Editorial

Machen wir uns nichts vor, Bauen ist eine Umweltsünde par ecxellence. Ernsthaft klimaschonend, geschweige denn klimaneutral zu bauen, ist schlicht unmöglich. Etwa ein Fünftel des jährlichen weltweiten Ressourcenverbrauchs darf man dem Bausektor zuschreiben.

2019 war der Erdüberlastungstag wieder um vier Tage früher erreicht als noch im Jahr 2017. Bereits Ende Juli überstieg die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen die Kapazität der Erde, diese Ressourcen noch im selben Jahr zu reproduzieren – global gerechnet; würde die gesamte Welt z. B. so haushalten wie Deutschland, wären dazu drei Erden nötig.

Jeder Neubau – mag er auch dazu beitragen, die Renten, Arbeitsplätze und unseren Raumbedarf abzusichern – ist ökologisch gesehen eine Katastrophe.

Als größtem Verbraucher der weltweiten Rohstoffe und Verursacher von immensen Abfallmengen bleibt der Bauwirtschaft nur die Schadensbegrenzung. Etwa durch die Weiternutzen von Bestandsbauten – allermindestens die bereits geleisteten Investitionen in Fundamentierung und Tragstruktur bleiben dabei erhalten.

Und – kaum überraschend – kommt der Ingenieurskonzern Arup in seinem Report »Rethinking Timber« zu dem Schluss, dass möglichst natürliche, möglichst naturbelassene Baustoffe den besten Weg weisen, den ökologischen Fußabdruck beim Bauen zu verringern.

Ganz klar: Ökologisch ist es, gar nicht zu bauen. Sinnvoll ist es: überlegt zu bauen – so wie es z. B. die »Architects for Future« fordern, die sich – in Anlehnung an die Fridays for Future-Bewegung – für einen nachhaltigen Wandel der Baubranche einsetzen, oder so wie es der Bund Deutscher Architekten (BDA) in seinem Positionspapier »Das Haus der Erde« noch viel radikaler angeht, indem er grundsätzlich die Abkehr vom Wachstumsgedanken verlangt.

Das alles sind dicke Bretter, die da auf politischer wie auch gesellschaftlicher Ebene zu bohren sind. Man muss daran aber nicht verzweifeln, auch wenn der Eindruck entstanden ist, es habe sich in den letzten fünf Jahrzehnten kaum etwas getan. Zwar wurde so mancher Irrweg beschritten oder auch Taubheit vorgeschützt – insgesamt geht es aber voran, wenn auch langsam, hoffentlich nicht zu langsam. | Achim Geissinger

Haus in der Natur – Natur im Haus

(SUBTITLE) »Grüne Erde Welt« in Pettenbach (A)

Beim Flagshipstore mit Produktionsstandort des Ökolabels Grüne Erde steht nicht allein das aus natürlichen Baustoffen errichtete Gebäude im Vordergrund. Im oberösterreichischen Pettenbach wurde viel Wert auch auf die Einbeziehung eines natürlichen Umfelds gelegt. Es entstanden Wohlfühlräume mit geringem ökologischen Fußabdruck.

Grüne Erde wurde in Österreich Mitte der 80er Jahre mit dem Ziel gegründet, nachhaltig zu wirtschaften, ohne Mensch und Natur auszubeuten. Gab es zu Beginn nur ein Matratzenmodell, verfügt das Unternehmen heute über ein großes Sortiment aus Massivholzmöbeln, Modeartikeln, Naturkosmetik sowie Produkten der Bereiche Wohnen und Schlafen. Anfänglich erfolgte der Warenverkauf nur mittels Katalog, später kamen Läden in österreichischen und deutschen Städten sowie das Internet hinzu. Trotz 50 Mio. Euro Jahresumsatz bestehen noch immer unverändert hohe Ambitionen. So werden nur natürliche, nachwachsende Rohmaterialien eingesetzt, die ohne petrochemisch erzeugte Kunststoffe und genmanipulierte Stoffe auskommen; Produkte toter Tiere, wie z. B. Leder, sind tabu; Möbel bestehen aus Vollholz und enthalten keine Metallbauteile; und Rohstoffe wie Naturlatex werden im Ursprungsland des Kautschuks verarbeitet, um die Wertschöpfung vor Ort zu belassen. Hinzu kommen handwerklich geprägte Arbeitstechniken und eine schlichte, puristisch zeitlose Gestaltung. Doch wie ist es gelungen, diese Ansprüche in einen Flagshipstore zu übersetzen?

