Editorial
Energie sparen und Kultur pflegen!
Noch eifriger als sonst werden gegenwärtig Gebäude saniert, der hohe Ölpreis befeuert noch die landesübliche Liebe zum Renovieren. Das Parlament diskutiert Effizienzprogramme und verschärfte Verbrauchsnormen, denn die CO2-Emissionen wachsen immer noch. Ohne Rückgang des Energieverbrauchs verpasst die Schweiz die CO2-Reduk-tionsziele, zu denen sie sich im Kyoto-Protokoll verpflichtet hat. Bund und Kantone fördern deshalb energietechnische Sanierungen. Die Stiftung Klimarappen, finanziert aus den von der Erdölbranche freiwillig erhobenen 1.5 Rappen pro Liter Treibstoff, hat ein Gebäudeprogramm lanciert, das die Wärmedämmung und die Erneuerung von Fenstern bei Wohn- und Geschäftsbauten fördert. 2008 bis 2012 sollen 182 Mio. Fr. Fördergelder eine Reduktion von 500000t CO2 bewirken (vgl. tec21 26/2006, S.38).
Die Baumessen spiegeln diese Bemühungen. An der «Bauen & Modernisieren» in Zürich (31.8.–4.9.), wo 35000 Besucher erwartet werden, haben rund die Hälfte der Sonderschauen und viele Vorträge mit dem Thema Energie zu tun; die Stiftung Klimarappen stellt ihr Gebäudeprogramm vor. Auch die «Lurenova» in Luzern (5.–8.10.) boomt, viele der 300 Aussteller bieten dort Produkte aus dem Energiebereich an. Die Sonderschau «bau-schlau» wirbt für Energieeffizienz und ein Musterhaus zeigt, wie das aussehen kann.
Das sind gute Nachrichten aus Sicht des Klimaschutzes – aber aus kultureller Sicht geben sie Anlass zur Sorge! Denn nun drohen noch mehr wertvolle Fassaden unter Schaumstoff, Dämmputz und Blech zu verschwinden. Kulturhistorisches Erbe der Energiesanierung zu opfern ist aber nicht nachhaltig. Nachhaltige Entwicklung umfasst auch die Pflege vorhandener kultureller Werte. Die Internetseite des Bundesamts für Kultur (BAK) verkündet: «Der Heimatschutz trägt zur nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft bei und ist Teil der entsprechenden Strategie 2002 des Bundesrats. Ein sorgsamer Einbezug der historischen Bausubstanz ist bei ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Planungen unabdingbar.» Es müsste nicht sein, dass die Energiepolitik das Anliegen der Denkmalpflege untergräbt, denn die beiden Aspekte lassen sich verbinden. Damit das geschieht, ist eine breite Sensibilisierung der Hausbesitzer nötig. Doch in den Messeprogrammen sucht man vergeblich eine Sonderschau oder einen Vortrag zum Umgang mit historischer Bausubstanz.
Wie wäre es, wenn das BAK, zu dessen Aufgaben gehört, Anliegen der Denkmalpflege einem breiten Publikum zu vermitteln, an den Baumessen präsent wäre? Zusammen mit kantonalen Denkmalpflegen, (Fach-)Hochschulen und spezialisierten Firmen könnte es dort den zahlreichen Hauseigentümern Informationen über den kulturhistorischen Wert ihrer Bauten liefern und über Umbaumethoden, welche energietechnische und denkmalpflegerische Aspekte verbinden, informieren. Die Messen stehen unter dem Patronat der Hauseigentümerverbände. Auch diesen stünde es nicht schlecht an, sich für die kulturellen Werte in den Häusern ihrer Mitglieder einzusetzen.
Dieses Heft präsentiert drei Umbauten, die bewusst – aber sehr unterschiedlich – mit historischer Substanz umgehen. Von den Methoden, die hier an einer Schule, einem Museum und einer Bank erprobt werden, kann auch beim Umbau von Privathäusern profitiert werden. Ruedi Weidmann
Inhalt
Kernschmelze
Axel Simon
Der Hauptsitz der Graubündner Kantonalbank in Chur wurde von Jüngling und Hagmann erweitert. Sie entwarfen eine strassenseitige Verlängerung und eine Konstruktion im Innenhof, die von Orangerien inspiriert ist.
