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05. Juni 2023Jürgen Tietz
db

Raumblöcke für das Eiswerk

In der Abfolge von drei unterschiedlichen Bausteinen definieren GRAFT ein gemischtes Quartier, das durch seinen Städtebau sowie seine Gebäudefigur und Architektursprache abwechslungsreiche Raumwirkungen erzielt und unterschiedliche Zeitschichten verbindet.

In der Abfolge von drei unterschiedlichen Bausteinen definieren GRAFT ein gemischtes Quartier, das durch seinen Städtebau sowie seine Gebäudefigur und Architektursprache abwechslungsreiche Raumwirkungen erzielt und unterschiedliche Zeitschichten verbindet.

Kurz vor 9 Uhr morgens herrscht Hochbetrieb an der Köpenicker Straße 40. Menschen strömen zu Fuß oder auf dem Rad zum Eiswerk. Unter der abgetreppten Durchfahrt im Vorderhaus hindurch führt ihr Weg in die Tiefe des Grundstücks, das sich fast bis zum Ufer der Spree erstreckt. Ein Stück Berliner Blockkultur des 19. Jahrhunderts. Ob jemand von ihnen etwas mit dem Namen Carl Bolle anfangen könnte? Dem legendären Berliner Unternehmer und Meiereibesitzer des 19. Jahrhunderts?

Auf Bolle, der wegen des werbenden Läutens seiner Milchwagen in Berlin »Bimmel-Bolle« genannt wurde, geht die Entstehung der Eisfabrik 1896 zurück. Damals hatte sich das Spreeufer zwischen Mitte und Rummelsburger Bucht als wichtiger, innenstadtnaher Industriestandort etabliert. Nach der Wiedervereinigung 1990 war die Gegend direkt am ehemaligen Mauerstreifen Club- und Partyareal. Bis ihre städtebaulichen Potenziale wachgeküsst wurden, dauerte es erstaunlich lange. Das gleich neben der Eisfabrik liegende Deutsche Architektur Zentrum (DAZ) war viele Jahre einsamer Vorreiter. Doch inzwischen reihen sich auf dem Streifen zwischen Köpenicker Straße und Spree die unterschiedlichsten Nutzungen aneinander, wird dort gewohnt und gearbeitet.

Eiskalt transformiert

In der Eisfabrik war 1995 nach fast einem Jahrhundert Schluss mit der Produktion von Stangeneis zur Kühlung. Seitdem wurde intensiv um die künftige Nutzung des Industrieareals gerungen. Bedauerliche bauliche Verluste inklusive. So wurden die bedeutenden Hochkühlhäuser von der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft kurzerhand entsorgt. 2017 erhielten schließlich die Berliner GRAFT Architekten den Auftrag, auf dem Gelände für den Investor Trockland ein neues Quartier zu entwickeln. Stellt sich die Frage: Was braucht eigentlich ein gelungenes Quartier? Natürlich, die richtige Mischung macht’s. Daran hat sich seit Carl Bolles Zeiten wenig geändert. Wie damals fügt sich das Quartier aus unterschiedlichen Bausteinen zusammen. Zur Straße hin wird gewohnt, zur Spree hin wird gearbeitet.

Baustein eins ist die straßenbegleitende Wohnbebauung, die sich um einen klassischen Berliner Hof legt. Das historische Wohngebäude wurde von GRAFT saniert und um eine Lückenschließung zur Köpenicker Straße hin ergänzt. Die Fassade mit ihren stehenden Fensterformaten samt Glasbrüstungen ist mit dunklen Aluminiumblechen verkleidet. Gegliedert wird sie durch unterschiedlich große Balkone sowie ein System aus gegeneinander verschobenen Rahmen, die mal nur ein, mal zwei Geschosse zusammenbinden. Ergänzt wird diese Fassadenbewegung durch das charmante Farbspiel der Rahmen. Je nach Lichtstimmung schimmern sie stärker golden oder eher grünlich. Zum Hof hin, der nach historischem Vorbild denkmalgerecht wiederhergestellt wurde, zeigen sich Alt- und Neubau unaufgeregt mit hellem Verputz.

Baustein zwei des Eiswerk-Quartiers ist sein Querriegel. Ursprünglich Eislager, nimmt er nun Büros auf. Er schließt sich auf der Rückseite des Wohnhofs an und bildet die Schnittstelle zur gewerblichen Nutzung des Grundstücks. Spreeseitig zeigt das ehemalige Eislager eine typische Industriefassade des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die durch Ziegellisenen und Putzfelder strukturiert wird. In die einst geschlossenen Wände haben GRAFT für die neue Nutzung Fensteröffnungen eingebracht, die dem industriellen Charakter des Denkmals entsprechen.

Der dritte Baustein ist der spektakulärste des Eiswerks, das Bürogebäude für den Onlinebroker Trade Republic. Der annähernd u-förmige Baukörper ist von sieben Geschossen im Inneren des Quartiers zur Spree hin auf vier Geschosse abgetreppt. Die U-Form des Baukörpers wird durch die mal auskragenden, mal zurückspringenden Geschossebenen markant aufgelockert. Unterstützt wird diese Wirkung durch die Alu-Elemente der Fassade: Je nach Ausrichtung wirken sie geschlossen oder offen. Ihre Farbe greift dabei auf den an der Köpenicker Straße eingeführten, chamäleonhaft changierenden gold-grünen Ton zurück und bindet die Bauteile bei unterschiedlicher Gestaltung und Nutzung optisch zusammen. Zugleich übersetzen die horizontalen Elemente der Bürohausfassade Struktur und Ornamentik des gegenüberliegenden ehemaligen Maschinen- und Kesselhauses, das derzeit von Robertneun als Veranstaltungsort ergänzt und hergerichtet wird. So entsteht ein reizvoller Dialog zwischen Alt und Neu in Formfindung und Materialverwendung.

Quartiersbildung als Raumbildung

Neben der Mischung der Funktionen ist deren angemessene Differenzierung in öffentliche, halböffentliche und privatere Bereiche konstituierend für das Quartier. Doch GRAFT führen am Beispiel des Eiswerks auch vor, welche Rolle Architektur und Städtebau bei der Raumbildung für die Qualität eines Quartiers zukommt. Anstatt einfach eine »klassische« Berliner Blockbildung durchzudeklinieren, definieren sie mit Gebäudeform und Architektursprache unterschiedliche Räume und schaffen unterschiedliche Qualitäten. Auf der überschaubaren Grundfläche des Quartiers entsteht so im Wortsinn auf Augenhöhe eine interessante Abfolge von Raumcharakteren, die subtil modelliert sind.

Dieses Spiel der sich mal weitenden, mal verengenden Räume wird durch die Ausrichtung der Fassaden und den Wechsel von offenen und geschlossenen Bereichen begleitet. Die Blicke werden gelenkt und kleinteilige räumliche Geschichten erzählt. Dabei kommt GRAFT zugute, dass ihr Grundstück nicht durch einen Zaun von dem des ehemaligen Maschinenhauses abgetrennt ist, sondern trotz unterschiedlicher Eigentümer eine räumliche Einheit bildet. Geradezu verblüffend ist, dass dieses abwechslungsreiche Raumerlebnis durch die Fotografien nur begrenzt transportiert werden kann. Man sollte es vor Ort erleben.

Einer der entscheidenden Unterschiede zu Carl Bolles Zeiten ist nämlich, dass die Raumwelt des Eiswerks öffentlich zugänglich ist. Hier zeigen sich Verantwortung und Potenziale einer klugen Stadtentwicklungspolitik. Eine ursprünglich städtebaulich ebenfalls angedachte Durchwegung der Grundstücke zwischen Spree und Köpenicker Straße im Bereich des Hofes voranzutreiben, konnte leider nicht umgesetzt werden. Das führt dazu, dass es keinen zusätzlichen Eingang zum benachbarten Deutschen Architektur Zentrum DAZ gibt, das mittlerweile eng umbaut in seiner Hofinnenlage sanft dahindämmert.

Offen ist, wann es den geplanten öffentlichen Uferweg entlang der Spree geben wird. Vielleicht würde dann ja auch eine mögliche Gastronomie im EG des Trade-Republic-Gebäudes einziehen. Bis dahin säumen weiter wilde Tippis das Spreeufer. Det is Berlin. Einen ordentlichen Espresso gibt es allemal in dem Mikro-Café des Quartiers, gleich neben dem Durchgang von der Köpenicker Straße. Dort lässt es sich gut darüber philosophieren, dass eine spannungsvolle Raumbildung zentrale Bedeutung für eine gelungene Quartiersbildung besitzen kann.

db, Mo., 2023.06.05



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db 2023|05 Stadtquartiere

10. Juni 2021Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Gottfried Böhm, Meister der gebauten Skulpturen, ist 101-jährig gestorben

Der deutsche Architekt hinterlässt ein umfangreiches Werk, eigensinnig und expressiv.

Der deutsche Architekt hinterlässt ein umfangreiches Werk, eigensinnig und expressiv.

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06. April 2020Jürgen Tietz
db

Die Gunst der Fuge

Das Wohngebäude mit Büroflächen im EG verbindet systemisches Bauen mit hohem Freiheitsgrad bei der Grundrisseinteilung. Mit Betonfertigteilelementen aus dem Gewerbebau ließ sich der Rohbau in sechs Wochen fertigstellen. Die Grundrisse der Mietwohnungen und Wohnateliers mit Flächen zwischen 30 und 110 m² sind in allen Geschossen verschieden. Dem veredelten Rohbau im Innern steht die wertige Außenansicht der Glashülle gegenüber.

Das Wohngebäude mit Büroflächen im EG verbindet systemisches Bauen mit hohem Freiheitsgrad bei der Grundrisseinteilung. Mit Betonfertigteilelementen aus dem Gewerbebau ließ sich der Rohbau in sechs Wochen fertigstellen. Die Grundrisse der Mietwohnungen und Wohnateliers mit Flächen zwischen 30 und 110 m² sind in allen Geschossen verschieden. Dem veredelten Rohbau im Innern steht die wertige Außenansicht der Glashülle gegenüber.

Standardisiert, vorfabriziert und höchst modular: Der Traum einer industrialisierten Architekturproduktion begleitet die Moderne seit ihren Anfängen quer durch alle Materialien. Von Eisen, Stahl und Glas bis hin zum Beton geht damit der Wunsch einher, Bauprozesse zu beschleunigen und kostengünstiger zu gestalten – gelegentliche Fertigbau-Alpträume in den 60er und 70er Jahren eingeschlossen. Ein Vorläufer derartigen Prefab-Bauens ist die 1891 eröffnete Arminiusmarkthalle in Moabit von Hermann Blankenstein mit ihren gusseisernen Säulen und ornamentalen Ziegelfeldern. Nur ein paar Schritte entfernt steht das neue Wohnregal von FAR Frohn & Rojas Architekten in der Waldenser-, Ecke Emdener Straße. Dort unternimmt die deutsch-chile­nischen Architektengemeinschaft von Marc Frohn und Mario Rojas, die sogar über einen Büroableger in Los Angeles verfügt, den Versuch, das alte Lied des vorfabrizierten, industrialisierten Bauens mit einer neuen Melodie zu ver­sehen. Umgeben von einem bunten Wechselspiel aus Wohnhäusern der Gründer- und Nachkriegszeit ist der Neubau auf einem Eckgrundstück entstanden, das seit dem Zweiten Weltkrieg brachlag. Ohne Keller und auf Pfeilern gegründet, wächst das Wohn- und Atelierhaus auf dem Trümmerschutt der Vergangenheit sechs Geschosse empor und schließt traufbündig an seinen Nachbarn an. Darin erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten mit der Nachbarschaft aber auch schon. Ansonsten interpretiert das Gebäude mit seinen weiten Glasflächen und dem dahinter durchscheinenden Betonraster die Bauaufgabe Wohnhaus durchaus anders. Ziel von FAR war es, einen Wohnungsbau aus Fertigteilen zu verwirklichen, die ansonsten im Industriebau verwendet werden.

Das bedeutete für die Architekten einen Lernprozess. Schließlich ist bei der Produktion von Fertigteilen grundsätzlich vieles möglich. Aber jede Abwandlung, die vom Standardverfahren abweicht, kostet zusätzliches Geld. Daher mussten sich die Architekten zunächst in die Produktion der Fertigteile hineindenken, um mit möglichst sinnfälligen wie kostengünstigen Modifi­kationen die Fertigteile ihrem Entwurf anzupassen – und umgekehrt. Bilden doch die Ansätze kostengünstig und industriell zu bauen eine gedankliche Symbiose, die es in gebaute Architektur zu übertragen galt, ästhetischer Anspruch inklusive. Beispielsweise hätte es etwa 40 000 Euro gekostet, den Achsenabstand der Unterzüge der π-Decken anzupassen, damit sie mit der Grundstückslänge korrespondieren. »Stattdessen haben wir die Breite der π-Decken mit einer simplen Schaltafel gekürzt«, erläutert Marc Frohn beim Rundgang. »Dadurch ergeben sich im Gebäude zwei verschiedene Abstände der Unterzüge: derjenige innerhalb einer π-Decke und derjenige zwischen zwei π-Decken. Diese Varianz prägt das Erscheinungsbild.« Letztlich sind FAR ohne die Kosten für das Grundstück sowie das Honorar der für sich selbst bauenden Architekten bei rund 1 500 Euro pro m² BGF gelandet, die gesamten Baukosten betrugen 2,25 Mio. Euro.

Industrielles Wohnambiente

Das Raster mit den sieben Achsen der Pendelstützen aus Beton ist von innen wie von außen deutlich ablesbar. Davor hängt eine silbrige Aluminiumfassade aus großmaßstäblichen Hebe-Schiebe-Standardelementen (2,20 x 3 m), die für eine maximale Belichtung der Wohneinheiten sorgt. Markant sind auch die augenscheinlich grünen, wenngleich laut Hersteller vorgeblich farblosen, Brüstungselemente aus faserverstärktem Kunststoff mit ihrem hüfthohen quadratischen Rasterrausch. Dazu fügen sich im Innern die rundrilligen Industrieheizköper und schaffen neben der Funktion ein reizvolles Detail. Die Ecken des Hauses sind an Vorder- und Rückseite als offene Loggien ausge­bildet. Dazwischen liegt das nach Norden orientierte, offene Treppenhaus, das eine Art vertikalen Laubengang ausbildet, der durch ein Edelstahlnetz gegen allfällige Abstürze gesichert wird.

Der industriell ruppige Charme des Gebäudes kulminiert in dem architektonischen Leib- und Magenthema des Fügens, das bei den Fertigteilen in epischer Betonbreite zelebriert wird. Auf den Pendelstützen liegen die Stürze sowie die π-Decken auf. Aufgrund der Toleranz der Elemente von bis zu 20 mm schieben sich zwischen diese dunkle Fugen mit standardmäßigen Polstern aus Hartkunststoff. Sie verkehren das Motiv des Lastens optisch in ein irritierendes vermeintliches Schweben.

Durch die stützenfreie Spannweite der π-Decken von rund 13,5 m ergibt sich eine flexible Gestaltung der Geschosse, der lediglich durch die Schächte der Haustechnik gewisse Grenzen gesetzt sind. Der weitere Ausbau der Wohnungen erfolgte im Trockenbau. Die Wohnungsgrößen variieren dabei zwischen 35 und 110 m². In lieblichster Architektenprosa ergibt sich so laut FAR »eine maximale Vielfalt unterschiedlicher Wohn- und Arbeitsateliers, die die wachsende Vielfältigkeit an urbanen Wohnvorstellungen abbildet«.

Neben der Freiheit in der Entwicklung der Wohnungsgrößen und der Grundrisse ermöglicht die Verwendung der Fertigteile einen zügigen Bauprozess. In lediglich sechs Wochen sei der Rohbau errichtet gewesen, erläutert Marc Frohn. Das entspricht also einem Geschoss pro Woche. Entscheidend sei die funktionierende Lieferlogistik der Elemente, da sich die Nutzung eines Mobilkrans schnell als erheblicher Kostenfaktor niederschlägt. Abgerundet wird das minimalistisch industrielle Wohnambiente durch den mineralischen Fußboden sowie die Einbaumöbel mit weißen Fronten. Die Schiebeelemente der Fassade lassen sich bei entsprechender Witterung weit öffnen und verleihen den Wohnungen einen luftigen Loggiencharakter. Beherrscht wird der Raumeindruck jedoch von den gefügten Betonelementen. Daran können sich die Geister scheiden. Entweder mag man diese dominant brutalistische Rauheit – oder eben nicht. Das gilt ebenso für den Rhythmus der Decken, der durch die Rippen der π-Träger bestimmt wird. Dabei entstehen zwischen Einbaumöbeln und Rippen seltsam indifferente Zwischenräume. Die gleiche Herausforderung stellt sich bei den Stürzen, auf denen die π-Decken aufliegen. Daraus ergibt sich zwischen Sturz und Fensterelement ein nur mühsam zu verdunkelnder Fensterstreifen. Das wäre durch eine integrierte Verdunklung/Sichtschutz im Fensterelement freilich leicht zu beheben gewesen.

Insgesamt stellt sich die Frage, inwieweit das Konzept der Verwendung von industriellen Betonfertigteilen jenseits der sympathischen architektonischen Fingerübung der Moabiter Eckbebauung auch im großen Maßstab trägt. Kann sie einen relevanten Beitrag bei der Lösung der Herausforderungen des bezahlbaren Wohnraums darstellen? Das ist mehr als ein Rechenexempel, denn neben der Frage nach den Baukosten, ist es eine Frage der Ästhetik sowie deren Akzeptanz durch die Nutzer und nicht zuletzt nach der Nachhaltigkeit bei der Materialverwendung Beton. Die Berliner Architektengemeinschaft jedenfalls steht hinter dem eigenen Konzept. In der Gewerbeeinheit, die sich einmal quer durch das EG erstreckt, haben sie ihr eigenes Atelier bezogen.

db, Mo., 2020.04.06



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db 2020|04 Wohnen

12. November 2019Jürgen Tietz
db

Korkanzug

Alle Anstrengungen, ein Einfamilienhaus recycelbar und aus möglichst naturnahen Materialien zu bauen, müssen zwangsläufig wie Greenwashing wirken. Doch wer, wenn nicht ein privater Bauherr, kann auf den Pioniergeist junger Architekten vertrauen, den Boden für Experimente bereiten und so die Anwendung außergewöhnlicher Techniken wie z. B. Korkplatten als Fassadenbekleidung voranbringen?

Alle Anstrengungen, ein Einfamilienhaus recycelbar und aus möglichst naturnahen Materialien zu bauen, müssen zwangsläufig wie Greenwashing wirken. Doch wer, wenn nicht ein privater Bauherr, kann auf den Pioniergeist junger Architekten vertrauen, den Boden für Experimente bereiten und so die Anwendung außergewöhnlicher Techniken wie z. B. Korkplatten als Fassadenbekleidung voranbringen?

Im Umfeld einer in die Jahre gekommenen, von gestalterischer Selbstbestimmung geprägten »Wildschweinsiedlung« am Rand der großen Stadt steht das Korkhaus als freundlicher Alien unter lauter anderen Einfamilienhäusern. Mit seinen regenerativen Baumaterialien Kork und Holz, einem ambitionierten Energiekonzept und der kubisch-reduzierten Gestaltung samt Schrägdach hält es seinen mal besäulten, mal etwas angeschmuddelten Nachbarn den Spiegel vor. Charmant zeigt es ihnen dabei auf, was architektonisch bei der Bauaufgabe so alles denkbar wäre, ohne sich zugleich exaltiert über die Nachbarn zu erheben. Das Korkenzieherhaus macht damit genau das, was gute Architektur immer tun sollte: Mit ihm loten die beiden jungen Architekten Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce mit ihrem Büro rundzwei in Grundriss, Form und Material die Möglichkeiten von Bauaufgabe und Budget aus. Ihren selbstgestellten Grundsatz der unbedingten Nachhaltigkeit beim Bauen im Sinne des Cradle-to-Cradle-Ansatzes, behalten sie dabei konsequent im Blick.

Das Maximum herausgeholt

Den Anstoß zu dem planungsintensiven Einfamilienhaus in Berlin gab der Zufall. Auf einer Bahnfahrt kam Marc Dufour-Feronce mit seiner künftigen Bauherrin ins Gespräch. Man traf sich wieder und das in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Vorhaben konnte seinen Lauf nehmen. Ungewöhnlich ist nicht nur das Fassadenmaterial. Ungewöhnlich waren auch die Knackpunkte der Bauaufgabe, nämlich die Forderung der Bauherrin, das Haus bei Bedarf in zwei unabhängig voneinander erschließbare Einheiten unterteilen zu können. Ein Wunsch, der noch relativ einfach in die Grundrissentwicklung zu integrieren war. Die über dem Gebäudesockel liegenden kleineren Räume sind teilweise untereinander verbunden und können auch als Studio-Apartments genutzt werden, ein separater Eingang ist mit eingeplant.

Eine weitaus größere Herausforderung war es für die Architekten, auf UG, EG und DG eine Wohnfläche von über 300 m² unterzubringen. Und das, ohne dass man sich dabei im UG wie im Keller fühlt. Möglich wurde das nur, indem die Zitrone des Baurechts von den Architekten hinsichtlich Kelleranhebung und Dachausformung soweit ausgequetscht wurde, bis sie keinen weiteren Saft mehr geben konnte. So lugt der »Keller« nun über den Boden hinaus und wurde zum Wohngeschoss. Hinzu kam die innere Raumorganisation des Hauses anhand von Split-Levels, die sich um den zentralen Erschließungskern des Treppenhauses nach oben schrauben. Das sieht reizvoll aus und erinnert an eine Art zeitgenössische Mischung aus Loos’schem Raumplan und Scharoun’schem organischem Bauen. Im Fertigstellungsjahr 2019 passt das eigentlich hübsch als zeitgenössisches Korrektiv zur Quadratur des Bauhausjubiläums.

Der Außenpool ist eingetieft und dadurch vor den Blicken der Nachbarn geschützt. Wie das gesamte UG wird er durch Wände aus grobem Stampfbeton eingefasst, die ihre schichtweise Entstehung zur Schau tragen – eine Reminiszenz an die Berliner Tradition des Kellergeschossbaus, erläutert Dufour-Feronce.

Um das ambitionierte Raumprogramm zu verwirklichen, reicht das Haus nun also tief in die Erde hinab. Darüber aber schwebt es, ganz Kind ­einer leichten Moderne, mit einem gläsernen Sockelgeschoss empor. Darüber schließt sich das mit hochrechteckigen Korkplatten bekleidete OG an. Es mündet in eine scharfkantige, kronenartige Dachlandschaft mit vier Giebelfeldern. Dort, wo sich die Satteldachflächen in der Mitte des Hauses verschneiden, haben die Architekten ein zentrales Oberlicht platziert. Es versorgt das innen liegende Treppenhaus mit Tageslicht.

Betreten dürfen wir das Korkenzieherhaus leider nicht. Zu unerfreulich waren die Erfahrungen, die die Bauherrin mit allzu schaulustigen Architekturliebhabern bereits gemacht hat. So muss sich das Erlebnis der spiralartig – korkenzieherartig – hochwindenden Raumstruktur der Holzkonstruktion des Hauses auf die Erläuterungen von Marc Dufour-Feronce im Büro von rundzwei Architekten in Charlottenburg beschränken. Gleich um die Ecke steht die Alma Mater der beiden Architekten, die TU-Berlin. Während Reeg nach ­seinem Diplom bei ACME in London und bei Herzog & de Meuron internationale Erfahrungen sammelte, arbeitete Dufour-Feronce ebenfalls zunächst bei ACME und anschließend bei LAB Architecture Studio.

Weitgehend rückbaubar

Der Grundsatz der Nachhaltigkeit, dem sich die Architekten programmatisch verschrieben haben, beißt sich gemäß der reinen Lehre freilich kräftig mit der Bauaufgabe eines Einfamilienhauses. Bei einer Wohnfläche von rund 300 m² für drei Personen sowie Außenpool bekommt das Konzept zusätzliche Schlagseite.

Nun ist die reine Lehre das eine, die normative Kraft der faktischen Forderungen der Bauherrschaft das andere. Daher lohnt trotz dieser Einschränkung der Blick auf die nachhaltigen Bemühungen der Architekten, mit einem weitgehend vorfabrizierten Holzbau und dem Energiekonzept mit Erdspeicherheizung, Bauteilaktivierung, Photovoltaik sowie Solarthermieanlage auf dem Carport.

Das Gebäudeinnere ist bestimmt vom Dreiklang aus Ortbetonböden im EG (mit Estrichspachtel behandelt und mit grauem Silikatanstrich versehen), Holzflächen aus mit Natur-Öl behandelter Fichte (Bekleidungen der Holzbalkendecken, Fensterrahmen, Leimholzstufen und Pflasterparkett in den OGs) und offenporigen, mit einer natürlichen weißen Silikatfarbe beschichteten Gipsfaserplatten als Wandbekleidungen, die fast ebenso viel Feuchtigkeit aufnehmen können wie Lehmputzplatten. Wo irgend möglich haben die Architekten auf mechanische Befestigungstechniken zurückgegriffen, um auf Bauschäume und Kleber verzichten zu können – auf dem lösungsmittelfreien ­Parkettkleber auf Acrylbasis prangt immerhin ein Öko-Siegel.

Hinzu kommt schließlich das nicht nur in Berlin bisher ungewöhnliche Fassadenmaterial aus 14 cm dicken Korkfassadenplatten. Sie sind direkt auf die darunter liegenden Holzfaserplatten montiert, die dem Holzrahmen mit Zelluloseeinblas- und Holzfaserstopfdämmung aufliegen.

Die Idee für die Fassade aus Kork hat eine Mitarbeiterin aus Portugal mitgebracht, erzählt Dufour-Feronce. Das nachwachsende Naturmaterial, mit seinen markanten mal helleren, mal dunkleren Farbnuancen und der leicht reliefartigen Oberflächentextur, wird dort alle paar Jahre von den Stämmen der Korkeichen geschält. Längst dient es nicht mehr nur zum Verschließen von Weinflaschen oder als Fußbodenbelag. Es findet seinen Einsatz u. a. in der Industrie, denn es dämmt Geräusche und Vibrationen, kommt ohne chemische Zusatzstoffe oder Kleber aus und gilt darüber hinaus als wasserabweisend, feuerbeständig und strapazierfähig. Also der ideale Ersatz für die wenig geliebten und wenig nachhaltigen Wärmedämmverbundsysteme, mit denen Land auf Land ab immer noch zahllose Häuser eingepackt werden? Die Hersteller aus Portugal scheinen davon fest überzeugt zu sein, berichten die Architekten, die sich von der Faszination für das Material haben anstecken lassen. Immerhin gibt der Hersteller 20 Jahre Garantie auf die Haltbarkeit des Materials, das im Lauf der Zeit eine helle Patina entwickelt. Im Übrigen gibt es keinerlei Mangel an Kork – dahingehende Behauptungen gehören in den Bereich der Gerüchte.

Die maximale Größe der Platten von 100 x 50 cm ergibt sich aus der Größe der Presse, in der die zunächst zu Granulat verarbeiteten Stücke der Baumrinde – mitunter Abfall aus der Flaschenkorkenproduktion – unter Druck und Wärme ihre Form erhalten.

Dabei treten enthaltene Harze aus, die die Korkkörner untereinander verbinden und dafür sorgen, dass die Platten ohne weitere chemische Zusätze verbaubar sind und sogar schimmelresistent bleiben.

An der Fassade sind die Platten dann in einem Falz-System befestigt. An den Dachkanten wurden sie auf Gehrung geschnitten, um einen möglichst scharfkantigen Dachabschluss zu erzeugen. Der wird auch nicht durch Regenrinnen gestört, da innenliegende Fallrohre das Regenwasser abführen. Generell ist bei der Verwendung von Korkdämmung mit einem Kostenplus von rund 15 % gegenüber WDVS zu rechnen. Beim Staakener Haus kam man sogar auf 50 % – der speziellen Detailausbildung und der scharfen Kanten wegen.

Von einem internationalen Kork-Hype sollte man vielleicht noch nicht sprechen. Gleichwohl findet sich das vollständig recycelbare Naturmaterial nicht nur am Berliner Korkenzieherhaus. Gleich eine ganze Reihe ambitionierter Projekte experimentieren derzeit damit. Dazu zählt auch das Cork-House im englischen Berkshire von Matthew Barnett Howland mit Dido Milne und Oliver Wilton. In Zusammenarbeit u. a. mit der Bartlett School of Architectur entwickelt, wird das Material dort massiv verwendet. Und Jaspar Morrison hat just eine eigene Kork-Möbel-Linie entwickelt. Wenngleich feuerfest wird sich in den nächsten Jahren zeigen, inwieweit der Funke der Faszination für das Naturmaterial auch auf weitere Bauprojekte überspringt. Ebenso bleibt abzuwarten, wie sich Dauerhaftigkeit und Patina darstellen werden. Das Korkenzieherhaus bietet dafür jedenfalls eine anschauliche Referenz.

db, Di., 2019.11.12



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db 2019|11 Natürlich

14. Oktober 2019Jürgen Tietz
db

Konstruktive Konzepte

Rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg, die von Daniel Libeskind 2012 fürs gegenüberliegende Jüdische Museum zur Akademie umgebaut wurde, sind mit drei Wohn-, Gewerbe- und Atelierhäusern die Resultate von Berlins erstem planerischen Konzeptverfahren zu begutachten. Sinnfällig ergänzt wird das Quartier durch das neue Verlagshaus der taz. Weitere Bausteine sind im Entstehen. Mit Fug und Recht lässt sich hier, in Nachbarschaft zu einigen herausragenden Bauten der IBA 1987, von »anderes Bauen« sprechen.

Rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg, die von Daniel Libeskind 2012 fürs gegenüberliegende Jüdische Museum zur Akademie umgebaut wurde, sind mit drei Wohn-, Gewerbe- und Atelierhäusern die Resultate von Berlins erstem planerischen Konzeptverfahren zu begutachten. Sinnfällig ergänzt wird das Quartier durch das neue Verlagshaus der taz. Weitere Bausteine sind im Entstehen. Mit Fug und Recht lässt sich hier, in Nachbarschaft zu einigen herausragenden Bauten der IBA 1987, von »anderes Bauen« sprechen.

Der feine Schleier des Nieselregens verleiht dem matten Schwarz der Fassade aus karbonisiertem Lärchenholz des Gebäudes Frizz23 eine besondere Intensität. Passt gut, denke ich und suche vor dem Wetter trotzdem lieber Unterschlupf im kleinen Café »Nullpunkt«, im EG dieses Multifunktionsgebäudes für kulturelles Gewerbe. Das Frizz23, entworfen von Deadline Architekten aus Berlin, ist einer von vier Bausteinen des Areals rund um die ehemaligen Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg. Die stammt von Bruno Grimmek, dem heute zu Unrecht fast vergessenen Leiter der Entwurfsabteilung des Berliner Hochbauamts. Daniel Libeskind hat die Halle aus den 60er Jahren zur Akademie des Jüdischen Museums umgebaut, dessen Hauptgebäude gleich gegenüber an der Lindenstraße liegt. Die Akademie beherbergt die Bibliothek des Jüdischen Museums Berlin mit öffentlich zugänglichem Lesesaal, das Archiv sowie das für Veranstaltungen genutzte Klaus Mangold Auditorium und ­Seminar- und Workshop-Räume. Im Januar 2016 wurde die Akademie nach dem Gründungsdirektor des Museums in W. Michael Blumenthal Akademie umbenannt. Neben dem Frizz23 umfasst das Areal das neue Verlagsgebäude der taz von e2a aus Zürich, das IBeB – kurz für »Integratives Bauprojekt am ­ehemaligen Blumengroßmarkt« – der ARGE ifau und Heide & von Beckerath (beide Berlin) sowie das Metropolenhaus von bfstudio-architekten (ebenfalls Berlin).

Im Nullpunkt, das präzise eingemessen auf dem Standort von Berlins erster Sternwarte liegt, bestelle ich mir einen Kaffee. Dazu gibt es statt laktosefreier Milch lieber vegane Hafermilch. Die Bestellung gerne auf Englisch. Dit is Berlin 2019. Seit meinem ersten Besuch im Frizz23 (db 02/2019) hat sich zwar einiges auf dem Areal getan. Ganz fertig ist es aber immer noch nicht. Die ­Ladengeschäfte in den Erdgeschossen beleben sich erst nach und nach. Auf den Freiflächen zwischen den Häusern wird weiter gewerkelt. Der angrenzende Besselpark ist noch mit Baugittern abgesperrt. Gleich dahinter erhebt sich der feine Turm von John Hejduk, der an Westberliner IBA-Zeiten erinnert. Dauert halt alles seine Zeit, denke ich mir. Gleichwohl sorgt das Quartier bereits international für Aufsehen und gilt als eines der interessanteren Architekturorte der Stadt. Das liegt ebenso an den qualitätvollen Gebäuden wie am inhaltlichen Konzept. Möglich wurde die kleinteilige gemischte Nutzung durch die Grundsatzentscheidung, nicht auf den Höchstpreis für das Gelände zu schielen, sondern seine Vergabe über einen Konzeptwettbewerb zu regeln. Dabei ist der festgeschriebene Inhalt für die Neubauten wichtiger als der gebotene Preis. Eine sinnvolle Möglichkeit, um städtische Entwicklungen mitzusteuern.

Wer vom Jüdischen Museum kommt, dem öffnet sich die trapezförmig angeordnete Trias aus IBeB, der Akademie des Jüdischen Museums und dem Metropolenhaus. Dazwischen erstreckt sich der weite, gepflasterte Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz, dem man einige Bäume und auch sonst mehr Grün wünschen würde. Dafür hat man nun freien Blick auf die Keramikfassade des langgestreckten Riegels des IBeB (db 8/2018), mit seinen Wohnungen und Ateliers sowie dem luftigen Metropolenhaus gegenüber. Dort werden die Eigentumswohnungen durch das querfinanzierte »aktive Erdgeschoss« , zu dem u. a. die Projekträume der nicht kommerziellen Kulturplattform »feldfünf« gehören. Das Metropolenhaus bündelt Wohnen und Arbeiten und verknüpft beides mit Kultur, Gastronomie und kleinen Läden. Mit seinem Nutzungskonzept schafft es Raum für ein Zusammentreffen der Kulturen und sichert mittels des Konzepts der Querfinanzierung zugleich die ökonomische Basis der Projekträume.

Ein kleinteiliges, intensiv von lokalen Akteuren und Nachbarschaftsinitiativen in Zusammenarbeit mit Bezirk und Senat erarbeitetes Nutzungskonzept liegt auch dem Frizz23 zugrunde. Dort beschreiten das FORUM Berufsbildung e. V., FrizzZwanzig sowie das kleine Hotel Miniloft Kreuzberg einen neuen Weg und schaffen Berlins erste gemeinsame Gewerbebaugruppe. Die Trias der Bauherrschaft lässt sich in groben Zügen an der Gliederung des Gebäudes ablesen. Das bereits im Bezirk etablierte Forum Berufsbildung benötigte dringend zusätzliche Seminarräume. Die hat es nun in dem an den taz-Neubau anschließenden, fünfgeschossigen Bauteil des Frizz23 gefunden. Das EG ist je nach Veranstaltungsformat in unterschiedliche Einheiten gliederbar. Darüber schließen sich funktional gestaltete Gruppenräume an. Bekrönt wird das Ganze von einer Dachterrasse. Am anderen Ende des Bauköpers sind in einem kleinen, siebengeschossigen Turm unterschiedlich große Minilofts untergebracht, die von den entwerfenden Architekten Deadline zugleich betrieben werden. Schick möbliert und ordentlich ausgestattet, lässt sich von dort aus die Berliner Mitte bestens erkunden. Im EG befindet sich auch das kleine Café, von dem aus ich auf das Areal schaue. Zwischen diesen beiden Bauteilen findet die Berliner Kreativwirtschaft Werkstätten und Büros. Das reicht von eingeschossigen Miniateliers und größeren Open Offices bis zu dreigeschossigen Wohn- und Arbeitsräumen. Mittenmang die neuen Räume für die Arch+, für deren Ausgestaltung Arno Löbbecke und Anh-Linh Ngo, Mitherausgeber der Zeitschrift, selbst verantwortlich zeichnen.

Das fügte sich zu dem Ansatz von Matthew Griffin und Britta Jürgens von Deadline, den unterschiedlichen Nutzungen einen möglichst flexibel bespielbaren Rahmen zu eröffnen. Die Betonkonstruktion des Hauses mit einer Fassade aus nachtblauem Aluminium und schwarzem Holz setzt durch die ungewohnte Farb- und Materialkombination nach Außen ungewöhnliche eigene Akzente. Mit dem sanften Holz-Zick-Zack zwischen EG und erstem OG wird zudem die Erinnerung an die kriegszerstörte ­»Markthalle 2« aufgegriffen, die hier einst Schinkels Sternwarte nachfolgte. Ein Berliner Architekturpalimpsest.

Zu dem Quartier zählt auch der neue Sitz der Tageszeitung taz mit der reizvollen rückwärtigen Skulptur der Fluchttreppen, die die U-förmige Grundfigur des Gebäudes schließt. Schade allerdings, dass die taz die Stahldreiecke der Fassade zur Friedrichstraße als Pinnwand für ihre Transparente missbraucht. Doch das ließe sich ja ebenso leicht revidieren, wie die Wochenendschließung der taz-Kantine im EG. Oder braucht das kreative Berlin ab und an mal eine Pause von sich selbst? Zusammen mit dem ungleich größeren Springer-Campus, der ganz in der Nähe gerade nach Entwurf von Rem Koolhaas/OMA entsteht, deutet das taz-Haus jedenfalls ein zartes Revival des alten Kreuzberger Zeitungsviertels an. In der Umgebung lassen sich die städtebaulichen Paradigmenwechsel Berlins wie unter dem Brennglas ablesen. Während der spätbarocke Stadtgrundriss und das zarte kleine Kammergericht als Entree zum Jüdischen Museum an die Entstehung dieser Berliner Stadterweiterung erinnern, sind die übrigen Layer vertrauter: Die Mietskasernen der Gründerzeit, der großmaßstäbliche Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne, der den Mehringplatz umschließt, die kleinteiligen Stadtreparaturen der IBA der 80er Jahre und schließlich Libeskinds silberner Museumsblitz. Was im ersten Moment wie eine Baugeschichtsvorlesung anmutet, wirkt in den sozialen Mikroklimata der Gegenwart fort. Ehemalige Blumengroßmarkthalle und Mehringplatz sind zwar nur wenige Schritte voneinander entfernt. Sozial liegen dazwischen jedoch Welten. Eine der Herausforderungen wird es sein, diese gegensätzlichen urbanen Milieus einander behutsam anzunähern.

Der Nieselregen hat sich verzogen, der Café ist ausgetrunken und die Berliner Sommersonne leuchtet freundlich über dem neuen Quartier. Bleibt die Frage nach dessen Vorbildwirkung. In Maßstab und Mischung erinnert es an die Wunschvorstellungen einer Jane Jacobs aus den 60er Jahren. Darin liegt seine Qualität. Allerdings ist auch klar, dass die gewaltigen Berliner Wohnungsbauprobleme mit solchen überschaubaren Interventionen ebenso wenig gelöst werden, wie mit dem Einsatz einzelner »konventioneller« Baugruppen und schon gar nicht mit dem fragwürdigen Rückkauf von Mietshäusern, durch den die Berliner Politik momentan lokale Klientelbedürfnisse auf Kosten der Allgemeinheit befriedigt. Doch auch wenn das Kreativquartier nur bedingt als urbane Blaupause dienen kann, stellt es gleichwohl eine wichtige Beimischung für einen klugen und vielschichtigen städtebaulichen Mix dar, der sich allerdings künftig endlich wieder an den großen Maßstab trauen müsste. Das sucht man in Berlin derzeit vergebens. Wichtig wäre eine Mischung, die wirtschaftlich tragfähig ist, das Stadtganze im Blick behält und sich zugleich verantwortungsvoll für die Integration aller lokalen Akteursinteressen einsetzt, ohne sich im Klienteldschungel zu verlaufen.

db, Mo., 2019.10.14



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14. Oktober 2019Jürgen Tietz
db

Mitte als Konstrukt

Wo haben wir uns eigentlich verabredet, als es die James-Simon-Galerie noch nicht gab? So naheliegend ist als Treffpunkt in Berlins Mitte jetzt die große Freitreppe der Galerie, dass man sich kaum noch einen anderen Ort vorstellen kann. Die James-Simon-Galerie ist wahrhaftig wie ein gelungenes Geschenk, auf das lange gewartet wurde und an dem die Stadt und ihre Besucher nun täglich ihre Freude haben.

Wo haben wir uns eigentlich verabredet, als es die James-Simon-Galerie noch nicht gab? So naheliegend ist als Treffpunkt in Berlins Mitte jetzt die große Freitreppe der Galerie, dass man sich kaum noch einen anderen Ort vorstellen kann. Die James-Simon-Galerie ist wahrhaftig wie ein gelungenes Geschenk, auf das lange gewartet wurde und an dem die Stadt und ihre Besucher nun täglich ihre Freude haben.

In liebevoller Belagerung haben sich einige Besucher auf der Treppe der neuen James-Simon-Galerie von David Chipperfield Architects niedergelassen. Entspannt schwatzen sie und schauen unter dem blauen Sommerhimmel auf die Museumsinsel. Im Zusammenspiel mit der feinen Betonarchitektur, die hell leuchtend in die Umgebung lächelt, wirken sie wie pointilistisch ver­streute Farbklekse. Gleich daneben beginnt schon auf der Treppe die lange Wartschlange, die sich durch das gesamte OG des Galerieneubaus zieht. Geduldig warten dort die Besucher auf ihren Einlass in den derzeit noch zu besuchenden Teil des Pergamonmuseums. Nur wenige Wochen nach ihrer Eröffnung ist die James-Simon-Galerie vom Publikum so angenommen, als hätte es sie schon immer an diesem Ort gegeben. Es ist eine Freude, in diesen feinen Tempel zurückzukehren, den ich schon einmal kurz schwärmend für die db beschreiben durfte (s. db 3/2019).

Im Kern entpuppt sich die Galerie als ein dienendes Multifunktionsgebäude für die umgebenden Schatzhäuser der Museumsinsel. Hier kann gegessen und gewartet werden, können Bücher gekauft, Vorträge gehört und Sonderausstellungen gesehen werden. Und Tickets für die Museumsinsel gibt es ebenfalls. Der Name des Galerieneubaus, das kann nicht oft genug dankbar erklärt werden, ist eine Referenz an den Sammler und Mäzen James Simon (1851-1932), dem die Staatlichen Museen u. a. die Büste Nofretetes verdanken.

In der belebten Galerie bestätigt sich einmal mehr, dass sich jedes Haus unter der Benutzung noch einmal ganz anders präsentiert. Dann verliert sich eine mögliche Monumentalität durch die vielen hohen Stützen ganz schnell im bunten Gewusel der Besucher. Und es zeigt sich, dass der Lärm ihres dröhnenden Geschnatters kaum absorbiert wird. Bestens besucht ist auch die Aussichtsterrasse des kleinen Cafés. Von dort blickt man nicht nur auf den Kupfergraben, sondern auch auf das Haus Bastian. Ebenfalls von Chipperfield entworfen, dient es den Staatlichen Museen nach dem Umbau durch Raumlabor künftig als Zentrum für kulturelle Bildung. Eine Ebene unter dem Café kann in den Regalen des großzügigen Buchladens gestöbert werden, während darunter im rund 650 m² großen Sonderausstellungsraum bis März kommenden Jahres Arbeiten der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu sehen sind. Einzig das Auditorium mit seinen Sichtbetonwänden und den elegant geschwungenen hölzernen Deckensegeln bleibt mir heute verschlossen. Wer durch das noble, sichtbetonklare Haus streift, zu dem sich die ausdrucksstark gemaserten Paneele aus Nussbaumholz stimmig fügen, über breite Treppen und den Bodenbelag aus Crailsheimer Kalkstein wandert, der fühlt sich trotz der unterschiedlichen Raumebenen nie verloren. Dafür sorgen die zahlreichen Blickbezüge in den Außenraum, die viel Naturlicht ins Haus lassen. So wird es für die Besucher möglich, sich stets räumlich zu verorten. Das gilt selbst für den am tiefsten gelegenen Punkt des Galerieneubaus. Dort liegt der Übergang zum Neuen Museum und weiter zur »archäologischen Promenade«, die die einzelnen Häuser der Museumsinsel einmal unterirdisch verknüpfen soll. Von oben flutet üppiges Tageslicht in den Raum und stets schauen ein paar neugierige Blicke von Besuchern hinab, durch die großen Scheiben am Innenhof zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum. Neben einigen Erläuterungen zur Museumsinsel wird der Verbindungsbau durch einen der hölzernen Gründungspfeiler von Schinkels altem Packhof dominiert, der hier einst am Ufer des Kupfergrabens stand. Für den Galerieneubau mussten rund 1 200 neue Betonpfähle bis zu 50 m tief in den schwierigen Baugrund der Spreeinsel getrieben werden.

So gelungen das neue Vielzweckgebäude im Innern ist, so bezaubernd sind seine Außenräume. Chipperfield führt dort die historischen Kolonnaden der Museumsinsel fort und übersetzt sie in filigrane, eckige Sichtbetonstützen. Sein Marburger Architekturtempel lässt grüßen. Doch geschenkt, denn mit den Betonstützen verleiht er der Galerie eine wunderbare Luftigkeit. Zusammen mit der gelungenen Gliederung der Baumasse lässt er das kräftige aus dem Spreewasser emporwachsende Haus zarter wirken. Die Pergolen artige Architektur umschließt einen neuen Hof, der sich zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum erstreckt. Es ist ein öffentlicher und offener Ort, der eine wunderbare Ruhe verströmt. Er lädt dazu ein, sich auf der steinernen Bank unter dem Pfeilergang niederzulassen, um von dort dem Spiel von Wolken und Sonne auf den Fassaden zu folgen. Hier lässt es sich gut innehalten und ungestört darüber nachdenken, an welchem Ort man sich befindet und die Jahrhundertaufgabe zu würdigen, als die sich Sanierung und Umbau der Museumsinsel entpuppen. So selbstverständlich Chipperfields neues Erschließungsbauwerk heute erscheint, durch das nach wenigen Wochen bereits über 100 000 Besucher hindurchgewandert sind, so weit war der Weg dorthin. Er begann mit dem Wettbewerb für den Wiederaufbau des Neuen Museums 1993/94 (sic!). Erinnert sich noch jemand an den rationalistisch strengen Beitrag des Siegers Giorgio Grassi? Oder an das energische Votum der Staatlichen Museen für den exaltierten Beitrag Frank O. Gehrys und die spätere Entscheidung für den damals ja noch keineswegs so weltbekannten David Chipperfield? Begleitet wurde die Suche nach dem richtigen Entwurf von einer gelegentlich atemlos anmutenden Diskussion über den denkmalgerechten Umgang mit Friedrich August Stülers einzigartigem Neuen Museum, die in Chipperfields wegweisender Sanierung des Hauses und dem Masterplan (1999) mit dem Konzept der erwähnten Archäologischen Promenade mündete. Mittlerweile sind für die Museumsinsel einschließlich des Humboldtforums im neuen Berliner Schloss bereits mehrere Milliarden Euro (vom Bund) verbaut worden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Gerade erst läuft der Architektenwettbewerb für den zweiten Bauabschnitt des Pergamonmuseums an.

Vielleicht führt das ja dazu, noch einmal über die Sinnhaftigkeit nachzudenken, Oswald Matthias Ungers siegreichen Entwurf aus dem Jahr 2000 weiterzuführen, der bereits damals quadratisch aus der Zeit gefallen schien. Die Grundsanierung von Schinkels Altem Museum steht noch aus. Wann sie beginnt ist ungewiss. Bis dahin wird die hässliche Glasfront zwischen den Säulen der großartigen Treppenhalle des Alten Museums die Blicke weiter verspiegeln und damit beweisen, welche Permanenz einem Provisorium zuwachsen kann. In der Planungs- und Baugeschichte der Museumsinsel nach 1990 drücken sich die wechselnden architektonischen-, museologischen und denkmalpflegerischen Paradigmen einer Generation aus. Zugleich präsentiert sich in der Museumsinsel ein Stück deutsches Selbstverständnis. Die Mitte der deutschen Hauptstadt wird durch einen Hort der Kultur gebildet. Welche europäische Hauptstadt kann das bieten? Hier, auf der Schlossinsel befand sich einst das herrschaftliche Zentrum der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln. Mit seinem Alten Museum startete Karl-Friedrich Schinkel 1830 die lange Transformation der Berlin-Mitte vom königlichen Regierungszentrum zum bürgerlichen Kulturzentrum. Mittlerweile ist die Museumsinsel zu einem Archipel der Kultur gewachsen und wuchert weiter. Daran knüpfen sich etliche Fragen, die auch die anderen Standorte der Staatlichen Museen berühren. Fragen nach der Qualität der umstrittenen Kunstscheune M20 von Herzog und de Meuron am Kulturforum und der ungeliebten Museumsmelange aus Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum, die sich dahinter anschließt. Aber auch nach dem inzwischen komplett abgehängten Museumsstandort in Dahlem. Wie wird langfristig das ehemalige Kasernengelände gegenüber über dem Bodemuseum genutzt? Es gilt als eine potenzielle Erweiterungsfläche der Museen und wird derzeit mit einem 360° Pergamon-Panorama bespielt. Zieht die Gemäldegalerie irgendwann doch dorthin, in die Nachbarschaft des Bodemuseums, in die sie aus kunsthistorischer Sammlungslogik auch gehört? Und welche Konsequenzen hätte das für das Kulturforum? Fragen über Fragen. Wäre es da nicht an der Zeit, einen Masterplan 2.0 für die Staatlichen Museen aufzulegen?

Unter solchen Gedanken wandert mein Blick vorbei an Chipperfields feinen Pfeilern zur Kuppel des neuen alten Schlosses, die noch eingerüstet ist. Sandsteinlicht lockt die übrige Fassade dieses neuen Humboldtforums bereits. Doch es wird noch ein Jahr dauern, ehe dieses seltsam aus jeder Zeit gefallene Post-Postmoderne Haus mit spätrationalistischen Einsprengseln seine Pforten öffnet. Dann endlich dürfen die Besucher hinauf, hinauf zum Restaurant stürmen, dessen Baukörper wie ein Menetekel über Balustrade und Dachschräge des Schlosses lugt. Was für eine architektonische Peinlichkeit.

Chipperfields James-Simon-Galerie überzeugt nicht nur durch ihre edle Harmonie und stille Größe, angesichts derer sich bei den Besuchern allfällige museale Schwellenangst schnell verflüchtigt. Das Haus veranschaulicht zugleich, was in Berlins Mitte an gebauter Qualität und an großartigen städtischen Räumen möglich gewesen wäre. Stattdessen hat man sich für ein rückwärtsgewandtes Geschichtskonstrukt entschieden und zugleich mit den Relikten der DDR-Architektur auch der gebauten Moderne die rote Karte gezeigt. Der großartigen Geste, die Mitte der Republik als Bildungs- und Kulturlandschaft zu definieren, steht die enttäuschende Mutlosigkeit gegenüber, der zeitgenössischen Architektur so wenig Raum zu gewähren. Welches Geschenk der Mut zur Gegenwart bedeutet, das haben David Chipperfield Architects mit ihren Bauten hier bewiesen. Mehr Gegenwart auf diesem Niveau hätte Berlins Mitte gutgetan. Die Museums- und Berlinbesucher jedenfalls hätte sie gewiss mit der gleichen liebevollen Neugier erobert, wie sie sich die James-Simon-Galerie ganz selbstverständlich zu eigen machen.

db, Mo., 2019.10.14



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29. Mai 2019Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Das Bauhaus hätte mehr Phantasie verdient

Ihre Architektur galt damals als topmodern, doch wie baut man heute im Geist der Bauhaus-Schule? Drei neue Bauhaus-Museen bieten eine einzigartige Gelegenheit,...

Ihre Architektur galt damals als topmodern, doch wie baut man heute im Geist der Bauhaus-Schule? Drei neue Bauhaus-Museen bieten eine einzigartige Gelegenheit,...

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20. September 2018Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Hans Scharoun war ein Visionär und ist bis heute Vorbild vieler Architekten

Über das Erbe des grossen Architekten – Hans Scharoun zum 125. Geburtstag.

Über das Erbe des grossen Architekten – Hans Scharoun zum 125. Geburtstag.

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Presseschau 12

05. Juni 2023Jürgen Tietz
db

Raumblöcke für das Eiswerk

In der Abfolge von drei unterschiedlichen Bausteinen definieren GRAFT ein gemischtes Quartier, das durch seinen Städtebau sowie seine Gebäudefigur und Architektursprache abwechslungsreiche Raumwirkungen erzielt und unterschiedliche Zeitschichten verbindet.

In der Abfolge von drei unterschiedlichen Bausteinen definieren GRAFT ein gemischtes Quartier, das durch seinen Städtebau sowie seine Gebäudefigur und Architektursprache abwechslungsreiche Raumwirkungen erzielt und unterschiedliche Zeitschichten verbindet.

Kurz vor 9 Uhr morgens herrscht Hochbetrieb an der Köpenicker Straße 40. Menschen strömen zu Fuß oder auf dem Rad zum Eiswerk. Unter der abgetreppten Durchfahrt im Vorderhaus hindurch führt ihr Weg in die Tiefe des Grundstücks, das sich fast bis zum Ufer der Spree erstreckt. Ein Stück Berliner Blockkultur des 19. Jahrhunderts. Ob jemand von ihnen etwas mit dem Namen Carl Bolle anfangen könnte? Dem legendären Berliner Unternehmer und Meiereibesitzer des 19. Jahrhunderts?

Auf Bolle, der wegen des werbenden Läutens seiner Milchwagen in Berlin »Bimmel-Bolle« genannt wurde, geht die Entstehung der Eisfabrik 1896 zurück. Damals hatte sich das Spreeufer zwischen Mitte und Rummelsburger Bucht als wichtiger, innenstadtnaher Industriestandort etabliert. Nach der Wiedervereinigung 1990 war die Gegend direkt am ehemaligen Mauerstreifen Club- und Partyareal. Bis ihre städtebaulichen Potenziale wachgeküsst wurden, dauerte es erstaunlich lange. Das gleich neben der Eisfabrik liegende Deutsche Architektur Zentrum (DAZ) war viele Jahre einsamer Vorreiter. Doch inzwischen reihen sich auf dem Streifen zwischen Köpenicker Straße und Spree die unterschiedlichsten Nutzungen aneinander, wird dort gewohnt und gearbeitet.

Eiskalt transformiert

In der Eisfabrik war 1995 nach fast einem Jahrhundert Schluss mit der Produktion von Stangeneis zur Kühlung. Seitdem wurde intensiv um die künftige Nutzung des Industrieareals gerungen. Bedauerliche bauliche Verluste inklusive. So wurden die bedeutenden Hochkühlhäuser von der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft kurzerhand entsorgt. 2017 erhielten schließlich die Berliner GRAFT Architekten den Auftrag, auf dem Gelände für den Investor Trockland ein neues Quartier zu entwickeln. Stellt sich die Frage: Was braucht eigentlich ein gelungenes Quartier? Natürlich, die richtige Mischung macht’s. Daran hat sich seit Carl Bolles Zeiten wenig geändert. Wie damals fügt sich das Quartier aus unterschiedlichen Bausteinen zusammen. Zur Straße hin wird gewohnt, zur Spree hin wird gearbeitet.

Baustein eins ist die straßenbegleitende Wohnbebauung, die sich um einen klassischen Berliner Hof legt. Das historische Wohngebäude wurde von GRAFT saniert und um eine Lückenschließung zur Köpenicker Straße hin ergänzt. Die Fassade mit ihren stehenden Fensterformaten samt Glasbrüstungen ist mit dunklen Aluminiumblechen verkleidet. Gegliedert wird sie durch unterschiedlich große Balkone sowie ein System aus gegeneinander verschobenen Rahmen, die mal nur ein, mal zwei Geschosse zusammenbinden. Ergänzt wird diese Fassadenbewegung durch das charmante Farbspiel der Rahmen. Je nach Lichtstimmung schimmern sie stärker golden oder eher grünlich. Zum Hof hin, der nach historischem Vorbild denkmalgerecht wiederhergestellt wurde, zeigen sich Alt- und Neubau unaufgeregt mit hellem Verputz.

Baustein zwei des Eiswerk-Quartiers ist sein Querriegel. Ursprünglich Eislager, nimmt er nun Büros auf. Er schließt sich auf der Rückseite des Wohnhofs an und bildet die Schnittstelle zur gewerblichen Nutzung des Grundstücks. Spreeseitig zeigt das ehemalige Eislager eine typische Industriefassade des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die durch Ziegellisenen und Putzfelder strukturiert wird. In die einst geschlossenen Wände haben GRAFT für die neue Nutzung Fensteröffnungen eingebracht, die dem industriellen Charakter des Denkmals entsprechen.

Der dritte Baustein ist der spektakulärste des Eiswerks, das Bürogebäude für den Onlinebroker Trade Republic. Der annähernd u-förmige Baukörper ist von sieben Geschossen im Inneren des Quartiers zur Spree hin auf vier Geschosse abgetreppt. Die U-Form des Baukörpers wird durch die mal auskragenden, mal zurückspringenden Geschossebenen markant aufgelockert. Unterstützt wird diese Wirkung durch die Alu-Elemente der Fassade: Je nach Ausrichtung wirken sie geschlossen oder offen. Ihre Farbe greift dabei auf den an der Köpenicker Straße eingeführten, chamäleonhaft changierenden gold-grünen Ton zurück und bindet die Bauteile bei unterschiedlicher Gestaltung und Nutzung optisch zusammen. Zugleich übersetzen die horizontalen Elemente der Bürohausfassade Struktur und Ornamentik des gegenüberliegenden ehemaligen Maschinen- und Kesselhauses, das derzeit von Robertneun als Veranstaltungsort ergänzt und hergerichtet wird. So entsteht ein reizvoller Dialog zwischen Alt und Neu in Formfindung und Materialverwendung.

Quartiersbildung als Raumbildung

Neben der Mischung der Funktionen ist deren angemessene Differenzierung in öffentliche, halböffentliche und privatere Bereiche konstituierend für das Quartier. Doch GRAFT führen am Beispiel des Eiswerks auch vor, welche Rolle Architektur und Städtebau bei der Raumbildung für die Qualität eines Quartiers zukommt. Anstatt einfach eine »klassische« Berliner Blockbildung durchzudeklinieren, definieren sie mit Gebäudeform und Architektursprache unterschiedliche Räume und schaffen unterschiedliche Qualitäten. Auf der überschaubaren Grundfläche des Quartiers entsteht so im Wortsinn auf Augenhöhe eine interessante Abfolge von Raumcharakteren, die subtil modelliert sind.

Dieses Spiel der sich mal weitenden, mal verengenden Räume wird durch die Ausrichtung der Fassaden und den Wechsel von offenen und geschlossenen Bereichen begleitet. Die Blicke werden gelenkt und kleinteilige räumliche Geschichten erzählt. Dabei kommt GRAFT zugute, dass ihr Grundstück nicht durch einen Zaun von dem des ehemaligen Maschinenhauses abgetrennt ist, sondern trotz unterschiedlicher Eigentümer eine räumliche Einheit bildet. Geradezu verblüffend ist, dass dieses abwechslungsreiche Raumerlebnis durch die Fotografien nur begrenzt transportiert werden kann. Man sollte es vor Ort erleben.

Einer der entscheidenden Unterschiede zu Carl Bolles Zeiten ist nämlich, dass die Raumwelt des Eiswerks öffentlich zugänglich ist. Hier zeigen sich Verantwortung und Potenziale einer klugen Stadtentwicklungspolitik. Eine ursprünglich städtebaulich ebenfalls angedachte Durchwegung der Grundstücke zwischen Spree und Köpenicker Straße im Bereich des Hofes voranzutreiben, konnte leider nicht umgesetzt werden. Das führt dazu, dass es keinen zusätzlichen Eingang zum benachbarten Deutschen Architektur Zentrum DAZ gibt, das mittlerweile eng umbaut in seiner Hofinnenlage sanft dahindämmert.

Offen ist, wann es den geplanten öffentlichen Uferweg entlang der Spree geben wird. Vielleicht würde dann ja auch eine mögliche Gastronomie im EG des Trade-Republic-Gebäudes einziehen. Bis dahin säumen weiter wilde Tippis das Spreeufer. Det is Berlin. Einen ordentlichen Espresso gibt es allemal in dem Mikro-Café des Quartiers, gleich neben dem Durchgang von der Köpenicker Straße. Dort lässt es sich gut darüber philosophieren, dass eine spannungsvolle Raumbildung zentrale Bedeutung für eine gelungene Quartiersbildung besitzen kann.

db, Mo., 2023.06.05



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10. Juni 2021Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Gottfried Böhm, Meister der gebauten Skulpturen, ist 101-jährig gestorben

Der deutsche Architekt hinterlässt ein umfangreiches Werk, eigensinnig und expressiv.

Der deutsche Architekt hinterlässt ein umfangreiches Werk, eigensinnig und expressiv.

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06. April 2020Jürgen Tietz
db

Die Gunst der Fuge

Das Wohngebäude mit Büroflächen im EG verbindet systemisches Bauen mit hohem Freiheitsgrad bei der Grundrisseinteilung. Mit Betonfertigteilelementen aus dem Gewerbebau ließ sich der Rohbau in sechs Wochen fertigstellen. Die Grundrisse der Mietwohnungen und Wohnateliers mit Flächen zwischen 30 und 110 m² sind in allen Geschossen verschieden. Dem veredelten Rohbau im Innern steht die wertige Außenansicht der Glashülle gegenüber.

Das Wohngebäude mit Büroflächen im EG verbindet systemisches Bauen mit hohem Freiheitsgrad bei der Grundrisseinteilung. Mit Betonfertigteilelementen aus dem Gewerbebau ließ sich der Rohbau in sechs Wochen fertigstellen. Die Grundrisse der Mietwohnungen und Wohnateliers mit Flächen zwischen 30 und 110 m² sind in allen Geschossen verschieden. Dem veredelten Rohbau im Innern steht die wertige Außenansicht der Glashülle gegenüber.

Standardisiert, vorfabriziert und höchst modular: Der Traum einer industrialisierten Architekturproduktion begleitet die Moderne seit ihren Anfängen quer durch alle Materialien. Von Eisen, Stahl und Glas bis hin zum Beton geht damit der Wunsch einher, Bauprozesse zu beschleunigen und kostengünstiger zu gestalten – gelegentliche Fertigbau-Alpträume in den 60er und 70er Jahren eingeschlossen. Ein Vorläufer derartigen Prefab-Bauens ist die 1891 eröffnete Arminiusmarkthalle in Moabit von Hermann Blankenstein mit ihren gusseisernen Säulen und ornamentalen Ziegelfeldern. Nur ein paar Schritte entfernt steht das neue Wohnregal von FAR Frohn & Rojas Architekten in der Waldenser-, Ecke Emdener Straße. Dort unternimmt die deutsch-chile­nischen Architektengemeinschaft von Marc Frohn und Mario Rojas, die sogar über einen Büroableger in Los Angeles verfügt, den Versuch, das alte Lied des vorfabrizierten, industrialisierten Bauens mit einer neuen Melodie zu ver­sehen. Umgeben von einem bunten Wechselspiel aus Wohnhäusern der Gründer- und Nachkriegszeit ist der Neubau auf einem Eckgrundstück entstanden, das seit dem Zweiten Weltkrieg brachlag. Ohne Keller und auf Pfeilern gegründet, wächst das Wohn- und Atelierhaus auf dem Trümmerschutt der Vergangenheit sechs Geschosse empor und schließt traufbündig an seinen Nachbarn an. Darin erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten mit der Nachbarschaft aber auch schon. Ansonsten interpretiert das Gebäude mit seinen weiten Glasflächen und dem dahinter durchscheinenden Betonraster die Bauaufgabe Wohnhaus durchaus anders. Ziel von FAR war es, einen Wohnungsbau aus Fertigteilen zu verwirklichen, die ansonsten im Industriebau verwendet werden.

Das bedeutete für die Architekten einen Lernprozess. Schließlich ist bei der Produktion von Fertigteilen grundsätzlich vieles möglich. Aber jede Abwandlung, die vom Standardverfahren abweicht, kostet zusätzliches Geld. Daher mussten sich die Architekten zunächst in die Produktion der Fertigteile hineindenken, um mit möglichst sinnfälligen wie kostengünstigen Modifi­kationen die Fertigteile ihrem Entwurf anzupassen – und umgekehrt. Bilden doch die Ansätze kostengünstig und industriell zu bauen eine gedankliche Symbiose, die es in gebaute Architektur zu übertragen galt, ästhetischer Anspruch inklusive. Beispielsweise hätte es etwa 40 000 Euro gekostet, den Achsenabstand der Unterzüge der π-Decken anzupassen, damit sie mit der Grundstückslänge korrespondieren. »Stattdessen haben wir die Breite der π-Decken mit einer simplen Schaltafel gekürzt«, erläutert Marc Frohn beim Rundgang. »Dadurch ergeben sich im Gebäude zwei verschiedene Abstände der Unterzüge: derjenige innerhalb einer π-Decke und derjenige zwischen zwei π-Decken. Diese Varianz prägt das Erscheinungsbild.« Letztlich sind FAR ohne die Kosten für das Grundstück sowie das Honorar der für sich selbst bauenden Architekten bei rund 1 500 Euro pro m² BGF gelandet, die gesamten Baukosten betrugen 2,25 Mio. Euro.

Industrielles Wohnambiente

Das Raster mit den sieben Achsen der Pendelstützen aus Beton ist von innen wie von außen deutlich ablesbar. Davor hängt eine silbrige Aluminiumfassade aus großmaßstäblichen Hebe-Schiebe-Standardelementen (2,20 x 3 m), die für eine maximale Belichtung der Wohneinheiten sorgt. Markant sind auch die augenscheinlich grünen, wenngleich laut Hersteller vorgeblich farblosen, Brüstungselemente aus faserverstärktem Kunststoff mit ihrem hüfthohen quadratischen Rasterrausch. Dazu fügen sich im Innern die rundrilligen Industrieheizköper und schaffen neben der Funktion ein reizvolles Detail. Die Ecken des Hauses sind an Vorder- und Rückseite als offene Loggien ausge­bildet. Dazwischen liegt das nach Norden orientierte, offene Treppenhaus, das eine Art vertikalen Laubengang ausbildet, der durch ein Edelstahlnetz gegen allfällige Abstürze gesichert wird.

Der industriell ruppige Charme des Gebäudes kulminiert in dem architektonischen Leib- und Magenthema des Fügens, das bei den Fertigteilen in epischer Betonbreite zelebriert wird. Auf den Pendelstützen liegen die Stürze sowie die π-Decken auf. Aufgrund der Toleranz der Elemente von bis zu 20 mm schieben sich zwischen diese dunkle Fugen mit standardmäßigen Polstern aus Hartkunststoff. Sie verkehren das Motiv des Lastens optisch in ein irritierendes vermeintliches Schweben.

Durch die stützenfreie Spannweite der π-Decken von rund 13,5 m ergibt sich eine flexible Gestaltung der Geschosse, der lediglich durch die Schächte der Haustechnik gewisse Grenzen gesetzt sind. Der weitere Ausbau der Wohnungen erfolgte im Trockenbau. Die Wohnungsgrößen variieren dabei zwischen 35 und 110 m². In lieblichster Architektenprosa ergibt sich so laut FAR »eine maximale Vielfalt unterschiedlicher Wohn- und Arbeitsateliers, die die wachsende Vielfältigkeit an urbanen Wohnvorstellungen abbildet«.

Neben der Freiheit in der Entwicklung der Wohnungsgrößen und der Grundrisse ermöglicht die Verwendung der Fertigteile einen zügigen Bauprozess. In lediglich sechs Wochen sei der Rohbau errichtet gewesen, erläutert Marc Frohn. Das entspricht also einem Geschoss pro Woche. Entscheidend sei die funktionierende Lieferlogistik der Elemente, da sich die Nutzung eines Mobilkrans schnell als erheblicher Kostenfaktor niederschlägt. Abgerundet wird das minimalistisch industrielle Wohnambiente durch den mineralischen Fußboden sowie die Einbaumöbel mit weißen Fronten. Die Schiebeelemente der Fassade lassen sich bei entsprechender Witterung weit öffnen und verleihen den Wohnungen einen luftigen Loggiencharakter. Beherrscht wird der Raumeindruck jedoch von den gefügten Betonelementen. Daran können sich die Geister scheiden. Entweder mag man diese dominant brutalistische Rauheit – oder eben nicht. Das gilt ebenso für den Rhythmus der Decken, der durch die Rippen der π-Träger bestimmt wird. Dabei entstehen zwischen Einbaumöbeln und Rippen seltsam indifferente Zwischenräume. Die gleiche Herausforderung stellt sich bei den Stürzen, auf denen die π-Decken aufliegen. Daraus ergibt sich zwischen Sturz und Fensterelement ein nur mühsam zu verdunkelnder Fensterstreifen. Das wäre durch eine integrierte Verdunklung/Sichtschutz im Fensterelement freilich leicht zu beheben gewesen.

Insgesamt stellt sich die Frage, inwieweit das Konzept der Verwendung von industriellen Betonfertigteilen jenseits der sympathischen architektonischen Fingerübung der Moabiter Eckbebauung auch im großen Maßstab trägt. Kann sie einen relevanten Beitrag bei der Lösung der Herausforderungen des bezahlbaren Wohnraums darstellen? Das ist mehr als ein Rechenexempel, denn neben der Frage nach den Baukosten, ist es eine Frage der Ästhetik sowie deren Akzeptanz durch die Nutzer und nicht zuletzt nach der Nachhaltigkeit bei der Materialverwendung Beton. Die Berliner Architektengemeinschaft jedenfalls steht hinter dem eigenen Konzept. In der Gewerbeeinheit, die sich einmal quer durch das EG erstreckt, haben sie ihr eigenes Atelier bezogen.

db, Mo., 2020.04.06



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12. November 2019Jürgen Tietz
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Korkanzug

Alle Anstrengungen, ein Einfamilienhaus recycelbar und aus möglichst naturnahen Materialien zu bauen, müssen zwangsläufig wie Greenwashing wirken. Doch wer, wenn nicht ein privater Bauherr, kann auf den Pioniergeist junger Architekten vertrauen, den Boden für Experimente bereiten und so die Anwendung außergewöhnlicher Techniken wie z. B. Korkplatten als Fassadenbekleidung voranbringen?