Einbindung in die Landschaft

Pettenbach im oberösterreichischen Voralpenland erwies sich als Standort für die »Grüne Erde Welt« aus mehreren Gründen als geeignet. Von hier ist es nicht weit zum Firmenhauptsitz in Scharnstein, und es gab ein Grundstück, das genug Platz bot, um das gesamte Produktangebot zu präsentieren, aber auch um Produkte wie z. B. Matratzen, Möbel und Textilien herzustellen.

Wesentlich war zudem die Lage inmitten von Wäldern, Wiesen und Bergen in einer dünn besiedelten Gegend unweit der Autobahn Wien-Salzburg. Um ihre Geschichte mithilfe eines neuen Hauses in der Natur möglichst stimmig ­erzählen zu können, suchten die Bauherren einen Planer, der sich mit der Natur genauso gut auskennt wie mit Häusern. Fündig wurden sie bei Klaus K. Loenhart – jenem Architekten und Landschaftsarchitekten, der 2015 mit seiner Planung für den österreichischen Pavillon auf der Expo Mailand Aufsehen erregte. Dort legten er und sein Studio Terrain einen gut 500 m² großen Wald mit Wassernebelanlage an, der für ein angenehmes Mikroklima, frische Luft und eine spürbare Temperaturabsenkung sorgte.

Der Weg ist das Ziel

Auf dem Weg zur Grüne Erde Welt ist das fast 200 m lange, eingeschossige Gebäude erst einmal kaum auszumachen, weil es vor einem bewaldeten Hügel von zahlreichen Bäumen, Büschen und Sträuchern verdeckt wird. Vom Kundenparkplatz aus müssen die Besucher 200 m zu Fuß zurücklegen. Dabei durchqueren sie eine üppig u. a. mit 450 Bäumen neu bepflanzte Grünfläche, die zuvor landwirtschaftlich genutzt war und heute aussieht wie eine ­Mischung aus Naturlandschaft, Bauerngarten und Gartenschau.

Vorbei an Gewächshäusern, Gemüse- und Blumenfeldern führt ein Schotterweg in organischen Schwüngen in Richtung Eingang, bis schließlich zur äußeren Stille eine mit Wohlgefühlen gepaarte innere Ruhe hinzutritt und das unspektakulär in den Baukörper eingeschnittene Entree zu sehen ist. Nach und nach wird deutlich, dass viele der Bäume lediglich ein Spiegelbild in der Glasfassade sind. Die schachbrettartig flirrenden Grautöne im Glas entstehen durch die Spiegelung des Himmels in den unterschiedlich stark geneigten, geschuppt angeordneten Scheiben – ein Effekt, der an ein Landart-Projekt denken lässt.

Schöne weite Welt

Der Eingangsbereich ist unscheinbar und kommt völlig ohne Werbebotschaften aus. Blicke von außen ins Gebäudeinnere sind allerdings nicht möglich, weil die Glasfassade kein Raumabschluss ist, sondern eine Holz-Ständerwandkonstruktion bekleidet. Wirkten die Grautöne aus der Ferne noch spielerisch leicht, erscheinen sie aus der Nähe abweisend. Dass die drei anderen Gebäudeseiten mit identisch großen Schuppen aus stimmungsvoll verwittertem, unbehandelten Weißtannen-Brettschichtholz bekleidet sind, erschließt sich erst, wenn man das Haus umrundet oder auf die Bistro-Terrasse hinaustritt.