Innige Umarmung
Maren Harnack
Der Umbau eines Schulhauses im Londoner Stadteil Elephant & Castle zum Hauptquartier einer zeitgenössischen Tanzkompanie zeigt, wie gerade mit Respektlosigkeit dem Altbau Ehre erwiesen wird.
Neue Gebäudetechnik im Kunsthaus Zürich
Katja Hasche
Die neue Gebäudetechnik des Kunsthauses musste die hohen raumklimatischen Anforderungen an moderne Kunstmuseen erfüllen und dabei sorgsam in die denkmalgeschützten Räume eingepasst werden.
Kostenprognosen
Urs Hess-Odoni
Ein neues Bundesgerichtsurteil führt zur Verschärfung der Haftung von Architekten und Ingenieuren für Kostenschätzungen und Kostenvoranschläge.
Reibschweissen
von HolzBernhard Stamm und Yves Weinard
Das Reibschweissverfahren zur Herstellung von kraftschlüssigen Verbindungen zwischen Holzteilen wird an der EPF Lausanne untersucht.
Magazin
Klimawandel / Kunst und Smog / Probebohrungen / Wasserknappheit / Richard La Nicca / Gretzenbach / Entschädigung für Grundbesitzer / Sondermülldeponie / Tourismusprojekt Andermatt / Ausbau der Oberengadiner Skigebiete / Stade de Suisse / Koffein im Wasser / In Kürze
Aus dem SIA
SIA-Service / Wahlen in Kommissionen im 1. Semester 2006 /
Berufshaftpflichtversicherung für Planer
Produkte
Veranstaltungen
Neue Gebäudetechnik im Kunsthaus Zürich
Kunstmuseen müssen heute einen grossen technischen Aufwand leisten, um die internationalen Klima- und Sicherheitsstandards für Leihgaben zu erfüllen. Ist wie im Fall des Kunsthauses Zürich auch das Gebäude schützenswert, müssen bei der Sanierung die Bedürfnisse von Kunst, Gebäude und Publikum sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Das Kunsthaus Zürich besteht aus drei Gebäudeteilen: Der Hauptbau von 1910 mit niedrigerem Seitenflügel sowie die erste rückwärtige Erweiterung von 1924 stammen von Karl Moser. Den Anbau mit dem grossen Bührle-Saal für Wechselausstellungen, Restaurant und Vortragssaal bauten 1958 die Gebrüder Pfister; die rückwärtigen Erweiterungsbauten erstellte Erwin Müller 1976.
Um weiterhin Leihgaben zu erhalten und mit international renommierten Kunstmuseen konkurrieren zu können, muss das historische Gebäude die gleichen klimatischen Normwerte erfüllen wie ein Neubau. Während der vier Jahre dauernden Renovation (2001–05) wurde deshalb die Haustechnik vollständig erneuert. Die einzelnen Ausstellungsräume wurden auf den neusten Stand von Klima-, Licht- und Sicherheitstechnik gebracht und denkmalpflegerisch restauriert; strukturell wurde nur wenig verändert. Um den Museumsbetrieb aufrechtzuerhalten, wurden die Arbeiten in Abschnitte unterteilt. Insgesamt verursachten die gebäudetechnischen Massnahmen mit den begleitenden Baumassnahmen rund zwei Drittel der gesamten Renovationskosten von rund 50 Mio. Franken.
