Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Interview mit Julius Shulman | Jochen Paul
02 „Schindlers Häuser“ Film von Heinz Emigholz | Doris Kleilein
04 Moderne in den Tropen im NAi | Knut Birkholz
04 Ingenieurkunstgalerie in Berlin | Frank Peter Jäger

BETRIFFT
08 Humorfreie Baukunst? | Christian Marquardt

WETTBEWERBE
10 Erweiterung der Stadtbibliothek in Stockholm
14 Entscheidungen
15 Auslobungen

THEMA
16 Sporthalle in Berlin-Prenzlauer Berg
20 Sporthalle in Unterhaching
24 Sports- and Culture Center Holmbladsgade
28 Schulhaus und Turnhalle Martinsberg
32 Dreifachsporthalle in Ingolstadt
36 Pocketsporthalle in Beausoleil

REZENSIONEN
39 Holz. Große Tragwerke | Karl J. Habermann
39 Natur in der urbanisierten Landschaft | Annette Taubert
40 Landscape Architecture in Mutation | Anne Kockelkorn
40 Fieldwork. Landschaftsarchitektur in Europa | Annette Taubert
40 Allain Provost | Annette Taubert

RUBRIKEN
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Titel: Sport- und Kulturzentrum Holmbladsgade, Kopenhagen
Foto: Torben Eskerod, Kopenhagen
Redakteur Thementeil: Felix Zwoch

Interview mit Julius Shulman

Nicht wenige Fotografen sind durch eine einzige Aufnahme bekannt geworden. Viele der Bauhaus-Fotografen waren solche „One Shot Photographer“. Julius Shulman wurde hingegen als „Mr. One Shot“ berühmt, weil er jedes Motiv nur ein einziges Mal abgelichtet haben soll. Bereits auf seinen frühen Aufnahmen von „namenlosen“ Architekturen wie Brücken, Tankstellen und Wassertürmen ist sein „perfekter Blick“ (Daniel Bartetzko) zu erkennen. Seit den 30er Jahren arbeitete Shulman für die Heroen der kalifornischen Moderne. Nachdem er die letzten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs als Fotograf bei der U.S. Army zugebracht hatte, konnte er nahtlos an seine Vorkriegskarriere anknüpfen: Der Bauboom der Nachkriegszeit fiel mit der Blütezeit der kalifornischen Moderne zusammen, und John Entenza startete sein Projekt der „Case Study Houses“. Das von Entenza herausgegebene Magazin „Art & Architecture“ ermöglichte es der Architekturfotografie, die Grenzen der Architekturfachzeitschriften hinter sich zu lassen.
Heute ist der Mitbegründer der Architekturfotografie Julius Shulman nicht nur eine lebende Legende und der letzte Vertreter seiner Generation, sondern auch mit 97 Jahren noch längst nicht im Ruhestand. Zwar war er zur Eröffnung seiner Ausstellung – sie ist eine Übernahme der Frankfurter Schau von 2005 aus dem Deutschen Architekturmuseum (Heft 43.05) – nicht in München, wir konnte mit Julius Shulman jedoch ein Fern-Interview per E-Mail führen.

Sie gelten als „Self-educated Photographer“. Aber sicher hat Sie trotzdem jemand beeinflusst.

Ich habe 1926 mit 16 Jahren und einer Kodak Box Camera angefangen zu fotografieren: Ich hatte ei¬nen Kurs über die Grundlagen der Fotografie belegt und ging zum Hürdenrennen meiner High School ins Los Angeles Colliseum. Das Foto, das ich dort gemacht habe, von einem Standpunkt oberhalb der Startblöcke, gilt mit seiner ungewöhnlichen Perspektive immer noch als eine der besten Aufnahmen eines Hürdenrennens. Die Arbeit von Kollegen – viele davon gab es ohnehin noch nicht in den 30er Jahren – hat mich nie wirklich beeinflusst; wohl aber der Gedankenaustausch mit vielen der Architekten, für die ich gearbeitet habe. Meine Entwicklung verlief ja ab 1936 parallel zur Karriere der Vertreter der kalifornischen Moderne: Vor allen anderen Richard Neutra, aber auch Gregory Ain, J.R. Davidson, Albert Frey, Harwell Harris, Pierre Koenig, Rudolph M. Schindler und Raphael Soriano. Außerdem verdanke ich meiner Kindheit – ich bin auf einer Farm in Connecticut aufgewachsen und habe als Pfadfinder viel Zeit in der Natur verbracht – wahrscheinlich das Verständnis für Licht und Maßstab.