Alle Anstrengungen, ein Einfamilienhaus recycelbar und aus möglichst naturnahen Materialien zu bauen, müssen zwangsläufig wie Greenwashing wirken. Doch wer, wenn nicht ein privater Bauherr, kann auf den Pioniergeist junger Architekten vertrauen, den Boden für Experimente bereiten und so die Anwendung außergewöhnlicher Techniken wie z. B. Korkplatten als Fassadenbekleidung voranbringen?

Im Umfeld einer in die Jahre gekommenen, von gestalterischer Selbstbestimmung geprägten »Wildschweinsiedlung« am Rand der großen Stadt steht das Korkhaus als freundlicher Alien unter lauter anderen Einfamilienhäusern. Mit seinen regenerativen Baumaterialien Kork und Holz, einem ambitionierten Energiekonzept und der kubisch-reduzierten Gestaltung samt Schrägdach hält es seinen mal besäulten, mal etwas angeschmuddelten Nachbarn den Spiegel vor. Charmant zeigt es ihnen dabei auf, was architektonisch bei der Bauaufgabe so alles denkbar wäre, ohne sich zugleich exaltiert über die Nachbarn zu erheben. Das Korkenzieherhaus macht damit genau das, was gute Architektur immer tun sollte: Mit ihm loten die beiden jungen Architekten Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce mit ihrem Büro rundzwei in Grundriss, Form und Material die Möglichkeiten von Bauaufgabe und Budget aus. Ihren selbstgestellten Grundsatz der unbedingten Nachhaltigkeit beim Bauen im Sinne des Cradle-to-Cradle-Ansatzes, behalten sie dabei konsequent im Blick.

Das Maximum herausgeholt

Den Anstoß zu dem planungsintensiven Einfamilienhaus in Berlin gab der Zufall. Auf einer Bahnfahrt kam Marc Dufour-Feronce mit seiner künftigen Bauherrin ins Gespräch. Man traf sich wieder und das in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Vorhaben konnte seinen Lauf nehmen. Ungewöhnlich ist nicht nur das Fassadenmaterial. Ungewöhnlich waren auch die Knackpunkte der Bauaufgabe, nämlich die Forderung der Bauherrin, das Haus bei Bedarf in zwei unabhängig voneinander erschließbare Einheiten unterteilen zu können. Ein Wunsch, der noch relativ einfach in die Grundrissentwicklung zu integrieren war. Die über dem Gebäudesockel liegenden kleineren Räume sind teilweise untereinander verbunden und können auch als Studio-Apartments genutzt werden, ein separater Eingang ist mit eingeplant.

Eine weitaus größere Herausforderung war es für die Architekten, auf UG, EG und DG eine Wohnfläche von über 300 m² unterzubringen. Und das, ohne dass man sich dabei im UG wie im Keller fühlt. Möglich wurde das nur, indem die Zitrone des Baurechts von den Architekten hinsichtlich Kelleranhebung und Dachausformung soweit ausgequetscht wurde, bis sie keinen weiteren Saft mehr geben konnte. So lugt der »Keller« nun über den Boden hinaus und wurde zum Wohngeschoss. Hinzu kam die innere Raumorganisation des Hauses anhand von Split-Levels, die sich um den zentralen Erschließungskern des Treppenhauses nach oben schrauben. Das sieht reizvoll aus und erinnert an eine Art zeitgenössische Mischung aus Loos’schem Raumplan und Scharoun’schem organischem Bauen. Im Fertigstellungsjahr 2019 passt das eigentlich hübsch als zeitgenössisches Korrektiv zur Quadratur des Bauhausjubiläums.

Der Außenpool ist eingetieft und dadurch vor den Blicken der Nachbarn geschützt. Wie das gesamte UG wird er durch Wände aus grobem Stampfbeton eingefasst, die ihre schichtweise Entstehung zur Schau tragen – eine Reminiszenz an die Berliner Tradition des Kellergeschossbaus, erläutert Dufour-Feronce.

Um das ambitionierte Raumprogramm zu verwirklichen, reicht das Haus nun also tief in die Erde hinab. Darüber aber schwebt es, ganz Kind ­einer leichten Moderne, mit einem gläsernen Sockelgeschoss empor. Darüber schließt sich das mit hochrechteckigen Korkplatten bekleidete OG an. Es mündet in eine scharfkantige, kronenartige Dachlandschaft mit vier Giebelfeldern. Dort, wo sich die Satteldachflächen in der Mitte des Hauses verschneiden, haben die Architekten ein zentrales Oberlicht platziert. Es versorgt das innen liegende Treppenhaus mit Tageslicht.

Betreten dürfen wir das Korkenzieherhaus leider nicht. Zu unerfreulich waren die Erfahrungen, die die Bauherrin mit allzu schaulustigen Architekturliebhabern bereits gemacht hat. So muss sich das Erlebnis der spiralartig – korkenzieherartig – hochwindenden Raumstruktur der Holzkonstruktion des Hauses auf die Erläuterungen von Marc Dufour-Feronce im Büro von rundzwei Architekten in Charlottenburg beschränken. Gleich um die Ecke steht die Alma Mater der beiden Architekten, die TU-Berlin. Während Reeg nach ­seinem Diplom bei ACME in London und bei Herzog & de Meuron internationale Erfahrungen sammelte, arbeitete Dufour-Feronce ebenfalls zunächst bei ACME und anschließend bei LAB Architecture Studio.

Weitgehend rückbaubar

Der Grundsatz der Nachhaltigkeit, dem sich die Architekten programmatisch verschrieben haben, beißt sich gemäß der reinen Lehre freilich kräftig mit der Bauaufgabe eines Einfamilienhauses. Bei einer Wohnfläche von rund 300 m² für drei Personen sowie Außenpool bekommt das Konzept zusätzliche Schlagseite.

Nun ist die reine Lehre das eine, die normative Kraft der faktischen Forderungen der Bauherrschaft das andere. Daher lohnt trotz dieser Einschränkung der Blick auf die nachhaltigen Bemühungen der Architekten, mit einem weitgehend vorfabrizierten Holzbau und dem Energiekonzept mit Erdspeicherheizung, Bauteilaktivierung, Photovoltaik sowie Solarthermieanlage auf dem Carport.

Das Gebäudeinnere ist bestimmt vom Dreiklang aus Ortbetonböden im EG (mit Estrichspachtel behandelt und mit grauem Silikatanstrich versehen), Holzflächen aus mit Natur-Öl behandelter Fichte (Bekleidungen der Holzbalkendecken, Fensterrahmen, Leimholzstufen und Pflasterparkett in den OGs) und offenporigen, mit einer natürlichen weißen Silikatfarbe beschichteten Gipsfaserplatten als Wandbekleidungen, die fast ebenso viel Feuchtigkeit aufnehmen können wie Lehmputzplatten. Wo irgend möglich haben die Architekten auf mechanische Befestigungstechniken zurückgegriffen, um auf Bauschäume und Kleber verzichten zu können – auf dem lösungsmittelfreien ­Parkettkleber auf Acrylbasis prangt immerhin ein Öko-Siegel.

Hinzu kommt schließlich das nicht nur in Berlin bisher ungewöhnliche Fassadenmaterial aus 14 cm dicken Korkfassadenplatten. Sie sind direkt auf die darunter liegenden Holzfaserplatten montiert, die dem Holzrahmen mit Zelluloseeinblas- und Holzfaserstopfdämmung aufliegen.

Die Idee für die Fassade aus Kork hat eine Mitarbeiterin aus Portugal mitgebracht, erzählt Dufour-Feronce. Das nachwachsende Naturmaterial, mit seinen markanten mal helleren, mal dunkleren Farbnuancen und der leicht reliefartigen Oberflächentextur, wird dort alle paar Jahre von den Stämmen der Korkeichen geschält. Längst dient es nicht mehr nur zum Verschließen von Weinflaschen oder als Fußbodenbelag. Es findet seinen Einsatz u. a. in der Industrie, denn es dämmt Geräusche und Vibrationen, kommt ohne chemische Zusatzstoffe oder Kleber aus und gilt darüber hinaus als wasserabweisend, feuerbeständig und strapazierfähig. Also der ideale Ersatz für die wenig geliebten und wenig nachhaltigen Wärmedämmverbundsysteme, mit denen Land auf Land ab immer noch zahllose Häuser eingepackt werden? Die Hersteller aus Portugal scheinen davon fest überzeugt zu sein, berichten die Architekten, die sich von der Faszination für das Material haben anstecken lassen. Immerhin gibt der Hersteller 20 Jahre Garantie auf die Haltbarkeit des Materials, das im Lauf der Zeit eine helle Patina entwickelt. Im Übrigen gibt es keinerlei Mangel an Kork – dahingehende Behauptungen gehören in den Bereich der Gerüchte.

Die maximale Größe der Platten von 100 x 50 cm ergibt sich aus der Größe der Presse, in der die zunächst zu Granulat verarbeiteten Stücke der Baumrinde – mitunter Abfall aus der Flaschenkorkenproduktion – unter Druck und Wärme ihre Form erhalten.

Dabei treten enthaltene Harze aus, die die Korkkörner untereinander verbinden und dafür sorgen, dass die Platten ohne weitere chemische Zusätze verbaubar sind und sogar schimmelresistent bleiben.

An der Fassade sind die Platten dann in einem Falz-System befestigt. An den Dachkanten wurden sie auf Gehrung geschnitten, um einen möglichst scharfkantigen Dachabschluss zu erzeugen. Der wird auch nicht durch Regenrinnen gestört, da innenliegende Fallrohre das Regenwasser abführen. Generell ist bei der Verwendung von Korkdämmung mit einem Kostenplus von rund 15 % gegenüber WDVS zu rechnen. Beim Staakener Haus kam man sogar auf 50 % – der speziellen Detailausbildung und der scharfen Kanten wegen.

Von einem internationalen Kork-Hype sollte man vielleicht noch nicht sprechen. Gleichwohl findet sich das vollständig recycelbare Naturmaterial nicht nur am Berliner Korkenzieherhaus. Gleich eine ganze Reihe ambitionierter Projekte experimentieren derzeit damit. Dazu zählt auch das Cork-House im englischen Berkshire von Matthew Barnett Howland mit Dido Milne und Oliver Wilton. In Zusammenarbeit u. a. mit der Bartlett School of Architectur entwickelt, wird das Material dort massiv verwendet. Und Jaspar Morrison hat just eine eigene Kork-Möbel-Linie entwickelt. Wenngleich feuerfest wird sich in den nächsten Jahren zeigen, inwieweit der Funke der Faszination für das Naturmaterial auch auf weitere Bauprojekte überspringt. Ebenso bleibt abzuwarten, wie sich Dauerhaftigkeit und Patina darstellen werden. Das Korkenzieherhaus bietet dafür jedenfalls eine anschauliche Referenz.

db, Di., 2019.11.12



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14. Oktober 2019Jürgen Tietz
db

Konstruktive Konzepte

Rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg, die von Daniel Libeskind 2012 fürs gegenüberliegende Jüdische Museum zur Akademie umgebaut wurde, sind mit drei Wohn-, Gewerbe- und Atelierhäusern die Resultate von Berlins erstem planerischen Konzeptverfahren zu begutachten. Sinnfällig ergänzt wird das Quartier durch das neue Verlagshaus der taz. Weitere Bausteine sind im Entstehen. Mit Fug und Recht lässt sich hier, in Nachbarschaft zu einigen herausragenden Bauten der IBA 1987, von »anderes Bauen« sprechen.

Rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg, die von Daniel Libeskind 2012 fürs gegenüberliegende Jüdische Museum zur Akademie umgebaut wurde, sind mit drei Wohn-, Gewerbe- und Atelierhäusern die Resultate von Berlins erstem planerischen Konzeptverfahren zu begutachten. Sinnfällig ergänzt wird das Quartier durch das neue Verlagshaus der taz. Weitere Bausteine sind im Entstehen. Mit Fug und Recht lässt sich hier, in Nachbarschaft zu einigen herausragenden Bauten der IBA 1987, von »anderes Bauen« sprechen.

Der feine Schleier des Nieselregens verleiht dem matten Schwarz der Fassade aus karbonisiertem Lärchenholz des Gebäudes Frizz23 eine besondere Intensität. Passt gut, denke ich und suche vor dem Wetter trotzdem lieber Unterschlupf im kleinen Café »Nullpunkt«, im EG dieses Multifunktionsgebäudes für kulturelles Gewerbe. Das Frizz23, entworfen von Deadline Architekten aus Berlin, ist einer von vier Bausteinen des Areals rund um die ehemaligen Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg. Die stammt von Bruno Grimmek, dem heute zu Unrecht fast vergessenen Leiter der Entwurfsabteilung des Berliner Hochbauamts. Daniel Libeskind hat die Halle aus den 60er Jahren zur Akademie des Jüdischen Museums umgebaut, dessen Hauptgebäude gleich gegenüber an der Lindenstraße liegt. Die Akademie beherbergt die Bibliothek des Jüdischen Museums Berlin mit öffentlich zugänglichem Lesesaal, das Archiv sowie das für Veranstaltungen genutzte Klaus Mangold Auditorium und ­Seminar- und Workshop-Räume. Im Januar 2016 wurde die Akademie nach dem Gründungsdirektor des Museums in W. Michael Blumenthal Akademie umbenannt. Neben dem Frizz23 umfasst das Areal das neue Verlagsgebäude der taz von e2a aus Zürich, das IBeB – kurz für »Integratives Bauprojekt am ­ehemaligen Blumengroßmarkt« – der ARGE ifau und Heide & von Beckerath (beide Berlin) sowie das Metropolenhaus von bfstudio-architekten (ebenfalls Berlin).

Im Nullpunkt, das präzise eingemessen auf dem Standort von Berlins erster Sternwarte liegt, bestelle ich mir einen Kaffee. Dazu gibt es statt laktosefreier Milch lieber vegane Hafermilch. Die Bestellung gerne auf Englisch. Dit is Berlin 2019. Seit meinem ersten Besuch im Frizz23 (db 02/2019) hat sich zwar einiges auf dem Areal getan. Ganz fertig ist es aber immer noch nicht. Die ­Ladengeschäfte in den Erdgeschossen beleben sich erst nach und nach. Auf den Freiflächen zwischen den Häusern wird weiter gewerkelt. Der angrenzende Besselpark ist noch mit Baugittern abgesperrt. Gleich dahinter erhebt sich der feine Turm von John Hejduk, der an Westberliner IBA-Zeiten erinnert. Dauert halt alles seine Zeit, denke ich mir. Gleichwohl sorgt das Quartier bereits international für Aufsehen und gilt als eines der interessanteren Architekturorte der Stadt. Das liegt ebenso an den qualitätvollen Gebäuden wie am inhaltlichen Konzept. Möglich wurde die kleinteilige gemischte Nutzung durch die Grundsatzentscheidung, nicht auf den Höchstpreis für das Gelände zu schielen, sondern seine Vergabe über einen Konzeptwettbewerb zu regeln. Dabei ist der festgeschriebene Inhalt für die Neubauten wichtiger als der gebotene Preis. Eine sinnvolle Möglichkeit, um städtische Entwicklungen mitzusteuern.

Wer vom Jüdischen Museum kommt, dem öffnet sich die trapezförmig angeordnete Trias aus IBeB, der Akademie des Jüdischen Museums und dem Metropolenhaus. Dazwischen erstreckt sich der weite, gepflasterte Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz, dem man einige Bäume und auch sonst mehr Grün wünschen würde. Dafür hat man nun freien Blick auf die Keramikfassade des langgestreckten Riegels des IBeB (db 8/2018), mit seinen Wohnungen und Ateliers sowie dem luftigen Metropolenhaus gegenüber. Dort werden die Eigentumswohnungen durch das querfinanzierte »aktive Erdgeschoss« , zu dem u. a. die Projekträume der nicht kommerziellen Kulturplattform »feldfünf« gehören. Das Metropolenhaus bündelt Wohnen und Arbeiten und verknüpft beides mit Kultur, Gastronomie und kleinen Läden. Mit seinem Nutzungskonzept schafft es Raum für ein Zusammentreffen der Kulturen und sichert mittels des Konzepts der Querfinanzierung zugleich die ökonomische Basis der Projekträume.

Ein kleinteiliges, intensiv von lokalen Akteuren und Nachbarschaftsinitiativen in Zusammenarbeit mit Bezirk und Senat erarbeitetes Nutzungskonzept liegt auch dem Frizz23 zugrunde. Dort beschreiten das FORUM Berufsbildung e. V., FrizzZwanzig sowie das kleine Hotel Miniloft Kreuzberg einen neuen Weg und schaffen Berlins erste gemeinsame Gewerbebaugruppe. Die Trias der Bauherrschaft lässt sich in groben Zügen an der Gliederung des Gebäudes ablesen. Das bereits im Bezirk etablierte Forum Berufsbildung benötigte dringend zusätzliche Seminarräume. Die hat es nun in dem an den taz-Neubau anschließenden, fünfgeschossigen Bauteil des Frizz23 gefunden. Das EG ist je nach Veranstaltungsformat in unterschiedliche Einheiten gliederbar. Darüber schließen sich funktional gestaltete Gruppenräume an. Bekrönt wird das Ganze von einer Dachterrasse. Am anderen Ende des Bauköpers sind in einem kleinen, siebengeschossigen Turm unterschiedlich große Minilofts untergebracht, die von den entwerfenden Architekten Deadline zugleich betrieben werden. Schick möbliert und ordentlich ausgestattet, lässt sich von dort aus die Berliner Mitte bestens erkunden. Im EG befindet sich auch das kleine Café, von dem aus ich auf das Areal schaue. Zwischen diesen beiden Bauteilen findet die Berliner Kreativwirtschaft Werkstätten und Büros. Das reicht von eingeschossigen Miniateliers und größeren Open Offices bis zu dreigeschossigen Wohn- und Arbeitsräumen. Mittenmang die neuen Räume für die Arch+, für deren Ausgestaltung Arno Löbbecke und Anh-Linh Ngo, Mitherausgeber der Zeitschrift, selbst verantwortlich zeichnen.

Das fügte sich zu dem Ansatz von Matthew Griffin und Britta Jürgens von Deadline, den unterschiedlichen Nutzungen einen möglichst flexibel bespielbaren Rahmen zu eröffnen. Die Betonkonstruktion des Hauses mit einer Fassade aus nachtblauem Aluminium und schwarzem Holz setzt durch die ungewohnte Farb- und Materialkombination nach Außen ungewöhnliche eigene Akzente. Mit dem sanften Holz-Zick-Zack zwischen EG und erstem OG wird zudem die Erinnerung an die kriegszerstörte ­»Markthalle 2« aufgegriffen, die hier einst Schinkels Sternwarte nachfolgte. Ein Berliner Architekturpalimpsest.

Zu dem Quartier zählt auch der neue Sitz der Tageszeitung taz mit der reizvollen rückwärtigen Skulptur der Fluchttreppen, die die U-förmige Grundfigur des Gebäudes schließt. Schade allerdings, dass die taz die Stahldreiecke der Fassade zur Friedrichstraße als Pinnwand für ihre Transparente missbraucht. Doch das ließe sich ja ebenso leicht revidieren, wie die Wochenendschließung der taz-Kantine im EG. Oder braucht das kreative Berlin ab und an mal eine Pause von sich selbst? Zusammen mit dem ungleich größeren Springer-Campus, der ganz in der Nähe gerade nach Entwurf von Rem Koolhaas/OMA entsteht, deutet das taz-Haus jedenfalls ein zartes Revival des alten Kreuzberger Zeitungsviertels an. In der Umgebung lassen sich die städtebaulichen Paradigmenwechsel Berlins wie unter dem Brennglas ablesen. Während der spätbarocke Stadtgrundriss und das zarte kleine Kammergericht als Entree zum Jüdischen Museum an die Entstehung dieser Berliner Stadterweiterung erinnern, sind die übrigen Layer vertrauter: Die Mietskasernen der Gründerzeit, der großmaßstäbliche Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne, der den Mehringplatz umschließt, die kleinteiligen Stadtreparaturen der IBA der 80er Jahre und schließlich Libeskinds silberner Museumsblitz. Was im ersten Moment wie eine Baugeschichtsvorlesung anmutet, wirkt in den sozialen Mikroklimata der Gegenwart fort. Ehemalige Blumengroßmarkthalle und Mehringplatz sind zwar nur wenige Schritte voneinander entfernt. Sozial liegen dazwischen jedoch Welten. Eine der Herausforderungen wird es sein, diese gegensätzlichen urbanen Milieus einander behutsam anzunähern.

Der Nieselregen hat sich verzogen, der Café ist ausgetrunken und die Berliner Sommersonne leuchtet freundlich über dem neuen Quartier. Bleibt die Frage nach dessen Vorbildwirkung. In Maßstab und Mischung erinnert es an die Wunschvorstellungen einer Jane Jacobs aus den 60er Jahren. Darin liegt seine Qualität. Allerdings ist auch klar, dass die gewaltigen Berliner Wohnungsbauprobleme mit solchen überschaubaren Interventionen ebenso wenig gelöst werden, wie mit dem Einsatz einzelner »konventioneller« Baugruppen und schon gar nicht mit dem fragwürdigen Rückkauf von Mietshäusern, durch den die Berliner Politik momentan lokale Klientelbedürfnisse auf Kosten der Allgemeinheit befriedigt. Doch auch wenn das Kreativquartier nur bedingt als urbane Blaupause dienen kann, stellt es gleichwohl eine wichtige Beimischung für einen klugen und vielschichtigen städtebaulichen Mix dar, der sich allerdings künftig endlich wieder an den großen Maßstab trauen müsste. Das sucht man in Berlin derzeit vergebens. Wichtig wäre eine Mischung, die wirtschaftlich tragfähig ist, das Stadtganze im Blick behält und sich zugleich verantwortungsvoll für die Integration aller lokalen Akteursinteressen einsetzt, ohne sich im Klienteldschungel zu verlaufen.

db, Mo., 2019.10.14



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db 2019|10 Berlin

14. Oktober 2019Jürgen Tietz
db

Mitte als Konstrukt

Wo haben wir uns eigentlich verabredet, als es die James-Simon-Galerie noch nicht gab? So naheliegend ist als Treffpunkt in Berlins Mitte jetzt die große Freitreppe der Galerie, dass man sich kaum noch einen anderen Ort vorstellen kann. Die James-Simon-Galerie ist wahrhaftig wie ein gelungenes Geschenk, auf das lange gewartet wurde und an dem die Stadt und ihre Besucher nun täglich ihre Freude haben.

Wo haben wir uns eigentlich verabredet, als es die James-Simon-Galerie noch nicht gab? So naheliegend ist als Treffpunkt in Berlins Mitte jetzt die große Freitreppe der Galerie, dass man sich kaum noch einen anderen Ort vorstellen kann. Die James-Simon-Galerie ist wahrhaftig wie ein gelungenes Geschenk, auf das lange gewartet wurde und an dem die Stadt und ihre Besucher nun täglich ihre Freude haben.

In liebevoller Belagerung haben sich einige Besucher auf der Treppe der neuen James-Simon-Galerie von David Chipperfield Architects niedergelassen. Entspannt schwatzen sie und schauen unter dem blauen Sommerhimmel auf die Museumsinsel. Im Zusammenspiel mit der feinen Betonarchitektur, die hell leuchtend in die Umgebung lächelt, wirken sie wie pointilistisch ver­streute Farbklekse. Gleich daneben beginnt schon auf der Treppe die lange Wartschlange, die sich durch das gesamte OG des Galerieneubaus zieht. Geduldig warten dort die Besucher auf ihren Einlass in den derzeit noch zu besuchenden Teil des Pergamonmuseums. Nur wenige Wochen nach ihrer Eröffnung ist die James-Simon-Galerie vom Publikum so angenommen, als hätte es sie schon immer an diesem Ort gegeben. Es ist eine Freude, in diesen feinen Tempel zurückzukehren, den ich schon einmal kurz schwärmend für die db beschreiben durfte (s. db 3/2019).

Im Kern entpuppt sich die Galerie als ein dienendes Multifunktionsgebäude für die umgebenden Schatzhäuser der Museumsinsel. Hier kann gegessen und gewartet werden, können Bücher gekauft, Vorträge gehört und Sonderausstellungen gesehen werden. Und Tickets für die Museumsinsel gibt es ebenfalls. Der Name des Galerieneubaus, das kann nicht oft genug dankbar erklärt werden, ist eine Referenz an den Sammler und Mäzen James Simon (1851-1932), dem die Staatlichen Museen u. a. die Büste Nofretetes verdanken.

In der belebten Galerie bestätigt sich einmal mehr, dass sich jedes Haus unter der Benutzung noch einmal ganz anders präsentiert. Dann verliert sich eine mögliche Monumentalität durch die vielen hohen Stützen ganz schnell im bunten Gewusel der Besucher. Und es zeigt sich, dass der Lärm ihres dröhnenden Geschnatters kaum absorbiert wird. Bestens besucht ist auch die Aussichtsterrasse des kleinen Cafés. Von dort blickt man nicht nur auf den Kupfergraben, sondern auch auf das Haus Bastian. Ebenfalls von Chipperfield entworfen, dient es den Staatlichen Museen nach dem Umbau durch Raumlabor künftig als Zentrum für kulturelle Bildung. Eine Ebene unter dem Café kann in den Regalen des großzügigen Buchladens gestöbert werden, während darunter im rund 650 m² großen Sonderausstellungsraum bis März kommenden Jahres Arbeiten der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu sehen sind. Einzig das Auditorium mit seinen Sichtbetonwänden und den elegant geschwungenen hölzernen Deckensegeln bleibt mir heute verschlossen. Wer durch das noble, sichtbetonklare Haus streift, zu dem sich die ausdrucksstark gemaserten Paneele aus Nussbaumholz stimmig fügen, über breite Treppen und den Bodenbelag aus Crailsheimer Kalkstein wandert, der fühlt sich trotz der unterschiedlichen Raumebenen nie verloren. Dafür sorgen die zahlreichen Blickbezüge in den Außenraum, die viel Naturlicht ins Haus lassen. So wird es für die Besucher möglich, sich stets räumlich zu verorten. Das gilt selbst für den am tiefsten gelegenen Punkt des Galerieneubaus. Dort liegt der Übergang zum Neuen Museum und weiter zur »archäologischen Promenade«, die die einzelnen Häuser der Museumsinsel einmal unterirdisch verknüpfen soll. Von oben flutet üppiges Tageslicht in den Raum und stets schauen ein paar neugierige Blicke von Besuchern hinab, durch die großen Scheiben am Innenhof zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum. Neben einigen Erläuterungen zur Museumsinsel wird der Verbindungsbau durch einen der hölzernen Gründungspfeiler von Schinkels altem Packhof dominiert, der hier einst am Ufer des Kupfergrabens stand. Für den Galerieneubau mussten rund 1 200 neue Betonpfähle bis zu 50 m tief in den schwierigen Baugrund der Spreeinsel getrieben werden.

So gelungen das neue Vielzweckgebäude im Innern ist, so bezaubernd sind seine Außenräume. Chipperfield führt dort die historischen Kolonnaden der Museumsinsel fort und übersetzt sie in filigrane, eckige Sichtbetonstützen. Sein Marburger Architekturtempel lässt grüßen. Doch geschenkt, denn mit den Betonstützen verleiht er der Galerie eine wunderbare Luftigkeit. Zusammen mit der gelungenen Gliederung der Baumasse lässt er das kräftige aus dem Spreewasser emporwachsende Haus zarter wirken. Die Pergolen artige Architektur umschließt einen neuen Hof, der sich zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum erstreckt. Es ist ein öffentlicher und offener Ort, der eine wunderbare Ruhe verströmt. Er lädt dazu ein, sich auf der steinernen Bank unter dem Pfeilergang niederzulassen, um von dort dem Spiel von Wolken und Sonne auf den Fassaden zu folgen. Hier lässt es sich gut innehalten und ungestört darüber nachdenken, an welchem Ort man sich befindet und die Jahrhundertaufgabe zu würdigen, als die sich Sanierung und Umbau der Museumsinsel entpuppen. So selbstverständlich Chipperfields neues Erschließungsbauwerk heute erscheint, durch das nach wenigen Wochen bereits über 100 000 Besucher hindurchgewandert sind, so weit war der Weg dorthin. Er begann mit dem Wettbewerb für den Wiederaufbau des Neuen Museums 1993/94 (sic!). Erinnert sich noch jemand an den rationalistisch strengen Beitrag des Siegers Giorgio Grassi? Oder an das energische Votum der Staatlichen Museen für den exaltierten Beitrag Frank O. Gehrys und die spätere Entscheidung für den damals ja noch keineswegs so weltbekannten David Chipperfield? Begleitet wurde die Suche nach dem richtigen Entwurf von einer gelegentlich atemlos anmutenden Diskussion über den denkmalgerechten Umgang mit Friedrich August Stülers einzigartigem Neuen Museum, die in Chipperfields wegweisender Sanierung des Hauses und dem Masterplan (1999) mit dem Konzept der erwähnten Archäologischen Promenade mündete. Mittlerweile sind für die Museumsinsel einschließlich des Humboldtforums im neuen Berliner Schloss bereits mehrere Milliarden Euro (vom Bund) verbaut worden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Gerade erst läuft der Architektenwettbewerb für den zweiten Bauabschnitt des Pergamonmuseums an.

Vielleicht führt das ja dazu, noch einmal über die Sinnhaftigkeit nachzudenken, Oswald Matthias Ungers siegreichen Entwurf aus dem Jahr 2000 weiterzuführen, der bereits damals quadratisch aus der Zeit gefallen schien. Die Grundsanierung von Schinkels Altem Museum steht noch aus. Wann sie beginnt ist ungewiss. Bis dahin wird die hässliche Glasfront zwischen den Säulen der großartigen Treppenhalle des Alten Museums die Blicke weiter verspiegeln und damit beweisen, welche Permanenz einem Provisorium zuwachsen kann. In der Planungs- und Baugeschichte der Museumsinsel nach 1990 drücken sich die wechselnden architektonischen-, museologischen und denkmalpflegerischen Paradigmen einer Generation aus. Zugleich präsentiert sich in der Museumsinsel ein Stück deutsches Selbstverständnis. Die Mitte der deutschen Hauptstadt wird durch einen Hort der Kultur gebildet. Welche europäische Hauptstadt kann das bieten? Hier, auf der Schlossinsel befand sich einst das herrschaftliche Zentrum der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln. Mit seinem Alten Museum startete Karl-Friedrich Schinkel 1830 die lange Transformation der Berlin-Mitte vom königlichen Regierungszentrum zum bürgerlichen Kulturzentrum. Mittlerweile ist die Museumsinsel zu einem Archipel der Kultur gewachsen und wuchert weiter. Daran knüpfen sich etliche Fragen, die auch die anderen Standorte der Staatlichen Museen berühren. Fragen nach der Qualität der umstrittenen Kunstscheune M20 von Herzog und de Meuron am Kulturforum und der ungeliebten Museumsmelange aus Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum, die sich dahinter anschließt. Aber auch nach dem inzwischen komplett abgehängten Museumsstandort in Dahlem. Wie wird langfristig das ehemalige Kasernengelände gegenüber über dem Bodemuseum genutzt? Es gilt als eine potenzielle Erweiterungsfläche der Museen und wird derzeit mit einem 360° Pergamon-Panorama bespielt. Zieht die Gemäldegalerie irgendwann doch dorthin, in die Nachbarschaft des Bodemuseums, in die sie aus kunsthistorischer Sammlungslogik auch gehört? Und welche Konsequenzen hätte das für das Kulturforum? Fragen über Fragen. Wäre es da nicht an der Zeit, einen Masterplan 2.0 für die Staatlichen Museen aufzulegen?

Unter solchen Gedanken wandert mein Blick vorbei an Chipperfields feinen Pfeilern zur Kuppel des neuen alten Schlosses, die noch eingerüstet ist. Sandsteinlicht lockt die übrige Fassade dieses neuen Humboldtforums bereits. Doch es wird noch ein Jahr dauern, ehe dieses seltsam aus jeder Zeit gefallene Post-Postmoderne Haus mit spätrationalistischen Einsprengseln seine Pforten öffnet. Dann endlich dürfen die Besucher hinauf, hinauf zum Restaurant stürmen, dessen Baukörper wie ein Menetekel über Balustrade und Dachschräge des Schlosses lugt. Was für eine architektonische Peinlichkeit.

Chipperfields James-Simon-Galerie überzeugt nicht nur durch ihre edle Harmonie und stille Größe, angesichts derer sich bei den Besuchern allfällige museale Schwellenangst schnell verflüchtigt. Das Haus veranschaulicht zugleich, was in Berlins Mitte an gebauter Qualität und an großartigen städtischen Räumen möglich gewesen wäre. Stattdessen hat man sich für ein rückwärtsgewandtes Geschichtskonstrukt entschieden und zugleich mit den Relikten der DDR-Architektur auch der gebauten Moderne die rote Karte gezeigt. Der großartigen Geste, die Mitte der Republik als Bildungs- und Kulturlandschaft zu definieren, steht die enttäuschende Mutlosigkeit gegenüber, der zeitgenössischen Architektur so wenig Raum zu gewähren. Welches Geschenk der Mut zur Gegenwart bedeutet, das haben David Chipperfield Architects mit ihren Bauten hier bewiesen. Mehr Gegenwart auf diesem Niveau hätte Berlins Mitte gutgetan. Die Museums- und Berlinbesucher jedenfalls hätte sie gewiss mit der gleichen liebevollen Neugier erobert, wie sie sich die James-Simon-Galerie ganz selbstverständlich zu eigen machen.

db, Mo., 2019.10.14



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db 2019|10 Berlin

29. Mai 2019Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Das Bauhaus hätte mehr Phantasie verdient

Ihre Architektur galt damals als topmodern, doch wie baut man heute im Geist der Bauhaus-Schule? Drei neue Bauhaus-Museen bieten eine einzigartige Gelegenheit,...

Ihre Architektur galt damals als topmodern, doch wie baut man heute im Geist der Bauhaus-Schule? Drei neue Bauhaus-Museen bieten eine einzigartige Gelegenheit,...

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20. September 2018Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Hans Scharoun war ein Visionär und ist bis heute Vorbild vieler Architekten

Über das Erbe des grossen Architekten – Hans Scharoun zum 125. Geburtstag.

Über das Erbe des grossen Architekten – Hans Scharoun zum 125. Geburtstag.

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12. Juni 2018Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ist der Brutalismus noch zu retten?

Museen feiern die Grossbauten der Nachkriegsmoderne, doch längst nicht alle können vor dem Abriss bewahrt werden.

Museen feiern die Grossbauten der Nachkriegsmoderne, doch längst nicht alle können vor dem Abriss bewahrt werden.

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27. Juli 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die Muse macht Schlussverkauf

Das moderne Museum verbindet mehr mit Shoppingmalls, als manchem Kunstfreund recht sein kann. Als städtebauliche Vorbilder haben sie jedoch ausgedient. Es droht ein böses Erwachen.

Das moderne Museum verbindet mehr mit Shoppingmalls, als manchem Kunstfreund recht sein kann. Als städtebauliche Vorbilder haben sie jedoch ausgedient. Es droht ein böses Erwachen.

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04. Juli 2017Jürgen Tietz
db

Keine Angst vor Louis Kahn

Mit einiger Entschlossenheit lässt sich von jungen ­Büros sogar auf der Ebene von Wettbewerben etwas ­reißen. Das in Berlin ansässige Duo Kim Nalleweg hat seine Haltung an verschiedenen Studien- und Arbeits­orten gestärkt und darf jetzt mehrere Siegerentwürfe zu gebauter Realität werden lassen. Die nötige Erfahrung mit den Härten des realen Bauens sammelten die beiden bei der Umsetzung ihrer architektonischen Vorstellungen für das elterliche Wohnhaus.

Mit einiger Entschlossenheit lässt sich von jungen ­Büros sogar auf der Ebene von Wettbewerben etwas ­reißen. Das in Berlin ansässige Duo Kim Nalleweg hat seine Haltung an verschiedenen Studien- und Arbeits­orten gestärkt und darf jetzt mehrere Siegerentwürfe zu gebauter Realität werden lassen. Die nötige Erfahrung mit den Härten des realen Bauens sammelten die beiden bei der Umsetzung ihrer architektonischen Vorstellungen für das elterliche Wohnhaus.

Der Erstling von Kyung-Ae Kim und Max Nalleweg ist zwar noch nicht ganz fertig. Trotzdem verabreden wir uns in Hamburg-Harburg, um einen Blick auf das Haus zu werfen. Etwas versteckt liegt es in zweiter Einfamilienhaus­reihe. Die Außenanlagen sind tatsächlich noch nicht gemacht und auch innen stehen noch einige Arbeiten aus, aber bewohnt sind die drei aneinandergefügten Quader aus dämmenden Leichtbetonsteinen bereits. Der erste Eindruck zeigt, da hat jemand Mut zu großer Form am kleinen Haus, mit Liebe zum Material und zum Zitat. Respekt! Hier atmet die Moderne vernehmlich. ­Unter der lichten Schlämme scheint die Textur der Steine durch. Die Fenster schneiden ein T-förmiges Muster in die Fassade, lassen die Architektur kraftvoll, vielleicht sogar ein wenig monumental wirken, und senden freundliche Grüße an Louis Kahn. Es gäbe schlechtere Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Zudem sind die Fenster ja nicht nur Zitat, sondern auch funktional sinnvoll. Sie sorgen für Sichtschutz gegenüber den Nachbarn bei gleichzeitig ungestörtem Blick in den Himmel. Im Innern zeigt sich das Haus für Max Nallewegs Mutter dann als wohnliche Holzkonstruktion. Dem jungen Architektenpaar gelingt es, aus dem kompakten Grundstück eine Menge räumlicher Qualitäten herauszuholen, die sich z. T. aus der Verschiebung der einzelnen Bauteile gegeneinander ergeben und sich in ganz unaufgeregten Dingen äußern. In den ersten beiden Quadern verbergen sich die ineinandergreifenden Räume von Entree, Küche, Galeriegeschoss und Wohnraum mit weißen Wänden und Holzdecken. Der dritte Quader entpuppt sich als Gartenmauer, die die (künftige) Terrasse an drei Seiten hofhausartig umschließt. Vom Kostendruck bis zur Zeitverzögerung aufgrund der Witterung hält der Erstling manches bereit, was zum Bauen dazugehört. Bis hin zu den Detail­fragen, wo die Regenrinne nun entlangläuft und ob sie eher schlank (nein) oder markant (ja) sein soll. Ohnehin, die Bauausführung: Beim vier Jahre währenden Wettbewerbe-Zeichnen für Max Dudler spielte die Materialität in ihrer konkreten, konstruktiven Umsetzung eine eher untergeordnete Rolle. Das ist jetzt natürlich ganz anders. Und doch: »Die gedankliche Freiheit beim Entwerfen ist wichtig, um nicht zu schnell die Funktionalitätsschere im Kopf anzustellen.«

Hamburg, Schweiz, Berlin sind die wichtigsten Stationen, an denen die beiden Architekten bisher studiert und gearbeitet haben. Beide Mitte dreißig, haben sie vor anderthalb Jahren Räume in der Berliner Oranienstraße bezogen, fast um die Ecke von Max Dudlers Büro.

Inzwischen arbeiten sie hier zusammen mit dem Spanier César Trujillo Moya, mit dem sie in einer Arbeitsgemeinschaft den Wettbewerb für die Rosa-Luxemburg-Stiftung gewonnen haben, sowie acht Mitarbeitern. Immer mehr Schreibtische werden nötig, und während wir uns in der Fabriketage so offen wie klug und freundlich über Architektur unterhalten, schleppen die Mitarbeiter Materialproben herein, Ziegel, Riemchen. »Nur mit Bildern zu arbeiten reicht uns nicht, wir brauchen Modelle und die Materialien«, erzählt Kyung-Ae Kim. Da ist sie von ihrer kurzen Zeit bei Miller Maranta in Basel geprägt, von der intensiven Schweizer Art mit Materialien umzugehen, am Modell zu überlegen: Was hilft weiter, was kann beibehalten werden.

Die Beteiligung an Wettbewerben hat bei Kim Nalleweg früh eingesetzt. Als sie gerade zu Adolf Krischanitz an die Universität der Künste nach Berlin gewechselt waren, haben sie einen Wettbewerb gewonnen, der für Architekten bis 35 Jahre offenen war. Thema: die Neubebauung des City-Hof Areals in Hamburg. Die Idee von Krischanitz, mit einem Entwurf mehr anzubieten, die Umgebung des eigentlichen Perimeters mitzudenken, haben sie dabei beherzigt. Andererseits wurde ihnen erst später klar, was mit dem Wettbewerb auch beabsichtig war – inzwischen steht der City Hof vor dem Abriss. Hamburg eben (s. Kommentar in db 4/2015).

Für ihren nächsten Schritt, eine Ministeriumserweiterung, die das BBR aus­geschrieben hatte, gab es 2012 immerhin einen Ankauf. Zwar guckt bei dem klassisch ruhigen Entwurf nicht Louis Kahn um die Ecke, aber allemal die klassische Moderne mit ihren lang gestreckten Fensterbändern. Mit der Zu­erkennung eines Preises im Ideenwettbewerb für das Lübecker Gründungsviertel (vgl. db 2/2015, S. 14) nahm der Erfolg von Kim Nalleweg endgültig Fahrt auf. Anstatt dafür ein Haus in drei Variationen zu zeichnen, haben die Architekten Lübeck genau angeschaut und mit der Aufgabe gespielt. So haben sie drei sehr eigenständige Häuser entwickelt: Das eine breit, mit barock ­geschweiftem Giebel, das andere schlank von expressionistischen Lisenen ­inspiriert. In die Mitte nehmen sie den dritten Baustein, der an Lübecker Speicher aus Ziegel erinnert und nun wirklich gebaut werden soll. Gleich nebenan liegt die Lübecker Einhäuschen Querstraße, für die sie im Frühjahr 2017 ­einen weiteren Wettbewerb gewonnen haben. Klar strukturiert aber mit spielerischen Elementen, wie den versetzten Ziegelfarben und der gläsernen Ecke blinzeln dem Betrachter neben sanft ironischer Brechung auch Schweizer ­Anregungen aus den Renderings entgegen. Mit dem zweiten Preis bei der Erweiterung des Wien-Museums 2015 – wiederum international ausgeschrieben – und dem ersten Preis für die Rosa-Luxemburg-Stiftung 2016 in Berlin, gemeinsam mit César Trujillo Moya, zeigt sich vielleicht nicht unbedingt eine eigene Handschrift, sehr wohl aber eine Haltung. Sie kennt keine Angst vor der großen Form und zeichnet sich durch Klarheit und Zeichenhaftigkeit aus. Auch in Wien und Berlin haben sich die Architekten herausgenommen, ein Mehr zu formulieren, »Themen ­anzubieten, die nicht gefordert waren«. In Wien war es der offene Durchgang unter dem geplanten neuen Museumsriegel, durch den ein überdachter Versammlungsplatz entsteht. In Berlin ist es ein Raum mit markanten tragenden X-Stützen, der in der weiteren Bearbeitung jetzt wohl zur Bibliothek werden wird. Dass sie beim M20, dem Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kultur­forum – wiederum in Arbeitsgemeinschaft mit César Trujillo Moya – in der ersten Wettbewerbsrunde »nur« auf Platz 14 kamen und daher nicht zu den Teil­nehmern für die zweite Runde zählten, ärgert die Architekten. Schade, das ­Weiterdenken ihres Riegels entlang der Potsdamer Straße hätte bestimmt Spaß gemacht. »Die Idee, drei Platzräume zu schaffen, hätten wir klarer ­herausarbeiten müssen«, räumt Kyung-Ae Kim selbstkritisch ein. »Wichtig ist es, ein klares Projekt zu machen, für sich selbst aber auch für den Bauherrn.« Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das offenbar gut funktioniert.

Mit Mut und Überlegung

Zieht man eine erste Bilanz, zeigt sich, dass es die offenen Wettbewerbe ­waren, mit denen Kim Nalleweg einen Fuß in die Tür zum Bauen bekommen haben. Doch die Chance, die man dadurch erhält, gilt es auch zu nutzen. »Man muss bei allem aufpassen, wie man es macht«, unterstreicht Kyung-Ae Kim-Nalleweg den Lerneffekt. Jedes aus Zeitnot vor der Abgabe verrutschte Bild wird sofort zum K.o.-Kriterium. Wenn Präsentation und künstlerische Qualität des Entwurfs überzeugen, erscheint der weitere Weg jedoch geebnet.

Derzeit diskutieren die Architekten in Berlin mit ihren Bauherren. Da hilft es ihnen, dass der Entwurf für die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine so starke Struktur besitzt, dass man nicht einfach hier oder dort etwas wegnehmen kann, um die Baukosten zu senken, weil das Haus dann nicht mehr funktionieren würde. Das klingt schon fast nach alten Hasen.

Mit Ratschlägen halten sich Kim, Nalleweg und Moya zurück. »Wir sind ja selbst noch mittendrin und wissen nicht, wo es langgeht.« Und wagen sich doch behutsam aus der Deckung: die Uni zu wechseln sei wichtig, um anderes kennenzulernen, ebenso in andere Länder zu gehen. So wird einerseits ein Rahmen aus Erfahrungen gesteckt. Andererseits arbeitet man sich auf der Suche nach dem Eigenen am Vorbild der Lehrer ab – im Positiven wie im Negativen. Was es aber heißt, selbstständig zu sein, verhandeln zu lernen oder Akquise zu betreiben, das erfährt man weder an der Uni noch als Angestellter in einem Büro. Warum wundert es mich nicht, dass Kim und Nalleweg zum Abschluss unseres langen Gesprächs an einem heißen Berliner Frühsommertag dann doch den ziemlich klugen Ratschlag für jüngere Kollegen parat haben, langfristig zu denken? Auch wenn es erst nach 10 oder 15 Jahren dazu kam, waren sie sich schon im Studium gewiss, später ein eigenes Büro zu gründen: »Man muss es wollen, auch wenn man noch nicht weiß, was es bedeutet.«

db, Di., 2017.07.04



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db 2017|07-08 Erstlingswerke

22. Juni 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vermöbelte Städte

Schilderwälder, Heerscharen von Pollern und anderes Mobiliar: Der Stadtraum wird verschandelt – warum?

Schilderwälder, Heerscharen von Pollern und anderes Mobiliar: Der Stadtraum wird verschandelt – warum?

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01. Juni 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die sichtbaren Städte

Bekannt wurde der Architekt und Städtebautheoretiker Vittorio Magnago Lampugnani durch seinen Einsatz für eine urbane Baukunst. Seit 1994 lehrte er in Zürich, wo er heute die Abschiedsvorlesung hält.

Bekannt wurde der Architekt und Städtebautheoretiker Vittorio Magnago Lampugnani durch seinen Einsatz für eine urbane Baukunst. Seit 1994 lehrte er in Zürich, wo er heute die Abschiedsvorlesung hält.

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03. Mai 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Späte Harmonien

Mit der Wiedereröffnung des umgebauten Kulturpalastes aus DDR-Zeiten erhält die Dresdner Philharmonie ihre neue Spielstätte. Realisiert wurde der Konzertsaal vom Büro von Gerkan, Marg und Partner.

Mit der Wiedereröffnung des umgebauten Kulturpalastes aus DDR-Zeiten erhält die Dresdner Philharmonie ihre neue Spielstätte. Realisiert wurde der Konzertsaal vom Büro von Gerkan, Marg und Partner.

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Kulturpalast, Modernisierung und Sanierung, Neubau Konzertsaal

26. April 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ein Chinese in New York

Mit der Glaspyramide des Louvre in Paris und dem Bank of China Tower in Hongkong verwirklichte Ieoh Ming Pei Ikonen der spätmodernen Architektur. Heute kann er seinen 100. Geburtstag feiern.

Mit der Glaspyramide des Louvre in Paris und dem Bank of China Tower in Hongkong verwirklichte Ieoh Ming Pei Ikonen der spätmodernen Architektur. Heute kann er seinen 100. Geburtstag feiern.

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Pei Ieoh Ming

18. April 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Steine der Weisen

Mit ihren Museen in Köln und London haben Schweizer Architekten einen europäischen Ziegelhype ausgelöst. Dieser zeitigt vor allem in London beachtliche Ergebnisse zwischen Innovation und Tradition.

Mit ihren Museen in Köln und London haben Schweizer Architekten einen europäischen Ziegelhype ausgelöst. Dieser zeitigt vor allem in London beachtliche Ergebnisse zwischen Innovation und Tradition.

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05. April 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Stadtkultur als Diskussionskultur

Die aus Zürich stammende Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat eine Zwischenbilanz der Arbeit des Baukollegiums vorgelegt, das sie in der deutschen Hauptstadt erfolgreich etabliert hat.

Die aus Zürich stammende Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat eine Zwischenbilanz der Arbeit des Baukollegiums vorgelegt, das sie in der deutschen Hauptstadt erfolgreich etabliert hat.

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24. März 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

In Schinkels langem Schatten

In Berlin wird über Rekonstruktion und Inhalte der Bauakademie, dem zu DDR-Zeiten zerstörten Meisterwerk Karl Friedrich Schinkels, gestritten. Das Geld stammt vom Haushaltsausschuss des Bundetages.

In Berlin wird über Rekonstruktion und Inhalte der Bauakademie, dem zu DDR-Zeiten zerstörten Meisterwerk Karl Friedrich Schinkels, gestritten. Das Geld stammt vom Haushaltsausschuss des Bundetages.

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20. März 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Märchenstunde am Main

Der Neubau der «Altstadt» in Frankfurt am Main geht in den Schlussspurt. Doch ob dieses retrospektive Vorhaben einen wirklichen Beitrag für die Zukunft der Stadt leistet, ist fraglich.

Der Neubau der «Altstadt» in Frankfurt am Main geht in den Schlussspurt. Doch ob dieses retrospektive Vorhaben einen wirklichen Beitrag für die Zukunft der Stadt leistet, ist fraglich.

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15. März 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Sprudelnde Moderne

Denkmalwürdige Bauten der klassischen Moderne behutsam instand zu setzen, gehört heute zum Alltagsgeschäft von Architekten. Gleichzeitig lassen sie sich gerne von der Moderne inspirieren.

Denkmalwürdige Bauten der klassischen Moderne behutsam instand zu setzen, gehört heute zum Alltagsgeschäft von Architekten. Gleichzeitig lassen sie sich gerne von der Moderne inspirieren.

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16. Januar 2017Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Unter wispernden Ästen

Die wenigen noch erhaltenen historischen Wohnviertel Pekings, Hutongs genannt, sind eine Touristenattraktion. Ihnen versucht Zhang Ke mit architektonischen Interventionen neues Leben einzuhauchen.

Die wenigen noch erhaltenen historischen Wohnviertel Pekings, Hutongs genannt, sind eine Touristenattraktion. Ihnen versucht Zhang Ke mit architektonischen Interventionen neues Leben einzuhauchen.

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16. November 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Im Kielwasser der Mächte

Genauso geschmeidig wie zwischen den Politsystemen wechselte Cäsar Pinnau auch zwischen den Stilen. Mit seinem schillernden Werk bediente der Hamburger Architekt dabei stets die Nachfrage der Eliten.

Genauso geschmeidig wie zwischen den Politsystemen wechselte Cäsar Pinnau auch zwischen den Stilen. Mit seinem schillernden Werk bediente der Hamburger Architekt dabei stets die Nachfrage der Eliten.

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04. November 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wenn Architekten träumen

Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, gehört zu den Herausforderungen vieler Städte Europas. Auf einer Industriebrache in Berlin möchte der Deutsche Werkbund nun ein Stadtquartier verwirklichen.

Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, gehört zu den Herausforderungen vieler Städte Europas. Auf einer Industriebrache in Berlin möchte der Deutsche Werkbund nun ein Stadtquartier verwirklichen.

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29. Oktober 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Politisch bin ich sowieso

Volkwin Marg gehört zu den erfolgreichsten Architekten Deutschlands. Zu seinem achtzigsten Geburtstag feiert ihn eine Ausstellung in Berlin, die von mehreren Buchveröffentlichungen begleitet wird.

Volkwin Marg gehört zu den erfolgreichsten Architekten Deutschlands. Zu seinem achtzigsten Geburtstag feiert ihn eine Ausstellung in Berlin, die von mehreren Buchveröffentlichungen begleitet wird.

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29. September 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Dichte ohne Dogma

Städtische Verdichtung wird überall gefordert. Doch sie garantiert noch keine qualitätvolle Entwicklung. Gefragt sind ganzheitliche Konzepte, die neben guter Architektur auch schöne Freiräume bieten.

Städtische Verdichtung wird überall gefordert. Doch sie garantiert noch keine qualitätvolle Entwicklung. Gefragt sind ganzheitliche Konzepte, die neben guter Architektur auch schöne Freiräume bieten.

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23. September 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Orte kultureller Identität

Neben architektonischer Massenware gibt es in China bemerkenswerte Museumsbauten zu entdecken. Ihnen kommt eine wichtige Rolle bei der regionalen Selbstfindung und der Bewahrung des Kulturerbes zu.

Neben architektonischer Massenware gibt es in China bemerkenswerte Museumsbauten zu entdecken. Ihnen kommt eine wichtige Rolle bei der regionalen Selbstfindung und der Bewahrung des Kulturerbes zu.

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17. September 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Musik ohne Grenzen

Mit dem von Frank Gehry entworfenen Pierre-Boulez-Saal in der Barenboim-Said-Akademie erhält Berlin eine bemerkenswerte Salle modulable. Sie soll besonders der Kammermusik neue Möglichkeiten bieten.

Mit dem von Frank Gehry entworfenen Pierre-Boulez-Saal in der Barenboim-Said-Akademie erhält Berlin eine bemerkenswerte Salle modulable. Sie soll besonders der Kammermusik neue Möglichkeiten bieten.

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verknüpfte Bauwerke
Pierre Boulez Saal

16. Juli 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ornament ohne Verbrechen

In seinen Bauten will der seit 1990 in London tätige Ire Niall McLaughlin die Architektur des 19. Jahrhunderts mit der heutigen versöhnen. So entstehen formschöne Gebäude von eindrucksvoller Qualität.

In seinen Bauten will der seit 1990 in London tätige Ire Niall McLaughlin die Architektur des 19. Jahrhunderts mit der heutigen versöhnen. So entstehen formschöne Gebäude von eindrucksvoller Qualität.

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25. Juni 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wie Wiener wohnen

Seit den 1930er Jahren besitzt Wien eine ununterbrochene Tradition des sozialen Wohnungsbaus. Eine Ausstellung in der Galerie Aedes in Berlin stellt neue und künftige Wiener Wohnbauten vor.

Seit den 1930er Jahren besitzt Wien eine ununterbrochene Tradition des sozialen Wohnungsbaus. Eine Ausstellung in der Galerie Aedes in Berlin stellt neue und künftige Wiener Wohnbauten vor.

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verknüpfte Publikationen
Das Wiener Modell

08. Juni 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Europas Baukultur ist bedroht

2018 wird zum «Europäischen Jahr des kulturellen Erbes». Das zweite Mal nach 1975 rückt damit Europas Denkmalschutz in den Fokus. Doch wie stark konnte dieser seit 1975 seine Interessen durchsetzen?

2018 wird zum «Europäischen Jahr des kulturellen Erbes». Das zweite Mal nach 1975 rückt damit Europas Denkmalschutz in den Fokus. Doch wie stark konnte dieser seit 1975 seine Interessen durchsetzen?

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28. April 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Riss durch die Geschichte

Aufgrund massiver Schäden, die durch eine Grossüberbauung in unmittelbarer Nachbarschaft verursacht wurden, musste die Friedrichswerdersche Kirche 2012 schliessen. Nun droht ihr weiteres Ungemach.

Aufgrund massiver Schäden, die durch eine Grossüberbauung in unmittelbarer Nachbarschaft verursacht wurden, musste die Friedrichswerdersche Kirche 2012 schliessen. Nun droht ihr weiteres Ungemach.

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09. April 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

An der Schnittstelle

Mit innovativen Entwürfen beleben Frank Barkow und Regine Leibinger den deutsche Architekturdiskurs. Nun hat die Serpentine Gallery in London das Team mit dem Bau eines Sommerpavillons beauftragt.

Mit innovativen Entwürfen beleben Frank Barkow und Regine Leibinger den deutsche Architekturdiskurs. Nun hat die Serpentine Gallery in London das Team mit dem Bau eines Sommerpavillons beauftragt.

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31. März 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Gebaute Symbiose

Die Fotografin Erieta Attali interpretiert das in die Waldlandschaft eingebettete Glashaus des Japaners Kengo Kuma in New Canaan, Connecticut, als Symbiose von Architektur und Landschaft.

Die Fotografin Erieta Attali interpretiert das in die Waldlandschaft eingebettete Glashaus des Japaners Kengo Kuma in New Canaan, Connecticut, als Symbiose von Architektur und Landschaft.

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19. März 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Für eine Architektur der Mässigung

Der Hochschullehrer und Architekt Vittorio Magnago Lampugnani hat unter dem Titel «Radikal normal» eine Schriftensammlung vorgelegt. In ihr fordert er einen verantwortungsvollen Umgang mit der Stadt.

Der Hochschullehrer und Architekt Vittorio Magnago Lampugnani hat unter dem Titel «Radikal normal» eine Schriftensammlung vorgelegt. In ihr fordert er einen verantwortungsvollen Umgang mit der Stadt.

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03. März 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Australische Moderne

Von den Nazis aus Wien vertrieben, gelangte Harry Seidler über Kanada, die USA und Brasilien nach Sydney. Dort wurde er zu einem wichtigen Erneuerer der australischen Architektur.

Von den Nazis aus Wien vertrieben, gelangte Harry Seidler über Kanada, die USA und Brasilien nach Sydney. Dort wurde er zu einem wichtigen Erneuerer der australischen Architektur.

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03. März 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Verlust der Mitte

Mit ihrer Auswahl von 10 Preisträgern aus 463 Einreichungen beim Ideenwettbewerb für das Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum beweist die Jury Haltung. Dennoch bleiben Fragen offen.

Mit ihrer Auswahl von 10 Preisträgern aus 463 Einreichungen beim Ideenwettbewerb für das Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum beweist die Jury Haltung. Dennoch bleiben Fragen offen.

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01. März 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Phoenix ohne Asche

Am Standort eines ehemaligen Stahlwerks ist mit Phoenix-See in Dortmund an einem künstlichen See ein Stadtviertel entstanden, das sich baukünstlerischer und städtebaulicher Qualität verpflichtet hat.

Am Standort eines ehemaligen Stahlwerks ist mit Phoenix-See in Dortmund an einem künstlichen See ein Stadtviertel entstanden, das sich baukünstlerischer und städtebaulicher Qualität verpflichtet hat.

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29. Februar 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Mit Dogge und Demeter

Mit ihrer Kunstgewerbeproduktion und ihren Bauten gehörte die Frauensiedlung Loheland in den 1920er Jahren zu den Zentren der Reformbewegung in Deutschland. Heute harrt sie der Wiederentdeckung.

Mit ihrer Kunstgewerbeproduktion und ihren Bauten gehörte die Frauensiedlung Loheland in den 1920er Jahren zu den Zentren der Reformbewegung in Deutschland. Heute harrt sie der Wiederentdeckung.

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20. Februar 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Organische Impulse

Mit Chen Kuen Lee wird in Berlin ein kaum bekannter deutsch-chinesischer Architekt der Moderne gewürdigt. Die Schau lenkt zudem das Augenmerk auf das «organische Bauen» im Umfeld von Hans Scharoun.

Mit Chen Kuen Lee wird in Berlin ein kaum bekannter deutsch-chinesischer Architekt der Moderne gewürdigt. Die Schau lenkt zudem das Augenmerk auf das «organische Bauen» im Umfeld von Hans Scharoun.

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04. Februar 2016Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architekturlandschaften

In der Architektur Galerie Berlin präsentiert Norihiko Dan, der innerhalb der japanischen Gegenwartsarchitektur eine eigenständige Position vertritt, sein Schaffen als Teil einer Geländeinstallation.

In der Architektur Galerie Berlin präsentiert Norihiko Dan, der innerhalb der japanischen Gegenwartsarchitektur eine eigenständige Position vertritt, sein Schaffen als Teil einer Geländeinstallation.

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29. Oktober 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Verwandlungen am Pazifik

Die Lage am Pazifik und eine grossartige Umgebung tragen entscheidend zur Beliebtheit Vancouvers bei. Doch Neubauprojekte verändern die Skyline und den Charakter der kanadischen Stadt nachhaltig.

Die Lage am Pazifik und eine grossartige Umgebung tragen entscheidend zur Beliebtheit Vancouvers bei. Doch Neubauprojekte verändern die Skyline und den Charakter der kanadischen Stadt nachhaltig.

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20. Oktober 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ruinenbaumeister

Das Londoner Sir John Soane's Museum zeigt in Berlin klassizistische Architekturzeichnungen. In der Berlinischen Galerie ist «The Dialog City» zu sehen. Die Zusammenschau eröffnet unerwartete Bezüge.

Das Londoner Sir John Soane's Museum zeigt in Berlin klassizistische Architekturzeichnungen. In der Berlinischen Galerie ist «The Dialog City» zu sehen. Die Zusammenschau eröffnet unerwartete Bezüge.

Die britische Baukunst des Klassizismus und die Berliner Gegenwartsarchitektur könnten unterschiedlicher kaum sein. Zwischen ihnen liegen nicht nur gut 200 Jahre Baugeschichte, sondern auch architektonische Welten. Da ist es bemerkenswert, wenn zwei Ausstellungen in Berlin den Blick für Unterschiede und Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart schärfen. Daraus lässt sich einiges über das Architekturverständnis der jeweiligen Epochen lernen – und über die Grenzen der Vermittlung.

Wiederbelebte Antike

Die grandiose Ausstellung «Auf den Spuren der Antike: Meisterzeichnungen des britischen Neoklassizismus» im Museum für Architekturzeichnungen der Berliner Tchoban Foundation widmet sich Wegen und Sinn der Antikenaneignung. Statt durch die Lektüre dicker Folianten näherten sich John Soane (1753–1837) und seine Zeitgenossen den antiken Originalen auf Augenhöhe. Ein delikates Blatt Soanes zeigt, wie ein mit Gehrock und Zylinder bekleideter Student wagemutig eine Leiter erklimmt, um mit dem Zollstock das Kapitell des römischen Jupiter-Stator-Tempels zu vermessen, das Soane in einer rekonstruierten Idealansicht wiedergibt. Nach der grossen Piranesi-Schau zur Eröffnung des Tchoban-Museums für Architekturzeichnungen (NZZ 7. 6. 13) ist es bereits die zweite Ausstellung, die das neue Haus in Zusammenarbeit mit dem altehrwürdigen Londoner Sir John Soane's Museum präsentiert. Und sie zündet ein wahres Feuerwerk mit Arbeiten von John Soane, Robert Adam, George Dance d. J., William Chambers und James Wyatt. Nicht fehlen darf eine Reverenz an den Übervater der Architekturzeichnung, Giovanni Battista Piranesi, der mit einem grossartigen Capriccio vertreten ist.

Soane und seinen Zeitgenossen dienten ihre Zeichnungen nicht nur als Reiseerinnerungen. Sie waren zugleich Bauaufnahme, Vorlagen für eigene Bauten und nicht zuletzt Lehrstücke für die Ausbildung junger Architekten. Die Adaption der Antike fiel dadurch in eins mit dem Verstehen der historischen Gebäude und der bildlichen Vermittlung eigener Entwürfe an Bauherren, wie eine Reihe stimmungsvoller Ansichten von Tyringham Hall aus der Hand Soanes nahelegt. Nicht weniger eindrucksvoll ist Soanes Präsentationszeichnung von Pitzhanger Manor, in dem er selbst für einige Zeit lebte. Gerahmt von Staffagefiguren, zeigt das Blatt sein Wohnhaus, das Anleihen vom römischen Konstantinbogen aufgreift. Leicht verschattet steht dahinter der Altbau nach Entwurf von Georg Dance d. J., Soanes Lehrer. Die antiken Vorbilder dienten den britischen Klassizisten als formaler und intellektueller Steinbruch bis hin zu neu errichteten Ruinen, die sie in malerische Gartenlandschaften einbetteten. So entwarf Robert Adams ein aufwendiges römisches Fort für Brampton Bryan.

Ruine sucht Romantik

Nur vier Kilometer, aber inhaltlich gut 200 Jahre entfernt von den Darstellungen im Tchoban-Museum für Architekturzeichnungen zeigt die Berlinische Galerie derzeit die Ausstellung «The Dialog City: Berlin wird Berlin» im Rahmen der Artweek-Kooperation «Stadt/Bild» mehrerer Ausstellungshäuser. Die von Arno Brandlhuber, Florian Hertweck und Thomas Mayfried entwickelte Schau präsentiert einen völlig anderen Ansatz des Architekturdiskurses. In einer langen Reihe sind dort Aktenordner und Kartons in Regalen aufgestellt. Darin lagern die Modelle und Unterlagen von Wettbewerben aus der Berliner Nachwendezeit aus dem Bestand der Berlinischen Galerie, die erst im Rahmen dieser Ausstellungen vor Ort aufgearbeitet und archiviert werden können. Das ist eine hübsche Idee, denn in jedem Wettbewerb glimmt auf, welche alternativen Wege die Berliner Architektur hätte einschlagen können, quasi eine Stadt im Konjunktiv.

Doch die eigentliche Intervention findet an der Wand gegenüber statt: Dort sind Lesebücher mit auffällig silbernem Einband gestapelt, die die Ausstellungsbesucher kostenlos mitnehmen dürfen. Gegliedert in übergeordnete Abschnitte aus Gegensatzpaaren wie «Zentren und Mitte», «Fremdbild und Eigenlogik» oder «Boden und Eigentum», befassen sich auf mehr als 600 Seiten ganz unterschiedliche Autoren bald dialogisch, bald monologisch mit Berlin. Architektur wird hier nicht als schöne Kunst betrachtet, sondern vor allem als soziale Utopie verhandelt und zugleich in den aktuellen Themen des Stadtdiskurses verortet. Damit einher geht eine radikale Stadtkritik, die sich nicht an der «kritischen Rekonstruktion» der Nachwendezeit erschöpft, sondern gerade vor Eigentumsfrage und Bodenbesitz das Stadtverständnis in seinem Kern berührt. Doch trotz dem immer wieder in den Texten aufgegriffenen partizipativen Anspruch bleiben Ausstellungsinstallation und Lesebuch letztlich selbstreferenziell. Eine ganz andere Öffnung des Architekturdiskurses beschritt da John Soane 1824. Seine Präsentationszeichnung für Holy Trinity, Marylebone, zeigt den Betrachtern die Fassaden der Londoner Kirche und öffnet zugleich kunstvoll einen Einblick, so dass sie Teil an Idee und Raumwirkung des Entwurfes haben konnten.

Provokante «Antivilla»

Mit der «Antivilla» des Architekturbüros von Arno Brandlhuber, Markus Emde und Thomas Schneider am Krampnitzsee bei Potsdam gibt es sogar eine Schnittmenge zu den Themen der britischen Klassizisten. In Form einer Ruine präsentiert sich nämlich das einstige Stofflager des VEB Obertrikotagen «Ernst Lück» aus DDR-Zeiten. Im Innern entkernt und mit neuem Flachdach aus wasserundurchlässigem Beton samt expressivem Wasserspeier ausgestattet, dient es heute als Atelierhaus. Das ruinenartige Erscheinungsbild wirkt auf den ersten Blick provokant, ist ganz sicher unkonventionell und sorgt für erhebliches mediales Rauschen. Über den architektonischen Zukunftswert dieser Interventionen lässt sich jedoch trefflich streiten. Solchen Unwägbarkeiten sind John Soane und Robert Adam enthoben. Sie gelten nicht nur als Klassizisten, sondern sind längst selbst Klassiker der Architekturgeschichte.

Die Ausstellung «Auf den Spuren der Antike» im Tchoban-Museum für Architekturzeichnung dauert bis 14. Februar 2016. Kein Katalog. Die Ausstellung «The Dialog City: Berlin wird Berlin» in der Berlinischen Galerie ist bis zum 21. März 2016 zugänglich. Kostenloser Reader in der Ausstellung. Ausserdem: Stadt/Bild. Ein Lesebuch (dt./engl.). Verbrecher-Verlag, Berlin 2015. 400 S., € 16.–.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2015.10.20

14. Oktober 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Mut zur Mitte

Mit einem Ideenwettbewerb will man in Berlin herausfinden, wie sich das geplante Museum der Moderne zwischen Nationalgalerie und Philharmonie einpassen lässt. Dabei bleiben aber einige Fragen offen.

Mit einem Ideenwettbewerb will man in Berlin herausfinden, wie sich das geplante Museum der Moderne zwischen Nationalgalerie und Philharmonie einpassen lässt. Dabei bleiben aber einige Fragen offen.

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verknüpfte Bauwerke
Museum der Moderne Berlin - Wettbewerb

12. September 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Heimat Europa

Das Motto der Tage des europäischen Denkmals 2015 lautet «Austausch». Ein «Europäisches Jahr des kulturellen Erbes» könnte darüber hinaus zur Besinnung auf Europas kulturelle Wurzeln beitragen.

Das Motto der Tage des europäischen Denkmals 2015 lautet «Austausch». Ein «Europäisches Jahr des kulturellen Erbes» könnte darüber hinaus zur Besinnung auf Europas kulturelle Wurzeln beitragen.

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27. August 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Selbstbewusste Architektur

Die Leipziger Brüder Benedikt und Ansgar Schulz haben soeben in ihrer Heimatstadt eine katholische Kirche vollendet. Dank ihr zählen sie nun zu den interessantesten jüngeren Architekten Deutschlands.

Die Leipziger Brüder Benedikt und Ansgar Schulz haben soeben in ihrer Heimatstadt eine katholische Kirche vollendet. Dank ihr zählen sie nun zu den interessantesten jüngeren Architekten Deutschlands.

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verknüpfte Bauwerke
Katholische Propsteikirche St. Trinitatis

18. August 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Subventionierte Moderne

Die Ausstellung «Radikal Modern» in der Berlinischen Galerie widmet sich den in Ost- und Westberlin entstandenen Bauten der 1960er Jahre. Viele sind längst zerstört oder aber vom Abriss bedroht.