Seit Herbst 2005 ist das gesamte Museum wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Doch die Optimierung des technischen Betriebs wird erst in diesem Sommer abgeschlossen sein, denn die hochflexible Gebäudetechnik bedingt eine präzise Justierung. Sie muss grosse jahreszeitliche und betriebliche Schwankungen berücksichtigen. Dazu gehören auch Extremsituationen wie die Monet-Ausstellung im letzten Herbst mit bis zu 900 Besuchern im Saal. Doch bereits wenige Monate nach der Sanierung wiesen die gemessenen Temperatur- und Feuchtewerte ein so konstantes Raumklima aus, dass momentan die Optimierung der Energiekosten im Vordergrund steht.
Die Überwachung der technischen Anlagen erfolgt heute während 24 Stunden. Die Gebäudeautomation umfasst die Bereiche Gebäudetechnik, Raumluftklimatisierung, Kunst- und Tageslichtregulierung sowie die Alarmierung von Brand- und Diebstahlschutz. Diese wird bei einem Totalausfall durch ein redundantes Meldesystem ersetzt.
Wenig Platz für die Haustechnik
Die Sanierung der Haustechnik konzentrierte sich aus Kostengründen auf die älteren Gebäudetrakte und sparte den Müller-Bau aus. Das zentrale Anliegen sowohl von Seiten der Denkmalpflege als auch der Gebäudetechniker war, die lüftungstechnischen Anlagen aus den Dachräumen über den Oberlichtern in die Kellerräume zu verlegen. Denn die Installationen verringerten den ursprünglich beabsichtigten Tageslichteinfall in die Ausstellungsräume, und sie waren bei den extremen Temperaturen im Dachbereich von bis zu 70°C schadenanfällig.
Ein grosses Problem stellten die begrenzten Räumlichkeiten des Kunsthauses dar. Laut Arnold Brunner vom Ingenieurbüro Brunner Haustechnik AG, das für die Planung der Gebäudetechnik zuständig war, sollten bei einem Museum normalerweise etwa 30 % des Gebäudevolumens für Gebäudetechnik zur Verfügung stehen. Im Fall des Kunsthauses Zürich waren es jedoch nur 15 %. In den Moser-Bauten wurde nur wenig Platz für die gebäudetechnische Ausstattung vorgesehen. Da-mals wurde über die Fenster oder die in den Oberlichtern integrierten Lüftungsklappen gelüftet. Auch begnügte man sich mit weniger Kunstlicht als heute und passte die Öffnungszeiten an das Tageslicht an. Zwar wurden die obersten Räume der Moser-Bauten später klimatechnisch nachgerüstet, trotzdem wiesen sie vor der Sanierung grosse Temperatur- und Feuchteschwankungen auf. Erst die jüngeren Erweiterungsbauten der Gebrüder Pfister und von Erwin Müller verfügten über ein integriertes Lüftungs- und Beleuchtungssystem.
Die Verlegung der Technikzentralen in die Untergeschosse erforderte aufgrund des begrenzten Raums eine präzise Koordination. Für die Optimierung der Installationen innerhalb der Technikzentralen wurden deshalb sogar 3-D-Planungen erstellt. Heute befindet sich in den Untergeschossen der Moser-Bauten 2 und 3, des Pfister- und des Müller-Baus je eine Lüftungszentrale. Um die darüber liegenden Ausstellungsräume akustisch nicht zu beeinträchtigen, wurden die Lüftungsgeräte und -kanäle mit Schalldämpfern ausgestattet.
Die Aussenluftaufbereitung ist für insgesamt etwa 1250 Personen konzipiert und erfolgt leistungsbezogen: Je mehr Besucher sich im Museum befinden, desto mehr Aussenluft wird der Umluft beigemischt. Zur Energiekostensenkung wird die bei der Aufbereitung entstehende Wärme, ebenso wie die Abluftwärme, in die Wärmerückgewinnung eingespeist und wieder verwendet. Ab einer Aussentemperatur von >5°C fungiert auch die Kältemaschine als Wärmepumpe. Die Wärme- und die Kältezentrale im Untergeschoss des Pfister-Baus sind so ausgerüstet, dass sie im Notfall durch den Anschluss einer mobilen Heiz- bzw. Kältezentrale unterstützt werden können.
