Editorial

Eine merkwürdige Zeit, um sich ausgerechnet Theatern, Museen oder Galeriegebäuden zu widmen. Alle Ausstellungs- und Aufführungsstätten haben über lange Zeit geschlossen, niemand weiß, welche Kulturangebote überleben werden und welche dann in veränderter Form unsere Gewohnheiten und Sehnsüchte auf den Prüfstand stellen.

Dieses Innehalten gibt uns jedenfalls die Gelegenheit, zu ergründen, welchen Wert wir welcher Sparte und welchem Angebot zumessen, was wir auf kultureller Ebene vermissen – und was eben gerade nicht. Eine bittere Zeit für Kulturschaffende, denn vielen stellt sich die Existenzfrage nicht nur auf der finanziellen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene. Braucht es die x-te Zauberflöte, mittelprächtigen Beethoven, noch eine unausgegorene Premiere im Schauspiel?
Große Theaterapparate schaffen es kaum, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen. Ein Unglück.
Eine bessere, obwohl finanziell oft prekäre Ausgangslage haben die kleinen und die privaten Anbieter mit flexiblen Strukturen. Hier kann der innovative Geist, der von der Kulturwirtschaft stets gefordert wird, wirklich Neues hervorbringen – ehrlicherweise: muss.

Halten wir uns vor Augen: Die Kultur ist dazu da, uns untereinander und miteinander auf verschiedenen Ebenen, letztlich mit der ganzen Welt um uns herum zu verbinden. Wir sind unsicher und ängstlich und brauchen Bestätigung wie auch Anstoß, Entspannung und Schock.

Darauf, wie wir das mittels pandemiehalber erforderlicher Vereinzelung hinbekommen, kann die Architektur bislang noch keine Antwort geben. Auf das, was uns fehlt, aber sehr wohl. | Achim Geissinger

Ein kulturelles Herz für Rotterdam-Süd

(SUBTITLE) Theater Zuidplein in Rotterdam

Rotterdam-Süd ist so etwas wie die »schäl Sick« der niederländischen Hafenstadt. Das Durchschnittseinkommen liegt unter der Armutsgrenze, und 70 % der Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Für diese Zielgruppe entwarf De Zwarte Hond einen Theaterbau, der mit islamischer Ornamentik spielt und als niedrigschwelliges, öffentliches Wohnzimmer fungiert. Hier sollen sich bald Kultur und Stadtleben verbinden. Das Haus signalisiert Offenheit und weiß sich als kulturelles Herz in seiner Umgebung zu behaupten.

Rotterdam erfreut sich in den letzten Jahren immer größerer Popularität. Der Fernsehsender CNN rief die Hafenstadt zur »capital of cool« aus, und der Reiseführer Lonely Planet zählt sie gar zu den zehn Städten weltweit, die man gesehen haben muss. Im Zentrum schießt eine Architekturikone nach der anderen aus dem Boden: erst der Hauptbahnhof (s. db 2/2014), dann die Markthalle (s. db 11/2014), das Timmerhuis (s. db 3/2016) und demnächst das schüsselförmige Depot des Boijmans Museums (s. db 12/2020).

Jenseits der Hochglanzprojekte gibt es aber auch eine weniger bekannte Seite von Rotterdam. Sie liegt am Südufer der Maas und hat 200 000 Einwohner – fast 40 % der gesamten Einwohnerschaft der Stadt. Rotterdam-Süd besteht größtenteils aus Arbeitersiedlungen aus den Zwanziger Jahren und Stadterweiterungen aus der Nachkriegszeit. Zu Letzteren gehört die Gegend rund um den Zuidplein (Südplatz), die einmal zu einem zweiten Stadtzentrum werden sollte, aber nie fertiggestellt wurde. Heute präsentiert sich der Zuidplein als wenig einladendes städtebauliches Sammelsurium aus Hochbahntrasse, Busbahnhof, Einkaufszentrum, Kongresszentrum und Wohnhochhäusern.

