Editorial
Wie kann experimentelles, »anderes« Bauen dazu beitragen, Ressourcen zu schonen und das Potenzial von Räumen neu zu erschließen? In unserer aktuellen db-Ausgabe »Anders bauen« präsentieren wir inspirierende Beispiele: etwa die Mannheimer U-Halle, die durch subtraktiven Rückbau und zirkuläre Bauweisen vom Lager zur flexiblen Kulturstätte wurde, oder ein Miniapartment in Rotterdam, das auf nur 7 m² eindrucksvoll zeigt, wie Funktionen kreativ verdichtet werden können.
U-Halle in Mannheim
(SUBTITLE) Fit für den Wandel
Wenn einfache Lagerhallen wie diese in Mannheim aus der Nutzung fallen, werden sie meist abgebrochen. Die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2024 ausgezeichnete U-Halle zeigt, welches Potenzial selbst in solchen Gebäuden schlummert – nicht nur mit Blick auf das zirkuläre Bauen, sondern auch ästhetisch.
Seit gut 90 Jahren ist auf dem 79 ha großen Gelände 4 km östlich der Mannheimer Innenstadt nichts so stetig wie der Wandel. Ende der 1930er-Jahre errichtete die Wehrmacht eine Kaserne mit Lagergebäuden. In der Nachkriegszeit übernahmen US-Streitkräfte das Areal, um hier ein Distributionszentrum für Kleidung, Waffen und Fahrzeuge einzurichten. Dabei wurde ein bestehendes Lagergebäude aus vier direkt angrenzenden Hallen so erweitert, dass ein 350 m langes Gebäude in U-Form entstand, das einen zentralen Verladehof mit Gleisanschluss umschließt. Nachdem die Spinelli Barracks 2014 an den Bund zurückgingen, dienten die Kasernenbauten einige Jahre als Notunterkunft für Geflüchtete. 2023 war das Gelände schließlich Austragungsort der Bundesgartenschau (BUGA), in deren Fokus die vier Leitthemen Klima, Energie, Umwelt und Nahrungssicherung standen.
Um Neubauten für die BUGA-Ausstellung zu vermeiden, aber auch, um Impulse für ein zeitgemäßes Nutzungskonzept der nun mitten im Park liegenden U-Halle zu erhalten, lobte die Stadt als Eigentümerin einen Realisierungswettbewerb aus. Im ehemaligen Lagergebäude waren zunächst temporäre Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Gastronomieflächen sowie Blumenhallen und ein Rundfunkstudio unterzubringen. Nach der BUGA sollte es in der Lage sein, noch nicht näher definierte Kultur- und Freizeitnutzungen zu beherbergen.
Subtraktives Entwurfskonzept
Das mit dem 1. Platz ausgezeichnete Siegerprojekt des Berliner Architekturbüros Hütten & Paläste knüpft an den Wandel und die Transformationen an, die für dieses Gelände, aber auch für die U-Halle charakteristisch sind. Vor allem jedoch ist es ein bemerkenswertes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten, die das zirkuläre Bauen selbst unspektakulären und im Lauf der Jahre »verbastelten« Bestandsgebäuden eröffnet.
Im Mittelpunkt des Entwurfs steht die Wieder- und Weiterverwendung der baulichen Strukturen. Die Berliner Architekt:innen planten kein fertiges Gebäude, sondern entwickelten einen auf zukünftige Szenarien ausgerichteten Umbauprozess. Bauliche Maßnahmen und Nutzungen wurden dabei nicht additiv zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Hütten & Paläste kuratierte vielmehr den teilweisen Rückbau der aus insgesamt 16 Einzelhallen bestehenden U-Halle. Mit anderen Worten: Sie extrahierten das »neue« Gebäude subtraktiv aus dem bestehenden Baukörper. Da in den rückgebauten Bereichen lediglich die Tragstruktur erhalten blieb, entstanden spannungsreiche Abfolgen von Innen- und Außenräumen, die von den BUGA-Besucher:innen als Parcours durchschritten und erlebt werden konnten. Durch die freigelegten Tragwerke und das Bepflanzen der punktuell geöffneten Bodenplatten schufen die Architekt:innen eine kreative Markthallenatmosphäre, die den einst drögen Lagerhallen eine neue Identität und einen menschlichen Maßstab verleiht. Diese Reduzierung der Baumasse war nicht nur dramaturgisches Mittel. Sie entsprach auch der Forderung der Ausloberin nach einer verbesserten Winddurchlässigkeit des Geländes, die im Sommer einer Überhitzung der Innenstadt entgegenwirken soll.