Die Ausstellung «Radikal Modern» in der Berlinischen Galerie widmet sich den in Ost- und Westberlin entstandenen Bauten der 1960er Jahre. Viele sind längst zerstört oder aber vom Abriss bedroht.

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21. Juli 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Mit dem Fahrstuhl in die Vergangenheit

In Lübeck hat der Hamburger Architekt Andreas Heller das Areal des Burgklosters restauriert und um den Neubau des Hansemuseums ergänzt. Der Komplex bildet ein wichtiges Stück Lübecker Stadtreparatur.

In Lübeck hat der Hamburger Architekt Andreas Heller das Areal des Burgklosters restauriert und um den Neubau des Hansemuseums ergänzt. Der Komplex bildet ein wichtiges Stück Lübecker Stadtreparatur.

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19. Juni 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Grüne Stadtpausen

Kleine und grosse Parks, die die Natur in die Städte holen, gibt es überall. Doch manche von ihnen erweisen sich als grüne Oasen mit dem Potenzial zum Sehnsuchtsort.

Kleine und grosse Parks, die die Natur in die Städte holen, gibt es überall. Doch manche von ihnen erweisen sich als grüne Oasen mit dem Potenzial zum Sehnsuchtsort.

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17. April 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Von der Präsenz der Moderne

In seinem Buch über Mies van der Rohe stellt Carsten Krohn dessen Bauten in der Wertung weitgehend gleichberechtigt vor. Damit erhalten auch eher wenig bekannte Bauten neue Aufmerksamkeit.

In seinem Buch über Mies van der Rohe stellt Carsten Krohn dessen Bauten in der Wertung weitgehend gleichberechtigt vor. Damit erhalten auch eher wenig bekannte Bauten neue Aufmerksamkeit.

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19. März 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Sinnlich sanfte Moderne

Statt sich auf strenge Kuben zu beschränken, setzen die Architekten vom Stuttgarter Büro Lederer, Ragnarsdóttir, Oei gerne auf bewegte Formen. Ihr Schaffen überzeugt ausserdem durch handwerkliche Präzision und einen sorgfältigen Umgang mit dem städtebaulichen Kontext.

Statt sich auf strenge Kuben zu beschränken, setzen die Architekten vom Stuttgarter Büro Lederer, Ragnarsdóttir, Oei gerne auf bewegte Formen. Ihr Schaffen überzeugt ausserdem durch handwerkliche Präzision und einen sorgfältigen Umgang mit dem städtebaulichen Kontext.

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12. März 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Chinesische Raumskulpturen

Eine Schau in der Berliner Architekturgalerie Aedes beleuchtet die baukünstlerische Entwicklung von Zhang Ke. Mit innovativen Ziegelbauten in Peking und Tibet sorgt er seit zehn Jahren für Aufsehen.

Eine Schau in der Berliner Architekturgalerie Aedes beleuchtet die baukünstlerische Entwicklung von Zhang Ke. Mit innovativen Ziegelbauten in Peking und Tibet sorgt er seit zehn Jahren für Aufsehen.

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24. Februar 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Eine Kathedrale des 21. Jahrhunderts

Fünfzig Jahre nach ihrem Wiederaufbau durch den Architekten Hans Schwippert muss die St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin Mitte dringend saniert werden. Doch die Denkmalpflege wendet sich gegen die Pläne der Architekten Sichau und Walter und des Künstlers Leo Zogmayer für eine Neufassung des Sakralraums.

Fünfzig Jahre nach ihrem Wiederaufbau durch den Architekten Hans Schwippert muss die St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin Mitte dringend saniert werden. Doch die Denkmalpflege wendet sich gegen die Pläne der Architekten Sichau und Walter und des Künstlers Leo Zogmayer für eine Neufassung des Sakralraums.

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29. Januar 2015Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Rucker-Co in Berlin

ie Stadtinterventionen von Haus-Rucker-Co bildeten die Wiener Antwort auf die spacig-legendären Visionen der britischen Architektengruppe Archigram.

ie Stadtinterventionen von Haus-Rucker-Co bildeten die Wiener Antwort auf die spacig-legendären Visionen der britischen Architektengruppe Archigram.

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08. November 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Berlins baukünstlerische Bilanz

Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 startete ein einzigartiges städtebauliches Abenteuer: Die beiden Stadthälften konnten nach 28 Jahren der Trennung wieder zusammenwachsen. Bis heute drehen sich die Baukräne, doch nur wenige Neubauten aus der Nachwendezeit haben auch eine überregionale Bedeutung entfaltet.

Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 startete ein einzigartiges städtebauliches Abenteuer: Die beiden Stadthälften konnten nach 28 Jahren der Trennung wieder zusammenwachsen. Bis heute drehen sich die Baukräne, doch nur wenige Neubauten aus der Nachwendezeit haben auch eine überregionale Bedeutung entfaltet.

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04. November 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Arenen für Zehntausende

Ob bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien oder bei der Leichtathletik-Europameisterschaft im Zürcher Letzigrund – das Sportjahr 2014 hat Millionen...

Ob bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien oder bei der Leichtathletik-Europameisterschaft im Zürcher Letzigrund – das Sportjahr 2014 hat Millionen...

Ob bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien oder bei der Leichtathletik-Europameisterschaft im Zürcher Letzigrund – das Sportjahr 2014 hat Millionen von Zuschauern in seinen Bann und in die Stadien gezogen. Sport weckt Begeisterung und ist längst viel mehr als die schönste Nebensache der Welt. Er ist ein Milliardengeschäft und der Bau neuer Arenen im Idealfall eine Bauaufgabe mit architektonischem und städtebaulichem Mehrwert. Vom Vogelnest des Basler Büros Herzog & de Meuron für die Olympischen Spiele in Peking bis zum Estádio do Maracanã in Rio de Janeiro – Stadien sind Marken, die das Image der Städte prägen. Es sind emotionale Orte des Jubels und des Leidens bei Sieg und Niederlage. Sie stiften Unverwechselbarkeit, müssen aber auch störungsfrei funktionieren.

Von Athen bis Tokio

Stadien sind die «Kathedralen der Freizeitgesellschaft», meint Volkwin Marg in seinem Vorwort zur reich bebilderten Monografie «Stadionbauten» von Martin Wimmer, das jüngst bei Dom Publishers in Berlin erschienen ist. Marg ist ein Kenner der Materie. Denn er hat als Mitbegründer des Hamburger Architekturbüros von Gerkan Marg & Partner (GMP) unter anderem für die Fussball-Weltmeisterschaften mehrere Stadien in Südafrika und in Brasilien verwirklicht. Derzeit plant Volkwin Marg den Umbau des legendären Bernabeu-Stadions von Real Madrid.

In seiner Einführung macht Martin Wimmer die Leser mit der Entwicklung der Bauaufgabe Stadion seit der griechischen und römischen Antike vertraut, stellt auch frühe Beispiele aus Mittelamerika vor und schreitet fort bis zur Wiederbelebung der Olympischen Idee im späten 19. Jahrhundert. Präsentiert werden Meilensteine der olympischen Architektur, darunter die Stadien in Athen, Stockholm, Berlin, Helsinki oder München, aber auch der futuristische Entwurf von Zaha Hadid für die Olympischen Spiele von 2020 in Tokio. Hingegen werden Luigi Nervis epochale Konstruktionen für die Spiele in Rom 1960 nur am Rande erwähnt; und die Stadien, die Kenzo Tange für die Wettkämpfe von 1964 in Tokio realisierte, fehlen ganz.

Den Multifunktionsarenen folgen im Buch die monothematischen Fussballstadien, allen voran die Spielstätten der Europameisterschaften in der Schweiz und Österreich sowie in Polen und der Ukraine und der Fussball-Weltmeisterschaften in Deutschland, Südafrika und Brasilien. «Kleinere» Stadien- und Sportbauten, wie das formvollendete, von Bétrix & Consolascio zusammen mit Eric Maier und Frei & Ehrensperger ursprünglich als Leichtathletikstadion gebaute Letzigrund in Zürich oder das charmante «Bao An»-Stadion von GMP in Shenzhen, finden in dieser Stadion-Schau erstaunlicherweise nur am Rande oder keine Berücksichtigung. Doch wären nicht gerade diese Stadionformate besonders hilfreich für Architekten, die nach Vorbildern suchen? Zumal der Band aus der Reihe «Handbuch und Planungshilfe» ja einen expliziten Vorlagencharakter beansprucht. Stattdessen bietet der Autor seinen Lesern am Schluss noch etwas exotischen Kitzel und lässt sie unter dem Titel «Staatspropaganda im Stadion» einen Blick auf das Stadion von Pjongjang werfen.

Augenfutter

Wie im Fernsehen, wo die Fussballübertragungen längst andere sportliche Wettkämpfe an den Rand gedrängt haben, werden auch in Wimmers Buch Velodrome, Skisprungschanzen oder Schwimmstadien nur ganz am Rande abgehandelt, während Arenen für vermeintliche Randsportarten wie Pferderennen oder Tennis ganz fehlen. So erweist sich das Buch mit seinen vielen bunten Bildern und den ausgewählten Grundrissen, Schnitten und Ansichten vor allem als Augenfutter für all jene, die sich in erster Linie für Olympiastadien und Fussballarenen interessieren.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2014.11.04

03. November 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Zurück zum Anfang

Lübeck ist berühmt für seine geschlossene mittelalterliche Stadtgestalt. Einzig das ehemalige Gründungsviertel wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Zunächst im Duktus der Nachkriegsmoderne wiederaufgebaut, soll es nun nach umfangreicher archäologischer Untersuchung die historische Parzellenstruktur zurückerhalten.

Lübeck ist berühmt für seine geschlossene mittelalterliche Stadtgestalt. Einzig das ehemalige Gründungsviertel wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Zunächst im Duktus der Nachkriegsmoderne wiederaufgebaut, soll es nun nach umfangreicher archäologischer Untersuchung die historische Parzellenstruktur zurückerhalten.

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25. September 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ethos und Ästhetik

Seoul setzt auf einen Wechsel in der Stadtplanung. Nachdem Verdichtung und Abrisswut Seouls Identität stark beeinträchtigt haben, sollen nun Geschichte und Natur in der Stadt wieder erlebbar werden.

Seoul setzt auf einen Wechsel in der Stadtplanung. Nachdem Verdichtung und Abrisswut Seouls Identität stark beeinträchtigt haben, sollen nun Geschichte und Natur in der Stadt wieder erlebbar werden.

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17. September 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Verdichtet und verloren

Zahlreiche Baudenkmale der Nachkriegsmoderne sind in Hamburg durch die bauliche Verdichtung bedroht. Ein Ausweg aus dem Teufelskreis von Verdichtung und Zerstörung des Bauerbes ist nicht in Sicht.

Zahlreiche Baudenkmale der Nachkriegsmoderne sind in Hamburg durch die bauliche Verdichtung bedroht. Ein Ausweg aus dem Teufelskreis von Verdichtung und Zerstörung des Bauerbes ist nicht in Sicht.

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01. September 2014Jürgen Tietz
db

Mit Bedacht angepasst

Längst gehört die Umnutzung gründerzeitlicher Denkmale zum architektonischen Alltag. Für das »Kaiserliche Arbeitshaus« in Berlin-Rummelsburg haben AFF architekten jedoch eine gleichermaßen individuelle wie gestalterisch und funktional hochwertige Lösung gefunden, die sich deutlich vom Standard abhebt.

Längst gehört die Umnutzung gründerzeitlicher Denkmale zum architektonischen Alltag. Für das »Kaiserliche Arbeitshaus« in Berlin-Rummelsburg haben AFF architekten jedoch eine gleichermaßen individuelle wie gestalterisch und funktional hochwertige Lösung gefunden, die sich deutlich vom Standard abhebt.

Malerisch war die Lage des Kaiserlichen Arbeitshauses Rummelsburg schon zu seiner Bauzeit im 19. Jahrhundert. Galt der nahe gelegene Rummelsburger See, zu dem sich die Spree hinter der Halbinsel Stralau auswächst, doch schon bei Theodor Fontane als ein gern besuchtes, weil innenstadtnahes Ausflugsziel. Doch trotz dieser bevorzugten Lage versprach das Arbeitshaus keineswegs einen romantischen Aufenthalt. Berlins emsiger Stadtbaumeister Hermann Blankenstein, dem die Stadt eine Vielzahl von Schulen, Markthallen und anderen öffentlichen Gebäuden verdankt, errichtete es 1877-79 als Verwaltungsgebäude der »Straf- und Arrestanstalt für männliche Corriganden«. In der Folge diente die streng geometrisch gegliederte Anlage über 100 Jahre als Gefängnis. Zu ihren letzten Häftlingen gehörte Erich Honecker, ehe sie1990 endgültig geschlossen wurde.

Zweites Leben

Nach 1990 hat sich die Rummelsburger Bucht zu einem beliebten Wohngebiet gewandelt; entsprechend umgenutzt sind inzwischen auch die einstigen Zellenzeilen der ehemaligen Arrestanstalt. Jetzt haben die AFF architekten aus Berlin in das dreigeschossige Verwaltungsgebäude sieben Wohnungen eingefügt. Dem Charme des Quartiers waren Martin und Sven Fröhlich von AFF freilich schon zuvor erlegen: nur fünf Gehminuten entfernt steht ihre 2011 fertiggestellte Reihenhaussiedlung »Elf Freunde«.

Eine ganz andere Herausforderung an die Architekten stellte die Umnutzung des repräsentativen Ziegelbaus des Kaiserlichen Arbeitshauses im Duktus der (ganz) späten Schinkelschule mit seinem aufwendigen Dekor. So war die Rückseite des lange leer stehenden Baudenkmals durch eine Turnhalle aus DDR-Zeiten gestört. Nach deren Abriss kam unter dem Zementputz die zart-schöne Ziegelfassade wieder zum Vorschein, die anschließend aufwendig instandgesetzt und ausgebessert wurde.

Doch um attraktiven Lebensraum zu schaffen, der derzeitigen Ansprüchen gerecht wird, galt es zudem, die neuen Wohnungen jeweils mit Balkonen oder Terrassen auszustatten. Der einzige historische Balkon befand sich an der Schauseite des Verwaltungsgebäudes im 1. OG. Allerdings war er ursprünglich nur als architektonisches Gliederungselement gedacht, ohne Zugang. Um ihn nutzbar zu machen, senkten AFF die Brüstungshöhe ab und verwandelten das Fenster in eine Tür. Die größten Veränderungen erfuhr der Baukörper jedoch an seiner nach Süd-Westen orientierten Rückseite, hinter der sich die ehemaligen Zellenzeilen anschließen: Mithilfe mehrerer Eingriffe gelang es den Architekten, sehr gut nutzbare und gestalterisch hochwertige Außenräume für die Bewohner zu schaffen.

Den beiden Einheiten im Hochparterre lagerten sie eine treppenartige Stahlkonstruktion vor. Sie dient als Terrasse und verbindet zugleich die höher gelegene Wohnebene mit dem anschließenden Gartenraum. Seitlich jeweils von Hecken eingefasst, werden die beiden Gärten zur Karl-Wilker-Straße hin schließlich durch zwei neue, langgestreckte Gartenhäuser abgeschlossen. Mit ihrem terrakottarot durchgefärbten Beton, der durch schmale Stege in der Schalung ein reizvolles Relief erhielt, und den großen Glasflächen zur Haus- und Straßenseite, erweisen sie sich als charakteristisch für die Arbeit von AFF. Eine verwandte Haltung zeigte schon ihre Beton-Schutzhütte am Fichtelberg (2010).

Die Rummelsburger Gartenhausriegel schaffen einerseits eine gewisse Privatheit des Gartens und bieten anderseits eine räumliche Fassung des Grundstücks zur Straße. Zur konventionellen Gartenmauer stellen sie eine kluge Alternative dar, die für die Bewohner zudem einen attraktiven Nutzraum als Mehrwert bietet.

Im 1. OG hängten die Architekten dem historischen Gebäude auf beiden Seiten des Treppenhausrisalits jeweils in der Mittelachse einen Balkon aus Stahl vor, der konstruktiv mit der Holzbalkendecke verbunden ist und mit seinem dunklen Braunton die farbliche Anbindung an den Backstein findet. Diese Balkone liegen vor vier Fensterachsen der Wohnungen und bieten mit rund 20 m² eine beinahe luxuriöse Größe. Für optimale Zugänglichkeit wurden die alten Fensteröffnungen zu -türen vergrößert. Neben der Erschließung des Balkons wird auf diese Weise außerdem die Belichtung der Wohnungen deutlich verbessert. Vom historischen Fensterbestand des Hauses konnten ohnehin lediglich zwei Kastenfenster als Belege erhalten werden, energetisch optimiert durch Isolierverglasungen.

Im 2. OG verbot es sich, die gleiche Lösung wie in der darunterliegenden Etage zu wählen. Zum einen wäre dadurch der umlaufende und historisch wertvolle Zierfries gestört worden, zum anderen wären die Proportionen des Hauses ins Ungleichgewicht geraten. Stattdessen fiel die unkonventionelle Entscheidung, die beiden Wohnungen als Maisonette bis ins DG weiterzuführen. Dadurch entstanden im komplett erneuerten Dachraum an der sonnigen Gebäuderückseite großzügige Terrassen, die über einen »Atelierraum« an die Wohnungen angebunden sind. Mit ihrem Holzbodenbelag und den grau gefassten Wänden bilden sie einen großzügigen Außenraum mit Blick über das Gelände der ehemaligen Arrestanstalt bis zum Rummelsburger See.

Einen beachtenswerten Ansatz hält schließlich die einzige reine Dachgeschosswohnung bereit: Sie ist um einen L- förmigen, nahezu komplett introvertierten, Außenraum organisiert. Lediglich ein schmaler Terrassenstreifen führt bis an die Dachkante heran, der in einer Achse mit dem historischen Wachturm liegt. Nur vom »Himmel über Berlin« aus einsehbar, ist eine noch privatere Dachterrasse kaum vorstellbar. Großzügige Glasflächen, grau verputzte Wände und der Holzboden vervollständigen den besonderen Charakter dieses patioartigen Außenraums.

Geschichtsfragmente

Nicht zuletzt aufgrund des langen Leerstands ist im Innern des Kaiserlichen Arbeitshauses heute nur noch wenig ursprüngliche Bausubstanz vorhanden. Am dauerhaftesten erwiesen sich die Granitstufen und Solnhofener Platten im Treppenhaus, die als Nutzungs- und Zeitzeugen mit ihren Gebrauchsspuren und Beschädigungen erhalten blieben. Original ist auch das Treppengeländer, zwischen dessen hölzerne Baluster allerdings – aufgrund allmählich ins Unsinnige ausufernder deutscher Sicherheitsvorschriften – zusätzliche Stäbe eingefügt werden mussten. Im EG ist es den Architekten gelungen, den bauzeitlichen Dielenboden zu bewahren und aufzuarbeiten.

Die Wohnungsgrundrisse des einstigen Verwaltungsgebäudes wurden in enger Abstimmung mit den Eigentümern ausgeführt. Wenn möglich, hinterließen die Architekten aber auch dort ihre Gestaltungspuren, etwa durch die Zweitverwendung alter Zimmertüren aus anderen Gebäuden.

Mit der Umnutzung des Kaiserlichen Arbeitshauses haben AFF ein denkmalgerechtes Konzept verwirklicht, das die sieben neuen Wohnungen um qualitätvolle und bemerkenswert differenziert gestaltete Außenräume ergänzt – deutlich jenseits der üblicherweise lieblos »vorgeknallten« Balkonkonstruktionen aus Stahl. Die sich besonders aus der Fernsicht abzeichnende Dachskulptur mit den beiden negativen Ecken und dem mittigen Einschnitt ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Und auch wenn man sich vielleicht wünschen würde, das Dach hinterließe einen einheitlicheren – monolithischeren – optischen Gesamteindruck, so überzeugt die gefundene Lösung sowohl in ihrer Nutzung als auch in der zugrunde liegenden Idee. Den »AFF-Clou« aber liefern die beiden neu eingefügten Gartenhausriegel, die einen reizvollen Kontrapart zum Altbau bilden und sich als ästhetischer und räumlicher Gewinn für das Kaiserliche Arbeitshaus erweisen.

db, Mo., 2014.09.01



verknüpfte Zeitschriften
db 2014|09 Balkone und Loggien

30. Juli 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vom Klang der Alhambra

Der portugiesische Architekt Alvaro Siza setzt sich immer wieder mit dem gebauten Bestand auseinander. Davon zeugt auch sein Entwurf für die Alhambra in Granada, der anlässlich der Eröffnung der Siza-Promenade in Weil am Rhein in der Vitra Design Gallery vorgestellt wird.

Der portugiesische Architekt Alvaro Siza setzt sich immer wieder mit dem gebauten Bestand auseinander. Davon zeugt auch sein Entwurf für die Alhambra in Granada, der anlässlich der Eröffnung der Siza-Promenade in Weil am Rhein in der Vitra Design Gallery vorgestellt wird.

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30. Juli 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Reiche Kargheit

International bekannt wurden die Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur durch das vor einem Jahr eröffnete Vorarlbergmuseum in Bregenz. Nun präsentiert die Architektur Galerie Berlin ihr Werk.

International bekannt wurden die Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur durch das vor einem Jahr eröffnete Vorarlbergmuseum in Bregenz. Nun präsentiert die Architektur Galerie Berlin ihr Werk.

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verknüpfte Akteure
Cukrowicz Nachbaur Architekten

18. Juli 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Archäologie im Warenhaus

Mit dem dynamisch geformten Kaufhaus Schocken brachte Erich Mendelsohn 1930 einen Hauch von Weltstadt nach Chemnitz. Nun wurde diese Ikone der Moderne zum Staatlichen Museum für Archäologie umgebaut.

Mit dem dynamisch geformten Kaufhaus Schocken brachte Erich Mendelsohn 1930 einen Hauch von Weltstadt nach Chemnitz. Nun wurde diese Ikone der Moderne zum Staatlichen Museum für Archäologie umgebaut.

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08. Juli 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Stadtlektüren

Seit über drei Jahrzehnten befasst sich der ETH-Professor Vittorio Magnago Lampugnani mit dem Städtebau. Nun ist der letzte Band seiner grossartigen «Anthologie zum Städtebau» erschienen.

Seit über drei Jahrzehnten befasst sich der ETH-Professor Vittorio Magnago Lampugnani mit dem Städtebau. Nun ist der letzte Band seiner grossartigen «Anthologie zum Städtebau» erschienen.

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26. Juni 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Eine Schweizer Architekturzeitschrift jubiliert

Vor 100 Jahren wurde die Architekturzeitschrift «Werk» gegründet. Seither bestimmt sie den schweizerischen Architekturdiskurs. Grund genug, in der Jubiläumsausgabe zurück und nach vorn zu blicken.

Vor 100 Jahren wurde die Architekturzeitschrift «Werk» gegründet. Seither bestimmt sie den schweizerischen Architekturdiskurs. Grund genug, in der Jubiläumsausgabe zurück und nach vorn zu blicken.

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15. Juni 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Barocke Prachtentfaltung

Mit seinem Entwurf für das Berliner Schloss hat Andreas Schlüter Preussen einen Platz auf der Landkarte des Barocks gesichert. Eine nicht in allen Belangen überzeugende Ausstellung im Bode-Museum widmet sich nun seinem Werk.

Mit seinem Entwurf für das Berliner Schloss hat Andreas Schlüter Preussen einen Platz auf der Landkarte des Barocks gesichert. Eine nicht in allen Belangen überzeugende Ausstellung im Bode-Museum widmet sich nun seinem Werk.

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05. Juni 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Raumerfahrungen

Der Titel ist Programm. Mit der Überschrift «Sinnliche Dichte» beschreiben Marianne Burkhalter und Christian Sumi nicht nur die Gestaltung ihrer Ausstellung...

Der Titel ist Programm. Mit der Überschrift «Sinnliche Dichte» beschreiben Marianne Burkhalter und Christian Sumi nicht nur die Gestaltung ihrer Ausstellung...

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14. Mai 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Neue Zeitschicht

Lange wurde um die Wiederherstellung der fragmentierten Meisterhäuser des Bauhauses in Dessau gestritten. Nun konnten die fehlenden Kubaturen durch eine skulpturale Architektur ergänzt werden.

Lange wurde um die Wiederherstellung der fragmentierten Meisterhäuser des Bauhauses in Dessau gestritten. Nun konnten die fehlenden Kubaturen durch eine skulpturale Architektur ergänzt werden.

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verknüpfte Bauwerke
Meisterhäuser Bauhaus Dessau

25. April 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Kompromisslos im Kontext

Bekannt wurde der 1957 in Heidelberg geborene Volker Staab, einer der wichtigsten deutschen Architekten, vor allem durch Museumsbauten. Jürgen Tietz sprach mit ihm in seinem Berliner Büro.

Bekannt wurde der 1957 in Heidelberg geborene Volker Staab, einer der wichtigsten deutschen Architekten, vor allem durch Museumsbauten. Jürgen Tietz sprach mit ihm in seinem Berliner Büro.

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verknüpfte Akteure
Staab Volker

11. April 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vergessene Moderne

Die klassisch moderne Architektur in Deutschland umfasste mehr als nur das Bauhaus. Den vielfältigen Strömungen der Zeit widmet sich eine Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv.

Die klassisch moderne Architektur in Deutschland umfasste mehr als nur das Bauhaus. Den vielfältigen Strömungen der Zeit widmet sich eine Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv.

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11. März 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schwelgen in Raum und Illusion

Vor 500 Jahren starb der grosse Renaissancearchitekt Donato Bramante. Sein Tempietto in Rom gilt als ein absolutes Meisterwerk der Renaissance. Er war aber auch der erste Architekt des neuen Petersdoms.

Vor 500 Jahren starb der grosse Renaissancearchitekt Donato Bramante. Sein Tempietto in Rom gilt als ein absolutes Meisterwerk der Renaissance. Er war aber auch der erste Architekt des neuen Petersdoms.

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05. Februar 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Neue Höhendominante

Ein 150 Meter hoher Wohnturm am Alexanderplatz soll zum neuen Wahrzeichen von Berlin werden. Das nicht unumstrittene Projekt stammt von Frank O. Gehry, der in der deutschen Hauptstadt bereits mit der DZ-Bank am Pariser Platz ein Zeichen gesetzt hat.

Ein 150 Meter hoher Wohnturm am Alexanderplatz soll zum neuen Wahrzeichen von Berlin werden. Das nicht unumstrittene Projekt stammt von Frank O. Gehry, der in der deutschen Hauptstadt bereits mit der DZ-Bank am Pariser Platz ein Zeichen gesetzt hat.

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06. Januar 2014Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Elegant in die Lücke eingepasst

Der Brite David Chipperfield gehört mit seinen Museumsbauten zu den international umworbenen Architekten. Immer wieder setzt er sich dabei auch mit dem gebauten Bestand auseinander. Jetzt hat er den Altbau seines Berliner Architekturbüros ergänzt und dabei ein eindrucksvolles Statement in Sichtbeton formuliert.

Der Brite David Chipperfield gehört mit seinen Museumsbauten zu den international umworbenen Architekten. Immer wieder setzt er sich dabei auch mit dem gebauten Bestand auseinander. Jetzt hat er den Altbau seines Berliner Architekturbüros ergänzt und dabei ein eindrucksvolles Statement in Sichtbeton formuliert.

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12. Dezember 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Bauarchäologie

Der Berlin-Architekturführer des Reimer-Verlags ist ein Dauerbrenner. In der siebten überarbeiteten und erweiterten Auflage fehlen wichtige Bauten der Nachkriegszeit, weil sie inzwischen abgerissen wurden. Nun widmet sich eine weitere Publikation aus demselben Verlag ausschliesslich der Berliner Nachkriegsarchitektur.

Der Berlin-Architekturführer des Reimer-Verlags ist ein Dauerbrenner. In der siebten überarbeiteten und erweiterten Auflage fehlen wichtige Bauten der Nachkriegszeit, weil sie inzwischen abgerissen wurden. Nun widmet sich eine weitere Publikation aus demselben Verlag ausschliesslich der Berliner Nachkriegsarchitektur.

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verknüpfte Publikationen
Architekturführer Berlin

15. Oktober 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Magischer Raum

Die Philharmonie in Berlin ist nicht nur ein herausragender Konzertsaal, sondern auch ein bedeutendes Baudenkmal des 20. Jahrhunderts. Der heute vor 50 Jahren eröffnete Bau gilt als Hauptwerk von Hans Scharoun. Mit seiner neuartigen Saalgestaltung setzt er bis heute Massstäbe für Konzerthäuser in aller Welt.

Die Philharmonie in Berlin ist nicht nur ein herausragender Konzertsaal, sondern auch ein bedeutendes Baudenkmal des 20. Jahrhunderts. Der heute vor 50 Jahren eröffnete Bau gilt als Hauptwerk von Hans Scharoun. Mit seiner neuartigen Saalgestaltung setzt er bis heute Massstäbe für Konzerthäuser in aller Welt.

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verknüpfte Bauwerke
Philharmonie

25. September 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ikone aus Haut und Knochen

Das Seagram Building in New York gilt als gebauter Mythos, als Architekturikone und als Gesamtkunstwerk. In einem neuen Buch schildert Phyllis Lambert, wie die Welt nicht zuletzt dank ihrem Einsatz zu einem ihrer schönsten Hochhäuser kam.

Das Seagram Building in New York gilt als gebauter Mythos, als Architekturikone und als Gesamtkunstwerk. In einem neuen Buch schildert Phyllis Lambert, wie die Welt nicht zuletzt dank ihrem Einsatz zu einem ihrer schönsten Hochhäuser kam.

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30. August 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Eine Hamburger Ausstellung über Zerstörung und Aufbruch

Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs gingen zahlreiche Städte Europas unter. Eine Hamburger Ausstellung zeigt auf, wie sich diese «erwartete Katastrophe» mit der Stadtkritik der Moderne verknüpfte und von den Planern als eine Chance für die grundlegende Neugestaltung der Städte betrachtet wurde.

Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs gingen zahlreiche Städte Europas unter. Eine Hamburger Ausstellung zeigt auf, wie sich diese «erwartete Katastrophe» mit der Stadtkritik der Moderne verknüpfte und von den Planern als eine Chance für die grundlegende Neugestaltung der Städte betrachtet wurde.

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07. Juni 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Tanzende Betonkuben

Mit einer Ausstellung von Giovanni Battista Piranesis Zeichnungen der Tempel in Paestum wurde vor wenigen Tagen in Berlin das neue Museum für Architekturzeichnung eröffnet. Spektakulär ist nicht nur die Museumsgründung, sehenswert ist auch der skulpturale Neubau.

Mit einer Ausstellung von Giovanni Battista Piranesis Zeichnungen der Tempel in Paestum wurde vor wenigen Tagen in Berlin das neue Museum für Architekturzeichnung eröffnet. Spektakulär ist nicht nur die Museumsgründung, sehenswert ist auch der skulpturale Neubau.

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verknüpfte Bauwerke
Tchoban Foundation

05. Juni 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die Megacity zwischen Auf- und Abbruch

Die Hochhäuser von Pudong verwandelten Schanghai in eine Zukunftsstadt. Neben den vielen Wolkenkratzern machen die städtebaulichen Kontraste zwischen Alt und Neu das besondere Flair der Megacity am Huangpu aus, die lange Zeit auch durch westliche Einflüsse geprägt wurde.

Die Hochhäuser von Pudong verwandelten Schanghai in eine Zukunftsstadt. Neben den vielen Wolkenkratzern machen die städtebaulichen Kontraste zwischen Alt und Neu das besondere Flair der Megacity am Huangpu aus, die lange Zeit auch durch westliche Einflüsse geprägt wurde.

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11. Mai 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Bilbao für alle

Die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung ist Thema einer sehenswerten Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Sie beschränkt sich nicht nur auf Architekturikonen, sondern präsentiert auch Eingriffe an älteren Kulturbauten.

Die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung ist Thema einer sehenswerten Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Sie beschränkt sich nicht nur auf Architekturikonen, sondern präsentiert auch Eingriffe an älteren Kulturbauten.

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10. April 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

So viele Werte

Nicht erst seit der Schuldenkrise hat die Wertedebatte Europa fest im Griff. Doch egal, ob es um Wirtschaft, Kirche oder Politik geht — die Forderung,...

Nicht erst seit der Schuldenkrise hat die Wertedebatte Europa fest im Griff. Doch egal, ob es um Wirtschaft, Kirche oder Politik geht — die Forderung,...

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30. März 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Stahlschwarzer Übergang

Nach einem 7,6 Millionen Euro teuren zweijährigen Umbau mit Erweiterung ist das Museum Berggruen in Berlin jetzt wieder geöffnet. Die Ausstellungsfläche konnte auf 1250 Quadratmeter vergrössert werden. Doch die Erweiterung von Kühn Malvezzi vermag nicht zu überzeugen.

Nach einem 7,6 Millionen Euro teuren zweijährigen Umbau mit Erweiterung ist das Museum Berggruen in Berlin jetzt wieder geöffnet. Die Ausstellungsfläche konnte auf 1250 Quadratmeter vergrössert werden. Doch die Erweiterung von Kühn Malvezzi vermag nicht zu überzeugen.

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08. März 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die selbstgemachte Stadt

Ähnlich wie in der Schweiz sind auch in Deutschland zahlreiche Städte durch rasant steigende Immobilienpreise und Mieten einem massiven Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Sozial und ökologisch engagierte Akteure versuchen, die Stadtentwicklung positiv zu beeinflussen. Dazu bedarf es umfassender Strategien.

Ähnlich wie in der Schweiz sind auch in Deutschland zahlreiche Städte durch rasant steigende Immobilienpreise und Mieten einem massiven Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Sozial und ökologisch engagierte Akteure versuchen, die Stadtentwicklung positiv zu beeinflussen. Dazu bedarf es umfassender Strategien.

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21. Februar 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Babel Berlin

Mehrere architektonische Grossprojekte in Deutschland sind von Kostenexplosion und Bauverzögerung betroffen. Ihre Komplexität scheint die Kompetenz der öffentlichen Bauherren zu übersteigen, die allzu oft nicht aus fachlichen, sondern aus wahltaktischen Überlegungen entscheiden.

Mehrere architektonische Grossprojekte in Deutschland sind von Kostenexplosion und Bauverzögerung betroffen. Ihre Komplexität scheint die Kompetenz der öffentlichen Bauherren zu übersteigen, die allzu oft nicht aus fachlichen, sondern aus wahltaktischen Überlegungen entscheiden.

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24. Januar 2013Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schlösserdämmerung

Mit hohem finanziellem Aufwand wird derzeit in Potsdam das verlorene Stadtschloss neu gebaut. Gleichzeitig dämmern in den Gärten von Sanssouci authentische Bauten der preussischen Könige vor sich hin, weil die Mittel für ihre Sanierung trotz Sondermitteln nicht ausreichen.

Mit hohem finanziellem Aufwand wird derzeit in Potsdam das verlorene Stadtschloss neu gebaut. Gleichzeitig dämmern in den Gärten von Sanssouci authentische Bauten der preussischen Könige vor sich hin, weil die Mittel für ihre Sanierung trotz Sondermitteln nicht ausreichen.

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04. Dezember 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schick mit Knick – die «Tour Total» von Barkow Leibinger

Zwar sind in den letzten Jahren am Potsdamer Platz und am Kurfürstendamm Hochhäuser entstanden. Gleichwohl sind sie in Berlin noch immer selten.Deshalb wird über jeden neuen Turm heftig diskutiert. Zurzeit sorgt die «Tour Total» von Barkow Leibinger für Aufmerksamkeit.

Zwar sind in den letzten Jahren am Potsdamer Platz und am Kurfürstendamm Hochhäuser entstanden. Gleichwohl sind sie in Berlin noch immer selten.Deshalb wird über jeden neuen Turm heftig diskutiert. Zurzeit sorgt die «Tour Total» von Barkow Leibinger für Aufmerksamkeit.

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07. November 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ornament als Botschaft

Als eine gebaute Synthese aus traditionellen und modernen Elementen präsentiert sich die jüngst vom türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan...

Als eine gebaute Synthese aus traditionellen und modernen Elementen präsentiert sich die jüngst vom türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan...

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09. Oktober 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Berliner Riesen

In den sechziger und siebziger Jahren entstanden in Westberlin ambitionierte Grossbauten, die den Überlebenswillen der geteilten Stadt architektonisch zum Ausdruck brachten. Heute tut sich Berlin schwer mit Erhaltung und Sanierung dieses in die Jahre gekommenen Erbes.

In den sechziger und siebziger Jahren entstanden in Westberlin ambitionierte Grossbauten, die den Überlebenswillen der geteilten Stadt architektonisch zum Ausdruck brachten. Heute tut sich Berlin schwer mit Erhaltung und Sanierung dieses in die Jahre gekommenen Erbes.

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21. August 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Sanierung deutscher Hochschulbauten

Viele Hochschulbauten, die nach 1945 in Deutschland entstanden sind, müssen saniert werden. Dabei gilt es, die denkmalgerechte Erhaltung mit den Bedürfnissen des modernen Hochschulbetriebs zu verbinden.

Viele Hochschulbauten, die nach 1945 in Deutschland entstanden sind, müssen saniert werden. Dabei gilt es, die denkmalgerechte Erhaltung mit den Bedürfnissen des modernen Hochschulbetriebs zu verbinden.

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28. Juli 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerische Maquetten

Als Arbeitswerkzeuge, Forschungsgegenstände und Repräsentationsobjekte sind Maquetten seit langem unentbehrlich. Nun widmet das Deutsche Architekturmuseum dem Architekturmodell der letzten hundert Jahre eine ebenso umfangreiche wie attraktive Schau.

Als Arbeitswerkzeuge, Forschungsgegenstände und Repräsentationsobjekte sind Maquetten seit langem unentbehrlich. Nun widmet das Deutsche Architekturmuseum dem Architekturmodell der letzten hundert Jahre eine ebenso umfangreiche wie attraktive Schau.

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21. Mai 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Party in der Kirche

«Common Ground» lautet der Titel der von David Chipperfield kuratierten 13. Architekturbiennale Venedig, die Ende August eröffnet wird. Auch mehrere Schweizer Architekten hat der Brite eingeladen. Jürgen Tietz sprach mit David Chipperfield über die Biennale und die Bedeutung des architektonischen Dialogs.

«Common Ground» lautet der Titel der von David Chipperfield kuratierten 13. Architekturbiennale Venedig, die Ende August eröffnet wird. Auch mehrere Schweizer Architekten hat der Brite eingeladen. Jürgen Tietz sprach mit David Chipperfield über die Biennale und die Bedeutung des architektonischen Dialogs.

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Chipperfield David



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Architektur-Biennale Venedig

20. Januar 2012Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Mehr als Barock

Am Neumarkt in Dresden streiten sich Befürworter moderner Architektur und Traditionalisten. Dabei bedrohen die Neubauten im historischen Gewand zunehmend die historischen Zeugnisse der Nachkriegsmoderne. Gleichzeitig liegen weite Bereiche rund um die Dresdner Innenstadt seit Jahren brach.

Am Neumarkt in Dresden streiten sich Befürworter moderner Architektur und Traditionalisten. Dabei bedrohen die Neubauten im historischen Gewand zunehmend die historischen Zeugnisse der Nachkriegsmoderne. Gleichzeitig liegen weite Bereiche rund um die Dresdner Innenstadt seit Jahren brach.

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17. Oktober 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Weniger ist mehr

Zu den bedeutenden Zeugnissen der Solothurner Architekturschule zählt das Gymnasium Strandboden von Max Schlup in Biel. Nun ist ein Streit entbrannt um dessen angemessene Sanierung, die grundsätzliche Fragen nach dem Umgang mit der architektonischen Moderne berührt.

Zu den bedeutenden Zeugnissen der Solothurner Architekturschule zählt das Gymnasium Strandboden von Max Schlup in Biel. Nun ist ein Streit entbrannt um dessen angemessene Sanierung, die grundsätzliche Fragen nach dem Umgang mit der architektonischen Moderne berührt.

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04. Juli 2011Jürgen Tietz
db

Heim als Heimat

Seit Jahren wächst die Zahl älterer Menschen, die in einem Wohn- oder Pflegeheim leben. Das Künzle- Heim ist ein gutes Beispiel für eine gleichermaßen hochwertige wie funktionale Architektur, die einen angemessenen und unterstützenden baulichen Rahmen für den Lebensabend schafft.

Seit Jahren wächst die Zahl älterer Menschen, die in einem Wohn- oder Pflegeheim leben. Das Künzle- Heim ist ein gutes Beispiel für eine gleichermaßen hochwertige wie funktionale Architektur, die einen angemessenen und unterstützenden baulichen Rahmen für den Lebensabend schafft.

»Einen alten Baum verpflanzt man nicht «, lautet ein altes Sprichwort. Doch die Gesellschafts- und Sozialstruktur der mitteleuropäischen Konsumgesellschaften sieht anders aus. Immer mehr alte Menschen verbringen ihren letzten Lebensabschnitt nicht mehr in ihrer vertrauten Umgebung. Stattdessen gilt es für sie, die Tür der eigenen Wohnung, in der sie oft Jahrzehnte gelebt, geliebt und gelitten haben, ein allerletztes Mal hinter sich zu schließen, um in einem Wohn- oder Pflegeheim noch einmal neu anzufangen. Etliche Dinge und noch mehr Erinnerungen bleiben dann zurück. Auf einmal befindet man sich außerhalb des bekannten sozialen Umfelds, kommt in eine größere Gemeinschaft fremder, gleichaltriger Menschen, an einem neuen Ort, der Heim heißt und der erst zu einer Heimat werden will. Wie gut dieser tiefgreifende Einschnitt bewältigt wird, hängt auch von der Qualität dieser neuen Umgebung ab. Das Künzle-Heim am Rand des schweizerischen Schaffhausen schafft durch seine Architektur einen qualitätvollen architektonischen Rahmen, in dem es leichter fällt, heimisch zu werden.

Eingebettet in einen schönen alten Baumbestand, fügt sich das Gebäude in malerischer Hanglage auf Z-förmigem Grundriss in die Schaffhausener Vorstadtatmosphäre ein. Durch die Wahl der Gebäudeform ist es den Zürcher Architekten Roland Frei und Lisa Ehrensperger gelungen, den großvolumigen Baukörper mit seinen 57 Wohneinheiten weniger massiv wirken zu lassen und einen behutsamen Übergang zur kleinteiligen Bebauung der Umgebung zu gestalten. Darüber hinaus entstehen durch die Form des Gebäudes geschützte Außenräume, für das Entree ebenso wie für den sichtgeschützten Demenz-Garten auf der Rückseite.

Seinen Namen verdankt das Seniorenheim der »Künzle Stiftung«. Bereits in den 50er Jahren vom Schaffhausener Pfarrer Richard Künzle gegründet, verfolgt sie das Ziel der Vorsorge für das Alter. Heute befindet sich das Heim in gemeinsamer Trägerschaft der Stiftung (Land und Immobilie) und der Stadt Schaffhausen (Betriebsführung). Der im Herbst 2010 eröffnete Neubau ersetzt ein nicht mehr angemessen ausgestattetes Gebäude der 70er Jahre. Von ihm blieben lediglich die beiden UGs erhalten, die über einem Bahntunnel im Hang stehen. Durch seine Hanglage ist der Baukörper straßenseitig fünfgeschossig, im rückwärtigen Bereich teilweise nur zweigeschossig.

Frei und Ehrensperger haben sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Bauaufgabe Wohnen im Alter befasst. »Es geht uns dabei um gute Gastgeberschaft«, bringt Roland Frei seine Entwurfshaltung auf den Punkt. Doch wie kann eine Atmosphäre entstehen, in der sich alte Menschen wohlfühlen und die dennoch die notwendigen funktionalen und hygienischen Anforderungen für den Pflegefall erfüllt? Schon bei der Fassade des Künzle-Heims fällt die Qualität der Gestaltung auf. So wird das wie schwebend wirkende gläserne Sockelgeschoss durch eine schlanke Geschossplatte aus Beton geschützt, die wie ein Vordach auskragt. Die Fassade der vier OGs mit ihren Holzständern wird durch eine Lattenkonstruktion aus heimischem Lärchenholz abgeschlossen, die einen schützenden Eisenglimmeranstrich erhalten hat. Die überlappend montierte Lattenkonstruktion belebt die äußerste Fassadenschicht durch ein zartes Relief. So entsteht ein behutsamer Gegenpol zur horizontalen Grundstruktur des Hauses mit seinen auskragenden Geschossbändern. In die gut gedämmte Fassade, die den Schweizer Minergie-Standard erfüllt, sind die großen, quadratischen Laibungen der Fensternischen tief eingeschnitten. Mit ihnen wird eine Zwischenzone definiert, die die Qualität des Übergangs zwischen Natur und Architektur besonders betont, welcher in den Bauten von Frei & Ehrensperger eine hervorgehobene Rolle spielt.

Gehobene Wertigkeit

»Wie ein Baumhaus«, so Roland Frei, fügt sich das Künzle-Heim in den dichten Baumbestand seiner Umgebung ein. Auch im Innern des Gebäudes ist dieser »Baumhauseffekt« erfahrbar. Die mächtigen Glasflächen bieten den Bewohnern ungehinderte Ausblicke in das umgebende Grün – und damit auch räumliche Orientierungspunkte. Zudem sorgen sie dafür, dass die ohne Handläufe gestalteten Flure sehr viel Tageslicht erhalten, ganz als würde es sich um innenliegende Laubengänge handeln. Ergänzt wird diese naturnahe Gestaltung durch die Terrassen, die den Geschossen zugeordnet sind, sowie durch die Materialität, auf die Frei & Ehrensperger besonderen Wert gelegt haben. Das wird gleich in der großzügigen Lobby deutlich. Sie erinnert mit dem mit Ulmenholz verkleideten Empfang, der Bar, dem Restaurant, den Sitzecken und dem Kamin an die Ausstattung eines gehobenen Hotels – und straft übliche Vorstellungen eines Seniorenwohnheims Lügen. Das rund 16 Mio. Euro teure Haus dient zudem als »Quartierdienstleistungszentrum«, von dem aus Pflegedienstleistungen für die Umgebung angeboten werden. Neben einem Fitnessraum, in dem nicht nur für die Bewohner des Heims Kurse im Seniorenturnen angeboten werden, und einem Friseur, verfügt der Bau auch über einen Andachtsraum. Es ist eine schlichte Kapelle, die durch ein Oberlicht vor der Rückwand ihre stimmungsvolle Belichtung erfährt. Doch auch die notwendigen Pflegeeinrichtungen sind vorhanden, zu denen u. a. spezielle Bäder für Pflegbedürftige gehören. Die Gesamtwirkung des Gebäudes ist jedoch keineswegs die eines Heims oder Spitals, sondern eines hochwertig ausgestatteten Boardinghauses. Während der Fußboden in den öffentlichen Bereichen aus grau-braunem Muschelkalk besteht, liegt in den 57 Wohnungen Parkett. Die Wände zu den Wohnungen sind ebenfalls mit Ulmenholz verkleidet, dazu fügen sich die tragenden Betonfertigteile der Nasszellen, die zu den Fluren hin durch die Sandstrahlbehandlung eine raue, haptische Oberfläche besitzen. In jenen Bereichen des Künzle-Heims, wo durch die Hanglage keine Ausblicke in die Landschaft möglich sind, wird diese Rolle durch die Fotografien von Guido Baselgia wahrgenommen. Die fenstergroßen Leuchtvitrinen zeigen schwarz-weiße Luftbilder, die als Berglandschaft ebenso wahrnehmbar sind wie als abstrakte Strukturen.

Gebaute Willkommensgesten

Die Eingangszonen zu den 57 Wohnungen sind durch nischenartige Rücksprünge, eine im Boden eingelassene Fußmatte sowie durch ein Oberlicht gekennzeichnet. So entsteht das Gefühl, dass man vom Flur aus nicht einfach nur ein Zimmer betritt, sondern wirklich über einen kleinen Vorraum in seine eigene Wohnung gelangt. Die farbliche Kennzeichnung der Flure ist dabei äußerst zurückhaltend. Sie beschränkt sich auf die Zimmernummern in den Eingangsnischen, die auf die Wand aufgesetzt und damit ggf. bei eingeschränkter Sehfähigkeit ertastbar sind.

Die Normzimmer im Künzle-Heim messen 26 m² zuzüglich der Badzelle (4 m²) und dem Balkon (3 m²) und sind ohne Kochnische ausgeführt. Die Verpflegung erfolgt über das Restaurant. Zudem gibt es sieben Eckzimmer, die jeweils über mehr Fläche verfügen (34 bzw. 36 m²) samt Kochnische. Durch die Ausführung der Trennwände in Leichtbauweise ist es ohne Schwierigkeiten möglich, etwa für Ehepaare, mehrere Zimmer zu einer Wohneinheit zusammenzufassen, was auch bereits genutzt wird. Alle Wohnungen und Bäder sind behindertengerecht erschlossen. Das besondere an den Wohnungen ist – einmal mehr – der intensive Bezug zur Natur. Die in den Baukörper eingezogenen Balkone sind zu drei Seiten hin verglast, um lange natürliches Licht in die Wohnungen zu lassen. Zudem werden die Räume dadurch optisch aufgeweitet. Ein auberginefarbener Sonnenschutz sowie Vorhänge ermöglichen es demgegenüber die gewünschte Privatheit zu erzeugen. Bis auf einen Einbauschrank im Eingangsbereich obliegt die Möblierung den Bewohnern. Die Kosten betragen zwischen 90 und 110 Euro pro Zimmer und Tag, zuzüglich der Kosten für die Pflegleistungen. Getragen werden sie privat bzw. durch Versicherungsleistungen.

Ergänzt wird das Raumprogramm durch Aufenthalts- und Gemeinschaftsräume. Zum derzeit voll belegten Seniorenheim gehört auch eine abgeschlossene Demenz-Abteilung im ersten OG mit 15 Zimmern, die entsprechend den übrigen Zimmern gestaltet sind, und ein ebenfalls geschützter Demenz-Garten. Mit seinem geschwungenen Pflanzbeet samt Cortenstahlbrüstung und Handlauf bietet er die Möglichkeit eines Rundlaufs bei besonderem Bewegungsdrang der Bewohner.

Gemeinschaftliche Wohnkonzepte

In den Bau des Künzle-Heims eingeflossen sind die Erfahrungen, die Frei & Ehrensperger beim Haus Rabenfluh (2006/08) in Neuhausen am Rheinfall gesammelt haben eingeflossen. Bei diesem in Sichtbeton ausgeführten Altersheim findet sich eine verwandte Z-förmige Grundrissgestaltung sowie eine ähnliche Grunddisposition der Zimmer. Die Fenster- und Balkonflächen, die zu einer ausgedehnten natürlichen Belichtung der Wohnungen beitragen, sind im Haus Rabenfluh mit seinen 50 Zimmern jedoch nicht auf die Baumlandschaft der Umgebung ausgerichtet, sondern auf den Rhein, der talwärts vor dem Haus vorbeifließt. Ausgeprägter ist das Orientierungssystem im Rabenfluh: Die auf beruhigenden Grün- und Gelbtönen basierenden Glastrennwände und Tapeten hat Annelies Štrba entworfen. Zwar ist angesichts des geringeren Gesamtbudgets (12,6 Mio. Euro) die Ausstattung weniger hochwertig. Das Konzept der durch Fenster gefassten Ausblicke in die Landschaft als Erinnerungsanker für die Bewohner wurde aber auch dort umgesetzt.

Ein weiteres Projekt der Planer, das jüngst eröffnete Seniorenwohnen in Bonaduz (Graubünden) wirkt wie eine Steigerung dieses engen Landschaftsbezugs. Die Wohnungen mit Küchennische aus Lärche fügen sich zu einer gebauten Skulptur mit unterschiedlichen Fensterformaten zusammen, die wie Gemälde jeweils den Ausblick in die Berglandschaft einfassen. Mit ihrer anspruchsvollen Architektur schaffen Frei & Ehrensperger auch dort den Rahmen für jene behagliche Gastgeberschaft, mit der für die Bewohner aus einem Heim eine neue Heimat wird.

db, Mo., 2011.07.04



verknüpfte Zeitschriften
db 2011|07 In Würde altern

02. Juli 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Im Strahlenkranz der Metropole

Nach dem Ersten Weltkrieg feierte die moderne Architektur nicht nur in Berlin Erfolge, sondern auch im Umland. Eine Ausstellung in Potsdam stellt jetzt die Glanzlichter des Neuen Bauens in Brandenburg von Bartning bis Mendelsohn vor.

Nach dem Ersten Weltkrieg feierte die moderne Architektur nicht nur in Berlin Erfolge, sondern auch im Umland. Eine Ausstellung in Potsdam stellt jetzt die Glanzlichter des Neuen Bauens in Brandenburg von Bartning bis Mendelsohn vor.

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20. April 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vorhang auf

Die grossen Theater- und Konzertsäle gehören zu den letzten Architekturbiotopen, in denen die Entwerfer nahezu ungehindert ihre Visionen von repräsentativer...

Die grossen Theater- und Konzertsäle gehören zu den letzten Architekturbiotopen, in denen die Entwerfer nahezu ungehindert ihre Visionen von repräsentativer...

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verknüpfte Publikationen
Bühnenbauten - Handbuch und Planungshilfe

15. April 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wohnen in der Stadt

Das Thema des Wohnens in der Stadt bildet das Herzstück der Arbeit des Zürcher Architekturbüros von Patrick Gmür und Michael Geschwentner. Gelegentlich...

Das Thema des Wohnens in der Stadt bildet das Herzstück der Arbeit des Zürcher Architekturbüros von Patrick Gmür und Michael Geschwentner. Gelegentlich...

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06. April 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Perspektive Berlin

Seit vier Jahren ist Regula Lüscher Senatsbaudirektorin in Berlin, einer Stadt, in der bis heute die Spuren der Teilung spürbar sind. Jetzt plant sie eine Internationale Bauausstellung, in die auch ihre Zürcher Erfahrungen einfliessen sollen.

Seit vier Jahren ist Regula Lüscher Senatsbaudirektorin in Berlin, einer Stadt, in der bis heute die Spuren der Teilung spürbar sind. Jetzt plant sie eine Internationale Bauausstellung, in die auch ihre Zürcher Erfahrungen einfliessen sollen.

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01. April 2011Jürgen Tietz
Rolf Bachofner
TEC21

Refugium am Gotthard

Das alte Hospiz auf dem Gotthardpass wurde in den Jahren 2008 bis 2010 zum 3-Sterne-Hotel umgebaut und erweitert. Die Architekten Miller & Maranta und die Bauingenieure Conzett Bronzini Gartmann schufen in enger Zusammenarbeit ein modernes Bauwerk, das wirkt, als habe es schon immer an diesem Ort existiert. Es bettet sich selbstverständlich in den räumlichen und historischen Kontext ein, und seine Schlichtheit widerspiegelt sich in Architektur und Tragwerk.

Das alte Hospiz auf dem Gotthardpass wurde in den Jahren 2008 bis 2010 zum 3-Sterne-Hotel umgebaut und erweitert. Die Architekten Miller & Maranta und die Bauingenieure Conzett Bronzini Gartmann schufen in enger Zusammenarbeit ein modernes Bauwerk, das wirkt, als habe es schon immer an diesem Ort existiert. Es bettet sich selbstverständlich in den räumlichen und historischen Kontext ein, und seine Schlichtheit widerspiegelt sich in Architektur und Tragwerk.

Die Passhöhe des St. Gotthard ist einer der bedeutenden Schweizer Erinnerungsorte, der zugleich eine europäische Dimension besitzt: Der Pass markiert eine der wichtigsten ökonomischen und kulturellen alpinen Schnittstellen zwischen Norden und Süden – ein Drehkreuz, das mit der neuen Röhre des Gotthardtunnels bis heute nichts an seiner verkehrstechnischen Bedeutung eingebüsst hat. Doch der seit Jahrhunderten andauernde über- und unterirdische Ausbau des Gotthards steht nicht nur für die Verbindung zwischen dem deutsch- und dem italienischsprachigen Raum, sondern auch für die daraus erwachsenden Gefährdungen. Erfahrbar wird dies an den Befestigungsanlagen des schweizerischen Reduits, das auch auf dem Gotthard als Sicherung eines unverbrüchlichen Innersten der Schweiz in Zeiten der Bedrohung gilt. Seine vielschichtige Bedeutung sieht man dem kleinen städtebaulichen Ensemble auf der Passhöhe jedoch auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Es setzt sich aus der alten Sust, einst Güterumschlagplatz und heute Museum, dem Hotel «St. Gotthard» und dem Hospiz St. Gotthard zusammen (Abb. 1). Trotz ihrem jahrhundertelangen Bestehen sind die Bauten auf der Passhöhe durch ihre stete Transformation gekennzeichnet. Besonders deutlich wird dies am alten Hospiz, dem baulichen Herzstück der Passhöhe (vgl. Kasten S. 20). Von 2008 bis 2010 wurde das Hospiz umgebaut, renoviert und über eine Dachaufstockung erweitert. Damit hat der Bau seine historische Funktion als Gästehaus zurückerhalten. Mehr noch: Das Hospiz ist selbst zum Berg geworden, kantig ragt es auf der einen Seite empor, und steil stürzt es auf der anderen hinab, während das 25 t schwere Bleidach trutzig schwer auf ihm lagert.

Neue Stahlbetonstruktur in Bestand eingebettet

Den 2005 ausgelobten Studienauftrag zum Umbau des Hospizes gewannen die Basler Architekten Miller & Maranta mit einem Projekt, das die klimatische Ausgesetztheit des bestehenden Volumens thematisiert und die beiden Nutzungen – Hotel und Kapelle – unter einem Dach vereint, die Typologien aber ablesbar belässt.

Ein wichtiger Teil des Entwurfes besteht in der Aufstockung des Daches um eineinhalb Geschosse. Dadurch konnte nicht nur die nötige Fläche für den Hotelbetrieb – 14 Zimmer mit 30 Betten – gewonnen werden, die neue Steilheit des Daches verschafft dem denkmalgeschützten Bau auch innerhalb des Ensembles eine stärkere Präsenz. Im Inneren intervenierten die Architekten, die bereits in der Entwurfsphase eng mit den Ingenieuren von Conzett Bronzini Gartmann zusammenarbeiteten: Die Raumstruktur von 1905 war für einen zeitgemässen Hotelbetrieb nicht geeignet. Daher liessen sie die innere Struktur bis auf das erste Obergeschoss zurückbauen. Innenwände und Dachkonstruktion wurden vollständig abgebrochen, die Fassaden aus gemauerten Steinen blieben dagegen stehen. Ebenso wurden die teilweise mit Stahlprofilen bewehrten Betondecken über dem Erdgeschoss rückgebaut, weil der Stahl stark korrodiert war. Im Südteil blieben lediglich die Steintreppe und die steinerne Fassade mit den historischen Fenstern samt Beschlägen in den unteren Geschossen erhalten, im Nordteil die in den 1980er-Jahren renovierte Kapelle mit ihrer gewölbten Decke. Die bestehenden Mauerwerkswände waren teils mehrschichtig und drohten beim Abbruch auseinanderzufallen. Mit vorbetonierten und bewehrten Wänden konnte man sie sichern und tragfähig machen. Im Bereich der Fenster ersetzte man die morschen Holzstürze durch solche aus Stahlbeton, und über den ersten beiden Geschossen wurde innerhalb der Fassaden eine Holzkonstruktion in Ständer-Bohlen-Bauweise eingefügt. Diese Konstruktion – Innenwände aus Ständern mit Ausfachungen aus liegenden Bohlen, eingefügt in massives Mauerwerk – wird aus Brandschutzgründen im Kanton Uri seit dem 15. Jahrhundert verwendet und besitzt gegenüber anderen Holzkonstruktionen wie dem Strickbau den Vorteil, dass sie aufgrund der vertikalen Pfosten weniger schwindet. Die Trockenbauweise und die Vorfertigung der Elemente im Tal erlaubten eine kurze Montagezeit auf der Baustelle. Zudem optimiert die Holzkonstruktion als isolierende Schicht das Gebäude energetisch. Der Zwischenraum zwischen Holz und Aussenwänden wurde zusätzlich gedämmt.

Die neu erstellten Tragwerkselemente – die ergänzten Aussenwände und das Treppenhaus, das bis ins 4. Obergeschoss den Süd- vom Nordteil des Gebäudes trennt – sind vor Ort unter teilweise unwirtlichen Witterungsbedingungen konventionell in Stahlbeton erstellt worden. Sie stabilisieren zusammen mit den massigen bestehenden Mauerwerkswänden in den unteren Geschossen das Gebäude. Die Decken über Erd- und 1. Obergeschoss wurden mit Stahlbeton erstellt, deren Auflager befinden sich auf den neuen Innenwänden aus Beton und über eingespitzte Nocken in den Aussenwänden aus Mauerwerk. Die Nocken sitzen in den vertikal durchlaufenden Wandpartien, damit die Fensterstürze nicht zusätzlich belastet werden.

Präzise Ausführung und ständige Kontrolle

Das Gebäude weist im Grundriss und im Schnitt eine durch den Bestand vorgegebene unregelmässige Geometrie auf, was eine grosse Anzahl an Betonieretappen bedingte. Die Rohbauetappen der Holzeinbauten waren örtlich voneinander getrennt; Nord- und Südteil wurden unabhängig voneinander hochgezogen und treffen sich erst im 5. Obergeschoss. Deshalb erarbeiteten die Bauingenieure eine Datei, in der sie alle Geometriedaten verwalteten und die komplexen Zusammenhänge prüften. Über ein durch eine professionelle Bauvermessung erstelltes Messsystem konnten sie die Ist- und Solllagen der Absteck- und Kontrollpunkte ständig miteinander vergleichen und, falls erforderlich, Massnahmen ergreifen.

Vorgefertigtes Innenleben aus Holz

Die neue Holzkonstruktion, die in die massive Hülle gesetzt ist, reicht bis unters Dach (Abb. 11 und 13) und überzeugt durch ihre handwerkliche Präzision. Die Konstruktion ist unbehandelt im Inneren sichtbar und trägt die Eigen-, Auf- und Nutzlasten sowie die Dachlasten bis auf die Stahlbetondecke über dem 2. Obergeschoss auf der Südseite respektive die Stahl-Beton-Verbundträger auf der Nordseite ab. Die im Werk vorfabrizierten Elemente beinhalteten die Tragkonstruktion, die Schalung der Innenverkleidung, die Dämmungen, Beplankungen und Elektroinstallationen sowie die Ausholzungen für die Sanitärgeräte. Sie weisen also einen hohen Vorfertigungsgrad auf – gerechtfertigt durch die geplante kurze Montagezeit von nur zehn Tagen im September, während der mit schlechtem Wetter gerechnet werden musste. Die Vorfabrikation war vor dem Start der Abbrucharbeiten bereits abgeschlossen.

Die vertikal durchlaufenden Ständer in der Holzkonstruktion sind lediglich durch Stirnholzstösse unterbrochen. Indem die Bauingenieure auf die Schichtung von liegendem Holz verzichteten – was schwindanfälliger ist –, werden die Setzungsdifferenzen der Holzeinbauten gegenüber der Betonkonstruktion minimiert (Abb. 14). Das Stützen-Träger-System wird durch eingeschlitzte Bleche und Stabdübel zusammengehalten und durch die sie umfassende Betonkonstruktion stabilisiert. Die gesamte Holztragkonstruktion weist über die Beplankung aus Holzwerkstoffplatten zwar ebenfalls eine eigene Stabilität auf, diese haben die Bauingenieure aber rechnerisch nicht berücksichtigt.

Die Dachkonstruktion besteht aus Pfetten, die über den Hauptachsen der darunter liegenden Holzkonstruktion angeordnet sind. Auf diesen Pfetten wurden Sparren und Schifter montiert (Abb. 15). Die Sparren weisen einen für diese Höhenlage ungewöhnlich grossen Abstand von über einem Meter auf, wodurch die Gauben dazwischengesetzt werden konnten und auf im Anschluss aufwendige Auswechslungen verzichtet werden konnte. Die Sparrenabstände werden durch eine doppelt geführte Dachschalung von je 30 mm Stärke überbrückt, zwischen der sich die Unterdachfolie und die Konterlattung befinden.

Drei Jahre Bauzeit – zwei kleine Zeitfenster

Der Gotthardpass ist etwa ab Anfang Mai bis Mitte Oktober geöffnet, in der restlichen Zeit besteht kein fahrbarer Zugang. Zudem ist in dieser Höhenlage während des ganzen Sommers kurzfristig mit Schneefall zu rechnen. Diese Witterungsverhältnisse bedingten kurze Baufenster für das Gebäude mit seinen hohen architektonischen Anforderungen. Zusammen mit der komplexen Geometrie des Bestandes und den langen Anfahrtswegen stellten dies Rahmenbedingungen dar, die von den Planenden und Ausführenden ein durchdachtes und exaktes Vorgehen und Arbeiten verlangten. Die Umsetzung des Bauvorhabens wurde daher gezielt von Anfang an in zwei je vier bis fünf Monate lang dauernden Etappen in einem Zeitraum von zwei Jahren geplant.

2008, im ersten Jahr, erfolgten der Abbruch sowie die Rohbauarbeiten bis zum winterdichten Dach und provisorischen Verschluss der Fenster. Nach einer Massaufnahme der erstellten Betonkonstruktion wurden die Montageachsen und Koten des Holzbaus vermessungsseitig abgesteckt. Zuerst wurden die Elemente der Südseite montiert und mit der Dachkonstruktion abgedeckt. Eine zweite Gruppe bereitete die Montage auf der Nordseite vor, die ebenfalls in kurzer Zeit erfolgte. Der Zusammenschluss beider Dachseiten im 5. Obergeschoss offenbarte die genaue Arbeit der Beteiligten. Anschliessend verlegten die Ausführenden die Unterdachabdichtung und schlossen diese wind- und wasserdicht an das Mauerwerk an – womit das Bauwerk für den unmittelbar folgenden Winter vorbereitet war. Im zweiten Jahr erfolgten die Fertigstellung der Fassade und der Dacheindeckung sowie der gesamte Innenausbau. Im dritten Jahr waren nur noch kleinere Fertigstellungsarbeiten vorgesehen. Am 1. August 2010 erfolgte die offizielle Eröffnung.

Das einheitliche Bild wiedererlangt

Im Umgang mit dem alten Hospiz zeigt sich die architektonische Grundhaltung von Miller & Maranta, die die Moderne nicht als einen unversöhnlichen Gegensatz zur Tradition begreift, sondern als deren zeitgemässe Fortführung und qualitätvolle Weiterentwicklung. Diese Zuwendung drückt sich in Details wie dem eisernen Handlauf im Treppenhaus ebenso aus wie in den neuen Wandleuchten mit ihrem alpinen Rückbezug (Abb. 16). Die Zimmermannsarbeit im Inneren ist sichtbar und trägt mit ihrem Duft nach Holz noch zur Sinnlichkeit des Baus bei. Auch die Möblierung der Zimmer – die in Alkoven platzierten Betten aus Fichtenholz, die schwarzen Bugholzstühle und die Stehleuchten von Andreas Christen von 1958 – unterstützt die einem Hospiz gerechte archaische Stimmung (Abb. 17). Das Treppenhaus und die Gemeinschaftsräume im massiven Teil des Baus sind mit einem schimmernden Kalkputz versehen, die Nasszellen der Gästezimmer mit einem wasserfesten, schwarzen Anstrich behandelt.

Spürbar wird die verbindende Haltung vor allem auch in der Art und Weise, in der sich das neue Dach auf das alte Hospiz legt. Die Architekten haben Kapelle und Hospiz unter dem auf den Wetterseiten 52 ° steilen Dach mit einer Eindeckung aus Bleibahnen optisch zu einer Einheit zusammengefasst. Grau und schwer ist es, durchbrochen von Dachgauben, die sich wie mit angezogenen Schultern geduckt hervorheben, um dem Wind und dem Schnee nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten (Abb. 2). So liegt eine Selbstverständlichkeit in der architektonischen Gestaltung des neuen alten Hospizes, die den vorhandenen Charakter des Gebäudes unterstützt und stärkt und ihm damit seine ursprüngliche Bedeutung für den Ort zurückgibt.

TEC21, Fr., 2011.04.01



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TEC21 2011|14 Zimmer mit Aussicht

02. Februar 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Und der Elbe zugewandt

Unweit der Hamburger Innenstadt ist seit zehn Jahren ein riesiges neues Wohn- und Geschäftszentrum im Entstehen: die Hafencity. Architektonische Glanzlichter wie der Marco-Polo-Tower oder die Elbphilharmonie setzen im ehemaligen Hafenareal besondere Akzente.

Unweit der Hamburger Innenstadt ist seit zehn Jahren ein riesiges neues Wohn- und Geschäftszentrum im Entstehen: die Hafencity. Architektonische Glanzlichter wie der Marco-Polo-Tower oder die Elbphilharmonie setzen im ehemaligen Hafenareal besondere Akzente.

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20. Januar 2011Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Dänische Formungen

Mit seinen jüngsten Projekten unterstreicht das Kopenhagener Architekturbüro 3XN die Vielfalt und Bedeutung der dänischen Architekturszene. Dabei überzeugen die Bauten von Kim Herforth Nielsen sowohl durch ihre kommunikativen Innenräume als auch durch eine spannungsvolle Fassadengestaltung.

Mit seinen jüngsten Projekten unterstreicht das Kopenhagener Architekturbüro 3XN die Vielfalt und Bedeutung der dänischen Architekturszene. Dabei überzeugen die Bauten von Kim Herforth Nielsen sowohl durch ihre kommunikativen Innenräume als auch durch eine spannungsvolle Fassadengestaltung.

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verknüpfte Akteure
3XN

01. Dezember 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Inszenierte Bürowelt

Im Werkraum der Architektur Galerie Berlin, die immer auch Schweizer Positionen vermittelt, haben die Zürcher Baukünstler und Ausstellungsgestalter Barbara...

Im Werkraum der Architektur Galerie Berlin, die immer auch Schweizer Positionen vermittelt, haben die Zürcher Baukünstler und Ausstellungsgestalter Barbara...