Dazwischen stehen, wie Vorboten einer aufgeräumteren Zukunft, der Neubau eines Schwimmzentrums (s. db-Metamorphose 9/2020, S. 100) und das neue Theater Zuidplein.

Städtebauliches Schiebepuzzle

Seit einigen Jahren ist ein Stadterneuerungsprojekt im Gange, das das Gebiet um den Zuidplein gründlich umkrempeln will. Kaum ein Gebäude entgeht der Erneuerung, und auch der Außenraum soll aufgewertet und fußgängerfreundlicher werden. Damit die Metamorphose möglichst reibungslos vonstattengeht, wird sie in Phasen durchgeführt. Wie bei einem Schiebepuzzle nehmen Neubauten den Platz von Altbauten ein, deren Funktion immer ein Baufeld weiterrückt: Das neue Schwimmbad steht am Standort eines alten ­Bürobaus der Stadtverwaltung; und wo zuvor das Schwimmbad stand, steht nun das Theater Zuidplein. Der Altbau des Theaters – 1954 am Nordende des Zuidplein nach Entwurf von Sybold van Ravesteyn errichtet und in den 70er Jahren bis zur Unkenntlichkeit umgebaut – wird abgerissen. Dort wird in Zukunft der Busbahnhof angesiedelt, sodass der Raum unter und neben der Hochbahn-Haltestelle, wo momentan noch der Busbahnhof liegt, zum autofreien Boulevard werden kann.

Das neue Theater steht direkt neben der Metrostation Zuidplein und ist damit einer der sichtbarsten Neubauten im Ensemble. Sein Eingang ist zu einem kleinen Platz mit Caféterrassen orientiert, der auf der gegenüberliegenden Seite vom neuen Schwimmbad flankiert wird. Mit seinem auskragenden Dach, dem roséfarbenen Backstein und Fassadenpaneelen mit geometrischen Mustern fällt das Theater sofort ins Auge. Aus Lärmschutzgründen ist ein Großteil der Fassadenflächen völlig geschlossen, denn im Norden und Westen stehen Wohnungsbauten in nicht einmal 20 m Entfernung.

Hip-Hop-Konzerte und Bollywood-Abende

Daher hat De Zwarte Hond alle Büros und Umkleiden als Pufferzone auf der Nordseite des Gebäudes angeordnet. Zur Metrostation hin liegt dagegen der größere der beiden Säle hinter geschlossenen Backsteinwänden. Ihr roter Wasserstrichziegel ist mit einer weißen Engobe versehen, deren Deckungskraft variiert und damit Roséschattierungen erzeugt, die Leben in die Wand bringen. Zusätzlich hat der große Saal lange, hohe Fenster, unter denen Sitzbänkchen in die Außenwände eingebaut sind. Für Gliederung sorgt über jedem Fenster ein Streifen aus auf der Seite gemauerten, ihre Mulde nach außen kehrenden Ziegeln. Ihre Vertikalität betont die Höhe des Bühnenturms und kaschiert Notüberläufe und Dehnfugen. Da man mit einer Geräuschkulisse von bis zu 105 dB rechnet, empfahl sich das schwere Ziegelmauerwerk in Kombination mit Hohlräumen, Betoninnenwänden und Box-in-a-Box-Konstruktionen, um den Lärm im Gebäudeinnern zu halten.

Weiterhin bestimmen bronzefarbene, semitransparente Aluminiumpaneele das Außenbild des Theaters. Sie tragen ein Muster aus ineinander verschachtelten Rosetten, die sich aus kleinen Dreiecksformen zusammensetzen. In Kombination mit der Rundung unter dem Dachüberstand verleihen sie dem Gebäude eine exotische Anmutung, die mehr mit islamischer als mit niederländischer Architektur verwandt zu sein scheint. Dahinter steckt das Bestreben des Theaters, die Einwohner von Rotterdam-Süd anzusprechen.