Angesichts des als spiegelnde Barriere erscheinenden Gebäudes umso über­raschender ist die offene Durchlässigkeit im Innern. Da ist erst einmal der Geruch: frisch, unaufdringlich, mit einer leichten Note sanfter ­Naturkosmetik. Vor den Besuchern liegt ein lichtdurchfluteter Raum, geprägt von einem Tragwerk aus weiß lasierten Holzstützen und Leimholz-Dach­trägern aus Fichte. Basierend auf einem Rastermaß von 2,4 x 2,4 m sind die statisch als Rost wirkenden Deckenfelder und die Stützen ungleichmäßig verteilt, was ­eine flexible Nutzung zulässt und eine angenehme Mischung aus Klarheit und Unordnung ergibt. Der ebenso simple wie ästhetische, geschliffene Betonboden erscheint dank des verwendeten Weißzements ebenfalls hell. Hinzu kommen hell lasierte Holzmöbel, Warenträger und Produkte sowie insgesamt 13 von bodentiefen Glasfassaden umschlossene und üppig bepflanzte Innenhofinseln. Dass der sinnliche Ruhe ausstrahlende Raum offensichtlich weitläufig ist, aber dennoch nicht als Ganzes erfasst werden kann, lässt die Besucher unwillkürlich sofort auf Entdeckungsreise gehen.

Wald im Haus

Die jeweils mit österreichtypischen »Waldgesellschaften« bepflanzten Inseln übernehmen viele wichtige Aufgaben: Als sattgrüne Felder im durchgängig milchig-erdfarbenen Innenraum schaffen sie angenehme Kontraste. Sie gliedern auf subtile Weise den Weg durchs Haus und grenzen die offenen Bereiche voneinander ab. Sie bringen Tageslicht in die gestalterisch identischen Verkaufs- und Produktionsflächen und sorgen dafür, dass die Besucher nicht den Bezug zur Außenwelt verlieren. Zweifellos stehen die Waldinseln aber auch symbolhaft für die ökologische Ausrichtung und den Baum als Markenlogo des Unternehmens. Außerdem leisten sie (wie auch schon die Freiflächen vor dem Eingang) einen wichtigen Beitrag zur CO2-Kompensation und zur Verbesserung des Mikroklimas. Durch öffenbare Schiebefenster strömt ­frische würzige Waldluft ins Innere, die die Luftqualität verbessert. Die darüber hinaus nötige Belüftung stammt aus einer Lüftungsanlage, die Frischluft von einem Luftbrunnen am Waldrand direkt in die Bodenauslässe an den Fenstern bringt.

Die von Biologen genau definierten, teilweise mit Wassernebel besprühten Waldgesellschaften unterstützen zudem die natürliche sommerliche Kühlung. Den Rest des Kühlbedarfs übernehmen Heiz-Kühlschleifen im Boden, deren temperiertes Wasser aus einer Tiefenbohrung stammt. Der für die damit verknüpfte Wärmepumpe und für den Gebäudebetrieb erforderliche Strom kommt in ausreichender Menge von einer flächendeckend auf dem Dach ­installierten Photovoltaikanlage mit einer Nennleistung von rund 310 kWp.

Roter Faden Nachhaltigkeit

Die Ökologie- und Nachhaltigkeitsaspekte ziehen sich – meist für Besucher kaum merklich – als roter Faden durch das ganze Haus. Beispielsweise als Konstruktions- und Fassadenholz aus lokalen Wäldern, als langlebige Holz-Alu-Pfosten-Riegel-Konstruktion, als mit Schafwolle gedämmte Außenwände, aber auch in Form der Verwendung von Naturkautschuk statt erdölbasierter Kunststoffe oder der lösungsmittelfreien Lasuren der Holzoberflächen. Hinzu kommt noch ein Aspekt, der den Besuchern völlig verborgen bleibt: Auf dem Grundstück befand sich ehemals ein rund 50 Jahre altes Fabrikationsgebäude, das bis auf eine Lagerhalle komplett abgebrochen wurde. Die Halle blieb samt gespeicherter grauer Energie erhalten und wurde – ebenso wie eine potenzielle Erweiterungsfläche daneben – mit neuer Fassade in den Neubau integriert. Erhalten blieb auch der Footprint des Vorgängerbaus, sodass das heutige Gebäudeensemble nicht mehr Fläche versiegelt als zuvor. Außerdem wurden die Betonteile der abgebrochenen Bauten vor Ort geschreddert und als Unterboden für die geschotterten Wege wiederverwendet.

Vielleicht ist die Architektur der Grüne Erde Welt nicht ganz so hundertprozentig konsequent wie etwa die metallfreien Vollholzmöbel – das Holztragwerk ohne sichtbare Verbindungsmittel kam jedenfalls nicht gänzlich ohne Metallverbindungsteile aus. Letztlich ist sie aber ­tatsächlich genau das, was sie sein soll: ein Statement für die ganzheitliche Verbindung zwischen Haus und Natur. Und so zeigt das Gebäude wesentlich mehr Möglichkeiten auf als die meisten anderen Neubauten unserer Zeit.

