Editorial
Hinter Glas
Wenn ein Gebäude heute repräsentativ oder speziell wirken soll, greift die Architektur nicht mehr zwangsläufig auf die traditionellen Materialien wie Marmor oder Granit, Beton und Stahl zurück, sondern immer häufiger zum Werkstoff Glas. Mit neuen filigranen Kristallpalästen wollen auch traditionsbewusste Unternehmen Offenheit und Transparenz demonstrieren, und bei jeder Gelegenheit folgen ambitionierte Investoren und stilbewusste private Bauherrschaften dem Trend zur Glasfassade.
Die aktuelle Bedeutung des Bauens mit Glas wäre undenkbar ohne die materialtechnologische Forschungs- und Entwicklungsarbeit der letzten Jahrzehnte. Aus dem von Natur aus spröden, bruchgefährdeten und mechanisch wenig belastbaren Werkstoff Glas ist ein vielseitiger Baustoff entstanden. Er überspannt – ohne stützenden Metallrahmen, an wenigen Punkten fixiert – grosse Flächen, widersteht den Umwelteinflüssen, vermag beachtliche mechanische Beanspruchungen aufzunehmen und bleibt transparent: ein eindrückliches Beispiel für die Evolution altbekannter Werkstoffe in den letzten 50 Jahren. Die zweite Grundlage für die Realisierbarkeit anspruchsvoller Glaskonstruktionen sind leistungsfähige, für die spezifischen konstruktiven Aufgaben optimierte Informatikwerkzeuge. Die Konstruktion einer grösseren, seilverspannten und rahmenlosen Verglasung wäre ohne Rechnerunterstützung kaum möglich.
Im ersten Beitrag werden am Beispiel der repräsentativen Eingangsfassade eines Bürogebäudes die ausgeklügelte Ingenieurbaukunst und die umfangreichen Computermodellierungen vorgestellt, die den schwerelosen Eindruck des vorgehängten Glaskörpers ermöglichen. Dass innovative Fassadengestaltung mit Glas auch mit minimalen Mitteln möglich ist, zeigt der zweite Beitrag über die Sanierung eines Bürohauses in Zürich. Durch die schlichte Einfassung der Fensterlaibungen mit farbigem Glas entsteht je nach Lichteinfall ein dreidimensionaler Umraum mit perspektivischer Tiefe um jedes Fenster, im kleinen Rahmen vergleichbar der Wirkung einer vorgehängten Glasfassade vor einem Gebäude.
Eine dritte Voraussetzung für die erfolgreiche Realisierung verglaster Bauwerke betrifft weniger die Verglasung selbst als den Raum dahinter, genauer dessen Klima. Seit Joseph
Paxtons Crystal Palace für die Londoner Weltausstellung 1851 ist das Innenraumklima ein Hauptproblem grosser verglaster Gebäude. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass es nicht ausreicht, den verglasten Raum mit grossem Energieaufwand einfach zu heizen oder zu kühlen. Erst in den letzten Jahren sind intelligente, effiziente und energetisch optimierte integrale Konzepte für die Kontrolle des Klimas in grossen, verglasten Gebäudevolumen verfügbar geworden. Dank ihnen sind «Glaspaläste» heute eine ökonomisch valable und auf Grund ihrer verbesserten Energiebilanz ökologisch akzeptable Option für grosse Bauvolumen.
Wege zur weiteren energetischen Optimierung von Gebäuden zeigt der im letzten Beitrag vorgestellte neue «Effizienzpfad Energie» des SIA auf. Insbesondere für Bauten mit verglasten Fassaden sind von der im «Effizienzpfad» postulierten energetischen Gesamtbetrachtung mit Berücksichtigung der Grauen Energie der Baumaterialien interessante Ergebnisse zu erwarten.
Aldo Rota
Inhalt
Filigrane Konstruktion
Daniel Meyer
Die Eingangsfassade des von Richard Rogers gebauten Bürogebäudes K2 am St Katherine¹s Dock in London ist eine vorgespannte Seilfassade mit punktbefestigten Gläsern, deren Konstruktion aufgrund der unregelmässigen Windlasten eine besondere Herausforderung darstellte.
Schattenriss
Lilian Pfaff
Der Umbau des 1970er-Jahre-Gebäudes an der Mühlebachstrasse in Zürich besticht durch seine sich verändernde Fassadenwirkung und die städtebauliche Präzisierung und Vervollständigung der Strassenzeile.