Prinzip Quelllüftung
Die Verteilung der gebäudetechnischen Leitungen vom Untergeschoss in die einzelnen Obergeschosse erfolgt über zwei neue Schächte zwischen den Moser-Bauten 1 und 3. Sie wurden als Wandverdickungen ausgebildet und übernehmen gleichzeitig eine statische Funktion für die erhöhten Anforderungen an die Erdbebensicherheit. Die horizontalen Lüftungsinstallationen werden in den meisten Bereichen unter den abgehängten Decken installiert.
Gelüftet wird nach dem Prinzip der Quelllüftung. Dabei strömt die Zuluft im unteren Wandbereich ein, steigt auf und wird über die Staubdecke geführt, wo sie gefasst wird. Die Abluftauslässe befinden sich immer im Deckenbereich; von Raum zu Raum wurden hier individuelle Lösungen gefunden. In den Räumen ohne Brüstungen strömt die Zuluft über offene Schlitze im unteren Wandbereich ein. Durchgangsräume werden mit der überströmenden Zuluft aus den benachbarten Räumen belüftet, was allerdings zu leichten Temperaturunterschieden (maximal 1°C) von Raum zu Raum führen kann.
Neue Klimatechnik und Denkmalpflege
Die Planungen bewegten sich im Spannungsfeld zwischen technischen Anforderungen, denkmalpflegerischen Anliegen und baulichen Vorgaben und Vorschriften. Die denkmalpflegerischen Auflagen waren für die Ausstellungsräume innerhalb der kantonal geschützten Moser- und Pfister-Bauten unterschiedlich. Die höchste Schutzstufe umfasste die zentrale Erschliessung und die T-förmige Raumabfolge im ersten Obergeschoss (Böcklin-Saal, Füssli-Saal und anschliessende Kabinette) sowie den Munch-Saal mit gegenüberliegendem Loggia-Saal in den Moser-Bauten.
Peter Baumgartner, Leiter Bauberatung bei der kantonalen Denkmalpflege und Dozent für historische Haustechnik, legte bei der Renovation auch Wert auf den Erhalt schützenswerter Haustechnikanlagen. In den Ausstellungsräumen wurden die denkmalgeschützten Heizkörpernischen für die Einführung der Zuluft und die Kabelkanäle genutzt. Im Bührle-Saal konnten die denkmalgeschützten Zuluftauslässe als Abluftelemente umgenutzt werden. In den anderen Oberlichtsälen wurden einzelne Glaselemente durch eigens entworfene Lüftungsgitter ersetzt, und die originalen, in den Oberlichtern integrierten mechanischen Lüftungsklappen blieben erhalten. Die bestehende Bodenheizung im Bührle-Saal wurde zum Change-over-System umfunktioniert und kann heute bei publikumsstarken Wechselausstellungen als Bodenkühlung eingesetzt werden.
Beim Abwägen zwischen Denkmalpflege und der Anforderung, überall ähnliche Klimawerte zu erzielen, musste man gewisse Kompromisse eingehen. So wurden saisonal unterschiedliche Grundtemperaturen bei einem langsamen Wechsel toleriert, ausserdem einigte man sich darauf, die geforderten Raumluftqualitäten nur bis zu einer für die Kunstwerke ausschlaggebenden Höhe von etwa 2.50 m einzuhalten. Theoretisch sei heute eine unabhängige Bespielung der Räume möglich, erklärt Sacha Wiesner vom ausführenden Architekturbüro sam Architekten, seiner architektonischen Qualitäten wegen werde aber nach wie vor der Bührle-Saal für Wechselausstellungen genutzt.
Im Eingangsfoyer wurden im Bereich des Cafés das Fussbodenniveau erhöht und eine Fussbodenheizung integriert. Hier strömt die Luft über ebenerdige Gitter entlang der Glasfassade zum Museumshof in das Foyer ein und wird in den Deckenfeldern im Bereich der indirekten Beleuchtung abgesogen. Im Foyer erfolgten die grössten architektonischen Eingriffe. Um den Raum in seiner ganzen Breite zu öffnen, wurden die Garderobe und der Museumsshop in den rückwärtig angrenzenden Moser-Bau 3 verschoben.