Im Werkraum der Architektur Galerie Berlin, die immer auch Schweizer Positionen vermittelt, haben die Zürcher Baukünstler und Ausstellungsgestalter Barbara Holzer und Tristan Kobler ihre Bürowelt inszeniert. Doch sind gerade alle Mitarbeiter in der Mittagspause? Oder auf der Baustelle? An den Schreibtischen, die in der „Mise en scène“ betitelten Ausstellung zu sehen sind, sitzt jedenfalls gerade niemand. Leer sind die Arbeitsplätze dennoch nicht: Bücher, Pläne und Modelle sind darauf verstreut, von irgendwoher klingen Stimmen und Geräusche. Selbst die Computer laufen. Sie zeigen ausgewählte Projekte von Holzer Kobler. Daneben liegen einige Exemplare des ebenso bunten wie informativen, gerade im Niggli-Verlag erschienenen Buches über Holzer Kobler.
Mit ihren ambitionierten Ausstellungsgestaltungen haben sich Holzer Kobler längst über die Schweizer Grenze hinaus einen Namen gemacht – etwa mit der frischen Präsentation der Style-Sapin Schau in La Chaux-de-Fonds oder der Dauerausstellung im Landesmuseum Zürich. Der Dialog zwischen Alt und Neu auf dem Cattaneo-Areal in Dietikon hat ihnen ebenso Lob eingetragen wie die „Arche Nebra“ in Sachsen-Anhalt, ein Besucherzentrum am Fundort der bronzezeitlichen Himmelsscheibe von Nebra. Nun konnte auch das von Holzer Kobler verwirklichte Besucherzentrum der Grube Messel bei Darmstadt seine Pforten öffnen.

Die Berliner Ausstellungscollage spielt mit der Wahrnehmung der Besucher, lockt sie an und entführt sie in den Raum. Und plötzlich entdeckt man auch die Mitarbeiter. Auf Liliput-Format geschrumpft, sitzen sie auf Architekturmodellen oder versteckt zwischen Aktenordern und blicken auf die Gulliver-grossen Betrachter. „Im Mittelpunkt unserer Betrachtung steht immer der Mensch und seine Wahrnehmung, die ihn zu einem Spiegel von Raum und Zeit macht“, schreiben Barbara Holzer und Tristan Kobler in ihrem Buch. Und weiter: „Architekturen sind für uns immer auch Expeditionen in neue Gestaltungs- und Wissenswelten, die den Besucher in ihren Bann ziehen.“ Auf diese Weise wird der Betrachter zu einem Teil der Installation. In seinem Kopf setzen sich die einzelnen Fragmente neu zusammen. Wer mag, der sollte diese Fragmente durch die Lektüre der Werkmonografie ergänzen. Es lohnt sich.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2010.12.01

30. November 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wuchernde Städte

Das 20. Jahrhundert gilt als Epoche der Gegensätze, ja als ein Jahrhundert der Extreme, das tiefe Spuren hinterlassen hat – auch in den Grundrissen der...

Das 20. Jahrhundert gilt als Epoche der Gegensätze, ja als ein Jahrhundert der Extreme, das tiefe Spuren hinterlassen hat – auch in den Grundrissen der...

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20. Oktober 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Aufbruch im Block

Die architektonische Neugestaltung Berlins war nach 1990 vor allem durch die Bauten der kritischen Rekonstruktion geprägt. Doch nun ist Bewegung in die Architekturlandschaft gekommen. Es entstehen interessante Varianten zu den konventionellen Blockrandbebauungen mit Lochfassade und Natursteintapete.

Die architektonische Neugestaltung Berlins war nach 1990 vor allem durch die Bauten der kritischen Rekonstruktion geprägt. Doch nun ist Bewegung in die Architekturlandschaft gekommen. Es entstehen interessante Varianten zu den konventionellen Blockrandbebauungen mit Lochfassade und Natursteintapete.

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23. September 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Im Archiv der Arten

Spektakulär ist nicht nur die historische Sammlung des Berliner Naturkundemuseums, sondern auch der neue Ausstellungsflügel, den das Architekturbüro Diener & Diener aus Basel verwirklicht hat. Die neue Betonstruktur geht einen spannungsvollen Dialog mit der Ziegelfassade des historistischen Gebäudes ein.

Spektakulär ist nicht nur die historische Sammlung des Berliner Naturkundemuseums, sondern auch der neue Ausstellungsflügel, den das Architekturbüro Diener & Diener aus Basel verwirklicht hat. Die neue Betonstruktur geht einen spannungsvollen Dialog mit der Ziegelfassade des historistischen Gebäudes ein.

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verknüpfte Bauwerke
Museum für Naturkunde

02. September 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Farben der Nachhaltigkeit

Drei interessante Neubauten konnten die Berliner Architekten Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton jüngst in Mailand, Frankfurt und Köln realisieren. Die Häuser veranschaulichen, wie sich sinnlich farbige Gestaltung überzeugend mit städtebaulicher Qualität und nachhaltigen Energiekonzepten vereinen lässt.

Drei interessante Neubauten konnten die Berliner Architekten Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton jüngst in Mailand, Frankfurt und Köln realisieren. Die Häuser veranschaulichen, wie sich sinnlich farbige Gestaltung überzeugend mit städtebaulicher Qualität und nachhaltigen Energiekonzepten vereinen lässt.

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31. Juli 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Bewahren und Verändern

Das Alte Hospiz auf dem Gotthardpass wurde von Quintus Miller und Paola Maranta renoviert und in seiner historischen Funktion als Gästehaus wiederbelebt. Am 1. August wird das historische Gebäude von Bundespräsidentin Doris Leuthard wiedereröffnet.

Das Alte Hospiz auf dem Gotthardpass wurde von Quintus Miller und Paola Maranta renoviert und in seiner historischen Funktion als Gästehaus wiederbelebt. Am 1. August wird das historische Gebäude von Bundespräsidentin Doris Leuthard wiedereröffnet.

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23. Juli 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schöner schrumpfen

Seit der Wende leidet das Bundesland Sachsen-Anhalt unter Abwanderung. Als Gegenmittel gegen diesen Schrumpfungsprozess wurde die Internationale Bauausstellung Stadtumbau 2010 ins Leben gerufen. Nun zieht eine Ausstellung im Bauhausgebäude in Dessau eine erste Bilanz.

Seit der Wende leidet das Bundesland Sachsen-Anhalt unter Abwanderung. Als Gegenmittel gegen diesen Schrumpfungsprozess wurde die Internationale Bauausstellung Stadtumbau 2010 ins Leben gerufen. Nun zieht eine Ausstellung im Bauhausgebäude in Dessau eine erste Bilanz.

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02. Juli 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Denkmalschatz und Denkmalelend

In der Schweiz soll auf Bundesebene beim Denkmalschutz gespart werden. Welche Probleme sich daraus ergeben könnten, zeigt ein Blick auf die Situation im Freistaat Sachsen, wo die Vielfalt des baukulturellen Erbes bedroht ist.

In der Schweiz soll auf Bundesebene beim Denkmalschutz gespart werden. Welche Probleme sich daraus ergeben könnten, zeigt ein Blick auf die Situation im Freistaat Sachsen, wo die Vielfalt des baukulturellen Erbes bedroht ist.

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26. Mai 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Zukunft stiften

Ihre Erfolgsbilanz ist eindrucksvoll: Rund 3600 Denkmalprojekte konnte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) in den letzten 25 Jahren fördern. Dabei...

Ihre Erfolgsbilanz ist eindrucksvoll: Rund 3600 Denkmalprojekte konnte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) in den letzten 25 Jahren fördern. Dabei...

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30. April 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Heimat in Beton

Sie zählen zu den international beachteten Vertretern der zeitgenössischen österreichischen Architektur: die Brüder Stefan und Bernhard Marte. Mit ihren formal reduzierten Betonbauten verwirklichen sie spannungsvolle Raumkunstwerke und ergänzen so die qualitätvolle Vorarlberger Baukunst um ein neues Kapitel.

Sie zählen zu den international beachteten Vertretern der zeitgenössischen österreichischen Architektur: die Brüder Stefan und Bernhard Marte. Mit ihren formal reduzierten Betonbauten verwirklichen sie spannungsvolle Raumkunstwerke und ergänzen so die qualitätvolle Vorarlberger Baukunst um ein neues Kapitel.

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verknüpfte Akteure
Marte.Marte Architekten

12. Januar 2010Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Dynamische Raumgebilde

Wie ein Gebirge faltet sich das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung empor, während es an seinen Seiten behutsam in die Umgebung ausgreift,...

Wie ein Gebirge faltet sich das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung empor, während es an seinen Seiten behutsam in die Umgebung ausgreift,...

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24. Dezember 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architektonische Selbstvergewisserung

Seit einigen Jahren erlebt der Begriff der Baukultur in Deutschland eine Hochkonjunktur. Doch trotz intensiver Debatte über die Kultur des Bauens erhebt...

Seit einigen Jahren erlebt der Begriff der Baukultur in Deutschland eine Hochkonjunktur. Doch trotz intensiver Debatte über die Kultur des Bauens erhebt...

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16. Dezember 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Warenhaus der Visionen

Mit Warenhäusern wurde der vor 100 Jahren verstorbene Berliner Architekt Alfred Messel bekannt. Von ihm stammt aber auch das Pergamonmuseum. Nun widmen die Sonderausstellungshallen Kulturforum in Berlin dem Wegbereiter der Moderne eine sehenswerte Ausstellung.

Mit Warenhäusern wurde der vor 100 Jahren verstorbene Berliner Architekt Alfred Messel bekannt. Von ihm stammt aber auch das Pergamonmuseum. Nun widmen die Sonderausstellungshallen Kulturforum in Berlin dem Wegbereiter der Moderne eine sehenswerte Ausstellung.

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23. Oktober 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Nofretete und der Elch

Mit der Wiedereröffnung des Neuen Museums kehrt die Büste der Nofretete an ihren historischen Standort auf der Berliner Museumsinsel zurück. Das von David Chipperfield restaurierte und ergänzte Museum erweist sich als ideales Ausstellungsgebäude für die archäologischen Sammlungen der Staatlichen Museen.

Mit der Wiedereröffnung des Neuen Museums kehrt die Büste der Nofretete an ihren historischen Standort auf der Berliner Museumsinsel zurück. Das von David Chipperfield restaurierte und ergänzte Museum erweist sich als ideales Ausstellungsgebäude für die archäologischen Sammlungen der Staatlichen Museen.

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verknüpfte Bauwerke
Neues Museum - Wiederaufbau

15. Oktober 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Einfach monumental

Mit der neuen Bibliothek in Berlin, dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, hat der Schweizer Architekt Max Dudler einen markanten Neubau verwirklicht. Die renommierte Humboldt-Universität setzt mit dem Gebäude einen kräftigen architektonischen Akzent.

Mit der neuen Bibliothek in Berlin, dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, hat der Schweizer Architekt Max Dudler einen markanten Neubau verwirklicht. Die renommierte Humboldt-Universität setzt mit dem Gebäude einen kräftigen architektonischen Akzent.

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verknüpfte Bauwerke
Zentralbibliothek der Humboldt-Universität

12. Oktober 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Europäische Architektur im Dialog

Wie unter einem Brennglas präsentiert sich in Luxemburg die europäische Architekturentwicklung: Während Christoph Ingenhoven mit dem Neubau der Europäischen Investitionsbank die Präsenz der Europäischen Union auf dem Kirchberg-Plateau ausbaut, hat Rob Krier am Rand der Altstadt die Cité Judiciaire in traditioneller Formensprache verwirklicht.

Wie unter einem Brennglas präsentiert sich in Luxemburg die europäische Architekturentwicklung: Während Christoph Ingenhoven mit dem Neubau der Europäischen Investitionsbank die Präsenz der Europäischen Union auf dem Kirchberg-Plateau ausbaut, hat Rob Krier am Rand der Altstadt die Cité Judiciaire in traditioneller Formensprache verwirklicht.

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03. Oktober 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Sylter Verwandlungen

Die Nordseeinsel Sylt gehört zu den beliebtesten Ferienzielen Deutschlands. Nun soll sie durch Hotelneubauten noch attraktiver werden. An einigen Stellen bedrohen diese das sensible Gleichgewicht. Doch im Inselsüden bewirken sie einen positiven Imagewandel.

Die Nordseeinsel Sylt gehört zu den beliebtesten Ferienzielen Deutschlands. Nun soll sie durch Hotelneubauten noch attraktiver werden. An einigen Stellen bedrohen diese das sensible Gleichgewicht. Doch im Inselsüden bewirken sie einen positiven Imagewandel.

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02. Oktober 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die moderne Stadt als Heimat

Unter dem Titel «In der Zukunft leben» untersucht eine Ausstellung im Deutschen Architekturzentrum in Berlin, wie Städtebilder in Deutschland durch Bauten der 1950er bis 1970er Jahre geprägt wurden. Die Schau bemüht sich um eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Qualitäten und Schwächen dieser Architektur.

Unter dem Titel «In der Zukunft leben» untersucht eine Ausstellung im Deutschen Architekturzentrum in Berlin, wie Städtebilder in Deutschland durch Bauten der 1950er bis 1970er Jahre geprägt wurden. Die Schau bemüht sich um eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Qualitäten und Schwächen dieser Architektur.

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24. Juli 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Motor der Moderne

Das von Walter Gropius vor neunzig Jahren in Weimar gegründete Bauhaus gilt als eine der einflussreichsten Kunst- und Architekturschulen des 20. Jahrhunderts. Eine umfangreiche Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau feiert nun diesen Motor der Moderne und bietet einen umfassenden Überblick über die vielfältige Kunstproduktion des Bauhauses.

Das von Walter Gropius vor neunzig Jahren in Weimar gegründete Bauhaus gilt als eine der einflussreichsten Kunst- und Architekturschulen des 20. Jahrhunderts. Eine umfangreiche Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau feiert nun diesen Motor der Moderne und bietet einen umfassenden Überblick über die vielfältige Kunstproduktion des Bauhauses.

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21. Juli 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die letzte Messe ist gelesen

Aufgrund der demografischen Entwicklung und eines rückläufigen Gottesdienstbesuchs werden in Deutschland immer weniger Kirchen benötigt. Doch was soll mit jenen überflüssigen Gotteshäusern geschehen, die als architektonische Meisterwerke gelten? Während für einige bereits neue Nutzungen gefunden wurden, ist die Zukunft vieler Kirchen völlig ungewiss.

Aufgrund der demografischen Entwicklung und eines rückläufigen Gottesdienstbesuchs werden in Deutschland immer weniger Kirchen benötigt. Doch was soll mit jenen überflüssigen Gotteshäusern geschehen, die als architektonische Meisterwerke gelten? Während für einige bereits neue Nutzungen gefunden wurden, ist die Zukunft vieler Kirchen völlig ungewiss.

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01. Mai 2009Jürgen Tietz
TEC21

Schattenspiel oder Spiegelfechterei?

Mit seinem hohen Satteldach und dem grauen Putz fügt sich das unscheinbare Einfamilienhaus in der Dessauer Ebertallee ins Bild einer harmlosen Vorstadtidylle. Nach seinen ehemaligen Besitzern «Haus Emmer» genannt, hätte das Gebäude kaum überregionale Bekanntheit erlangt, stünde es nicht auf dem Keller des einstigen Wohnhauses des Bauhausdirektors Walter Gropius. Dieses ist zum Spielball geworden in der Debatte um Rekonstruktion oder abstrakte Komposition schwarzer Kuben.

Mit seinem hohen Satteldach und dem grauen Putz fügt sich das unscheinbare Einfamilienhaus in der Dessauer Ebertallee ins Bild einer harmlosen Vorstadtidylle. Nach seinen ehemaligen Besitzern «Haus Emmer» genannt, hätte das Gebäude kaum überregionale Bekanntheit erlangt, stünde es nicht auf dem Keller des einstigen Wohnhauses des Bauhausdirektors Walter Gropius. Dieses ist zum Spielball geworden in der Debatte um Rekonstruktion oder abstrakte Komposition schwarzer Kuben.

Nachdem das Bauhaus 1925 Weimar verlassen musste, fand es in Dessau seine neue Heimat. Hier entstanden neben dem Meisterhaus für Gropius 1925 / 26 auch drei Doppelhäuser für die legendären Bauhausmeister Lyonel Feininger, Lazlo Moholy-Nagy, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Georg Muche und Oskar Schlemmer. Es waren programmatische Bauten, ineinandergeschachtelte Kuben mit mächtigen Atelierfenstern und Terrassen, an denen genauso wie beim nahen Bauhaus selbst der Duktus der Bauhaus-Moderne zele briert wurde. Die Geschichte ging freilich nicht sonderlich sorgsam mit diesen Inkunabeln der Moderne um: So verschwand in den 1970er-Jahren die «Trinkhalle», die Eduard Ludwig nach einem Entwurf des letzten Bauhausdirektors Ludwig Mies van der Rohe 1932 als Auftakt zur Meisterhaussiedlung verwirklicht hatte, ebenso wie das angrenzende Meisterhaus von Gropius. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, genauso wie die Moholy-Nagy- Hälfte des benachbarten Meisterhauses. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Bauhaus längst aufgelöst worden, nachdem Mies van der Rohe in Berlin einen letzten vergeblichen Versuch zur Wiederbelebung unternommen hatte: Mit seiner offi ziellen Schliessung am 10. August 1933 war Mies dem Druck der Nationalsozialisten erlegen. Das Bauhaus war Geschichte. 1956 entstand in Dessau anstelle von Gropius’ Meisterhaus, von dem nur Garage und Keller – samt eingemauertem Weinregal – überdauerten, das schlichte Haus Emmer im traditionellen Stil. Schliesslich hatte das Neue Bauen nicht nur im Dritten Reich einen schweren Stand, sondern auch in der Frühzeit der DDR.

Damals bestimmte der sozialistische Bruder in Moskau die Richtung in Architekturfragen. Ab 1950 war in der DDR daher statt klassischer Moderne das Bauen im «nationalen Stil» gefordert. Kein Wunder also, dass auch die erhaltenen Meisterhäuser zu DDR-Zeiten kaum noch eine Ähnlichkeit mit ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild aufwiesen: Die skulpturale Wirkung der weissen Kuben war unter Anbauten, Kaminen, Sprossenfenstern und Rauputz so gründlich versteckt, dass kaum mehr zu erahnen war, dass es sich hier um die Vorreiter eines befreiten Wohnens inmitten einer grosszügigen Parklandschaft handelte. Eine Wende in der Wertschätzung der Meisterhäuser brachte erst die deutsche Wiedervereinigung 1990: Danach wurden die erhaltenen Meisterhäuser aufwendig restauriert und saniert. Dabei mangelte es jedoch am wünschenswerten denkmalpfl egerischen Fingerspitzengefühl, das ihnen aufgrund ihrer hohen künstlerischen und geschichtlichen Bedeutung hätte zukommen müssen. Doch im strukturschwachen Dessau erschien es offenbar besonders wichtig, vorrangig die optische Wirkung des Ensembles Meisterhäuser zurückzugewinnen, um mit diesem Pfund touristisch wuchern zu können.

Gropius' Rückkehr

Nachdem es der «Stiftung Meisterhäuser» nach der Jahrtausendwende gelang, das Haus Emmer aus Privatbesitz zu erwerben, wurde auch überregional lange und intensiv über die Zukunft des Ensembles diskutiert. Drei grundsätzliche Möglichkeiten waren dabei denkbar: das Satteldachhaus als beredtes Zeitzeugnis für die Rezeption der Moderne an seinem Ursprungsort zu belassen, ein neues, zeitgenössisches Eingangsgebäude zur Siedlung zu errichten oder das Gropius-Direktorenwohnhaus weitgehend zu rekonstruieren. Im Dezember 2007 wurde ein als «Städtebauliche Reparatur» ausgeschriebener internationaler Wettbewerb für die zukünftige Gestaltung des Entrées der Meisterhaussiedlung ausgelobt. Hier wird dringend eine Anlaufstelle für die Besucher des Ensembles benötigt, samt Buchladen, Sonderausstellungsraum und Vortragssaal. Dabei handelt es sich um ein Raumprogramm, das – auch aus konservatorischen Gründen – in keinem der anderen Meisterhäuser Platz fi ndet. Doch das Wettbewerbsergebnis war in den Augen der Preisrichter offenbar nicht befriedigend, denn anstelle eines ersten Preises vergab man lediglich zwei zweite Preise. Mit der weiteren Ausarbeitung wurde daraufhin das Zürcher Büro Nijo von Nina Lippuner und Johannes Wick beauftragt. Ihr Entwurf sah eine abstrakte Komposition schwarzer Kuben anstelle der Häuser Moholy-Nagy und Gropius vor, deren Abmessungen sich zwar am verlorenen historischen Bestand orientieren, sich ansonsten aber wie die Schatten der verlorenen Originale ausnahmen.

Mit Argwohn hat der «International Council on Monuments and Sites» (Icomos), der die Unesco in Welterbefragen offi ziell berät, auf die Welterbestätte Meisterhäuser geblickt. Noch ehe der Wettbewerb entschieden war, kam das Ensemble auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten: So plädierte der damalige Icomos-Weltpräsident Michael Petzet im Jahresreport 2006/07 dafür, den aktuellen Zustand des ehemaligen Direktorenwohnhauses beizubehalten, während er für eine Rekonstruktion der Trinkhalle und der fehlenden Hälfte des Hauses Moholy-Nagy eintrat. Intern allerdings machte sich Icomos dagegen für eine deutlich weiter gehende Rekonstruktion stark. So wurde betont, dass es wünschenswert wäre, auch das Gropius-Wohnhaus 1:1 zu rekonstruieren.

Inzwischen sind Nijos schwarze Kuben mit ihrer geplanten Fiberglasoberfl äche vom Tisch, und die Architekten verweigern mit Hinweis auf den Bauherrn die Auskunft über den aktuellen ProjektstandAnstelle des hintergründigen Schatten-Schwarz wird sich der Siedlungsauftakt nämlich künftig im klassisch modernen Weiss des Bauhauses präsentieren – wie seine Nachbarbauten. Doch man geht in Dessau noch einen Schritt weiter. So bestätigt Giulio Marano, der von Icomos mit der Beobachtung der Dessauer Welterbestätte betraut ist, dass die Trinkhalle, der fehlende Hausteil Moholy-Nagy und das Direktorenwohnhaus in ihren Abmessungen rekonstruiert werden sollen. Etwas verschämt wirkt es, wenn der Dessauer Kulturamtsleiter Gerhard Lamprecht, der als Geschäftsführer auch für die Stiftung Meisterhäuser zuständig ist, die Rekonstruktion von Atelier- und Treppenfenstern sowie der Terrassen und Balkone als das «Einfügen von Zitaten» umschreibt. Zumal – so Giulio Marano – die ursprüngliche Verteilung der Fenster in allen Wandfl ächen des Gebäudes angelegt werden soll, jedoch ohne sie jetzt zu öffnen. So solle künftigen Generationen die Möglichkeit gegeben werden, das Erscheinungsbild des Bauwerks von 1925 / 26 (vollständig) zu rekonstruieren!

Verlust der Zeitspuren

Im Inneren der Doppelhaushälfte Moholy-Nagy soll der Grundriss dagegen der neuen Nutzung angepasst werden. Schliesslich werden hier künftig keine Bauhausmeister mehr wohnen, sondern Ausstellungen zu sehen sein. Aus diesem Grund erhält der Bau anstelle eines zweiten Vollgeschosses eine Galerie. Beim Direktorenhaus von Gropius bleibt das erbauungszeitliche Kellergeschoss erhalten. Aus statischen Gründen könnten darüber laut Lamprecht keine zwei Vollgeschosse errichtet werden, wie zunächst gewünscht, sondern lediglich ein grosser Raum. Hier soll künftig über Gropius und die Meisterhaussiedlung informiert werden. Auch Veranstaltungen sollen hier stattfi nden, um so die «originalen» Meisterhäuser zu entlasten. Rund 2.6 Millionen Euro sind für die Rekonstruktion eingeplant, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2010 in Sachsen-Anhalt erfolgt. Bis dahin sollen die Bauten fertiggestellt sein. Die meisten Besucher der Welterbestätte wird es kaum stören, dass sie mit dem idealtypischen Bild der Meisterhaussiedlung konfrontiert werden. Der schwierige Umgang mit dem Erbe der Moderne in den beiden deutschen Diktaturen lässt sich künftig nur noch über Fotos nachvollziehen, die meisten Zeitspuren sind in der Meisterhaussiedlung bis dahin dank dem Rekonstruktionslifting getilgt.

TEC21, Fr., 2009.05.01



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tec21 2009|18 Komplementär

28. April 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Das alles war die Bonner Republik

Von 1964 bis zum Umzug der Bundesregierung nach Berlin diente der Bonner Kanzlerbungalow als Residenz und Empfangsgebäude für die deutschen Bundeskanzler. Nun wurde dieses herausragende Denkmal der deutschen Politik und Architektur behutsam instand gesetzt.

Von 1964 bis zum Umzug der Bundesregierung nach Berlin diente der Bonner Kanzlerbungalow als Residenz und Empfangsgebäude für die deutschen Bundeskanzler. Nun wurde dieses herausragende Denkmal der deutschen Politik und Architektur behutsam instand gesetzt.

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verknüpfte Bauwerke
Kanzlerbungalow

26. März 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Willkommen im Klub

Ein ökologisches Architekturmanifest

Ein ökologisches Architekturmanifest

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17. März 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Aus Schwarz mach Weiss

Seit Jahren wird in Dessau über die Zukunft des Direktoren-Wohnhauses von Walter Gropius gestritten, das mit den anderen Bauhausbauten zum Weltkulturerbe gehört. Jetzt hat sich die Denkmalschutzorganisation Icomos für eine weitgehende Rekonstruktion ausgesprochen. Dabei lässt sie Richtlinien der für das Welterbe zuständigen Unesco ausser acht.

Seit Jahren wird in Dessau über die Zukunft des Direktoren-Wohnhauses von Walter Gropius gestritten, das mit den anderen Bauhausbauten zum Weltkulturerbe gehört. Jetzt hat sich die Denkmalschutzorganisation Icomos für eine weitgehende Rekonstruktion ausgesprochen. Dabei lässt sie Richtlinien der für das Welterbe zuständigen Unesco ausser acht.

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02. März 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die Ganzheit des Fragments

Seit dem Krieg war das Neue Museum auf der Museumsinsel in Berlin eine Ruine. Mit der behutsamen Restaurierung und Ergänzung dieses Meisterwerks von Friedrich August Stüler bietet der Londoner Architekt David Chipperfield ein Beispiel für zeitgemässe Denkmalpflege.

Seit dem Krieg war das Neue Museum auf der Museumsinsel in Berlin eine Ruine. Mit der behutsamen Restaurierung und Ergänzung dieses Meisterwerks von Friedrich August Stüler bietet der Londoner Architekt David Chipperfield ein Beispiel für zeitgemässe Denkmalpflege.

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verknüpfte Bauwerke
Neues Museum - Wiederaufbau

02. Februar 2009Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Goldenes Herzstück

In den letzten Jahren sind auf dem Kirchberg-Plateau in Luxemburg zahlreiche bemerkenswerte Neubauten entstanden. Mit seiner Erweiterung des Europäischen Gerichtshofes ergänzt Dominique Perrault diese Architekturlandschaft jetzt um einen weiteren bedeutenden Baustein.

In den letzten Jahren sind auf dem Kirchberg-Plateau in Luxemburg zahlreiche bemerkenswerte Neubauten entstanden. Mit seiner Erweiterung des Europäischen Gerichtshofes ergänzt Dominique Perrault diese Architekturlandschaft jetzt um einen weiteren bedeutenden Baustein.

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verknüpfte Bauwerke
Europäischer Gerichtshof - Erweiterung

04. November 2008Jürgen Tietz
db

Magie der Ortsspuren

Es muss nicht immer der Ort selbst und ein direkter Bezug auf ihn sein, der eine besondere Architektur entstehen lässt. Unweit von Córdoba haben die Architekten in respektvoller Distanz zu den Ausgrabungsstätten Madinat al-Zahra einen Museums- und Forschungsbereich für die Funde und ihre wissenschaftliche Aufbereitung entworfen. Die Struktur der Ausgrabungsstätte, die südliche Landschaft mit ihren Lichtspielen und die sensible Herangehensweise an die Bauaufgabe ließen einen konzentrierten Ort entstehen, der seine Kraft aus den Themen »Entdecken« und »Entdeckt-werden-wollen« bezieht. Eine reduzierte Materialwahl und eine klare Formensprache unterstützen das Konzept und seine besondere Wirkung auf den Besucher.

Es muss nicht immer der Ort selbst und ein direkter Bezug auf ihn sein, der eine besondere Architektur entstehen lässt. Unweit von Córdoba haben die Architekten in respektvoller Distanz zu den Ausgrabungsstätten Madinat al-Zahra einen Museums- und Forschungsbereich für die Funde und ihre wissenschaftliche Aufbereitung entworfen. Die Struktur der Ausgrabungsstätte, die südliche Landschaft mit ihren Lichtspielen und die sensible Herangehensweise an die Bauaufgabe ließen einen konzentrierten Ort entstehen, der seine Kraft aus den Themen »Entdecken« und »Entdeckt-werden-wollen« bezieht. Eine reduzierte Materialwahl und eine klare Formensprache unterstützen das Konzept und seine besondere Wirkung auf den Besucher.

Es ist nicht viel, was das Museum für die Palaststadt der Omayyaden Madinat al-Zahra bei Córdoba auf den ersten Blick von sich verrät. Doch das Wenige weckt Neugier: Da sind die mannshohen Wände aus weißem Beton, die sich vor der sanft gewellten Mittelgebirgslandschaft der Sierra Morena wegzuducken scheinen. In diesen sind kleine rechteckige Öffnungen ausgespart, die ein abstraktes Muster in die Wand zeichnen. Ungewöhnlich ist auch die Erschließung des Museums. Vom Parkplatz aus führen zwei parallel verlaufende Rampen hinab in das Innere des Gebäudes. Während eine Rampe auf eine weiße Wand zuläuft und verschweigt, was sich dahinter wohl anschließt, endet die andere vor einer großen Tür aus Cortenstahl. Ohnehin der Cortenstahl. Er legt sich als Dachfläche wie eine runzlige Haut auf das weiße Museum und umschließt jene beiden rostroten Kuben, die die niedrigen Museumsmauern überragen und so erahnen lassen, dass hier wohl doch eine größere architektonische Intervention stattgefunden hat.

»Wir mögen die Idee, nicht gleich auf den ersten Blick das ganze Geheimnis eines Hauses zu enthüllen«, beschreibt Enrique Sobejano, der gemeinsam mit seiner Frau Fuensanta Nieto das Madrider Architekturbüro Nieto Sobejano leitet, seine Entwurfshaltung. In Madinat al-Zahra ist ihm das trefflich gelungen. Denn das tief in die Erde eingegrabene Gebäude gibt sich von außen ebenso zurückhaltend wie verlockend, um erst im Inneren seine ganze Wirkung zu entfalten. Wer nämlich die sanft abfallenden Rampen hinabschreitet, der wird mit einem bemerkenswerten Architekturerlebnis belohnt, in dem sich der Zauber der südlichen Landschaft mit dem Geheimnis der tausendjährigen Ruinenstadt Madinat al-Zahra zu einer eindrucksvollen Synthese verbinden.

Transformierte Geschichte

Die Blüte der im Jahr 936 von Abd ar-Rahman III., dem omayyadischen Kalif von Córdoba, gegründeten Palaststadt Medinat al-Zahra dauerte nur kurz. In sanfter Hanglage auf streng orthogonalem Grundriss angelegt, wurde sie bereits 1010 von Berbertruppen wieder zerstört. Was folgte waren 900 Jahre in Vergessenheit, ehe 1911 erste archäologische Grabungen in Madinat al-Zahra stattfanden, dessen Grundfläche bis heute erst zu rund zehn Prozent freigelegt wurde. Um die archäologischen Funde angemessen restaurieren, verwahren aber natürlich auch präsentieren zu können, wurde 1999 ein offener internationaler Wettbewerb ausgelobt, bei dem Nieto Sobejano im Jahr 2000 den 1. Preis errangen. Die Realisierung des zwölf Millionen Euro Projektes dauerte von 2003 bis 2008. Derzeit wird die museale Ausstattung eingebaut, die offizielle Eröffnung des Museums ist für Ende 2008 geplant. Doch schon jetzt zeigt der Bau sein ganz eigenes, unverwechselbares Gesicht. Wer von der höher gelegenen Ausgrabungsstätte in die weite Ebene Córdobas hinabschaut, für den wirkt das rund zehntausend Quadratmeter große Museum wie eine Teppichstruktur, die sich in die Landschaft einwebt. Von Palmen und Wacholder begleitet, breiten sich davor die Mauern der malerischen Ruinenstadt aus. In jahrelanger Sisyphusarbeit setzen dort die Archäologen den in tausende Teile zerbrochenen Bauschmuck der Häuser wieder zusammen. Etliche Wege, Plätze und Patios sind für die Besucher gesperrt, weil hier die Puzzlestücke dieser Fragmente liegen. An einigen Wänden der Ruinenstadt sind die alten Naturstein-Dekorationen bereits wieder angebracht, an anderen hat sich der erbauungszeitliche Wandputz in erdigem Rot und Weiß erhalten.

Konzentrierte Kraft

Es ist charakteristisch für die Architektur von Nieto Sobejano, dass sie in die Gestaltung ihres Museums einfließen lassen, was sie am Ort vorfinden.
Ihre Haltung ist dabei weit entfernt von dem engen formalistischen Korsett architektonischer Kopien. Vielmehr ist es ein inspirierter – und damit zugleich für den Betrachter inspirierender – Übersetzungsprozess, durch den die weiß-rot verputzten mittelalterlichen Wände in weißen Beton und roten Cortenstahl transformiert werden. Und auch der räumliche Dialog der engen Gassen und offenen Patios in Madinat al-Zahra findet sich in der Grundrissstruktur des Museums wieder. Zudem haben es die Madrilenen verstanden, die sinnliche Wirkung der versunkenen Palaststadt auf ihr neues Museum zu übertragen. Das wird bereits im zentralen Foyer am Ende der Eingangsrampe deutlich. Der dunkle Raum mit seiner niedrigen Decke dient nicht nur als Verteiler, von dem es auf der einen Seite zu dem doppelgeschossig eingegrabenen Ausstellungsraum sowie dem Auditorium geht, während sich auf der anderen Seite Bibliothek, Restaurierungswerkstätten und Lagerräume sowie die Büros der wissenschaftlichen Mitarbeiter anschließen. Bereits in diesem Foyer, das sich auf zwei Seiten mit Glasfronten zu einem Patio öffnet, beginnt jenes Spiel mit Licht und Schatten, das den besonderen Zauber des Museums ausmacht. Der Patio entpuppt sich als ein Ort hemmungsloser Südlichkeit, hinterfangen von weißen Betonwänden, an denen sich das seltsame Muster aus kleinen rechteckigen Öffnungen wiederholt. Das Raster des Betonbodens wird seitlich von einem flachen Wasserbecken flankiert, während aus drei rechteckigen Beeten kleine Bäumchen wachsen. So entsteht ein Ort, der ganz in sich selbst ruht, geprägt von formaler Konzentration und Reduktion. Doch so sehr sich dieser Patio zurücknimmt, so ist er eben doch nicht ganz aus der Welt genommen: Einzelne Zweige der Olivenbäume blinzeln über die Mauern und auch die Hügelkuppen der nahen Sierra Morena sind zu sehen. Über allem aber breitet sich das unendliche Blau des spanischen Himmels aus und ergänzt den farblichen Dualismus des Hofes.

Durch enge, labyrinthisch wirkende Flure, die von der Decke natürliches Licht erhalten, gelangt man in einen weiteren Hof – vorbei an Wänden aus Glas, dunklem Irokoholz und weißem Beton. Dieser Patio ist nur ein schmaler Schlauch, der von hohen Wänden eingefasst wird und dessen eigentliche Aufgabe es ist, den angrenzenden Maisonetten der Restaurierungswerkstätten natürliches Licht zu spenden. Doch mit ihm ist Nieto Sobejano ein Ort von geradezu sakraler Aura gelungen, und das, obwohl sie lediglich das bereits bekannte Formen- und Materialvokabular verwenden. Den Höhepunkt dieses Patios bildet eine Cortenstahlwand, die eine der Schmalseiten des Hofes begrenzt und ihn zugleich deutlich überragt. Wie ein mächtiger Altar wächst sie empor und verbindet den Hof mit dem südlichen Blau des Himmels. Unbezwingbar ist der Wunsch, sich in diese raue Wand zu versenken, ihre Strukturen und Abplatzungen mit Blicken und Fingern nachzufahren.

Funktionale Überraschung

Bei aller Poesie der Räume und Materialien, der Referenzen an Ort und Geschichte haben Nieto Sobejano mit der eingegrabenen Teppichstruktur zugleich ein funktionales Museum verwirklicht. Natürlich mit einem Café – das sich zu einem weiteren, kleinen Patio öffnet, zu dem die zweite Eingangsrampe hinabführt.
Die nichtöffentlichen Bereiche des Museums umfassen neben den Restaurierungswerkstätten auch Lagerräume und eine Anlieferung für den schweren Bauschmuck der Ausgrabungsstätte. Dunkle Wände aus Irokoholz verleihen der Bibliothek und den Büros eine gediegene Atmosphäre. Hier endlich erklären sich auch die kleinen Wandöffnungen als Fenster, die die Arbeitsräume gegen die südliche Hitze abschirmen und dennoch ein gefiltertes Licht eindringen lassen. Doch noch einmal weiß der Bau zu überraschen, nämlich mit seinem großen, doppelgeschossigen Ausstellungsraum, den man in diesen Abmessungen kaum in einem Baukörper vermuten würde, der nur knapp mannshoch aus der Erde ragt. Über eine lang gestreckte Rampe verlassen die Besucher diese Museumswelt wieder, um in die Palaststadt der Omayyaden zurückzukehren. Und während sie den Hang emporsteigen, versinkt hinter ihnen das Museum in der Landschaft. So lautstark und häufig wird der Genius loci derzeit von Architekten beschworen, dass man längst misstrauisch geworden ist. Und tatsächlich wird das damit verbundene Versprechen, sich auf Vorgefundenes zu beziehen, Ort und Geschichte aufzunehmen und weiterzudenken, nur sehr selten in der gebauten Wirklichkeit auch eingelöst. Umso mehr weiß das Museum in Madinat al-Zahra zu überzeugen, da es den Bezug zum Ort respektvoll und ohne Platituden aufnimmt und in die Gegenwart übersetzt, indem es den geheimen Geist des Ortes in sich bewahrt.

db, Di., 2008.11.04



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db 2008|11 Genius Loci

13. September 2008Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerische Neuerfindung

Mit Museumserweiterungen, Universitätsbauten und Wohntürmen erfindet sich Toronto neu. Dabei kommen nicht nur die Grossen der Architekturszene wie Daniel Libeskind und Frank O. Gehry zum Zug. Auch einheimische Architekten setzen in der Stadt am Ontariosee Zeichen.

Mit Museumserweiterungen, Universitätsbauten und Wohntürmen erfindet sich Toronto neu. Dabei kommen nicht nur die Grossen der Architekturszene wie Daniel Libeskind und Frank O. Gehry zum Zug. Auch einheimische Architekten setzen in der Stadt am Ontariosee Zeichen.

Es handelt sich um eine glanzvolle, aber späte Heimkehr für den 1929 in Toronto geborenen Frank O. Gehry. Mitte November nämlich wird in seiner Heimatstadt die von ihm entworfene Erweiterung der Art Gallery of Ontario (AGO) eröffnet. Für Gehry, der von Basel bis Boston schon in aller Welt gebaut hat, ist es erstaunlicherweise das erste in Kanada verwirklichte Grossprojekt. Dabei erscheint die Transformation der Art Gallery zumindest von aussen weniger spektakulär als einige ältere Museumsprojekte Gehrys, allen voran der Paukenschlag des Guggenheim-Museums in Bilbao. Der Bau im Zentrum von Toronto gibt sich städtisch gezähmt, aber gleichwohl prägnant mit einer Glasfassade, die sich wie eine Welle des Lake Ontario vor dem Galeriegebäude an der Dundas Street West hebt und senkt. Weniger inspiriert wirkt die hohe Box, mit der Frank Gehry das bestehende Museum auf der Rückseite ergänzt und dadurch auch den Charakter des sich gleich hinter dem Museum weitenden Grange Park verändert.

neue Entdeckungen

Die Erweiterung der Art Gallery bildet den vorläufigen Schlussstein in der gegenwärtigen baukünstlerischen Verwandlung Torontos. Seit einigen Jahren ist die Stadt dabei, sich als «design city» neu zu erfinden und dabei jenen architektonischen Grauschleier abzulegen, der manche der mittelmässigen Betonburgen umgibt, die während Torontos letztem grossem Bauschub in den siebziger Jahren entstanden sind. Für Bruce Kuwabara, Partner im renommierten kanadischen Architekturbüro Kuwabara Payne McKenna Blumberg (KPMB), befindet sich Toronto «an einem entscheidenden Punkt in seiner Geschichte». Nie sei hier das Interesse an Architektur, Städteplanung und Design grösser gewesen als heute. Die städtebauliche Entwicklung werde intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert. Tatsächlich spiegelt sich dieser Diskussionsprozess nicht nur in den traditionellen Medien wider, sondern auch auf zahlreichen Websites, die sich intensiv mit der Gestaltung Torontos auseinandersetzen und dabei Position beziehen.

Das neue Toronto gibt sich bunt und vielfältig in den architektonischen Formen – auch wenn nicht alle Projekte der letzten Jahre völlig überzeugen können. Gleichwohl ist die kulturelle Aufbruchstimmung in der quirligen Metropole unverkennbar. Dabei besitzt die «Renaissance der Städte» hier ein durchaus anderes Antlitz als in Europa. Dieses wird nicht nur durch zahlreiche neue Bauten für Kultur und Wissenschaft geprägt, sondern auch durch etliche neue Condominium-Towers, die hoch in den Himmel von Downtown Toronto ragen. Einige Protagonisten der architektonischen Neupositionierung sind alte Bekannte aus dem globalen Architekturzirkus, etwa Daniel Libeskind, von dem die Planung für einen dynamisch L-förmigen Wohnturm stammt. Er wird künftig dem ehrwürdigen, in den frühen 1960er Jahren entstandenen «Sony Centre for the Performing Arts» (von Peter Dickinson mit Page und Steele) an der prominenten Kreuzung von Yonge und Front Street bedrohlich nahe rücken.

Von Libeskind stammt auch die zweite neue Architekturikone neben Gehrys Art Gallery, mit der sich Toronto seit dem Sommer 2007 schmückt: Zwischen die Flügel des Royal Ontario Museum (ROM) hat Libeskind eine mächtige Stahlstruktur aus ineinander verschachtelten Kuben geschoben. Neben einer neuen, grosszügigen Eingangshalle entstehen so Ausstellungsräume für die natur- und kulturhistorischen Sammlungen des ROM. Die vielgelobte «kristalline» Architektur des Hauses könnte man ganz einfach auch als eckig beschreiben, bedient sich Libeskind doch beim ROM letztlich einer dem Jüdischen Museum in Berlin verwandten Formensprache. Die expressive Geste der dramatisch weit in den Strassenraum ragenden Erweiterung bleibt auch im Inneren des ROM als Leitmotiv sichtbar und besitzt dabei durchaus faszinierende Momente. Etwa wenn gewaltige Saurierskelette durch Libeskinds dekonstruierte Raumwelten mit den eingeschnittenen schmalen Fensterstreifen zu schweben scheinen. Allerdings dominiert die klobige Architektur die Exponate allzu sehr; und der eine oder andere Weg durch die Museumsräume endet für die Besucher überraschend im Nichts. Zudem zeugt Libeskinds Architektur nicht gerade von einem sensiblen Umgang mit den Schnittstellen zwischen Alt- und Neubau.

Weit weniger exaltiert, ja fast schon europäisch in seiner subtilen Gestaltung des Übergangs vom öffentlichen Strassenraum zur abgestuften Fassade erweist sich demgegenüber das Gardiner Museum of Ceramic Arts, das sich gleich neben dem ROM erhebt. Entworfen haben den Neubau Kuwabara, Payne, McKenna, Blumberg aus Toronto. Vor rund zwanzig Jahren gegründet, zählt das Büro KPMB zu den derzeit interessantesten der kanadischen Architekturszene. Wie Libeskind beim ROM gingen auch KPMB beim Gardiner Museum vom Motiv des Kubus aus, doch im Endergebnis unterscheiden sich die beiden Architekturen grundlegend: Die geometrischen Formen des Gardiner sind nicht wie bei Libeskinds ROM-Erweiterung wild ineinander verschachtelt. Vielmehr ragen die mit hellbraunem Kalkstein verkleideten Volumen unterschiedlich weit – aber wohlgeordnet – in den Stadtraum hinein. So entsteht eine angenehme Empfangssituation für die Museumsbesucher. Vor allem im Dämmerlicht bieten die grossen Glasflächen reizvolle Einblicke in das ansprechende Museum, das kürzlich mit einem internationalen Preis des Royal Institute of British Architects (RIBA) ausgezeichnet wurde.

Kulturelle Vielfalt

Wie sehr der architektonische Aufbruch Torontos vom vielfältigen kulturellen Angebot der Metropole bestimmt wird, zeigt sich nicht nur an den zahlreichen Museumserweiterungen. Deutlich wird dies auch an der neuen Oper Torontos, dem Four Seasons Centre for the Performing Arts, das von Diamond & Schmitt Architects entworfen wurde. Es ist ebenfalls ein ruhiger, aber keineswegs langweiliger Bau. Mit seinem Materialdialog aus geschlossenen dunklen Ziegelflächen und weiten Glasöffnungen fügt er sich klug in das städtische Gefüge ein. Zugleich lädt er zum Blick von aussen in das grosszügige Foyer ein. Dort bietet sich eine wohlinszenierte Komposition aus umlaufenden Galerien, die mit einer spektakulären «Himmelsleiter»-Treppe verbunden werden. Als zusätzlicher Blickfang und gleichzeitig als Sichtschutz für die Zugänge zu den Besucherrängen dient eine leicht geschwungene Wand aus horizontalen Holzlamellen, die in ihrem Duktus an Arbeiten Alvar Aaltos denken lässt. Diese wirkungsvolle Kombination von Elementen der Moderne verweist auf die Wurzeln von Jack Diamond, der zu Beginn seiner Karriere im Büro von Louis Kahn gearbeitet hat.

Unweit der neuen Oper entsteht derzeit in der King Street West das neue Festivalcenter des jährlich Anfang September stattfindenden Filmfests von Toronto, das gerne als Auftakt zur Filmpreis-Saison Hollywoods bezeichnet wird. Der Bau der «Bell Lightbox» (Fertigstellung 2009) soll zu einer «senkrechten Stadt des Films» werden, wie es Bruce Kuwabara von KPMB formuliert. Das Konzept sieht einen im unteren Bereich stark gegliederten Baukörper vor, der dem Filmfestival eine architektonische Visitenkarte liefern und zudem von einem insgesamt 46-geschossigen Wohngebäude (Fertigstellung 2010) bekrönt werden soll. Während sich das im Bau befindliche Festivalcenter konsequent in die neuen innerstädtischen Hochhausprojekte einfügt, trifft man im ehemaligen Distillery District auf ein ganz anderes Toronto und zugleich auf eine ganz andere Architektursprache von KPMB.

Keine fünfzehn Minuten zu Fuss von der lärmenden Betriebsamkeit der Yonge Street entfernt, die Toronto wie eine Pulsader der Länge nach durchläuft, werden die Häuser niedriger und die Lücken zwischen ihnen grösser. Der Takt der Grossstadt verlangsamt sich merklich, und die vom legendären CN Tower, dem Wahrzeichen der Stadt, überragten Hochhäuser rücken ein Stück zurück. Doch selbst hier, am Rand der Old Town, hat der neue Bauboom seine Spuren hinterlassen, überragt ein eben fertiggestellter Wohnturm den erfolgreich wiederbelebten Distillery District. Doch der Turm hält den ziegelroten Backsteinbauten der einstigen Fabrikanlage nicht stand und entschwindet schnell aus dem Blick.

Der Distillery District ist ein abgeschlossener kleiner Bezirk, in dessen stimmungsvollem Ambiente sich in den letzten Jahren eine Kunst- und Kulturszene angesiedelt hat. Dabei wurden die historischen Backsteinhallen mit einer vorbildlich zurückhaltenden Architektur ergänzt und bieten nun viel Raum für Galerien und Designerläden. So ist ein für Kanada eher ungewöhnliches Areal entstanden, das – zumal in den Sommermonaten – zahlreiche Touristen anzieht. Mit übersichtlichen Lageplänen logistisch bestens ausgestattet, flanieren sie durch die Läden und Backsteingassen oder lassen sich in einem der Restaurants nieder. Am Rand des Distillery District haben KPMB das «Young Centre for Performing Arts» verwirklicht, ein Low-Budget-Projekt, das zu einem grossen Teil aus Spenden finanziert wurde. Dank den sensiblen Um- und Einbauten hat das Fabrikgebäude seinen Denkmalcharakter und vor allem seinen Charme bewahrt. Die roten Ziegel der Fassade werden im anheimelnden Foyer, das auch ein Café beherbergt, durch Einbauten aus warmen Holztönen ergänzt, ohne dass dabei der industrielle Charakter des Hauses verschleiert würde. Zur gelungenen Wirkung des Umbaus trägt auch die offene Dachkonstruktion mit ihren Holzbindern bei, die die alten Mauern leicht überragt. Verglichen mit den neuen innerstädtischen Millionenprojekten erweist sich das Young Centre zwar als eher unspektakulär – aber dank seiner stimmungsvollen Intimität ist es dennoch eines der schönsten und überzeugendsten Kulturzentren des neuen Toronto.

Mikado-Pixel

Dass der Umgang mit vorhandener Bausubstanz auch eine ganz andere Gestalt als beim Young Centre annehmen kann, hat der Brite Will Alsop mit seiner bereits 2004 fertiggestellten Erweiterung des Sharp Centre des Ontario College of Art and Design (OCAD) bewiesen, das gleich hinter der Ontario Art Gallery liegt. Neben dem altbekannten Postkartenmotiv des CN Tower ist der spektakuläre Alsop-Bau bereits zu einem der neuen architektonischen Wahrzeichen der Stadt aufgestiegen. Wie die auseinanderpurzelnden Stäbe eines Mikadospiels hat Alsop zwölf farbige Stahlstützen vor dem Altbau verteilt. Zusammen mit einem schwarzgestrichenen Erschliessungsturm aus Beton und einem schrägen Fluchttreppenhaus in knalligem Rot tragen sie die doppelgeschossige Box des neuen «Sharp Centre for Design». Der Neubau mit seiner schwarz-weiss gepixelten Fassade, über welche die Fenster unregelmässig verteilt sind, schwebt wie eine Bildstörung über dem Backsteinbau.

Auch beim zweiten Blick bleibt diese «Bildstörung» bestehen und verdichtet sich zur atemberaubenden Architekturikone. Sie spielt mit dem Erbe der Moderne und den Ideen der freischwebenden Wolkenbügelvisionen der russischen Konstruktivisten ebenso wie mit den Luftgeschossen eines Le Corbusier. Dabei gelingt es Alsop, unter dem weit auskragenden Baukörper einen einzigartigen öffentlichen Raum zu gestalten, der an den Grange Park anschliesst. In dem für Toronto typischen, aus niedrigen alten Backsteinbauten und neuen, höheren Wohnhäusern bestehenden Gebäudemix des Viertels setzt das Sharp Centre einen aussergewöhnlichen Akzent. Dieses freundliche Raumschiff vermittelt eine klare Botschaft: Design bietet mehr als das konventionelle Fortspinnen des Gewohnten. So wird es zu einem wirkungsvollen Markenzeichen für das OCAD. Eine ganze Stadt aus solchen Bauten wäre wohl ein Albtraum, aber ein einzelnes derartiges Zeichen in der Stadt kann zum Blickfang werden – und eine inspirierend kritische Sicht des gebauten Mainstreams fördern.

Wer in die Genese von Alsops Sharp Centre eintauchen will, der kann das bis zum 5. Oktober in Torontos ungleicher Schwesterstadt Montreal tun. Dort zeigt das Centre Canadien d'Architecture (CCA) in der Ausstellung «Will Alsop – OCAD, an Urban Manifesto» neben Entwurfszeichnungen und Collagen auch mehrere Filme, in denen man die Konstruktion und Entstehung des Gebäudes nachvollziehen kann.

Transformationsprozess

Ganz so spektakulär wie nach aussen gibt sich das Sharp Centre im Inneren nicht. Dort bleibt es eine vergleichsweise konventionelle Metall-Box, deren Stahlkonstruktion betont industriell wirkt. Das passt zwar zum Werkstattcharakter der Ausbildung, fällt aber gegenüber der Aussenwirkung ästhetisch etwas ab. Gerade Alsops Sharp Centre macht deutlich, dass der architektonische Aufbruch Torontos keineswegs allein auf die Ankurbelung des Tourismus schielt. Eine ebenso deutliche Sprache sprechen auch die zahlreichen neuen Wohntürme, die an der Hafenfront entstehen: Toronto ist als Wohnort attraktiv. Am Ufer des Ontariosees, der sich wie ein gewaltiges Binnenmeer vor der Stadt ausdehnt, liegt auch das grösste Entwicklungsgebiet der Agglomeration. Denn für die Stadt wäre es fatal, wenn das attraktive architektonische Amalgam verschwände, das das geschäftige Zentrum der Stadt rechts und links der Yonge Street rahmt – jene inspirierende Mischung, in der die Ziegelfassaden und Türmchen der kleinteiligen, manchmal etwas miefigen älteren Bebauung der Zeit um 1900 in einen krassen Dialog mit den betongrauen Bauten der Nachkriegszeit und den gläsernen Architekturen der Gegenwart treten. Dazwischen breiten sich unvermittelt Parkplätze, aber auch malerische Parks aus. Doch eine schmerzhafte Narbe zieht sich durch das Weichbild der Stadt: der Gardiner Expressway, eine breite Hochstrasse, die Toronto vom Ufer des Ontariosees abschneidet. Ein Blick hinab von den schwindelnden Höhen des CN Tower macht schnell deutlich, welche städtebauliche Katastrophe dieser breite Expressway darstellt. Ihn als Fussgänger zu unterqueren, kommt einem lärmenden Gang durch die Hölle gleich.

Im preisgekrönten Entwurf zur Neugestaltung der Hafenfront des Rotterdamer Büros West 8 findet man wohl einige putzige künstliche Inseln in Ahornblattform, die der Stadt im Ontariosee vorgelagert werden sollen – den Gardiner Expressway aber sucht man zum Glück vergebens. Dessen Zukunft wird in Toronto allerdings weiterhin kontrovers diskutiert. Der Ausgang ist offen, auch wenn man sich wünschen würde, dass der Expressway in einen Tunnel unter der Erde verlegt wird. Doch wie auch immer die Zukunft dieser Hochstrasse aussieht – die weitere Entwicklung des Hafenareals bildet den nächsten Schritt im Transformationsprozess der Stadt. Denn: Torontos Aufbruch dauert an.

[ Dr. Jürgen Tietz ist Architekturhistoriker und Publizist in Berlin ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2008.09.13

18. Juli 2008Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schlussstein ohne Esprit

Vor wenigen Tagen wurde mit dem Neubau der amerikanischen Botschaft die letzte Baulücke am Pariser Platz geschlossen. Seine «kritische Rekonstruktion» ist damit knapp zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer vollendet. Das Resultat vermag nicht recht zu überzeugen.

Vor wenigen Tagen wurde mit dem Neubau der amerikanischen Botschaft die letzte Baulücke am Pariser Platz geschlossen. Seine «kritische Rekonstruktion» ist damit knapp zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer vollendet. Das Resultat vermag nicht recht zu überzeugen.

Gelegentlich erweist sich die Dramaturgie der Geschichte als bestechend. Zum Beispiel am Pariser Platz in Berlin. Dort hielt Ronald Reagan 1987 jene Rede, die inzwischen zu den legendären Ansprachen amerikanischer Präsidenten in der geteilten Stadt zählt. Den Platz mit dem Brandenburger Tor in seinem Rücken, forderte Reagan seinen sowjetischen Gegenspieler auf: «Mr. Gorbatschew: open this gate.» Wohl kaum einer der Zuhörer glaubte damals ernsthaft daran, dass der Eiserne Vorhang zwei Jahre später fallen würde. Doch mit der Öffnung des Brandenburger Tors wandelte sich das Symbol der deutschen Teilung zum Symbol der deutschen Wiedervereinigung. Vor wenigen Tagen nun setzten die USA mit der Einweihung ihrer Botschaft am historischen Standort erneut ein Zeichen. Schliesst diese doch die Randbebauung des Pariser Platzes.

Berlins «gute Stube»

Im Jahre 1931 hatten die Amerikaner an der Südwestecke des Platzes für ihre Botschaft das «Palais Blücher» erworben. Ein prominenter Standort – nicht nur weil die Franzosen bereits mit ihrer Vertretung am Platz zugegen waren. Auch der Reichstag und die Ministerien an der alten «Preussischen Regierungsmeile», der Wilhelmstrasse, lagen in der Nähe. Doch noch ehe die amerikanische Botschaft die Arbeit in ihren neuen Räumen aufnehmen konnte, brannte das Palais aus. Ab 1939 diente es dann doch noch als Botschaft, allerdings nur bis zum kriegsbedingten Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Nach dem Zweiten Weltkrieg erging es der Botschaftsruine wie allen übrigen Gebäuden am Pariser Platz – sie wurden abgeräumt, denn das Gelände zu Seiten des Brandenburger Tores lag im Grenzgebiet der geteilten Stadt.

Mit der deutschen Wiedervereinigung setzte eine heftige Diskussion über die Zukunft des Pariser Platzes ein, der zum Laboratorium für die von Hans Stimmann propagierte «kritische Rekonstruktion» des steinernen Berlin aufstieg. Der Senat erliess eine kleinteilige Gestaltungssatzung für die «gute Stube» der Stadt am Ende der Strasse Unter den Linden, in der die Bauhöhen und steinernen Fassadenverkleidungen festgelegt waren. Dabei war Anfang der 1990er Jahre noch nicht einmal klar, ob das Brandenburger Tor wieder «eingebaut» werden sollte – schliesslich gab es auch Vorschläge, das Tor frei stehen zu lassen und es damit hervorzuheben. Keine ganz neue Idee, war doch im 20. Jahrhundert mehrfach erwogen worden, das Tor frei zu stellen.

Doch es kam anders: Inzwischen ist das Tor wieder wie vor dem Krieg von den Häusern Sommer und Liebermann eingefasst. Josef Paul Kleihues (1933–2004), der als Vater der «kritischen Rekonstruktion» gilt, verlieh ihnen ein frei interpretiertes, klassizistisch angehauchtes Fassadengewand, das eine entfernte Erinnerung an die zerstörten Vorgängerbauten wachhält. Im Blickpunkt aber steht vor allem das frühklassizistische Brandenburger Tor mit der es bekrönenden Quadriga, ein Nationalsymbol mit Werbekraft. Ob Silvesterparty oder Fussballfest – mit schöner Regelmässigkeit wird das Tor zur Hintergrundsfolie von Grossveranstaltungen degradiert. Denn das Brandenburger Tor überstrahlt alle anderen Bauten am Pariser Platz. Dabei wirbt Christian de Portzamparcs französische Botschaft mit betongrauem Sockel, ungewöhnlichen Fensterformaten und wehender Tricolore um Aufmerksamkeit, während die historisierende Aussenhülle des neuen alten Hotels Adlon so tut, als hätte sie das 20. Jahrhundert ohne jeden Schaden überstanden. Doch das «Adlon» ist ebenso ein Neubau wie die angrenzende Akademie der Künste von Günther Behnisch und Werner Durth, in deren dunkler Glasfassade sich die anderen Bauten des Platzes spiegeln. Die Akademie ist der einzige Bau, der sich dem Diktat der Gestaltungssatzung erfolgreich widersetzt hat. Das führte zwar nicht zu einer herausragenden Architektur, jedoch zu einer gewissen Belebung der sonst allzu steinernen Platzwelt.

Grenzen der Offenheit

Nach der Vollendung des Akademie-Neubaus wartete einzig die Südwestecke des Pariser Platzes noch auf Vollendung. Zwar hatten sich die Amerikaner schon früh dafür entschieden, den alten Botschaftsstandort wieder zu nutzen, und 1996 den Entwurf des kalifornischen Architekturbüros Moore, Ruble und Yudell für die neue Botschaft ausgewählt. Doch dann kam der 11. September, der sich auch für die neue Berliner Botschaftsarchitektur als Desaster erwies. Statt auf jene freundliche Offenheit für das Publikum, die aus manchem Botschaftsentwurf sprach, setzte man nun auf Sicherheit. Zur Verbunkerung der Botschaften kamen die Polizeiaufgebote und die Strassenpoller. Einen Steinwurf vom Pariser Platz entfernt wurde die Wilhelmstrasse vor der britischen Botschaft unpassierbar gemacht. Und auch um die amerikanische Botschaft entstand ein jahrelanges Tauziehen wegen der Sicherheitsbedenken, die letztlich nicht gerade zur Verbesserung des ohnehin schon etwas muffig-postmodern anmutenden Entwurfs der aus Santa Monica stammenden Architekten beitrugen.

Streng bewacht und umzäunt, springt der Neubau der US-Botschaft auf der Tiergarten-Seite ein Stück zurück und lässt dabei sogar vom benachbarten Haus Sommer ein Stück Brandwand frei stehen. Am Pariser Platz dagegen zeichnet sich das Bauwerk durch einen wohl als keck gemeinten Schlitz in seinem steinernen Fassadenkleid aus, vor dem sich ein albernes Glasvordach in Wellenform auf und ab schwingt. Es besitzt den gleichen vorstädtischen Charme wie der aufgepfropfte Glaszylinder des Sitzungssaals auf dem Dach, der in die nächtliche Stadt hineinleuchtet. Schon vor seiner Eröffnung hat das Botschaftsgebäude für viel Häme gesorgt – daran konnten auch die ungewöhnlichen Fensterteilungen wenig ändern. Stünde das Haus irgendwo am Rand Berlins, würde man wohl achselzuckend an ihm vorbeigehen. An diesem höchst prominenten Ort aber fragt man sich, welche Botschaft die Botschaft wohl vermitteln will – ausser jene der ausgeprägten Sicherheitsvorkehrungen. Dabei sind doch gerade in den vergangenen Jahren etliche interessante neue Botschaften in Berlin entstanden. Allen voran die nordischen Botschaften am Rand des Tiergartens mit ihrem grünen Lamellenband oder die ihnen benachbarte mexikanische Botschaft, deren marmorne Pfeilerreihen wie Dominosteine umzukippen scheinen.

Dagegen versucht die neue amerikanische Botschaft gar nicht erst, dem steinernen Mittelmass des Pariser Platzes ein architektonisches Zeichen entgegenzusetzen, worum sich die französische Botschaft so standhaft bemüht. Dieser Mangel würde wahrscheinlich gar nicht auffallen, hätte nicht gleich neben der US-Botschaft ausgerechnet ein Amerikaner bewiesen, wie man trotz engen Gestaltungsvorgaben eben doch eine interessante, längst zur Touristenattraktion avancierte Architektur verwirklichen kann. Mit ihrem strengen steinernen Raster und den grossen, sprossenlosen Fensteröffnungen beweist Frank Gehrys DZ-Bank eine gelassene, fast schon klassizistische Ruhe, um sich dann im Inneren einem exaltierten Dekonstruktivismus hinzugeben. Mit diesem einzigen Meisterwerk im Schatten des Brandenburger Tors vermag der Bau von Moore, Ruble, Yudell nicht zu konkurrieren. Zwar erhielt der Pariser Platz erst mit der amerikanischen Botschaft seinen Schlussstein. Doch die architektonische Krone hatte ihm Jahre zuvor schon Gehrys Bankneubau aufgesetzt. Manchmal neigt die Dramaturgie der Architekturgeschichte eben auch zum Treppenwitz.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2008.07.18

17. Juli 2008Jürgen Tietz
Bauwelt

Vandalisme reconstructeur

Im Jahrbuch des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung 2007/2008 geht es um die Rekonstruktion historischer Bauten. Noch fehlen aber die gefügigen Argumente, unter welchen Bedingungen solche Von-Grund-auf-Rekonstruktionen, die im Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gipfeln könnten, überhaupt als legitimer Teil der Denkmalpflege zu betrachten sind. Michael Petzet liefert im Jahrbuch die Stichpunkte für die Faksimile-Bauten, unser Autor widerspricht an dieser Stelle.

Im Jahrbuch des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung 2007/2008 geht es um die Rekonstruktion historischer Bauten. Noch fehlen aber die gefügigen Argumente, unter welchen Bedingungen solche Von-Grund-auf-Rekonstruktionen, die im Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gipfeln könnten, überhaupt als legitimer Teil der Denkmalpflege zu betrachten sind. Michael Petzet liefert im Jahrbuch die Stichpunkte für die Faksimile-Bauten, unser Autor widerspricht an dieser Stelle.

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Bauwelt 2008|27 Die kleine Expo

26. April 2008Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Konzept Zukunft

Die Architektur der sechziger Jahre steht unter starkem Druck, noch bevor sie den Weg in die Denkmallisten gefunden hat. Dabei liessen sich diese Bauten mit qualitätvollen Interventionen weiterentwickeln.

Die Architektur der sechziger Jahre steht unter starkem Druck, noch bevor sie den Weg in die Denkmallisten gefunden hat. Dabei liessen sich diese Bauten mit qualitätvollen Interventionen weiterentwickeln.

Begleitet von viel Lärm und einer gewaltigen Staubwolke, wurde die Sprengung des Dortmunder «Volkswohl Bund»-Hochhauses vergangenen Februar zum medialen Grossereignis. Gerade 35 Jahre waren dem skulpturalen Betonbau von Harald Deilmann beschieden. Der jüngst verstorbene Architekt gehörte zu den wichtigen Vertretern der deutschen Nachkriegsmoderne, und sein «Volkswohl Bund»-Hochhaus hatte Eingang in Ralf Langes 2003 veröffentlichte Dokumentation zu «Architektur und Städtebau der sechziger Jahre» gefunden. Mittlerweile mutet das Buch wie ein Abgesang auf eine ungeliebte Architekturepoche an: Die Bebauung am Brühl in Leipzig verschwindet ebenso wie das Kaufhaus in Suhl oder das expressive Ahornblatt in Berlin. Trotz seiner stadtbildprägenden, markant gestaffelten Fassade stand das Dortmunder Hochhaus nicht unter Denkmalschutz. Die Architektur der sechziger Jahre, so heisst es bei der lokalen Denkmalpflege, sei halt insgesamt noch nicht aufgearbeitet. Dazu fehle es an Personal und an Kriterien. Andernorts ist man schon weiter. Schliesslich gilt in der Denkmalpflege, dass nach etwa dreissig Jahren der Abstand zu den Werken einer abgeschlossenen Epoche ausreichend gross ist, damit ihr Denkmalwert gewürdigt werden kann.

Ästhetischer Generalverdacht

Doch Denkmalwert hin oder her – in der Öffentlichkeit wird die Architektur der sechziger Jahre nicht geliebt: Architektonische Grossformen, Aluminiumverkleidungen und Sichtbeton sind nur begrenzt mehrheitsfähig. Und so widmet sich auch manch ein Denkmalpfleger lieber dem Bauerbe früherer Epochen, statt sich mit der Grossstadtarchitektur seiner eigenen Kindheit auseinanderzusetzen. Die Folge ist eine Umbau- und Abrisswelle, die das Erbe einer ganzen Generation bedroht. Eine Bedrohung, die neben der mangelnden Akzeptanz durch den architektonischen Mainstream auch handfeste Gründe hat: So haben sich die technischen Anforderungen an Büro- und Geschäftshäuser in den letzten vierzig Jahren radikal verändert, eine Nachrüstung ist daher oft teurer als der Neubau. Vor allem entpuppen sich gewisse Sechziger-Jahre-Bauten als wahre Energieschleudern, die nur aufwendig zu sanieren sind. Hinzu kommt die Materialität: Sind doch die Betonstrukturen oft geschwächt und die Wände mitunter mit Asbest verseucht. Ein weiteres Problem stellen die bei der Innenausstattung verwendeten Kunststoffe dar, die spröde werden und brechen. So steht inzwischen eine ganze Epoche unter ökologischem und ästhetischem Generalverdacht. Die Konsequenz daraus sind oft gravierende Veränderungen an den Bauten – bis hin zum Abriss, noch ehe diese überhaupt die Chance hatten, als Denkmale wahrgenommen zu werden.

Dabei gibt es durchaus Strategien, um die Bauten der späten Nachkriegsmoderne baulich und künstlerisch fortzuschreiben oder sie in ihrer Materialität zu erhalten, statt sie zu zerstören. Zu den bekanntesten Beispielen einer kreativen Umformung der letzten Jahre zählt die Münchener Rück. Dem spröden Stahlbetonskelettbau der frühen siebziger Jahre haben Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle neues Leben eingehaucht: Hinter der neuen Glasfassade verbirgt sich nun ein Bürobau mit Niedrigenergiestandard. Noch intensiver haben sich Franz Romero und Markus Schaefle in Zürich sowohl bei Wohn- als auch bei Bürobauten der Architektur der sechziger Jahre angenommen und dabei immer wieder andere Ansätze gesucht: Dem jüngst umgestalteten SIA-Hochhaus von 1970 haben sie mit dem Zitat der endlosen Säule von Constantin Brancusi ein zusätzliches Fassadenrelief verliehen. Anders sind sie dagegen bei dem 1962 von Werner Stücheli errichteten Hochhaus zur Schanze vorgegangen. Dort haben sie sich für einen Eingriff an der schmalen Grenze zwischen Reparatur und Rekonstruktion entschieden: Die Aluminiumbretter der Brüstungen wurden entsprechend den originalen Vorbildern neu hergestellt. Ebenfalls erneuert werden mussten die Fenster, deren Rahmen verzogen waren. Insgesamt aber blieb trotz der zusätzlich eingebrachten Wärmedämmung die ursprüngliche Geometrie des Hauses gewahrt.