Energieeffizienz
Hansruedi Preisig, Katrin Pfäffli
Das neue Instrument «SIA Effizienzpfad Energie» hilft die energetischen Ziele umzusetzen und löst den «Absenkpfad Energie» von 1996 ab.
Magazin
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Schattenriss
Das Bauvolumen der in die Jahre gekommenen Gebäude ist gross. Vor allem die 1970er-Jahre-Architektur genügt heute den technischen Anforderungen nicht mehr, ebenso wenig wie jenen an die Innenaumstrukturen für Büroräume. Wie aus einer Sanierung eine städtebauliche Präzisierung entstehen kann, zeigt der «fast selbstverständlich wirkende» Eingriff an der Mühlebachstrasse 7, Zürich.
Die Mühlebachstrasse beim Bahnhof Stadelhofen erinnert im Namen noch an die Eindolung des Mühlebachs, der hier das Gebiet Riesbach von der Altstadt Ende des 19. Jahrhunderts abgrenzte. Die meist zu Wohn- oder Gewerbezwecken genutzten Gebäude standen als Einzelgebäude in einem lockeren Verband und wurden in den 1960er-Jahren zunehmend verdichtet. Mit dem Umbau von Dolenc Scheiwiller Architekten AG, der die 1970er-Jahre-Erscheinung des Gebäudes vollständig verändert, wird der Strassenzug der Mühlebachstrasse ergänzt und der südliche Abschluss des Platzes am Bahnhof Stadel-hofen präzisiert. Obwohl eigentlich nur die Fenster, kaum das Volumen tangiert wurden, ergibt sich heute eine neue städtebauliche Situation. Zusammen mit dem Ensemble von Wohnhäusern aus den 1920er-Jahren, die von Romero&Schaefle 1994 und 1999 als Bürohaus für das Ingenieurbüro Ernst Basler&Partner umgebaut wurden, reparieren sie die Stadt und lassen die 80 m lange Strassenfront in ihrer Länge erlebbar werden. Das Haus Nr. 7 bildet nun in der Verlängerung einen neuen Kopfbau zum Bahnhof Stadelhofen aus. Der Vorgängerbau war 1971 mit einer Rasterfassade «curtain wall» im internationalen Stil der Nachkriegsmoderne errichtet worden und wurde bis auf die Tragkonstruktion abgerissen. Die Intervention umfasst zum einen die Schliessung der Baulücke mit einem neuen Anbau zum Nachbargebäude von Romero&Schaefle, zum anderen die vollständige Sanierung der Fassade und das Aufsetzen eines zusätzlichen Geschosses auf dem Dach.
Haus auf dem Haus
Das neue Attikageschoss auf dem fünfgeschossigen Gebäude dient mit einer grossen umlaufenden Terrasse als Sitzungszimmer. Es ist ein gestaffeltes Volumen (mit integriertem Liftturm), das in seiner Form den im Baugesetz vorgesehenen Richtlinien und Begrenzungen folgt und dadurch eine skulpturale Gestalt erhält, die noch deutlicher von der Terrasse zwischen den beiden Häusern ins Auge sticht. Denn hier wird die Häuserzeile unterbrochen, und das Attikageschoss präsentiert sich als aufgesetztes Haus, dessen Hauptfassade dem Platz zugeneigt ist – während der Terrasse die Eingangsfassade mit drei unterschiedlich tiefen und grossen Fenstern zugewandt ist. Die eigentliche Sanierung fand vor allem an der Fassade statt – nicht nur optisch, sondern auch die Technik wurde an ihrer Innenseite implementiert.
Fassadenspiel
Die einstigen eng aneinandergereihten Fenster wurden zu grossen hochrechteckigen Fenstern mit Massen von 2.3031.60 m, die durch ihre Grösse und klare Unterteilung ohne Brüstungen an Wohnhäuser erinnern und sich in das bestehende Stützenraster von 1.35 m einpassen. Die zweiflügligen Fenster sind wegen der Akustik und der Klimatisierung als dreifach verglaste Strukturgläser ausgeführt. Die Fensterlaibungen wurden mit gelbem Glas eingefasst, das asymmetrisch um 8–22 cm hervorsteht und gleichsam einen rechteckigen Guckkasten – also ein Gehäuse – um das flache Fenster zieht. Dieses verändert die Fassadenoberfläche je nach Lichteinfall einerseits zum Schattenriss des Fensters, andererseits durch die transparenten überlagernden Schatten zu einem dreidimensionalen Umraum mit perspektivischer Tiefe. Die goldfarbenen aussen liegenden Storen geben dem Haus in geschlossener Form wiederum ein anderes Gesicht. Der gesamte Fassadenaufbau besteht aus Holzrahmen in vorfabrizierten Elementen, auf denen der Kratzputz aufgetragen wurde.