Zugleich weckt es den Entdeckergeist und bietet gesunde Verkaufsflächen und Arbeitsplätze. Wie wohl sich die Gäste dort fühlen, könnten die Umsatzzahlen zeigen, die allerdings ebenso wenig öffentlich sind wie die Baukosten. Ein aussagekräftiger Indikator ist jedoch die Tatsache, dass die Küche des Bistros in naher Zukunft so umgebaut werden soll, dass sich dort mehr Speisen zube­reiten lassen. Die Gästezahlen scheinen also auf jeden Fall zu stimmen.

db, Di., 2019.11.12

12. November 2019 Roland Pawlitschko

Korkanzug

(SUBTITLE) »Korkenzieherhaus« in Berlin-Staaken

Alle Anstrengungen, ein Einfamilienhaus recycelbar und aus möglichst naturnahen Materialien zu bauen, müssen zwangsläufig wie Greenwashing wirken. Doch wer, wenn nicht ein privater Bauherr, kann auf den Pioniergeist junger Architekten vertrauen, den Boden für Experimente bereiten und so die Anwendung außergewöhnlicher Techniken wie z. B. Korkplatten als Fassadenbekleidung voranbringen?

Im Umfeld einer in die Jahre gekommenen, von gestalterischer Selbstbestimmung geprägten »Wildschweinsiedlung« am Rand der großen Stadt steht das Korkhaus als freundlicher Alien unter lauter anderen Einfamilienhäusern. Mit seinen regenerativen Baumaterialien Kork und Holz, einem ambitionierten Energiekonzept und der kubisch-reduzierten Gestaltung samt Schrägdach hält es seinen mal besäulten, mal etwas angeschmuddelten Nachbarn den Spiegel vor. Charmant zeigt es ihnen dabei auf, was architektonisch bei der Bauaufgabe so alles denkbar wäre, ohne sich zugleich exaltiert über die Nachbarn zu erheben. Das Korkenzieherhaus macht damit genau das, was gute Architektur immer tun sollte: Mit ihm loten die beiden jungen Architekten Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce mit ihrem Büro rundzwei in Grundriss, Form und Material die Möglichkeiten von Bauaufgabe und Budget aus. Ihren selbstgestellten Grundsatz der unbedingten Nachhaltigkeit beim Bauen im Sinne des Cradle-to-Cradle-Ansatzes, behalten sie dabei konsequent im Blick.

Das Maximum herausgeholt

Den Anstoß zu dem planungsintensiven Einfamilienhaus in Berlin gab der Zufall. Auf einer Bahnfahrt kam Marc Dufour-Feronce mit seiner künftigen Bauherrin ins Gespräch. Man traf sich wieder und das in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Vorhaben konnte seinen Lauf nehmen. Ungewöhnlich ist nicht nur das Fassadenmaterial. Ungewöhnlich waren auch die Knackpunkte der Bauaufgabe, nämlich die Forderung der Bauherrin, das Haus bei Bedarf in zwei unabhängig voneinander erschließbare Einheiten unterteilen zu können. Ein Wunsch, der noch relativ einfach in die Grundrissentwicklung zu integrieren war. Die über dem Gebäudesockel liegenden kleineren Räume sind teilweise untereinander verbunden und können auch als Studio-Apartments genutzt werden, ein separater Eingang ist mit eingeplant.

Eine weitaus größere Herausforderung war es für die Architekten, auf UG, EG und DG eine Wohnfläche von über 300 m² unterzubringen. Und das, ohne dass man sich dabei im UG wie im Keller fühlt. Möglich wurde das nur, indem die Zitrone des Baurechts von den Architekten hinsichtlich Kelleranhebung und Dachausformung soweit ausgequetscht wurde, bis sie keinen weiteren Saft mehr geben konnte. So lugt der »Keller« nun über den Boden hinaus und wurde zum Wohngeschoss. Hinzu kam die innere Raumorganisation des Hauses anhand von Split-Levels, die sich um den zentralen Erschließungskern des Treppenhauses nach oben schrauben. Das sieht reizvoll aus und erinnert an eine Art zeitgenössische Mischung aus Loos’schem Raumplan und Scharoun’schem organischem Bauen. Im Fertigstellungsjahr 2019 passt das eigentlich hübsch als zeitgenössisches Korrektiv zur Quadratur des Bauhausjubiläums.