Was hat Ihnen Ihr Studium gebracht?

In den sieben Jahren, die ich an der Universität verbracht habe, habe ich Kurse besucht, die mich persönlich interessiert haben. Als ich per Zufall Richard Neutras „Kun House“ fotografierte, gefielen ihm die Aufnahmen so gut, dass er mich vom Fleck weg engagierte und weiterempfahl. Insofern brauchte ich kein Studium.

Welche Rolle spielten die Magazine und die Wochenendbeilagen der Tageszeitungen für Ihre Arbeit?

„Publicity“ war von Anfang an ein wichtiger Aspekt meines Erfolgs: Die meisten meiner Arbeiten wurden in Publikumszeitschriften veröffentlicht. Damit erreichten meine Fotos eine Leserschaft, die sich eigentlich nicht für moderne Architektur interessierte. Über diese Magazine wurde die klassische Moderne als begehrenswert inszeniert und verbreitet, und nicht wenige Architekten verdanken ihren Erfolg meinen Fotos. Wahrscheinlich habe ich mehr Architektur verkauft als die meisten von ihnen zusammen.

Wie haben Sie jene Architektur „verkauft“, die nicht in Magazine wie „Arts & Architecture“ passte?

Meine Kunden waren nicht nur Architekten, die Wohnhäuser gebaut haben, ich habe auch Schulen, Bibliotheken, Kirchen und Fabriken fotografiert, die dann in der Fachpresse veröffentlicht wurden.

Mit welchen Kameras arbeiten Sie?

Ich begann meine Laufbahn mit einer Kodak Vest Pocket Camera. Später habe ich mir eine 4“ x 5“ Fachbodenkamera von Sinar gekauft, die komplett verstellbar war, und seit mittlerweile 70 Jahren arbeite ich mit Sinar.

Warum haben Sie sich Mitte der 80er Jahre aus dem Berufsleben zurückgezogen, und was war der Grund für Ihr „Comeback“ zusammen mit ihrem heutigen Partner Jürgen Nogai?

Damals bekam ich unglaublich viele Anfragen von Verlagen, und die Arbeit an den diversen Buchpublikationen ließ es nicht zu, nebenbei noch zu fotografieren. Außerdem hatte ich mich daran gemacht, mein Archiv zu ordnen. Als ich – ich glaube, es war 2001 – Jürgen Nogai kennenlernte, habe ich schnell festgestellt, dass es zwischen uns eine gemeinsame Wellenlänge gibt. Also fing ich wieder an zu arbeiten, und wir haben seitdem viel zeitgenössi¬sche Architektur fotografiert.

Benutzen Sie Digitalkameras?

Nein, wir arbeiten seit eh und je analog, unsere Aufnahmen entstehen über die Komposition und die Lichtführung. Digitalfotografie bietet vielleicht viele Möglichkeiten, Layers und Editing-Tools, endet aber meistens in nachbearbeiteten Photoshop-Dateien. Sowohl Jürgen als auch ich können damit nichts anfangen.

Fotografieren Sie lieber in Farbe oder Schwarz-Weiß?

Sowohl als auch: In Bezug auf Ästhetik und Bildsprache kann ich dabei keine fundamentalen Unterschiede erkennen. Während die meisten Magazine heutzutage Farbabbildungen haben wollen, bevorzugen viele Architekten immer noch Schwarz-Weiß. Bei den meisten unserer Aufträge machen wir von je¬der Einstellung Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen.

Welche Bedeutung haben Menschen für Ihre Foto¬grafie – außer als Bezugsgröße für die abgebildete Architektur?

Im Œuvre vieler meiner Kollegen vermisse ich den Aspekt, dass Gebäude von Menschen genutzt werden. Bei meiner Arbeit sind Menschen ein wichtiger Teil der Komposition: Sie blicken nicht in die Kamera, sondern sind mit irgendetwas beschäftigt – da¬mit „erwecke ich die Fotografie zum Leben“.

