Inhalt

Wochenschau
02 Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne | Dagmar Hoetzel
03 plan 06 in Köln | Gudrun Escher
03 Peter Zumthor: Laudatio auf die Kölner Oper | Uta Winterhager
04 Salvatorgarage in München | Jochen Paul
05 Michaela Meliáns „Föhrenwald“ | Christoph Tempel
06 Entwicklung des Roche-Areals in Basel | Hubertus Adam
07 Werkschau Stefan Forster | Jan Friedrich
07 Novartis-Campus in Basel | Jan Friedrich

betrifft
10 Hans Stimmann, Senatsbaudirektor | Felix Zwoch

Wettbewerbe
12 Rathaus in Gouda (Niederlande) | Doris Kleilein
14 Entscheidungen
16 Auslobungen

Thema
18 Spanische Architekten suchen neue Inhalte | Kaye Geipel
20 Air Trees in Vallecas | Kaye Geipel
26 Tanzschule und Museum in La Coruña | Kaye Geipel
30 Kongresszentrum in Badajoz | David Cohn
36 7 Hyperminimal Articles | Federico Soriano
38 Verwaltungsgebäude in Bilbao | Kaye Geipel
42 Gemischter Block in Barcelona | Kaye Geipel, Jaime Coll und Judith Leclerc
48 Verwaltungsgebäude in Madrid | Kaye Geipel
54 Granitmauer in Santiago de Compostela | Kaye Geipel

rezensionen
60 Die Schweiz – Ein städtebauliches Porträt, Markus Flückiger

Rubriken
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62 Anzeigen

Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne

Die Kolonialgeschichte Afrikas hat viele, manche mehr, manche weniger ausführlich beschriebene Kapitel – das der Architektur ist hierzulande so gut wie unbekannt. Umso verdienstvoller ist die derzeit im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin
ge­zeigte Schau, die sich Asmara widmet. Im Stadtzentrum der im ostafrikanischen Hochland gelegenen Hauptstadt Eritreas befinden sich auf einer Fläche von etwa vier Quadratkilometern rund 400 Bauten, die zusammen eines der weltweit größten erhaltenen Ensembles der klassischen Moderne bilden, vergleichbar mit Tel Aviv oder Miami South Beach.

Ab 1900, als Asmara Hauptstadt der italieni­schen Kolonie Eritrea wurde, entstanden Verwaltungs-, Kultur- und Geschäftsbauten im Zeichen des Historismus, ähnlich wie in anderen Kolonialstädten. Der Großteil des Stadtzentrums wurde aber erst in den 30er Jahren errichtet. Zwischen 1935 und 1941 wuchs die Stadt explosionsartig; sie entwickelte sich von einer Provinzstadt zur afrikanischen Metropole europäischer Prägung mit Bauten in allen Facetten der italienischen Moderne. Zu den schönsten Gebäuden gehören sicher die futuristisch anmutende Tankstelle Fiat Tagliero, deren 30 Meter auskragende Betondächer an Flugzeugflügel erinnern, 1938 erbaut von Giuseppe Pettazzi, und das nur ein Jahr zuvor von Mario Messina errichtete „Cinema Impero“. Mit seiner sehr feinen, sachlich gestalteten Fassade und dem leicht ornamentalen Art-déco-Interieur mit afrikanischen Stuckmotiven gilt es als ein herausragen­des Beispiel der Kinoarchitektur jener Jahre.

Die eigens für die Schau im DAZ gefertigten Mo­delle dieser und drei weiterer Ikonen des italieni­schen Neuen Bauens in Asmara bereichern die Ausstellung, deren Bild- und Planmaterial im Wesentli­chen auf dem Buch „Asmara – Africa’s Secret Modernist City“ von Edward Denison, Guang Yu Ren und Naigzy Gebremedhin beruht. Anschaulich werden die Themen der Moderne (Wohnen, Arbeiten, Verkehr etc.) in Zusammenhang mit Asmara betrachtet, die Ge­nese der Stadt aufgezeigt und die architektonischen Ziele der italienischen Moderne beleuchtet, wobei auch deren Ambivalenz in Asmara reflektiert wird. So stehen die Stadtwerdung und das einzigartige architektonische Ensemble gleichzeitig für den Faschismus und die imperialistische Expansionspolitik Italiens. Mussolini wollte Asmara nach dem Vorbild Roms ausbauen, und der Städtebau diente zur Durchsetzung von ethnischer und sozialer Segregation. Dass die eritreische Bevölkerung die Stadt dennoch im Laufe der Zeit angenommen und eine kulturelle Versöhnung in Form einer nicht von Zerstörung begleiteten Adaption stattgefunden hat, beweist auch die Tatsache, dass das gesamte Stadtzentrum im Jahr 2001 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Darüber und über die Probleme, die bei der Instandsetzung und Restauration der Bauten auftreten – angefangen bei den Materialien, die oft aus Italien importiert worden waren, bis zu den Handwerkern, die mit den damals verwendeten Techniken nicht mehr vertraut sind – berichtet ein in der Schau gezeigter Film.