Das Hochhaus zur Schanze steht damit gleichsam stellvertretend für die Gretchenfrage bei den Bauten der sechziger Jahre: Wie hältst du es mit der originalen Bausubstanz? Denn sowohl die oft allzu dünnen Betondecken, unter denen die Stahlbewehrung vor sich hin rostet, als auch die verzogenen Aluminiumverkleidungen sowie die hohen Energiekosten der schlecht isolierten Bauten führen dazu, dass nach der Sanierung im besten Fall noch eine optische Ähnlichkeit mit dem Original übrig bleibt. Zu den Meisterwerken, von denen nach ihrer Sanierung noch nennenswerte originale Substanz erhalten blieb, gehört das BMW-Hochhaus in München. Bei der Renovation der an einen Vierzylindermotor erinnernden Architekturikone, die der Wiener Architekt Karl Schwanzer Anfang der siebziger Jahre verwirklichte, ist es dem Hamburger Architekten Peter P. Schweger gelungen, die originalen Aluminiumguss-Elemente der Fassade zu erhalten. Zugleich blieb die Grundstruktur der Grossraumbüros in den vier Kreissegmenten der Zylinder erhalten. Völlig neu sind dagegen die technischen Einbauten, und auch der Flachtrakt mit der ehemaligen EDV-Anlage wurde umgestaltet.

Annäherung an den Bestand

Eine weitere exemplarische Erneuerung wird im unweit von Dortmund gelegenen Lünen mit Hilfe der Ludwigsburger Wüstenrot-Stiftung durchgeführt. Es handelt sich um die Geschwister-Scholl-Schule, die zwischen 1958 und 1962 von Hans Scharoun in aufgelockerter Pavillonbauweise errichtet wurde. Die Schüler verfügen dort über «Klassenwohnungen» mit viel Licht und kleinem Gartenareal. Die Restaurierung des weitgehend im Originalzustand erhaltenen Komplexes durch Oskar Spital-Frenking sieht unter anderem vor, Scharouns innovatives Luftheizungssystem wiederzubeleben, das als «technikgeschichtliches Dokument» gewertet wird. Die behutsam differenzierte Annäherung an den Bestand der Lünener Scharoun-Schule weist den Weg in ein Kapitel der Baugeschichte, mit dem auch die Denkmalpflege Neuland betritt. Es betrifft die Restaurierung einst innovativer Materialien aus Kunststoff ebenso wie die denkmalgerechte Weiterentwicklung der Bauten der späten Moderne. Denn obwohl sie derzeit nur von wenigen geschätzt werden, sind sie als Stadtbausteine und Zeitzeugen unverzichtbar.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2008.04.26

19. Februar 2008Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Tradition und Moderne

Eine Retrospektive in Dessau erinnert derzeit an den Architekten Franz Ehrlich. Dieser schuf in der DDR ein umfangreiches Werk, in dem die Ideen des Bauhauses weiterwirkten.

Eine Retrospektive in Dessau erinnert derzeit an den Architekten Franz Ehrlich. Dieser schuf in der DDR ein umfangreiches Werk, in dem die Ideen des Bauhauses weiterwirkten.

Lediglich vierzehn Jahre hatte das Bauhaus (1919–1933) Bestand. Doch diese schmale Zeitspanne reichte aus, um die Kunstschule weltweit zum Synonym für Modernität werden zu lassen. Ihr Ansehen verdankte sie nicht zuletzt ihrem Begründer Walter Gropius und dem neuartigen Ausbildungskonzept, an dem Bauhaus-Meister wie Paul Klee, Lyonel Feininger oder Wassily Kandinsky mitwirkten. Aber ganz im Gegensatz zu ihren berühmten Lehrern sind viele Bauhaus-Absolventen heute nahezu vergessen. Zu Unrecht, denn diese erste und einzige Generation von Bauhaus-Schülern hat die Nachkriegsarchitektur in den beiden deutschen Staaten entscheidend mitgeprägt.

Moderat funktionalistisch

Zu dieser Gruppe einst einflussreicher Bauhäusler gehörten unter anderem der erste Landeskonservator im Westteil Berlins, Hinnerk Scheper, sowie der Mies-van-der-Rohe-Schüler Eduard Ludwig, der an der Hochschule der Künste lehrte. Im Ostteil Berlins arbeiteten dagegen Selman Selmanagic, der an der Kunsthochschule in Weissensee lehrte, sowie Franz Ehrlich (1907–1984). Unter dem Titel «Der moderate Funktionalist» erinnert das Bauhaus in Dessau nun mit einer kleinen Ausstellung im Meisterhaus Schlemmer an Ehrlichs 100. Geburtstag. Dabei ist keine umfassende Werkschau entstanden, die das facettenreiche Werk des Bauhäuslers angemessen ausleuchtet. Vielmehr versteht sich die von Lutz Schöbe und Wolfgang Thöner kuratierte Ausstellung als ein Impuls. Ihr soll ein Forschungsprojekt zu Ehrlichs Werk folgen, dessen Nachlass am Bauhaus verwahrt wird.

Geboren in Leipzig, kam der junge Kommunist Ehrlich 1927 ans Bauhaus. Dort absolvierte er zunächst eine Gesellenprüfung als Tischler und arbeitete später zeitweise im Büro von Gropius. Zu Beginn der dreissiger Jahre entwarf Ehrlich Titelblätter für die vom Bauhaus beeinflusste Zeitschrift «die neue linie» und stellte für Naum Gabo Plastiken nach dessen Entwürfen her. 1934 wurde Ehrlich verhaftet und kam 1937 ins KZ Buchenwald. Aus dieser Zeit zeigt die Dessauer Ausstellung einen Entwurf Ehrlichs für ein Tiergehege, dessen organisch geschwungene Formen die Qualität einer abstrakten Plastik besitzen.

Auch nach 1945 behielt Ehrlich seinen vom Bauhaus vermittelten Ansatz als Generalist bei. So arbeitete er unter anderem als Chefarchitekt der Leipziger Messe, für die er zahlreiche Stände verwirklichte und einen Messeturm entwarf, der jedoch nicht gebaut wurde. Seine Möbelserie «602», die ab 1957 von den Deutschen Werkstätten in Hellerau hergestellt wurde, erhielt Einzug in zahlreiche DDR-Wohnungen. Die ausgewählten Beispiele in der Dessauer Ausstellung zeigen, dass es wunderbar luftig leichte Regale, Kommoden und Stühle waren, die sich in ihrer bewegten Eleganz in nichts von zeitgleichen Arbeiten im Westen Deutschlands unterschieden. Kein Wunder also, dass Ehrlich auch ein gefragter Innenarchitekt war. 1954 richtete er den «Club der Kulturschaffenden Johannes R. Becher» in Berlin ein, den wir leider nur noch von Fotografien her kennen. Für das kriegszerstörte Dresden erstellt Ehrlich einen nicht realisierten Wiederaufbauplan, mit einem abstrakten Karl-Marx-Denkmal auf einer Elbbrücke, das die Form eines hohen Bogens besass.
Vielseitig und harmonisch

Zu Ehrlichs wichtigsten Grossprojekten gehörten das Zentrum des ehemaligen DDR-Rundfunks in der Berliner Nalepastrasse (1951–56, mit Gerhard Probst) und die Klinik für Herz- und Kreislaufforschung in Berlin Buch. Befreit von der Doktrin der «nationalen Tradition» des DDR-Wiederaufbaus mit ihren klassizistischen Anleihen am Werk Karl Friedrich Schinkels, schuf Ehrlich 1954–56 in Buch eine bemerkenswerte Anlage im Duktus des organischen Bauens. Die auf trapezförmigem Grundriss errichteten Bauten ordnete er unter Vermeidung rechter Winkel um einen grossen und einen kleineren Innenhof an. Grosszügige Glasflächen sorgten dafür, dass die Natur auch im Inneren des Hauses unmittelbar erfahrbar blieb. Zusammen mit dem sanft geneigten Schrägdach, den Rundpfeilern, aber auch dank der Verwendung von Schieferplatten und Bruchsteinmauerwerk entstand so ein geradezu zart anmutender Bau, der Tradition und Moderne harmonisch miteinander verband und dabei eine bemerkenswerte Raumerfahrung lieferte. Die in Buch zu beobachtende Aufnahme traditioneller Architekturelemente, denen Ehrlich gleichwohl eine eindeutig moderne Erscheinungsform verlieh, kennzeichnet auch spätere Entwürfe aus den siebziger Jahren, die die Dessauer Ausstellung mit wenigen Fotos und Skizzen vorstellt. Dazu gehören eine geplante Erweiterung des Schiller-Museums in Weimar und die 1972 verwirklichte Auslandvertretung der DDR in Brüssel.

Ehrlichs individuelle Handschrift zeigt dabei, dass er sich – anders als manch einer seiner Kollegen – nicht auf das Niveau eines «Komplexprojektanten» einer industrialisierten DDR-Architektur-Massenproduktion herabstufen liess. Stattdessen stand er als einer der Erben des Bauhauses für einen ganzheitlichen Ansatz von Gestaltung. Zwar wirft die Dessauer Ausstellung nur einen schlaglichtartigen Blick auf das facettenreiche Werk Ehrlichs. Doch sie macht dabei sehr deutlich, wie dringend es geboten ist, das Œuvre dieses Bauhaus-Schülers endlich angemessen aufzuarbeiten.

[ Bis 9. März im Meisterhaus Schlemmer in Dessau. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2008.02.19

15. Januar 2008Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Geliebte Fälschung

Eine Rekonstruktionswelle überrollt derzeit Deutschland; von Braunschweig und Dresden über Berlin und Potsdam bis nach Frankfurt und Heidelberg spült sie...

Eine Rekonstruktionswelle überrollt derzeit Deutschland; von Braunschweig und Dresden über Berlin und Potsdam bis nach Frankfurt und Heidelberg spült sie...

Eine Rekonstruktionswelle überrollt derzeit Deutschland; von Braunschweig und Dresden über Berlin und Potsdam bis nach Frankfurt und Heidelberg spült sie nicht nur denkmalpflegerisch wertvolle Ruinen oder Stadtparks hinweg, sondern auch die Bauten einer ungeliebten Moderne. An ihrer Stelle hinterlässt sie bald barock, bald klassizistisch anmutende Fassadentapeten, hinter denen sich Firmenrepräsentanzen oder Shopping-Malls breitmachen und sich in Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam sogar ein Parlament einrichten wird. Erlaubt ist, was gemütlich wirkt und am Markt durchsetzbar erscheint. Ob die geforderte Nutzung und das Raumprogramm hinter der Fassadenrekonstruktion Platz finden, kümmert das Publikum wenig, solang das gebaute Ergebnis so ausschaut, als stamme es aus der Zeit vor 1900. Der konservative Zeitgeist hat sich den Tarnanzug der «europäischen Stadt» umgelegt und sich damit in der deutschen Stadtplanung festgesetzt.

Geschichtsverlorene Historie

Die Macht der gegenwärtigen Rekonstruktionswut reisst auch jene Bastion hinweg, die einst von den Vätern der europäischen Denkmalpflege wie John Ruskin und Georg Dehio mit den Worten «Rekonstruktion ist Fälschung» festgeschrieben wurde. So geht inzwischen ein Riss mitten durch die Zunft der Denkmalschützer, und manch einer singt nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand sein Loblied auf die Rekonstruktion. Dabei könnte ein Blick auf die jüngst erstellten Leitsätze der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege lehrreich sein. Diese hält Rekonstruktionen grundsätzlich für bedenklich. «Sie verwischen den Unterschied zwischen Denkmal und historisch gestaltetem Objekt. Indem sie vorgeben, das Denkmal sei leicht wieder erneuerbar, höhlen sie das notwendige gesellschaftliche Engagement für die Erhaltung historischer Substanz aus.»

Doch der Glanz des Gewesenen scheint besonders für viele Deutsche einen sehnsuchtsvollen Zauber zu besitzen. Legt sich doch jede neue Rekonstruktion – und sei sie noch so schlecht gemacht – wie ein heilender Mantel des Vergessens über die Abgründe der eigenen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Deren zerstörerische Spuren haben sich schliesslich bis heute ablesbar in Stadtgrundriss und Architektur eingegraben. Eine öffentliche Reflexion über das Geschichtsbild der Rekonstrukteure aber findet kaum statt oder wird mit leichter Hand hinweggewischt. Immer wieder hört man die Frage, ob man denn die Bauten für die Geschichte verantwortlich machen wolle. Architektur als Bedeutungsträger zu begreifen, wird da als überflüssige Intellektualisierung verstanden. Zwar ist die Geschichte der Rekonstruktion nicht neu, und ihre Anfänge reichen weit in die Baugeschichte zurück. Neu aber ist die Versessenheit, mit der nicht nur einzelne Bauherren, sondern ganze Stadt- und Landesparlamente sich unter der Vorgabe der Stadtreparatur mit den architektonischen Wiedergängern schmücken wollen. Und wenn die finanziellen Mittel nicht reichen, dann tragen prominente Softwareentwickler und Quizmaster medienwirksam ihr Scherflein dazu bei.

Regionaler Halt

Dabei müsste die Rekonstruktionswelle ein Alarmsignal sein. Drückt sich im angstvollen Festklammern an einer idealisierten Vergangenheit in Form von regionalen Bau-Ikonen doch mitunter gar Revisionismus aus. Mit der architektonischen Vergangenheitsbeschwörung soll dabei die Verlorenheit der Menschen in einer kalt wirkenden globalisierten Welt gemildert werden. Unter dem Dach der Rekonstruktion wird – wie bei der Dresdner Frauenkirche – Gemeinschaft gestiftet. Doch darüber hinaus erweist sich die Rekonstruktionseuphorie als Spätwirkung einer humorlos gewordenen europäischen Postmoderne, in der sich das tiefe Misstrauen gegenüber der Moderne und ihrer Architektur, ja der Zukunft insgesamt manifestiert. So tief ist dieses Misstrauen gegen Architektur und Architekten in Deutschland mancherorts geworden, dass beim Bauen erlaubt ist, was sonst in der Kunst als verboten gilt. Nirgendwo sonst nämlich wird die Fälschung so goutiert wie hier. Hingen in den Museen so hemmungslos banale Nachahmungen, wie sie sich beim Blick in die Kuppel der Dresdner Frauenkirche zeigen, alle Welt würde zu Recht aufschreien. In Dresden aber herrscht stattdessen heiliges Staunen. Original und Imitation gleichen sich im Zeitalter der virtuellen Verfügbarkeit der Architektur immer mehr an. Stadt und Stadtkopie werden austauschbar.

Und die deutschen Architekten? Sie entwerfen, sie bauen, und sie schweigen. Sie, die doch nach Vitruv eigentlich die Mutter aller Künste vertreten, machen sich gemein mit einer Zunft von Nachahmern und Fälschern, statt sich in ihrem Anspruch verletzt zu fühlen. Ein Skandal? Ach was, möchte man abwinken. Als Kunst hat die Architektur vielerorts ohnehin längst abgedankt. Zu oft ist sie nur Markt und Möglichkeit. Visionen bietet sie allzu selten. Dabei besitzt sie durchaus das Potenzial, mit einer klugen regional verankerten Baukunst den Druck einer nivellierenden Globalisierung zumindest zu kanalisieren. Doch stattdessen entstehen in den Innenstädten viele kleine Gestrigkeiten, die vorgeben, Geschichte wiederzubeleben, während sie doch nur die Substanz der Geschichte beiseiteschieben und die vielgelobte «europäische Stadt» fast nebenbei in einen banalen Themenpark verwandeln. So droht denn auch die neuste der geplanten Wiederherstellungen zu einem eigentlichen Themenpark zu werden: der Renaissancegarten des bis anhin von der schon vor hundert Jahren angedachten Rekonstruktion verschont gebliebenen Heidelberger Schlosses.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2008.01.15

09. November 2007Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vorarlberger Weltsprung

Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle sind neben Coop Himmelb(l)au wohl die erfolgreichsten Architekten Österreichs. Eine Ausstellung in München dokumentiert die Erfolgsgeschichte der Vorarlberger.

Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle sind neben Coop Himmelb(l)au wohl die erfolgreichsten Architekten Österreichs. Eine Ausstellung in München dokumentiert die Erfolgsgeschichte der Vorarlberger.

Die kleinteilige Landschaft zwischen Bodensee und Alpen liegt seit einigen Jahren schon nicht mehr im Zentrum der baukünstlerischen Recherche von Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle. Mit ihren jüngsten Bauten und Projekten drängen die beiden Architekten, die einst als Heroen des Vorarlberger Regionalismus gefeiert wurden, nicht nur in die Welt hinaus, sondern auch in die Höhe. Da bleibt wenig Raum für die sinnliche Materialität ihrer frühen Werke, für die sie gerne zart ergrauende Schindeln oder Holzlamellen wählten. Stattdessen beherrschen fast nur noch Glas, Stein und Ziegel die jüngsten Arbeiten. Für Eberle ist damit kein programmatischer Wandel verbunden, sondern lediglich ein Massstabwechsel: «Bei den grossen Projekten der letzten Jahre bot es sich nicht an, Holz zu verwenden.»

Ungebremste Bauwut

Unter dem Titel «Architektur, Menschen und Ressourcen» präsentiert das Architekturmuseum der TU in der Münchner Pinakothek der Moderne einen Überblick über das neuste Schaffen von Baumschlager Eberle aus den vergangenen sechs Jahren. Die Schau verdeutlicht den Sprung der Architekten vom europäischen Regionalismus in die globalisierte Welt. Rund 70 Projekte sind derzeit im Bau oder in Planung. Neben Europa bildet dabei China einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit: Mit den modisch-marktgängig als Moma (2005) und PopMoma (2007) benannten Wohnhochhäusern haben sie in Peking eine architektonische Visitenkarte mit Fassaden im Schachbrett-Muster hinterlassen.

Weit wichtiger, als am grossen China-Kuchen der Global Players der Architekturszene zu knabbern, ist es für Baumschlager Eberle, im boomenden Reich der Mitte nachhaltige, energieoptimierte Architektur zu verwirklichen. Um den Energiebedarf für die individuelle Klimatisierung der grosszügig geschnittenen Wohnungen in den Moma-Hochhäusern zu reduzieren, setzen sie Betondecken als Wärme- und Kältespeicher ein. Zudem wird Frischluft über das Dach in die Wohnungen geleitet. Ziel von Baumschlager Eberle ist es, mit den vorhandenen baulichen Instrumenten eine für den jeweiligen Ort und seine klimatischen Voraussetzungen optimale Energiebilanz zu erzielen.

Die klar gegliederte Münchner Schau stellt die Projekte anhand von Fotos, Plänen und Modellen vor. Grosse Fotowände mit älteren Bauten unterstreichen derweil, wie sehr sich die Architektursprache der Vorarlberger gewandelt hat, die in den neunziger Jahren mitunter mit teilweise oval geschwungenen Projekten auf die postmoderne Wiener Schule um Hans Hollein anspielten. Gleichzeitig widmeten sich Baumschlager Eberle wie kaum ein anderes Büro dem Einfamilienhaus. Dabei entwickelten sie eine Leidenschaft für vollständig zu verschliessende Holzkuben aller Art. Nun zeigen ihre völlig ohne Holzfassaden auskommenden chinesischen Projekte, wie sie ihr aus dem Thema Regionalismus abgeleitetes Entwurfsprinzip zu globalisieren wussten. Indem sie nach dem Ort und seiner spezifischen klimatischen und kulturellen Voraussetzung fragen, wird ihr Ansatz zwar nicht stilistisch, aber dafür methodisch übertragbar.

Riesenbauten und eine Miniatur

Allerdings zeigt ihr Büro auch bei der architektonischen Handschrift Leitmotive. Etwa die eleganten, aber auch ein wenig manieriert wirkenden Glasfassaden aus schindelartig sich überlappenden Scheiben – bald ganz in Weiss, wie bei einem bahnhofsnah gelegenen Wohnhaus in Winterthur, bald ganz in Schwarz, wie beim neuen Flughafen in Wien, der 2009 fertig gestellt werden soll. Beim Hotel «Cube» in Savognin entschieden sie sich hingegen für eine grafische Aussenhaut, die einen strengen Akzent in der alpinen Landschaft setzt. Den räumlich spannungsvollsten Einsatz der Fassadengestaltung haben die Architekten mit dem Verwaltungsgebäude für die Weltgesundheitsorganisation und das Aids-Koordinierungsprogramm der Vereinten Nationen in Genf verwirklicht. Der Clou des Hauses ist das komplexe räumliche Vexierspiel von Innen- und Aussenräumen, von Höfen und Hallen, die durch die gläserne Architektur miteinander zu verschmelzen scheinen. Mit dem Gebäude für die Münchener Rück in München haben sie ein weiteres Zukunftsthema architektonisch besetzt: die Umnutzung und Erweiterung eines schlichten Verwaltungsgebäudes der siebziger Jahre, das nach der Transformation zum Schmuckstück avancierte.

Neben all diesen Bauten im Massstab gross bis extragross finden Baumschlager Eberle aber auch immer wieder Zeit für kleine Projekte wie das Klubhaus am Hafen von Fussach, wo sie – unweit der Mündung des Rheins in den Bodensee – bereits im Jahr 2000 ein Hafengebäude verwirklichen konnten. Beim neuen Klubhaus legen sie eine gläserne Hülle um eine sich baumartig verzweigende Betonstruktur. Das Ergebnis ist eine jener delikaten baukünstlerischen Arbeiten, mit denen Baumschlager und Eberle ihren Ruf begründet haben.

[ Bis 13. Januar 2008 im Architekturmuseum der TU in der Münchner Pinakothek der Moderne. Katalog: Architektur, Menschen und Ressourcen. Baumschlager-Eberle 2002–2007. Hrsg. Winfried Nerdinger. Springer-Verlag, Wien 2007. 231 S., € 39.–. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.11.09

02. November 2007Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Worthülse oder Heilsbringer?

Baukultur hat in Europa Konjunktur, allerdings mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während in Frankreich jüngst die «Cité de l'Architecture & du...

Baukultur hat in Europa Konjunktur, allerdings mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während in Frankreich jüngst die «Cité de l'Architecture & du...

Baukultur hat in Europa Konjunktur, allerdings mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während in Frankreich jüngst die «Cité de l'Architecture & du Patrimoine» eingeweiht wurde, besitzt die Baukultur in Finnland bereits Verfassungsrang. Etwas bescheidener als in Paris projektiert man in Zürich, wo der Schweizer Heimatschutz 2009 ein Zentrum für Baukultur in der Villa Patumbah eröffnen will. Derweil wurde in Deutschland jüngst eine Bundesstiftung Baukultur mit Sitz in Potsdam ins Leben gerufen. Auf ihrer Gründungsveranstaltung klang eine gute Portion Stolz an, dass der Begriff «Baukultur» auf dem Weg sei, eine ähnliche internationale Sprachkarriere zu machen wie das Wort «Kindergarten».

Wahrung des kulturellen Erbes

Doch während man beim Kindergarten selbst nach dem Pisa-Schock in Deutschland noch weiss, um was es sich handelt, ist dies bei der Baukultur keineswegs sicher, denn der Begriff droht zur Worthülse zu verkommen. Was also ist Baukultur? Wer sich darüber Aufschluss bei einem Besuch auf der Homepage der Bundesstiftung Baukultur (www.bundesstiftung-baukultur.de) erhofft, wird freilich enttäuscht. Ebenso staatstragend wie beliebig heisst es dort: «Baukultur verbindet den Willen der Gesellschaft zur Wahrung des kulturellen Erbes mit dem Gestaltungsanspruch an die gebaute Umwelt und der Bereitschaft zur Modernisierung und Veränderung.» Doch hat die Gesellschaft überhaupt einen Willen zur Wahrung ihres kulturellen Erbes? Dokumentieren öde Gewerbezentren einen «Gestaltungsanspruch an die gebaute Umwelt»? Oder ist Baukultur am Ende lediglich ein grosses Wünsch-dir-was, das vom schöner Wohnen für alle bis zur Demokratisierung und Öffnung der Planungsverfahren reicht?

Vielleicht haben ja «Kindergarten» und «Baukultur» mehr miteinander gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Denn anstelle politischer Lippenbekenntnisse und endloser Debatten über Organisationsformen kann Baukultur auch ein pragmatisches Antlitz besitzen. Das legt jedenfalls die bereits seit 1966 agierende Chicago Architecture Foundation (CAF) nahe, die sich – im Gegensatz zur Stiftung Baukultur – fast ausschliesslich aus privaten Quellen finanziert. Mit ihren Führungen, Vorträgen und Auszeichnungen bereitet sie den Boden, um die Aufmerksamkeit für die unterschiedlichen Facetten der gebauten Umwelt insgesamt zu stärken – und damit eine baukulturelle Grundbildung zu ermöglichen. Und weil bekanntlich alle Bildung in den Schulen anfängt, hat die CAF jüngst ein vorzüglich aufbereitetes «Architecture Handbook» erarbeitet, das verwandte deutschsprachige Veröffentlichungen glatt in den Schatten stellt. Doch nicht nur die ansprechende Gestaltung des Buches überzeugt. Fast noch wichtiger ist, dass die CAF unter ihrer Präsidentin Lynn Osmond im Vorfeld der Veröffentlichung den Dialog mit den Schulen gesucht hat, damit über das Handbuch baukulturelle Inhalte selbst in den Mathematikunterricht einfliessen können. Baukultur als Bildungsarbeit. Ein Ansatz, den in Deutschland die Bundesarchitektenkammer mit ihrem Programm «Architektur macht Schule» vertritt. Doch oft sind die Hürden allzu hoch, um bis in die ohnehin vollgestopften Lehrpläne zu gelangen.

Baukunst als Publikumsmagnet

Andererseits stehen Architektur und Städtebau, Denkmalschutz und Ingenieurbaukunst in der Publikumsgunst derzeit ganz oben. Überall, wo es Neubauten und Ausstellungen zu bestaunen gibt, bilden sich lange Besucherschlangen – egal, ob vor der Dresdner Frauenkirche, dem Guggenheim-Museum von Frank Gehry in Bilbao, das gerade seinen zehnten Geburtstag feierte, vor der Le-Corbusier-Schau in Weil am Rhein oder der Zumthor-Ausstellung in Bregenz. Doch auch der immer beliebter werdende Architekturtourismus ist noch kein Garant für flächendeckende Baukultur. Dafür bedarf es neben dem Staunen über Häuser auch eines intensivierten und kritischen Dialogs über die Bauten, über Orte und Qualitäten, über Materialien und nicht zuletzt über den Umgang mit dem gebauten Erbe, das eben keine beliebig reproduzierbare Massenware ist. Doch solange neu-alte Schlösser aus dem Investorenhimmel fallen und Einfamilienhaushalden die Stadtränder anfressen, steht Europa noch ein langer Weg bis hin zur Baukultur für alle bevor. Vermutlich führt er über den Kindergarten.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.11.02

16. Mai 2007Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Lebendige Moderne

Die neue Dauerausstellung im Bauhaus Dessau

Die neue Dauerausstellung im Bauhaus Dessau

Das Bauhaus Dessau bleibt in Bewegung: Ein halbes Jahr nach Abschluss seiner aufwendigen Restaurierung eröffnete nun die neue Dauerausstellung. Damit können sich die jährlich rund 80 000 Besucher der Welterbestätte künftig nicht nur einen Eindruck von dem 1926 eingeweihten Bauhausgebäude machen. Sie erhalten zudem einen Einblick in die Arbeit der Bauhausmeister und ihrer Studenten.

Und vielleicht gerät die Stiftung Bauhaus Dessau nach Wochen des medialen Blätterrauschens nun auch wieder in ruhigeres Fahrwasser. Hatte doch der ehemalige Leiter der Herzog-August- Bibliothek in Wolfenbüttel, Paul Raabe, im «Blaubuch» über die «kulturellen Leuchttürme» in Ostdeutschland, das im Auftrag der Bundesregierung erscheint, ungewöhnlich scharfe Kritik am Bauhaus geübt: «Den politisch massgeblichen Akteuren ist die Ikone ‹Bauhaus› für die aktuelle Bedeutung Deutschlands in der Welt zu wenig bewusst», heisst es dort. Zudem plädiert Raabe dafür, das kriegszerstörte Meisterhaus von Walter Gropius zu rekonstruieren. Eine Empfehlung, mit der sich Raabe über sämtliche Grundlagen denkmalpflegerischen Handelns hinwegsetzt.

Die Diskussion über das Meisterhaus bleibt dem Bauhaus erhalten - die neue Dauerausstellung selbst wird von den gegenwärtigen Störfeuern jedoch nicht beeinflusst. Kuratiert von Kirsten Baumann, legt sie den Schwerpunkt auf die Dessauer Jahre des Bauhauses und ergänzt so das Bild der beiden anderen deutschen Bauhaus- Zentren und -Sammlungen in Weimar und Berlin.

Eine Zeitleiste der Jahre 1918 bis 1933 führt einen in die kulturelle und politische Situation der Weimarer Republik ein, ehe man zu den Bauhaus-Originalen vordringt. Diese sind aus konservatorischen Gründen in einer «Black Box» in der ehemaligen Tischlerei des Werkstattflügels ausgestellt, der ja eigentlich durch seine gläserne Transparenz besticht. Doch das Bauhaus ist eben nicht als Museum errichtet worden, sondern als Schul- und Werkstattgebäude. Zugleich muss man sich in Dessau mit einer zweiten Sondersituation abfinden: Die eigene Sammlung, die heute rund 22 000 Objekte umfasst, wird erst seit 1976 aufgebaut. So lange dauerte es, bis die abstrakte Moderne des Bauhauses in der DDR akzeptiert war. Entsprechend dem späten Sammlungsbeginn liegt der Schwerpunkt der Exponate auf Arbeiten von Bauhaus-Schülern, die in der DDR gearbeitet haben. Zu ihnen zählte Marianne Brandt, die sich als Designerin von Lampen ebenso einen Namen gemacht hat wie durch ihre wunderbaren Fotografien und Collagen. Grete Reichardt fertigte in der Weberei Teppiche mit abstrakten Mustern. Zugleich stammen von ihr eine Holz-Steckpuppe und ein reizender Holzhampelmann aus geometrischen Formen, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind.

Es ist diese befruchtende Vielfalt im künstlerischen Schaffen, die bis heute die Faszination Bauhaus mit ausmacht. Dementsprechend gliedert die Ausstellung die Arbeit am Bauhaus nicht nach einzelnen Werkstätten auf, sondern legt den Schwerpunkt auf die Zusammenschau der fachübergreifenden Ausbildung. Und natürlich werden auch die drei Bauhaus-Direktoren und ihre Werke gezeigt: Walter Gropius, der Basler Hannes Mayer und Ludwig Mies van der Rohe. Zu den Highlights der Dessauer Sammlung aber gehört eine Meistermappe von 1923 - also noch aus der von 1919 bis 1925 währenden Weimarer Bauhaus- Zeit - mit grafischen Arbeiten der Bauhausmeister, darunter Blätter von Paul Klee, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer und Josef Albers.

Etliche der ausgestellten Objekte gehören längst zum kollektiven Bauhaus-Gedächtnis. Doch im Anblick der Originale wirkt ihr Bann stets aufs Neue. So vermittelt Lucia Moholys Porträtfoto von Nina Kandinsky eine geradezu atemberaubende Lebensnähe und Unmittelbarkeit. Zugleich wird darin deutlich, wie sehr das Bauhaus die ästhetische Wahrnehmung verändert und geprägt hat. Für Omar Akbar, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, bedeutet die Eröffnung der Dauerausstellung allerdings nur einen Zwischenschritt. Sein Ziel ist es, auch das Sockelgeschoss des Werkstattflügels künftig für Ausstellungen zu nutzen, in dem sich derzeit das Archiv der Sammlung befindet. Mit dieser Umnutzung würde das Bauhaus Dessau wieder über einen dringend benötigten Raum für Wechselausstellungen verfügen. Und vielleicht liegt bis dahin auch ein eigener Katalog zur Dauerausstellung vor. Er könnte dann den jüngst erschienenen Fotoband über das Bauhaus nach seiner Sanierung, das immer das Hauptexponat bleiben wird, ergänzen.

[ Kirsten Baumann: Bauhaus Dessau. Architektur. Gestaltung. Idee. Jovis-Verlag, Berlin 2007. 144 S., Fr. 42.50. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2007.05.16



verknüpfte Publikationen
Bauhaus Dessau - Architektur - Gestaltung - Idee

05. April 2007Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Nachhaltige Städte

Vittorio Magnago Lampugnanis urbanistische Visionen

Vittorio Magnago Lampugnanis urbanistische Visionen

Als Vorreiter der gegenwärtigen Renaissance der Städte in Europa spielt der Architekt und Städtebautheoretiker Vittorio Magnago Lampugnani seit langem eine wichtige Rolle. Dabei bezieht er immer wieder grundsätzlich Position. So forderte er in der Zeitschrift «Die Denkmalpflege» vor einigen Jahren, «Architektur und Stadt können keine Wegwerfprodukte sein; sie müssen dauern». Unter dem Titel «Stadtarchitekturen» legt der Luzerner Quart-Verlag nun einen schmalen Band mit Arbeiten Lampugnanis aus den letzten Jahren vor. Sie reichen von der betont zurückhaltenden österreichischen Wohnsiedlung in Maria Lankowitz (1995-99) über den Masterplan des aus dem Bestand entwickelten und seit 2003 realisierten Novartis-Campus in Basel bis hin zum Entwurf für das «Färbiareal» in Schlieren (2004).

Mit der Einleitung seines Buches liefert Lampugnani, der Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich lehrt, erneut eine grundsätzliche Positionsbestimmung, die sich zugleich als Kritik am Städtebau der Moderne erweist. So wendet er sich gegen die anhaltende Einzonung von Bauland, durch welche die «Ressource Landschaft» unwiederbringlich zerstört wird - eine fatale Fehlentwicklung angesichts der Schrumpfungsprozesse, von denen verschiedene Regionen Europas betroffen sind. «Dem demographischen Paradigmenwechsel muss der städtebauliche folgen», schlussfolgert Lampugnani. Die Konsequenz daraus bedeutet für Europa, Städte in Zukunft vermehrt aus dem gebauten Bestand heraus zu entwickeln, etwa - wie in Basel oder Zürich - durch die Konversion von Industriearealen. Doch dazu bedarf es nicht nur der Achtsamkeit der Städtebauer, sondern vor allem verbesserter politischer Rahmenbedingungen.

Städtebau ist für den Autor weniger «der geniale Wurf als das geduldige Aufbauen auf Grundlagen, die teilweise bestehen und teilweise geschaffen werden müssen». Eine Formel, in die sich freilich ganz unterschiedliche städtebauliche Konzepte einpassen lassen. Die als «Zwischenstadt» bezeichnete «diffuse Zerfransung» städtischer Strukturen ist jedenfalls Lampugnanis Sache nicht. Vielmehr plädiert er für eine «Verpflichtung gegenüber der Geschichte», die er vom «Modernisierungsvandalismus» abgrenzt. Der «schier hemmungslose Landschaftsverbrauch setzte erst im sträflich unbekümmerten 20. Jahrhundert ein». Das ist gewiss richtig - und doch nur die halbe Wahrheit. Verdeckt dieser Blick auf die Geschichte doch, dass es jene Epoche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit ihrem gründerzeitlichen Kapitalismus war, in der eine extreme innerstädtische Verdichtung zu steinernen Städten mit zahllosen Hinterhöfen führte. Gerade diese einst kritisierten Gebäude der Gründerzeit aber sind es, die heute vielfach als Leitbauten einer städtischen Architektur gelobt werden.

In seinem Wunsch nach einer vermeintlichen Objektivierbarkeit des städtebaulichen Entwurfsprozesses erweist sich für Lampugnani die Geschichte der Stadtarchitektur als «ein Gedächtnis von Strategien, das auf aktuelle Ansprüche durchsucht werden muss» - mit dem Ziel, «ohne rückwärtsgewandte Nostalgie, aber auch ohne futuristische Verbissenheit» Städtebau zu betreiben. Ein Leitmotiv dieses Ansatzes ist der behutsame Umgang mit unseren Städten, die Lampugnani als Kulturgüter begreift. Ob man diese aber bewahrt, indem man sie verändert, wie der Autor schreibt, erscheint fraglich. Mit der von Lampugnani beschworenen «Verpflichtung gegenüber der Geschichte» lässt sich diese Haltung jedenfalls nur schwer vereinbaren.

[ Vittorio Magnago Lampugnani: Stadtarchitekturen. De Aedibus 11. Quart-Verlag, Luzern 2006. 72 S., Fr. 48.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2007.04.05



verknüpfte Publikationen
Stadtarchitekturen - Vittorio Magnago Lampugnani

17. Februar 2007Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Perfekte Städte

Zur Konstruktion urbaner Identität

Zur Konstruktion urbaner Identität

Wer heute vor der Dresdner Frauenkirche steht, der wird sich nur noch mühsam daran erinnern können, wie der sie umgebende Neumarkt vor zehn Jahren ausgesehen hat. Denn zu Seiten der hellen Sandsteinkirche mit ihren dunklen Einschlüssen an originalen Bauteilen sind Neubauten emporgewachsen. Vom Cosel-Palais über das Quartier an der Frauenkirche bis zum «Hotel de Saxe» lassen sie den Betrachter ins Schwanken kommen, aus welcher Epoche sie stammen. Die Dresdner Kulisse gewinnt an Perfektion. Oder handelt es sich gar nicht mehr um eine Kulisse?

Symbolische Korrekturen

In seinem Beitrag «Dresdner Imitationen im Schatten der Frauenkirche», der in dem lesenswerten Sammelband «Konstruktion urbaner Identitäten» erschienen ist, arbeitet der Kunsthistoriker Gilbert Lupfer die Zwiespältigkeit des derzeitigen Dresdner Historismus heraus: «Die bisweilen suggerierte Vorstellung eines eindeutig definierbaren, mit einem Zeitschnitt als historische Schicht herauspräparierbaren Neumarktes, der ein Ensemble von höchster Qualität und Dichte ist, erweist sich als Fiktion.» So lehnt sich der Betonskelettbau des neuen «Hotel de Saxe» formal zwar an einen Barockbau an. Der wurde allerdings bereits 1880 abgerissen, um einem 1945 zerstörten Postgebäude Platz zu machen.

Eine solche «gebaute Geschichtsfiktion», um mit dem Titel des Beitrags von Arnold Bartetzky zu sprechen, erweist sich als verbreitetes Phänomen in Mittelosteuropa nach 1945. Sei es als «ein Pasticcio aus frei nachgeahmten Renaissance- und Barockmotiven, durchsetzt mit Originalfragmenten» wie in Danzig oder als Rekonstruktion einzelner Bauten. Besonders drastisch führt Bartetzky dies am Beispiel der Rekonstruktion der Unteren Burg in Vilnius vor Augen. Deren Reste waren 1795 abgerissen worden, um nun seit 2002 wiederaufgebaut zu werden. Dabei handelt es sich nicht nur um die Wiedergewinnung eines städtebaulich bedeutenden Leitbaus. Wie bei zahlreichen Rekonstruktionen der vergangenen Jahre geht es vor allem um das «starke Bedürfnis nach symbolischer Korrektur der Geschichte».

Der Rückgriff auf historische Bauformen ist dabei durchaus konsensfähig, auch wenn postmoderne Zitate und Doppelcodierungen angesichts der erfolgreichen Heimeligkeit des New Urbanism längst ihre ironische Brechung verloren haben. Dahinter steht die Abkehr von der Moderne und ihrem Bauwirtschaftsfunktionalismus. Eine Haltung, die freilich von einer «unzulässigen Verkürzung des Modernebegriffs ausgeht», wie Paul Sigel in seinem einleitenden Text «Konstruktion urbaner Identitäten» erläutert. Ist die reflexive Moderne doch keine Erfindung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Vielmehr ist die kritische Haltung der Moderne sich selbst gegenüber geradezu konstituierend für die moderne Architektur des 20. Jahrhunderts gewesen.

Kulissenschwindel

Ausgehend von der «Kritischen Rekonstruktion» der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 erlebte die «europäische Stadt» als historisches Konstrukt eine Blüte. Mit dem Büro Hilmer Sattler Abrecht widmet sich Klaus Jan Philipp einem der führenden Vertreter dieser «Kritischen Rekonstruktion», deren siegreicher Entwurf für die städtebauliche Ordnung des Potsdamer Platzes in Berlin vom Strassenraster des 19. Jahrhunderts ausging. Philipp konstatiert, dass die hohe bauliche Dichte, die rund um den Platz entstanden ist, zwar nicht typisch für Berlin sei, «aber für andere europäische Stadtbezirke der Gründerzeit, etwa in Paris oder Madrid». Eine kritische Analyse dieses Vorgehens lässt Philipp jedoch vermissen. Dabei ist es doch gerade diese Austauschbarkeit, die eigentlich der modernen Architektur von ihren Kritikern vorgehalten wird. Stattdessen lobt Philipp die langatmige Konventionalität von Hilmer Sattler Albrecht als eine «zwischen Tradition und Moderne oszillierende» Baukultur.

Ernst Seidl geht dagegen der Frage nach, ob «urbane Identität durch skulpturale Bauten» entstehen kann. Zwar gesteht der Autor gebauten Skulpturen durchaus zu, Identität zu stiften. Gegenüber dem «anything goes» allzu exaltierter architektonischer Landmarken bleibt er jedoch skeptisch. Mit der Frauenkirche jedenfalls, so lässt sich mit dem Denkmalpfleger Hans-Rudolf Meier abschliessend feststellen, besitzt Dresdens Stadtsilhouette wieder eine Landmarke. Doch gerade der vielbeschworene Canaletto-Blick ist entlarvend. Zeigt er am Elbufer doch weit mehr Bauten des 19. und 20. Jahrhunderts als originale Bausubstanz des Barock. Dem touristischen Wohlfülambiente inmitten des Dresdner Kulissenschwindels tut dies keinen Abbruch. Doch trotz der Marktgängigkeit solcher konstruierter Identitäten bleibt die Herausforderung bestehen, «sich der Reduktion der Komplexität unserer Städte auf einfache Bilder entgegenzustellen, insbesondere dem Bestreben, den Baubestand diesen anzupassen», schlussfolgert Meier. Besteht doch sonst die Gefahr, dass sich Imitation und Denkmalbestand in nicht mehr nachvollziehbarer Weise vermischen.

[ Konstruktion urbaner Identitäten. Zitat und Rekonstruktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart. Hrsg. von Paul Sigel und Bruno Klein. Lukas-Verlag, Berlin 2006. 176 S., Fr 43.80. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2007.02.17



verknüpfte Publikationen
Konstruktion urbaner Identitäten

02. Februar 2007Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Aufbruch im Süden

Anders als in Graubünden, in Vorarlberg oder in Südtirol spielte die regionale Kultur in der deutschen Architektur lange kaum eine Rolle. Doch jetzt keimt vor allem in Süddeutschland ein neuer architektonischer Regionalismus auf, der Tradition und Moderne verbindet.

Anders als in Graubünden, in Vorarlberg oder in Südtirol spielte die regionale Kultur in der deutschen Architektur lange kaum eine Rolle. Doch jetzt keimt vor allem in Süddeutschland ein neuer architektonischer Regionalismus auf, der Tradition und Moderne verbindet.

Beim Begriff Regionalismus dachten die Deutschen lange Zeit an etwas Miefiges, Spiessig- Kleinkariertes, dem es zu entfliehen galt. Der fade Geschmack von Dorf und Kleinstadt wollte sich nicht zum verlockenden Duft der grossen weiten Welt fügen. Doch in den Zeiten der Globalisierung hat die einst als provinziell abgelehnte überschaubare Kleinheit von Heimat eine neue Qualität gewonnen. Regionalismen sind im «Europa der Regionen» längst zum Identitäts- und Marktfaktor aufgestiegen. Das reicht von den Reizen einer Küche mit regionalen Produkten bis zum marktgängigen Krimi mit Lokalkolorit.

Deutsche Befindlichkeiten

Regionale Spielarten der Baukunst prägten über Jahrhunderte hinweg das Erscheinungsbild der Kulturlandschaften. Doch während schon in den 1970er Jahren im Tessin, danach in Graubünden, in Vorarlberg und jüngst auch in Südtirol eine schulbildende Auseinandersetzung mit der Region zeigte, dass Regionalismus viel innovatives Potenzial besitzt, begegnete man dem Thema in Deutschland mit Misstrauen. Das lag freilich nicht nur am lautstark propagierten Internationalitätsanspruch der Nachkriegsmoderne, hinter dem sich allerdings bei näherer Betrachtung sehr individuelle - und oft auch regionale - Idiome verbargen. Das regionale Bauen war in Deutschland vor allem durch den «Heimatschutz» in Misskredit geraten. Dessen wichtigste Protagonisten aus der Zeit um 1900 liessen sich später willig für die «Blut und Boden»-Ideologie der Nationalsozialisten einspannen. Gleichwohl lohnt sich ein Blick zurück auf die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts. Damals gelang es vielerorts, lokale Stilelemente und Baumaterialien mit einer modernen Architektur zu verbinden und so zeitgemässe Lösungen für neue Bauaufgaben zu liefern - vom Massenwohnungsbau über die Fabrikanlage bis zur städtischen Verwaltung.

Erst mit der Postmoderne kam auch in Deutschland die Geschichte zurück in die Entwurfszeichnungen - häufig in der Form des mitunter peinlichen Retrodesigns der Berliner Schule und des europäischen New Urbanism, der in Form einer «Kritischen Rekonstruktion» manchmal seltsame Blüten treibt. Erinnert sei nur an den Kulissenschwindel des Dresdner Neumarkts.

Weit entfernt davon bewegt sich jener Regionalismus, welcher derzeit vor allem in Süddeutschland zu beobachten ist und der sich aus der räumlichen Nähe zur Vorarlberger Architektur nährt. Erst kürzlich legte das «Architekturforum Kempten» eine Zwischenbilanz der «Architektur im Allgäu» der letzten fünfzehn Jahre vor (Verlag Josef Fink; Fr. 34.80), in der rund 50 Gebäude vorgestellt werden. Es sind Lösungen, die sich in einen Dialog mit ihrer Umgebung begeben. Vielfach aus Holz errichtete Bauten, welche die traditionelle Materialverwendung reflektieren, aber auch die Typologie der örtlichen Architektur aufnehmen, die zumeist in eine zeitgemässe Formensprache übersetzt wird. Doch trotz diesem bemerkenswerten Ansatz befindet sich die Entwicklung im Allgäu im Vergleich zu Vorarlberg «erst am Anfang», wie der Augsburger Architekt Titus Bernhard in der Einführung des Architekturführers feststellt.

Die Auseinandersetzung mit der Region erweist sich auch als ein - architektonischer - Selbstfindungsprozess, häufig verbunden mit dem Generationswechsel unter den Architekten. So begibt sich der «Treffpunkt Architektur Schwaben» auf die Suche nach dem, was die Identität Schwabens ausmacht. Für den Architekten Frank Lattke bedeutet dies nicht nur, über Neubauten nachzudenken, sondern sich vor allem auch damit auseinanderzusetzen, wie man in einer «kleinteilig zersiedelten Landschaft die Strukturprobleme der Dorfkerne» lösen kann.

Wie kleinstädtische Strukturen im Wettbewerb zukunftsfähig gemacht werden können, beschäftigt auch die Architekten Christian und Peter Brückner in der bayrischen Oberpfalz. Die Verschiebung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der letzten Jahre, die Abwanderung der Industrie in Billiglohnländer und die veränderte Altersstruktur lassen sich auch dort häufig am Stadtbild ablesen. Das reicht vom fehlenden Bauunterhalt bis zur Vernachlässigung des öffentlichen Strassenraums. Umso wichtiger sind gezielte Eingriffe, um die kleinen Städte für die Bewohner - und Investoren - attraktiv zu machen. Für Peter Brückner gilt es, in enger Kooperation mit Politik, Wirtschaft und Investoren städtebauliche Leitbilder zu formulieren. So entsteht ein aktives Standortmarketing, getragen vom architektonischen Bewusstsein für die Region, das die Tradition als wichtige Quelle für ihre weitere Entwicklung begreift. Dass bei Investoren die Bereitschaft vorhanden ist, sich vor Ort zu engagieren, beweist das Logistikunternehmen IGZ im Oberpfälzer Falkenberg, für das Brückner & Brückner ein neues Betriebsgebäude geschaffen haben. Es spielt mit der Typologie jener väterlichen Scheune, in der die jungen Unternehmer der IGZ vor ein paar Jahren ihre Karriere begonnen hatten.

Oberpfälzer Vorbild

Die Entscheidung für Falkenberg besitzt Signalwirkung für die Region, denn Arbeitsplätze für junge IT-Fachleute sind auch in der Oberpfalz rar. Mit dem neuen Betriebsgebäude hat die Firma einen gleichermassen repräsentativ modernen wie regionalen Rahmen gefunden: Der geböschte Sockel des Hauses aus Flossenbürger Granit, der noch die Bearbeitungsspuren zeigt, stammt aus dem nahen Steinbruch und nimmt die Gestaltung der Scheunen aus der Umgebung auf. Das gilt auch für die silbrig schimmernde Holzkonstruktion des Obergeschosses, dessen abwechslungsreicher Ausdruck den Baukörper in die Dorfstruktur einbindet und ihm doch eine besondere Wirkung verleiht. Im Inneren dieser «Denkscheune» flankieren zwei seitliche Riegel mit Arbeits- und Besprechungsräumen einen grosszügigen zentralen Mittelgang. Helles Eichenholz, Glas und dunkler Stahl bestimmen den Raumeindruck. Anstelle einzelner Bürozellen sind Grossraumbüros für die Projektgruppen des Unternehmens entstanden. Und das Essen für die Angestellten der IGZ wird im wöchentlichen Wechsel von zwei Restaurants aus der Umgebung angeliefert, darunter der «Rote Ochse» - mit 500 Jahren das älteste Wirtshaus der Oberpfalz.

Die Falkenberger Denkscheune steht exemplarisch für einen neuen Regionalismus, der sich nicht auf das Bekenntnis zu einem Ort und seinen Traditionen beschränkt. Er bezieht vor allem auch die Menschen und deren Zukunft mit ein. Indem er die unmittelbare Umgebung stärkt, trägt er dazu bei, dass die einzelnen regionalen Bausteine nicht eines Tages aus dem grossen Globalisierungspuzzle herausfallen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.02.02

04. Dezember 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Bunte Moderne

Nach zehnjährigen Sanierungsarbeiten erstrahlt das Bauhaus in Dessau zum Achtzigjahrjubiläum in neuem Glanz. Das Schlüsselwerk der Bauhausarchitektur, dem derzeit eine Ausstellung gewidmet wird, belegt, wie farbig die «weisse» Moderne eigentlich gewesen ist.

Nach zehnjährigen Sanierungsarbeiten erstrahlt das Bauhaus in Dessau zum Achtzigjahrjubiläum in neuem Glanz. Das Schlüsselwerk der Bauhausarchitektur, dem derzeit eine Ausstellung gewidmet wird, belegt, wie farbig die «weisse» Moderne eigentlich gewesen ist.

Die Revision der Moderne ist in vollem Gang. Längst hat die architekturgeschichtliche Forschung offenbart, dass das Neue Bauen der zwanziger Jahre weitaus vielschichtiger war, als es die wortgewaltigen Propagandisten des Internationalen Stils glauben machen wollten. Nicht nur programmatisch unterschied man sich in den Zentren der Avantgarde in Paris, Berlin, Moskau und Amsterdam voneinander. Auch die architektonische Praxis der Jahre zwischen 1918 und 1940 war durch höchst unterschiedliche Charaktere und Konzepte geprägt. Vor allem war die «weisse» Moderne keineswegs jene strahlende Heldin im weissen Gewand, als die sie uns in zahllosen Schwarzweissfotografien entgegentritt.

Farbige Ikone

Die ursprüngliche Farbigkeit, die an den rekonstruierten Meisterhäusern in Dessau bereits seit einigen Jahren zu sehen ist, hat nun auch die Ikone der Bauhausarchitektur erreicht, das von Walter Gropius entworfene Dessauer Bauhaus, dessen Sanierung rechtzeitig zum Achtzigjahrjubiläum abgeschlossen werden konnte. Zusammen mit der Geschichte und der Rezeption des Hauses wird sie in der Ausstellung «Ikone der Moderne» vorgestellt, die sich in die Kapitel Erinnerung, Architektur, Sanierung und Erlebnis gliedert. In einem leichten Winkel zum Gebäude verschoben, stellt sich die Ausstellungsarchitektur dabei wie ein Duplikat des Bauhauses in den Ausstellungsraum, die ehemalige Tischlerwerkstatt. So entsteht für die Besucher eine Distanz zum Gebäude, die neue Blicke auf die Architektur ermöglicht, aber auch auf die Ausstellungsstücke: Fotografien aus der Bauhausgeschichte und einige wie Devotionalien inszenierte Bauhausobjekte, die auf verspiegelten Sockeln stehen. Ganz in Schwarz und Weiss gehalten, spielt die Ausstellungsarchitektur dabei mit den Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten einer weissen Moderne, deren neue alte Farbigkeit es ja am Bauhaus gerade erst zu entdecken gilt. Denn das wichtigste Exponat ist dabei das Haus selbst, dessen Kuben sich zu einem städtebaulichen Mikrokosmos mit revolutionärer Wirkung fügen: der berühmte Werkstattflügel mit seiner Stahl-Glas- Fassade, das hohe Ateliergebäude, in dem Jungmeister und Studierende wohnten, sowie der dreigeschossige Nordflügel. Ein Brückenbauwerk, in dem sich Gropius' Direktorenzimmer befand, verbindet ihn mit den übrigen Bauteilen.

Mit der nun abgeschlossenen Sanierung hat sich das Bild des Bauhauses verändert. Wer hätte sich eine hellrosa Eingangswand zum Festsaal vorstellen können oder silbrig schimmernde Decken? Ob leuchtend rote Treppenwangen oder blaue und gelbe Unterzüge, das Bauhaus war bunter und damit auch weit dekorativer als gedacht. Diese überraschende Farbigkeit geht vor allem auf den Entwurf von Hinnerk Scheper (1897 bis 1957) zurück, der die Bauhauswerkstatt für Wandmalerei leitete. Aufgrund von Befunden und einer Graustufenanalyse von Schwarzweissfotografien wurden die Farben nun rekonstruiert.

Archäologie der Moderne

Doch das Bauhaus ist nicht nur ein Schauhaus seiner selbst, sondern auch ein Dokument für den schwierigen Umgang mit dem Erbe der Moderne in Deutschland. Nach seiner Schliessung 1932 auf Betreiben der NSDAP nutzten verschiedene Schuleinrichtungen das Gebäude. Noch 1945 wurde das markante Aushängeschild des Bauhauses, die freihängende Stahl-Glas-Fassade des Werkstattflügels, schwer beschädigt und später durch eine provisorische Lochfassade ersetzt, ehe 1960 an ihre Stelle langgestreckte Fensterbänder traten. Mit der Aufnahme des Bauhauses in die DDR-Denkmalliste ging 1964 eine erste Bestandsaufnahme einher, doch erst in den Jahren 1975/76 folgte eine Sanierung. An die Stelle der Fensterbänder trat dabei eine Rekonstruktion der Glasfront, allerdings aus Aluminium und nicht mehr aus Stahl.

Die jüngste Sanierung nun, die auf einem Konzept von Hans-Otto Brambach aus Halle an der Saale und Ruggero Tropeano aus Zürich beruht, versteht sich laut Projektleiterin Monika Markgraf vom Bauhaus als eine «Archäologie der Moderne», für die eine umfangreiche Bauforschung notwendig war. Je nach Erhaltungszustand und Bedeutung wurden unterschiedliche Bereiche definiert, in denen drei Zeitschichten ablesbar sein sollen: die Bauzeit 1926, die Restaurierung 1976 und die Gegenwart. Doch trotz diesem Bemühen, die Zeitschichten des Bauhauses erkennbar bleiben zu lassen, war die Hauptzielrichtung, ein Bild des Zustandes von 1926 zurückzugewinnen. Das betraf nicht nur die Rekonstruktion der Farbigkeit, sondern auch die Entfernung von Veränderungen, die während der Ursprungsnutzung des Bauhauses eingebracht worden waren. Müssen künftig Bauteile der Rekonstruktion von 1976 ersetzt werden, dann soll dies in Form von Nachbauten des Zustandes von 1926 geschehen.

Schleichende Rekonstruktion

So durchläuft das Denkmal einen Jungbrunnen, wird zur ewig schönen Diva der Architektur mit Schaueffekt, ganz so, als wäre nicht die Wechselhaftigkeit das Leitmotiv der ersten 80 Jahre Bauhaus gewesen. Doch nach der 17 Millionen Euro teuren Sanierung sieht man dem Haus sein wirkliches Alter höchstens noch an den reparierten Fussböden und Treppenstufen an. Wer das Bauhaus heute besucht und nicht um seine Geschichte weiss, der wird mit einer erstaunlich heilen Welt konfrontiert. Doch so heil, wie sie hier inszeniert wird, ist die Welt der Moderne keineswegs, steht die Architektur der Avantgarde doch vielerorts unter Beschuss: Gerade erst wurde in Berlin Oberschöneweide die denkmalgeschützte Fernmeldekabelfabrik abgerissen, ein Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit, das Ernst Ziesel 1927/28 verwirklicht hatte. In Dessau dagegen lockt die Ikone Bauhaus Jahr für Jahr Tausende Besucher an, Tendenz steigend. Unabdingbar wird es daher sein, mit einem Pflegeplan auf die touristische Dauerbelastung des Denkmals zu reagieren.

Die Revision der Moderne geht beim Bauhaus, das seit 1996 zum Welterbe der Unesco zählt, mit einer schleichenden Rekonstruktion einher, die das Bild einer vermeintlichen Originalität erzeugt. Nicht verraten wird dabei freilich, dass das Ergebnis einer solchen auf die Bildwirkung fixierten «Rückgewinnung» bestenfalls eine Annäherung an das überformte Original bedeutet, jedoch keinesfalls das Original selbst.

[ Die Ausstellung «Ikone der Moderne» dauert bis 11. März 2007. Begleitpublikationen: Ikone der Moderne. Das Bauhausgebäude in Dessau. Hrsg. Walter Prigge, Edition Bauhaus, Band 24. Jovis- Verlag, Berlin 2006, Fr. 42.80. - Archäologie der Moderne. Sanierung Bauhaus Dessau. Hrsg. Monika Markgraf. Edition Bauhaus, Band 23. Jovis-Verlag, Berlin 2006, Fr. 50.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2006.12.04

18. November 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Gebauter Kanon

Zwei Übersichtswerke zur abendländischen Baukunst

Zwei Übersichtswerke zur abendländischen Baukunst

Bis in die Gegenwart hinein spiegelt die Architektur die Kraft der abendländischen Geschichte wider. Und während sich der Takt der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen zunehmend aus dem Einflusskreis des alten Europa hinüber nach Asien und Indien verlagert, bleiben die Bauten von der Antike bis zum Barock spürbare Zeugnisse vergangener Grösse. Ist es da Zufall, dass sich unter den aktuellen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt mit Klaus Jan Philipps «Reclam-Buch der Architektur» sowie mit Francesca Prinas und Elena Demartinis «Atlas Architektur» gleich zwei Bücher der Architekturgeschichte annehmen? Während in Literatur und Musik längst die Kanonbildung vorangeschritten ist und sogar dünnblütige abendliche Fernsehshows «Unsere Besten» bestimmen wollen, eilt die Architektur hinterher. Dabei ist die Baukunst ihrer unmittelbaren Anschaulichkeit wegen hervorragend dazu geeignet, uns vor Augen zu führen, was überdauern kann, während um uns herum die Fundamente unseres abendländischen Selbstverständnisses brüchiger werden.

Dabei müssen beide Bücher, denen jeweils Handbuchcharakter zukommt, mit einem grundsätzlichen Problem fertigwerden: der schier unüberschaubaren Vielfalt der abendländischen Baukunst. Denn nicht nur ihre zeitlichen, sondern auch ihre regionalen Ausprägungen gilt es zu berücksichtigen, ebenso wie künstlerische Handschriften. Hinzu kommt, dass die Fachbegriffe der Architektur, von den Säulenordnungen bis zum Aufbau einer gotischen Kathedrale, kaum allen Lesern gegenwärtig sind. Somit ist Grundlagenarbeit gefordert. Da hilft es, dass beide Bücher übersichtlich nach Epochen gegliedert sind. Hier besitzt Klaus Jan Philipps Buch einen umfassenderen Blickwinkel, steigt er doch bereits in der Antike ein, während Prina und Demartini nach einem kurzen Vorspann erst im 10. Jahrhundert beginnen.

Dann aber entfalten sie ein Feuerwerk an Abbildungen bedeutender Bauten. Der grosse Vorteil ihres Buches ist die Vielzahl von Objekten, die sie nicht nur in der Beschreibung, sondern auch im Bild vorstellen. Das trägt erheblich zur Anschaulichkeit bei. Dabei werden mal einzelne Bauwerke in den Mittelpunkt gerückt, mal spezielle Bauaufgaben oder Architekten, zumeist aber ganze Regionen. Langsam über die Epochen wachsend, entfaltet sich so der Horizont der Baukunst bis in die Gegenwart. Zugleich gelingt es den Autorinnen, ihrem Buch eine besondere Note zu verleihen, indem sie weniger vertraute Aspekte mit einfliessen lassen, etwa das barocke Sizilien oder den Kolonialbarock des 18. Jahrhunderts. Architektenbiografien, ein kleines Glossar sowie ein Register schliessen den Band ab. Ein Atlas der Baukunst, wie der Titel nahelegt, ist das Buch jedoch nicht, verzichtet es doch auf Karten zur Verortung der vorgestellten Bauten. Und leider gibt es auch keine Literaturliste, die für ein Handbuch unabdingbar ist.

Nach ganz ähnlichem Prinzip ist auch das Buch von Klaus Jan Philipp aufgebaut. Und es liegt in der Natur eines architektonischen Kanons, dass eine grosse Zahl von Bauten in beiden Büchern Erwähnung findet. Vergleichbar ist auch das farbliche Ordnungssystem, das einen schnellen Zugriff auf die Epochen ermöglicht. Einleitungstexten zu den Zeitabschnitten folgen bei Philipp Beiträge über bedeutende Zentren, die wichtigsten Bauaufgaben, Architekten und Gebäude. Der grosse Vorteil seines Buches ist, dass er tatsächlich bei den Anfängen des europäischen Architekturwollens einsetzt und damit die grosse Geschichte der abendländischen Baukunst in ihrer Vollständigkeit präsentiert.

Ganz bewusst ist dennoch ein Drittel des Buches der Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert vorbehalten. Anstelle eines Glossars sind einzelne Themen wie Säulenordnungen oder die Struktur der gotischen Kathedralen in die jeweiligen Kapitel eingefügt. Doch leider verfügt das Reclam-Buch über weit weniger Abbildungen, werden zahlreiche Objekte zwar beschrieben oder zum Vergleich herangezogen, aber nicht abgebildet, worunter die Anschaulichkeit gelegentlich leidet. Gleichwohl bereiten beide Bücher für die Leser einen beeindruckenden Fundus an architekturhistorischem Wissen auf, in den einzutauchen bedeutet, sich auf faszinierende Weise mit den Wurzeln und Zeugnissen der abendländischen Baukultur vertraut zu machen.

[ Klaus Jan Philipp: Das Reclam-Buch der Architektur. Reclam- Verlag, Stuttgart 2006. 463 S., Fr. 69.40. - Francesca Prina und Elena Demartini: Atlas Architektur. Geschichte der Architektur. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006. 432 S., Fr. 52.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.11.18

07. August 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Konstruktivistisches Elend

Für das Haus des Centrosojus in Moskau, das Le Corbusier 1928 entwarf, stehen die Chancen einer denkmalgerechten Restaurierung in den nächsten Jahren nicht...

Für das Haus des Centrosojus in Moskau, das Le Corbusier 1928 entwarf, stehen die Chancen einer denkmalgerechten Restaurierung in den nächsten Jahren nicht...

Für das Haus des Centrosojus in Moskau, das Le Corbusier 1928 entwarf, stehen die Chancen einer denkmalgerechten Restaurierung in den nächsten Jahren nicht schlecht. Doch viele andere Moskauer Bauten der Moderne sind dem endgültigen Untergang geweiht - wenn nicht ganz schnell etwas geschieht. So lautet das Fazit der Ausstellung «Avantgarde - Diffamierung - Welterbe?», die derzeit im Dessauer Meisterhaus Schlemmer zu sehen ist. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt sie den Umgang mit dem Bauerbe der Moderne in Deutschland und Russland. Dem euphorischen Aufbruch der zwanziger Jahre folgte in beiden Ländern eine Phase der Diffamierung der Avantgarde, im NS-Regime ebenso wie unter der Stalin-Diktatur.

Inzwischen sind die Bauten der klassischen Moderne in ihrer Denkmalwürdigkeit in Deutschland weitgehend akzeptiert, und das Bauhaus in Dessau geniesst sogar den Welterbe-Status. Die nicht minder bedeutenden Bauten der Konstruktivisten in Moskau sind dagegen nach wie vor ungeliebt und harren ihrer Wiederentdeckung im eigenen Land. Doch aufgrund ihrer «schlichten Fassadengestaltung werden sie bis heute als unrussisch empfunden», so Anke Zalivako, eine der Kuratorinnen der Ausstellung. Gleichgültigkeit und mangelnder Bauunterhalt sorgen dafür, dass wegweisenden Bauten der Moderne der Untergang droht. Dazu zählen das Norkofim Kommunehaus (1928/30) von Moissej Ginsburg oder das Verlagshaus der Prawda aus den dreissiger Jahren, das im Februar 2006 ausbrannte. Weit über Russland hinaus bedeutet dies einen unersetzlichen Verlust.

[ Die Ausstellung «Avantgarde - Diffamierung - Welterbe?» im Meisterhaus Schlemmer in Dessau dauert bis zum 27. August. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2006.08.07

29. Juli 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vergessene Avantgarde

Deutlich in die Jahre gekommen, unterscheidet sich die Grossgarage an der Berliner Kantstrasse heute kaum von den typischen Parkhäusern andernorts. Wer...

Deutlich in die Jahre gekommen, unterscheidet sich die Grossgarage an der Berliner Kantstrasse heute kaum von den typischen Parkhäusern andernorts. Wer...

Deutlich in die Jahre gekommen, unterscheidet sich die Grossgarage an der Berliner Kantstrasse heute kaum von den typischen Parkhäusern andernorts. Wer ahnt schon, dass sich hinter ihrer Glasfassade eine Inkunabel der modernen Architektur der Stadt verbirgt? So unbekannt wie die 1928/29 errichtete Kant-Garage ist auch ihr Architekt Richard Paulick (1903-1979). Ein lesenswerter Sammelband ermöglicht nun seine überfällige Wiederentdeckung. Wolfgang Thöner zeichnet in seinem Beitrag die Begegnung Paulicks mit dem Bauhaus in Dessau nach, wo der gebürtige Rosslauer zum Leiter des Büros von Walter Gropius aufstieg. Doch im Juni 1933 sah sich Paulick zur Emigration gezwungen. Die aufreibende Zeit des Exils in Schanghai, die für Paulick bis 1949 dauern sollte, schildert Eduard Kögel.

Mit der Rückkehr in die DDR erlangte Paulick grössere Bekanntheit, wie aus den Beiträgen von Jörn Düwel und Peter Müller hervorgeht. In Ostberlin hatte er mit seiner «Meisterwerkstatt» die Organisation der Grossbaustelle Stalinallee inne, wo er auch selbst einen Komplex verwirklichte. Die Ambivalenz zwischen der von ihm gewollten Moderne und der staatlich verordneten Tradition im Sinne Moskaus wird bei Paulicks «Deutscher Sporthalle» (1951) anschaulich: Dem monumentalen Portal antwortete an den Seiten ein sachlich durchgebildeter Baukörper.

Der Wiederaufbau der Staatsoper Unter den Linden begründete Paulicks Ruf als «Roter Schinkel». Treffender aber wäre die Bezeichnung als «Roter Knobelsdorff» gewesen, wie Uwe Schwartz mit Blick auf den eigentlichen Architekten der Oper Friedrichs des Grossen verdeutlicht. Nachdem der Stil der «nationalen Tradition» in der DDR ausgedient hatte, knüpfte auch Paulick mit seinen rationalisierten Plattenbauten wieder an die Wurzeln der Vorkriegsmoderne an. Trotz seiner etwas überambitionierten Gestaltung macht das Buch neugierig auf die Arbeit dieses Architekten zwischen Moderne und Tradition.

[ Bauhaus-Tradition und DDR-Moderne. Der Architekt Richard Paulick. Hrsg. Wolfgang Thöner, Peter Müller. Deutscher Kunstverlag, München 2006. 192 S., 80 Abb., Fr 43.70. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.07.29

21. Juli 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Bewegte Farbwelten

Die Architektur von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton setzt durch ihre farbigen Fassaden und die oftmals organisch geschwungenen Gebäudeformen Akzente. Eine Münchner Ausstellung gibt nun einen Überblick über das Werk der Wahlberliner, die zu den wichtigsten Vertretern der mittleren Architektengeneration in Deutschland zählen.

Die Architektur von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton setzt durch ihre farbigen Fassaden und die oftmals organisch geschwungenen Gebäudeformen Akzente. Eine Münchner Ausstellung gibt nun einen Überblick über das Werk der Wahlberliner, die zu den wichtigsten Vertretern der mittleren Architektengeneration in Deutschland zählen.

Sind runde Gebäude besser als eckige? Für den Architekten Matthias Sauerbruch ist die Antwort einfach: «Wenn ich zu wählen hätte, würde ich vermutlich intuitiv ‹rund› wählen», schreibt er im ausgezeichneten, erstmals einen Gesamtüberblick über das Œuvre des Berliner Büros vermittelnden Katalog zur Ausstellung «1 2 3 4. Die Architektur von Sauerbruch Hutton», die das Architekturmuseum der TU München derzeit in der Pinakothek der Moderne zeigt. Zwei Grundzüge kennzeichnen die Architektur von Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch: Die kräftige Farbigkeit ihrer Bauten geht mit einer organischen Grundstruktur einher. Dabei verzichten die beiden Wahlberliner keineswegs bei allen Bauten auf rechte Winkel, die geschwungene Form erweist sich somit keineswegs als Dogma. Auch das Expressive einer allzu aufgeregt plastischen Architektur liegt ihnen nicht. Vielmehr stehen ihre Bauten in der Traditionslinie der organischen Architektur der Moderne. Folgerichtig interessieren sie sich «für Räume, die Bewegung suggerieren», wie bei Hans Scharoun und Alvar Aalto.