Der Außenpool ist eingetieft und dadurch vor den Blicken der Nachbarn geschützt. Wie das gesamte UG wird er durch Wände aus grobem Stampfbeton eingefasst, die ihre schichtweise Entstehung zur Schau tragen – eine Reminiszenz an die Berliner Tradition des Kellergeschossbaus, erläutert Dufour-Feronce.

Um das ambitionierte Raumprogramm zu verwirklichen, reicht das Haus nun also tief in die Erde hinab. Darüber aber schwebt es, ganz Kind ­einer leichten Moderne, mit einem gläsernen Sockelgeschoss empor. Darüber schließt sich das mit hochrechteckigen Korkplatten bekleidete OG an. Es mündet in eine scharfkantige, kronenartige Dachlandschaft mit vier Giebelfeldern. Dort, wo sich die Satteldachflächen in der Mitte des Hauses verschneiden, haben die Architekten ein zentrales Oberlicht platziert. Es versorgt das innen liegende Treppenhaus mit Tageslicht.

Betreten dürfen wir das Korkenzieherhaus leider nicht. Zu unerfreulich waren die Erfahrungen, die die Bauherrin mit allzu schaulustigen Architekturliebhabern bereits gemacht hat. So muss sich das Erlebnis der spiralartig – korkenzieherartig – hochwindenden Raumstruktur der Holzkonstruktion des Hauses auf die Erläuterungen von Marc Dufour-Feronce im Büro von rundzwei Architekten in Charlottenburg beschränken. Gleich um die Ecke steht die Alma Mater der beiden Architekten, die TU-Berlin. Während Reeg nach ­seinem Diplom bei ACME in London und bei Herzog & de Meuron internationale Erfahrungen sammelte, arbeitete Dufour-Feronce ebenfalls zunächst bei ACME und anschließend bei LAB Architecture Studio.

Weitgehend rückbaubar

Der Grundsatz der Nachhaltigkeit, dem sich die Architekten programmatisch verschrieben haben, beißt sich gemäß der reinen Lehre freilich kräftig mit der Bauaufgabe eines Einfamilienhauses. Bei einer Wohnfläche von rund 300 m² für drei Personen sowie Außenpool bekommt das Konzept zusätzliche Schlagseite.

Nun ist die reine Lehre das eine, die normative Kraft der faktischen Forderungen der Bauherrschaft das andere. Daher lohnt trotz dieser Einschränkung der Blick auf die nachhaltigen Bemühungen der Architekten, mit einem weitgehend vorfabrizierten Holzbau und dem Energiekonzept mit Erdspeicherheizung, Bauteilaktivierung, Photovoltaik sowie Solarthermieanlage auf dem Carport.

Das Gebäudeinnere ist bestimmt vom Dreiklang aus Ortbetonböden im EG (mit Estrichspachtel behandelt und mit grauem Silikatanstrich versehen), Holzflächen aus mit Natur-Öl behandelter Fichte (Bekleidungen der Holzbalkendecken, Fensterrahmen, Leimholzstufen und Pflasterparkett in den OGs) und offenporigen, mit einer natürlichen weißen Silikatfarbe beschichteten Gipsfaserplatten als Wandbekleidungen, die fast ebenso viel Feuchtigkeit aufnehmen können wie Lehmputzplatten. Wo irgend möglich haben die Architekten auf mechanische Befestigungstechniken zurückgegriffen, um auf Bauschäume und Kleber verzichten zu können – auf dem lösungsmittelfreien ­Parkettkleber auf Acrylbasis prangt immerhin ein Öko-Siegel.

Hinzu kommt schließlich das nicht nur in Berlin bisher ungewöhnliche Fassadenmaterial aus 14 cm dicken Korkfassadenplatten. Sie sind direkt auf die darunter liegenden Holzfaserplatten montiert, die dem Holzrahmen mit Zelluloseeinblas- und Holzfaserstopfdämmung aufliegen.