Die Ausstellung, initiiert von einer deutsch-eritreischen Kulturinitiative, wirft nicht nur Licht auf ein bislang kaum erforschtes Gebiet, sie soll vielmehr auch die Bemühungen unterstützen, Asmara in die Unesco-Welterbeliste aufzunehmen. Nicht zuletzt das könnte ein breiteres Interesse für die afrikanische Moderne in der Architektur wecken, wo es noch Vie­les zu entdecken gibt.

[ Deutsches Architektur Zentrum DAZ, bis 3. Dezember, Di–Fr 10–17, Sa, So 14–18 Uhr ]

Bauwelt, Fr., 2006.10.27

27. Oktober 2006 Dagmar Hoetzel

Rathaus in Gouda

Ende September konnten die Bürger von Gouda zwi­schen zwei Entwürfen für ein neues Rathaus wählen. Sie haben sich für den Vorschlag von Soeters van Eldonk Penec entschieden, der mit einer Reihe von populistischen Argumenten die subtile Arbeit von Claus en Kaan auf den zweiten Platz verwies.

„Wähl Dein eigenes Rathaus!“ – mit diesem Slogan warb Bürgermeister Wim Cornelis um hohe Wahlbeteiligung. Gewählt wurden nicht die Abgeordneten, sondern die Architekten, die das neue Repräsentationsgebäude der Stadt bauen sollen. Das historische Stadthuis, eines der ältesten gotischen Rathäuser des Landes, ist ein Wahrzeichen Goudas: ein Solitär auf dem Marktplatz mit Glockenturm und roten Fensterläden. Das neue „Huis van der Stadt“ soll nördlich des Hauptbahnhofs an der Gleistrasse stehen, wiederum als zeichenhafter Solitär, der die Entwicklung ei­nes neuen Stadtviertels und die Transparenz der Verwaltung selbstbewusst verkündet.

Ein begrenzt offener Realisierungswettbewerb war dem Plebiszit vorausgegangen – 36 Büros bewar­ben sich, fünf wurden eingeladen. Die Jury unter Vorsitz von Jomien Buitenhuis wählte zwei Finalisten; wer von den beiden das 46,5-Millionen-Euro-Projekt bauen wird, darüber sollte nicht das Fachpublikum, sondern das Volk entscheiden. Die Abstimmung trug denn sowohl die Züge einer politischen Wahl wie die einer Fernsehshow. Stimmzettel wurden an alle Haushalte verteilt; wahlberechtigt war, wer in Gouda einen festen Wohnsitz hat und über 14 Jahre alt ist. Die Entwürfe waren an zentraler Stelle zu besichtigen, die Stimmabgabe erfolgte per Briefwahl oder an mehreren öffentlichen Orten. Zu gewinnen gab es ei­nen tragbaren DVD-Player, einen Ipod und einen Restaurantgutschein im Wert von 100 Euro. Eine Sendung auf „Gouwestad TV“ verbreitete das Ergebnis: Entwurf B (Soeters van Eldonc Penek) lag mit 4421 Stimmen vor Entwurf A (3460 Stimmen) von Claus en Kaan – bei 70.000 Einwohnern eine eher geringe Wahlbeteiligung.

Liest man den Erläuterungsbericht der Architekten, so fragt man sich, ob es der Entwurf war, der die Bürger überzeugte, oder die Entwurfsrhetorik. Gewinner Jos van Eldonk scheut sich nicht vor publikumswirksamen Phrasen: Das Rathaus sei ein „echtes Haus“, das mit seiner Backsteinfassade Wärme und Geborgenheit ausstrahle. Zudem sei es transparent (Glasfassade, öffentliche Einrichtungen im EG) und würde der Demokratie zurück zu ihren Wurzeln verhelfen mittels eines frei im Atrium stehenden, ovalen, nach oben offenen Sitzungssaals, dessen farblich wechselnde Hülle die Vielfarbigkeit der Gesellschaft repräsentiere; die griechische Pnyx, ein Ver­samm­lungs­raum unter freiem Himmel, stand Pate. Die „Stroopwaffel“, wie der Entwurf auch genannt wird (das Fassadenmuster ist eine Referenz an das 1784 in Gouda erfundene niederländische Nationalgebäck), erinnert tatsächlich eher an mittelprächtige norddeutsche Kaufhausarchitektur, hat aber vielleicht gerade deshalb ihre Anhänger gefunden.