Haustechnik
Das Gebäude ist mit energieschonenden Heizungs- und Lüftungssystemen ausgerüstet. Die neue Apparatetechnik befindet sich auf dem Dach im zusätzlichen Technikgeschoss. Alle Büroräume werden von dort mit konditionierter Aussenluft versorgt, die auf dem Niveau der Raumlufttemperatur in die Büros gelangt. Die verbrauchte und erwärmte Abluft strömt zur Zentrale, wo sie über Wärmetauscher geführt die Aussenluft aufwärmen kann. Geheizt und gekühlt wird mit der Brüstungs-technik. Stromsparende Umluftventilatoren führen die Raumluft über grossflächig dimensionierte Wärmetauscher, die entweder Wärme abgeben oder im Sommer Wärme übernehmen können. Jeder Benützer kann seinen Bedürfnissen entsprechend sowohl die Raumlufttemperatur als auch die Ventilatordrehzahl wählen. Automatische Aussenstoren reduzieren den Lichteinfall, weitgehend frei liegende Massivdecken ermöglichen die Massenbewirtschaftung, und zusammen mit dem eingerichteten Nachtauskühlbetrieb wird der Stromaufwand bei der Kältemaschine auf ein Minimalmass reduziert.
Büronutzung
Um die Dachaufbauten tragen zu können, wurde die zentrale Stütze verstärkt und in der Höhe erweitert. Auf ihr liegt im Dachbereich ein grosses Stahlkreuz, an dem die neuen Aufbauten hängen. Das vorhandene Stützen-raster im Abstand von 1.35 m wurde beibehalten. Obwohl es vornehmlich immer noch Einzelbüros sind, liegen diese an einem grosszügigen offenen inneren Gangsystem, von dem sie nur über Glastüren abgetrennt sind. Im Erdgeschoss führt ein schräger Dachvorsprung, auf dem in grossen Buchstaben die Strasse angeschrieben ist, die Bewegung vom Platz in Richtung Eingang. Im Unterschied jedoch zum Vorgängerbau, bei dem eine leichte Gebäudeauskragung den Strassenverlauf nachzeichnete, wird diese nun zu einem eigenständigen Vordach entwickelt.TEC21, Mo., 2006.08.21
21. August 2006 Lilian Pfaff
Effizienzpfad Energie
Das neue Instrument des SIA, das den «Absenkpfad Energie» von 1996 ablöst, bezieht sich auf fünf Themenbereiche mit dem Schwerpunkt Wohnungsbau. Es berücksichtigt erstmals auch die Graue Energie des Baumaterials sowie die Mobilität, die durch Bauvorhaben entsteht.
Im Vorwort zur neuen Dokumentation D0216SIA Effizienzpfad Energie formuliert Daniel Kündig, Präsident des SIA, Folgendes: «In seinen Statuten verpflichtet der SIA seine Mitglieder zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Berufsausübung. Die nachhaltige Entwicklung im Bereich des Hochbaus ist eng mit der Energiefrage verknüpft. Diese steht dabei symptomatisch für sich erschöpfende Ressourcen und die zunehmende Belastung des Lebensraums mit Abfallstoffen aller Art, insbesondere dem klimarele-vanten CO2 aus fossilen Brennstoffen.»1 Das neue Instrument hilft, die energetischen Ziele, wie sie im Kioto-Protokoll und in der Schweizer Bundesverfassung festgeschrieben sind, umzusetzen. Es ist auf Initiative der Kommission für Haustechnik und Energie (KHE) des SIA entstanden und ersetzt den «Absenkpfad Energie» von 1996.
Zielgruppen – Nutzungen – Themenbereiche
Der «SIA-Effizienzpfad» wendet sich an drei Zielgruppen: Politiker und Behörden, Bauherrschaften und Investierende sowie Planende. Für jede Zielgruppe formuliert er spezifische Anreize und Strategien. Er berücksichtigt drei Nutzungen: Wohnen, Schulen und Büro, wobei der Schwerpunkt auf Wohnbauten liegt. Betrachtet werden Neubauten wie auch Umbauten.
