Editorial

Den ausschlaggebenden Impuls, uns auf die Suche
nach in Österreich produzierten qualitätsvollen Bei-
spielen zum Sitzen, Tafeln, Aufbewahren, zum Arbeiten oder Ruhen zu machen, gab ein Essay von Roland Gnaiger im Katalog zur Ausstellung »möbel für alle« der Designinitiative Werkraum Bregenzerwald.

Zuschnitt 5 /02 stellte die bemerkenswerte Initiative
anlässlich der Präsentation im Wiener Ringturm vor.
Roland Gnaiger war gemeinsam mit Adolph Stiller
Kurator dieser Ausstellung und gilt als profunder
Kenner des Marktes, mit eigener Passion zum Möbel-
design. In seinem Text, den Sie ausschnittsweise auf
dieser Seite lesen können, behauptet er, dass es das hochwertige und langlebige Möbel zum leistbaren Preis, eines mit Vererbungsqualität, aus industrieller Produktion, nicht gäbe. Eine kulturphilosophische, sehr persönliche Analyse der Ursachen dafür liefert er gleich mit.

Da wollten wir es selbst wissen. Und haben uns bei
Österreichs Möbelproduzenten umgesehen - bei den
wenigen großen, in mittleren Gewerbebetrieben mit
kleiner Serienproduktion und auch bei Handwerkern,
»deren technische Entwicklung zwar nicht hin zur
seriellen Fertigung, aber doch in Richtung industrieller Technologie gegangen ist.« (Roland Gnaiger)

Uns hat nicht nur der Anteil an Holz und Holzwerkstoffen an der Gesamtproduktion der Betriebe interessiert. Wir haben nach dem Mut, neue Wege zu gehen, gefragt und nach Innovationsfreudigkeit und Expansionsdrang. Wir haben den Vorteil serieller Produktion hinterfragt und die Bereitschaft, individuelle Wünsche zu erfüllen.

Was wir (heraus-)gefunden haben, möchten wir Ihnen an einigen außergewöhnlichen, aber auch typischen Beispielen zeigen. Vorweg: Es gibt eine kleine Spitze, die Möbel mit höchstem Anspruch an Qualität in Verarbeitung und Design produziert und keinen internationalen Vergleich scheuen muss. Und es gibt die gute, österreichisch solide Mitte. Karin Tschavgova

Inhalt

Zum Thema

Editorial
von Karin Tschavgova

Gastkommentar
von Roland Gnaiger

Was gibt´s Neues? Annäherung an das zeitgenössische Möbel aus Österreich
Text: Karin Tschavgova und Walter Zschokke

Möbelbeispiele
Jung österreichisch/traditionell klassisch

Sitzen
Bis aus dem Holz ein Stuhl wird

Aufbewahren
funktionell, individuell, verspielt

Arbeiten
Möbel machen Leute

Kochen
Mit Holzgenuss - appetitlich, würzig, kernig

Tafeln
Farben der Natur erwünscht

Ruhen
Natürliche Plattformen zur Regeneration

Klassiker
Sechs Beispiele des klassischen Sitzens

Gespräch
Klassiker im Gespräch
Michael Hausenblas sprach mit Alexander von Vegesack

Aufbewahren
Irmgard Frank über die Genese der Trommel

Ausblick
Nischenprodukte als punktgenaue Problemlöser

Österreichische Möbelindustrie
Adressen und Links

Einblick
Drei Musketiere für österreichisches Design

Angenommen, Sie brauchen einen Tisch...ich wette, Sie kriegen Probleme

Angenommen, Sie brauchen einen Tisch. Sie wollen ihn zum Essen, Arbeiten oder Spielen. Angenommen, Sie möchten, dass Ihr Tisch sicher und mehrere Jahre steht. Ihren Beinen wünschen Sie unter ihm Bewegungsfreiheit und ihren Stühlen Stauraum. Der Tisch sollte kindlichem Ungeschick und lebhaften Diskussionen gewachsen sein.

Angenommen, Sie sind sich Ihrer so sicher, dass der Tisch für Sie nicht renommieren muss. Sie schätzen seinen Erfinder, aber nicht er, sondern der Tisch soll ein Leben lang in Ihrer Wohnung stehen. Er muss funktionstüchtig sein, in Ihre Wohnung passen und sollte Ihr Leben erleichtern. Und er sollte Charakter haben! Er darf erkennbar sein - aber nicht unbedingt auf den ersten Blick. Sie brauchen also nur einen Tisch … ich wette, Sie bekommen Probleme!

Haben Sie gar einen Blick für sorgfältige Ausführung, suchen Sie nach einer gereiften Form, wünschen Sie mit Ihrem Tisch auch noch eine sinnliche, eine haptisch willkommene Begegnung? Wollen Sie zu alledem noch einen angemessenen Preis oder suchen Sie über den Tisch hinaus gar noch Stühle, ein Bett und einen Schrank? Haben Sie schon Abende lang Prospekte studiert und ganze Samstage Möbelhäuser durchforstet? Ich vermute, Sie kommen zu dem Ergebnis: Etwas ist falsch - entweder das Angebot oder Ihr Anspruch.