Eigenständige Sprache

Das zweite dominierende Gestaltungsmotiv ihrer Architektur ist die intensive Farbigkeit. Mit ihr sorgten sie schon bei ihren ersten beiden bedeutenden Berliner Projekten für Furore, dem Kreuzberger GSW-Hochhaus (1991-99) mit seinem Sonnenschutz, der in unterschiedlichen Rottönen changiert, sowie beim amöbenförmigen Photonic Centre (1995-98) in Adlershof. Inzwischen gehören Sauerbruch Hutton zu den renommierten deutschen Architekturbüros, die dank ihrer eigenständigen Sprache international Anerkennung erfahren. In Deutschland freilich müssen sie sich auch kritischer Stimmen erwehren. Bilden die geschwungenen Formen und leuchtenden Farben ihrer Bauten doch einen Gegenpol zum kubischen Minimalismus, der gleichsam das andere Ende der heutigen Architektur beschreibt. Und mit dem historisierenden Retro- Schick, wie er das deutsche Baugeschehen zwischen Dresden, Frankfurt und Berlin dominiert, haben Sauerbruch Hutton nichts am Hut.

Ein drittes Leitmotiv ihrer Architektur tritt dagegen weniger offensichtlich zutage: das ökologische Konzept. Exemplarisch haben sie es im 2005 fertig gestellten Bundesumweltamt in Dessau verwirklicht, das neben einer Photovoltaikanlage und thermischen Sonnenkollektoren auch über einen grossen Luft-Erdwärme-Tauscher verfügt. Mit seiner Fassade aus farbigem Glas und Holzelementen schlängelt sich der Bau einer ehemaligen Industriebrache entlang und macht in seiner dynamischen Form fast vergessen, dass er immerhin 800 Mitarbeitern Platz bietet.

Der Ausstellungstitel «1 2 3 4» bezieht sich auf die vier Kapitel der Münchner Schau: Form, Inhalt, Oberfläche und Mittel, denen jeweils ein eigener Raum gewidmet ist. Den Auftakt machen rund zwanzig Modelle von Bauten und Projekten. So entsteht eine Stadt im Kleinformat, in welcher die Besucher umherwandeln können. Und vielleicht fragen sie sich ja insgeheim, wie es sich wohl in einer solchen Stadt leben würde, deren Farbigkeit nicht allein von grellen Werbeflächen und Neonlichtern bestimmt wird, sondern von farblich wohltemperierten Fassaden. Eine Stadt, in der sich neben den klassischen Blockrandbebauungen zunehmend auch organisch geschwungene Räume entwickeln dürfen? Anstelle des rechtwinkligen Strassenrasters würden sich luftige Stadtlandschaften entfalten, die ein Wechselspiel mit ihren kubischen Nachbarn entfachen.

Farbiges Mikado

Eine Ahnung von diesen städtischen Qualitäten zeigt der Entwurf für die neue ADAC-Zentrale in München, die 2009 fertig gestellt werden soll. Neben einem Hochhaus modelliert dort ein flacherer, fünfgeschossiger Bauteil fliessende Stadträume, die unmittelbar auf die umgebende Bebauung reagieren. Platzartige Weitungen wechseln sich mit Bereichen ab, an denen der Neubau dicht an den gebauten Bestand herangeführt wird. Sauerbruch Hutton verfügen über die Fähigkeit, starke Orte zu schaffen, die sich nicht nur aus einer ebenso eigenwilligen wie eigenständigen Architektur heraus definieren, sondern vor allem aus einem sensiblen Gefühl für den städtischen Raum. So auch bei dem Entwurf für ein Bürogebäude am Kölner Rheinufer (1999). Jenseits von Blob-Strukturen und Nierentisch-Romantik sollen die geschwungenen Fassadenfronten der einzelnen Baukörper auch dort eine spannungsvolle Raumwirkung erzeugen. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass sich Stadt nicht allein aus dem Aneinanderreihen streng rechtwinkliger Geometrien und geschlossener Blockränder konstituieren muss - die Projekte von Sauerbruch Hutton liefern ihn.

Allenthalben herrscht eine lustvolle Leichtigkeit vor, eine spielerische Eleganz, die sich schon in den Entwurfszeichnungen widerspiegelt, die gelegentlich den Charme der fünfziger Jahre in sich bergen. Entscheidend geprägt wird diese Wirkung durch die farbigen Fassaden. Ihnen ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet, in dem vier grossformatige Fotos des finnischen Künstlers Ola Kolehmainen mit Detailansichten gezeigt werden. Seit Bruno Tauts revolutionären farbigen Bauten in Magdeburg und Berlin, die in den 1920er Jahren entstanden sind, hat die Farbe wohl bei keinen anderen Architekten eine so zentrale Rolle gespielt wie bei Sauerbruch Hutton.

Das zeigt sich auch im letzten Kapitel der Ausstellung. Es ist dem Neubau des Brandhorst-Museums vorbehalten, das derzeit gleich neben der Pinakothek der Moderne entsteht. Ab 2007 wird es eine grosse Privatsammlung zeitgenössischer und moderner Kunst beherbergen. Und so bietet der letzte Ausstellungsraum den Blick in eine Architekturwerkstatt mit Modellen, Skizzen und Plänen, die deutlich machen, wie viel Aufwand und Detailarbeit in einem Gebäude stecken. Das gilt auch für die Suche nach der Fassadenfarbe bei der Sammlung Brandhorst, die in einem 1:1-Ausschnitt vorgestellt wird. Glasierte Terrakottastäbe fügen sich dort zu einer bunt schillernden Oberfläche zusammen. So entsteht ein Fassaden- Mikado mit Überraschungseffekt, das auf der Münchner Museumsmeile eine ganz eigenständige Wirkung entfalten wird.

[ Bis 22. Oktober in der Pinakothek der Moderne in München. Katalog: Sauerbruch Hutton. Archiv. Lars Müller Publishers, Baden 2006. 342 S., Fr. 89.90 (Euro 38.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.07.21

24. Juni 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Zwischen den Welten

Das Exil des Architekten Adolf Rading

Das Exil des Architekten Adolf Rading

Er gehört zu den bekannten Unbekannten des Neuen Bauens: der Berliner Architekt Adolf Rading (1888-1957). Dabei zählte er als Büropartner von Hans Scharoun und Hochschullehrer in Breslau zu den erfolgreichen Architekten der zwanziger Jahre in Deutschland. So war er unter anderem an den beiden Werkbundausstellungen 1927 in Stuttgart Weissenhof und 1929 in Breslau beteiligt. Seine Emigration vor den Nationalsozialisten, die ihn nach Frankreich und später nach Palästina und England führte, bedeutete für Rading einen existenziellen Einschnitt. Diesem Bruch widmet sich die Arbeit der Kunsthistorikerin Regina Göckede, die anhand der bisher unveröffentlichten Schriften Radings aufzeigt, wie der Architekt das Exil reflektierte und sich die Exilerfahrung in seinem Werk widerspiegelte. Göckedes aufwendig recherchierte Arbeit bezieht dabei nicht nur Radings Nachlass in der Berliner Akademie der Künste ein, sondern wertet auch Archivalien aus der Entstehungszeit Israels aus. In einem ihrer ausführlichen Exkurse erläutert die Autorin die Architekturentwicklung in Palästina und die identitätsstiftende Rolle der Moderne im Vorfeld der Staatsgründung Israels und bemüht sich darum, Radings Exilarbeiten in einen grösseren bau- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang einzubetten.

Doch auch der «Genese der Architektenkarriere» widmet sich Göckede. In Berlin und Breslau war Rading zunächst Mitarbeiter im Büro des Jugendstil-Architekten August Endell, ehe er in Breslau eine eigene Professur erhielt. Dort verwirklichte er auch seine ersten bedeutenden Bauten: die «Odd-Fellow-Loge» (1926) und den Umbau der Mohrenapotheke (1928). Radings Bauten dieser Zeit zeigen den reduzierten Duktus der «weissen Moderne», angereichert durch Motive aus der Schiffsarchitektur, mit denen er etwa seinem Gemeinschaftswohnhaus auf der Breslauer Werkbundausstellung Dynamik verlieh.

Nach dem Verlust seiner Professur wanderte Rading zusammen mit seiner jüdischen Frau 1933 zunächst nach Frankreich aus, ehe er 1936 nach Palästina weiterzog. Dort trat er 1943 in die Stadtverwaltung von Haifa ein. Neben grösseren Entwürfen entstanden kleinere Wohnbauten in Naharia, nördlich von Haifa, bei denen er sich mit der regionalen Architekturtradition auseinandersetzte. 1950 endete seine Zeit in Palästina. Es war «nicht primär das Ende des Zweiten Weltkrieges, das Rading (. . .) zur Zukunftsplanung zwingt, sondern die veränderten politischen Verhältnisse in Palästina-Israel selbst», konstatiert Göckede. «Die ohnehin vorhandene Vereinsamung Radings verstärkt sich nochmals.» Der Architekt kehrte nicht nach Deutschland zurück, sondern versuchte in England einen erneuten beruflichen Anfang. Mit dem Emigranten Frederick Herrmann ging er eine Büropartnerschaft ein. Es entstanden mehrere kleinere Häuser und das grosse Projekt für die «Marine Parade» in Dover 1953. Brieflich hielt Rading zwar bis zu seinem Tod 1957 den Kontakt zu seinen Kollegen aus den zwanziger Jahren, allen voran zu Richard Döcker und Hans Scharoun, in seine Heimatstadt Berlin kehrte er jedoch nicht mehr zurück.

Erst mit dem 1970 von Peter Pfankuch herausgegebenen Katalog der Berliner Akademie der Künste setzte die späte Erforschung von Radings Werk in Deutschland ein, zu der Göckede nun einen umfangreichen Beitrag liefert. Doch leider bedient sich die Autorin im theoretischen Teil ihrer Arbeit, der sich mit der Exilforschung auseinandersetzt, einer verquasten Wissenschaftssprache, die die Lektüre des Buches unnötig erschwert. Das ist schade, denn die materialreiche Arbeit trägt viel zum Verständnis des Exils eines bedeutenden Vertreters des Neuen Bauens bei.

[ Regina Göckede: Adolf Rading (1888-1957). Exodus des Neuen Bauens und Überschreitungen des Exils. Gebr.-Mann-Verlag, Berlin 2005. 504 S., Fr. 115.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.06.24

09. Juni 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Lob der Bescheidenheit

Bis in den Oktober lockt der «Hamburger Architektursommer» mit zahlreichen Veranstaltungen Architekturinteressierte in die Hansestadt. Neben dem gegenwärtigen Baugeschehen in der «Hafen-City» werden dabei auch mehrere Ausstellungen präsentiert: Eine Schau über Godber Nissen (1906-1997) in der Freien Akademie der Künste bildet den Auftakt.

Bis in den Oktober lockt der «Hamburger Architektursommer» mit zahlreichen Veranstaltungen Architekturinteressierte in die Hansestadt. Neben dem gegenwärtigen Baugeschehen in der «Hafen-City» werden dabei auch mehrere Ausstellungen präsentiert: Eine Schau über Godber Nissen (1906-1997) in der Freien Akademie der Künste bildet den Auftakt.

Fast menschenleer liegen die im vergangenen Jahr fertig gestellten Magellan-Terrassen von EMBT Arquitectes aus Barcelona in der Nachmittagssonne am Hamburger Hafen. Begleitet von kuriosen Klinkerreliefs, wuchern dort seltsam exaltierte Metallgestänge in die Luft, ganz so, als wollten sie den Kränen Konkurrenz bereiten, die gleich nebenan auf dem Dalmannkai das Geschehen bestimmen. Die verdrehten Laternen beleuchten den ersten Abschnitt von Hamburgs Prestigeprojekt: der «Hafen-City». Deren medienwirksam propagiertes Flaggschiff soll mit der «Elbphilharmonie» am Ende des Dalmannkais entstehen. Dafür haben die Basler Architekten Herzog & de Meuron einen zeltartig expressiven Aufbau entworfen, den sie dem mächtigen Kaispeicher A von Werner Kallmorgen aufsetzen wollen. Bereits fertig gestellt worden sind gegenüber an der Wasserkante des Sandtorkais die ersten Solitäre. In Ziegel und Glas stehen sie da und schaffen mit ihren aufgebrochenen Kanten und gegeneinander versetzten Balkonen eine freundliche, aber antiseptische Atmosphäre, die auf Belebung wartet. Derweil wird weiter heftig an der Zukunft der Hafen-City gebaut und geplant.

Aufbruch an der Elbe

Kein Wunder also, dass die Hafen-City auch im diesjährigen «Hamburger Architektursommer» eine zentrale Rolle einnimmt. Bis in den Oktober kreisen über 270 Veranstaltungen in Hamburg um das Thema Architektur. Galt in den neunziger Jahren Berlin auf dem Sektor Architektur als Mass aller Dinge in Deutschland, so haben inzwischen Städte wie Stuttgart, München und nicht zuletzt Hamburg die bauliche Regie übernommen. Wie vielfältig und teilweise höchst qualitätvoll die Hamburger Architektur-Renaissance ist, dokumentiert ein von der Behörde für Stadtentwicklung jüngst herausgegebener Architekturführer im Taschenformat (Hamburg: Bauen für die wachsende Stadt. Jovis-Verlag, Berlin 2006. 312 S. Fr. 8.90). Als ebenso vielfältig erweist sich der sommerliche Hamburger Architekturmarathon, auch wenn sich in diesem Jahr einige der grossen Ausstellungshäuser der Stadt bei dem Architekturfest dezent zurückhalten. Zu den Höhepunkten gehört neben den Ausstellungen über die «Hamburger Stadtbaumeister 1841-1933» (Kunsthaus, ab 23. Juni) und über Franz Gustav Forsmann (1795-1878) im Jenisch-Haus (ab 13. Juni) auch eine Vortragsreihe, die um das nach wie vor aktuelle Thema «Architektur und Politik» kreist.

Hanseatische Zurückhaltung

Zum Auftakt des Architektursommers wirft die Freie Akademie der Künste allerdings erst einmal einen Blick zurück auf Godber Nissen, einen Hauptvertreter der Hamburger Nachkriegsmoderne. 1906 in Wladiwostok als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren, wurde er in seiner architektonischen Haltung vor allem durch seinen Berliner Hochschullehrer Heinrich Tessenow (1876-1950) geprägt. In schönen historischen Schwarzweissfotografien aus dem Bestand des Hamburgischen Architekturarchivs sowie mit einigen Modellen stellt die Ausstellung die Arbeiten dieses «Virtuosen der Einfachheit» in Werkgruppen gegliedert vor. Leider fehlen jedoch Hinweise über den gegenwärtigen Zustand der Bauten. Anstelle eines Kataloges wird in der Akademie der noch immer aktuelle Band «Godber Nissen. Ein Meister der Nachkriegsmoderne» angeboten, der auch ein Werkverzeichnis des langjährigen Präsidenten der Hamburger Freien Akademie der Künste enthält.

Bereits Nissens frühe Flugmotorenwerke für die Rüstungsindustrie der Nationalsozialisten in Arnimswalde bei Stettin (1937-1945) und bei Prag (1941-1945) zeigen jene sachlich reduzierte Formensprache, die auch sein Nachkriegswerk bestimmte. Keine Architektur ohne Eigenschaften - aber doch eine von betonter Zurückhaltung, ganz im Sinne seines Lehrers Tessenow. Zu den bestimmenden Elementen von Nissens Arbeit gehörte die «Suche nach der kleinsten städtebaulichen Einheit», wie es sein Schüler und späterer Mitarbeiter Bernhard Winking formuliert. Das Bestreben, Architektur für den Menschen und in ihrem Umfeld zu denken, spiegelt sich in den zahlreichen Krankenhausentwürfen der Jahre nach 1950 ebenso wider wie in den Bauten, die für die Zigarettenfirma Philipp Reemtsma entstanden. Darunter das luftig filigrane Verwaltungsgebäude von 1952-1954 oder das mit lichten hellgrünen Glasplatten verkleidete Zigaretten-Werk in Berlin (1957-1960), das leider noch immer nicht unter Denkmalschutz steht.

Obwohl Wohnbauten nicht den Schwerpunkt im Werk Nissens bildeten, gehören sie doch zu seinen schönsten Arbeiten. An ihrem unkompliziert freundlichen Duktus ist der gelegentlich unterschätzte Einfluss der skandinavischen Baukunst auf die Nachkriegsarchitektur in Norddeutschland ablesbar. Es sind Ziegelbauten mit sanft geneigten Dächern und knappem Dachüberstand, harmonisch gegeneinander gestaffelte Baukuben, deren plastische Durchbildung durch die kluge Placierung der Schornsteine häufig einen zurückhaltenden Akzent erfährt. Zweifelsfrei modern in der Ausführung, sind sie zugleich der Region und ihrer Tradition verhaftet. In ihrer unspektakulären Selbstverständlichkeit erweisen sich diese Bauten als kleine Meisterwerke. Das gilt auch für seinen Entwurf der Sonderschule in Böttelkamp mit ihren geschlossenen Ziegelwänden. Es ist dieses hanseatisch anmutende Understatement, das sich in Nissens Bauten der Nachkriegszeit ausdrückte und das sich bis heute an den besten Beispielen der Hamburger Architektur zeigt. Etwas mehr von dieser unaufgeregten Selbstverständlichkeit hätte man sich auch als Korrektiv für die Hochglanzarchitektur der ersten Bauten in der Hafen-City gewünscht, in denen immer wieder der Wunsch der Architekten aufkeimt, sich mit Aufgeregtheiten aus Glas und Stahl gegenseitig zu übertrumpfen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.06.09

20. Mai 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architektur im Dialog

Ein Buch über das Bauen im Bestand in Südtirol

Ein Buch über das Bauen im Bestand in Südtirol

Südtirol erfährt als Architekturlandschaft derzeit viel Aufmerksamkeit. Eine Ergänzung zur Meraner Ausstellung «Neue Architektur in Südtirol», die den architektonischen «Aufbruch an Etsch und Eisach» (NZZ 17. 2. 06) thematisiert, stellt das Buch «Auf gebautem Bauen» dar, das die Architektin Susanne Waiz herausgegeben hat. Statt auf reine Neubauten lenkt sie die Aufmerksamkeit auf das Bauen im Bestand. Ein heikles Thema, schliesslich tun sich viele Architekten noch immer schwer im Umgang mit vorhandener Bausubstanz. Daher ist der Titel des Buches ganz programmatisch zu verstehen: Waiz geht es - zusammen mit den vier weiteren Südtiroler Architekten, die die 19 vorgestellten Projekte ausgewählt haben - gleichermassen um einen «bewussten Umgang mit dem Bestand» wie auch um ein selbstbewusstes Weiterbauen. Reine Restaurierungen fanden daher ebenso wenig Berücksichtigung wie Ergänzungen, die den Bestand weitgehend unberührt lassen. Damit fehlen im Buch die beiden interessantesten neuen Architekturen in Südtirol: die Erweiterung der alten Pfarrkirche in Leifers von Höllner & Klotzner und die neuen Kellereianlagen des historischen Weinguts Manincor beim Kalterersee von Walter Angonese, Silvia Boday und Rainer Köberl.

Sehr deutlich stellt Waiz in der Einführung ihres Buches fest, dass Architektur und Denkmalpflege «zwei Disziplinen sind, die sich heute oft verständnislos gegenüberstehen», ja mitunter sogar «gegeneinander arbeiten». Doch mit ihrer Veröffentlichung zeigt sie Lösungsansätze zu diesem Dilemma auf. Nach den drei Kapiteln Burg, Dorf und Stadt gegliedert werden die Projekte vorgestellt. Für die Anschaulichkeit sorgen neben kurzen einführenden Texten in Deutsch und Italienisch die vorzüglichen Abbildungen, ergänzt um die notwendigen Grundrisse und Schnitte. Das Ergebnis ist ein ästhetisch reizvolles Architekturbuch, das Lust darauf macht, sich den Gebäuden anzunähern.

Besonders wohltuend ist es, dass sich die meisten der vorgestellten Arbeiten weder im lärmenden Rekonstruktionseinerlei ergehen noch dass sie sich in Radikalkontrasten zwischen Alt und Neu verlieren. Schliesslich ist laut Waiz «die grosse architektonische Geste gerade im Umgang mit historischer Bausubstanz fragwürdig». Stattdessen werden Bauten vorgestellt, die angenehm leise Töne anschlagen und so die grossartige Kulturlandschaft Südtirols weiterbauen. Das gilt für die Umgestaltung von Schloss Tirol über Meran zum Landesmuseum durch Walter Angonese, Markus Scherer und Klaus Hellweger ebenso wie für die Restaurierung des Hotels «zum Grünen Baum» in Glurns durch Andreas Flora und Christian Kapeller oder des Gasthauses «zur Krone» in Laas durch Walter Dietl und Jörg Hofer. Alt und Neu geben sich in schöner Selbstverständlichkeit die Hand.

Gerade auf dem Land ist es besonders schwierig, aus der Nutzung gefallene Bauten langfristig zu erhalten, ohne sie durch eine Umnutzung ihrer Denkmaleigenschaft zu berauben. Sowohl beim Haus Tasser in Steinhaus, einem von Mutschlechner & Mahlknecht zum Ferienhaus umgewidmeten ehemaligen Stall, ist dies gelungen als auch beim Haus Knoll in Galsaun von Werner Tscholl, das einst als Speicher diente. Die Herausgeberin Susanne Waiz selbst hat in Steinhaus mit den beiden Architekten Walter Angonese und Markus Scherer in einem einstigen Speichergebäude das «Bergbaumuseum im Kornkasten» verwirklicht. Auch hier gehen der behutsam behandelte Bestand und die notwendige zeitgenössische Nutzungsschicht in sympathisch respektvollem Gleichklang und auf gleicher architektonischer Augenhöhe miteinander einher.

[ Susanne Waiz: Auf gebautem Bauen. Im Dialog mit historischer Bausubstanz. Eine Recherche in Südtirol. Folio-Verlag, Bozen und Wien 2005. 190 S., Fr. 62.10. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.05.20



verknüpfte Publikationen
Auf Gebautem bauen/Costruire sul costruito

03. Februar 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Zerbrechliche Avantgarde

Die Bauten der klassischen Moderne waren schon zu ihrer Entstehungszeit umstritten. Und noch heute besitzt der Umgang mit ihnen zwei Gesichter: Während Le Corbusiers berühmtes Doppelhaus in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart jüngst restauriert wurde, droht von Moskau über Tel Aviv bis Zürich der Verlust bedeutender Denkmäler.

Die Bauten der klassischen Moderne waren schon zu ihrer Entstehungszeit umstritten. Und noch heute besitzt der Umgang mit ihnen zwei Gesichter: Während Le Corbusiers berühmtes Doppelhaus in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart jüngst restauriert wurde, droht von Moskau über Tel Aviv bis Zürich der Verlust bedeutender Denkmäler.

Das Neue Bauen der zwanziger Jahre fand zwar schnell den Weg in die Architekturgeschichte, aber nur langsam in den Blickwinkel der Denkmalpflege. Erst Ende der siebziger Jahre begann man damit, genauer auf die Pionierbauten der klassischen Moderne zu schauen. Zu einer Zeit also, als sie langsam die Farbe ihres Anstrichs und ihr ursprüngliches Gesicht verloren. Vielleicht brauchte es diesen Zeitabstand, um die Werke der Avantgarde angemessen würdigen zu können. Doch fand diese Wiederentdeckung erst statt, als die architektonischen und städtebaulichen Konzepte der Moderne ausgedient hatten. Mit der Krise des Funktionalismus und der Rückkehr von Säule oder Walmdach in das postmoderne Stadtbild setzte eine seltsame Doppelbewegung ein: Einerseits fanden die Gründungsbauten der Moderne Eingang in die Denkmallisten, andererseits aber gerieten sie unter einen wachsenden Umnutzungs- und Abrissdruck.

Zu den Meilensteinen beim denkmalgerechten Umgang mit dem Neuen Bauen gehörte die detaillierte Untersuchung, die Ende der siebziger Jahre an Bruno Tauts Berliner Grosssiedlung «Onkel Toms Hütte» mit ihrer einzigartigen Farbigkeit durchgeführt wurde. Auf der Liste jener Siedlungen der Moderne, die Berlin heute gerne als Teil des Weltkulturerbes sehen würde, sucht man «Onkel Toms Hütte» allerdings vergeblich. Eine ähnliche Pionierleistung stellte auch die erste Sanierung der Stuttgarter Weissenhofsiedlung zwischen 1981 und 1987 dar. So verdienstvoll diese Intervention war, so zwiespältig ist rückblickend das Vorgehen. Denn einerseits wurde an den berühmten Bauten der Werkbundausstellung von 1927 eifrig rekonstruiert, andererseits opferte man für eine neue Wärmedämmung originale Bausubstanz.

Farbiger Aufbruch

Jetzt stand die erneute Restaurierung des Doppelhauses von Le Corbusier und Pierre Jeanneret in Stuttgart an. Von der Wüstenrot-Stiftung unterstützt, wurde sie vom ortsansässigen Büro «Architektur 109» durchgeführt. Künftig soll das Haus einer Doppelfunktion nachkommen: als Ausstellungsgebäude, das die Besucher mit der Geschichte der Weissenhofsiedlung vertraut macht, sowie als Exponat seiner selbst. Denn das 1927 in nur wenigen Monaten unter der Leitung von Alfred Roth errichtete Haus gilt als programmatischer Bau. Mit ihm verwirklichte Le Corbusier seine Vision vom modernen Wohnen. Dem Weiss der Fassade, die von einem dynamischen Flugdach bekrönt wurde, antwortete im Inneren des Hauses eine starke Farbigkeit.

Doch ausgerechnet dieses Corbusier-Gebäude war das einzige in der Weissenhofsiedlung, das nach dem Ausstellungsende keinen Nutzer fand. Daher baute man es 1933 tiefgreifend um. Die Einbauschränke verschwanden, das Haus wurde unterkellert, und die Dachterrasse wurde zum Dachgeschoss. Bei der Restaurierung 1983/84 bemühte man sich, den Ursprungsbau wieder herauszuschälen. Zudem wurden die Einbaumöbel rekonstruiert, die tagsüber die Betten verbergen sollten. Freilich nicht mit ihrem - ursprünglichen - Betonrahmen, das trug der zu dünne Boden nicht. Bei der jetzigen Restaurierung hat man eine neue Version dieser Bettmöbel rekonstruiert, statt jene aus den achtziger Jahren als Dokument der Restaurierungsgeschichte zu bewahren.

Ideologische Verblendungen

Das Stuttgarter Doppelhaus stand lange Zeit für den schwierigen Umgang mit der Moderne in Deutschland. Die aufgrund der weissen Flachdachkuben schon bei ihrer Entstehung als «Araberdorf» diffamierte Weissenhofsiedlung hatte einen schweren Stand. Im Dritten Reich sollte an ihrer Stelle gar das «Generalkommando V» des Heeres entstehen: Den Mietern der Weissenhofsiedlung wurde zum 1. April 1939 gekündigt.

Wie tief die Aversion gegen die Moderne sass, zeigt sich nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Dessau. In einem systemübergreifenden Hass der deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts auf die Avantgarde wurden das Bauhaus und die Meisterhäuser von Walter Gropius überformt und den gängigen Architekturvorstellungen angepasst. Ganz so, als gälte es, das Bauhaus einer «damnatio memoriae» zu unterziehen. Diese doppelte ideologische Verblendung im Dritten Reich und in der DDR erfuhr durch die Kriegszerstörungen noch eine zusätzliche Dimension. Wer heute vor den Dessauer Meisterhäusern steht, der wird von den Veränderungen der Bauten kaum noch etwas erkennen - sofern er nicht von ihnen weiss. Denn sie präsentieren sich wieder im lichten Glanz der Avantgarde, ganz so, als hätte es in den letzten siebzig Jahren nicht zahlreiche Bemühungen gegeben, sie auszulöschen.

Derweil dauert die unheilige Allianz aus Ablehnung und Gleichmut gegenüber der Moderne andernorts bis heute an. In Russland droht zahlreichen Bauten des Konstruktivismus der Untergang. So dem «Narkowim»-Haus, das Moissej Ginzburg 1928/30 für die Beamten des Finanzvolkskommissariates der Sowjetunion verwirklicht hatte. Von seinen einst 50 Wohnungen sind heute nur mehr 20 bewohnt. Im Übrigen beherrschen Rost und zerbrochene Fensterscheiben das Bild. Der Zustand des Baudenkmals ist kein Einzelfall. Insgesamt 15 bedrohte Moskauer Beispiele des Konstruktivismus hat die Berliner Bauhistorikerin Anke Zalivako auf einer Webseite der Baugeschichte an der TU Berlin dokumentiert. Darunter gleich mehrere Arbeiten von Konstantin Melnikow und Alexander Wesnin. Eine unter anderem von der Russischen Akademie für Architektur und Bauwissenschaften initiierte Tagung wird sich Mitte April unter dem Titel «Heritage at risk. Preservation of 20th Century Architecture and World Heritage» der Moskauer Problemfälle annehmen - aber nicht nur ihrer. Denn wer meint, dass die Zerstörung der Moderne nur ein Problem Russlands sei, der irrt.

Zwar gibt es herausragende Beispiele für die behutsame Restaurierung moderner Bauten. Dazu gehört das von Pitz und Hoh hergerichtete Haus Schminke von Hans Scharoun im sächsischen Löbau ebenso wie die Rotterdamer Van- Nelle-Fabrik. Von Jan Brinkman und Lee van der Vlugt zwischen 1925 und 1931 errichtet, wurde sie jüngst durch den Rotterdamer Architekten Wessel de Jonge umgenutzt. Doch der Umgang mit den Bauten der Moderne bleibt ambivalent. Während sie an manchen Orten sehnsuchtsvoll rekonstruiert werden, dienen sie andernorts als Spielball von Ablehnung und kommerziellen Interessen. Mit dem Abriss der denkmalgeschützten Siedlung Blumlägerfeld (1930/31) von Otto Haesler ist im norddeutschen Celle erst vor wenigen Jahren ein Meilenstein des «Bauens für das Existenzminimum» zerstört worden.

Auch in der Schweiz droht der Verlust eines herausragenden Baudenkmals der Moderne: das Zürcher Kongresshaus des Architekturbüros von Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser und Rudolf Steiger. Zeitgleich mit den Bauten der Landi 1939 verwirklicht, greift es dem architektonischen Duktus der fünfziger Jahre voraus. Der freie Grundriss und die kunstvoll gestaffelten Bauglieder gehen mit einer Wiederentdeckung des lange von der Moderne geschmähten Ornaments bei der Behandlung von Wänden und Böden einher. Selbst eine missglückte Ergänzung aus den achtziger Jahren vermag der einzigartigen Qualität des Kongresshauses kaum etwas anzuhaben. Die gegenwärtigen Planungen für das neue Kongresszentrum gehen jedoch derzeit von einem Abbruch des Denkmals aus. Der Vorschlag des Basler Architekten Roger Diener, den Bau in die neue Nutzung einzubeziehen, wird nicht weiterverfolgt. So droht auch Zürich ein schmerzlicher Denkmalverlust. Qualität und Bedeutung der architektonischen Avantgarde, so scheint es, sind im Bewusstsein der Gegenwart noch immer erst bruchstückhaft angekommen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.02.03

30. Januar 2006Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Gebaute Zeichen

Welche Bedeutung haben Architektur-Ikonen?

Welche Bedeutung haben Architektur-Ikonen?

Ist es eine gläserne Zigarre im Rauten-Look? Oder doch eher eine Rakete, die gleich zum intergalaktischen Raumflug abheben wird? Norman Fosters Londoner Swiss-Re-Gebäude lässt Platz für Interpretationen. Egal ob gläsern kühl oder betongrau, ob geschwungen oder spitz, zeichenhafte Architektur ist dank dem Bilbao-Effekt von Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum auf dem ungebremsten Vormarsch. Mit seiner medien- und marktgerechten Architekturplastik hat Gehry jenen Impuls gegeben, der sich seitdem in einer Art Dominoeffekt um die ganze Welt fortsetzt. Erst schwappte er von Metropole zu Metropole, um sich dann in immer feineren Verästelungen auch in kleineren Städten zu verlieren, bis nach Graz oder Malmö - ja zuletzt gar bis nach Herford und Wolfsburg. Jeder, so scheint es, will ein Haus der Happy Few der Architektenszene, will seinen Gehry, seine Zaha Hadid oder seinen Daniel Libeskind. Zur Not auch nur als Light- Version oder gar als Surrogat.

Identität durch Architektur

Neben ihrem dreidimensionalen Alltag als Museum, Bibliothek, Bürohaus oder Einkaufszentrum führen diese gebauten Landmarken eine zweite Existenz als zweidimensionale Architekturbilder. Dabei gilt: Je signifikanter ein Gebäude ist, je unverwechselbarer es erscheint, umso besser ist es um seine Vermarktbarkeit bestellt. Diese Sehnsucht nach Einzigartigkeit ist kein neues Phänomen. Sie steht mit dem Turm zu Babel sogar ganz am Anfang allen Bauens. Und mit ihr jene Hybris, die als ewige Versuchung allen Bauwerken innewohnt. Das Haus selbst und das Bild vom Haus bilden von jeher ein untrennbar miteinander verwobenes Gespann, das seinen Platz im individuellen wie im kollektiven Bildgedächtnis besitzt. Denn neben der vertrauten Umgebung, dem Haus an der Ecke, gibt es auch jene übergreifenden kulturellen Festlegungen, die an bekannte Gebäude gebunden sind - und die dafür sorgen, dass einzelne Orte sofort erkennbar sind, egal ob wir sie je besucht haben oder nicht: Der Eiffelturm steht für Paris, der schiefe Turm für Pisa, das Kolosseum für Rom, die Akropolis für Athen. Doch was stand für Herford, ehe dort Gehrys MARTa-Museum eröffnet wurde?

Jahrhundertelang definierten die vertrauten Häuser der näheren Umgebung ein Stück Heimat, eine Identität, die von Generation zu Generation nur einem allmählichen Veränderungsprozess unterworfen war. Seit der industriellen Revolution ist dieser Prozess durch das Wachstum der Metropolen und die Verstädterung der Landschaft beschleunigt worden und aus den Fugen geraten. Heimat- und Denkmalschutz stellten den verzweifelten Versuch dar, das Vertraute zumindest partiell zu bewahren, es über den nächsten Tag zu retten. Und damit jenen kulturellen Architekturkanon, der seit der Renaissance in den Veduten eines Canaletto oder Gaspar van Wittel verbreitet worden war.

In den Zeiten einer fortschreitenden Globalisierung besitzen die Ikonen der Architektur, denen sich jüngst der Vorreiter der Postmoderne, Charles Jencks, ausführlich widmete (Iconic Building, Frances Lincoln, London 2005, £ 19,99), eine ganz neue Dimension. Längst entfalten sie ihre eigentliche Wirkung als virtuell verbreitete Markenzeichen, mit denen im Hinblick auf Investoren und Touristen der Wettstreit der Metropolen angeheizt wird. Ein Milliarden-Markt mit Imagefaktor. Kein Wunder also, wenn durch die neuen Architekturbilder weder Heimat noch Vertrautheit geschaffen werden. Wer würde schon den neuen Potsdamer Platz als Heimat bezeichnen? Höchstens einige Zweitwohnungsbesitzer, die dank gut gepolstertem Bankkonto hier ihren Koffer in Berlin abstellten. Doch wenn der Bezug zum Ort nicht mehr eingefordert, der Rückbezug zur gewachsenen Stadtstruktur in ihrer Einzigartigkeit ebenso wie in ihrer Widersprüchlichkeit zur Nebensache wird, dann verwundert es nicht, dass sich manche Architektur- Ikonen wie Aliens gebärden, welche die Kommunikation mit ihrer Umwelt verweigern. Sie bilden eine eigene, den Bezug zur Geschichte des Ortes negierende Matrix.

Zugleich droht die wachsende Inflation auf dem Catwalk der Architekturbilder zur allgemeinen Verwirrung beizutragen. Stand dieses Haus in Hamburg, Tokio oder Paris? War es das Museum in Bern, Manchester oder Seoul? Hiess der Architekt Eisenman, Koolhaas oder Piano? Wer hat wann wo was gebaut? Schon purzeln die Bauten durcheinander. Im Zeitalter des Global Village rücken die Architekturbilder nebeneinander wie die Gemälde in einem Museum. Ganz so, als könne man sie alle paar Jahre neu hängen.

Das Dilemma einer im Zeitalter des Iconic Turn primär auf ihre Bildwirkung hin ausgerichteten Architektur liegt darin, dass sie auf den schnellen, flüchtigen Blick vertrauen muss. Auf ein möglichst leicht konsumierbares architektonisches Fast Food, das von emotionalen Stimmungswerten dominiert wird. Es ist kaum zu verhindern, dass dabei oft all das aus dem Blick gerät, was die eigentliche Qualität von Architektur ausmacht und über die Zeit trägt: ihre Materialität, ihre Substanz, ihre Details und ihre Raumwirkung. Ihre haptische und sinnliche Dimension. Die sind nämlich nur vor Ort und nur nach und nach am einzelnen Bauwerk erfahrbar.

Von hypermodern bis erzkonservativ

Das Überraschende aber ist, dass diese Bild-Bauten ganz unterschiedliche Formen annehmen können, je nachdem, welches Marktsegment mit ihnen bedient werden soll. Die Variationsbreite liegt zwischen hypermodern und erzkonservativ. Doch eines eint die neuen Bildstrategien - sie vermitteln ihrem Publikum eine klare Sicht auf die Welt. Zwischentöne, gleichsam der «architektonische Autorenfilm», gehören nicht zu ihren starken Seiten. Stattdessen dominiert die baukünstlerische Schwarzweissmalerei des Mainstreams.

Charakteristisch für die derzeit besonders beliebten konservativen Architekturbilder sind Wohnsiedlungen, die pseudotraditionelle Stadtstrukturen reproduzieren. Dem entspricht, dass gerade in Deutschland seit der Wiedervereinigung der geschichtlichen Dimension der Städte eine wachsende Bedeutung beigemessen wird. Und so positionieren sich Städte wie Dresden oder Berlin über historische Architekturbilder, auch wenn diese Bauten dafür erst wieder neu erfunden oder rekonstruiert werden müssen. Doch Zweifel sind angebracht, ob diese dünne Eisschicht über dem tiefen Meer von über 2000 Jahren europäischer Baukultur lange tragen wird. Kritische Nachfragen jedenfalls, was sich hinter den nivellierenden Architekturbildern eigentlich für ein Geschichtsverständnis verbirgt, erscheinen angesichts des allgemein verbreiteten öffentlichen Jubels höchst störend.

Doch auch der Baukasten der Moderne generiert laufend neue Bilder für die weltweite Vermarktung im Architekturzirkus: ökologisch ambitioniert bei Foster, elegant expressiv bei Gehry, zackig dekonstruiert bei Libeskind. Am Computer entworfen, vermischen sich die weltweit verfügbaren Ikonen miteinander. Virtuelle und wirkliche Welten überlagern sich längst, um sich zu einem Bild von Stadt zusammenzufügen, das wir für die eigentliche Stadt halten, obwohl es sich bestenfalls um die gebaute Hülle einer gelungenen Marketingstrategie handelt. Die Architektur, sie droht zum Klischee zu erstarren, während Potemkinsche Dörfer weiter unsere Alltagswelten erobern.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2006.01.30

24. Dezember 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

An der Schnittstelle

Architektonische Glaswelten zwischen Ein- und Ausblick

Architektonische Glaswelten zwischen Ein- und Ausblick

In unregelmässigem Rhythmus drücken die nächtlichen Sturmböen die grosse Fensterscheibe der Terrassentüre nach innen. Mit jedem Windstoss verzerren sich die Spiegelungen auf der Glasfläche wie in einem Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt. Unheimlich quillt das Licht der Schreibtischlampe auf, nur um im nächsten Augenblick wieder von der planen Fensterscheibe zurückgeworfen zu werden, ganz so, als habe es nie eine Sturmböe gegeben, die uns das Fürchten lehrte. Dabei ist es nur eine dünne Glashaut, die uns vor Regen, Wind und Kälte schützt, dahinter tobt weiter der Sturm.

Das Glas hat die Architektur und mit ihr unsere Welt verändert. Längst gehört das Haus aus Glas zu den sich wiederholenden Motiven der modernen Architektur. Das gilt für Mies van der Rohes Farnsworth House ebenso wie für Werner Sobeks würfelförmiges Haus R 128 in Stuttgart. Denn Glas verwandelt abgeschlossene Innenräume in geschützte Aussenräume, indem es den Gegensatz von innen und aussen optisch aufhebt. Der Blick wandert ungehindert durch die Scheiben hinaus in die Natur und von dort zurück. So vermischen sich die private und die öffentliche Welt miteinander, bis die Dämmerung hereinbricht. Dann lässt es sich gut in das hell erleuchtete Glashaus schauen. Doch von dort sieht man nur noch die Spiegelung der Innenwelt. Dahinter breitet sich die geheimnisvolle Dunkelheit der Nacht aus. Das Glashaus bezieht sich nur noch auf sich selbst. Bis die Vorhänge zugezogen werden.

Gläserne Geschichten

Die Erfolgsgeschichte des Glases setzte nicht erst mit der industriellen Revolution ein, als es zusammen mit Stahl und Beton zur Trias der neuen Baustoffe aufstieg. Schon der Gotik war das Glas Triebfeder für eine andere Architektur, eine neue Weltsicht. Immer feingliedriger wurden die Kathedralen, immer mutiger die zarten Konstruktionen aus Pfeilern, die die Gewölbebögen trugen und die steinernen Wände ablösten. Die Zwischenräume, die das filigrane Masswerk liess, füllten die Künstler mit farbigen Glasfenstern, welche die magische Strahlkraft von Edelsteinen verströmten. Es entstanden Räume eines geradezu überirdischen Lichts. Noch heute gehört die Magie der farbigen Glaswände zu den Leitmotiven des Sakralbaus, wie der Lichtraum von Egon Eiermanns Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin zeigt.

Ahnte Joseph Paxton, welche Wege das Bauen mit Glas gehen würde, als er vor gut 150 Jahren den Londoner Crystal Palace verwirklichte, der am Beginn der Geschichte des modernen Glasbaus steht? Immer wieder erlagen Architekten und Ingenieure der Faszination des Glases, seiner Ambivalenz zwischen Einblick und Ausblick, zwischen Spiegelung und Durchlässigkeit. Wie die gotischen Kathedralen bargen auch die ersten Glashäuser des 19. Jahrhunderts das Versprechen einer befreiten Leichtigkeit. Immer weiter wurden die massiven Wandflächen zurückgedrängt, bis hin zu ihrer vollständigen Auflösung in Glas.

Die gläsernen Häuser liessen nicht nur möglichst viel Licht in das Innere. Sie stehen auch für eine neue Ästhetik, wie etwa das Bauhaus von Walter Gropius (1925/26) in Dessau zeigt. Selbstbewusst setzt es sich über die tradierten Formen von Dekoration hinweg. Damit erweist es sich als Erbe jenes expressionistischen Aufschreis, der mit Bruno Tauts «Alpiner Architektur» eine filigrane Glasbaukunst gefordert hatte. Kristallin in der Form, aber vor allem farbig glänzend und wie von innen heraus leuchtend sollte sie sein. Eine gebaute Märchenwelt, die Taut bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges auf der Kölner Werkbundausstellung mit seinem Glashaus formuliert hatte. Ein Juwel, von «lockender Schönheit», so schwärmten die Kritiker voller Begeisterung von diesem Bau. «Das Glas bringt uns die neue Zeit, Backsteinkultur tut uns nur leid», verkündeten die frechen Verse des Dichters Paul Scheerbart von der Fassade des Glashauses herab.

Vor allem die Warenhauswelten waren ohne Glas nicht denkbar. Immer kühner wurden die Abmessungen der Vitrinen. Dabei nahmen sie Vorbilder aus den Vereinigten Staaten auf, wie bei Bernhard Sehrings Warenhaus Tietz in der Leipziger Strasse in Berlin. Damals flankierten noch üppige Karyatiden wie steinerne Fleischberge die zarte Stahl-Glas-Konstruktion der Schaufenster, hinter denen sich - gut einsehbar für die Passanten - die Verlockungen des Konsums offenbarten. Wer den Eingang dieser prächtigen Einkaufstempel durchschritt, der fand sich in mehrgeschossigen, von farbig leuchtenden Glasdecken überwölbten Lichthöfen wieder. Hier tauchte er ein in eine verheissungsvolle Zauberwelt, deren Waren sich beileibe nicht jeder leisten konnte.

In den zwanziger Jahren stieg das Glas endgültig zum Baustoff der Grossstadt auf. Kunstvoll spielte Erich Mendelsohn auf der Klaviatur der Moderne. Mit den langgestreckten Fensterbändern seiner Geschäftshäuser formulierte er das Symbol einer transparenten Avantgarde. Dank den farbigen Leuchtschriften und den taghell erleuchteten Auslagen verlor die Nacht ihren Schrecken, trug der Rhythmus der Grossstadt ihre Bewohner bis in den nächsten Tag hinein. Plötzlich schien sie da zu sein, die neue, kristalline Welt der Glasarchitektur, transparent bei Tage, verzaubert bei Nacht, wenn sich auf den regennassen Strassen das Scheinwerferlicht der Automobile mit den Lichtern der Reklamen und der Vitrinen zu einer einzigen schillernden Farbkaskade vermischte.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Architektur ganz von ihrer steinernen Vergangenheit befreien wollte. Ludwig Mies van der Rohe träumte bereits 1921 von jenen gläsernen Hochhäusern, die er nach dem Zweiten Weltkrieg bauen sollte. Und Frits Peutz errichtete 1934/35 mit dem Glaspalast in Heerlen auf sechs Geschossen eine vollständig in Glas aufgelöste Fassade, hinter der sich bis heute der Raster der pilzförmigen Stahlbetonstützen abzeichnet. Gläser aller Arten, vom transparenten Fahrstuhlzylinder bis zur geschwungenen Gebäudeecke, wurden zu ästhetischen Markenzeichen einer dynamischen Grossstadtarchitektur, lange bevor nach dem Zweiten Weltkrieg das Glas mit den «curtain walls», den Vorhangfassaden, im wahrsten Sinne des Wortes zum austauschbaren Verkleidungsmaterial für die Gebäudekonstruktion wurde.

Transparenz und Spiegelungen

Doch während die gläsernen Hallen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ungläubiges Staunen auslösten, sind sie heute längst zum Alltag geworden. Das kunstvolle Spiel zwischen innen und aussen wurde durch eine geradezu exhibitionistische Transparenz ersetzt. Seine Unschuld aber hat das Bauen mit Glas spätestens in den siebziger Jahren verloren, als die spiegelnden Glaskuben, die zwar Ausblicke gewährten, Einblicke aber verwehrten, die Idee gläserner Architektur auf den Kopf stellten.

Wie riesige Spiegel stehen die schwarz, braun oder blau glitzernden Hochhäuser zu Hunderten in den Metropolen. Durch den Raster ihrer Fassadenplatten zersplittern sie das Abbild der Stadt wie in einem Kaleidoskop. Grobschlächtig fragmentieren sie so die Zusammenhänge der Umgebung und vertrauen darauf, dass der Betrachter diese Bilder in seinem Kopf schon wieder zur bekannten Gesamtkomposition zusammensetzen wird. Spiegelnd lenken sie von sich ab, werden zur Nicht-Architektur, zum Brennglas architektonischen Versagens. Doch den Blick auf die Möglichkeiten einer offenen, weil transparenten Architektur sollten diese Fehlschläge nicht verstellen. Gerade in einer neu erwachten Auseinandersetzung zwischen geschlossener Wand und transparenter Öffnung, im Spiel zwischen durchscheinendem Glas und farbigen Fenstern bietet sich - wie etwa das neue Novartis-Gebäude von Roger Diener in Basel zeigt - ein ganzer Kosmos von Möglichkeiten, die Schnittstellen zwischen Innenwelt und Aussenwelt neu zu definieren. Dort wird noch heute jenes Versprechen spürbar, das Paul Scheerbart vor hundert Jahren mit der Gewissheit eines Visionärs verkündete: «Ohne einen Glaspalast wird das Leben eine Last.»

[ Der Kunsthistoriker Jürgen Tietz lebt als Publizist in Berlin und schreibt regelmässig in der NZZ über Architektur und Denkmalpflege. Im Frühjahr 2006 erscheint sein neustes Buch, «Was ist gute Architektur», in der Deutschen Verlags-Anstalt. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2005.12.24

04. November 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Im Einklang mit der Stadt

Die Architekten Sichau und Walter erforschen das baukünstlerische Potenzial von Fulda

Die Architekten Sichau und Walter erforschen das baukünstlerische Potenzial von Fulda

Bauen in der Provinz unterliegt eigenen Gesetzmässigkeiten. Denn so leicht in den Metropolen Neubauten im weiten Häusermeer untergehen, so nachdrücklich können sie in einer kleineren Stadt die gewachsenen Strukturen verändern und auf Jahrzehnte hinaus prägen. Die Angst vor einer Veränderung des vertrauten Stadtbildes führt in der Bevölkerung daher oft zur Zurückhaltung gegenüber baulichen Innovationen. Anspruchsvolle zeitgenössische Architektur hat es zumeist schwerer als anpasserische Durchschnittsware. Umso mehr überrascht es, dass sich in einer eher konservativ geprägten Stadt wie dem hessischen Fulda in den letzten Jahren eine innovative Architekturszene etablieren konnte. Hier sind eine ganze Reihe bemerkenswerter Neubauten entstanden, darunter manche Entwürfe, die inzwischen mit Architekturpreisen ausgezeichnet wurden. Möglich wurde dies dank dem engen Zusammenwirken von Stadtplanung, Bauherren, Investoren und Architekten. «In Fulda hat sich jene offene Atmosphäre entwickelt, die gute Architektur zum Entstehen braucht», beschreibt Peter Sichau vom Büro Sichau und Walter die Bedingungen für den Architekturboom der Stadt. Mit ihren Fuldaer Projekten haben der 1960 geborene Peter Sichau und der ein Jahr ältere Hartmut Walter selbst dazu beigetragen, den Ruf der Stadt als attraktiver Architektur-Oase über Hessen hinaus zu fördern.

Steinerner Monolith

Dass sich gute Architektur nicht nur auf die grossen Bauaufgaben beschränken sollte, sondern gerade auch bei den vermeintlich unspektakulären Projekten unverzichtbar ist, verdeutlicht das neue Fuldaer Parkhaus von Sichau und Walter. Im dichten Takt folgen dort die Betonstelen aufeinander, entfachen einen gleichförmigen Rhythmus aus schmalen offenen und geschlossenen Flächen. Doch es ist ein Gleichklang ohne Monotonie, denn die Pfeilerfassade zeichnet zugleich sanfte Schwünge in den Stadtgrundriss. So entsteht eine Lebendigkeit, die sich auch am Material ablesen lässt. Je näher man der aufgerauten Betonoberfläche an der Vorderseite der Stelen kommt, desto deutlicher zeichnen sich die rötlichen Kieselsteine des Zuschlagstoffes ab. Wie eine grossformatige Plastik liegt das Parkhaus neben einem Rest der mittelalterlichen Stadtmauer: ein steinerner Monolith mit organisch geschwungenen Formen.

Vom Dach des Gebäudes bietet sich ein freier Blick über die Stadt, deren Silhouette bis heute vom Dom beherrscht wird. Zusammen mit dem Residenzschloss der Fürstäbte untermauert dieser Sakralbau den Ruf Fuldas als einer der bedeutenden Barockstädte Deutschlands, deren Wurzeln weit ins Mittelalter zurückreichen: 744 wurde Fulda durch Bonifatius, den «Apostel der Deutschen», gegründet, dessen Grab sich im Dom befindet.

Ganz ohne die Stars des internationalen Architekturgeschäfts ist es der rund 55 000 Einwohner zählenden Stadt gelungen, Architekturqualitäten zu entwickeln. Dabei wären die neusten Bauten mit dem Begriff des «Regionalismus» nur unzutreffend umschrieben, denn sie sind nicht durch eine einheitliche architektonische Gestaltung geprägt. Vielmehr zeichnet die meisten Projekte ein sensibles Einfühlungsvermögen für die jeweilige städtebauliche Situation aus, das mit einer hohen Qualität bei der Ausbildung des architektonischen Details einhergeht. Das führt zu ganz unterschiedlichen architektonischen Ausprägungen. Hinzu kommt, dass Fulda grossformatige Baukörper verträgt. Wird doch der überwiegend kleinteilig geschlossene Stadtgrundriss durch barocke Solitäre wie das Schloss, den Dom, aber auch die ehemalige Universität oder das einstige päpstliche Jesuitenseminar akzentuiert.

Kunstvolle Raumschichtung

Gleichwohl ist bei jedem Bau aufs Neue das richtige Mass zwischen Anspruch und Zurückhaltung gefragt, denn allzu übersteigerte Abmessungen und extravagante Formen würden das sensible Gleichgewicht des Ortes stören. Dem unterwirft sich auch das neue Archivgebäude des Bischöflichen Generalvikariats von Sichau und Walter, das unweit des Doms entstanden ist. Es ist ein strenger Kubus mit heller Kalksteinverkleidung, dessen Archivräume an den Hang gebaut wurden. Das unterschiedliche Höhenniveau des Geländes nutzten die Architekten souverän aus. Auf der Eingangsebene befinden sich neben einer kleinen Bibliothek die Arbeitsplätze für die Besucher. Darüber schliessen sich die Bereiche der Archivare an, deren Büros durch Glaswände voneinander getrennt sind. Schmale Lufträume sorgen dafür, dass beide Geschosse miteinander verschränkt werden. So entsteht eine kunstvolle Raumschichtung. Durch die Kalksteinlamellen, die eine Ecke des sonst geschlossenen Kubus auszeichnen, fällt der Blick auf das Tal der Fulda oder auf den Dom. So bleibt stets sichtbar, in welchen geschichtlichen und räumlichen Bezügen man sich im Archivgebäude bewegt.

Dem glatten Äusseren antworten im Inneren das raue Treppenhaus aus Sichtbeton sowie die unprätentiösen Archivgeschosse. Hinter dicken Betonwänden vor Klimaschwankungen geschützt, werden hier künftig die Archivalien aus Jahrhunderten lagern. An der Hangseite eignet dem Archivgebäude jedoch eine andere, fast monumentale Note. Wie ein kleiner Würfel thronen die beiden Obergeschosse auf einer mächtigen Stützmauer, hinter der sich die Archivräume verbergen. Eigentlich sollte hier der grossformatige Schriftzug «Die Ganzheit des Fragments» des Fuldaer Künstlers Franz Erhard Walther zur Reflexion einladen. Noch ist er nicht angebracht, zögert der Bauherr, das Kunstwerk zu verwirklichen. Das Bauen in der Provinz kann Freiräume eröffnen. Doch wo es nur eine kleine Zahl von Handelnden gibt, können diese Räume auch sehr schnell wieder eng werden.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.11.04



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30. September 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Reformbaukunst und Funktionalismus

«Bravo!» So lautete der knappe Kommentar, den der Basler Hannes Meyer über die soeben fertiggestellte «Glasschule» von Otto Haesler ins Gästebuch der Celler...

«Bravo!» So lautete der knappe Kommentar, den der Basler Hannes Meyer über die soeben fertiggestellte «Glasschule» von Otto Haesler ins Gästebuch der Celler...

«Bravo!» So lautete der knappe Kommentar, den der Basler Hannes Meyer über die soeben fertiggestellte «Glasschule» von Otto Haesler ins Gästebuch der Celler Volksschule schrieb. Gemeinsam mit Studenten hatte der Direktor des Dessauer Bauhauses 1928 Celle besucht. Die Bauten jener Jahre bildeten den Höhepunkt im Werk von Otto Haesler (1880-1962). Ausgehend von der Reformarchitektur der Jahrhundertwende, die noch deutlich unter dem Einfluss des Jugendstils stand, fand Haesler ab 1925 zu einer funktionalen und formal reduzierten Formensprache. Dabei gelang ihm das besondere Kunststück, die niedersächsische Kleinstadt Celle auf der Weltkarte der Architektur zu verankern.

Wohnungsbau

Aus Anlass des 125. Geburtstages von Haesler findet nun im Dessauer Meisterhaus Schlemmer eine erste Gesamtausstellung zum Schaffen des gebürtigen Münchners statt, der längst gleichberechtigt mit Bruno Taut oder Ernst May als herausragender Reformer des Wohnungsbaus der Weimarer Republik gilt. Kuratorin Simone Oelker, die bereits 2002 eine schöne Haesler-Monographie veröffentlicht hat, führt an zeitgenössischen Fotografien und Plänen sowie einigen neu angefertigten Architekturmodellen die Entwicklung von Haeslers Werk vor.

Beim 1925 fertiggestellten Ladengeschäft für Harry Trüller, dem «ersten modernen Bau Celles», sind an den kubischen Fenstern noch deutliche Anleihen beim Expressionismus jener Jahre spürbar. Gleichwohl erregte der Bau Aufsehen. Der Architekturkritiker Heinrich de Fries nahm ihn 1926 in seine wegweisende Sammlung «Junge Baukunst in Deutschland» auf. Im Zentrum der Ausstellung stehen jedoch Haeslers Siedlungsbauten. Allen voran die Siedlung Georgsgarten, wiederum in Celle. Mit ihr verwirklichte er 1926 erstmals in der Weimarer Republik eine konsequent in Zeilenbauweise errichtete Siedlung im Stil des Neuen Bauens. 1928/29 folgte die Mitarbeit an der Siedlung Dammerstock in Karlsruhe. Vor dem Hintergrund des Wohnens am Existenzminimum reduzierte Haesler immer weiter Wohnungsgrundrisse und Formenrepertoire seiner experimentellen Bauten bis hin zur Siedlung Blumläger Feld 1930/31. Umbau und Teilabriss dieser Siedlung stehen für den allzu achtlosen Umgang, den das Werk Haeslers leider in den letzten Jahren erfahren hat.

Haesler stand in engem Austausch mit bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit. So auch mit Kurt Schwitters, der Haeslers Bauten in einer Besprechung im «Hannoverschen Tageblatt» höchst treffend charakterisierte: «In dem Dreieck Hamburg, Frankfurt am Main und Berlin ist Haesler der einzige Architekt, der konsequent den rationellen internationalen Baustil schafft.» Und weiter: «Jedes Jahr, wenn man nach Celle kommt, kann man wieder Fortschritte zu neuer grösserer Straffheit bei seinen Bauten feststellen.»

Kontakte zum Bauhaus

Auch der Kontakt mit dem Bauhaus blieb für Haesler nicht ohne Folgen. So arbeiteten Ende der zwanziger Jahre gleich mehrere Ex-Bauhäusler in Haeslers Büro. Und nach der Entlassung Hannes Meyers schlug Walter Gropius Haesler als neuen Leiter des Bauhauses vor. Doch der lehnte ab. Ohnehin hatte Haesler zu Beginn der dreissiger Jahre den Zenit seines Schaffens überschritten. Hinzu kam, dass ihm als überzeugtem Vertreter der Moderne in Celle nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ein eisiger Wind entgegenwehte. Haesler übersiedelte nach Eutin und baute dort im traditionalistischen Stil. Noch einmal schien sein Stern zu steigen, als er nach 1945 den Wiederaufbau von Rathenow in Brandenburg im Stil der Moderne plante. Doch nur Teile seines Konzeptes wurden ausgeführt. Gleichwohl blieb Haesler in der DDR - was der Rezeption seines Werkes im Westen lange Zeit nicht unbedingt zugute kam.

[ Die Ausstellung «Otto Haesler - Neues Bauen für alle!» ist bis zum 9. Oktober im Meisterhaus Schlemmer in Dessau und anschliessend vom 30. Oktober bis 8. Januar 2006 im Direktorenwohnhaus in Celle zu sehen. - Monographie: Simone Oelker: Otto Haesler. Eine Architektenkarriere in der Weimarer Republik. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 2002. 340 S., Fr. 69.- (Euro 30.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.09.30

06. Juli 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schwäbische Avantgarde

Wie zwei steile Pyramiden ragen die beiden Türme von St. Don Bosco in den Himmel und markieren den Eingang der Kirche in Augsburg- Herrenbach. Ungewöhnlich...

Wie zwei steile Pyramiden ragen die beiden Türme von St. Don Bosco in den Himmel und markieren den Eingang der Kirche in Augsburg- Herrenbach. Ungewöhnlich...

Wie zwei steile Pyramiden ragen die beiden Türme von St. Don Bosco in den Himmel und markieren den Eingang der Kirche in Augsburg- Herrenbach. Ungewöhnlich an diesem kraftvollen Kirchenbau ist nicht nur das Betongeflecht der Türme, sondern auch der Kuppelraum im Inneren: Der zwischen 1960 und 1962 in Sichtbeton ausgeführte Zentralraum nahm die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils gleichsam vorweg. Deshalb zählt St. Don Bosco heute zu Recht zu den wichtigsten Kirchenbauten, die nach 1945 in Süddeutschland entstanden sind. Doch sein Architekt Thomas Wechs (1893-1970) war nicht nur als Kirchenbaumeister erfolgreich. Insgesamt 329 Nummern umfasst das Werkverzeichnis, das jetzt in einem umfangreich illustrierten Katalog erschlossen wird. Präsentiert wurde er jüngst anlässlich der Eröffnung einer sehenswerten Schau im Architekturmuseum Schwaben in Augsburg. Anhand zahlreicher originaler Fotografien, Zeichnungen und Architekturmodelle aus dem Nachlass von Wechs ermöglicht sie einen Einblick in Wechs' umfangreiches Werk.

Den Durchbruch schaffte der Schüler von Theodor Fischer mit dem Münchner Kriegerdenkmal, das er gemeinsam mit Eberhard Finsterwalder und dem Bildhauer Karl Knappe in mehreren Bauphasen in den zwanziger Jahren verwirklichte. Die aus kubischen Steinblöcken zusammengesetzte Anlage, welche mit viel Sensibilität in die Gartenanlage des Münchner Hofgartens eingefügt wurde, gilt als eines der wenigen Kriegerdenkmale der Moderne in Deutschland. In Augsburg verwirklichte Wechs als selbständiger Architekt mit den Siedlungen Schubert- und Lessinghof um 1930 zwei Beispiele für zeitgenössischen Wohnungsbau, die den Siedlungsbauten in Berlin oder Frankfurt in nichts nachstanden. Zeitgleich entstanden seine ersten Kirchen. So die an Rudolf Schwarz' Vorbild orientierte Heiligkreuzkirche in Oberpfaffenhofen und die als Betonskelettbau ausgeführte Kirche St. Wolfgang in Augsburg.

Der bekennende Katholik Wechs, der sich entschieden der Moderne verpflichtet fühlte, erhielt im Dritten Reich nur wenige Aufträge. Dennoch konnte er auch nach 1933 einige Kirchenbauten verwirklichen, die nun durch eine konservative Formensprache geprägt waren - bis hin zu dem erst nach 1945 fertiggestellten trutzig wehrhaften Ziegelbau St. Judas Thaddäus in Augsburg. Zwar befasste sich Wechs auch nach 1945 weiter mit Wohnhäusern, doch nun rückte die Sakralarchitektur ganz in den Vordergrund. Die zumeist als Wegkirchen ausgeführten Gotteshäuser waren streng auf den Altar hin ausgerichtet. Erst nach und nach wandte er sich auch dem Zentralbau zu. Eine wichtige Zwischenstufe auf dem Weg zu dem reinen Zentralbau St. Don Bosco stellte dabei die Kirche St. Maria Königin des Friedens in Lindau-Zech (1954/58) mit ihrem segmentförmigen Grundriss dar.

Als einem Vertreter der architektonischen Moderne gelang es Wechs durch die kunstvoll- asymmetrische Staffelung der Baukörper immer wieder, nicht nur im Inneren seiner Bauten, spannungsvolle Räume zu schaffen. Dabei nahm er in den fünfziger und sechziger Jahren gerne Motive aus der Vorkriegszeit auf, um sie weiterzuentwickeln. Wechs' «schwäbische Avantgarde» gehört damit zu den Bausteinen jener vielschichtigen und lokal differenzierten Architekturlandschaft der Moderne in Deutschland, die erst in den letzten Jahren etappenweise von der Forschung aufgearbeitet wurde. Dazu liefert die Augsburger Ausstellung einen wichtigen Beitrag.

[ Bis 14. August im Architekturmuseum Schwaben Augsburg. Katalog: Thomas Wechs 1893-1970. Architekt der Moderne in Schwaben. Hrsg. Winfried Nerdinger. Verlag Dietrich Reimer, Berlin 2005. 348 S., Fr. 100.- (Euro 59.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2005.07.06

16. März 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Baukunst im politischen Kontext

Kaum ein anderer deutscher Architekturhistoriker hat sich so fundiert mit dem Bauen im «Dritten Reich» auseinandergesetzt wie Winfried Nerdinger. Aus Anlass...

Kaum ein anderer deutscher Architekturhistoriker hat sich so fundiert mit dem Bauen im «Dritten Reich» auseinandergesetzt wie Winfried Nerdinger. Aus Anlass...

Kaum ein anderer deutscher Architekturhistoriker hat sich so fundiert mit dem Bauen im «Dritten Reich» auseinandergesetzt wie Winfried Nerdinger. Aus Anlass seines 60. Geburtstags ist nun eine Sammlung seiner Aufsätze erschienen, die um die Themen Architektur, Macht und Erinnerung kreisen. Aufnahme in den Band fand auch Nerdingers einleitender Katalogaufsatz zur Ausstellung «Bauen im Nationalsozialismus» in Bayern. Diese nach Bauaufgaben gegliederte Schau bot 1993 erstmals einen Gesamtüberblick über das Bauschaffen der Nazizeit in einem deutschen Bundesland. Dabei arbeitete Nerdinger heraus, dass der kollektiven Nichtbeachtung der Naziarchitektur im Nachkriegsalltag eine «kunsthistorisch ideologiekritische Analyse» von Einzelobjekten gegenüberstand.

Es bleibt das Verdienst von Nerdingers bayrischer Bestandsaufnahme, umfassend aufzuzeigen, dass auch die Baupolitik in dem «alles dominierenden Hauptziel des NS-Staates, dem Aufbau von Rüstungsindustrie und Militär», lag. Mit differenzierter Argumentation und geschärftem Blick auf architektonische Details versteht es Nerdinger, in seinem Essay «Baustile im Nationalsozialismus: zwischen Internationalem Klassizismus und Regionalismus» jene Forschungsansätze zu widerlegen, die sich bemühen, die Naziarchitektur durch einen Vergleich mit zeitgleichen neoklassizistischen Strömungen der dreissiger Jahre zu verharmlosen oder zumindest zu relativieren. Sein Vergleich zwischen «Palazzo Littorio und Reichskanzlei» arbeitet im Gegenteil die architektonische Mittelmässigkeit etlicher nationalsozialistischer Projekte auf. Selbst die schiere Grösse von Bauten wie Albert Speers Neuer Reichskanzlei zeigt für ihn lediglich «eine neureiche Spiessigkeit sowie ein Protzen in luxuriösen Materialien».

Am Beispiel der Verwendung von Achse, Symmetrie und Monumentalität in den zwanziger Jahren sowie im «Dritten Reich» führt Nerdinger vor, dass bei der Bewertung von Architektur der Blick auf den gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang entscheidend ist. Nicht die Verwendung von Achsen an sich sei verdammenswert, sondern deren kultur- und gesellschaftspolitische Funktion. Gleiches gilt laut Nerdinger auch für die gläserne Architektur, die nicht von sich aus demokratisch sei. Dass solche Feststellungen weit mehr sind als blosse Binsenweisheiten, verdeutlicht ein Blick auf die jüngere deutsche Architekturgeschichtsforschung. Denn dort sind Tendenzen zu beobachten, die Architektur des «Dritten Reiches» nur unter stilistischen Überlegungen zu betrachten und sie dabei ihres politischen Kontextes zu entkleiden. Vor diesem Hintergrund kommt Nerdingers Aufsatz über «Giuseppe Terragni und die Verantwortung des Architekten», der in dem vorliegenden Band zum ersten Mal veröffentlicht wird, eine besondere Bedeutung zu. Verdeutlicht er doch, dass eine rein auf das Formenvokabular Terragnis ausgerichtete Würdigung seines architektonischen Schaffens eine fatale Verkürzung bedeutet. Architektur ist - wie jede Kunst - für Nerdinger stets in ihrem kulturgeschichtlichen und politischen Kontext zu bewerten. Auch in diesem Sinne bieten seine Essays eine dringend benötigte geistige Grundnahrung.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2005.03.16



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Architektur, Macht, Erinnerung

04. März 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schwarze Moderne

Stuttgart und die Moderne pflegten zueinander lange Zeit eine eher heikle Beziehung, dauerte es doch lange, bis die Schwaben mit der Weissenhofsiedlung...

Stuttgart und die Moderne pflegten zueinander lange Zeit eine eher heikle Beziehung, dauerte es doch lange, bis die Schwaben mit der Weissenhofsiedlung...

Stuttgart und die Moderne pflegten zueinander lange Zeit eine eher heikle Beziehung, dauerte es doch lange, bis die Schwaben mit der Weissenhofsiedlung Frieden schlossen. Inzwischen aber breitet sich die Moderne in all ihren Facetten in der Stadt aus, von den eigenwilligen Nachkriegsbauten Rolf Gutbrods über James Stirlings Staatsgalerie bis hin zu Werner Sobeks Hightech-Haus «R 128». Einen weiteren Akzent fügt nun der angesehene Dresdner Architekt Peter Kulka mit seinem Neubau für die Robert-Bosch-Stiftung am Heidehof hinzu. Vom Stadtzentrum gelangt man in gut dreissig Minuten auf schmalen Treppen - vorbei an Villen der Jahrhundertwende - hinauf zum Bosch-Haus. Das von Bäumen und Obstgärten umgebene Gebäude hatte sich 1910 der Unternehmer Robert Bosch errichten lassen.