In den 90er Jahren hatte das Theater Zuidplein noch eine konventionelle Programmierung mit Theateraufführungen und klassischen Konzerten – aber die Besucherzahlen schwanden angesichts der Konkurrenz zentraler gelegener, renommierterer Kulturhäuser. Vor etwa 20 Jahren erteilte die Stadt dem Theater daher den Auftrag, fortan auch »neue Rotterdamer« anzusprechen.

Gemeint waren die etwa 70 % der Einwohner von Rotterdam-Zuid mit Migrationshintergrund. Seither stehen Hip-Hop-Konzerte, Bollywood-Abende, Auftritte von Stand-up-Comedians und Jugendvorstellungen auf dem Programm. Ganz bewusst will man all jene in das Theater Zuidplein locken, die mit dem sonstigen Kulturangebot der Stadt wenig anfangen können. Dafür musste der Theaterbau so zugänglich wie möglich wirken.

Der Platz vor dem Theater dient dank der Caféterrasse bei schönem Wetter als Freiluft-Wohnzimmer. Von dort aus betritt man das doppelgeschossige Foyer, das ebenfalls als öffentliches Wohnzimmer formuliert ist. Die durchbrochenen Aluminiumpaneele der Fassade erzeugen tagsüber ein lebendiges Licht- und Schattenspiel im Foyer, während sie das Gebäude abends, wenn sein Innenleben beleuchtet ist, in eine große orientalische Laterne verwandeln.

Beim Betreten der Halle liegt zur Linken eine kleine, mit Glastüren abgetrennte Filiale der Stadtbücherei, in der auch Computer- und Sprachkurse abgehalten werden. Daneben befindet sich eine offene, ebenerdige Bühne für Kindervorstellungen und Nachbarschaftsaktivitäten, über der ein großer LED-Bildschirm hängt. Rechts vom Eingang steht eine pinkfarben beleuchtete Bar- und Kücheninsel, hinter der der Restaurantbereich seinen Platz hat. Überall im Raum verteilte Sitzmöbel, aber auch das Fischgrätmuster des Natursteinbodens tragen zum Wohnzimmercharakter bei.

Kristallgefüllte Geode

Der Zugang zu den Theatersälen liegt im hinteren Bereich der Halle und hebt sich durch seine sattroten Wände, Böden und Decken deutlich vom Dunkelgrau des Foyers ab. Die Farbwahl hat Signalwirkung, ist aber v. a. eine Reminiszenz an den Altbau des Theaters, der seit der letzten Renovierung im Jahr 2004 nicht nur innen, sondern auch außen knallrot war. Der kleine Saal war lilafarben, der große rot bestuhlt – dieses Schema hat De Zwarte Hond für den Neubau übernommen. Während der kleine Saal Platz für 250 Zuschauer bietet, passen in den großen über Parterre und Balkon verteilt 600 Besucher. Er ist rundum in saftiges Rot getaucht, von den Stühlen bis hin zu der akustisch wirksamen Wandbekleidung aus 6 000 Aluminium-Dreiecken, die von einer CNC-Fräse zugeschnitten und dann mit Hilfe eines Algorithmus positioniert wurden. Sie lassen den Saal wie das Innere einer kristallgefüllten, rubinroten Geode oder Druse wirken, reflektieren aber auch das Dreiecksmotiv der Fassadenbekleidung.