Haben Sie ein Lieblingsfoto?

Nein – ich liebe sie alle.

Bauwelt, Fr., 2007.03.02

02. März 2007 Jochen Paul

Schindlers Häuser

(SUBTITLE) Film von Heinz Emigholz

Eine Straßenkreuzung in West Hollywood. Werbung, Stromkabel, Mülleimer. Eine Limousine kommt von links, eine alte Dame geht mit ihrem Hund Gassi. „Irgendwo hier auf dem Bild ist ein Haus von Rudolph Schindler zu sehen“, spricht nach einigen Minuten eine nasale Stimme. Lakonisch wird eine Entschuldigung für die folgenden eineinhalb Stunden hinterhergeschoben: Angesichts des „architektonischen Verhau-Zustandes“, der unsere Umwelt ausmache, sei es eigentlich ein Unding, einen Film über das „gestalterische Ego eines einzelnen Architekten“ zu machen.

Heinz Emigholz konnte es natürlich nicht lassen. Im Mai 2006 ist er einen Monat lang kreuz und quer durch L.A. gekurvt und hat 40 Häuser des Architekten Rudolph Schindler (1887–1953) aufgesucht. Privathäuser, die der österreichische Auswanderer seit den 20er Jahren bis kurz vor seinem Tod vor allem für die Bohème Hollywoods gebaut hat. Häuser, die hinter der üppigen Vegetation Kaliforniens manchmal kaum zu sehen sind und die dann umso mehr überraschen, wenn Emigholz die Kamera im Schlafzimmer aufbaut und dem Zuschauer die skulpturalen Einbaumöbel vor die Nase hält.

Nach „Sullivans Banken“ (2000), „Maillarts Brücken“ (2000) und „Goff in der Wüste“ (2002; Heft 37.04) würdigt Emigholz auf enzyklopädische Weise einen weiteren Architekten, der in der Architekturgeschichte der Moderne nur allmählich einen Platz findet. 400 Häuser hat Schindler entworfen, 150 gebaut – und bleibt doch in zweiter Reihe hinter Ri­chard Neutra, den er seinerzeit selbst in die USA holte. Emig­holz ist kein Architekt; er entdeckte Schindler zufällig, im Jahr 1975, als er am Lovell House in Newport Beach vorbeifuhr. Seither ist er der Komplexität der Räume Schindlers verfallen, den aufwendigen Details, gebaut in unendlichen Handwerkerstunden. Aber auch beeindruckt von der Fürsorge der Hausbesitzer, die ihren – heute meist teuer erstandenen – Schindler ohne jegliche Auflagen des Denkmalschutzes liebevoll pflegen.

Stoisch zieht Emigholz sein filmisches Konzept durch: Name und Ort des Hauses werden eingeblendet, der Tag der Aufnahme. Dann folgen zwei feste Einstellungen von außen und einige weitere von in­nen, die Kamera immer leicht schief gehalten, das Licht, wie es eben so ist. Kein Weitwinkel, kein Schwenk, keine Handlung. Nur das Rauschen der Palmen, eine gelegentliche Katze und ein Hausbesitzer, der das dreiköpfige Filmteam ignoriert. Was die Zuschauer angeht: Die einen schlafen nach fünf Häusern ein. Die anderen stehen mit Heinz vor bröckelnden Betonornamenten und grünen Holzbrettern und können gar nicht genug kriegen.

„Alle Leute sagen, sie kennen meine Filme und brauchen sie nicht mehr anzuschaun“, sagte Heinz Emigholz nach der Uraufführung von „Schindlers Häuser“ auf der Berlinale. Dem muss widersprochen werden: Die Fans freuen sich schon jetzt auf „Loos ornamental“ und „Kieslers Projektionen“.