Auch dem Entwurf von Claus en Kaan hat der Volksmund bereits einen Namen verpasst: Die „Kugelbahn“, ein Hinweis auf die Rampe, die sich hinter der Südfassade ganz nach oben schlängelt und das Rathaus zum Bahnhof hin mit einem „dynamischen Stadtfoyer“ öffnet. Von den Gleisen aus kann das Le­ben im Rathaus beobachtet werden, zugleich ist die Rampe Lärmpuffer für die Büros, die U-fömig an den dem Bahnhof abgewandten Seiten ein Atrium und in den oberen Geschossen Wintergärten umschließen. Besonders überzeugt der Entwurf durch die Fassade, die aus einer unregelmäßigen horizontalen Schichtung aus Glas und dem ortsüblichen Naturstein besteht. Auch dies ist eine Referenz an die Stadt, allerdings übersetzt in eine unaufgeregte architektoni­sche Sprache – wie es scheint, zu leise für das große Publikum.

[ Begrenzt offener Realisierungswettbewerb
Preisträger: Claus en Kaan Architecten, Rotterdam | Soeters van
Eldonk Penec Architecten, Amsterdam
Weitere Teilnehmer: De Jong Gortemaker Algra Architecten, Gouda | Rudy Uytenhaak Architectenbureau, Amsterdam | Van den Oever, Zaaijer & Partners Architecten, Amsterdam ]

Bauwelt, Fr., 2006.10.27

27. Oktober 2006 Doris Kleilein

Künstlicher Baum

3 Air Trees für den neuen Boulevard von Vallecas: Ecosistema Urbano

„Städtisches Ökosystem“ ist kein griffiger Name für ein Büro. Die drei jungen Architekten aus Madrid, deren Türschild in der Calle Estanislao Figueras diesen Namen aufweist, haben gelernt, mit störenden Begriffen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 2004 bauten sie – fast ohne Geld, unter Verwendung von recyceltem Asphalt, geschenkten Pflanzen und mit der Arbeitsleistung von Architekturstudenten – einen „Park in fünf Tagen“. Angesichts des Schneckentempos, mit dem in Madrid öffentliche Räume neu angelegt oder saniert werden, wurde das temporäre Projekt in Alcalá de Henares im Nordosten Madrids von den Zeitungen ausführlich gewürdigt, als „beispielhafte Strategie“. Der Park hielt zwar einer dauerhaften Benutzung nicht stand und wurde inzwischen wieder abgebaut, aber die Lokalpolitik war düpiert, und der Medienrummel um das aus dem Nichts aufgetauchte Gebilde machte das „Städtische Ökosystem“ bekannt.

Der öffentliche Raum in Spanien ist krank, konstatieren die Architekten. Es handelt sich eher um eine Art städtebaulicher Migräne, denn die Planer haben gleich noch eine zweite Metapher parat. Abhilfe soll die Akupunktur bieten. Für das neue Projekt in Vallecas trifft der Name dieser urbanen Strategie ins Schwarze. Die drei Air Trees, von denen der erste als Pilotprojekt vor einem knappen Jahr realisiert wurde – für die beiden anderen werden gerade die Betonfundamente gegossen –, verstehen sich als punktförmige Lösung in einem schnell wachsenden Neubaugebiet. In Vallecas im Südwesten Madrids werden zurzeit 26.000 Wohnungen für 100.000 Bewohner gebaut, die in zwei Jahren bezugsfertig sein sollen. Die Planung sieht große 7-geschossige Blocks vor.

Konzeptionell und architektonisch sind sie von trauriger Einfallslosigkeit, besonders trostlos aber sind die weder mit Läden noch mit Cafés aufgelockerten Sockelzonen der neuen Straßen. Warum der öffentliche Raum so eklatant vernachlässigt wird? Es geht dabei auch um Absprachen zwischen den Investoren und der Stadt. Der Bodenpreis für die große, zentral errichtete Shopping Mall lässt einen Teil des Geldes, mit dem die Stadt die subventionierten Wohnungen mitfinanziert, wieder zurückfließen.