Gemischte Beleuchtung
Das Beleuchtungskonzept für die Ausstellungsräume basiert auf einer Kombination von indirektem Tageslicht, indirektem Kunstlicht und direktem Kunstlicht in Form von Spots. Im Moser-Bau waren noch zwei originale Lampen vorhanden. Um in den Oberlichtsälen einen nahtlosen Übergang vom indirekten Tageslicht zum Kunstlicht zu erreichen, wurden oberhalb der Lichtdecken Leuchtstoffröhren angebracht. Die Menge des einfallenden Tageslichts wird durch ein mechanisches Sonnenschutzsystem aus Rollos (Moser Bau 2) und Lamellen (Moser Bau 1 und 3 sowie Pfister-Bau) reguliert. Zwischen der inneren Staubdecke und der äusseren Glashaut wurde eine zusätzliche dampfdichte Isolierglasdecke eingefügt, die eine für die Bilder schädliche UV-Strahlung filtert und gleichzeitig ein Aufsteigen von Feuchte verhindert.
Insgesamt haben die teilweise aufwändigen Planungsprozesse zu einem beeindruckenden Ergebnis geführt. Die Gebäudetechnik wurde so gut integriert, dass man sie bei einem Besuch der Ausstellungsräume kaum wahrnimmt.TEC21, Fr., 2006.09.08
08. September 2006 Katja Hasche
Kostenprognosen
(SUBTITLE) Verschärfung der Haftung der Planer
Ein neues Bundesgerichtsurteil vom 15. März 2005 (4C.424/2004) führt zu einer deutlichen Verschärfung der Haftung von Architekten und Ingenieuren für Kostenschätzungen und Kostenvoranschläge.
Um Honorarkürzungen und grosse Haftpflichtfälle zu vermeiden, welche zudem durch die meisten Planerberufshaftpflichtversicherungen nicht gedeckt werden, müssen die Planungsbüros zwingend rechtzeitig verbindliche Kostenprognosen mit definiertem Genauigkeitsgrad erstellen.
Urs Hess-OdoniDie Architekten und Ingenieure waren schon immer verpflichtet, ihren Auftraggebern Kostenschätzung und Kostenvoranschläge abzugeben, welche den in den entsprechenden Ordnungen SIA102/103/108 vorgegebenen Genauigkeitsgrad (Toleranzrahmen) einzuhalten haben. Die grundsätzliche Regelung ist somit nicht neu. Es war auch schon immer klar, dass Planer für ungenaue Kostenvoranschläge haftpflichtig werden können. Dabei ist die Praxis mit dem Urteil BGE119II249 im Jahre 1993 gegenüber früher verschärft worden, weil das Bundesgericht die so genannte Vertrauensschadenhaftung für Kostenvoranschlagsüberschreitungen herausgestellt hat. Mit einem neuen Urteil vom 15.März2005 hat das Bundesgericht die entsprechende Haftung der Architekten und Ingenieure nun aber nochmals deutlich verschärft. Diese neue Bundesgerichtspraxis zwingt die Planer, in ihrem Büro in Bezug auf alle Kostenfragen eine neue, viel präzisere Kultur aufzubauen, wenn sie entsprechende Haftpflichtfälle vermeiden wollen. Es muss ein geschlossenes System der Kosteninformationen aufgebaut und konsequent umgesetzt werden. Die Kostenprognosen müssen während der ganzen Projektbearbeitung immer eine dominante Stellung haben. Sie bekommen damit ein Gewicht, das den Planern wahrscheinlich nicht sympathisch ist. Diese Betonung der Kostenseite ist umso wichtiger, als die meisten Planerberufshaftpflichtversicherungen für derartige Haftungsfälle aus Überschreitung von Kostenprognosen keine Deckung gewähren, sodass die Haftpflichtfolgen vom entsprechenden Büro selber getragen werden müssen.