Im Verlauf einer jahrhundertelangen Entwicklung von Wohnkultur und Möbelbau, nach einem Jahrhundert des Aufbruchs, sozialer Wohnkonzepte und einem radikalen Wandel der Fertigungstechnik mit dem Anspruch »Höchste Qualität in möglichst großer Breite« bleibt wenig bis nichts übrig: eine exklusive schmale und hohe Spitze, die aus einer flächendeckenden Qualitätslosigkeit ragt. Wir haben heute ein breitenwirksames Niveau erreicht, das den Tiefpunkt der für uns überblickbaren Geschichte der Wohn- und Alltagskultur markiert.

An der Spitze der Qualitätsarmut stehen die »Delikatessenläden des Möbelhandels« ,welche jene Schicht bedienen, die selbst nach dem Hausbau noch über Mittel für die Ausstattung verfügt. Die breite Masse wird von »den Großen« versorgt, welche die Niveaulosigkeit, der sie folgen, unablässig selber schaffen. Dazwischen gibt es nichts!
Ein differenzierter, feinkörniger Markt wurde systematisch und erfolgreich aufgerieben. Hier immer weniger »Marken« mit umso höherem Image beladen Häppchen. Dort ein überbordendes Angebot ohne geistigen, intellektuellen oder emotionalen Nährwert.

Zurück bleibt Mangel, Hunger angesichts überquellender Regale. Mangel am Nötigen, mehr als genug vom Überflüssigen. Auf der Strecke bleibt jener Konsument, der, würde man meinen, das Naheliegendste und »Normalste« sucht: ein qualitätsvolles Möbel für entsprechende Kosten.

Was ist passiert? Die Grundidee der Industrialisierung - Serienfertigung in großen Stückzahlen von hoher Qualität - wurde durch die Entwicklung konterkariert. Und zwar in einem Maße, das die Logik der Industrialisierung im Bereich des Möbels infrage stellt. Der Idee industrieller Serienfertigung hat sich eine »andere« Idee von Ökonomie entgegengestellt – die des Konsums und seiner Loslösung von kulturellen Zielen: Diese »Ökonomie« pflegt den Verschleiß als konsumbelebendes Element. Dazu muss die große geistige Befreiungsbewegung des 20 .Jahrhunderts, die Individualisierung, instrumentalisiert werden. Individualität begründet ein vielfältiges Angebot. In Konsequenz wurde aber Qualität durch Quantitäten ersetzt. Einzigartigkeit ist wichtiger als Qualität.

zuschnitt, Sa., 2003.03.15

15. März 2003 Roland Gnaiger

Was gibt 's Neues? Annäherung an das zeitgenössische Möbel aus Österreich

Ciao,Bella! Diese Italiener - modebewusst vom Scheitel bis zur Sohle. Ein sicheres Gefühl für gutes
Design scheinen sie in den Genen zu haben. Italienisches Möbeldesign lässt sich verkaufen und so ist es kaum verwunderlich, dass sich im verkehrsgünstigen Norditalien ein Cluster von Möbelproduzenten etablieren konnte.

Oder die Skandinavier und ihre Möbelbautradition, getragen von einer Haltung, die den Wert des Wohnens so hoch einschätzt, dass sie ihn den Schulkindern im Unterricht vermittelt. Wesentlichen Einfluss auf die Ausprägung des Skandinavischen Wohnstils hatte übrigens der österreichische Architekt und Designer Josef Frank (1885 -1967), der 1934 nach Schweden emigrierte.
Und Österreich? Welches andere Land kann schon auf einen Stuhl (Thonet-Bugholzstuhl Nr.14)verweisen, der weltweit 50 Millionen Mal verkauft wurde, oder auf Jahrzehnte mit handwerklich wie künstlerisch hochwertigsten Möbelentwürfen aus den Wiener Werkstätten?