Die Idee für die Fassade aus Kork hat eine Mitarbeiterin aus Portugal mitgebracht, erzählt Dufour-Feronce. Das nachwachsende Naturmaterial, mit seinen markanten mal helleren, mal dunkleren Farbnuancen und der leicht reliefartigen Oberflächentextur, wird dort alle paar Jahre von den Stämmen der Korkeichen geschält. Längst dient es nicht mehr nur zum Verschließen von Weinflaschen oder als Fußbodenbelag. Es findet seinen Einsatz u. a. in der Industrie, denn es dämmt Geräusche und Vibrationen, kommt ohne chemische Zusatzstoffe oder Kleber aus und gilt darüber hinaus als wasserabweisend, feuerbeständig und strapazierfähig. Also der ideale Ersatz für die wenig geliebten und wenig nachhaltigen Wärmedämmverbundsysteme, mit denen Land auf Land ab immer noch zahllose Häuser eingepackt werden? Die Hersteller aus Portugal scheinen davon fest überzeugt zu sein, berichten die Architekten, die sich von der Faszination für das Material haben anstecken lassen. Immerhin gibt der Hersteller 20 Jahre Garantie auf die Haltbarkeit des Materials, das im Lauf der Zeit eine helle Patina entwickelt. Im Übrigen gibt es keinerlei Mangel an Kork – dahingehende Behauptungen gehören in den Bereich der Gerüchte.

Die maximale Größe der Platten von 100 x 50 cm ergibt sich aus der Größe der Presse, in der die zunächst zu Granulat verarbeiteten Stücke der Baumrinde – mitunter Abfall aus der Flaschenkorkenproduktion – unter Druck und Wärme ihre Form erhalten.

Dabei treten enthaltene Harze aus, die die Korkkörner untereinander verbinden und dafür sorgen, dass die Platten ohne weitere chemische Zusätze verbaubar sind und sogar schimmelresistent bleiben.

An der Fassade sind die Platten dann in einem Falz-System befestigt. An den Dachkanten wurden sie auf Gehrung geschnitten, um einen möglichst scharfkantigen Dachabschluss zu erzeugen. Der wird auch nicht durch Regenrinnen gestört, da innenliegende Fallrohre das Regenwasser abführen. Generell ist bei der Verwendung von Korkdämmung mit einem Kostenplus von rund 15 % gegenüber WDVS zu rechnen. Beim Staakener Haus kam man sogar auf 50 % – der speziellen Detailausbildung und der scharfen Kanten wegen.

Von einem internationalen Kork-Hype sollte man vielleicht noch nicht sprechen. Gleichwohl findet sich das vollständig recycelbare Naturmaterial nicht nur am Berliner Korkenzieherhaus. Gleich eine ganze Reihe ambitionierter Projekte experimentieren derzeit damit. Dazu zählt auch das Cork-House im englischen Berkshire von Matthew Barnett Howland mit Dido Milne und Oliver Wilton. In Zusammenarbeit u. a. mit der Bartlett School of Architectur entwickelt, wird das Material dort massiv verwendet. Und Jaspar Morrison hat just eine eigene Kork-Möbel-Linie entwickelt. Wenngleich feuerfest wird sich in den nächsten Jahren zeigen, inwieweit der Funke der Faszination für das Naturmaterial auch auf weitere Bauprojekte überspringt. Ebenso bleibt abzuwarten, wie sich Dauerhaftigkeit und Patina darstellen werden. Das Korkenzieherhaus bietet dafür jedenfalls eine anschauliche Referenz.

db, Di., 2019.11.12

12. November 2019 Jürgen Tietz

Traditionell voran

(SUBTITLE) 17 Apartments in Paris (F)

Das geförderte Wohnungsbauprojekt zeigt, dass sich die traditionelle Anmutung von Steinfassaden in unsere Zeit übertragen lässt und dabei statisch wie energetisch einiges zu leisten vermag. Holzdecken und Hanfbeton trimmen den eher konventionellen Massivbau auf Natur.