Zwingende Angabe des Genauigkeitsgrades
Im erwähnten Urteil hat das Bundesgericht zunächst einmal festgehalten, dass es einem Bauherrn nicht zugemutet werden könne, aus den massgebenden Ordnungen SIA102/103/108 herauszulesen, welchen Genauigkeitsgrad eine Kostenprognose habe. Es sei Pflicht eines jeden Planers, bei jeder Kostenprognose den Genauigkeitsgrad präzis anzugeben. Wenn der Planer keinen entsprechenden Toleranzrahmen angebe, so dürfe der Bauherr davon ausgehen, dass die Kostenprognose präzis sei und praktisch mit keinen Abweichungen gerechnet werden müsse. Vergisst der Planer also die Angabe des Genauigkeitsgrades, so geht das Bundesgericht nun von einer Nulltoleranz aus. Wenn es dann doch zu Abweichungen kommt, so haftet der Planer. Es genügt dabei ausdrücklich nicht, die Kostenprognose mit einem Begriff wie «approximativ», «provisorisch» oder «ungefähr» zu versehen. Dabei muss sich der Planer anhand der konkreten Fragestellung genau überlegen, welchen Genauigkeitsgrad er wirklich angeben und garantieren kann. Auch hier verträgt es keine Fahrlässigkeit. Insbesondere bei Umbauten und Sanierungen ist der Genauigkeitsgrad oft kleiner, als ihn die Ordnungen SIA102/103/108 grundsätzlich vorsehen.
Im Weiteren hat das Bundesgericht betont, dass eine gründliche Information des Auftraggebers über die Kostenfolgen der einzelnen Planungsschritte sowie seiner eigenen Entscheidungen zu den allgemeinen und selbstverständlichen Informationspflichten eines Architekten oder Ingenieurs gehöre. Diese Kosteninformation müsse auch dann abgegeben werden, wenn darüber keine spezielle Vereinbarung getroffen worden sei; sie ergebe sich direkt und unmittelbar aus der allgemeinen Informations- und Interessenwahrungspflicht gemäss Art. 398 OR.
Kostenvoranschlag vor Baubeginn
Aus dem neuen Bundesgerichtsentscheid ergibt sich weiter, dass Planer ihren Bauherren vor Baubeginn einen verbindlichen Kostenvoranschlag abgeben müssen, sodass der Bauherr noch die Möglichkeit hat, zu reagieren und das Projekt zu stoppen bzw. zu redimensionieren, falls er die Kosten als zu hoch erachtet. Fehlt dieser Kostenvoranschlag oder wird er erst verspätet vorgelegt, so ist der Architekt oder Ingenieur nach der neuen Bundesgerichtspraxis grundsätzlich haftpflichtig. Sollte der Bauherr ausnahmsweise auf einen Kostenvoranschlag vor Baubeginn verzichten, so müsste dies ausdrücklich schriftlich vereinbart und festgehalten werden.
Selbstverständlich muss dieser Kostenvoranschlag dann – mit der ausdrücklich angegebenen Toleranz – eingehalten werden, wofür wiederum der Planer vertragsrechtlich verantwortlich ist.
Dieser Kostenvoranschlag ist jedoch nicht isoliert zu beurteilen. Er muss im Gleichgewicht mit einem konkreten Projekt stehen. Es ist auch Aufgabe und Pflicht des Planers, ausreichend präzis und konkret zu definieren, welches Projekt die Grundlage des Kostenvoranschlages bildet. Nur so kann der Kostenvoranschlag auch wirklich verstanden und auf ein konkretes Bauvorhaben bezogen werden. Ungenauigkeiten in den Grundlagen, welche dem Kostenvoranschlag zugrunde liegen, gehen wiederum zu Lasten des Architekten oder Ingenieurs.
Vergrösserungen oder Verkleinerungen dieses genau definierten Projektes bewirken auch entsprechende Veränderungen des Kostenvoranschlags. Diese Selbstverständlichkeit kommt aber nur dann zum Tragen, wenn eben das Ausgangsprojekt genügend präzis definiert ist.
