Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Weißenhofmuseum im Haus Le Corbusier | Christian Schönwetter
02 Das Werk von Alfred Grenander | Jan Gympel
04 Urban Age Summit Berlin | Florian Heilmeyer
04 Sibylle Bergemann. Photographien | Ulrich Brinkmann

BETRIFFT
08 Berlin: Weihnachtsmarkt Friedrichswerder | Martina Düttmann

WETTBEWERBE
12 Kaufhaus Tyrol Neu in Innsbruck | Eva Maria Froschauer
14 Erich Schelling Preise 2006 an Werner Sewing und Lacaton & Vassal | Christian Holl
16 Auslobungen

THEMA
18 Altstadtmanufaktur Neumarkt | Ulrich Brinkmann
26 Gewinn der Mitte | Christiane Gabler
30 Aus Straße werde Stadt | Christian Marquart

REZENSIONEN
38 Gustave Eiffel. La tour de 300 mètres | Karl J. Habermann
39 Phaidon Design Classics | Dagmar Steffen
39 Manhattan New York | Anne Boissel
39 Frank Thiel. A Berlin Decade 1995–2005 | Ulrich Brinkmann

RUBRIKEN
06 Leserbriefe
07 wer wo was wann
36 Kalender
40 Anzeigen

Vom bewohnten Ausstellungsstück zum Weißenhofmuseum. Das Haus Le Corbusier

Seit dem 25. Oktober ist das Doppelhaus, das Le Corbusier am Rande der Stuttgarter Weißenhofsiedlung errichtet hat, als Museum öffentlich zugänglich. Die eine Haushälfte fungiert dabei als begehbares Exponat und führt den Zustand des Hauses von 1927 vor, der bei der Sanierung und Teilrekonstruktion des Gebäudes unter Leitung des Büros Architektur 109, Stuttgart, gewissenhaft wiederhergestellt wurde (Heft 4). Die andere Hälfte, in der auch bauliche Änderungen erhalten blieben, die die Bewohner im Laufe der letzten 80 Jahre an dem Haus vorgenommen hatten, beherbergt jetzt eine Ausstellung über die Geschichte der Weißenhofsiedlung von 1907 bis 2007. Auf die Schwierigkeit, die Fülle an Informationen auf wenig Fläche unterzubringen, reagierte das mit der Gestaltung der Schau betraute Stuttgarter Büro space 4 mit einer gläsernen Ausstellungsarchitektur. Sie ist den Volumina der nicht mehr vorhandenen Originaleinbauten nachempfunden und verhindert dank ihrer Transparenz klaustrophobische Gefühle in den zum Teil sehr engen Räumen.

Erstmals ist nun also eines der Weißenhofhäuser auch von innen komplett zu besichtigen, erstmals lassen sich die damaligen Vorschläge für ein neuartiges Wohnen im Maßstab 1:1 erfahren – und der Besucher beginnt zu ahnen, weshalb die Gebäude zu ihrer Entstehungszeit auf wenig Verständnis stießen: Zumindest das Corbusier-Haus ist ein Beton gewordener Widerspruch in sich. Wirkt es von außen sehr großzügig, so bietet es im Inneren erstaunlich we¬nig Platz. Le Corbusier dreht die Prinzipien wirtschaftlichen Bauens um: In einem maximalen Volumen bringt er eine minimale Wohnfläche unter. Einerseits bietet er der gebildeten Mittelschicht, für die er das Haus entwarf, eine luxuriöse Terrasse auf dem Dach und ein Dienstmädchenzimmer im Erdgeschoss; andererseits mutet er ihr im mittleren Stockwerk Minimalgrundrisse zu, die noch hinter den Standard des sozialen Wohnungsbaus zurückweichen. Wo sonst misst die Breite eines Flurs weniger als 60 Zentimeter, wo sonst werden Wohn- und Schlafzimmer in einem einzigen Raum zusammengelegt? Le Corbusier entwickelt dafür ein Einbaumöbel, in dem die Betten tagsüber verschwinden sollen. Der Sinn dieses Details will sich vor Ort jedoch nicht recht erschießen. Denn der überwiegende Teil des Raums lässt sich bei Tag nur als Bewegungsfläche nutzen und gar nicht möblieren – da abends die Betten wieder aufgestellt werden müssen.