„Es gibt nichts Besseres für den öffentlichen Raum als einen großen, soliden Baum. Weil dieser nicht von heut auf morgen wächst, bauen wir eben Prothesen“, sagen die Architekten. Der künstliche Baum, auch Air Tree – Luftbaum – genannt, ist also eine temporäre Installation, die auf durchschnittlich fünfzehn bis zwanzig Jahre angelegt ist. Sie besteht aus mit Thermofolie bespannten Zylindern, die an einem stählernen, knapp 20 Meter hohen Gerüst fixiert sind. Die Aluminiumfolien kamen zuerst in holländischen Gewächshäusern zum Einsatz, sie halten im Sommer die Hitze zurück und bewahren an kälteren Tagen die Wärme. Die Zylinder ordnen sich über einem kreisrunden Platz, der zu einem schattigen Aufenthaltsort werden soll. Eine Böschung aus grünem Gummigranulat begrenzt den Kreis nach außen; innen gibt es eine rundum laufende Sitzbank aus recyceltem Kunststoff. Auf einer Seite hat die Böschung eine Lücke, von hier aus betritt man das kleine Atrium.

Besonderer Clou des Air Tree ist die Funktion der Röhren. Nach dem „evapotranspirativen System“ werden hier mittels eines Propellers Wasser, das zuvor in spezielle Reservoirs oben in die Zylinder gepumpt wurde, zerstäubt und durch die Röhren nach unten gepustet, so dass es mit jeweils 7 Düsen über dem Platz versprüht werden kann. Beabsichtigtes Ergebnis: Im Klima Madrids, wo auch Ende September noch 35 Grad in der Sonne möglich sind, verspricht der schattige Platz unter dem Baum 8 bis 10 Grad kühler zu sein und außerdem eine angenehme Frische zu spenden. Abgeschaut habe sich die Architekten das System von den Bastikiyas, den Windtürmen arabischer Hofhäuser. Auch beim amerikanischen Pavillon der Expo in Sevilla experimentierte man 1996 mit solchen Water Towers, was damals allerdings nicht richtig funktionierte; statt feuchter Luft zu versprühen, rannen dicke Regentropfen auf die Zuschauer, und das System musste abgeschaltet werden. Heute sind die elektronischen Steuermöglichkeiten präziser, ein Test im Sommer verlief erfolgreich. Die Innenfläche der Zylinder dient auch als Projektionsfläche; der erste Baum ist mit einer inneren Bepflanzung versehen, der zweite weist diverse Spielgeräte auf, und der dritte wird mit Videobildschirmen ausgestattet. Die drei Air Trees sind Bestandteil des „Ökoboulevards“. Mit diesem Konzept gewannen die Architekten einen Wettbewerb für die landschaftliche Gestaltung des Boulevards. Zehn junge Architekten waren dazu eingeladen, von der EU gab es für die Umsetzung Geld aus dem Life Programm. Die vorgesehene Verkehrsplanung krempelten die Architekten von Grund auf um. Ein 15 Meter breites Straßenprofil sollte in der Mitte einen drei Meter breiten Streifen aufweisen. Jetzt wurde der Verkehr auf schmale Standspuren reduziert und die Mittelzone zu einer mit jungen Bäumen bepflanzten Fußgänger-Promenade umfunktioniert. Die drei künstlichen Bäume sollen, so die Idee, als Social Dynamizer funktionieren, bis in zehn, fünfzehn Jahren die Jungpflanzen gleichgezogen sind.

Mit ihren heterogenen Bestandteilen wirken die Air Trees überinstrumentiert und in mancher Hinsicht an den Haaren herbeigezogen – eine unbestreitbare Faszination ist den theatralischen Freilufträumen aber nicht abzusprechen. Das Problem liegt im Konzept des „Ökoboulevards“: um die drei zwischen 500.000 und 900.000 Euro teuren Air Trees zu finanzieren, muss der restliche Boulevard so billig wie möglich werden. So werden die auffälligen Konstruktionen zu einer fragwürdigen Medizin, aufgedonnerte Symbole in einem kärglich zusammengeschrumpften Public Space. Mehrere Kommunen aus dem Mittelmeerraum interessierten sich bereits für die Air Trees, von einem möglichen Exportprodukt ist die Rede. Ob sich in anderthalb Jahren die Bewohner von Vallecas unter den silbernen Glocken zusammenfinden werden, ist noch nicht ausgemacht.

Bauwelt, Fr., 2006.10.27

27. Oktober 2006 Kaye Geipel

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