Damit möglichst unterschiedliche Veranstaltungen im Saal statt­finden können, ist zwischen Zuschauerraum und Bühne eine hochfahrbare Wand im Boden versteckt. Mit ihrer Hilfe kann die Bühne abgetrennt und in einen Stehsaal für 1 000 Zuschauer umfunktioniert werden. Ungewöhnlicherweise bieten drei vertikale Fensteröffnungen einen Ausblick von der Bühne auf die Straße und die gegenüberliegende Metrohaltestelle. Dieser Blickbezug erscheint als Sinnbild für die Ansprüche des Theaterbaus: Kultur und Stadtleben verbinden, Offenheit signalisieren und neben aus der Ferne angereisten Kulturliebhabern v. a. die Bewohner des Viertels ansprechen. Die eigenwillige Ästhetik des Gebäudes mit ihren orientalischen Anklängen sorgt darüber ­hinaus dafür, dass das neue »kulturelle Herz« von Rotterdam-Zuid sich in der städtebaulichen Kakofonie seiner Umgebung behaupten kann.

db, Do., 2021.04.01

01. April 2021 Anneke Bokern

Echo der Stadt

(SUBTITLE) Z33 – Haus für aktuelle Kunst, Design & Architektur, Hasselt (B)

Die Erweiterung des Ausstellungshauses Z33 orientiert sich an Platzfolgen und Raumverhältnissen der mittelalterlich geprägten Innenstadt. Neben dem Beginenhof erwies sich dabei auch der bestehende Gebäudeteil von 1958 als Inspirationsquelle für raumerlebnisreiche Rundgänge. Mit sorgfältigen Details bis hin zu speziell für das Projekt entwickelten Backsteinen wird das Haus zu einem Sonderfall unter den Kulturbauten.

In einem Film auf der Website des Z33 spricht Francesca Torzo über ihre ­Gebäudeerweiterung. Der schimmernde Terrazzo ihres Genueser Büros ist zu sehen, das Meer in der Ferne. Dann nimmt sie einen der eigens für dieses Projekt geschaffenen, rautenförmigen Klinker in die Hand, hält den glatten Stein sanft an die Wange: »You can rest on it. This was a check – if it was gentle enough.« Torzos Architektur, das wird spätestens jetzt klar, ist eine der Körperlichkeit, der Sinnlichkeit. Im späteren Gespräch am Telefon bestätigt sich, dass diese Haltung weit über das sorgfältige Detail hinausreicht – und auf der präzisen Analyse des Kontexts fußt, räumlich wie historisch. Torzo redet über die gewachsene Struktur der flämischen Stadt, über Maßstab, Abgrenzung und Verbindung. Es geht um Fügung und Material, um Oberfläche, Raum und Bewegung.

Relation zur Stadt

Hasselt ist trotz manch uninspirierten Eingriffs bis heute eine mittelalterlich geprägte Stadt. Dunkler Ziegel herrscht vor in schmalen Straßen, ein Beginenhof blieb in Teilen erhalten. Eingebettet in dessen Randbebauung, nutzte das 2002 aus seinem Vorläufer PCBK hervorgegangene Kunstzentrum Z33 ein­zelne der historischen Häuschen mit. Größere Flächen bot ein Flügel von 1958, der mit vielfältigen Räumen und viel Licht zu den gelungenen Beispielen seiner Epoche zählt, aber für das breite Spektrum aktueller Kunstproduktion nicht mehr ausreichte.

Eine benachbarte Schule, die 2010 ihre Funktion verloren hatte, stand zur Disposition. Torzos im Wettbewerb 2012 siegreicher Entwurf schließt nach deren Abriss die Lücke wieder vollständig. Den zuvor im Hof gelegenen Eingang des Ausstellungshauses wendet er dabei erstmals zur Stadt. Dennoch durchbricht, abgesehen von einer Lieferzufahrt am gegenüberliegenden Ende, nur eine schmale, wie mit dem Messer eingeschnittene Öffnung die lange Mauer. Torzo setzte sich damit durch, obwohl die Pläne hermetisch wirkten. Heute zeigt sich, dass visuelle Zugänglichkeit auch eine Frage der Textur sein kann. Ebenjene Klinker im dunklen, der Stadt ringsum abgelauschten Rot verleihen der Wand eine angenehme Stofflichkeit. In ihrer ungewöhnlichen Rautenform enden die Steine jeweils ein Stück vor allen Kanten. Die freien Flächen sind mit gleichfarbigem Mörtel aufgefüllt: Eine kaum sichtbare Bordüre entsteht, die das Textilartige unterstreicht.