Mit dieser neoklassizistischen Villa, die repräsentativ, aber nicht protzig wirkt, tritt Kulkas Neubau in einen Dialog. Geschickt nutzt der Architekt dabei die Hanglage des Grundstücks und definiert unterschiedliche Höhenniveaus. So gräbt sich das Sockelgeschoss des dreigeschossigen Neubaus respektvoll zu Füssen der alten Gartenmauer in die Erde ein. Hier hat sich die Robert-Bosch-Stiftung eingerichtet, deren Programme sich der Gesundheitspflege und der Völkerverständigung, aber auch der Kunst, der Kultur und den Wissenschaften widmen. Die grosszügig bemessenen Gruppenbüros werden - obwohl im Souterrain gelegen - durch weite Fenster belichtet. Sie blicken entweder auf die Streuobstwiesen oder auf das Atrium, in dessen Wasserfläche sich Alt- und Neubau spiegeln.

Kulkas klarer Farb- und Materialkanon zieht sich als Leitmotiv durch das Haus. Er reicht vom orangefarbenen Teppichboden in den Büros über die roten Bibliotheksmöbel bis hin zu den Wandvertäfelungen aus Kirschholz. Auch das gläserne Foyer der Eingangsebene ist durch diese Farbregie gekennzeichnet. Dort befindet sich das Restaurant, das man wegen seiner Eleganz kaum als Kantine bezeichnen möchte. Dieser Raum besitzt eine bemerkenswert gelassene Selbstverständlichkeit: einladend und nobel zugleich.

Auf der Eingangsebene, die in ihrer gläsernen Entmaterialisierung an Mies van der Rohes legendäre «Haut und Knochen»-Bauten der Nachkriegszeit erinnert, liegt das langgestreckte Obergeschoss auf. Dort befinden sich die Veranstaltungsräume für die Weiterbildung des Unternehmens Robert Bosch. Gleich einem Wolkenbügel ragt der Bau sieben Meter weit in den Obstgarten hinaus. Zwischen seine zurückhaltende Fassadenverkleidung aus fast schwarzen Blechen schieben sich silbrig schimmernde Paneele aus Stahlgeflecht. Einfachheit und Klarheit des Gebäudes gehen mit hoher Präzision in der Detailausführung einher, wie etwa die freitragende Stahltreppe, die ins Obergeschoss führt, zeigt. Von dem grosszügigen Veranstaltungsbereich im Obergeschoss aus nimmt der Besucher die sanft geschwungene Hügellandschaft wahr, gebannt vom Ausblick - und von der Harmonie, mit der Kulkas Moderne das Erbe der zwanziger Jahre in dunklem Gewand in die Gegenwart überführt.

Hatte Kulka vor drei Jahren mit dem ganz in Sichtbeton ausgeführten «Haus der Stille» in Meschede (NZZ 28. 1. 02) einen Ort der Versenkung geschaffen, so ist nun in Stuttgart ein Haus für die kommunikative Arbeit entstanden, dessen Eleganz selbst durch die aufwendige Medientechnik nicht gestört wird. Doch so unterschiedlich das Erscheinungsbild dieser beider Kulka-Bauten ist, eint sie ihre minimalistische Formensprache und die plastische Durchbildung.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.03.04



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Robert-Bosch-Stiftung

18. Januar 2005Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Auf der Suche nach der verlorenen Baukunst

Er zählt zu den einflussreichsten deutschen Architekten der letzten zwanzig Jahre - und zu den streitbarsten. International bekannt wurde Hans Kollhoff...

Er zählt zu den einflussreichsten deutschen Architekten der letzten zwanzig Jahre - und zu den streitbarsten. International bekannt wurde Hans Kollhoff...

Er zählt zu den einflussreichsten deutschen Architekten der letzten zwanzig Jahre - und zu den streitbarsten. International bekannt wurde Hans Kollhoff seit den achtziger Jahren mit seinen Berliner Wohnbauten, vor allem aber durch den grossen Wohnblock auf dem KNSM-Eiland in Amsterdam (1994) mit den charakteristischen roten Klinkermauern. Während Kollhoff in Amsterdam mit geknickten Fassaden, mit Schrägen und Auskragungen arbeitete, durch die er dem Baukörper eine plastische Durchformung verlieh, wandte er sich in den folgenden Jahren von dieser Formensprache, die sich an der niederländischen Architektur der neunziger Jahre inspiriert hatte, ab. Stattdessen entdeckte er Werte und Qualitäten der Architektur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als Inspiration für seine Bauten. Das Ergebnis ist eine «neue Tradition», wie es Jasper Cepl in einer voluminösen, bei Electa erschienenen Monographie über das Büro von Hans Kollhoff und Helga Timmermann formuliert.
Flirt mit der Frühmoderne

Gern spricht Kollhoff von einer neuen Selbstverständlichkeit und Vorbildlichkeit seiner Architektur. Dabei beruft sich der gebürtige Thüringer auf die «alten Meister» der Moderne, allen voran auf Adolf Loos. Das hat auch Einfluss auf Kollhoffs langjährige Lehrtätigkeit an der ETH Zürich. Sie wird anhand von Studentenarbeiten in einem nicht minder voluminösen Buch aus dem Niggli-Verlag dokumentiert.

Die Arbeiten dieser «Architekturlehre» reichen von Planungen für Berlin-Moabit (1987/88) über den Entwurf eines Grand-Hotels (1989/90) bis hin zur Gestaltung von Interieurs. Entsprechend der Entwicklung von Kollhoffs Werk zeigen auch sie eine immer deutlichere Hinwendung zum Duktus der frühmodernen Architektur um 1900. Etwa beim Thema «Wohnen», das Kollhoff mit seinen Zürcher Studenten in den Jahren 1998 bis 2000 behandelte. Eine Aufgabe, die ihm besonders am Herzen liegt. Denn: «Alle Architektur kommt vom Wohnen her.» Doch das werde den Studenten meist schon im ersten Semester ausgetrieben. Und so schliesst Kollhoff ein Plädoyer für die Behaglichkeit an: «Wenn er (der Architekturstudent) nicht gerade einem intellektuellen Milieu entstammt, wird er fortan die Behaglichkeit des Elternhauses verdrängen, um sich in der Architektenzunft nicht lächerlich zu machen.» Die angehenden Baukünstler sollten, statt spöttisch aus dem Elfenbeinturm auf die vielfältigen Sehnsüchte der Menschen hinabzuschauen, diese «als Grundlage der Architektur» zurückzugewinnen suchen.
Mysterium und Monumentalität

Doch erfüllen die Entwürfe seiner Studenten und seine eigenen Bauten tatsächlich jene beschworene «Vielfalt» der Wohnsehnsüchte? Werden sie einer von Geldbeutel und persönlichen Vorlieben bestimmten Wohnindividualität gerecht, die sich in den Zeiten der industriellen Massenanfertigung aus Versatzstücken von Ikea bis Interlübke zusammensetzt? Fraglos, man kann unsere Einrichtungs- und Wohnwirklichkeit als Kulturverlust beklagen. Doch wer kann sich heute noch eine ganze Wohnungseinrichtung mit Möbeln leisten, die die «vielfältigen Verarbeitungstechniken mit Massivholz und Furnierholz» zeigen? Kollhoffs Eintreten für Handwerklichkeit in Ehren, doch die gebauten Ergebnisse tragen den Beigeschmack einer Architektur für Besserverdienende. Vor allem aber verwechseln viele Studenten in ihren Entwürfen Gemütlichkeit und Behaglichkeit mit repräsentativer Gediegenheit. Dem entspricht in Kollhoffs Werk die leuchtend weisse Villa Gerl in Berlin (1997/2000), deren geradezu überbordende Repräsentationskraft letztlich im Formalismus stecken bleibt.

Dass es ihm um ein grundsätzlich zu veränderndes Architekturverständnis geht, verdeutlicht Kollhoff bereits in der Überschrift des einleitenden Essays seiner Architekturlehre. «Was ist Architektur?», heisst die grosse Frage, die ihn leitet. Antworten, so wird durch die Foto eines Details von San Giorgio Maggiore auf der folgenden Seite deutlich, vermögen ihm nur die Grossen der Baukunst wie Andrea Palladio zu liefern. Ist dies die Tradition, in der Kollhoff auch sein eigenes Schaffen sieht? Zumindest bietet der Essay dem Leser eine Ortsbestimmung für Kollhoffs Architekturverständnis, das von einer «Sehnsucht nach architektonischer Komplexität und Finesse» getragen wird. Gleichwohl erachtet er «Monumentalität als konstitutiv für eine städtische Architektur» und schwärmt vom «Mysterium der Architektur».

Der Palazzo der Landeszentralbank im thüringischen Meiningen (1997/2000) oder die Säulenstellungen der Leibniz-Kolonnaden am Berliner Walter-Benjamin-Platz (1995-2001) erweisen sich als Versuche, den Faden eines heute nicht mehr gültigen Architekturkanons weiterzuspinnen. Ein Kanon, der einst von Vitruv bis Alberti und Palladio unter grundsätzlich anderen Entstehungsbedingungen für Architektur herausgebildet worden war. Kollhoffs Rückwendung zu den Klassikern der Baukunst ist ihrer historischen Konnotationen entkleidet. Zugleich geht sie mit einer Abrechnung mit dem Bauhaus einher, die er in einem fast alttestamentarischen Zorn vorträgt. Mit der Hartnäckigkeit eines Don Quijote kämpft er dabei gegen die Windmühlenflügel des «funktionalistischen Stumpfsinns». In seinem redlichen Bemühen um eine Rückbesinnung auf architektonische Grundwerte schiesst er weit über das Ziel hinaus und verleiht seinen Häusern den Anschein von gebauten Manifesten. Erdenschwer und bedeutungsschwanger stellen sie eine Aneignung von Vergangenheit dar, die in ihrer Ernsthaftigkeit mitunter fast schon beängstigende Züge trägt.

[ Jasper Cepl: Kollhoff & Timmermann Architetti. Documenti di Architettura, Electa, Mailand 2003, 448 S., Euro 68.-.

Hans Kollhoff, Architekturlehre. Niggli-Verlag, Sulgen 2004. 368 S., Fr. 98.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2005.01.18



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11. Dezember 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architekturhistorische Fakten

Wer sich mit deutscher Architekturgeschichte befasst, der kommt am «Dehio» nicht vorbei. Dieses «Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler», aufgeteilt nach...

Wer sich mit deutscher Architekturgeschichte befasst, der kommt am «Dehio» nicht vorbei. Dieses «Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler», aufgeteilt nach...

Wer sich mit deutscher Architekturgeschichte befasst, der kommt am «Dehio» nicht vorbei. Dieses «Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler», aufgeteilt nach Regionen und regelmässig überarbeitet, bildet seit bald einem Jahrhundert die Eintrittskarte in die Welt der Denkmale. Doch während der «Dehio» noch heute zum Standardrepertoire nicht nur der Kunsthistoriker gehört, ist Georg Dehio selbst nur noch wenigen bekannt. Umso verdienstvoller ist Peter Betthausens ausführliche Biografie über den 1850 in Reval geborenen Kunsthistoriker. Nach dem Geschichtsstudium bei Peter Waitz in Göttingen wandte sich Dehio den künstlerischen Zeugnissen der Geschichte zu. Als Hochschullehrer war er zunächst in Königsberg tätig, später dann - bis zu seiner Ausweisung 1919 - in Strassburg. Seine bis heute ungebrochene Bedeutung aber verdankt Dehio den architekturgeschichtlichen Standardwerken. Allen voran der «Christlichen Baukunst des Abendlandes», die er gemeinsam mit Gustav von Bezold zwischen 1884 und 1901 veröffentlichte. Später folgte eine Geschichte der deutschen Kunst und das «Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler». Der Untertitel von Betthausens Dehio-Biografie lautet «Ein deutscher Kunsthistoriker». Und tatsächlich muss Dehios umfangreiches Werk vor dem Hintergrund der Zeit- und Forschungsgeschichte gesehen werden. Das entspricht aber auch Dehios eigenem Blickwinkel, der «möglichst dicht am konkreten Faktum» (Betthausen) blieb. Für ihn konnten «kunst- und kulturgeschichtliche Vorgänge nicht losgelöst von den gesellschaftlichen» gesehen werden. Eine Haltung, deren Modernität noch heute beeindruckt. Mit seinem Aufsatz «Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden?» stellte Dehio schon 1901 die entscheidenden Weichen für die Entwicklung der Denkmalpflege in Deutschland. Dehios Kernforderung «Konservieren nicht Restaurieren» hat angesichts der aktuellen Diskussionen um Rekonstruktionen und um die Ästhetisierung der Denkmalpflege nichts an Aktualität eingebüsst. Auch mit einem zweiten Anliegen ist Dehio heute so aktuell wie vor hundert Jahren, als er verständlich geschriebene kunstwissenschaftliche Texte forderte, die über eine literarische Qualität verfügen. Betthausens Dehio-Biografie wird diesem hohen Anspruch gerecht.

[ Peter Betthausen: Georg Dehio. Ein deutscher Kunsthistoriker. Deutscher Kunstverlag, München 2004. 464 S., Fr. 77.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2004.12.11



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Georg Dehio. Ein deutscher Kunsthistoriker

04. Dezember 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Häuser machen Bilder

Gelegentlich verselbstständigt sich die Macht der durch die Architektur erzeugten Bilder - im Positiven wie im Negativen. So wurde Frank Gehrys Guggenheim...

Gelegentlich verselbstständigt sich die Macht der durch die Architektur erzeugten Bilder - im Positiven wie im Negativen. So wurde Frank Gehrys Guggenheim...

Gelegentlich verselbstständigt sich die Macht der durch die Architektur erzeugten Bilder - im Positiven wie im Negativen. So wurde Frank Gehrys Guggenheim Museum zum werbewirksamen Icon, während mit den Twin Towers in New York nicht allein zwei gewaltige Hochhäuser durch die Terroristen zerstört wurden, sondern ein gebautes Symbol der westlichen Kultur. Den unterschiedlichen Aussagen der gebauten Bilder spürt nun ein vielfältiges «Architekturbilderbuch» nach. In seinem einleitenden Essay widmet sich Philip Ursprung diesen «Built Images», während sich Ilka und Andreas Ruby der Rückkehr des Bildes in der zeitgenössischen Architektur zuwenden. Auch wenn die Erkenntnis, dass Architektur als Bedeutungsträger fungiert, keine ganz neue Überlegung ist, so ist es dennoch bemerkenswert, welche Rolle der Bildhaftigkeit von Architektur nach dem «Iconic Turn» beigemessen wird. Denn dem Leben in einer Bildergesellschaft vermag sich gerade auch die Architektur nicht zu entziehen. Sie schafft Ikonen, und sie konstruiert Bildwelten. In 19 Kapiteln werden sie aufgefächert und nach Realitäten und hybriden Formen befragt. Die Autoren haben kein reines Bilderbuch geschaffen, denn sie misstrauen der Macht der Architekturbilder. Daher kommentieren sie diese auch zusätzlich. Einer umfassenden kritischen Analyse des Themas enthalten sie sich allerdings ebenfalls - so klug und reizvoll sich einige ihrer Kommentare auch lesen. Das Buch erweist sich deshalb als eine Art Zwitterwesen. Grossformatig und bilderreich, gleicht es in der Struktur einer Windows- Oberfläche, auf der zu viele Fenster gleichzeitig geöffnet wurden. Als Website, die stets neue Bild- Bedeutungs-Kombinationen erlauben würde, hätte es seine Wirkung wohl noch besser entfaltet.

[Philip Ursprung, Ilka Ruby und Andreas Ruby: Images. A Picturebook of Architecture. Architecture in Focus. Prestel-Verlag, München 2004. 160 S. Fr. 99.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2004.12.04



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Images. A Picturebook of Architecture. Architecture in Focus

25. September 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Blauer Raum der Stille

Egon Eiermann als Meister der Sakralarchitektur

Egon Eiermann als Meister der Sakralarchitektur

Als Point de vue des Kurfürstendamms verkörperte die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bis zur Wende 1989 symbolhaft die Geschichte der geteilten Stadt. Die von Egon Eiermann entworfene Kirche tritt in einen Dialog mit der Ruine des Turms der kriegszerstörten Gedächtniskirche von Franz Schwechten. Der Neubau der Gedächtniskirche war zwar nicht Eiermanns erster Sakralbau. Er ist jedoch bis heute derjenige, der die grösste öffentliche Resonanz hervorruft. Bereits kurz nach ihrer Einweihung im Dezember 1961 war die Kirche «jeden Tag so überfüllt, dass fünf Gottesdienste gehalten werden», schrieb Eiermann an einen Freund. Schnell erlangte sie den Status eines Westberliner Wahrzeichens. Auch für den Architekten kam ihr eine Schlüsselrolle zu: «Mein Lebenswerk ist diese Kirche.»

Mit der 1952-56 errichteten Matthäuskirche in Pforzheim verwirklichte Eiermann seinen ersten Sakralbau, der auch für seinen Berliner Entwurf beispielgebend werden sollte. Das Betonskelett der von einem einfachen Satteldach abgeschlossenen Pforzheimer Kirche wurde mit Beton-Glas- Steinen ausgefacht. Obwohl die von Eiermann verwendeten Architekturelemente dem zeitgenössischen Industriebau verpflichtet waren, entstand dennoch ein «leuchtender Schrein in der Landschaft» (Eiermann), dessen Innenraum eine ganz eigene poetische Note entfaltet.

Betonwaben

Dabei kommt der Wirkung des Lichts - genauso wie später in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche - eine besondere Bedeutung zu. Mit den Fassaden aus Betonwaben formulierte Eiermann in beiden Städten eine zeitgemässe Lösung für den Sakralbau, die später von zahlreichen Architekten aufgenommen wurde. Eiermann selbst nahm das Motiv 1964 bei seinem Entwurf für eine evangelische Kirche im ehemaligen Konzentrationslager Dachau erneut auf. Dabei konnte er sich auf frühere Vorbilder der modernen europäischen Kirchenbaukunst stützen wie Auguste Perrets Notre Dame in Le Raincy (1922/23) oder St. Antonius von Karl Moser in Basel (1926/27). Gleichwohl gewann Eiermanns Berliner Kirche während des langen Planungsprozesses eine ganz eigene Qualität. In seinem ersten Wettbewerbsbeitrag von 1956 war der Architekt noch davon ausgegangen, die Verkehrsinsel des Breitscheidplatzes von der Ruine des Altbaus zu befreien und eine vollständig neue Kirche zu schaffen. Dabei zeigte der von ihm vorgeschlagene kubische Baukörper mit Satteldach eine deutliche Anlehnung an die Pforzheimer Matthäuskirche. Auf einem Podest um drei Stufen aus dem Alltagsgeschehen herausgehoben, sollte die Kirche von einem Uhr- und einem Glockenturm sowie einer Kapelle begleitet werden. Ein Alternativentwurf Eiermanns sah demgegenüber eine freie Komposition aus runden Baukörpern vor, die auf sechseckigen Podesten angeordnet werden sollten.

Entwurfsphasen

Beide Entwürfe fanden ihre Entsprechung in zeitnahen Projekten Eiermanns, in denen er - erwähnt sei der Wettbewerb für die Hochschule für Sozialwissenschaften in Linz von 1958 - eine geometrische Komposition meist pavillonartiger Bauvolumen vorschlug. Diese sind auf einer grossflächigen Plattform angeordnet, wie dies bereits Mies van der Rohe bei verschiedenen Entwürfen bis hin zur Berliner Neuen Nationalgalerie gezeigt hatte. Aber auch die runden und zylindrischen Volumen haben in Eiermanns Werk einen Platz. Dies veranschaulicht sein Wettbewerbsbeitrag von 1958/59 für ein Stadttheater in Luxemburg. Desgleichen spielten auch bei seinen Entwürfen für Sakralbauten runde Baukörper eine Rolle. So bei den Projekten für ein Gemeindezentrum in Baden-Baden (1953) oder dem Wettbewerb für die Johanniskirche in Mühlheim/Ruhr (1960).

Eiermanns beide Entwürfe für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fanden zwar die Zustimmung der Wettbewerbsjury und der Kirchenleitung, jedoch nicht die der Öffentlichkeit, die für die Bewahrung der Turmruine eintrat. Doch auch in der Überarbeitung seines Projektes sah Eiermann 1957 noch nicht die Erhaltung der Ruine vor. Dass sich Eiermann so lange der Einbeziehung des alten Turms widersetzt hat, erstaunt angesichts der Tatsache, dass er sich bereits 1953 im Fall der Hamburger St.-Nicolai-Kirche mit der Ergänzung einer kriegszerstörten Kirche auseinandergesetzt hatte.

Doch erst der Zwiespalt zwischen Bewahrung der Ruine und ergänzendem Neubau führte zur endgültigen Lösung. Beim ausgeführten Bau fasste Eiermann die Turmruine durch die Neubauten ein. Den pantheonartigen Rundbau, den er als Alternativvorschlag unterbreitet hatte, verwandelte er dabei in ein Achteck - und griff damit ebenfalls auf eine seit dem Mittelalter verwendete Würdeformel für Sakralbauten zurück. Dem Oktogon antworten auf der anderen Seite der Turmruine eine flache Kapelle und der auf sechseckigem Grundriss errichtete Glockenturm. Besonders im Gegenüber der beiden Türme wurde ein Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart in Gang gesetzt, der bis heute andauert.

Nach wie vor gehört die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu den bedeutenden architektonischen Sehenswürdigkeiten Berlins. Ein Erfolg, der nur wenigen Bauten der sechziger Jahre beschieden ist. Gründe dafür sind die prominente Lage des Bauwerks und der Mahnmalcharakter der Ruine, auch wenn deren goldschimmernde Mosaiken inzwischen allzu aufgeputzt wirken. Doch die Bedeutung des Ensembles liegt vor allem in Eiermanns Bauten selbst, besonders in dem achteckigen Kirchenraum: Über einem hohen Sockelbereich, der durch einen breiten Stahlträger abgeschlossen wird, erhebt sich die doppelwandige Betonwabenkonstruktion. Strahler zwischen den beiden Wänden sorgen dafür, dass die von dem Glasmaler Gabriel Loire aus Chartres geschaffenen Fenster bei Tag wie bei Nacht ihre besondere Leuchtkraft entfalten können. Die mystische Wirkung des halbdunklen blauen Lichts wird durch einige rote und grüne Einsprengsel noch gesteigert. Zudem sorgt die doppelte Wandkonstruktion dafür, dass im Inneren der Kirche Ruhe herrscht und das geschäftige Treiben der City-West nicht eindringen kann.

Raumwirkung

Mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hat Eiermann ein Gesamtkunstwerk geschaffen, in dem vom Taufbecken über den Altar bis zum Stuhl jedes Detail auf einen Entwurf von ihm zurückgeht. Die einheitliche Wirkung der Kirche wird nur von der schwebenden Christusfigur des Münchner Bildhauers Karl Hemmeter durchbrochen - die Eiermann nicht mochte. An ihrer Stelle hatte er ein schlichtes Metallkreuz vorgesehen, das jedoch nur kurze Zeit über dem Altar hängen blieb. - Obwohl die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einen festen Ankerpunkt in der Berliner Sakral- und Architekturlandschaft bildet, droht ihr dennoch Ungemach: Von den Bauten der fünfziger und sechziger Jahre, die den Breitscheidplatz harmonisch einfassen, soll nun das denkmalgeschützte Schimmelpfeng-Haus weichen. Stattdessen - so die Planung - sind zwei Hochhäuser an der nahen Kantstrasse geplant. Sie würden nicht nur zu einer Verschattung der Kirche führen - und sie so eines wichtigen Teils ihres einzigartigen Charakters berauben. Eiermanns Hauptwerk drohte auch zwischen den geplanten Hochhäusern zu verzwergen, ein Schicksal, das sein Bonner Abgeordnetenhochhaus zu Füssen des Telekom-Towers bereits ereilt hat.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2004.09.25



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Eiermann Egon

03. September 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die Schönheit der Patina

Der „neue Glanz an alten Bauten“ gehört ebenso zum strittigen architektonischen Sauberkeitsfetischismus wie die polierten Granit- oder Edelstahloberflächen...

Der „neue Glanz an alten Bauten“ gehört ebenso zum strittigen architektonischen Sauberkeitsfetischismus wie die polierten Granit- oder Edelstahloberflächen...

Der „neue Glanz an alten Bauten“ gehört ebenso zum strittigen architektonischen Sauberkeitsfetischismus wie die polierten Granit- oder Edelstahloberflächen von Neubauten. Dabei weiss doch „jeder mit gesundem Menschenverstand Begabte“, dass gerade auf solchen Oberflächen der Schmutz noch schmutziger wirkt - so Jeremy Till in seinem inspirierenden Essay über „Architektur und Spuren der Zeit“. Zu finden ist er in Hans Weidingers Buch „Patina“. Es zeigt an ausgewählten Beispielen, wie zeitgenössische Architektur mit Materialien arbeitet, die „in Würde“ altern können, und diese Alterungsspuren darüber hinaus zum Bestandteil ihrer ästhetischen Wirkung macht. Die Lärchenholzschindeln an einem Wohnkomplex von Baumschlager & Eberle in Vorarlberg, Stampflehm bei der Berliner Versöhnungskapelle von Reitermann & Sassenroth oder ein Reetdach auf einem unkonventionellen Schwimmbad von Ushida Findlay im südenglischen Pulborough stehen für die Lebendigkeit und Vielfalt von Materialoberflächen. Anstelle normierter Glätte fordert Weidinger Geschichtsspuren an Wänden und Fassaden. Ein Rehabilitierung von Alois Riegels Kategorie des „Alterswerts“ bietet Weidinger dennoch nicht: Denn sein Plädoyer für Patina ist keineswegs Kennzeichen des Unmodernen - selbst wenn sich Form und Farbe unter dem Druck der Zeit auflösen. Vielmehr versteht er es als eine regional eingepasste Strategie der Nachhaltigkeit in Verbindung mit zeitgenössischer Architektur.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.09.03



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Patina

21. Juli 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schöne Aussichten

Bauliche Erneuerung des Lutherhauses in Wittenberg

Bauliche Erneuerung des Lutherhauses in Wittenberg

Seit 1996 zählt das Lutherhaus in Wittenberg, in dem der Reformator Martin Luther seit 1511 lebte, zum Weltkulturerbe. Jetzt wurde das vielschichtige Baudenkmal durch das Berliner Architekturbüro von Helge Pitz und Christine Hoh auf beispielhafte Weise hergerichtet und um einen minimalistischen Eingangsturm aus Beton ergänzt.

Der Ausblick ist malerisch: Er reicht über den kleinen Garten hinter dem Lutherhaus in Wittenberg hinab zu den grünen Elbauen und weiter, tief in das Land hinein, das sich im Dunst des Horizonts verliert. Das also könnte er gewesen sein, der Ausblick, den der Reformator aus seiner Arbeitsstube genossen hat. Ein Ort von weltgeschichtlicher Bedeutung, denn hier durchlebte Luther - vermutlich im Winter 1513 - sein berühmtes «Turmerlebnis». Es gilt als die eigentliche Geburtsstunde der Reformation. Denn damals kam ihm bei der Lektüre des Römerbriefes des Paulus die Erkenntnis, dass durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes offenbar werde.

Alte Fundamente
Erhalten hat sich Luthers Turm jedoch nicht. An seiner Stelle steht heute das neue Empfangsgebäude der Luthergedenkstätte. Erst bei den Vorbereitungen für den Neubau kamen im Jahr 2000 die alten Fundamente wieder zum Vorschein. Einst Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung, fand sich der Turm noch bis in das 18. Jahrhundert auf Wittenberger Stadtansichten. Irgendwann um die Jahrhundertmitte wurde er abgetragen. Allein ein später vermauerter Durchgang, der von einer Ecke in Luthers Wohnhaus ins Arbeitszimmer führte, erinnerte noch an ihn. Das Lutherhaus ist voll von derartigen Veränderungen früherer Jahrhunderte, in denen sich die wechselvolle Nutzungsgeschichte dieses komplexen Baudenkmals spiegelt. In den letzten 500 Jahren diente es zunächst als Kloster, später als Wohnhaus Luthers und dann der Wittenberger Universität. Nach deren Niedergang infolge des Dreissigjährigen Krieges wurde es zum Lagerhaus und später zum Militärlazarett. Im 19. Jahrhundert restaurierte der Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler das Gebäude grundlegend und verlieh der neu eingerichteten Luthergedenkstätte ihr romantisierendes Gepräge, das im 20. Jahrhundert in Teilen wieder zurückgenommen wurde. 1996 wurde das Baudenkmal schliesslich als Teil der Luthergedenkstätten in den Kreis des Weltkulturerbes aufgenommen.

Luther lebte seit 1511 im sogenannten Schwarzen Kloster, dessen Name auf die schwarzen Kutten der Augustiner anspielte. Dort blieb er auch wohnen, als sich die Kongregation 1522 auflöste und er 1525 die ehemalige Nonne Kathrina von Bora heiratete. Sieben Jahre später übereignete ihm Kurfürst Johann das Gebäude - was massive Umbauten nach sich zog. Zu ihnen zählte das prachtvolle spätgotische Katharinen-Portal, ein Geschenk von Luthers Frau. Bis vor wenigen Jahren diente es allen Besuchern der Luthergedenkstätte als Eingang. Inzwischen aber ist es geschlossen. Stattdessen betreten die Besucher das Museum durch den neuen Eingangs- und Treppenhausturm. Entworfen wurde er von dem Berliner Büro Helge Pitz und Christine Hoh, das sich durch einen sensiblen Umgang mit herausragenden Baudenkmalen wie dem Potsdamer Einsteinturm von Erich Mendelsohn oder Hans Scharouns Villa Schminke in Löbau einen Namen gemacht hat.

Der neue Betonkubus hebt sich deutlich vom historischen Bestand ab und schafft zugleich eine Anbindung an die Erweiterung des Lutherhauses aus den dreissiger Jahren. Dorthin wurden auch die gesamten Nebennutzungen der Gedenkstätte ausgelagert, vom Buchladen bis zum Sanitärbereich. Dank dem gerade einmal vier Meter breiten Eingangsbau, der an die Stelle eines alten Holzverschlags getreten ist, bleibt die Westfassade des Lutherhauses ein Teil des Innenraums. Dadurch sind die unterschiedlichen Strukturen und Fragmente von Verputzen an der Fassade vor der Witterung geschützt, die vom 16. bis ins späte 20. Jahrhundert reichen. Wie ein aufgeschlagenes Buch breiten sie sich vor den Besuchern aus und vermitteln ihnen trotz ihrer bruchstückhaften Form einen unmittelbar sinnlichen Eindruck von den Spuren der Geschichte. Dabei haben sich auch Teile jenes Quaderputzes erhalten, mit dem Stüler das Lutherhaus im 19. Jahrhundert überzog - ehe es in den dreissiger Jahren wiederum einen glatten Putz erhielt.

Exemplarische Denkmalpflege
Indem Pitz und Hoh für eine Bewahrung aller Schichten des Baudenkmals eintraten, wurden sie der Komplexität seiner Baugeschichte gerecht. Gerade mit Blick auf den teilweise weit weniger sensiblen Umgang mit anderen Beispielen des Weltkulturerbes in Deutschland - etwa mit einigen Bauten auf der Berliner Museumsinsel - bietet das Lutherhaus in Wittenberg ein denkmalpflegerisches Vorbild. Dies gilt umso mehr, als sich der behutsame Ansatz der Architekten auf das gesamte Haus erstreckt. So wurden auch an den anderen Fassaden die historischen Putze aus den dreissiger und neunziger Jahren erhalten - einschliesslich jenes Probefeldes, das eine Imitation von Stülers Rustikaputz zeigt, der noch vor wenigen Jahren für den ganzen Bau vorgesehen war!

Im Inneren der Gedenkstätte zeigen die meisten Räume eine helle Wandfarbe. Darunter sind die Wandmalereien und Vertäfelungen früherer Epochen sicher geborgen, deren aufwendige Freilegung und Restaurierung das schmale Budget von rund fünf Millionen Euro für die Herrichtung bei weitem gesprengt hätte. Den massivsten Eingriff in die Substanz bildete der Austausch von Stahlträgern aus den dreissiger Jahren. Sie waren damals eingezogen worden, um die gusseisernen Träger des 19. Jahrhunderts in der von Stüler gestalteten Bildergalerie zu verstärken. Bar jeder Historismen, wie sie derzeit gelegentlich in der deutschen Denkmalpflege zelebriert werden, akzentuiert der strenge neue Treppenhausturm aus Beton die Elbfassade des Denkmals und ergänzt den historischen Bau um eine eindeutig moderne Facette. So wie der einstige Turm der Stadtbefestigung tritt auch der neue Eingangsbau leicht aus der Flucht hervor. Ein schmaler Fensterschlitz markiert dabei jenes Fenster, aus dem Luther in seiner Studierstube geblickt haben mag - ein besonderes Turmerlebnis für jeden, der von hier auf die Elbauen schaut. Obwohl er denselben Ausblick wie einst der Reformator geniesst, wird er im Wissen um die Geschichte doch stets die Gegenwart vor Augen haben.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2004.07.21



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Lutherhaus - Umbau

07. Juli 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Strenge Moderne

Seit den achtziger Jahren betreibt der gebürtige Schweizer Max Dudler ein Architekturbüro in Berlin. Doch in den letzten Jahren wird seine streng rationalistische Architektur zunehmend auch in seiner Heimat wahrgenommen. Eine aufwendig gestaltete Monographie bietet nun erstmals einen Überblick über Dudlers bisheriges Schaffen.

Seit den achtziger Jahren betreibt der gebürtige Schweizer Max Dudler ein Architekturbüro in Berlin. Doch in den letzten Jahren wird seine streng rationalistische Architektur zunehmend auch in seiner Heimat wahrgenommen. Eine aufwendig gestaltete Monographie bietet nun erstmals einen Überblick über Dudlers bisheriges Schaffen.

Unter den Berliner Architekten nimmt Max Dudler eine Sonderposition ein. Zwar arbeitet auch er viel und gerne mit Naturstein. Doch anstelle des latenten Historismus, der in der Architektur der deutschen Hauptstadt seit der Wiedervereinigung zunehmend gepflegt wird, ist der 1949 im sankt-gallischen Altenrhein geborene Dudler einem strengen Rationalismus treu geblieben. Der Blick in die erste umfangreiche Monographie, die jetzt einen Überblick über 43 seiner Bauten und Projekte bietet, unterstreicht nachdrücklich, dass formale Aufgeregtheit nicht seine Sache ist. Stattdessen hat er in den letzten Jahren eine Architektursprache entwickelt, die man am besten als eine berlinische Spielart des Schweizer Minimalismus beschreiben könnte.

Berliner Moderne

Seine ersten grossen Triumphe feierte Dudler freilich in Berlin, wo er noch zu Zeiten der Internationalen Bauausstellung 1986/87 ein Umspannwerk mit einer torförmigen Fassadenhaut aus dunklen Leichtmetallquadraten nahe dem Lützowplatz errichtete. In den neunziger Jahren folgte das Bewag-Haus am Gendarmenmarkt, das sich durch seine grünlich schimmernde Natursteinfassade und die liegenden Fensterformate auszeichnet. Doch bis heute besitzt kein anderer Bau Dudlers in Berlin einen solch unangefochtenen Kultstatus wie der lange Schlauch des «Sale et Tabacchi» in der Kochstrasse. Mit dem Restaurant führte Dudler anschaulich vor, dass er es versteht, mit einfachen Mitteln höchst wirkungsvolle Innenräume zu entwerfen. Zugleich beweist er mit dem «Sale et Tabacchi», dass sich strenge Form und sinnlich Wirkung keineswegs ausschliessen müssen.

Dulders Architektur ist nicht ohne die Tradition der rationalistischen Architektur vorstellbar, die J. Christoph Bürkle in seinem Essay über «Rationalismus als universales Stadtkonzept» folgerichtig nachzeichnet. Dabei schlägt er einen Bogen von ihren Wurzeln im 18. Jahrhundert über Adolf Loos und Ludwig Wittgenstein bis hin zu Aldo Rossi und Oswald Mathias Ungers, in dessen Büro Dudler zu Beginn der achtziger Jahre gearbeitet hat. Eine andere Linie im Werk des Architekten führt in die Berliner Moderne der zwanziger Jahre. So ist es wohl mehr als ein blosser Zufall, dass Dudler sein Berliner Büro im einstigen Warenhaus der Konsumgenossenschaft betreibt, einem wunderbaren kleinen Hochhaus, das Max Taut zu Beginn der dreissiger Jahre am Kreuzberger Oranienplatz errichtet hatte. Die gefühlvoll gestaffelten Kuben und weiten Fensterflächen des Gebäudes finden ihre unmittelbare Entsprechung in den Arbeiten des Schweizers. Doch dessen Auseinandersetzung mit Taut reicht noch weiter: etwa bei der Gesamtschule, die er 1997 am Rande Berlins in Hohenschönhausen verwirklichte. Ähnlich wie Taut bei seinen Schulen vertraut auch Dudler auf eine lang gestreckte, liegende Gebäudefigur, die durch kammartige Bauteile zum Schulhof und durch einen sanften Schwung des Hauses modelliert wird.

Zu Recht verweist Gerwin Zohlen in seinem Buchbeitrag zu «Moderne und Industrie» darauf, dass Dudler auch durch «die aphoristische Schule seines grossen Landsmannes Luigi Snozzi» gegangen sei. Dessen Formulierung «Denkst du an ein Haus, dann denke an die Stadt» spiegelt sich vor allem in Dudlers Fähigkeit, stadträumliche Qualitäten herauszuarbeiten. Deutlich wird dies bei seinem leider nicht verwirklichten Entwurf für die Erweiterung des Auswärtigen Amtes in Berlin. Anstelle eines einzigen grossen Blocks, wie er schliesslich ausgeführt wurde, wollte Dudler einen differenzierten Stadtraum schaffen. Durch zwei unterschiedlich gross proportionierte Kuben sollte ein Platz vor dem Altbau des Ministeriums entstehen und zugleich ein Übergang zur Stadt gestaltet werden.

Hochhäuser für Zürich

Diese räumliche Qualität zeichnet auch seine Erweiterung des Verkehrsministeriums in Berlin aus (1999), die in einen Dialog mit dem Altbau tritt. Mit dem Neubau des Zentrums in Wetzikon knüpft Dudler an diese differenzierte Ausgestaltung umgrenzter und offener Räume an. Durch das Vor- und Zurückspringen der um einen offenen Innenhof gruppierten Baukuben entsteht eine Kleinteiligkeit, die jedoch durch die einheitliche Architektursprache wieder zusammengeführt wird.

Die Modellierung von Raum durch die spannungsvolle Zuordnung unterschiedlich proportionierter Kuben übersetzt Dudler inzwischen auch auf den Massstab «XL». So beim Hochhausensemble an der Zürcher Hagenholzstrasse, das laut Dudler bis Ende 2008 vollständig fertig gestellt werden soll. Dem hohen Baukörper mit seiner glatten Oberfläche und der stark vertikalen Gliederung steht das neue Zürcher IBM-Gebäude stilistisch gegenüber. Durch die tief eingeschnittenen Fensteröffnungen erhält der Baukörper für IBM ein starkes Fassadenrelief. Darauf antworten die doppelt so grossen Fenster des Abschlussgeschosses, die eine Art transparenter Attikazone bilden. Für Dudlers sonst so strengen Formenkanon wirkt diese Lösung schon fast manieriert. Gleichwohl verleiht sie dem Gebäude seine ganz eigene, plastische Wirkung.

Die kraftvoll-strengen Gebäudekuben Dudlers werden bei den meisten seiner Projekte durch die Verwendung von Naturstein in ihrer massiven Wirkung noch zusätzlich unterstützt - nicht immer zum Vorteil der Bauten, wird doch so die latente Neigung zur Monumentalität allzu stark gefördert. Umso spannender ist daher der Blick auf sein Projekt für einen Museumsneubau für die Sammlung Marli Hoppe-Ritter, der in Waldenbuch bei Stuttgart entsteht - natürlich auf quadratischem Grundriss, wie es sich für «Ritter-Sport»- Schokolade gehört. Die beiden weissen Gebäudeteile sollen dabei durch eine an zwei Seiten offene Halle miteinander verbunden werden. Durch seine elegante Luftigkeit und die plastische Durchgestaltung dürfte der Museumsbau, der 2005 fertig gestellt werden soll, Dudlers Werk um eine zusätzliche Qualität bereichern.

[ Max Dudler. Architektur für die Stadt. Hrsg. J. Christoph Bürkle. Niggli-Verlag, Sulgen 2004. 280 S., Fr. 98.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2004.07.07



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Max Dudler. Architektur für die Stadt

02. Juli 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Stein und Schein

Ob aus Naturstein, Betonwerkstein oder Ziegel - Fassaden aus Stein erfreuen sich grosser Beliebtheit. Ja, an einigen Orten diktiert die Verwendung von...

Ob aus Naturstein, Betonwerkstein oder Ziegel - Fassaden aus Stein erfreuen sich grosser Beliebtheit. Ja, an einigen Orten diktiert die Verwendung von...

Ob aus Naturstein, Betonwerkstein oder Ziegel - Fassaden aus Stein erfreuen sich grosser Beliebtheit. Ja, an einigen Orten diktiert die Verwendung von Naturstein geradezu den architektonischen und städtebaulichen Diskurs, wie der Blick auf die Renaissance des «steinernen Berlin» lehrt. Doch das ist höchstens am Rande ein Thema in dem vom Frankfurter Architekten Christoph Mäckler herausgegebenen Buch über den Werkstoff Stein, das um eine umfangreich illustrierte Materialdokumentation ergänzt wird. Verschiedene Autoren spüren in ihren Essays dem Material und seiner Verwendung in der zeitgenössischen Architektur nach. So macht sich Piergiacomo Bucciarelli am Beispiel des schönen Schulhauses von Arno Lederers in Ostfildern oder der Kunstgalerie in Marktoberdorf von Valentin Bearth und Andrea Deplazes für die überfällige Rehabilitierung des Ziegels stark.

Christoph Mäckler selbst führt in seinem zentralen Beitrag «konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten» mit Naturstein auf. Dabei macht er dem Leser zugleich deutlich: «Die technischen Möglichkeiten des Steins in der Architektur werden zu wenig genutzt und weiterentwickelt.» Wie Architektur mit Naturstein eine angemessene Wirkung entfalten kann, das dokumentieren Alvaro Sizas Museum in Santiago de Compostela oder Peter Zumthors Entwurf für ein monolithisches Marmorhaus in Berlin, die Hubertus Adam vorstellt. Doch Adam skizziert auch das grotesk anmutende Grunddilemma zahlreicher zeitgenössischer «Steinbauten». Bei ihnen wird die Konstruktion lediglich mit einem Gewand aus einer nur wenige Zentimeter dünnen «Steintapete» verhüllt. Zwar bemüht sich die Publikation mit Kapiteln zum «Betonwerkstein» (David Bennett) und zur «Restaurierung und Instandhaltung» (Arnold Wolff) darum, als breit gefächertes Handbuch für den Umgang mit dem Werkstoff Stein zu dienen. Leider blendet es jedoch die ikonographische Dimension des Natursteins aus, zu der in den letzten Jahren wichtige Arbeiten entstanden sind. Dieser Mangel wird auch im einleitenden, theoretischen Teil nicht aufgewogen, in dem Fritz Neumeyer einen Blick auf Gottfried Semper und das stoffliche Gewand der Architektur wirft und Vittorio Magnago Lampugnani ein Plädoyer für eine «Ästhetik der Einfachheit» hält.

[ Werkstoff Stein. Material, Konstruktion. Hrsg. Christoph Mäckler. Birkhäuser-Verlag, Basel 2004. 200 S., Fr. 98.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.07.02



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Werkstoff Stein

18. Mai 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Der kurze Weg zum Licht

Die mit einiger Verspätung auf das Heilige Jahr 2000 eingeweihte Chiesa del Giubileo im römischen Aussenquartier Tor Tre Teste vermag viele Assoziationen zu wecken. Ihr Architekt, Richard Meier, hat es zudem verstanden, mit der für ihn ungewöhnlichen Staffelung gewölbter Schalen die Tradition des Kuppelbaus neu zu interpretieren.

Die mit einiger Verspätung auf das Heilige Jahr 2000 eingeweihte Chiesa del Giubileo im römischen Aussenquartier Tor Tre Teste vermag viele Assoziationen zu wecken. Ihr Architekt, Richard Meier, hat es zudem verstanden, mit der für ihn ungewöhnlichen Staffelung gewölbter Schalen die Tradition des Kuppelbaus neu zu interpretieren.

Wer in Rom eine Kirche bauen darf, der befindet sich in der Gesellschaft berühmter Architekten. Dabei erweist sich das reiche Erbe an Sakralbauten als Chance und Verpflichtung zugleich. Der New Yorker Architekt Richard Meier, der sich mit seiner Chiesa del Giubileo nun in die illustre Reihe römischer Kirchenarchitekten einfügt, macht dabei kein Hehl aus seiner Bewunderung für die beiden Meister des Barocks Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini. Die Messlatte, die Meier damit für seinen Kirchenbau selbst gelegt hat, liegt hoch. Doch es scheint letztlich müssig, über den Einfluss der beiden Grossmeister des römischen Barocks auf Meier zu reflektieren, diesen Vertreter einer ewig weissen Moderne. Denn während Bernini und Borromini im Herzen Roms, ja im Fall Berninis gar am Allerheiligsten der Stadt, Sankt Peter, arbeiten konnten, wird auf Meiers Jubiläums-Kirche nur derjenige stossen, der weiss, wo sie steht. Zwar grüsst der skulpturale Baukörper den Reisenden bereits von ferne - zumindest wenn er sich im Anflug auf den kleinen römischen Flughafen Ciampino befindet. Doch nach Tor Tre Teste selbst kommt niemand ohne Grund. Bedeutet es doch eine annähernd einstündige Fahrt von der Stazione Termini, ehe man den Vorort im Südosten Roms erreicht. Es ist eine Fahrt, auf der die Stadt keine Gelegenheit auslässt, ihre unterschiedlichen Gesichter zu zeigen, die krass zwischen malerischer Antike und verlotternder Moderne schwanken.

Inmitten verstreuter Mittelklasse-Wohnblocks aus den siebziger Jahren erscheint die Chiesa del Giubileo wie eine Lichtgestalt. Meier hatte sich mit seinem Entwurf für den ambitionierten Sakralbau im Rahmen eines 1996 vom Römischen Vikariat eingeladenen Wettbewerbs gegen prominente Konkurrenten wie Tadao Ando, Günter Behnisch, Santiago Calatrava, Peter Eisenman und Frank Gehry durchgesetzt. Der Kirchenneubau ist Teil eines Programms, das im Hinblick auf das Heilige Jahr 2000 vorsah, auch in den Aussenbezirken Roms für angemessene Sakralbauten zu sorgen. Doch die Errichtung der aufwendigen Betonkonstruktion, die 1998 begann, dauerte länger als geplant. So konnte die Kirche erst im vergangenen Herbst geweiht werden.


Eine Vielzahl von Assoziationen

Mit ihrer betont skulpturalen Formensprache schafft die Kirche einen Gegenpol zum normierten Raster der Wohnungsbauten und will dem Quartier damit ein neues, fast unwirklich anmutendes Zentrum verleihen. Es ist eine Kirche wie eine weisse Blume, deren Blütenblätter gerade im Begriff stehen, sich zu öffnen, wie eine Muschel, deren Schalen sich heben, wie ein Schiff, dessen drei grosse Segel prall mit Wind gefüllt sind. Ohne Frage: Mit ihren Anleihen an organischen Formen ist die Jubiläums-Kirche ein Gotteshaus, das fast spielerisch eine Vielzahl von Assoziationen weckt - aus Natur und Architektur gleichermassen. Denn die drei geschwungenen Betonscheiben, die den Kirchenraum umfassen, rufen unwillkürlich auch die Erinnerung an Jørn Utzons Opernhaus in Sydney wach.

Eine weite Plattform hebt die Kirche heraus aus dem Alltagsgeschehen in Tor Tre Teste und macht sie gleichermassen zum Schauobjekt für Anwohner wie für Architekturliebhaber. Vor allem aber ist sie ein sakraler Ort. So sehr sich die Chiesa del Giubileo mit ihren freistehenden Betonwänden und der grosszügigen Verglasung zur Umgebung zu öffnen scheint, so sehr grenzt sie sich auch gegen sie ab, schützt die Gemeinde im Inneren. Es sind immer nur einzelne Blicke, die man von aussen ins Innere werfen kann. So verhindert etwa die Rückseite der Orgelempore, dass Besucher direkt vom Eingang auf den Altar sehen können. Trotz den grosszügigen Glasflächen bewahrt die Kirche ihr Geheimnis - bis die Empore umschritten ist. Dabei erweist sich auch diese Wand als eine der typischen abstrakten Skulpturen aus stereometrischen Grundformen, die Meiers weisse Handschrift trägt.


Ein Ort des reinen Lichts

Erst hinter ihr öffnet sich der eigentliche Kirchenraum. Statt mystischer Dunkelheit ist hier entsprechend Meiers Intentionen ein Ort des reinen Lichts entstanden, der selbst im grauen römischen Frühlingswetter noch von innen heraus zu erstrahlen scheint. Es wirkt, als würden die weissen Betonwände jeden noch so schwachen Lichtschein, der durch Glasfassade oder Glasdach in das Gebäude dringt, potenzieren und auf die Gemeinde zurückwerfen. Die Lichtführung gehört seit je zu den wichtigsten Elementen der Sakralarchitektur. Gerade darin ist Meier seinen barocken Vorläufern Bernini und Borromini verpflichtet. Gleichwohl gewinnt man selten den Eindruck, sich in einem Raum zu bewegen, der wie eine gebaute Übersetzung des 36. Psalms erscheint: «Denn bei dir ist die Quell des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht.»

Der rückwärtigen Orgelempore als Sichtschutz entspricht die - weisse - Wand, die den Altar hinterfängt und zu der die Blicke immer wieder emporwandern. Vor allem zu jener kleinen Öffnung, die neben dem Kruzifix aus dem 19. Jahrhundert einen Ausblick in den Himmel gewährt. Im Inneren der Kirche wird auch die Idee der sanft konkav gewölbten, hintereinander gestaffelten Betonschalen deutlich - jenseits aller vordergründigen Metaphern einer sprechenden Kirchenarchitektur: Während die eine Schale die Taufkapelle abgrenzt, ist die zweite der Sakramentskapelle zugeordnet. Die dritte legt sich wie eine schützende Hand um die Gemeinde im Kircheninnern und ruft dabei - wie ein Fragment - zugleich die ferne Erinnerung an die alte christliche Würdeformel der Kuppeln wach, denen ja gerade in Rom seit dem Pantheon eine ganz besondere Bedeutung zukommt.

Den geschwungenen Betonschalen antwortet auf der gegenüberliegenden Seite ein lang gestreckter Riegel, der zum Kirchenraum hin mit einer Holzlamellenwand abgeschlossen ist und der die Räume für das Gemeindezentrum beherbergt. Und auch damit erweist sich die Chiesa del Giubileo als Bau, der trotz seiner herausgehobenen Architektursprache den Anforderungen des Ortes und der Bewohner antwortet - auch in seiner städtebaulichen Positionierung. Denn Meier hat darauf verzichtet, den Altar zu osten. Das nämlich hätte bedeutet, den Eingang an die Rückseite der Kirche zu legen. Wer aus den Wohnblocks in Tor Tre Teste kommt, hätte dann erst einmal um die Kirche herumgehen müssen, um sie zu betreten. So entspricht Meiers Entwurf zwar nicht dem Idealfall des Sakralbaus. Gleichwohl ist es die bessere Lösung: steht sie doch für den kürzeren Weg der Gemeinde zu Gott.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2004.05.18



verknüpfte Bauwerke
Chiesa del Giubileo

13. Mai 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Gebaute Emotionen

Untersuchungen zum Skulpturalen in der Architektur

Untersuchungen zum Skulpturalen in der Architektur

Die Meinungen gehen auseinander: Für die einen bilden skulpturale Bauten wie das Grazer Kunsthaus von Peter Cook und Collin Fournier oder Norman Fosters gurkenförmiger Swiss Re Tower in London spannende architektonische Akzente, ästhetische Blickfänge, die zu Recht Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch gerade das diskreditiert diese Bauten in den Augen anderer - vor allem gewisser Architekten. Mit Blick auf Frank Gehrys Guggenheim-Museum sprechen sie abschätzig vom Bilbao-Effekt, von reiner Show- Architektur, die sich nicht um den Kontext schere. Kalt lässt skulpturale Architektur jedenfalls die wenigsten Betrachter.


Austausch zwischen den Gattungen

Auch die Architekturhistoriker beschäftigt das Verhältnis zwischen Architektur und Skulptur. Gerade einmal zwei Jahre sind vergangen, seitdem der Kunsthistoriker Klaus Jan Philipp sich dieser «fruchtbaren Beziehung» - so der Untertitel seines Buches - widmete. Dabei hat er in seinem auf einer Vorlesungsreihe basierenden Buch weit in die Architekturgeschichte zurückgegriffen und sich auch einzelnen Bauteilen wie den antiken Karyatiden und Atlanten oder der Bauplastik des Mittelalters gewidmet. Ging es Philipp um einen Versuch, Schnittstellen und Unterschiede zwischen Plastik und Architektur über die Epochengrenzen hin aufzuzeigen, so legt der Architektursoziologe Werner Sewing in seinem jüngst erschienenen Buch «Architecture:Sculpture» einen anderen Schwerpunkt. Wo bei Philipp in der Fülle des ausgebreiteten Materials gelegentlich die argumentative Schärfe verloren geht, beschränkt Sewing seine Fragestellung in dem einleitenden Essay auf die Entwicklung skulpturaler Formen in der Architektur seit der Französischen Revolution. Das hat seinen Preis: geht ihm dabei doch der wichtige Austausch zwischen den Gattungen Architektur und Skulptur verloren.

Die Anfänge der skulpturalen Architektur liegen im späten 18. Jahrhundert. Sie gingen mit der Loslösung vom Erbe Vitruvs einher, gegen das Etienne-Louis Boullée mit seiner Revolutionsarchitektur polemisiert hatte. Mit ihr begann eine autonome, sich auf stereometrische Grundformen ausrichtende Baukunst jenseits der tradierten Säulenordnungen, welche in Klassizismus und Historismus eine letzte Blüte erleben sollten. Mit seiner Veröffentlichung der lange vergessenen Entwürfe der Revolutionsarchitekten knüpfte schliesslich Emil Kaufmann zu Beginn der dreissiger Jahre ein direktes Band von der Epoche der Französischen Revolution zur zeitgenössischen Architektur - von Ledoux zu Le Corbusier.

Skulpturale Architektur (die dem Wortsinn nach im Deutschen besser als plastische Architektur bezeichnet werden sollte) besass ihren festen Platz in der vielschichtigen Moderne der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Deren - nachträgliche - Reduzierung auf eine soziale und technologische Avantgarde bezeichnet Sewing angesichts expressionistischer und organischer Strömungen, für die Architekten wie Erich Mendelsohn, Hugo Häring und Hans Scharoun stehen, folgerichtig als Mythos. Doch auch konservative Architekten wie Wilhelm Kreis mit seinem Burschenschaftsdenkmal bei Eisenach oder Bruno Schmitz mit dem Völkerschlachtsdenkmal in Leipzig bedienten sich um die Jahrhundertwende abstrakt-skulpturaler Formen zur Steigerung der Wirkung ihrer Bauten. Gleichwohl gab es zwischen Rationalisierung und Objektivierung zunehmend weniger Raum für skulpturale und expressive Ideen im Kontext der modernen Architektur, resümiert denn auch Sewing. Dasselbe gilt für die Avantgarde in der Sowjetunion, wo unter Stalin das «Laboratorium für Architektur» (Sewing) zugunsten der Vorherrschaft von sozialistischem Realismus und Zuckerbäcker- Neoklassizismus «geschlossen» wurde.


Kein eigenständiges Genre

Doch gerade die Vorliebe der Diktaturen für den Neoklassizismus öffnete der skulpturalen Architektur nach 1945 ein neues Zeitfenster. Carola Giedion-Welcker verkündete gar ein «Sculptural Age». Darin fügte sich trefflich die ausdrucksstarke Formensprache von Le Corbusiers Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp oder Hans Scharouns Spätwerk der Berliner Philharmonie ein. Doch damit ist noch keineswegs die ganze Bandbreite skulpturaler Architektur erfasst, die Sewing in dem Bildteil seines Buches vorstellt - der sich jedoch leider nur auf prominente Beispiele beschränkt: Den minimalistischen Monumentalismus eines I. M. Pei zählt er ebenso dazu wie die High-Tech-Architektur von Richard Rogers und das Pariser Centre Pompidou von Renzo Piano und Rogers. Damit verdeutlicht der Autor, dass skulpturale Architektur keineswegs ein eigenständiges Genre beschreibt, sondern die Grenzen der architektonischen Stile überschreitet. Keineswegs zwangsläufig monumental, wird sie vor allem durch die Aura des Nichtalltäglichen geprägt. Und die hat nicht nur ihre ästhetischen Reize, sondern ist - wie der Blick auf Gehry, Zaha Hadid oder Daniel Libeskind lehrt - inzwischen durchaus marktgängig. Zudem beschränkt sie sich nicht auf edle Bauaufgaben wie Museen oder Kirchen. Sie hat auch im Wohnungsbau ihren Platz. Nicht nur im ambitionierten Möbius-Haus von Ben van Berkels Un-Studio (Niederlande, 1998), das Sewing anführt, sondern in einer Vielzahl von Werken zeitgenössischer Architekten.

Mit den biomorphen und expressiven Entwürfen der neunziger Jahre erhält die Architektur der Gegenwart nicht nur reizvolle Anstösse. Auch die Visionen der Grossväter- und Vätergeneration von Bruno Taut bis Archigram kommen - dank den CAD-Entwürfen - zu späten Ehren. Gleichwohl ist Vorsicht geboten. Denn der Pfad zwischen einer gelungenen, plastisch geformten Architektur und dem architektonischen Super- GAU, der eher einem explodierten Hühnchen statt guter Architektur gleicht, bleibt schmal.


[Werner Sewing: Architecture:Sculpture. Prestel-Verlag, München 2004. 144 S., Fr. 100.-. - Klaus Jan Philipp: Architektur Skulptur. Die Geschichte einer fruchtbaren Beziehung. DVA, München 2002. 128 S. Fr. 120.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2004.05.13

05. Dezember 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Dialog mit der Moderne

Die Liste der Orte, an denen Peter Kulka derzeit in Deutschland baut oder gerade erst Arbeiten fertig gestellt hat, reicht von Hamburg über Stuttgart bis Berlin. Dabei gilt der erfolgreiche Dresdner, Jahrgang 1937, als Spätberufener, dem erst 1999 mit der Fertigstellung des sächsischen Landtages in seiner Heimatstadt der Durchbruch gelang.

Die Liste der Orte, an denen Peter Kulka derzeit in Deutschland baut oder gerade erst Arbeiten fertig gestellt hat, reicht von Hamburg über Stuttgart bis Berlin. Dabei gilt der erfolgreiche Dresdner, Jahrgang 1937, als Spätberufener, dem erst 1999 mit der Fertigstellung des sächsischen Landtages in seiner Heimatstadt der Durchbruch gelang.

Kennzeichen der Arbeiten von Peter Kulka, der heute Büros in Köln und Dresden betreibt, sind kraftvolle Frische und formale Unabhängigkeit. Unverkennbar steht Kulkas Architektur in der Tradition der klassischen Moderne, deren Erbe er aufnimmt und weiterentwickelt. Eine Nähe, die sich auch in seiner Biografie widerspiegelt: Zwischen 1959 und 1964 studierte er bei Selman Selmanagic an der Kunsthochschule in Berlin Weissensee und arbeitete anschliessend bei Hermann Henselmann an der Bauakademie. 1965 verliess er die DDR und war bis 1968 in Westberlin im Büro von Hans Scharoun tätig.


Funktion und Ästhetik

Seither gehören die kleinen Bauprojekte zu Kulkas besonderen Stärken. Bei deren Konzeption verliert er nicht das städtebauliche Ensemble aus dem Blick. Vielmehr versucht er dieses durch seine Gebäude zu qualifizieren. Dies gilt auch, wenn er sich unmittelbar mit historischer Bausubstanz auseinandersetzt. Etwa bei der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig (1994/99), bei der er die Sandsteinfassade der spätklassizistischen Herfurthschen Villa mit den klaren grauen Kuben seiner Ergänzung kontrastiert und zu einer funktionalen und ästhetischen Einheit zusammenbindet.

Dieses Konzept einer dialogischen Moderne kennzeichnet auch Kulkas Multi Media Centre (2000/03) an der Hamburger Rothenbaumchaussee. Markant besetzt das Gebäude die Strassenecke und nimmt zugleich an beiden Seiten Beziehung zu seinen Nachbarn auf: dem Medienhaus von Norman Foster und den weissen Wohnbauten von Atelier 5 aus Bern. Beide werden durch den Neubau zu einem Ensemble zusammengebunden. Auch in der Materialität erweist sich das Multi Media Centre als gleichermassen selbstbewusst wie ortsverbunden, indem es jene beiden Baustoffe zur Schau stellt, die in der Hansestadt derzeit das architektonische Bild bestimmen: Glas und Ziegel. Also eine klassische Kompromissarchitektur? Keineswegs. Dafür sorgt allein schon der ungewöhnliche dunkle Ziegel, der den traditionell backsteinroten Kontorhäusern der Stadt farblich Paroli bietet. Und auch die doppelschalige Glasfassade erliegt nicht dem manchmal spannenden, allzu oft aber auch überspannten kristallinen Hamburger High-Tech- Glasexpressionismus. Stattdessen ist am Multi Media Centre eine Fassade mit Relief entstanden, die vorspringt und zurückweicht, die anbindet und zugleich einen eleganten Akzent setzt. Ein Baukörper, der Raum bildet und Plastizität besitzt und dadurch auch in den Stadtraum hinein wirken kann.


Form und Material

Dieses Modellieren kubischer Raumkörper gehört zu den Leitmotiven in Kulkas Architektur und geht zunehmend mit einer Reduzierung der Formen- und Materialsprache einher. Etwa bei dem puren Sichtbeton-Doppelkubus des Hauses der Stille an der Benediktinerabtei Meschede (1999/2001). Die skulpturalen Qualitäten seiner Bauten werden auch bei dem Entwurf für das Weiterbildungsgebäude der Robert Bosch GmbH deutlich, das im kommenden Jahr neben einer historischen Villa in Hanglage oberhalb Stuttgarts fertiggestellt werden soll. Der Neubau fügt sich aus drei gegeneinander versetzten Geschossebenen zusammen: Das Gartengeschoss, das sich um einen offenen Innenhof legt, besteht aus einem einfachen Kubus, der gleichsam nach vorne aus dem Hang herauszuwachsen scheint. Sein Dach bildet die Terrasse, die dem Haupteingang im eigentlichen «Erdgeschoss» vorgelagert ist, einem einfachen gläsernen Querriegel, über den das abschliessende Obergeschoss auskragt. «Alles ganz einfache Kisten», wie Kulka manchmal selbstironisch über seine Bauten sagt. Wenn das Einfache doch immer so raffiniert daherkommen würde! Mit dem Weiterbildungsgebäude in Stuttgart nimmt Kulka bewusst Bezug auf Ludwig Mies van der Rohes Glasbauten. Doch gleichzeitig verwandelt er das Motiv und entwickelt es weiter, indem er die gläsernen Kuben überlappt. Die Konsequenz ist eine transparente Gebäudeskulptur, deren Wirkung noch durch die Sichtachsen gesteigert wird, die das Gebäude mit der historischen Bosch-Villa verweben.


Konzentration und Reduktion

Das klare Gegeneinander von alt und neu, das dennoch eine künstlerische Einheit bildet, zeigt auch der jüngst eröffnete Werner-Otto-Saal für zeitgenössische Musik im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Einst als Schauspielhaus errichtet, zeigt das heutige Konzerthaus nach seinen schweren Kriegsbeschädigungen und dem späten Wiederaufbau in den achtziger Jahren nur noch an Teilen seiner Fassade die originale Handschrift Karl Friedrich Schinkels. Das plüschige Innere, das für Galas aller Art herhalten muss, atmet dagegen den Charme der späten DDR- Postmoderne. Dem antwortet Kulkas Konzertsaal im Seitenflügel mit einem architektonischen Gegenprogramm. Es ist ein Raum von strenger Konzentration und Reduktion, bar jeden Historismus, doch voll Raffinement. Er kann bei Veranstaltungen den Ausblick auf den Gendarmenmarkt bieten, aber auch innerhalb weniger Minuten in einen in sich selbst ruhenden Konzertsaal verwandelt werden. Dafür sorgen die schwarzen Wandpaneele, die vor die Fenster geklappt werden können. 132 Hubpodien von jeweils 1×2 Metern Fläche ermöglichen es, dass mit dem dunklen Holzfussboden des Saales nahezu jede beliebige Raumsituation modelliert werden kann. Ein technisch wirkendes Korrektiv entsteht durch die lichtdurchlässige Metallgitterdecke. Je nach Beleuchtungseinstellung können durch die Lichttechnik wechselnde Stimmungen im Raum erzeugt werden. Die knallig bunten Farben der Stuhlbezüge in verschiedenen Rosa-, Lila- und Orangetönen überführen die Strenge des kubischen Raumes in jene lebendige Eleganz, die für Kulkas Bauten charakteristisch ist.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.12.05

04. Dezember 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wenig bekannter Meisterarchitekt

Eine erhellende Studie zu Max Taut

Eine erhellende Studie zu Max Taut

Die Stadt Berlin verdankt dem Architekten Max Taut (1884-1967) eine Reihe herausragender Bauwerke. Sie alle halfen mit, den Ruf der Stadt als Metropole des Neuen Bauens in den zwanziger Jahren mit zu begründen. Doch im Gegensatz zu seinem Bruder Bruno, dem Architekten zahlreicher Wohnsiedlungen und Visionär des «Frühlichts» (für das Max die Titelzeichnung lieferte), ist Max Taut heute bestenfalls noch Architekturliebhabern ein Begriff. Zu Unrecht, denn er hat ein ebenso umfangreiches wie qualitätvolles Werk hinterlassen, das die Architektin Annette Menting nun in einer erhellenden Monographie ausführlich dokumentiert. Bereits 1998 hatte sich Menting, die als Professorin für Baugeschichte und Baukultur in Leipzig tätig ist, mit ihrer Arbeit über Paul Baumgarten eines wichtigen Vertreters der Moderne angenommen. Was Baumgarten und Taut neben der Architektursprache miteinander verband, war ihre Lehrtätigkeit nach 1945 an der Berliner Hochschule der Künste. Dort baute Max Taut nach dem Zweiten Weltkrieg die Architektenausbildung in Anlehnung an die Programmatik des Bauhauses neu auf und übte so nachhaltigen Einfluss auf die jüngere Architektengeneration aus. Ob biografischer Zufall oder doch mehr: Bei Baumgarten wie Taut handelt es sich um Ostpreussen, die ihren Weg in Berlin machten. Der gebürtige Königsberger Max Taut folgte dabei 1909 seinem vier Jahre älteren Bruder Bruno in die Metropole. Dort betrieb er zusammen mit ihm und Franz Hoffmann ein gemeinsames Architekturbüro.


Schulen und Gewerkschaftsbauten

Obwohl Taut ein sachlicher Architekt war, durchlief auch er - wie die meisten deutschen Architekten seiner Generation - eine expressionistische Phase, die mit dem in Beton ausgeführten Grabmal Wissinger auf dem Friedhof Stahnsdorf nahe Berlin ihren zackigen Höhepunkt erfuhr. In dem heute restaurierten Werk wird Tauts Faszination für die kühnen Konstruktionen der märkischen Backsteingotik deutlich. Nicht umsonst diente ihm die Ruine des nördlich von Berlin gelegenen Zisterzienserklosters Chorin immer wieder als Zuflucht und Inspirationsquelle.

Wie ein Leitmotiv zieht sich der Schulbau durch Tauts Leben. Den Auftakt bildete die frühe Knabenschule in Finsterwalde (1911-1913), die noch ganz in der malerischen Architekturauffassung der Zeit verhaftet war. Ihr folgte mit dem Realgymnasium in Nauen (1913-1916) ein Bau, der «die konsequente Weiterführung der baulichen Gestaltung hin zur Sachlichkeit erkennen lässt» (Menting). Diese kubische Klarheit brach sich in den zwanziger Jahren endgültig Bahn: Beispielhaft sind dafür die Dorotheen-Schule in Köpenick (1927-1929) sowie die Schule in Lichtenberg (1927-1931), die heute Tauts Namen trägt. Die äusserste Klarheit des Baukörpers, der mit grosser Geste, aber ohne jede falsche Repräsentation den Stadtraum einfasst, und die bewusste Reduzierung der Formen verdeutlichen nicht nur den Bruch mit der Architektur des 19. Jahrhunderts, sondern wirken in ihrer Vorbildlichkeit bis heute fort. Auch nach 1945 blieb die Schule eine Bauaufgabe für Taut, so beim Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt mit seiner streng gerasterten Fassade. Doch gerade an diesem Bau wird auch deutlich, dass Tauts Arbeiten nach 1945 nicht mehr über dieselbe architektonische Prägnanz verfügten wie seine vor 1933 verwirklichten Bauten.

So bemerkenswert Tauts Schulbauten sind, so machen sie doch nur einen Teil seines Schaffens aus. Zu seinen wichtigen Auftraggebern zählten auch die Gewerkschaften. Für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund verwirklichte er 1921-1923 ein Bürohaus, das einerseits durch das Raster der tragenden Betonstruktur gekennzeichnet wird, andererseits in der kantigen Ausformung der Stützen noch einen expressionistischen Nachhall verspüren lässt. 1930 folgte das Warenhaus der Konsumgenossenschaften, ein fein modellierter Baukörper mit grossen Fensterflächen, der sich trotz seiner konsequent sachlichen Formensprache vorzüglich in die ihn umgebende Bebauung am Berliner Oranienplatz einfügt. Die grösste Resonanz erlebte Taut in den zwanziger Jahren mit seinem Verbandshaus der deutschen Buchdrucker. Dieser zurückhaltende gelbe Ziegelbau zeigt im Treppenhaus ein geradezu atemberaubendes Farbspiel: Der gläserne Liftschacht mit seinen Messingleisten wird an den Wänden von grossformatigen schwarzen Fliesen mit schmalen roten und gelben Bordüren kontrastiert, die sich zu einem abstrakten Muster von hoher Wirkung zusammenfügen.