Zirkuläre Strategien
Wesentlich für das Entwurfskonzept war die Wiederverwendung vorhandener Bauteile. Diese stammten z. T. aus der näheren Umgebung – für die Fassaden kamen etwa Polycarbonatplatten aus dem kürzlich renovierten Pflanzenschauhaus im Mannheimer Luisenpark zum Einsatz – oder aus der U-Halle selbst. Ein konkretes Beispiel für Letzteres ist die alte, aber noch intakte Blech-Dachdeckung. Während sie in den erhaltenen Einzelhallen unangetastet blieb, wurde sie in den rückgebauten Bereichen sorgfältig demontiert, neu zugeschnitten und als vertikale Fassade der nun freigelegten Brandwände eingesetzt. Ansonsten wurde wo immer möglich repariert, anstatt Bauteile auszutauschen.
Wo Erneuerungen unumgänglich waren, wie etwa bei der Ergänzung um Fluchttüren, wurden diese reversibel mit lösbaren Steckverbindungen montiert. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieses Vorgehen bei den temporären Fassaden, die während der BUGA als neuer Raumabschluss der durch den Rückbau einzelner Hallen offenen Stirnseiten dienten. Sie bestehen entweder aus modularen Holzrahmenbauwänden oder aus Mischkonstruktionen aus gemieteten Baugerüsten, die eine mit Klemmleisten befestigte Holzunterkonstruktion mit Polycarbonatplatten trugen. Durch die Seitenwände zu den neuen Höfen gelang es den Architekt:innen, großflächig Tageslicht in die bislang nur durch Oberlichtbänder belichteten Hallen zu bringen. Zudem entstanden vielfältige Sichtbeziehungen zum Freiraum. Teile dieser Konstruktion sind heute am KIT in Karlsruhe im Einsatz.
Experimentelle Erkundung des Bestands
Was die Umsetzung dieses Konzepts erschwerte, war der Umstand, dass die durchgängig 27 m breite U-Halle keineswegs über ein einheitliches Tragwerk verfügt, sondern seit den 1930er-Jahren verschiedene Bauweisen zur Ausführung kamen. Die vier ältesten Hallen wurden als Stahlbetonrahmen errichtet und von den amerikanischen Streitkräften seitlich um Stahlskelettbauten erweitert. Bei den jüngeren zwölf Hallen kamen robuste, aber uneinheitliche Stahlfachwerkbinder und Stützen zum Einsatz, deren bauzeitliche Verzinkung einen ausreichenden Korrosionsschutz bot. Ebenfalls unterschiedlich ist die Ausführung der Außenwände und der Brandwände zwischen den Einzelhallen teils als Betonskelettkonstruktionen mit Mauerwerksausfachungen, teils als massive Mauerwerkswände. Der heterogene Bestand eröffnete aber auch Gestaltungsspielräume: So ließen sich die Wände gemäß der jeweiligen Nutzungen ganz unterschiedlich gestalten, z. B. mit den zuvor demontierten Glasbausteinen, Profilgläsern oder Dachpaneelen.
Nicht zuletzt, weil keinerlei Planmaterial zum Baubestand vorlag, experimentierten die Architekt:innen zunächst in einen kleinen Hallenabschnitt. Hier erprobten und optimierten sie ihr Rückbaukonzept. Zudem gewannen sie wichtige Erkenntnisse zum Aufbau von Tragwerk, Wand und Dach sowie zu den Materialeigenschaften und eventuell enthaltenen Schadstoffen. Hierbei entwickelte Strategien wurden anschließend auf die Gesamtmaßnahme übertragen. Eine Herausforderung ergab sich etwa aus der Tatsache, dass die nach Entfernen der Dächer und Fassaden der Witterung ausgesetzten Böden kein Gefälle aufwiesen, sodass sich Regenwasser in großen Pfützen sammelte. Auf Grundlage eines »Pfützenmappings« öffneten die Architekt:innen dann jeweils genau dort die Bodenplatte, um große Pflanzflächen zu schaffen, in die das Regenwasser nun versickern kann. Der entfernte Beton wurde geschreddert oder zurechtgeschnitten und für Ausstellungsbeiträge während der BUGA verwendet.
Flexibilität für zukünftige Nutzungen
Durch die BUGA-Nutzung ausschließlich während der Sommermonate sind die Hallenbereiche mit Ausnahme der noch immer betriebenen Gastronomiebereiche bis heute unbeheizt. Mit Blick auf spätere Nutzungsphasen erhielt die U-Halle jedoch einen Fernwärmeanschluss sowie eine 6 400 m² große PV-Anlage auf dem Dach, deren Leistung rund 1 MW beträgt. Die Strom-, Wasser- und Medienversorgung erfolgt über eine zentrale, leicht von allen Hallenbereichen erreichbare Leitungsachse.