Um den nach Osten orientierten Raum großzügiger wirken zu lassen, gibt der Architekt dem angrenzenden Flur eine niedrigere Höhe und lässt den Wohn-Schlafraum mittels einer Nische oberhalb des Korridors bis an die Westfassade des Hauses reichen. Doch warum verschenkt er dann die Chance, dort Fenster anzuordnen, den Wohnraum damit von zwei Seiten zu belichten und vor allem die Abendsonne in den Hauptaufenthaltsbereich des Gebäudes scheinen zu lassen? Fiel ein solcher Ansatz vielleicht einer Sparmaßnahme zum Opfer? Auch der Umgang mit dem Bandfenster an der Ostseite wirft Fragen auf. Betritt man das Wohngeschoss, bietet das Glasband einen einmaligen Panoramablick weit über Stuttgart und das Neckartal. Doch setzt man sich an den Esstisch, ist es mit der Aussicht schnell vorbei – die Brüstung ist zu hoch. Bedenkt man, dass die Menschen 1927 durchschnittlich einige Zentimeter kleiner waren als heute, so konnten sie wahrscheinlich nur in den Himmel schauen; erst recht, wenn sie statt auf einem Esstischstuhl gar auf einem Sessel oder Sofa Platz nahmen. Hatte Le Corbusier, als er das Fenster plante, möglicherweise weniger das Wohnen im Hinterkopf als die Ausstellung über das Wohnen? Denn die halbe Million Besucher, die sich von Juli bis Ok-tober 1927 durch die Häuser der Weißenhofausstellung schoben, erlebten das Bauwerk natürlich in erster Linie im Gehen und Stehen – und nicht im Sitzen.
Die Nutzungsgeschichte des Bauwerks, das in nur acht Monaten entworfen, geplant und errichtet wurde, zeigt, dass es für eine mehrköpfige Familie letztlich unbrauchbar war, da es wegen des offenen Grundrisses keinerlei Rückzugsmöglichkeiten bot. Das Haus wurde – wie die gesamte Siedlung – gebaut, um neue Ideen vorzuführen: ein Wohnexperiment. Und Experimente dürfen scheitern.

Bauwelt, Do., 2006.12.07

07. Dezember 2006 Christian Schönwetter

Berlin: Weihnachtsmarkt Friedrichswerder

Konzept Townhouses: schmalbrüstige Reihenhäuser mit Berliner Traufhöhe, die sich gegen vernünftige Grundrisse sperren, Baustellen, die sich gegenseitig im Weg stehen, Höfe, die immer enger werden.

„Sie haben auch am Friedrichswerder gekauft? Fabelhafte Adresse. In Minuten am Gendarmenmarkt, drei Schritte weiter schon an den Gourmetständen im Lafayette, ins Vau, was am nächsten liegt, Jägerstraße gleich da drüben, werden wir sicher nicht so häufig gehen, aber man sieht sich ... natürlich jetzt noch bei der Thüringer Bratwurst auf dem Parkplatz, aber Würstchenbuden haben ja auch ihren Charme, finden Sie nicht, vor allem, wenn man aus der Oper kommt, da ist das Newton nicht halb so witzig, wenn Sie wissen, was ich meine, also ich liebe diese Gegend und möchte in keiner anderen meine Kinder, wenn ich sie hätte, haben Sie übrigens Kinder, nein, auch nicht, berufstätig bis über beide Ohren, ja, mein Mann arbeitet in der gleichen Branche, aber hier sind wir doch nun wirklich im Herzen der Stadt, das Außenministerium als Nachbar ist keine schlechte Adresse, nichts ist so interessant wie die Welt der Diplomatie, mit Einladungen werden wir ohnehin überhäuft, eigentlich könnten wir bis zur Akademie der Künste am Pariser Platz zu Fuß gehen.“ In Kurt Tucholskys „Gespräch auf einem Diplomatenempfang“ von 1930 hätte jetzt noch gestanden: „Sie tritt sich in den Tüll.“