Mit dem Massivstein haben die Architekten Thibault Barrault und Cyril Pressacco ein Baumaterial aufgerufen, dessen Qualitäten und Anwendungsmöglichkeiten weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Und sie waren verwegen genug, dem städtischen Sozialwohnungsbauträger RIVP (Régie Immobilière de la Ville de Paris) den Bau von Wohnungen aus Steinblöcken vorzuschlagen. Als 2011 die Entscheidung zugunsten ihres Entwurfs ausfiel, hatte der Bauträger durchaus Bedenken hinsichtlich der Kapazitäten der (Massivstein-)Lieferkette und der daraus resultierenden Kosten. Doch das Material passt sich so selbstverständlich in die fast schon klischeehaft-typische Pariser Straßenflucht ein – die Place de la République liegt zehn Gehminuten entfernt, bis zum traurig-berühmten Club Bataclan sind es fünf –, dass sich die ungewöhnlich erscheinende Wahl für das Haus mit 17 Wohneinheiten und einem Ladengeschäft auszahlt.

Der Neubau steht zwischen einem typischen ostpariser Vorstadtbau und ­einem ebenso typischen Haussmann’schen Stadtsanierungsbau aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Straßenflucht folgend verkörpert der Steinbau den Übergang zwischen diesen beiden Typen – sofern er nicht gar Ausdruck eines dritten Wegs ist.

Auf der Rückseite zeigt sich ein differenzierter, terrassierter Baukörper, der aus dem Pariser Stadtgefüge und den städtebaulichen Vorschriften Vorteile zu ziehen versteht und durch seine L-Form mitten im Blockinnern ­einen Freiraum eröffnet.

Die Grundrissstruktur folgt dabei zwei Prinzipien: Zur Straße hin orientieren sich pro Stockwerk je eine Einzimmerwohnung und eine große durchgesteckte Wohnung mit zusätzlich einem nach Südwesten ausgerichteten Balkon. Im rückwärtigen gestuften Baukörper öffnet sich pro Ebene eine einzige Wohnung auf eine breite Terrasse. Mit jedem Rücksprung fällt ein Zimmer weg.

Materialfügung

Gleich auf den ersten Blick sind dem Gebäude seine 380 t Stein anzusehen, der aus den Steinbrüchen von Brétignac (Südwestfrankreich) stammt und dann in Angers behauen wurde. Zur Zeit der Ausschreibung ließen sich in der Massivstein-Lieferkette keine Kompetenzen im Großraum Paris finden.

Die massiven Steinblöcke sind 130 cm breit und in den oberen Geschossen 30 cm dick, im 1. OG aus statischen Gründen 35 cm. Der Verlegeplan verbietet es, die Reihen in einem Mauerverband gegeneinander zu versetzen, vielmehr fördert er den Eindruck als seien einzelne Blöcke zu tragenden Pfeilern aufgeschichtet worden. Auf diese Weise unterstreichen die Architekten die gedankliche wie auch tatsächliche Zugehörigkeit des Steins zum Tragwerk.

Durch die angeschrägte Eintiefung des Steins direkt um die Fensterlaibungen herum treten sowohl Pilaster einer vertikalen Ordnung als auch 190 cm breite Stürze und die Fensterbänke hervor. Die Fensteröffnung wird dadurch zum ornamentalen Element.

Auch wenn der Stein der sichtbarste Baustoff ist, so ist er doch nicht der ein­zige in diesem eigentlich hybriden Bauwerk. Die Steinfassade lastet auf Stahlbetonarkaden im EG, die, als Spitze des Eisbergs, das 15 m weit in die Tiefe reichende Material der Fundamente bis zum ersten Stockwerk hinaufführen. Der Beton findet sich auch als Gehebene im Hof, als Auskragung am Balkon oder als Kante an der Terrasse in Form von Ortbetonträgern, die die großen Spannweiten der Stürze überbrücken. Der Einsatz des Betons wird nicht versteckt, sondern klar thematisiert und zeigt an seiner geschliffenen Oberfläche die mineralische Natur seiner Zuschlagstoffe.

Ließ sich für die selbsttragende Fassade auch der druckfeste Naturstein verwenden, so werden die Geschossdecken doch von einer Metallkonstruktion getragen. Durchgängig und auf allen Ebenen gleichbleibend definieren drei Stahlrahmen pro Geschoss im straßenseitigen Bauteil eine mittig verlaufende Spange von Nass- und Nebenräumen und eine weitere entlang der Brandwand im rückwärtigen Flügel.

