Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Ikone der Moderne. 80 Jahre Bauhaus-Gebäude in Dessau Jan Friedrich
03 Dan-Flavin-Retrospektive in München Sandra Hofmeister
03 Kirchen in der Stadt. Veranstaltungsreihe in NRW Gudrun Escher
04 „Bottom Up“ im AzW in Wien Charlotte Friedrich
04 Zum Hamburger Architektur Sommer Olaf Bartels
04 Martin Stollenwerk: SBB Bauten von Max Vogt Hubertus Adam
05 Mona Breede in Berlin Michael Kasiske

WETTBEWERBE
08 Palais de Justice in Paris Doris Kleilein
10 Entscheidungen
12 Auslobungen

THEMA
14 Wir Flüchtlinge Giorgio Agamben
20 Hannah Ahrendt über den politischen Raum
22 Urban Design durch Zerstörung Eyal Weizman
32 Flüchtlingslager im Tschad Manuel Herz
50 Zwischen Stadt und Krieg Michel Agier
58 Eine kurze Geschichte des Lagers Westerbork Robert Jan van Pelt
62 Neutralität John Palmesino
66 NGO-Stadt Kabul Regina Bittner, Wilfried
Hackenbroich, Kai Vöckler

REZENSIONEN
74 Theorie des Städtebaus Roland Stimpel
74 Sprawltown Susanne Schindler
75 5 Codes Friedrich von Borries
76 Halle-Neustadt Führer Ulrich Brinkmann
76 Building with Earth Jürgen Tietz

RUBRIKEN
06 wer wo was wann
06 Leserbriefe
71 Autoren
72 Kalender
78 Anzeigen

Ikone der Moderne

(SUBTITLE) 80 Jahre Bauhaus-Gebäude in Dessau

Pünktlich zum großen Jubiläum ist die aufwendige Sanierung des Bauhaus-Gebäudes abgeschlossen. Das Haus überrascht mit vielen wiedergewonnenen Details, und eine Geburtstags-Ausstellung huldigt dem Dessauer Weltkulturerbe. Ein Besichtigung der „Ikone der Moderne“ sollte dringend aufs Reiseprogramm.

Ein Geständnis vorab: Vor diesem Besuch anlässlich der Ausstellung zum 80. Jahrestag der Eröffnung des Bauhaus-Gebäudes am 4. Dezember 1926 bin ich nur einmal in Dessau gewesen. Im Sommer 1990. Das war im ersten Jahr des Architekturstudiums – also in einer Phase, in der man beim Betreten dieses mythenbehafteten Zeugnisses der Moderne vor Ehrfurcht unweigerlich weiche Knie bekam. Dass bei dieser ersten Besichtigung gar nicht so viel Originalsubstanz zu sehen war, dass ich nur die Rekonstruktionsversion von 1976 besuchte, kümmerte mich wenig: Das Bild schien ja zu stimmen. Bei den Sanierungsarbeiten 1976 waren die gröbsten Kriegs- und Nachkriegsverunstaltungen beseitigt worden, allem voran hatte man dem seit 1964 denkmalgeschützten Bau endlich die gestaltprägende Vorhangfassade des Werkstättenflügels wiedergegeben, nachgebaut allerdings nicht wie ursprünglich aus Stahl, sondern aus schwarz eloxiertem Aluminium. Zudem war damals die historische Raumfolge der Festebene mit Vestibül, Aula und Mensa wieder hergestellt worden.

Wie wenig ich 1990 tatsächlich von der ursprünglichen Anmutung des Gropius-Gebäudes erleben konnte, wurde mir erst jetzt deutlich, wo das Bauhaus nach der zehnjährigen Sanierung ein Bild zeigt, das dem Original wohl um Vieles näherkommt. Zwar war es keineswegs das Ziel des 1996 beschlossenen Sanierungskonzepts, durchgängig den Urzustand „nachzubauen“, doch Erhalt und Restaurierung der bauzeitlichen Substanz hatten höchste Priorität; dazu wurde eine umfangreiche Materialforschung betrieben, eine regelrechte „Archäologie der Moderne“ (so auch der Titel des Begleitbuchs zur Sanierung). An Stellen hingegen, die wesentlich von der 1976er-Sanierung geprägt sind, wurde dieser Zustand erhalten und ausgebessert; dort, wo die gegenwärtige Nutzung durch die „Stiftung Bauhaus Dessau“ es erforderte, wurden auch Neufassungen vorgenommen.