Zwang zur fortlaufenden Kosteninformation
Nach der Bundesgerichtspraxis muss der Architekt oder Ingenieur den Bauherrn auch nach dem Kostenvoranschlag fortlaufend über alle kostenrelevanten Entwicklungen ausreichend informieren. So muss der Planer den Bauherrn auf die Kostenfolgen aller Bau-herrenentscheidungen ausdrücklich hinweisen. Ebenso muss der Planer den Bauherrn darauf aufmerksam machen, wenn objektive Faktoren von aussen (z.B. Faktoren des Baugrundrisikos) zu Kostensteigerungen führen. Es muss sich dabei immer um präzise Informationen handeln. Der Bauherr muss also vom Planer fortlaufend über den Kostenstand informiert werden. Kommt der Architekt oder Ingenieur dieser Informationspflicht nicht nach, so macht er sich einer Ver-
tragsverletzung schuldig und kann prinzipiell haftpflichtig werden.
Die Erfahrung zeigt, dass hier der grösste Handlungsbedarf besteht: In den Planungsbüros ist ein Automatismus einzubauen, gemäss welchem der Bauherr bei jeder (noch so kleinen) kostenrelevanten Entscheidung betragsmässig präzis auf die Auswirkungen für die Baukosten aufmerksam gemacht wird.
Zu beachten ist, dass der Architekt oder Ingenieur in all diesen Bereichen vorbehaltlos die Beweislast trägt. Er muss beweisen können, dass er die Informationspflicht erfüllt hat.
Vermutung der Vertragsverletzung
Das Bundesgericht hat im erwähnten Präjudiz ausdrücklich erklärt, dass immer dann, wenn der im Kostenvoranschlag angegebene Kostenrahmen überschritten werde, eine schuldhafte Pflichtverletzung des Architekten oder Ingenieurs zu vermuten sei. Bei jeder Überschreitung des Toleranzrahmens kommt der Planer also in den Beweiszwang, wenn er nicht haftpflichtig
werden will.
Wenn keine Veränderung der Arbeitskultur in Bezug auf die Kostenprognosen erreicht wird, werden viele Architektur- und Ingenieurbüros in solchen Fällen den Entlastungsbeweis nicht erbringen können und in eine gravierende Haftung hineinlaufen.
Es gibt aber auch die umgekehrte Vermutung: Solange der angegebene Toleranzrahmen eingehalten wird, ist davon auszugehen, dass der Planer seine Pflicht zu einer klaren Kostenprognose eingehalten hat. Auch hier bleibt dem Bauherrn aber die Möglichkeit des Nachweises, dass bei besserer Kostenkontrolle die Baukosten in Wirklichkeit noch tiefer ausgefallen wären. Selbst für diesen Fall gibt es für die Planer also keine vollständige Entwarnung.
Aufgrund dieser neuen Bundesgerichtspraxis sind die Architekten und die Ingenieure also dringend zu warnen: Wenn sie das Gewicht nicht auf die Kostenprognose und die Kostenüberwachung legen, werden sie in Anbetracht der strengeren Praxis Haftpflichtfälle nicht vermeiden können.TEC21, Fr., 2006.09.08
Zusatz:
Grundregeln zur Kosteninformation und -überwachung
– Ein Kostenvoranschlag vor Baubeginn ist zwingend, damit der Bauherr noch rechtzeitig entscheiden kann.
– Jede Kostenschätzung und jeder Kostenvoranschlag muss den Genauigkeitsgrad (Toleranzrahmen) ausdrücklich angeben, sonst gilt die Nulltoleranz.
– Die Kostenprognosen sind einzuhalten.
– Die Auswirkungen jeder kostenrelevanten Entscheidung oder Entwicklung sind dem Bauherrn unverzüglich zu melden und mit einer präzisen Angabe über die Höhe der Auswirkung zu versehen.
08. September 2006 Urs Hess-Odoni