Zur Verringerung der Gesamtmasse des Gebäudes und um den Lasteintrag in die Fassaden zu mindern, wurden die Böden aus kreuzweise geleimten Sperrholzplatten (KLH) gebildet. Auf der Unterseite wurden diese roh und sichtbar belassen, obenauf erhielten sie ein Parkett aus massiver Eiche. Dazwischen gleichen die mehrere cm dicken Schichten von Heizestrich, Trittschalldämmung und Schüttung die akustischen Defizite des Holzbodens aus, was in dieser Ausführung in Frankreich nicht unbedingt zum Standard gehört.

Mit dem Ingenieurbüro für Statik und Thermik LM ingénieur haben die Architekten die Fassadenbekleidung abgestimmt und sich dabei die Eigenschaften des Steins zunutze gemacht, die zur Erfüllung der Anforderungen an den Lärmschutz, auch straßenseitig, ausreichend sind und im übrigen auch bezüglich Wärmedämmung besser abschneiden als Beton.
Die Steinwände sind mit Hanfbeton gedämmt (einer Mischung aus Schäben, einer aus Hanf gewonnenen Faser, Luftkalk und Wasser), der seiner diffusionsoffenen und hygroskopischen Eigenschaften wegen zur Anwendung kam. Er kann, ähnlich wie Lehm, Feuchtigkeit aufnehmen, die sich in Mikrotröpfchen verwandelt und dabei Kalorien abgibt, sodass sich die Wand erwärmt. Im Winter dampft die Feuchtigkeit aus und die eigentliche Dämmwirkung des Materials tritt hervor. Der Hanfbeton wurde von innen an die Steinfassaden gespritzt, dann geglättet und verputzt – und lässt mit seiner mineralischen Anmutung im Gegensatz zu den Holzoberflächen die Steinfassade im Innenraum zumindest assoziativ anklingen.

Tradition und Vorreiterrolle

Diese bauliche »Montage« ist Beweis für das Interesse der Architekten an »einem Baustoff, der seiner konstruktiven Funktion angemessen« und als solcher, ohne Bekleidung, erkennbar ist, wobei auch Nachhaltigkeit und Umkehrbarkeit gewährleistet bleiben. Für Thibault Barrault und Cyril Pressacco kommt es darauf an, dass »sich der richtige Baustoff an der richtigen Stelle ­befindet«.

Ursprünglich hatten sich die Architekten in Bezug auf ihre persönlichen Helden für Stein als Fassadenmaterial entschieden, als da sind Gilles Perraudin, der u. a. 2011 im korsischen Dorf Patrimonio ein Weinmuseum ganz aus Steinblöcken (und ein wenig Holz) errichtet hat, der auch literarisch in Erscheinung getretene Fernand Pouillon, Hardouin-Mansart, der Renaissance-Architekt Delorme und die Baumeister der Kathedralen.

Barrault und Pressacco beschwören damit die Architekturgeschichte, auch wenn sie sich im Gegensatz zu einem Perraudin, den sie in seinem konstruktiven Ansatz für zu exklusiv halten, den Notwendigkeiten der heutigen Zeit stellen und pragmatisch eine Vielzahl verschiedener Baustoffe verwenden, um im vorgegebenen Kostenrahmen bleiben zu können.

Das Pariser Wohnbaugebäude ist mit seiner Massivsteinstruktur zu einer markanten Schöpfung geworden und erst das dritte Bauwerk des 2009 gegründeten Büros. Über den Stein hinaus handelt es sich um ein hybrides Bauwerk, das durchaus auf die Pariser Bautradition verweist. Läge die Innovation also in der Bezugnahme auf das lokal Typische? Dafür stehen jedenfalls die oben genannten Architekten, die immer als Avantgardisten maßgebend waren, wie Barrault und Pressacco nicht ohne Bewunderung betonen. Nachdem sie die Ausschreibung FAIRE des Pariser Städtebau- und Architektur-Zentrums Pavillon de l’Arsenal gewonnen haben, forschen die beiden Architekten zu Massivstein und seiner Lieferkette.

[Aus dem Französischen von Angela Tschorsnig]

db, Di., 2019.11.12

12. November 2019 Amélie Luquain

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