Durch die klare Setzung zur Straße gewinnt der Entwurf einen eigenständigen Raum – Raum für eine innere »Promenade architecturale«, die sich zur Stadt kaum öffnet, sich aber deren Prinzipien von Wegen, Platzfolgen und Lichtwechseln aneignet. So empfängt den Besucher zunächst ein Kleinst-Atrium, links folgt ein kleines Entree. Hat man schließlich das Foyer an der Schnittkante zum älteren Flügel erreicht, ist man bereits dreimal abgebogen. Ein inneres Fenster lenkt den Blick links in einen größeren Saal; statt direkt dorthin zu führen, verläuft der Weg weiter und biegt wiederum ab, folgt einem fensterlosen, 30 m langen, 11 m hohen, leicht geknickten, sich leicht öffnenden, leicht ansteigenden – ja, was eigentlich – Gang, Raum – ? Müßig, den Weg vollständig in Worte fassen zu wollen; erste Kunstwerke tauchen auf, eine Treppe, der man sich von hinten nähert, ein quadratischer hoher Raum mit Lichtdecke, ein weiteres Atrium, das Licht ins Gebäudezentrum holt.

Entscheidend ist: Der Besucher erschließt sich den neuen Flügel nicht über eine schnell zu begreifende Grundrissvorstellung, sondern wandernd, über Durchsichten. Erst in der oberen Etage öffnet sich der Blick auf den Beginengarten und Reste der im Krieg zerstörten Kirche. Die meiste Zeit bleibt man ganz bei sich und der Kunst – und bei der Architektur. Schimmernder Estrich hält einen Fingerbreit Abstand von den Wänden in sorgfältigem Putz, die Laibungen der Durchgänge laufen spitz zu, als wollten sie die Wand auf Membranstärke ausdünnen, während die Betondecken in einer Art Waffelmuster gegossen wurden, das erneut an Stoff erinnert und im OG sogar in Schwingung gerät.

Inspiration im Bestand

All diese Details wirken nicht manieriert, sondern als Respektbezeugung gegenüber der Architektur: Hier hat sich ihr jemand tatsächlich gewidmet. Kuratorisch bespielen lassen sich die Räume ohnehin, wie die ersten Ausstellungen mit unterschiedlichen Installationen einschließlich medialer Werke bewiesen haben. Fast für jeden Wunsch lassen sich die richtige Großzügigkeit oder Intimität, Schatten oder Lichteinfall finden. Ein weiterer Effekt zeigt sich, wenn man im OG weitergeht, vom neuen »Vleugel 19« in den bestehenden »Vleugel 58«: Plötzlich fällt auf, dass Torzo viele ihrer Referenzen direkt im Bestand gefunden hat. Das gilt für die Kombination unterschiedlicher Säle, für den wechselvollen Umgang mit Fenstern und Lichtdecken. Es gilt für den Treppenraum, der in der neuen, weiter innen liegenden Treppe bis ins Geländer hinein ein Echo findet. Und für weitere Details: Auch der damalige Architekt, Gustaaf Daniëls, ließ Ende der 50er-Jahre über seiner Treppe eine profilierte Decke schweben. Ebenso entschied bereits er sich für verfeinerte, sich getreppt verjüngende Türlaibungen.