Was der Krieg abrupt beendet hatte, konnte danach nur noch ansatzweise wiederbelebt werden: Eine vielbesuchte Ausstellung 1952 / 53 im MAK mit neuen, leichten und flexiblen Möbeln für alle Wohnbereiche mündete in einen »Leitfaden für Möbelkäufer«. Die Gemeinde Wien unterstützte eine Initiative »Soziale Wohnkultur«. Einzelne Architekten wie Roland Rainer, Karl Auböck oder Johannes Spalt nahmen sich des Themas an und entwickelten Serienmöbel, für die sich mit Ausnahme weniger Firmen keine Produzenten fanden. Folglich blieben diese Ansätze zu einfachem und formschönem, dabei hochwertigem Mobiliar begrenzt und schafften es nicht, Geschmack und Kaufverhalten der Österreicher nachhaltig zu beeinflussen. Die setzten beim Austausch ihrer Nachkriegserstausstattung auf Gediegenheit in Eiche und auf Wandverbauten en Gros. Frische, Farbe, Abwechslung und Billigvollholz brachte erst Ikea mit der Eröffnung seiner ersten Österreichfiliale 1977 ins Heim, vorwiegend in das von Studenten und Jungfamilien. 25 Jahre danach zeigen sich deutlich die Auswirkungen der »Ikea-nisierung« im österreichischen Möbelvertrieb, der sich heute im Wesentlichen monopolistisch auf zwei große Anbieter reduziert hat: Hier wie dort wird versucht, junges, flottes Design billigst nachzumachen. Jene Generation, die nun nach zwanzig Jahren ihre abgewohnten und aus der Mode gekommenen Billigmöbel schrittweise durch qualitätvolle Stücke ersetzen will, stellt eine Chance für Österreichs Möbelhersteller dar. Der inzwischen gutsituierte Mittelstandshaushalt kann aus einem eher schmalen Katalogangebot heimischer Produzenten wählen, die sich hochwertig verarbeiteten Wohnmöbeln verschrieben haben. Es sind dies mittlere Industrie- und Gewerbebetriebe wie Team 7 ,Gruber &Schlager oder Optimo, die mit Solidität, Spezialisierung auf »natürliches Wohnen«, mit hohem Vollholzanteil werben und individuelle Beratung anbieten. Legt man Wert auf die Kombination hochklassiger Qualität und außergewöhnlichen Designs, so muss man bereit sein, noch tiefer in die Tasche zu greifen.

Wittmann etwa konnte mit seinen weitgehend handwerklich gefertigten Polstermöbeln und der Neuauflage von Möbelklassikern, u.a. von Josef Hoffmann, seinen Bekanntheitsgrad in den letzten Jahrzehnten auch im Ausland ausbauen. Ihren guten Ruf festigt die Firma mithilfe einiger international tätiger Stammdesigner, die die Kollektion immer wieder um neue Edelstücke bereichern.

Der österreichische Markt allein ist für all jene Firmen, die auf zeitgenössisches Design setzen, zu klein und so streben die, die es ihren italienischen oder skandinavischen Konkurrenten gleichtun wollen, auf renommierte internationale Möbelmessen. Unternehmen wie die Firma Streitner, die sich bislang auf Bankeinrichtungen spezialisiert hat und seit kurzem mit einer exklusiven Produktlinie Furore macht, Braun Lockenhaus, die ihr Qualitätsangebot sukzessive erweitern, oder Gewerbebetriebe wie Hussl, Kapo oder Schmidinger setzen viel Kapital ein, um neue Prototypen zu entwickeln und am europäischen Markt zu positionieren.
Die österreichische Wertmarke,der Zusatznutzen all jener Produkte, könnten - traditionell österreichisch - höchste Material - und Verarbeitungsqualität sein, verlässliche Lieferfristen und Flexibilität in Bezug auf Kundenwünsche.
Mit genau jenen Vorzügen, aber auch mit reaktionsschneller Anpassung an geänderte Anforderungen ist es der Büromöbelindustrie Österreichs, allen voran Bene und Wiesner-Hager, gefolgt von anderen wie Neudörfler, Hali, Svoboda und Blaha, im letzten Jahrzehnt gelungen, ein solides Marktsegment zu erobern. Mit neuen Entwicklungen der Büroorganisation hin zum zonierten Kombibüro scheint der Bedarf an Büromöbeln, die verschiedenste Tätigkeiten des Büroalltags gekonnt inszenieren, neuerlich geweckt. Es ist heute mehr als die Qualität eines Möbels, die entscheidend für seinen Verkaufserfolg ist.

Modernste Produktions- und Vertriebslogistik macht serielle Vorfertigung mit teurer Lagerhaltung obsolet.
»Just in time« zu produzieren, heißt die Devise aller Hersteller, die Zuschnitt befragt hat. Sie beschränken sich auf die Lagerung einzelner Komponenten und versprechen, Bestellungen schnell, punktgenau und sogar individuell zu erfüllen. Große Firmen bieten Gesamtausstattungen, etwa ganzer Bürokomplexe, an. In der Gastronomie zeitigt dies vom Bodensee bis ins Burgenland einen katastrophal-unpersönlichen Einheitsgastrostil. Lichtblicke bieten jene immer zahlreicher werdenden feinen Beispiele neuer Gaststätten oder Vinotheken, die als gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Tischler mit Publikumsandrang und Auszeichnungen belohnt werden. Für beste Maßarbeit im Sinne handwerklicher Tradition.

zuschnitt, Sa., 2003.03.15

15. März 2003 Karin Tschavgova

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