Die Dokumentation erweitert die Sicht innovativ auf fünf Themenbereiche. Neben den klassischen Bereichen Raumklima, Warmwasser und Licht+Apparate bezieht er erstmals den Themenbereich Baumaterial (Graue Energie) in die Betrachtung mit ein und zeigt deren grosse Bedeutung auf. Als fünfter Bereich kommt die durch Bauvorhaben induzierte Mobilität hinzu und damit eine Dimension, die über das Gebäude hinaus in das siedlungs- und städtebauliche Umfeld verweist. Die zwei neuen Bereiche Baumaterial und Mobilität haben beim SIA zur Bildung von Arbeitsgruppen geführt, die ihre Arbeit in der zweiten Hälfte 2006 aufnehmen werden.
Zielwerte
Die Zielwerte des «SIA-Effizienzpfads» basieren auf Primärenergie. Dies ermöglicht eine vergleichende Betrachtung der fünf Themenbereiche. Er gibt in Anlehnung an die Europäische Norm prEN 15315 Vorgaben für die Umrechnung von Primär- zu Endenergie und von der End- zur Nutzenergie. Die Zielwerte sind mit Plausibilitätsrechnungen realisierter Bauten hinterlegt. Es ist nicht einfach, aber durchaus machbar, heute Bauten zu erstellen, welche die neuen Zielwerte erreichen oder gar unterbieten.
2000-Watt-Gesellschaft
Der «SIA-Effizienzpfad» zeigt, wie das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft im Gebäudebereich erreicht werden kann. Er ermöglicht mit zwei abgestuften Zielwerten ein 2000-Watt-kompatibles und -fähiges Bauen. Michael Kaufmann sagt dazu einleitend in seinem Vorwort: «Es ist höchste Zeit, dass wir nicht nur von den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft sprechen, sondern auch vom Weg, wie wir zu diesen Zielen gelangen. Der ‹Effizienzpfad weist uns diesen Weg.»2
Umsetzung
Die neue Dokumentation gibt klare Hinweise für die Umsetzung. Sie ordnet konkrete Massnahmen für alle fünf Themenbereiche mit Hilfe des Leistungsmodells SIA 112 den verschiedenen Phasen des Bauablaufs zu, angefangen bei der strategischen Planung über die Vorstudien und Projektierung, Ausschreibung und Realisierung bis hin zur Inbetriebnahme, Bewirtschaftung und Nutzung. In einem alphabetisch geordneten Katalog sind die Massnahmen detailliert beschrieben und mit ausführlichen Hinweisen auf weiterführende Quellen hinterlegt.
Unsicherheiten
Der «SIA-Effizienzpfad» kann nicht alles, was wünschbar wäre, bereits abschliessend behandeln. Es bleiben insbesondere Unsicherheiten in der Betriebsphase.
Die Nutzerinnen und Nutzer sind nicht im Fokus des Effizienzpfades, obwohl sie den effektiven Energieverbrauch massgeblich beeinflussen. Hingewiesen wird aber auf bauliche Massnahmen, die helfen, den Energieverbrauch im Betrieb zu senken.
Erste Erfahrungen
Beim Studienauftrag der Wohn- und Gewerbeüberbauung Sihlbogen in Zürich Leimbach3 ist der «SIA-Effizienzpfad» bereits erfolgreich angewendet worden. Die Baugenossenschaft Zurlinden als Investorin hat im Wettbewerbsprogramm nicht nur ein attraktives Wohnen, hohe Flexibiliät und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gefordert, sondern auch eine vorbildliche Bauweise nach den Zielen des «SIA-Effizienzpfades». Die projektierenden Teams hatten bereits in der Vorprojektphase Zielwerte für ein 2000-Watt-kompatibles Bauen zu erreichen. Das Siegerprojekt des Architekturbüros Dachtler Partner AG in Horgen vermag auf eindrückliche Weise zu zeigen, dass sich hohe funktionelle, finanzielle und energetische Anforderungen nicht widersprechen, sondern zu einem Projekt von hoher architektonischer Qualität führen können.
Interdisziplinäres Team
Im Projektteam des Effizienzpfades arbeiteten Fachleute interdisziplinär zusammen. Neben Architektinnen und Architekten auch Haustechnikplaner, Chemiker und Verkehrsplaner. Die Leitung des Teams lag bei H.R.Preisig, wissenschaftliche Mitarbeit K.Pfäffli. Fachexperten pro Bereich: Baumaterial (Graue Energie) U.Kasser, Raumklima H.Huber, Licht+Apparate J. Nipkow, Mobilität S.Schneider, Qualitätssicherung U. Schäfer, K. Viridén.TEC21, Mo., 2006.08.21
21. August 2006 Hansruedi Preisig, Katrin Pfäffli