich, die Infrastrukturen konnten verbessert beziehungsweise erneuert werden.

Es sollte aber nicht lange dauern, bis das ständig expandierende und unter permanentem Platzmangel leidende Museum erneut handeln mußte. Im Februar 1996 kaufte es einige benachbarte Liegenschaften. Im Mai 1997 wurden die Ergebnisse eines Wettbewerbs zur Erweiterung und Renovierung in einer Ausstellung präsentiert.

Diesmal soll es die größte und umfassendste Erweiterung in der Geschichte des MoMA werden. Zehn internationale Architekten wurden zum Wettbewerb geladen, aus dem schließlich drei Finalisten hervorgingen: die Schweizer Jacques Herzog & Pierre de Meuron, Bernard Tschumi und der Japaner Yoshio Taniguchi. Herzog & de Meuron präsentierten gleich zwei Entwürfe, davon eine „Dachlandschaft“. Über die einzelnen Gebäude wird ein teilweise durchbrochenes Glasdach gesetzt. Tschumis Projekt spezifizierte vor allem den Weg im Museumsgelände, ohne die Formen der einzelnen Gebäude zu definieren. Yoshio Taniguchi entwarf eine „innenliegende Avenue“ zwischen 53. und 54. Straße und machte damit in dem mehrstufigen Wettbewerb das Rennen.

Der 1937 geborene Harvard- Absolvent ist vor allem durch seine Museumsbauten in Japan bekannt geworden. Die MoMA- Erweiterung ist sein erster internationaler Auftrag. Taniguchis Entwurf bringt einige grundsätzliche Veränderungen - so wird der Bau von 1939 nicht mehr zentral sein - , ist aber insgesamt sehr moderat konzipiert. Im Zuge der Erweiterung wird die originale Fassade des Baus von Goodwin und Stone wiederhergestellt werden. Von beiden Straßenseiten wird man in Zukunft das MoMA über eine neue Lobby, mit Öffnung zum Skulpturengarten, betreten können. Mit dem Bau wird voraussichtlich in zwei bis drei Jahren begonnen, das Museum möchte 2004 seine Pforten wieder öffnen

Spectrum, Sa., 1998.02.21



verknüpfte Bauwerke
MoMA

Profil

Geboren in Meran Südtirol. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Wien, Studium der Architekturgeschichte an der Columbia University in the City of New York. Forschungsstipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Kritiken und Essays zu Kunst und Architektur in „Neue Zürcher Zeitung“ und „Die Presse“ (Spectrum) u.a.

Lehrtätigkeit

1999 – 2003 Technische Universität Wien, Institut für Städtebau und Raumplanung
2006 Bauhaus Universität Weimar, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur
2002 – 2012 Institut für Kunst und Architektur der Akademie der bildenden Künste Wien

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
FEMtech Frauen in Forschung und Technologie
Literar Mechana
ÖGfA Österreichische Gesellschaft für Architektur

Publikationen

(Auswahl)
Anna Mahler. Bildhauerin Musikerin Kosmopolitin
Molden Verlag, Wien 2023

Vom Tanz des Geistes unter den Wörtern, in: Walter Bohatsch, Typojis – Einige neue Zeichen, Hermann Schmidt Verlag, Mainz 2017, S. 22-28

Die Biologie des Bauens, in: Natascha Meuser (Hrsg.), Architektur und Zoologie, DOM Publishers, Berlin 2017, S. 140-150

Raum und Gestaltung – Space and Design, Birkhäuser Verlag Basel, Basel 2016

Die Kunst der Vielgestalt – Artful Variety, Haymon Verlag, Innsbruck 2015

Material und Atmosphäre, in: Irmgard Frank. Raum denken - Thinking Space, Niggli Verlag, Sulgen, Zürich 2011, S. 113-124

Über Städtebau oder Methodisches zur sinnlichen Praxis,
in: East Central Europe/L'Europe du Centre-Est. „Urban History in East Central Europe“. In cooperation with the Center for Urban History of East Central Europe. A refereed international journal of the social sciences and humanities with a focus on the region „between the Baltic and the Adriatic“, hostet by the
European University Budapest, Vol. 33, Parts I-II, 2006, p. 305-311

Die vierte Dimension. Anmerkungen zu Architektur, Raum und Wahrnehmung der Moderne, in: Antje Lehn, Erhard Kinzelbach, Gabriele Reiterer, Nasrine Seraji (Hg.), Review III, Yearbook of the Institute for Art and Architecture, Academy of Fine Arts Vienna 2005, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2006

Über Schönheit und Form,
in: Rüdiger Lainer (Hg.), Brazilian Conditions, Springer Verlag Wien, New York
2006, S. 24-30

Metamorphosen oder Spuren der Erinnerung,
in: aut. Architektur und Tirol (Hrsg.), Konversationen. Hans Gangoly Architekt,
Verlag Anton Pustet, Salzburg 2006, S. 36-46

Bauen allein ist nicht genug. Architekten Gärtner/Neururer, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005

Imagines et loci. The City as an Essay,
in: Boris Biletic (Ed.), Nova Istria, 3, Pula 2005, S. 10-18

Against Discipline. A call to maintain anarchy,
in: Review III, Yearbook of the Institute for Art and Architecture, Academy of
Fine Arts Vienna 2005, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005, S. 118-122

Wahrnehmung – Raum – Empfindung. Anmerkungen zu Camillo Sittes Städtebau, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka, Bernhard Langer (Hg.), Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2005, S. 225-239

Rückwärts in die Zukunft. Zur Genese des „modernen“ Städtebaus bei Rudolf von Eitelberger und Camillo Sitte, in: Wolfgang Kos, Christian Rapp (Hg.), Alt Wien. Die Stadt, die niemals war, Czernin Verlag, Wien 2004, S. 173-182

Der gelbe Fisch oder die Ästhetik in der Architektur,
in: Barbara Feller, Maria Welzig (Hg.), An der Klippe. Herwig Illmaier, Architekt
1957-2001, Verlag HDA, Graz 2003, S. 36-44

AugenSinn. Zu Raum und Wahrnehmung in Camillo Sittes Städtebau, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2003

Architektur von 1890 – 1918,
in: Hermann Fillitz, Wieland Schmied (Hg.), Geschichte der Bildenden Kunst in
Österreich, Bd. VI. 20. Jahrhundert. Prestel Verlag, München 2002, S. 417-428

Rudolf Wäger. Die Poetik der Schlichtheit,
in: „one- hundred houses for one-hundred european architects of the xx
century / cento case per cento architetti europei del xx secolo, Triennale di
Milano 2001, S. 226-230

Erschienen auch in:
Gennaro Postiglione (Hrsg.), Hundert Häuser für hundert europäische Architekten des zwanzigsten Jahrhunderts, Taschen Verlag, Köln 2004

Veranstaltungen

Internationale Vortragstätigkeit und Podiumsteilnahmen

Auszeichnungen

1999 – 2001 DOC Programm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
2000 Theodor Körner Förderpreis der Republik Österreich 2000

Wettbewerbe

Jurorin in zahlreichen Architekturwettbewerben

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