Auch wegen dieser Qualitäten griff Torzo kaum in den Bestand ein. Eine Ausnahme bildet der weiter in den Hof reichende Trakt, der nun das Café aufnimmt. Um zum angrenzenden Neubau überzuleiten, den die Architektin um zwölf Stufen niedriger anlegte als den aufgesockelten Altbau, senkte sie den Boden bereits hier ab. Den Höhenversprung umspielt sie mehrfach: mit einer wegartigen Treppe zwischen zwei Foyerzonen, mit einer Empore im Café, mit einer dieser Empore vorgelagerten neuen Terrasse im Hof. Die verschiedenen Parterrehöhen – bei durchlaufendem OG – erlaubten nicht nur mehr Varianz der Raumhöhen im neuen Flügel, sondern auch ein Zwischengeschoss für einen Teil der nicht öffentlichen Bereiche. Tatsächlich umfasst die Erweiterung zahlreiche Nebenfunktionen, die v. a. entlang der Hoffassade aufgereiht sind. Neben Büroplätzen gehören dazu etwa Werkstätten und Depots sowie Räume für Artists in Residence, mit schützend umfangener Dachterrasse.

Langer Atem

Dass Francesca Torzo, die zuvor u. a. bei Peter Zumthor tätig war, überhaupt die Möglichkeit zu solcher Durcharbeitung erhielt, ist ungewöhnlich. So wollte sie etwa die 37 mm dicken Klinker keinesfalls einfach vor die Betonwand ­hängen, sondern entwarf sie als »ehrliche«, sich über den Mörtel mit den dahinterliegenden bewehrten Mauersteinen zu einer tragenden Einheit verbindende Schicht. 12 cm Dämmung trennen diese von der innen liegenden, 20 cm dicken Betonwand. Es gibt nur zwei Dehnfugen, jeweils an einem ­Gebäudeknick. Aus der größten, etwa 35 m messenden Teilstrecke müssen sie jeweils Längenänderungen von bis zu 5 mm aufnehmen.

Die – letzten Endes in Dänemark produzierten – Steine in der nötigen Präzision zu entwickeln, dauerte samt baulicher Zulassung mehrere Jahre. Die Architektin »profitierte« dabei von anderen Verzögerungen: Bis zum Baubeginn vergingen fünf Jahre, auch weil sich die kulturelle Zuständigkeit in dieser Zeit von der Provinz zur Flämischen Gemeinschaft verlagerte.

Was schließlich auch zum Garten überleitet: Direkter Nachbar ist das städtische Jenevermuseum; jenseits davon werden im gemeinsamen Auftrag der Provinz, der Stadt und der Universität Hasselt derzeit weitere Teile des Beginenhofs von einem Team aus vier Büros für die Universität und als öffentlicher Raum umgeplant. Deren Projekt schließt den ans Z33 grenzenden Freibereich mit ein. Spannend wäre es gewesen, wenn Torzo auch dafür verantwortlich gezeichnet hätte, gerade weil sie auch auf dieser Seite, angelehnt an historische Typologien, auf eine großzügige Öffnung des Hauses verzichtet. In den Hof, schon früher vom Z33 mitgenutzt, gelangt man nicht direkt aus den Sälen, sondern über den ursprünglichen Eingang oder über eine mäandernde Rampe von der neuen Terrasse aus. Innerhalb des Entwurfs ist das konsequent, weil es den Freibereich genauso behandelt wie das System aus Wegen und Orten im Inneren. Es bedeutet allerdings auch, dass künftige Hofnutzungen des Z33 ausreichend Eigengewicht entwickeln müssen, um als vollwertiger Teil des Gesamtzusammenhangs zu funktionieren.

In einer kleinen Publikation des Z33 wird das neu geschaffene Raumgefüge als positive Herausforderung für Besucher, Kuratoren und Künstler beschrieben. In der Tat: Die Architektur ist selbstbewusst – aber nie diktatorisch.

V. a. macht sie Angebote, räumlich und atmosphärisch, die weiter reichen, als ein White Cube es leisten könnte. Gleichzeitig enthält sich das Haus des gezielten Clashs mit der Stadt: Es hält sie draußen (in diesem Sinne ist es eher konservativ), aber es weiß um sie, ist Resonanzraum der Stadt.

db, Do., 2021.04.01

01. April 2021 Olaf Winkler

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