Vor rund vierzig Jahren mussten in der Altstadt Spandau, deren Baudokumente im Krieg verbrannt waren, die Fassadenabwicklungen im Maßstab 1:500 neu gezeichnet werden. Grundrisse gab es, die Höhen der Häuser wurden einfach geschätzt. Die fertigen Zeichnungen, einmal abgeliefert, haben wir damals in Kopie als Weihnachtspostkarten verwendet. Seither habe ich einen Blick dafür.
Reihenhäuser mit Postkartenqualitäten hatte sich der Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann, damals noch im Amt, am Friedrichswerder gewünscht. Auf jeden Fall wurde den Käufern ein Gestaltungsleitfaden mit auf den Weg gegeben, der, wenn auch vage formuliert und vielfältig auslegbar, die Ambitionen des Amtes zu vermitteln suchte. Und was das Amt im Sinn hatte, war „ein harmonisches Gesamtbild im Ensemble“, etwas, das von der Vorgabe der Berliner Traufhöhe zwar nicht abwich, aber durch den Verkauf von Einzelgrundstücken an Stadtindividualisten doch etwas ganz anderes ergeben sollte als die Baublöcke an der Friedrichstraße.
Dieter Hoffmann-Axthelm, immer bereit, sich für ein verlorenes Stadtmuster zu engagieren, und an dem ursprünglichen Konzept beteiligt, hatte Drei-Fenster-Reihenhäuser im Kopf, deren ideale Höhe drei Geschosse betragen hätte. Dem stand die Vorstellung von einer traufhöhengleichen Stadtmitte im Weg. Drei Fenster, akzeptiert, aber doch bitte durchgehend fünf Geschosse, damit keins aus der Reihe fällt. Man hatte sich vorgestellt, dass auf den schmalen Grundstücken von etwa 6,50 Meter Breite und 30 Meter Tiefe entzückende, schmalbrüstige Häuser entstehen würden, und weil man die Grundstücke preisgünstig anbot (zwischen 750 und 1300 Euro pro Quadratmeter, also kaum mehr als 200.000 Euro Grundstückskosten), könnte anschließend ein engagierter Mittelstand die Kernlage bevölkern, sich mit den Mitarbeitern des Außenministeriums vernetzen, die Einkaufsmeile Friedrichstraße tagtäglich nutzen und überhaupt.

„Denn der Bürger will vom Stadtrand ins Zentrum“, sagte Herr Stimmann. „In der Geschichte des Städtebaus hat das städtische Reihenhaus Tradition“, sekundierte Klaus Theo Brenner.
Was vorher eine Grünanlage in drei Segmenten war und die Fassade der alten Reichsbank (heute Außenministerium) wohltuend begleitete, wurde Bauland. Das Areal, zerlegt in Reihenhausgrundstücke mit einer Ausnutzung zwischen 2,2 und 2,5, war im Nu verkauft. Zwanzig bis zweiundzwanzig Meter Bauhöhe sind zugelassen, die zweiundzwanzig Meter allerdings erst seit der Klage eines der Käufer, der sich nicht von den Eckbauten in den Schatten stellen lassen wollte. Die Eckbauten sind für Investorengruppen reserviert worden, denn wie soll man, von Amts wegen, Reihenhäuser um die Ecke denken. Vielleicht waren auch noch ein paar alte Versprechen einzulösen. Die massiven Ecken umklammern die zukünftige Idylle. Es gibt viele von ihnen, denn die Grünanlage am Friedrichswerder wird von den alten Straßen in drei Blöcke zerteilt. Zwei der Blöcke sind sehr klein, die Oxford-Residenz und das Chalet Samtstein an der Alten Leipziger dagegen sehr groß.
Ein kleines Stück Grün, rund ein Viertel des Areals im Süden Richtung Spittelmarkt, war zu erhalten, damit die Häuser am unteren Rand Ausblick haben. Ein Wettbewerb folgte und wurde gewonnen. Was bei der Umsetzung des Wettbewerbs erhalten bleiben wird, steht dahin, denn jetzt ist erstmal ziemlich viel Grün verschwunden. Die Anwohner bleiben verdutzt stehen: Alle diese Baumstümpfe, das waren bis vor kurzem doch noch ausladende Baumkronen? Auch am nördlichen Rand, ein bisschen links von der Friedrichwerderschen Kirche, wird gerade wieder ein Stück Grün eingezäunt, um für ein weiteres Wohn- und Geschäftshaus Platz zu machen.
Schön war die Vorstellung vom arrivierten Mittelstand in Berlin-Mitte. Und die vom Liberalismus. Andererseits verschlingt das arrivierte Reihenhaus mit fünf Geschossen trotz niedriger Grundstückspreise eine reichliche Million Euro und mehr. Mit einer Million Jahreseinkommen wäre man absolut auf der sicheren Seite, wird mir versichert. Warum sollte man sich nicht zur Oberschicht bekennen, wenn man überall von Unterschicht spricht? Eine Oberschicht mit kleinen Vorgärten. Auch für die gibt es Anweisungen, auslegbare, versteht sich. „Einfriedung: Metallzaun 0,90–1,20 Meter hoch, dunkle Farbe, zusätzlich können Hecken gepflanzt werden, Bepflanzung: ein kleinkroniger Baum, wie z.B. Felsenbirne oder Flieder. Mülltonnenstandorte sind ausschließlich im Haus vorzusehen.“
Allmählich glaubt man zu verstehen, warum die hohe Ausnutzung ausgenutzt werden muss und die schmalen Reihenhäuser, sofern sie schon da sind, auf der Hofseite wuchern. Zweigeschossig schieben sie sich in den schmalen Freiraum hinein und starren einander mit großäugigen Fensterflächen an, denn eine Bautiefe von rund dreißig Metern muss belichtet werden. In den Verträgen ist die flächenfressende Ausnutzung nach hinten nicht notiert.
An einer Stelle wird es besonders eng und der Ausblick der Häuser sträflich verstellt, das ist dort, wo der kleine Block zwischen alter Jäger- und alter Leipziger Straße ganz nah an die alte Reichsbank heranrückt. Was soll’s, auch diese Grundstücke gingen weg.
Mit dem Kauf der preisgünstigen Grundstücke, die in den kommenden zehn Jahren nicht veräußert werden dürfen, sind die Käufer eine Bebauungsverpflichtung eingegangen. Innerhalb von sechs Monaten nach der Festsetzung des Bebauungsplans I-209 war der Bauantrag zu stellen, und 18 Monate nach Besitzübertragung und Baugenehmigung sollten die Häuser bezugsfertig sein. So die vertraglichen Formulierun¬gen. Veräußert wurden die Grundstücke in den Jahren 2003 und 2004. Am 16. November 2004 wurde der Bebauungsplan I-209 „für das Gebiet zwischen Werderstraße, Werderschem Markt, Kurstraße, südwestlicher Verlängerung der Kleinen Kurstraße, Niederwallstraße, Hausvogteiplatz, Oberwallstraße sowie für die Oberwallstraße zwischen Hausvogteiplatz und Werderstraße im Bezirk Mitte, Ortsteil Mitte“ festgesetzt.
„Für den Fall, dass durch Umstände, die nicht vom Käufer zu vertreten sind, Verzögerungen eintreten, ... verlängern sich die vorgenannten Fristen um den Zeitraum der eingetretenen Verzögerung.“ November 2006: Fast alle Häuser sind noch im Bau, manche noch nicht einmal angefangen. Bis heute ist nur ein einziges Haus sichtbar wirklich fertig und bezogen. Kaum einem der neuen Besitzer kann es gelungen sein, die Vertragsbedingungen einzuhalten.