Das Bauhaus-Gebäude nach der aktuellen Sanierung ist zuallererst ein beeindruckendes Zeugnis dafür geworden, wie stark der Raumeindruck moderner Architektur durch die Oberflächenwirkung von Materialien und Farben bestimmt wird. Im Inneren ist das Haus überraschend „bunt“ geworden. Streng nach restauratorischem Befund wurden Deckenfelder, Unterzüge und einzelne Wände wieder farbig gefasst, ein Bild, das – ob der jahrzehntelangen Überlieferung des Gebäudes als schwarz-weiß fotografierte Ikone – zunächst irritiert. Subtiler, aber umso eindrücklicher: die völlig veränderte Stimmung, die durch die rekon­struierte ursprüngliche Farbgebung in der Aula entstanden ist. Die graue Rückwand, die bräunlichen Bezüge der Klappsitze, vor allem aber der Anstrich der Deckenfelder mit einer „Silberbronze“, der das Tageslicht und das Licht aus der Deckenbeleuchtung der Sofitten sanft reflektiert, geben dem Raum eine festliche Heiterkeit, die in nichts mehr an die kühle Strenge der 1976er-Fassung erinnert. Um der Unterschiede wirklich gewahr zu werden, sei ausdrücklich empfohlen, beim Gang durch das Haus das Begleitbuch mit seinen zahlreichen Vorher-Nachher-Fotos mitzunehmen.

Bauwelt, Do., 2006.12.21

21. Dezember 2006 Jan Friedrich



verknüpfte Bauwerke
Bauhaus Dessau

Räume, Licht und Farbe

(SUBTITLE) Opulente Dan-Flavin-Retrospektive in München

Mit unerschütterlicher Wucht breitet sich das gleißend weiße Licht aus, dringt in alle Winkel des hohen Ausstellungsraums vor. Die Welt scheint sich in ein vielsagendes Nichts aufzulösen, dessen Zentrum an der Stirnseite des Raums prangt wie der Altar in der Hauptapsis einer Kirche. „The nominal three“ nannte Dan Flavin dieses Werk aus sechs vertikalen Lichtstäben, die wie ein Triptychon an der Wand angebracht sind. Gerade so, als ob die Heilige Dreifaltigkeit ein zufälliges Nebenprodukt handelsüblicher Leuchtstoffröhren wäre. Der intellektuelle Anspruch, den diese Arbeit von 1963 nicht ohne Ironie und Doppeldeutigkeit in der Widmung an den Nominalisten Wilhelm von Ockham (1280–1349) formuliert, gehört ebenso wie politische Aussagen zur Kunst von Dan Flavin dazu. Doch das Potential und der Reiz der Werke des 1933 in New York geborenen und vor zehn Jahren verstorbenen Künstlers liegen in der unmittelbaren Erfahrung der Kunst selbst. Seit 1963 arbeitete Flavin ausschließlich mit Leuchtstoffröhren. Er schuf mit diesem banalen Industrieprodukt beeindruckende Lichtszenerien, die er weder als Skulptur noch überhaupt als Kunst gedeutet wissen wollte. Als Susan Sonntag 1964 gegen die Interpretation als Zähmung und Reduktion von Kunstwerken wetterte, könnte Dan Flavin ihr Gewährsmann für die Praxis gewesen sein: Seine nüchternen Leuchtröhren rufen eine Sensibilität sinnlicher Erfahrung auf den Plan, die sich selbst genügt, ganz ohne Worte.

Die Pinakothek der Moderne in München zeigt über 70 Werke des Künstlers und lässt die weihevollen Räume im Ostflügel des Braunfels-Tempels in wohltuend sachlichem Licht erstrahlen. Mehrere Serien Dan Flavins sind in der chronologisch geordneten Retrospektive versammelt. Einige von ihnen, die „Monuments for V. Tatlin“ oder die „icons“, wurden noch nie in diesem Umfang als Werkgruppe gezeigt, sie befinden sich sonst als Einzelstücke über verschiedene private und öffentliche Sammlungen verteilt. Skizzen des Künstlers zu einzelnen Werken und Fotos ergänzen die sehr sorgfältig kuratierte Schau – ein Eindruck, der sich mit jedem Schritt durch die Räumlichkeiten neu präsentiert und dabei verdichtet. So ergießt sich das leuchtende Grün der unbetitelten Lichtbarriere von 1973, die Flavin seinem Freund und Galeristen Heiner Friedrich widmete, in den angrenzenden Flur der Mittelachse, wo es zu pinkfarbener Luft verpufft. Nach längerem Verweilen erst lässt dieses starke Nachbild die Netzhaut los, bis man wahrnimmt: Es ist doch kein rötliches, sondern ein schlichtes weißes Licht, das sich an diesem Herbsttag mit dem fahlen Tageslicht mischt. „Schlicht ist nicht einfach schlicht“, meinte Dan Flavin einmal. „Es ist schlicht anspruchsvoll.“