Der von der städtischen MWS Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP) aktuell durchgeführte weitere Rückbau des Gebäudes basiert auf den von Hütten & Paläste gesammelten Erkenntnissen. Da einige Mitarbeitende, die das Projekt auftraggeberseitig während der BUGA geleitet haben, zur MWSP gewechselt sind, ist zu erwarten, dass sich die U-Halle im Sinne des zirkulären Umbau- und Organisationsprinzips weiterentwickelt. Noch ohne konkrete neue Nutzungen sollen drei weitere Hallen rückgebaut werden, u. a., um das Windströmungsprofil auf dem Gelände zu optimieren und die bebaute Fläche zusätzlich zu entsiegeln. Dies wird nichts daran ändern, dass die U-Halle als multifunktionales, nachhaltiges und partizipativ veränderbares Gebäude weiterhin die Identität seines Umfelds prägt. Und theoretisch könnten die freigelegten Tragwerke auch wieder zu geschlossenen Bauvolumen ausgebaut werden.db, Fr., 2025.01.03
03. Januar 2025 Roland Pawlitschko
Miniapartment »The Cabanon« in Rotterdam
(SUBTITLE) Maximal minimal
In einem nicht ganz 7 m² großen Raum auf dem Dach eines Wohnblocks hat das Architektenpaar Beatriz Ramo und Bernd Upmeyer ein komplettes Miniapartment samt Spabereich untergebracht. Damit erfüllten sie sich einen persönlichen Wunsch, wollen aber auch Denkanstöße für den Wohnungsbau liefern.
Wieder einmal so ein Werbegag für die internationalen Architekturblogs, mag man beim Anblick des Cabanon zunächst denken. Und tatsächlich wurde das fotogene Kleinstprojekt von den Medien sofort aufgegriffen, vielfach publiziert und mit modischen Etiketten versehen. Bei unserer Besichtigung stellen Beatriz Ramo und Bernd Upmeyer deshalb zunächst einmal klar, was ihr Miniprojekt nicht sein will: kein Prototyp für ein Tiny House, kein Pamphlet für Minimalismus und sicher keine Lösung für die Wohnungskrise.
Gestapelte Funktionen
Die Spanierin und der Deutsche leiten seit fast 20 Jahren ihre Studios STAR und BOARD, teilen sich einen Büroraum und sind auch privat ein Paar. Sie wohnen im zweiten Stock eines Wohnblocks aus den 1950er Jahren im Zentrum von Rotterdam. Vor etwa zehn Jahren fiel ihnen ein Zettel im Aufzug ins Auge: Ein Nachbar bot einen etwa 7 m² großen Abstellraum auf dem Dach für 11 000 Euro zum Kauf an. Vor Ort stellte sich heraus, dass der Raum ein 6 m² großes Fenster hat und an Strom, Heizung und Kanalisation angeschlossen ist, denn dieser und zwei weitere Aufbauten hatten in der Nachkriegszeit zeitweise als Wohnraum für Krankenschwestern gedient.
Das Architektenpaar fackelte nicht lange und kaufte den Dachaufbau. Upmeyer wollte den Raum zunächst nur als Wäschekammer nutzen, aber angesichts der vorhandenen Anschlüsse und der Aussicht kamen die beiden ins Grübeln. »In unserer Wohnung fehlte immer schon ein Gästezimmer, und im Badezimmer gab es nur eine Dusche«, sagt Bernd Upmeyer. Er träumte von einem Whirlpool, Beatriz Ramo gar von einer Sauna. Aber wie sollte man all das in einem nur 1,97 x 3,60 m großen Raum unterbringen? Es begann ein Entwurfsprozess, der fast zehn Jahre dauern sollte. Der Schlüssel war letztlich die Einsicht, dass nicht alle Funktionen dieselbe Raumhöhe brauchen. Da der Raum zwar keine große Grundfläche, aber 3 m Deckenhöhe hatte, konnten die verschiedenen Funktionen nicht nur neben-, sondern auch übereinander angeordnet werden. So gelang es, den kleinen Aufbau in vier separate Bereiche zu unterteilen.
Auf die Körpergröße zugeschnitten
Man erreicht das »Cabanon«, indem man mit dem Aufzug ins 6. Geschoss fährt und dann noch eine Treppe hinaufgeht. Dort stößt man auf eine unauffällige Tür, die sich (praktischerweise) nach außen öffnet. Dahinter betritt man einen rundum terrakottafarben gestalteten Raum, der zwar klein ist, aber dank des Panoramafensters mit Sitzbank zur Linken nicht klaustrophobisch wirkt. Geradeaus fällt der Blick auf eine geflieste Wand mit geometrischem All-over-Muster; rechts verstecken sich hinter einer Vielzahl von Fronten eine kleine Küchenzeile mit Waschbecken, Mikrowelle, Mülleimer und Minikühlschrank sowie ein Kleiderschrank mit ausfaltbarem Tisch. Die zwei dazugehörigen Klappstühle hängen zusammengefaltet an der Wand neben der Eingangstür.