Die Mischung macht das Ensemble, sagte Herr Stimmann und ließ sich ab und zu die Fassaden im Nebeneinander vorführen. Was innen draus wird, stellte er den Käufern ganz und gar frei, und was sein Amt betrifft, dem war es ganz egal, in welche Schwierigkeiten der Käufer eines Schnäppchengrundstücks mit Nachbarn geraten würde.
Nun lass dich doch mal als unerfahrener Bauherr darauf ein: Fünf Geschosse, das bedeutet einen Fahrstuhl und eine Treppe, und der Fahrstuhl landet mitten in dem schmalen tiefen Wohnzimmer, und selbst wenn man ihn in die Ecke drängen kann, so braucht er doch ein Podest, und da gibt es außerdem noch ein paar baupolizeiliche Vorschriften, die alle lösbar, aber teuer sind.

„Gott sei Dank haben wir früh genug angefangen zu bauen, denn wohin mit dem Kran, wenn der Nachbar gleichzeitig beginnt, nie hätten wir geahnt, dass die Unterfangungen für Fahrstühle, zu unterschiedlichen Zeiten ausgehoben, so viel Ärger machen könnten, aber wir waren ja früh genug dran, die Schwierigkeiten mit den unterschiedlich hohen Brandwänden und der Wärmedämmung darüber hinaus sind uns nie so ganz klar geworden, das weiß nur der Architekt, und mit dem sind wir hochzufrieden, denn er hat uns ja auch vorzüglich vertreten, als die Baufirma unwissentlich die Grundstücksgrenzen um ein weniges überschritten hat, übrigens, mit den unterschiedlichen Setzungen, worüber viele klagen, hatten wir so gut wie gar nichts zu tun, ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn muss man einfach haben und pflegen, nicht alles, was passiert, lässt sich grundbuchlich regeln, mal sehen, wie das mit den Entlüftungen über Dach funktioniert, wenn der Nachbar sein Schwimmbad auf gleicher Höhe angelegt hat. Gegenwärtig planen wir unsere Kinderzimmer oberhalb der zweiten Hypothek.“

Bauwelt, Do., 2006.12.07

07. Dezember 2006 Martina Düttmann

Kaufhaus Tyrol und Neugestaltung der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck

Wie sehr das Kaufhaus Tyrol mit seiner nun fast hundertjährigen Geschichte zum Identifikationsobjekt geworden ist, zeigt sich anlässlich eines Architekturwettbewerbs, der viel mediales Getümmel verursacht. Was man in dem grundsätzlich für neue Architektur offenen Klima in der Tiroler Landeshauptstadt über die letzten Wochen erleben konnte, gleicht einer städtischen Erregung.
Das Kaufhaus Tyrol in der Innsbrucker Innenstadt war über Jahrzehnte hinweg das einzig wirkliche Warenhaus des Landes, ein Konsummagnet, lange bevor sich Einkaufszentren in suburbanen Regionen entwickelten. Man ging ins Tyrol. Das Potential des Hau¬ses, an der geschäftigen Ader, der Maria-Theresien-Straße, gelegen, hatten die Gründer, die beiden jüdischen Familien Bauer und Schwarz, schon 1908 erkannt. Die tragischen Zeitläufte der Geschichte gingen an diesem Haus nicht vorbei – Arisierung, Kriegs¬beschädigung, Eigentümerwechsel. Trotzdem erlebte es seine Wiedereröffnung in den 60er Jahren und wuchs erneut, bis veränderte städtische Strukturen, anders ausgeprägtes Kaufverhalten und komplizierte Eigentumsverhältnisse seinen Untergang einläuteten. Verkaufs- und Umbauversuche scheiterten, und eigentlich glaubte niemand mehr so recht an die Rettung des Komplexes. Im Jahr 2004 überraschte der Tiroler Jung-Investor René Benko mit dem Kauf der Immobilie; über die begrüßenswerte Wiederbelebung, die Stärkung des innerstädtischen Handels und die Aufwertung der Maria-Theresien-Straße durch eine neue Shopping-Welt besteht seitdem grundsätzlich Einigkeit. Für den eigentlichen Shopping-Center-Bau, der die bestehende Verkaufsfläche verdoppeln soll, wurde bereits im Jahr 2004 der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser direkt beauftragt.
Nun beginnt die Geschichte allerdings kompliziert zu werden, denn das Kaufhaus Tyrol Alt nahm ehemals drei Häuser in einer Reihe entlang der Maria-Theresien-Straße ein, eine Zone, für die schon seit 1978 Ortsbildschutz besteht und für die jüngst Ensembleschutz per Bescheid erreicht wurde.

Der Innsbrucker Stadtsenat verpflichtete den Investor zur Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs für den Bauteil an der Maria-Theresien-Straße. Ab diesem Zeitpunkt liefen die Diskussionen um Erhalt, Teilabriss, Aushöhlung, Adaption oder einen gänzlichen Neubau der drei unspektakulären, aber gut in das Gesamtensemble eingepassten Stadthäuser. Der Neubau der Mall, so der Investor, sei kaum mit den unterschiedlichen inneren Strukturen der Häuser vereinbar, worauf sich alle Gremien noch vor Beginn des Wettbewerbs auf die Möglichkeit des Abrisses zweier Häuser verständigten. Auch der Denkmalschutz wollte keine potemkinschen Fassaden. Der Wettbewerb lief in zwei Phasen ab und erbrachte im September ein Ergebnis, das eine Welle bürgerschaftlicher Entrüstung auslöste – die internationale Jury unter Vorsitz von Quintus Miller, Basel, entschied sich für die Lösung des Wiener Büros BEHF, die zwar abstrahierte Bezüge zur umgebenden Bebauung anstrebt, dies jedoch mit einer recht willkürlichen und modischen Formensprache artikuliert. Innerhalb der in den heimischen Medien in der Folge ausgetragenen Polemiken, war eine sachliche Diskussion um Wert und Unwert des Entwurfs kaum noch möglich. Stadt und Investor erhoben Einspruch gegen den Ensembleschutz, wütende Bildmontagen von konservativen Kritikern, die die Verschandelung der Straße suggerieren, wurden in der Presse kolportiert, eilige Überarbeitungen des Projekts – mehr Verschlimmbesserungen als Lösungen – wurden öffentlich. Derzeit harrt man der Dinge.
In der Zwischenzeit wurde ein zweites, davon unabhängiges Verfahren entschieden. AllesWirdGut aus Wien haben den Wettbewerb zur Neugestaltung der nördlichen Maria-Theresien-Straße gewonnen und schlagen zur Atmosphärenhebung eine Neuzonierung des Freiraums, eine veredelte Stadtmöblierung und nächtliche Inszenierungen vor.

Bauwelt, Do., 2006.12.07

07. Dezember 2006 Eva Maria Froschauer

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