Bauwelt, Fr., 2007.03.02

02. März 2007 Doris Kleilein

Sports- and Culture Center Hombladsgade

Der Entwurf des Sport- und Kulturcenters Holm­bladsgade basiert auf der Verbindung der existierenden vier Giebelwände der Nachbarbebau­ung mit dem notwendigen Volumen für eine Ballsporthalle. Die Gebäudehülle, welche die entsprechenden Punkte verbindet, besteht aus einem Stahl-Holz-Tragwerk, belegt mit transluzenten Polycarbonat-Stegplatten. Diese trans­lu­zente Hülle liefert exzellente Tageslichtbe­din­gungen. Nachts strahlt die Kristallstruktur nach außen. Das Gebäude wird für verschiedene Sportarten, Proben diverser Tanzgruppen etc. genutzt, aber auch für Konzerte und Thea­terauf­führungen. Die dynamische „Landschaft“ im Inneren erlaubt diese gleichzeitige Nut­zung auf verschiedenen Ebenen mit visuellem Kontakt untereinander.

Im Jahr 2002 nahmen Dörte Mandrup (für Dänemark) und Arno Brandlhuber (für Deutsch­land) an der Ausstellung „New Trends of Architecture in Europe and Japan“ in Tokio teil und verabredeten dort, gemeinsam an Wettbewerben zu arbeiten, vor allem auch, um konventio­nelle Bautypen und erstarrte Raumprogramme in Frage zu stellen und weiterzuentwickeln. Ein Jahr später resultierten daraus ein zweiter und ein erster Platz für den innovativen Funk­tionstypus „Sporthalle mit Kulturzentrum“. Für das „Sports- and Culture Center Holmbladsgade“ in Kopenhagen erhielt die Arbeitsgemein­schaft den Bauauftrag.

Das Grundstück liegt in einem Konversionsgebiet, die ebenerdigen Produktionsanlagen waren brachgefallen und inzwischen abgeräumt, verblieben waren Reste von Geschosswohnungsbau auf für dänische Verhältnisse niedrigem Standard, der Standort galt in Kopen­hagen als „städtebauliches Problemgebiet“.

Direkt an das Baugrundstück grenzten vier Brandwandgiebel. Die erste Idee war, diese nicht zu ignorieren, sondern sie in die Neuplanung zu integrieren, wobei es zwar eine Anbauberechtigung gab, allerdings fünf Meter Grenzabstand zwischen den vier Brandwandgiebeln einzuhalten waren. Das Programm verlangte 2500 Quadratmeter Funktionsfläche, die größte Einzelfläche war das Sportfeld mit Abmessungen von 48 x 24 Metern, eine Bauhöhe von 8 Metern war gefordert. Leitgedanke des Entwurfs war, die sich daraus ergebende Kubatur (48 x 24 x 8 Meter) direkt an die vier Brandwandgiebel anzubinden.

Das Leitmotiv für die Hallenhülle war das Bild der „transluzenten Scheune“, bei der zwi­schen Dach und Wand nicht unterschieden wird. Die gesamte Außenhaut besteht aus Poly­carbonat-Mehrfachstegplatten, die Pigmentierung zur Einstellung des Lichteinfalls folgt der Himmelsrichtung und dem Neigungswinkel von Dach/Fassade, um allzeit eine blendfreie Belichtung zu garantieren. Die extrem kostengünstige Fassade erlaubte die Realisierung von insgesamt 3400 Quadratmeter Nutzfläche auf zwei Ebenen, zudem gibt es die Option auf weitere Ausbauten in den Bereichen der Brand­giebel. Alle Stützen sind aus sportfunktionalen und sichttechnischen Gründen in die Fassaden­ebene integriert.
Wir Architekten interpretieren die Zu­schau­ertribüne als eine „innere Landschaft“, die Funk­tionsräume für sportliche Events von den üb­ri­gen Nutzungen isoliert, weil Sonderräume teilweise auf kontemplative Ruhe angewiesen sind oder umgekehrt aufgrund extremer Lärmentwicklung vom Normalbetrieb abgekop­pelt werden müssen. Die Sportbodenbeläge mit not­wendigerweise unterschiedlichen Dämpfungsgraden bestehen aus Gummischrotmatten mit PE-Lackierung, die natürliche Ventilation erfolgt über steuerbare Zuluftklappen knapp über dem Boden und Auslassöffnungen an dem höchsten Punkt.

Bauwelt, Fr., 2007.03.02

02. März 2007 Arno Brandlhuber

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