Bauwelt, Do., 2006.12.21

21. Dezember 2006 Sandra Hofmeister

Kirchen in der Stadt

Drei Dutzend Mitwirkende und Referenten bei fünfzehn Veranstaltungen in sieben Städten in Nordrhein-Westfalen mit Hunderten von Gästen – dies ist die positive Bilanz der zweiwöchigen Programmreihe „Kirchen in der Stadt – erben, erhalten, nutzen“, die der BDA NRW im November veranstaltet hat. Einen Wermutstropfen goss Bischof Genn in Essen auf den Enthusiasmus der dortigen Initiatoren, die in St. Engelbert von Dominikus Böhm „Raumgenuss“ im wahren Wortsinn mit Mittagsimbiss bieten wollten und nicht damit rechneten, dass die Speisung in geweihten Kirchen nicht gestattet ist. Diese Episode ist bezeichnend für die Verständigungsprobleme auf beiden Seiten: bei den Verantwortlichen der kirchlichen Organisationen wie auch bei Planern und in der Öffentlichkeit. In vielen der jetzt beteiligten Städte haben bereits mehrfach Veranstaltungen zum Thema stattgefunden, denn über Kirchenschließungen aus finanziellen und demographischen Gründen wird nun schon seit Jahren heftig diskutiert (Heft 5).

Ob städtebauliche und architektonische Bedeutung von Kirchenbauten, ob Baurecht und Denkmalpflege oder Kirchen als emotionale Orte der Identifikation, es gibt wohl keinen Aspekt, der nicht angesprochen wurde, kein Argument für „weiche“, d.h. kulturell und ethisch akzeptable Umnutzungen, und keines gegen „harte“, die den ursprünglichen Sinn der Kirchenbauten missachten und schädigen, das nicht auf allgemeine Zustimmung gestoßen wäre. In Köln ging Gisberth Hülsmann, ehemals Partner von Emil Steffann und Präsident der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, einen Schritt weiter, indem er der Kirche als Institution das Verfügungsrecht über die Kirchengebäude absprach, denn sie gehörten als Baukultur der Allgemeinheit, Verwaltungsentscheidungen im stillen Kämmerlein seien deshalb nicht akzeptabel. „Allein dieser Maßstab – was bedeuten die Kirchen, die wir gebaut haben, unsere Kirchen, uns, unserer Gemeinschaft – allein diese Frage kann gelten, wenn Kirchen „aus dem Verkehr gezogen“ werden sollen. Mit funktionalem Bedarf und wirtschaftlicher Nutzung zu argumentieren, bedeutet eine unerträgliche kulturverachtende Trivialisierung, Banalisierung jener Werke der Baukunst, die wir Kirchen nennen.“ Und er fragte weiter, wann denn je in ihrer Geschichte Kirchen rentabel gewesen seien. Beim Abschlussgespräch in Düsseldorf äußerte der Landesvorsitzende des BDA Martin Halfmann die Vermutung, dass die marktwirtschaftliche Betrachtungsweise durch die allgemeine Ökonomisierung von Stadt und öffentlichem Raum befördert werde, sie aber auch Zeichen für das Fehlen eines ideellen Konsenses in der Gesellschaft sei.

Ein besonderes Problem stellen die Kirchenbauten der letzten fünfzig Jahre dar, denn fast ausschließlich sie sind betroffen von der Entscheidung, als sogenannte „weitere Kirchen“ nicht mehr liturgisch gebraucht und unterhalten zu werden. Unvermutet sieht sich hier die Architektenschaft selbst angesprochen, denn es sind ihre Positionen, ihre Entwürfe, deren Wertigkeit für die Stadt und die Gesellschaft auf dem Prüfstand steht. Dieser vielfach ungeliebten Moderne müsse Zeit eingeräumt werden zu wirken, so hieß es, aber eine kritische, auch selbstkritische Bewertung bleibe bislang ausgeklammert. Im letzten Vortrag der Reihe beleuchtete Werner Sewing „Architekturen der Identität“ und was die vielfach erhobene Forderung nach Erhalt dieser „Orte der Identität“ für die Bürger eigentlich bedeute, denn Identifizierung sei ein lebenslanger Prozess, dem jeder Einzelne ausgesetzt sei und den er selbst gestalte. Wenn eine Gesellschaft „Identität“ fordere, sei das nichts anderes als Regression – wie in Dresden, wo das Verlangen nach einem „schönen Bild“ den Wiederaufbau der Frauenkirche ermöglichte. Für jede „weitere Kirche“ greife dieser Ansatz aber zu kurz. Der Diskurs über Kirchen sei Teil einer politischen Kultur, der zur Identifizierung gehöre.
Die Landesregierung NRW hat ein Modellprojekt beschlossen, bei dem mit je 20.000 Euro für 14 ausgewählte Kirchengebäude in einem transparenten Verfahren Perspektiven erarbeitet werden sollen. Das politisch und gesellschaftlich relevante Matrial, das in den beiden Programmwochen diskutiert wurde, ist dafür eine gute Basis.

Bauwelt, Do., 2006.12.21

21. Dezember 2006 Gudrun Escher

4 | 3 | 2 | 1