Neben dem Tisch führt eine Tür in das Badezimmer. Etwas respektloser könnte man bei dem schlauchartigen, rundum mit hellblauen Mosaikkacheln verkleideten Raum auch von einem Duschklo sprechen, denn in seiner Decke befindet sich eine Regendusche, dahinter die Toilette. Mit 62 cm ist er gerade schulterbreit, während seine Höhe von 2,13 m genau auf die Körpergrößen von Ramo und Upmeyer zugeschnitten ist. In der rechten Wand liegt eine Schiebetür, durch die man in eine mit schwarzen Marmorplatten ausgekleidete Kammer gelangt. Zwei Holzsitze mit Infrarotstrahlern flankieren die Tür, daneben steht eine Badewanne mit Sprudeldüsen: Wir befinden uns im Spa mit »Sauna und Whirlpool«.
An der Innenseite der Duschtür hängt eine schwere Metallleiter. Man braucht sie, um ins Bett zu gelangen, das sich in einem 1,35 m breiten und 1,14 m hohen Alkoven über dem Spa befindet. Schiebetüren neben dem Bett bieten Zugriff auf einen Stauraum über der Dusche. »Dort können Gäste ihre Koffer verstauen, denn im Wohnbereich liegen sie nur im Weg«, sagt Ramo. Die Schlafnische ist rundum resedagrün – inklusive einer zotteligen Tagesdecke, die einem Sesamstraßenmonster gut stehen würde.
Ramo und Upmeyer haben ihre Kombination aus Gästezimmer und Spa nach Le Corbusiers legendärem Cabanon an der Côte d‘Azur benannt. Die Hütte am Mittelmeer ist jedoch mit 15 m² doppelt so groß und viel asketischer als ihre Namensgenossin in Rotterdam. Da Le Corbusier im benachbarten Restaurant aß und im Meer schwamm, enthielt sie weder Küche noch Bad, und das Bett war nur eine schmale Liege. Dagegen bezeichnet Upmeyer sein Cabanon als »epikuräisches Exempel im Kleinstformat«. Das zeigt sich nicht nur in den Funktionen, sondern auch in Farbgestaltung und Materialwahl: Der schwarze Marmor erinnert mehr an Mies van der Rohe als an Le Corbusier.
Optimierung des Raums
Wie die meisten Materialien und Objekte im Cabanon war der Marmor ein Zufallsfund. Ursprünglich wollte das Architektenpaar das Bad grün kacheln, stieß aber auf einen günstige Restposten schwarzer Fliesen. Die Wanne war ein Secondhand-Fundstück, das sogar zum maßgeblichen Element wurde: Ihre Abmessungen gaben die Größe des Spabereichs vor, ebenso wie der Kühlschrank die Tiefe der Küchenzeile und die handelsübliche Matratze die Breite des Betts bestimmte. Um diese Objekte herum zimmerte ein Schreiner aus Rotterdam, der eigentlich auf Schiffsinterieurs und Bühnenbilder spezialisiert ist, die Raumkonstruktion.
Wichtigste Hommage an Le Corbusier ist sicherlich die Anpassung des Interieurs an die Körpermaße der Nutzer, die damit quasi als Modulore dienten. In dieser Hinsicht gibt es auch Parallelen zum Rietveld-Schröder-Haus, das auf die Maße seiner nur 1,57 m großen Bauherrin zugeschnitten und ebenfalls ein räumliches Experiment war. Upmeyer und Ramo verstehen ihr Cabanon v. a. als Denkanstoß, um über einen flexibleren Umgang mit dem Bauvolumen nachzudenken. Es geht um eine Optimierung des Raums – wobei sie keinesfalls eine Reduktion, sondern eher eine Maximalisierung anstreben. Sie sind überzeugt, »dass sich unendliche Möglichkeiten eröffnen, wenn man Vorschriften lockert und nicht immer nur in Standardlösungen denkt«, so Upmeyer. Sie sehen das Cabanon auch als Plädoyer dafür, dass Architekt:innen wieder mehr Einfluss auf die Gestaltung von Wohnungen bekommen. Und ehe man anmerken kann, dass das aber große Ambitionen für ein kleines Projekt sind, wirft Ramo ein: »Eigentlich haben wir das Cabanon aber v. a. als Gästezimmer und Spa gebaut. Wir stehen jetzt mehrmals pro Monat im Bademantel im Aufzug und freuen uns auf ein heißes Bad.«db, Fr., 2025.01.03
03. Januar 2025 Anneke Bokern