Tauts gelungenster Bau befindet sich ebenfalls in Berlin: Es handelt sich dabei um das ehemalige Reichsknappschaftsgebäude (1928/30), das seit etlichen Jahren von der Freien Universität als Institut genutzt wird. Die mit braun-roten Keramikfliesen verblendete Stahlkonstruktion des Hauses tritt leicht hervor und verleiht der Klinkerfassade ihren ruhigen, harmonischen Rhythmus. Ein stilles Meisterwerk der Moderne.


Meister des Rahmenbaus

Ausführlich würdigt Menting in einem 178 Nummern umfassenden Werkkatalog die Bauten Max Tauts, dessen Nachlass in der Akademie der Künste aufbewahrt wird, und geht auf ihren jetzigen Zustand ein. Doch leider gilt es auch Abstriche an dieser umfangreichen Monographie zu machen: So wäre es wünschenswert gewesen, hätte die Autorin bei ihrer Annäherung an Taut öfter die rein beschreibende Ebene verlassen. Julius Posener folgend, hebt sie zwar Max Taut als wichtigsten Vertreter des Rahmenbaus in Deutschland hervor und dokumentiert dies in anschaulicher Gegenüberstellung der Konstruktion seiner Bauten. Gleichwohl hätte man sich auch an anderer Stelle eine weit tiefer greifende Analyse und Bewertung gewünscht, gerade vor dem Hintergrund der damaligen Architekturdiskussion, die über das blosse Zitieren der Zeitgenossen Tauts von Adolf Behne bis Julius Posener hinausgeht. Dies gilt für den Kontext des Reformschulbaus der Weimarer Republik ebenso wie für die 1913 gemeinsam von Max Taut und Friedrich Seesselberg entworfene Werdandihalle, ein temporärer Ausstellungsbau in Leipzig für den national-konservativen Werdandibund. Trotz diesen Einschränkungen bleibt Mentings Verdienst, mit ihrem Buch einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet zu haben, das Interesse an Max Tauts Arbeiten neu zu beleben.


[Annette Menting: Max Taut. Das Gesamtwerk. DVA, München 2003. 376 S., Fr. 288.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.12.04

04. August 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Im Stilkleid der Moderne

Das Bauhaus zwischen Weltbild und Architekturstil

Das Bauhaus zwischen Weltbild und Architekturstil

Walter Gropius' Urteil war eindeutig: «Ziel des Bauhauses ist eben kein Stil, kein System, Dogma oder Kanon.» Doch seine Feststellung gleicht eher einem frommen Wunsch, an dessen Demontage sich sein Urheber eifrig selbst beteiligte. Begann Gropius doch schon früh mit seinen Publikationen zur internationalen Architektur, die von ihm entscheidend geprägte Bauhausmoderne zu kanonisieren, um sie marktgerecht zu vertreiben. Grund genug für die Stiftung Bauhaus Dessau, mit der Ausstellung «Bauhausstil - zwischen International Style und Lifestyle» (Kuratorin Regina Bittner) dem Stilbegriff des Bauhauses auf den Zahn zu fühlen. Die zehn Ausstellungsstationen, die neben einigen Klassikern des Möbeldesigns sowie Architekturmodellen vor allem viel «Flachware» zeigen, fordern dabei vom Besucher konzentrierte Lesearbeit. Von der allzu kleinteiligen Ausstellungsarchitektur wird er dabei allerdings nicht gerade unterstützt.


Stil oder nicht Stil

Hinter den Gedanken über Stil oder nicht Stil des Bauhauses steht letztlich die Frage nach Massenproduktion oder Kunstcharakter der Bauhausprodukte. Sie beschäftigte 2002 sogar ein bundesdeutsches Gericht am Beispiel des Stahlrohrhockers B 9 von Marcel Breuer, der auch den aktuellen Auftakt der Ausstellung bildet. Die Anrufung der Richter, die zugunsten des Kunstobjektes entschieden, war allerdings nicht intellektuell motiviert. Sie erfolgte aus handfesten wirtschaftlichen Gründen - dem Streit um die Vertriebsrechte der Bauhausmöbel. Dabei hatten bereits in den achtziger Jahren die Billigproduzenten von Möbeln für eine Popularisierung des Bauhauses gesorgt, indem sie die Wohnzimmer mit ihren Freischwinger-Imitaten überschwemmten. Im Ergebnis war das Bauhaus damals so präsent in der Alltagskultur wie nie zu vor.

Das war eigentlich das Traumziel von Gropius, dessen Arbeit in Weimar und Dessau von seinen Erfahrungen mit dem Werkbund und dessen Bestrebungen geprägt war, Kunst und Industrie in ein effektives Wechselspiel zu bringen. So sollten die Dinge des Alltags endlich von ihrem historistischen Stilkleid befreit werden und eine ihrer Funktion angemessene Form erhalten. Wie schwer Gropius selbst allerdings die Befreiung von den stilbildenden Strömungen seiner Zeit fiel, zeigen seine expressionistisch gefärbten Arbeiten der frühen zwanziger Jahre. Erst mit den Dessauer Bauten, dem Bauhaus selbst, aber auch den Meisterhäusern fand er endgültig das typische Instrumentarium des Bauhauses: weisse Kuben mit flachen Dächern und Fensterbändern oder grossen Glasflächen, die schnell zum Markenzeichen wurden - und damit stilprägend.

Die jedoch bereits in den zwanziger Jahren diskutierte Widersprüchlichkeit des Bauhauses führt die Ausstellung auch am Beispiel des Wohnungsbaus vor: Einerseits beteiligten sich Bauhausprotagonisten 1927 an der Werkbundausstellung in Stuttgart Weissenhof, die von Ludwig Mies van der Rohe geleitet wurde: Ihre Bauten mit grosszügigen Wohnungsgrundrissen wandten sich an ein gehobenes bürgerliches Publikum. Andererseits setzte man sich für die Siedlungen des Massenwohnungsbaus ein. Etwa beim CIAM-Kongress 1929, der die Wohnung für das Existenzminimum thematisierte. Die Stahlrohrmöbel des Bauhauses konnte sich aber nur leisten, wer genug verdiente. Und selbst in der Weissenhofsiedlung wurden sie nach der Musterpräsentation zumeist wieder ausgeräumt und durch traditionelle Möbel ersetzt.

Das Bauhaus war trotz seinen politischen Implikationen letztlich Ausdruck eines spezifischen Lebensgefühls der zwanziger Jahre, der Sehnsucht nach einem neuen Menschen, nach Grossstadt und Modernität - aber der angestrebte Sprung zum Allgemeingut blieb aus. Die «IKEAisierung» des Bauhauses scheiterte - zunächst. Dass es schliesslich doch zum «Sieg des Neuen Baustils» kam, so ein Buchtitel des erfolgreichen Architekturpublizisten Walter Curt Behrendt, und der Bauhausstil zu dem bestimmenden Architekturkonzept des 20. Jahrhunderts aufstieg, verdankt er neben Gropius' Architekturmarketing vor allem Alfred Barr, Phillip Johnson und Henry-Russell Hitchcock. Mit ihrer legendären Ausstellung «International Style» von 1932 im Museum of Modern Art wischten sie die europäischen Empfindlichkeiten ob Stil oder nicht Stil beiseite. Indem sie den Architekturdiskurs von seinen politischen Konnotationen befreiten und ihn auf eine rein ästhetische Ebene reduzierten, vereinfachten sie ihn radikal. Folgerichtig bilden die New Yorker Ausstellung und der noch weit folgenreichere Katalog, der die Bilder des Neuen Bauens in Amerika verbreitete, einen der Schwerpunkte der Dessauer Ausstellung.


Deutsche Bauhausdebatte

Nach 1945 kehrte die inzwischen in Amerika erfolgreiche Bauhausmoderne nach Deutschland zurück. Doch während die Berliner «Inter Bau 1957» dem neuen architektonischen und städtebaulichen Leitbild verpflichtet war, stiessen die einstigen Hauptprotagonisten des Bauhauses, Gropius und Mies, in Deutschland auf Zurückhaltung oder gar offene Ablehnung. Das dokumentiert die von Rudolf Schwarz losgetretene Bauhausdebatte der fünfziger Jahre. Am Ende freilich stand die unausweichliche Kanonisierung des Bauhauses, wie sie bereits Sigfried Giedion mit seinem Standardwerk «Time, space and architecture» seit 1941 betrieb. Sie gipfelte 1968 in der Stuttgarter Ausstellung «50 Jahre Bauhaus», die auch den Schlusspunkt der Dessauer Ausstellung bildet. Was 1932 im MoMa begonnen hatte, war 1968 vollendet: Das Bauhaus war endgültig museumsreif. Doch da war die Demontage der Bauhausideale durch die Postmoderne bereits in vollem Gange, die in Tom Wolfes scharfzüngiger Abrechnung «Leben mit dem Bauhaus» gipfelte. Kaum auf dem Sockel eines Klassikers angekommen, hatte im Architekturalltag schon wieder der Abstieg begonnen.


[Bauhaus Dessau: «Bauhausstil - zwischen International Style und Lifestyle», bis 16. November 2003. Katalog Euro 28.90.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2003.08.04

01. Juli 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vom „Local Hero“ zum „Global Player“

Das Architektenduo Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle

Das Architektenduo Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle

Das Vorarlberger Architektenduo Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle, kurz B & E, gilt als Vorreiter eines selbstbewusst modernen Regionalismus in der Alpenregion. Mit ihren Arbeiten sorgen sie seit Mitte der achtziger Jahre für Furore und haben dabei bleibende Spuren hinterlassen - in der Landschaft ebenso wie in den Diplomarbeiten zahlreicher junger Architekturstudenten, die sich gerne an der unkonventionellen Kreativität von B & E bedienen. Kein Wunder also, dass auch die Publikationen ihrer Arbeiten stets grosse Resonanz erfahren. Jetzt bietet Liesbeth Waechter-Böhm einen Überblick über die neuste Werkentwicklung. Einen einleitenden Essay hat dafür Kenneth Frampton geliefert; sein Inhalt bleibt jedoch seltsam uninspiriert.

Dabei waren die letzten fünf Jahre für B & E Jahre des Wandels, denn das Büro ist auf dem Sprung vom «Local Hero» zum architektonischen «Global Player». Doch vermögen B & E den Spagat eines «glocal» operierenden Teams zu bewältigen? Schliesslich sind es gerade die besonderen Lösungen für die kleinen, feinen Aufgaben, die das Büro auszeichnen. Jene Prise Phantasie, die die Schindelfassade bei einem Einfamilienhaus ebenso zum Erlebnis macht wie die Paraphrase des Themas Wolkenbügel von El Lissitzky beim Hafengebäude in Fussach (beide 2000) oder die Holzlamellenkonstruktion an der Fassade eines Betriebsgebäudes im Allgäu (1998). Diese bietet einen Rückbezug auf Landschaft und Tradition, ohne dabei je ins Folkloristische abzugleiten. Ohnehin das Material: Ob Glas, Beton oder Holz, das Vorarlberger Duo zeigt Mut zur Vielfalt. Das gilt nicht zuletzt für seine Wohnbauten - selbst wenn es in einen grösseren städtebaulichen Massstab geht, wie bei der Siedlung am Lohbach in Innsbruck (2000). Dort zeichnet der zusammenschiebbare Sonnenschutz an der umlaufenden Balkonzone ein abwechslungsreiches Fassadenmuster auf die würfelförmigen Häuser. Einen eher manierierten Eindruck hinterlässt dagegen die Wohnanlage in der Sebastianstrasse in Dornbirn (2001). Die weissen Glasscheiben der äusseren Fassadenhülle lassen sich - wie so oft bei B & E - übereinander schieben. Gleichwohl wirkt der Bau bei aller Eleganz keineswegs so selbstverständlich, wie man dies von anderen Projekten gewohnt ist.

Mit der Neugestaltung der Münchner Rückversicherung in München (2001) haben die Architekten die nächste Etappe in ihrem Werk erreicht: Die Waschbetonfassade des aus den siebziger Jahren stammenden Baus in Schwabing wurde aufgeschnitten und mit einer neuen Glashaut versehen. Auch im Inneren haben B & E für Raumkunst gesorgt und eine 55 Meter lange Halle vollständig mit hellem kanadischem Ahorn ausgekleidet. Arbeiten von Keith Sonnier und Olafur Eliasson komplettieren den kunstvoll anspruchsvollen Bau. Doch weit grössere Projekte stehen noch an: allen voran der neue Wiener Flughafen, aber auch das WHO/Unaids-Verwaltungsgebäude in Genf und die Erweiterung der Zürcher ETH. Der endgültige Sprung unter die Grossen der Architekturszene dürfte den Vorarlbergern aber mit der Mega Hall für Peking gelingen, zugleich der grösste Massstabsprung für das Büro: Sehen die Planungen doch drei Hochhäuser zwischen 80 und 100 Metern vor, die aus einer gemeinsamen Sockelzone emporwachsen. Dagegen wirkt das Hochhaus, das zurzeit an der Zürcher Hohlstrasse entsteht, mit seinen 60 Metern fast schon niedrig. Für jenen zeitgemässen Regionalismus, der den Ruf des Architekturbüros begründet hat, dürfte bei diesen Projekten nur noch schwerlich Raum bleiben.


[Liesbeth Waechter-Böhm: Baumschlager & Eberle. Bauten und Projekte 1996-2002. Dt./engl. Springer-Verlag, Wien 2003. 192 S., Fr. 80.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2003.07.01



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Baumschlager Eberle Architekten

18. Juni 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architektonische Präsenz

Eine Monographie über den Engländer David Chipperfield

Eine Monographie über den Engländer David Chipperfield

Einfacher geht es nicht: Zwei dünne Aluminiumscheiben dienen als Stützen, darauf liegt eine nicht minder dünne helle Holzplatte auf. Fertig ist der Tisch. David Chipperfield, Jahrgang 1953, gilt als Meister der Konzentration auf das Wesentliche. Insoweit ist die Serie von «Air Frame Furniture» durchaus typisch für seine Arbeit. Und doch ist man überrascht, dass ausgerechnet diese Aluminiummöbel den Auftakt der dreissig ausgewählten Bauten und Projekte bilden, die in der jüngst bei Birkhäuser erschienenen Monographie über den Briten versammelt sind. Statt - wie üblich bei Werkschauen von Architekten - im Anhang zu verschwinden, bilden nun ein Tisch, eine Kommode, ein Sessel den Auftakt für einen Rückblick auf sein architektonisches Schaffen.

Was scheinbar nur der Zufälligkeit der alphabetischen Anordnung der Projekte entspringt, lässt sich mit einer tieferen Bedeutungsschicht versehen: Auch das scheinbar Nebensächliche, sei es ein Detail, sei es ein Möbel, besitzt einen entscheidenden Einfluss auf die Gesamtwirkung von Chipperfields Architektur. Nicht umsonst verweist der Brite in einem Interview mit Rik Nys in dem ansprechend gestalteten Buch darauf, dass für ihn Architektur mit der Position des Individuums beginne. Eine Behauptung, die viele Architekten aufstellen, doch Chipperfield vermag sie mit seinem Werk zu untermauern: sei es bei den massstäblichen Höfen, die er in seinen Wohnhäusern entwickelt hat, oder bei dem grossen Atrium für das Sendezentrum der BBC, das derzeit in Glasgow entsteht. Wie eine Kaskade führen die Treppen dort kunstvoll von einer Ebene zur nächsten hinab und schaffen überschaubare Einheiten, um die herum sich die Studios und Büros der Arbeitswelt gruppieren.

Reduzierung ist für Chipperfield, der in den letzten Jahren vom britischen zum europäischen Architekten geworden ist - so Kenneth Frampton in seinem Essay -, kein Selbstzweck. Sie ist Teil einer Strategie, sich an die Gegebenheiten eines Ortes anzupassen, dessen Qualitäten herauszuarbeiten und sie durch eine moderne und doch zeitlose Architektur weiterzuentwickeln. So fügt sich Chipperfields Haus Stern im galicischen Fischerdorf Corrubedo (1996-2002) mit seinem Natursteinsockel und der weissen Fassade nahtlos in die langgezogene Uferbebauung ein. Erst auf den zweiten Blick treten der gläserne «Piano nobile», der grosse «screen» im Obergeschoss und die kubischen Formen des Gebäudes deutlicher hervor. Doch sie stören nicht den Zusammenklang mit den angrenzenden Bauten. Das Haus setzt einen Akzent, doch es dominiert seine Umgebung nicht. Es qualifiziert sie, ohne sie zu marginalisieren. Es ist prägnant, aber nicht laut.

Ganz ohne Säulen und Kapitelle bringt Chipperfield ein klassisches Element in die Architektur ein. Seine differenzierte Haltung kennzeichnet auch das Restaurierungskonzept, das er zusammen mit Julian Harrap für den Wiederaufbau von August Wilhelm Stülers Neuem Museum in Berlin entwickelt hat. Weder ein Rekonstruieren des im Zweiten Weltkrieg verlorenen Bestandes noch ein Kontrast zwischen Alt und Neu schweben Chipperfield vor. Stattdessen plädiert er für einen dritten Weg im Umgang mit dem historischen Gebäude - ähnlich wie einst Hans Döllgast bei der Alten Pinakothek in München, deren Kriegsschäden als Teil der Geschichte des Hauses bewahrt und in seine Wirkung mit einbezogen werden. Auch dies lässt sich als eine Konzentration auf das Wesentliche begreifen.


[ David Chipperfield: Architectural Works 1990-2002. Hrsg. Thomas Weaver. Birkhäuser-Verlag, Basel 2003. Text in englischer Sprache. 343 S., zahlr. Abb., Fr. 112.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2003.06.18

08. Mai 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Bildungsfundamente der Baukultur

Zwei Jugend-Bücher von Gert Kähler

Zwei Jugend-Bücher von Gert Kähler

«Die ständige Erziehung der Sinne», so schrieb Lewis Mumford in seiner legendären Abhandlung «Die Stadt», die zu Beginn der sechziger Jahre erstmals auf Deutsch erschien, «ist die elementare Grundlage aller höheren Formen der Bildung. Gibt es sie im alltäglichen Leben, so kann sich das Gemeinwesen die Mühe sparen, Kurse in Kunstverständnis abzuhalten. Gibt es sie aber nicht, dann sind derartige Bemühungen weitgehend banal und eitel, handeln sie doch hauptsächlich von modischen Redensarten, nicht jedoch von der zugrunde liegenden Wirklichkeit. Wo eine solche Umwelt fehlt, verkümmert auch die Tätigkeit der Vernunft; Wortgewandtheit und wissenschaftliche Präzision können die sinnliche Unterernährung nicht ausgleichen. Wenn das, wie Maria Montessori vor langer Zeit erkannt hat, ein Schlüssel zu den Anfängen der Kindererziehung ist, so gilt es auch für spätere Altersstufen: Denn die Stadt übt eine
stetigere Wirkung aus als die eigentliche Schule.»


Nachhilfeunterricht

Was aber, wenn der bildungsbürgerliche Super- GAU eingetreten ist? Was, wenn «die ständige Erziehung der Sinne» durch die Städte abhanden zu kommen droht? Dann gibt es wohl doch keine Alternative dazu, als die Notbremse zu ziehen und «Kurse in Kunstverständnis» abzuhalten - seien sie nun eitel oder nicht. Baukulturellen Nachhilfeunterricht in Buchform für Schule und Jugendzimmer erteilt jetzt der Hamburger Architekturhistoriker Gert Kähler, Autor des «Statusberichts» der «Initiative Baukultur». Sein in der Rotfuchs-Reihe «science & fun» bei Rowohlt veröffentlichtes Jugendbuch nennt sich «Scifun- City. Planen, bauen und leben im Grossstadtdschungel».

Es zeigt die unterschiedlichen Funktionen und Rahmenbedingungen auf, aus denen sich Städte zusammensetzen, und gibt Einblicke in die «Kulturtechnik» Stadtleben - von der Stadtverwaltung über die Müllentsorgung bis hin zur Trennung von privatem und öffentlichem Raum. Aber auch in den Planungsablauf im Vorfeld einer Baumassnahme bekommen die Leser Einblick. Das letzte Drittel des Buches ist schliesslich der Geschichte des Phänomens Stadt gewidmet. Die Lektüre des flott aufgemachten Buchs empfiehlt sich als Einstieg in ein Thema, mit dem die meisten Kinder aus der eigenen Lebensumwelt vertraut sein dürften, über dessen Bedeutung und Ursachen sie sich aber selten Gedanken machen: die Stadt. Störend allerdings ist der gelegentlich allzu sehr ins kumpelhaft altväterliche abgleitende Sprachduktus des Buches.

Bei der zweiten Veröffentlichung Kählers handelt es sich um ein Schulbuch, das unter dem Titel «Wie gewohnt?» die Themen Wohnen, Stadt und Architektur für Jugendliche der Sekundarstufe aufbereitet. Zwar gibt es Überschneidungen mit dem Rotfuchs-Buch, etwa wenn es um die Geschichte der Stadt geht, doch da sich das Schulbuch an ältere Jugendliche wendet, erfordern allein schon die unterschiedlichen Zielgruppen beider Publikationen auch eine unterschiedliche Aufbereitung der Informationen. Kählers Schulbuch behandelt Themen, die von den Schülern im Unterricht unmittelbar nachvollziehbar sind, wie die Analyse von Wohnungsgrundrissen und deren Auswirkungen auf das familiäre Zusammenleben, aber auch auf die Gesellschaft. Es konfrontiert seine Leser aber auch mit qualitätvoller zeitgenössischer Architektur und arbeitet die Bedeutung von Wirtschaftlichkeit, Bautechnik und Ökologie beim Hausbau hervor. Damit leistet es verdienstvolle Grundlagenarbeit. Denn nur so kann die Wahrnehmung der gebauten Umwelt geschärft werden, ohne die das Bemühen scheitern muss, die Baukultur langfristig im Volk zu verankern.


Architektur-Kanon?

Wie aber wäre es - würde man Kählers Ansatz weiterdenken -, wenn man neben der verdienstvollen Vermittlung von Stadtfunktionen und architektonischen Grundbegriffen in den Lehrplänen zusätzlich einen Architekturkanon verankern würde, durch den die Kenntnis der Architekturentwicklung von Schinkel bis Mies van der Rohe gleichberechtigt neben dem Literaturkanon von Goethe bis Brecht stünde? Doch so nah uns unsere gebaute Umwelt ist, der wir Tag für Tag begegnen, so fern scheint uns die regelmässige Beschäftigung mit ihr noch immer zu sein. Und so wird es wohl ein mühsamer und steiniger Weg werden, ehe die Bedeutung der Baukultur auch allgemein erkannt wird. Bis dahin helfen Kählers Publikationen, baukulturelle Bildungsfundamente zu legen. Nur schade, dass Kählers Schulbuch «Wie gewohnt?» letztlich ein Schulbuch geblieben ist und die engen Gestaltungsfesseln nicht zu durchbrechen vermag. Wie schön wäre es doch, wenn die Jugendlichen durch die Lektüre des Buches nicht nur ihr Wissen um Stadt und Architektur vermehren, sondern auch eine ganz eigene, ganz sinnliche Buch-Erfahrung machen könnten - jenseits jenes Gestaltungseinerleis, das sie durch ihre Mathematik- und Biologiebücher nur zu gut kennen. Die Erziehung der Sinne besitzt schliesslich viele Facetten.


[Gert Kähler: Scifun-City. Planen, bauen und leben im Grossstadtdschungel. Rowohlt-Taschenbuchverlag, Reinbek 2002. 144 S., Fr. 22.60. - Gert Kähler: Wie gewohnt? Ein Buch um das Wohnen für die Sekundarstufe II. Ernst-Klett-Schulbuchverlag, Leipzig 2002. 120 S., Fr. 24.80.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.05.08

16. April 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Durchdringung

Klaus Kinolds Photographien der Bauten Karljosef Schattners

Klaus Kinolds Photographien der Bauten Karljosef Schattners

Der Architekt Karljosef Schattner und das bayrische Eichstätt sind ein fast symbiotisches Verhältnis miteinander eingegangen. Wie ein roter Faden ziehen sich die Um- und Neubauten des Diözesanbaumeisters durch den Stadtplan. Über dreissig Jahre bekleidete Schattner diese Funktion, von 1957 bis 1991. Eine lange Zeit, in der nicht nur viele Häuser aus seiner Hand entstanden sind, sondern - was wichtiger ist - vor allen Dingen gute Häuser: Es sind Bauten mit Vorbildcharakter, deren Bedeutung weit über den engen Kreis der alten bischöflichen Residenzstadt hinausgeht. Bauten, die den Beweis dafür antreten, dass moderne Architektur nicht der Feind historischer Altstädte sein muss, dass es sich lohnt, kreativ und behutsam mit alten Bauten umzugehen. Bauten wie das Bürogebäude der Universität (1980), das sich mit Satteldach und Sichtbetonfassade in die Strassenbebauung einfindet, das Alte Waisenhaus (1988), dessen Bestand repariert wurde und dessen rückwärtige Renaissancefassade heute geschützt hinter einer neuen Fassadenschale aus Beton liegt. Oder die Bibliothek (1980), deren Lesesaal einst ein Hof war.

Immer wieder überzeugt der kunstvolle Charakter von Schattners Häusern, wie im Fall des 1987 vollendeten Lehrstuhls für Journalistik: Zwei Wandscheiben fassen den Eingang ein, ein Portal, das in seiner reduzierten skulpturalen Qualität die barocken Bauten, von denen es gerahmt wird, nicht scheuen muss, ohne ihnen dabei zu nahe zu treten oder ihnen Konkurrenz zu machen. Für die Qualität dieser Projekte spricht die Tatsache, dass ihre Architektur auch nach zwanzig Jahren noch immer gut anzuschauen ist. So kann man sie wohl bedenkenlos als klassische Lösungen bezeichnen.

In einem bemerkenswerten Bildband hat der Birkhäuser-Verlag jetzt Klaus Kinolds Schwarzweissphotographien der Bauten Schattners zusammengestellt. Photographien, die Zeugnis von der intensiven Zusammenarbeit zwischen Architekt und Photograph ablegen. Gefühlvoll fangen Kinolds Bilder das Wechselspiel zwischen Neu und Alt ein, wählen mit genauem Blick das richtige Detail aus und erforschen die Räume, die die Architektur Schattners bildet. In Kinolds Bildern durchdringen sich Photographien und Architektur und ergänzen einander. So wie in dem Exerzitien- und Bildungshaus Schloss Hirschberg, zwischen 1987 und 1992 von Schattner umgebaut und erweitert, dessen Gästezimmer mit Kinolds Photographien von Schattners Bauten ausgestattet wurden. Dort lag die Keimzelle zu dem vorliegenden Buch, dessen Konzept so schlüssig ist, so unmittelbar, dass es zusätzlich zu Kinolds Bildern nicht vieler Worte bedarf: ein kurzer einleitender Essay von Max Bächer, einige verstreute Sentenzen zur Architektur und ein kurzes Nachwort des Herausgebers Jean Wolfgang Stock. So wenig, so viel. Wie Schattners Architektur.


[Karljosef Schattner - Klaus Kinold. Architektur und Fotografie. Hrsg. Jean Wolfgang Stock. Birkhäuser-Verlag, Basel 2003. 166 S., 114 Duoton-Abb., Fr. 75.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2003.04.16

23. Januar 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Jenseits des Alltags

Auf der Suche nach dem sakralen Raum

Auf der Suche nach dem sakralen Raum

Kaum hat man das Portal einer Kirche durchschritten, wird die Aufmerksamkeit geschärft, als strebten alle Sinne zu Gott. Doch was ist es eigentlich, wodurch wir eine Kirche als einen besonderen Raum erfahren, ihn als einen heiligen Ort wahrnehmen? Schliesslich haben Kirchen im Lauf der 2000-jährigen Geschichte des Christentums höchst unterschiedliche Erscheinungsweisen angenommen: vom Goldglanz des Frühchristentums über die Schwere der Romanik und vom Hochaufstrebenden der Gotik bis hin zur Theatralik des Barocks. Eine farbenprächtige Augenreise durch diese Welt des Kirchenbaus von den byzantinischen Ursprüngen bis zur Moderne bietet das Buch «Heilige Räume» von Achim Bednorz und Ehrenfried Kluckert.

Gerade auch in den reduzierten Kirchenräumen der Moderne bleibt dieses Besondere der Sakralarchitektur spürbar, wird die Erfahrung des Nichtalltäglichen in eine gebaute Form übergeführt, die sehr unterschiedliche Facetten besitzt. Sie reicht von Le Corbusiers expressiver Kapelle in Ronchamp über Carlo Scarpas Friedhofkapelle San Vito d'Altivole bis zum wunderbar klaren Kloster in Vaals von Dom Hans van der Laans. Nachzulesen ist diese Entwicklung der europäischen Kirchenbaukunst der Jahre zwischen 1950 und 2000 jetzt in einem gewichtigen Buch, das Wolfgang Jean Stock herausgegeben hat. Beginnend mit Fritz Metzgers Kirche St. Felix und Regula in Zürich von 1950, leitet der Autor den Leser durch ein halbes Jahrhundert katholischen und protestantischen Kirchenbaus. Natürlich bedeutet dies zwangsläufig eine Konzentration auf ausgewählte Leitbauten. Und fast zwangsläufig liegt der Schwerpunkt bei dieser Auswahl auf Deutschland, wo durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ein besonderer Bedarf an neuen Kirchen entstanden war. Wie selbstverständlich nahm in Deutschland - aber nicht nur dort - der Kirchenbau nach 1945 eine herausragende Position ein, wurden Überlegungen zur Liturgie und zur Anordnung der Gemeinde im Raum, die später in das Zweite Vatikanische Konzil einflossen, bereits in der Architektur vorweggenommen. Die Entwicklung der Sakralarchitektur nach 1945 ist in Deutschland eng mit Namen wie Rudolf Schwarz oder Emil Steffan verbunden. Aber auch der fast vergessene Olaf Andreas Gulbransson verdient erwähnt zu werden.


Entrücktes Leuchten

Noch heute ruft die kraftvolle Modernität und mutige Radikalität mancher Sakralbauten der fünfziger und sechziger Jahre ein tiefes Staunen hervor. Etwa bei St. Pius in Meggen von Franz Füeg. Trotz der klaren Stahlskelettkonstruktion des Baues wird hier etwas von jenem Mysterium spürbar, das die Besonderheit eines Sakralbaus auszeichnet: Durch die durchscheinenden Marmorplatten der Fassadenverkleidung dringt Licht in den Innenraum und schafft so jene «Ruhe und Besinnung», die schon die Wettbewerbsjury an dem Entwurf lobte. Jenes entrückende Leuchten ist es auch, das Egon Eiermanns Berliner Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche ausmacht. Intensives blaues Licht fällt durch die Beton-Glaswände in den achteckigen Kirchenraum, ergänzt durch gelbe und rote «Farbflecken».

Die vorgestellten Kirchenbauten werden durch einzelne, über das Buch verteilte Essays ergänzt, in denen liturgische Aspekte des Kirchenbaus (Albert Gerhardts) ebenso beleuchtet werden wie die Entwicklung des Sakralbaus in der Schweiz (Fabrizio Brentini), in Österreich (Friedrich Achleitner), Belgien und den Niederlanden (Marc Dubois), Finnland (Riitta Nikula) sowie in einzelnen deutschen Regionen wie dem katholischen Rheinland (Wolfgang Pehnt). Dadurch gelingt es dem Buch, einen umfassenden und fundierten Überblick über eine der faszinierendsten Bauaufgaben der letzten fünfzig Jahre zu geben. Zugleich bieten die Essays den Autoren die Gelegenheit, die Sakralbauten der Jahre nach 1950 an die Reformgedanken im Kirchenbau aus den zwanziger und dreissiger Jahren anzubinden, ohne die die Bauten der Nachkriegszeit nicht vorstellbar wären. Umsonst sucht man dagegen nach Hinweisen zur freilich konservativ geprägten Sakralarchitektur der letzten Jahre in Osteuropa, etwa in Polen. Dennoch bietet das Buch von Stock einen höchst lesenswerten Überblick über die (west-) europäische Sakralarchitektur der Nachkriegszeit, die auch die bewusste Entsakralisierung der Kirchengebäude in den späten sechziger und siebziger Jahren nicht ausblendet.


Kirche und Museum

Auf die Suche nach der Sakralität begibt sich auch die neuste Ausgabe der Zeitschrift «Kunst und Kirche». Dabei erweist sich bereits ihr Titelbild als eine wohlerwogene Provokation, mit der die gängigen Klischees einer weihevollen Sakralität in Frage gestellt werden: Es zeigt die Betonkapelle des «Hauses der Stille» von Peter Kulka (NZZ 28. 1. 02), die nur durch ein schmales Edelstahlkreuz als Sakralraum gekennzeichnet wird. «Sind katholische Kirchen heilige Räume?», fragt der Theologe Thomas Sternberg in seinem Beitrag «Unalltägliche Orte» und hält fest: «Kirchen sollten für Gottesdienst und Gebet reservierte, unalltägliche Räume sein, die Menschen zu sich selbst, zu anderen und darin auch zu Gott finden lassen.» Gleichwohl erkennt er die Gefahr, dass die Sakralität von Gotteshäusern durch eine inszenierte «Scheinsakralität» in der Alltagswelt verloren geht. Vor allem Museen bedienen sich in einer zunehmend profanierten Welt gerne einer als sakral empfundenen Architektursprache (Beitrag Kerstin Englert). Derart mit Zitaten aus der Kirchenbaukunst geschmückt, atmen Museen als Kathedralen der Kunst längst überalltägliche Atmosphäre. Das Museum ist aber auch der Ort, wo der Austausch zwischen Kunst und Kirche am engsten ist; werden dort doch einerseits Kunstwerke zu Kultgegenständen, anderseits aber Kultgegenstände in Schauobjekte umgewandelt und durch eine effektvolle Lichtregie quasisakral inszeniert. So verschleifen sich die Grenzen zwischen profaner und sakraler Architektur. Doch auch wenn die eindeutige Definition eines Sakralraums an Grenzen gelangt, so sind es Sakrament, Gebet und Gemeinschaft, die den Kirchenraum über den Alltag herausheben und ihn zu einem besonderen Ort machen.


[Achim Bednorz und Ehrenfried Kluckert: Heilige Räume. Dumont-Verlag, Köln 2002. 382 S., Fr. 155.-. - Europäischer Kirchenbau 1950-2000. Hrsg. Wolfgang Jean Stock. Prestel- Verlag, München 2002. 320 S., Fr. 98.-. - «Kunst und Kirche» 3/2002 («Sakralität»).Verlag das Beispiel, Darmstadt. Fr. 21.50.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.01.23

03. Januar 2003Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Die unsichtbaren Städte

Das Handy am Ohr, die Zigarette im Mund, die Trinkdose in der Hand. Darunter der Slogan «Und wer fährt?». So ist es derzeit an deutschen Autobahnen plakatiert. Noch ist es eine Zukunftsvision, dass Autos die einprogrammierten Fahrziele ohne weiteres Zutun des Fahrers erreichen: sicher, sparsam, schnell. Aber wie lange noch?

Das Handy am Ohr, die Zigarette im Mund, die Trinkdose in der Hand. Darunter der Slogan «Und wer fährt?». So ist es derzeit an deutschen Autobahnen plakatiert. Noch ist es eine Zukunftsvision, dass Autos die einprogrammierten Fahrziele ohne weiteres Zutun des Fahrers erreichen: sicher, sparsam, schnell. Aber wie lange noch?

Die Ausstellung «TeleCity» im Bauhaus Dessau beweist, dass die Zukunft längst begonnen hat. So ermöglicht das Global Positioning System (GPS) schon heute eine auf 20 Zentimeter genaue Ortung von Autos via Satelliten. Singapur etwa verfügt bereits über ein flächendeckendes System zur Überwachung und Lenkung des Verkehrs - und zur Kostenerhebung. Im Zeitalter von Handy und EC-Karte stellt sich weniger die Frage, auf welche Bereiche unserer städtischen Lebenswelten sich die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien schon ausgebreitet haben, sondern eher, auf welche noch nicht. Das geht bis in die private Wohnung hinein, wie Werner Sobeks Stuttgarter Haus R 128 zeigt, das rechnergestützt entwickelt und produziert wurde. Das intelligente Haus, der nachdenkliche Kühlschrank, der liebevolle Elektrohund, all das ist bereits Realität. In gut einem Jahrzehnt wurden unser Selbstverständnis und unser Alltag revolutioniert - bis hin zu jenen japanischen Convenience-Stores, die auf Wohnzimmergrösse alles bieten, was die Kunden brauchen. Der Datenfluss verrät, was wann wo am besten verkauft wurde, und das wird schon beim Verkauf nachbestellt. Alles im Interesse des Kunden, der das Basilikum neben den Tomaten und dem Mozzarella findet.

Das alles und noch viel mehr ist in der Ausstellung im Bauhaus Dessau - nicht zu sehen. Zumindest nicht in der gewohnten Form. Statt Schauvitrinen und Stellwänden mit Bildern präsentiert das Ausstellungskonzept einen leeren Raum - bietet einen freien Blick auf den Werkstattflügel von Walter Gropius' Bauhaus. Ein schöner Kunstgriff der Kuratoren: Die Ausstellung ist so unsichtbar wie der alltägliche Datenfluss. Einzige Orientierung für die Besucher bieten einige Farbpunkte auf dem Boden: Von dort aus müssen sie sich mit ihren Mobil-PC via Infrarot einloggen. Über ihre Kopfhörer bekommen sie dann die Informationen zu den neun Themen der Ausstellung: Wohnen, Verkehr, Handy, Smart Cards, Administration, Grenzen, Bibliothek, Büro und Einkaufen. Gegliedert sind diese Themen nach den Gesichtspunkten Produktion, Distribution, Kommunikation und Kontrolle.

Auf einen multimedialen Overkill, wie man ihn von anderen Ausstellungen kennt, hat man in Dessau bewusst verzichtet. Trotz den kleinen Handhelds, auf denen zu den Themen jeweils einige begleitende Bildchen flimmern, ist es bei aller Radikalität eine fast altmodische Ausstellung geworden, die an schöne Radiozeiten erinnert: Dafür sorgen die über Kopfhörer empfangenen Texte. Auch wenn die Schau für eingefleischte Computerfreaks nur bedingt Neues bieten dürfte, hält sie für die meisten Besucher eine Menge Informationen bereit rund um die schöne neue Welt der «TeleCity».

Durch den Besuch der Dessauer Ausstellung wird das Bewusstsein auch für die Gefahren der Kommunikationstechnologien geschärft. Den Bedenken stehen die Vorteile einer kabellosen Kommunikation über das Internet, die stete Erreichbarkeit über das Handy oder verkürzte Behördengänge durch eine Chipkarte gegenüber. Ohnehin: Ein Zurück aus der Informationsgesellschaft ist nicht mehr möglich. Höchstens ihr bewussteres Lenken und eine kritische Distanz. Übrigens: Anstelle eines Kataloges kann man sich eine E-Mail mit kurzen Texten und zusätzlichen Links zu den einzelnen Themen zuschicken lassen. Und natürlich sagt ein beigefügtes Protokoll jedem Ausstellungsbesucher, welche Rubriken er sich in der Ausstellung angehört hat und welche nicht. Automatisch.


[ Bis 2. Februar 2003 im Bauhaus Dessau. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.01.03

19. Dezember 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wahlverwandtschaft

Schinkel-Rezeption bei Ludwig Mies van der Rohe

Schinkel-Rezeption bei Ludwig Mies van der Rohe

Mies und Schinkel - eigentlich, so sollte man meinen, müsste zu diesem Thema bereits eine ganze Bibliothek an Forschungsliteratur existieren. Schliesslich gehört die Rezeption von Karl Friedrich Schinkels Werken in den Arbeiten Ludwig Mies van der Rohes zu den meistbemühten Topoi der Architekturgeschichte. Und das nicht erst seit gestern. Schon Paul Westheim meinte 1927, Mies sei «als einer der begabtesten weil ursprünglichsten Schinkelschüler anzusehen». Doch auch wenn in der architekturgeschichtlichen Literatur immer wieder die Saite über die Beziehung zwischen Mies und Schinkel angeschlagen wird, so hat sie Max Stemshorn jetzt erstmals zusammenfassend untersucht. Er hat alte Fäden aufgenommen und einige neue hinzugefügt. Gestützt werden die Überlegungen zur architektonischen Wahlverwandtschaft zwischen dem Berliner Klassizisten und seinem modernen Nachfolger auch von Mies van der Rohe selbst. Vor allem gegen Ende seiner Laufbahn wies er mehrfach auf die vorbildhafte Bedeutung von Schinkels Werken für seine eigene Arbeit hin. So lobte er Schinkels Altes Museum als wunderbares Gebäude, von dem man alles in der Architektur lernen könne - und das habe er eben versucht. Aus diesem Lob spricht der Wunsch, die eigene Arbeit in ihrer überzeitlichen Geltung zu stilisieren - auch darin war Mies wie Schinkel ganz Klassizist.

Näher kennen gelernt haben dürfte Mies das Werk Schinkels spätestens durch die Vermittlung von Peter Behrens, in dessen Neubabelsberger Atelier er zu Beginn seiner Berliner Karriere arbeitete. Bereits bei Mies' Entwurf für ein Bismarck-Nationaldenkmal bei Bingerbrück wird Schinkels Einfluss spürbar, orientiert sich doch dieses Projekt in Lage und Gesamtdisposition an Schinkels Entwurf für das Königsschloss auf der Akropolis von 1838. Noch weit konkreter sind die Bezüge beim Haus Perls, das einer modernen Adaption des Schinkel-Pavillons in Charlottenburg gleicht. Ausführlich widmet sich Stemshorn in seiner Untersuchung dem Entwurf für das Haus Kröller-Müller, ohnehin eines der Lieblingsthemen der Mies-Forschung. Schliesslich handelt es sich bei dem Projekt um die erste grosse Niederlage des jungen Architekten: Dem Entwurf von Peter Behrens, bei dem Mies zu dieser Zeit noch beschäftigt war, liess Mies auf Wunsch der Bauherren einen eigenen Entwurf folgen, in Konkurrenz zu dem grossen niederländischen Architekten Hendrik Petrus Berlage.

Dessen Beitrag gewann letztlich die Zustimmung der Bauherrschaft, wurde aber gleichwohl nie verwirklicht. Stemshorn zeigt anhand einer Grundrissanalyse, dass Mies sich intensiv mit Schinkels Rekonstruktionsversuch der Plinius- Villa auseinandergesetzt haben dürfte. Mit Folgen, die weit über die erste bürgerlich-klassizistische Werkphase Mies van der Rohes hinausgingen. Noch in den zwanziger Jahren, als Mies sich mit dem Landhaus in Eisenbeton und später dem Haus Wolf in Guben einer freieren Grundrissbildung zuwandte, verlor er die Idee der Plinius-Villa nicht aus dem Gedächtnis. Gut 100 Jahre zuvor hatte Schinkel bereits bei Schloss Charlottenhof und im Hofgärtnerhaus - beide in Potsdam - mit den weit in die Landschaft ausgreifenden Pergolen und den malerisch gestaffelten Baukörpern ganz ähnliche Motive ausgearbeitet.

Weit weniger konkret stellt sich Mies' Bezug zu Schinkel bei seinen späteren amerikanischen Bauten dar, die eher einem allgemeinen, abstrakten Klassizismus verpflichtet scheinen. In Grundrissgestaltung und Fassadenrhythmus bleiben sie gleichwohl offen für die Interpretation einer Schinkel-Rezeption - was auch für die Berliner Nationalgalerie gilt. Erstaunlich jedoch ist, dass sich Stemshorn ausgerechnet dem einzigen Schinkel-Bau nicht zuwendet, für den Mies van der Rohe eine Umbauplanung vorgelegt hat: der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin. Schinkel hatte das Gebäude 1816/18 als Wachlokal für König Friedrich Wilhelm III. errichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Abdankung Kaiser Wilhelms II. um ihre Funktion gebracht, sollte die Wache zur Gedächtnisstätte für die Gefallenen des Weltkrieges umgestaltet werden. Die preussische Regierung schrieb deshalb 1930 einen Wettbewerb aus, an dem neben dem späteren Gewinner Heinrich Tessenow auch Hans Poelzig, Peter Behrens und Mies van der Rohe teilnahmen.

Die Entwicklung von Mies' Entwurf ist anhand zahlreicher Zeichnungen gut dokumentiert: In der letzten Version schlug er vor, die Wände des Innenraums mit querrechteckigen Platten aus grünlichem Marmor zu verkleiden und einen rückwärtigen Durchgang in das angrenzende Kastanienwäldchen zu schaffen. Herzstück der Anlage sollte ein flacher Gedenkstein sein, der neben einem Reichsadler die Aufschrift «Den Toten» tragen sollte. Von der Mies-Forschung bisher unbemerkt, liefert dieser Raumentwurf einen deutlichen Hinweis auf Mies van der Rohes intensive Auseinandersetzung mit Schloss Charlottenhof in Potsdam. So nimmt sein Entwurf Bezug auf das Vestibül von Charlottenhof. Die Übereinstimmungen beginnen bei der annähernd rechteckigen Grundrissform des Raumes und setzen sich in der blaugrünen Wanddekoration fort. Im sparsamen Preussen Schinkels war sie freilich nur gemalt. Aber auch die rückwärtige, bronzefarbene Türe findet sich in Charlottenhof. Dort führt sie nicht wie bei der Wache ins Kastanienwäldchen, sondern in die Wohnung des Kastellans. An zentraler Stelle des Fussbodens des Charlottenhofer Vestibüls befand sich ein quadratischer Brunnen. Seiner Position hätte im Raumgefüge der Wache der quadratische Gedenkstein entsprochen. Mit Mies' Umgestaltung der Neuen Wache wäre kein neuer Schinkel entstanden; wohl aber ein Bau im Sinne Schinkels. Die Preisrichter erkannten Mies jedoch lediglich einen zweiten Rang zu. Damit verstrich die einzige Gelegenheit, Mies und Schinkel in der unmittelbaren Zusammenschau zu erleben. Was bleibt, ist ein ungeschriebenes Kapitel der Architekturgeschichte.


[Max Stemshorn: Schinkel und Mies. Das Vorbild Schinkels im Werk Mies van der Rohes. Verlag Ernst Wasmuth, Tübingen 2002. 112 S., Fr. 65.50.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2002.12.19

27. November 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Vom Provinzbaumeister zum Meisterarchitekten

Eine Monographie zum Werk von Otto Haesler

Eine Monographie zum Werk von Otto Haesler

Celle, das in den zwanziger Jahren in einem Werbespruch als «die schöne Herzogsstadt» gepriesen wurde, war zugleich eine Hochburg des Neuen Bauens. Doch die Provinzstadt am Rand der Lüneburger Heide stand stets im Schatten von Metropolen wie dem «neuen Frankfurt» oder dem «neuen Berlin». Zu Unrecht, wie die Bauten des Architekten Otto Haesler (1880-1962) zeigen, die in einer Reihe mit den Arbeiten seiner berühmten Kollegen Walter Gropius, Bruno Taut oder Ernst May zu nennen sind. Gleichwohl galt der gebürtige Münchner Haesler nach 1945 lange Zeit eher als eine regionale Grösse und geriet in Vergessenheit, zumal er an seinem neuen Wohnort in der DDR kein Spätwerk verwirklichen konnte. Dank der materialreichen Haesler-Monographie der Kunsthistorikerin Simone Oelker wird nun endlich seine Rolle als eine der führenden Kräfte des Neuen Bauens in der Weimarer Republik aufgezeigt. Durch kleinere Exkurse verortet die Autorin Haeslers Werk zudem im architektonischen Geschehen der Zeit, so dass die Lektüre des Buches auch für Nichtfachleute zum Gewinn wird.

Als entscheidend für Haeslers Karriere erwies sich seine Teilnahme am Wettbewerb für den Umbau des Kaufhauses Freidberg in Celle, den er 1906 gewann. Zur Überwachung der Ausführung des Baus zog er von Frankfurt nach Celle. Schnell avancierte Haesler in Celle zum vielbeschäftigten Architekten. Vor allem mit seinen repräsentativen Wohnbauten traf er den Geschmack des bürgerlichen Publikums. Geprägt durch die «Karlsruher Architektenschule» um Herrmann Billing und dessen Mitarbeiter Ludwig Bernoully, in dessen Frankfurter Büro Haesler zwischen 1903 und 1906 gearbeitet hatte, setzte sich Haesler auch mit den Gedanken des Heimatschutzes sowie mit Hermann Muthesius' Überlegungen zum modernen Landhaus auseinander.

Für aktuelle Strömungen der Kunst und Architektur stets aufgeschlossen - wie Oelker nachweist -, öffnet sich Haeslers Werk nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend für expressionistische Stilelemente. Angeregt vom Magdeburger Vorbild Bruno Tauts, setzt er in Zusammenarbeit mit dem Maler Karl Völker mit der Siedlung Italienischer Garten 1923/25 einen farbigen Akzent in das Celler Stadtbild. Und noch eine Neuerung zeigen die kubischen Baukörper: Flachdächer. Sie finden sich auch bei der Siedlung Georgsgarten (1925/26), deren langgestreckte Zeilenbauten Haesler endgültig zu einem der führenden Vertreter der Moderne in Deutschland machten.

Mit industrieller Fertigung, Senkung der Baukosten sowie rationalisierten Grundrissen bemühte sich Haesler wie zahlreiche seiner Kollegen, dem drängendsten sozialen Problem der Weimarer Republik entgegenzuwirken: der Wohnungsnot. So entstand 1928/29 ein Versuchshaus in Stahlskelettkonstruktion für eine Siedlung mit Kleinstwohnungen. Als Siedlungsexperte wirkte Haesler nun auch ausserhalb Celles. So war er an der Karlsruher Dammerstock-Siedlung ebenso beteiligt wie an Siedlungen in Kassel und Rathenow. Im Entwurfsstadium stecken blieb die Leipziger Baumesiedlung. Dort plante Haesler 1930 im Kontext mit niedrigeren Zeilenbauten auch die Errichtung von Hochhausscheiben, wie sie in Deutschland letztlich erst nach 1945 entstanden.

Schwerpunkt seines Schaffens blieb jedoch Celle, wo er 1926/28 die Volksschule samt Turnhalle mit Oberlicht und Rektorenwohnhaus verwirklichte. Mit der Siedlung Blumläger Feld widmete sich Haesler noch einmal der Wohnung für das Existenzminimum. Seine spartanischen Grundrisslösungen wurden allerdings auch von Vertretern der Moderne wie Bruno Taut kritisch gesehen. Durch die jüngsten baulichen Veränderungen, denen weitere Abrissmassnahmen folgen sollen, hat die Siedlung Blumläger Feld jedoch ihren Charakter als herausragendes Zeugnis einer sozial engagierten Moderne weitgehend verloren (NZZ 27. 3. 99) und steht nun vor der Zerstörung. Als exponierter Vertreter der Moderne verlor Haesler mit der nationalsozialistischen Machtergreifung jede Gelegenheit, weiter in Celle als Architekt zu wirken. Haesler übersiedelte nach Eutin. Doch dort blieb ihm ebenso wie nach 1945, als er in der DDR lebte, der Erfolg der früheren Jahre versagt.


[Simone Oelker: Otto Haesler. Eine Architektenkarriere in der Weimarer Republik. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 2002. 352 S., Fr. 69.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2002.11.27

20. November 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architektur mit Aura

Das Londoner Büro von David Chipperfield gehört seit einigen Jahren zu den besonders erfolgreichen europäischen Architekturschmieden. Der längst weltweit tätige Chipperfield ist nicht zuletzt in Deutschland ein gefragter Mann. Nach einem Bürogebäude in Düsseldorf sind nun auch zwei Neubauten in Coesfeld-Lette und Gera fertig gestellt.

Das Londoner Büro von David Chipperfield gehört seit einigen Jahren zu den besonders erfolgreichen europäischen Architekturschmieden. Der längst weltweit tätige Chipperfield ist nicht zuletzt in Deutschland ein gefragter Mann. Nach einem Bürogebäude in Düsseldorf sind nun auch zwei Neubauten in Coesfeld-Lette und Gera fertig gestellt.

Während David Chipperfield in seiner englischen Heimat bisher vergleichsweise wenige Bauten verwirklichen konnte, ist er international gefragter denn je. Dabei reicht das Spektrum der Aufträge von der Ansaldo-Kulturstadt in Mailand über das Figge Arts Center in Davenport (Iowa) bis hin zur Grossstruktur des neuen Justizpalastes in Salerno - Bauten, die alle in den Jahren 2004 und 2005 fertig gestellt sein dürften. Aber auch in Deutschland ist Chipperfield seit den frühen neunziger Jahren mit zahlreichen Projekten präsent. So entstand zwischen 1994 und 1997 ein Bürogebäude am Düsseldorfer Hafen nach seinem Entwurf, und in Berlin verwirklichte er neben einem grosszügigen Einfamilienhaus in Zehlendorf auch eine Wohnhauszeile in Spandau. Derzeit befasst er sich in der deutschen Hauptstadt nicht nur mit dem Bau eines Apartmenthauses in der Nähe des Potsdamer Platzes, sondern hat mit der Herrichtung des Neuen Museums auf der Museumsinsel die wohl schwierigste denkmalpflegerische Herausforderung Berlins unter seinen Fittichen. Jetzt konnte Chipperfield in Deutschland zwei weitere Bauten fertig stellen: das Service-Center für ein Bekleidungsunternehmen in Coesfeld-Lette bei Münster sowie die Filiale der Bundesbank im thüringischen Gera.


Klare Kuben

Schon lange engagiert sich der Textilunternehmer Kurt Ernsting als Bauherr für gute Architektur. Seit den achtziger Jahren ist so im münsterländischen Coesfeld mit dem Vertriebszentrum seines bundesweit agierenden Filialunternehmens ein bemerkenswertes Architekturensemble entstanden: Santiago Calatrava, Fabio Reinhart und Bruno Reichlin (1983) sowie Johannes Schilling (1996) haben hier gebaut. Mit dem Service-Center hat Chipperfield nun den Schlussstein in diese Architekturwelt eingefügt. Im Zusammenspiel mit Peter Wirtz' bewegter Gartengestaltung fügen sich die drei grauen Kuben des Neubaus zu einer kunstvoll modellierten Gebäudegruppe mit Höfen und Gärten zusammen und ergänzen die vorhandenen Bauten um einen offenen Campus. Nicht nur bei der luftigen städtebaulichen Gestaltung fällt die Grosszügigkeit des Entwurfs auf. Sie setzt sich auch an der Fassade des doppelgeschossigen Baukörpers aus Betonfertigteilen fort, der durch den gleichmässigen Rhythmus der jeweils acht Meter breiten Loggien beherrscht wird. Der Glasfassade der Büros vorgelagert, verleihen sie dem Gebäude eine ungewöhnliche Tiefe. Das Schönste an Chipperfields Service-Center ist jedoch die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Architektur präsentiert. Völlig unaufgeregt entwickelt sich der Baukörper im Zusammenklang mit der Umgebung, ganz so, als könnte dies gar nicht anders sein.

Bereits durch die tiefen Loggien haftet dem Gebäude eine unterschwellig monumentale Note an, die am Eingang durch einen grauen Betonrahmen eine besondere Betonung erfährt. So entsteht eine offene Vorhalle, deren Rückseite durch eine Sichtbetonwand und den eigentlichen gläsernen Eingang akzentuiert wird. Im Inneren des Service-Centers schliesst sich eine luftige Halle mit Oberlicht an; wiederum ganz reduziert in ihrer Formensprache und doch von grosser Wirkung. Auch hier bietet sich eine Vielfalt von Blickachsen und Sichtbezügen: hinaus in den Garten oder hoch auf die Galerien des Obergeschosses, zu denen eine holzverkleidete Stahltreppe emporführt. Eigentlicher point de vue der Halle ist jedoch das grosse Relief «Eichenbaum» des Bildhauers Ludwig Gies (1887-1966), das der Halle eine fast sakral anmutende Aura verleiht. Die Grosszügigkeit des Gebäudes setzt sich auch in den Fluren und in den hohen Büros fort. Der derzeit in Deutschland gern bemühte Begriff der Baukultur findet in Coesfeld-Lette mit einem engagierten Bauherrn und einem kreativen Architekten seine lebendige Verkörperung. Einmal mehr stellt der Brite dabei seine Fähigkeit unter Beweis, von Mies van der Rohe bis zu Le Corbusier die unterschiedlichen Fäden aufzunehmen, die die Architektur der Moderne im zwanzigsten Jahrhundert begonnen hat zu spinnen, um sie zu einem neuen, ganz eigenen Band zusammenzuflechten.


Bank mit Stühlen

Auch bei der neuen Filiale der Bundesbank in Gera gibt Chipperfield dem Betrachter die Chance, das Gebäude als eine Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte zu lesen. Das thüringische Gera, das mit seiner Tuchindustrie einst zu den reichsten Städten Deutschlands zählte, bietet dafür mit der Industriearchitektur Thilo Schoders und einer Villa Henry van de Veldes gute Voraussetzungen. Gleichwohl fällt das dreigeschossige Bankgebäude gegenüber dem nahezu perfekten Verwaltungsbau in Coesfeld etwas ab. In Gera ist ein eher geschlossener Bau entstanden, dessen skulpturale Fassade mit einem grün schimmernden Kunststein verkleidet wurde. Gegliedert wird sie durch auskragende horizontale Bänder, zwischen die sich einzelne Fenstergruppen schieben. Dieser fast hermetische Charakter setzt sich auch im Inneren in der gebäudehohen Halle fort. Allerdings erhält sie durch Michael Craig-Martins auf einer lilafarbigen Wand gemaltes riesiges Cello und das winzige Piano eine eigene, spielerische Note, die im Kontrast zu der hohen steinernen Einfassung des unteren Hallenbereichs steht. Die funktionalen Büros mit ihrer Betonrippendecke öffnen sich mit breiter Glasfront zur Rückseite des Gebäudes. Dort befindet sich auch der Kubus des Tresors, der als eigener Baukörper neben der Bank ausgeführt wurde. Höhepunkt der Bundesbankfiliale ist die doppelgeschossige Kassenhalle mit ihrem langen Steintresen und einer weiteren Arbeit von Craig-Martin: Auf hellblauem Grund hat er eine gemalte Auswahl der Klassiker des Stuhldesigns versammelt. So wird hier Chipperfields Fähigkeit, grossen Räumen eine Aura zu verleihen, erneut deutlich und zugleich seine Architektur - mit einem Augenzwinkern - auf eine Bank mit den Klassikern der Sitzkultur placiert, von Mies van der Rohe bis Alvar Aalto.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2002.11.20

22. Oktober 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Sehnsucht nach schönen Bildern

Ob in Dresden, Hannover, Potsdam oder Berlin: Fast überall in Deutschland wird derzeit vom Wiederaufbau untergegangener Schlösser geträumt. Die gegenwärtige Debatte über Rekonstruktionen hat auch Auswirkungen auf den Umgang mit erhaltenen Denkmälern. Statt sie behutsam zu konservieren, werden sie immer häufiger teilrekonstruiert.

Ob in Dresden, Hannover, Potsdam oder Berlin: Fast überall in Deutschland wird derzeit vom Wiederaufbau untergegangener Schlösser geträumt. Die gegenwärtige Debatte über Rekonstruktionen hat auch Auswirkungen auf den Umgang mit erhaltenen Denkmälern. Statt sie behutsam zu konservieren, werden sie immer häufiger teilrekonstruiert.

Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch ein Land der Burgen und Schlösser. Doch all die Herrlichkeiten zwischen Glücksburg im Norden und Neuschwanstein im Süden scheinen den Deutschen nicht auszureichen. Vielmehr treibt sie derzeit die Sehnsucht nach ihren verlorenen Schlössern um. Dabei herrscht zwischen Rhein und Oder eigentlich gar kein Mangel an geschichtsträchtigen Adelssitzen. Allerdings bedürfte so manches dieser Herrenhäuser - vor allem im Osten Deutschlands - dringend der Pflege und finanziellen Unterstützung, um es vor dem drohenden Verfall zu retten. Doch statt sich dieses Bauerbes anzunehmen, wird freudig von neuen (Luft-)Schlössern geträumt. Das gilt nicht nur für die einstigen preussischen Residenzstädte Potsdam und Berlin. Längst hat der romantische Traum weitere Kreise gezogen. So fragte die «Hannoversche Allgemeine Zeitung» ihre Leser: «Fehlt Ihnen hier etwas?», und präsentierte darunter eine Wiese im Garten von Herrenhausen. Dort stand das von Georg Ludwig Friedrich Laves (1789-1864) klassizistisch überformte Schloss Herrenhausen, ehe es 1943 im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges unterging. In Hannover, wo mit schöner Regelmässigkeit die Diskussion um die Rekonstruktion des Schlosses aufwallt, setzen die Schlossfreunde auf das bewährte Motto «Steter Tropfen höhlt den Stein». Und tatsächlich bläst der Wind des Zeitgeistes den Gegnern derartiger Schlossrekonstruktionen zunehmend heftiger ins Gesicht.


Banalisierung von Architektur

Dabei ist die Sehnsucht nach den Schlössern nicht mit einer Sehnsucht nach authentischen Zeugnissen der Geschichte gleichzusetzen. Gewünscht werden lediglich die schönen Bilder, die eine heile Welt vorgaukeln. So bekannte Florian Illies, Bestsellerautor und Feuilletonist der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», in seinem Plädoyer «Baut das Schloss!» mit schöner Unbekümmertheit: «Es ist eben nicht die Sehnsucht nach einem politischen Symbol, nicht Gegenwartsflucht, die die Befürworter der Rekonstruktion antreibt, sondern die befreiende Chance, Berlins Zentrum durch seinen alten Mittelpunkt wieder ästhetisch zu justieren.» Dabei regt sich der Verdacht, die neue Sehnsucht nach den alten Schlössern könnte die Antwort auf jene vierzig Jahre demütig ertragener Bescheidenheit sein, die in beiden deutschen Staaten während der Teilung zähneknirschend erduldet werden musste.

So sind es denn auch nicht allein die Schlösser, die in Deutschland derzeit aus Ruinen auferstehen, wie der Blick nach Dresden lehrt (NZZ 4. 3. 02). Was zählt, ist der Stimmungswert von Architektur generell. Und der lässt sich kommerziell trefflich ausschlachten. Dass diese Emotionalisierung mit einer Banalisierung von Architektur einhergeht - wen stört's? Ist die Architektur erst einmal von ihrer historischen Verwurzelung und Materialität gelöst, dann ist es auch nicht mehr weiter schlimm, wenn die Sehnsucht nach den schönen Architekturbildern kurz hinter der Fassade endet - den deutschen Wärmeschutzverordnungen und Brandschutzbestimmungen sei Dank.

Nun mag man einwenden, dass es sich bei der derzeitigen Rekonstruktionsdebatte um einen alten Hut handelt. Schliesslich führt ein roter Faden vom Knochenhauerhaus in Hildesheim über Frankfurts Goethehaus bis hin zum Schloss in Heidelberg. 1905 konstatierte Georg Dehio, der Ahnherr der deutschen Denkmalpflege: «Der Historismus des 19. Jahrhunderts hat aber ausser seiner echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind gezeugt, das Restaurationswesen. Sie werden oft miteinander verwechselt und sind doch Antipoden. Die Denkmalpflege will Bestehendes erhalten, die Restauration will Nichtbestehendes wiederherstellen.»

Auf der Suche nach den Ursachen für die deutsche Rekonstruktionsleidenschaft wird man nicht nur bei den Städtebauern und Architekten landen und ihrem von der Postmoderne vorangetriebenen Plädoyer für die europäische Stadt. Dabei fällt gerne unter den Tisch, dass gerade die europäischen Metropolen in den letzten Jahrhunderten durch permanente Erneuerungs- und Veränderungsschübe als Motoren der Moderne dienten. Doch auch die heutige Generation von Denkmalpflegern in Deutschland ist nicht ganz schuldlos an der Misere, in der sie derzeit sitzt. Denn sie konservieren und reparieren nicht mehr nur, nein sie rekonstruieren auch eifrig an ihren schutzbefohlenen Baudenkmälern herum. Beseelt vom Wunsch, zurückzugewinnen, was einst untergegangen ist, werden nicht nur Totalrekonstruktionen freudig in Angriff genommen, auch Teilrekonstruktionen werden vorangetrieben. Natürlich sind die Grenzen fliessend zwischen Konservieren und Reparieren, zwischen Sanieren und Rekonstruieren. Und natürlich gilt es zu differenzieren, ob ein über lange Zeit nicht mehr existierendes Gebäude völlig neu errichtet wird oder ob man ein überformtes Baudenkmal auf Grund einer klaren Befundlage in einen bestimmten Zustand zurückversetzt. Doch selbst wenn die Denkmalbehörden ihr ganzes denkmalpflegerisches Instrumentarium einsetzen, so bedienen sie bereits durch ihre (Teil-)Rekonstruktionen jene Bilder einer unversehrten, vermeintlich «originalen» Architektur, die durch unsere Köpfe geistern.


Tiefgefrorene Architekturbilder

Noch immer beginnen feierliche Trompetenkonzerte in unseren Köpfen zu spielen, sobald wir auf eine Barockkirche oder ein Schloss des Klassizismus stossen. Wenn solche Bauten in Reiseführern und Kunsthandbüchern dann auch noch mit Begriffen wie «festlich» oder «prachtvoll» garniert sind, dann haben Spinnweben in den Ecken und Alterungsspuren an der Fassade keine Chance mehr. Sie müssen bei der nächsten Restaurierung der Leidenschaft für jene Hochglanzdenkmäler weichen, denen die Spuren der Zeit nichts anhaben dürfen. Derart tiefgefrorene Architekturbilder beschränken sich freilich nicht nur auf Gotik, Barock und Klassizismus. Sie gelten auch für die Bauten der Moderne. In die Jahre gekommen oder gar massiv überformt, stellen sie die Denkmalpflege seit einigen Jahren vor Probleme. Dass die Bauten der Moderne - trotz anders lautenden Verdikten - doch restaurierbar sind und einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden können, das haben nicht zuletzt jene Projekte bewiesen, die die Ludwigsburger Wüstenrotstiftung als Bauherrin vorangetrieben hat.

Mit dem Meisterhaus Muche/Schlemmer in Dessau hat sie sich gemeinsam mit dem Berliner Architekten Winfried Brenne jetzt einen besonders schwierigen Brocken herausgepickt. Die Veränderungen während des Dritten Reichs und der DDR haben das Gesicht des von Walter Gropius für die Bauhausmeister Georg Muche und Oskar Schlemmer entworfenen Doppelhauses nachhaltig verändert. Daher musste in Dessau eine grundsätzliche Entscheidung getroffen werden. Das bauzeitliche Gesicht des Hauses war nach all seinen Veränderungen nur durch eine teilweise Rekonstruktion zurückzugewinnen. Trotz aller Sorgfalt, die auf die Dokumentation des Gebäudes verwendet wurde, und trotz dem sichtbaren Bemühen, die Spuren der Geschichte in ihrer Materialität am Gebäude zu bewahren und lesbar zu belassen, stellt die jüngst abgeschlossene Sanierung des Meisterhauses einen denkmalpflegerischen Problemfall dar. Denn mit ihr wird dem Bild einer Ikone der modernen Architektur der Vorzug gegeben vor der überformten Realität dieses Gebäudes. Der tourismusfördernden Dessauer Teilrekonstruktion kommt nicht zuletzt deshalb besondere Bedeutung zu, weil sie den Begehrlichkeiten, das gesamte Ensemble der Meisterhäuser wieder zu vervollständigen, neue Nahrung gibt. So droht in den nächsten Jahren die Totalrekonstruktion des Meisterhauses von Walter Gropius, der Trinkhalle von Ludwig Mies van der Rohe und Eduard Ludwig sowie die Vervollständigung des Hauses Moholy-Nagy/Feininger.

So unterschiedliche Qualitäten die Teilrekonstruktion in Dessau und die geplanten Totalrekonstruktionen deutscher Schlösser auch besitzen, sie einen die ungeheure Bedeutung, die der Vision von dem «ursprünglichen» Bauwerk gegenüber dem aktuellen Zustand eingeräumt wird. Nähme man Architektur hingegen als einen Träger von Geschichte ernst und verstünde sie nicht allein als ein Mittel der kommerzialisierten Spassgesellschaft zur ästhetischen Justierung von Stadträumen, dann würde wohl niemand ernstlich auf den Gedanken kommen, Schlösser wieder aufzubauen. Denn mit den Rekonstruktionen gewinnt man die historische Aussagequalität einer über Jahrhunderte dauernden Baugeschichte nicht zurück. Dafür erhält man architektonische Surrogate, die als Symbole einer längst untergegangenen Herrschaftsepoche allzu leicht missdeutet werden können.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2002.10.22

07. Oktober 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Lübecker Veränderungen

Gefährdet ein moderner Neubau das Weltkulturerbe?

Gefährdet ein moderner Neubau das Weltkulturerbe?

Schmale Kaufmannshäuser mit Backsteinfassaden und Stufengiebeln, dazu die mächtige Marienkirche, das gotische Rathaus und das markante Holsten-Tor: Noch heute zehrt Lübeck mit seinen Postkartenschönheiten vom Ruhm seines baulichen Erbes. Bereits 1836 galt Lübeck dem Reiseschriftsteller Eduard Beurmann als ein «in Stein gehauener Abschnitt der Weltgeschichte». Als Hansestadt hatte die Stadt an der Trave im späten Mittelalter einen einzigartigen wirtschaftlichen und politischen Aufschwung als Handelszentrum erlebt. Doch die Bomben des Zweiten Weltkriegs fügten dem historischen Stadtgefüge schwere Schäden zu. Der Wiederaufbau nach 1945 tat das Seine, um das Gesicht der Stadt zu verändern. Trotzdem wurde Lübeck, das heute rund 200 000 Einwohner zählt, 1987 in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen.


Historische Stadt im Wandel

Nun ist ein Streit über die Denkmalverträglichkeit eines geplanten Neubaus am Lübecker Marktplatz entstanden, der der Stadt eine Erwähnung im aktuellen Bericht über das gefährdete Kulturerbe «Heritage at Risk» 2001/02 des International Council on Monuments and Sites (Icomos) eingebracht hat. Doch die Geschichte hat einen langen Vorlauf, der letztlich bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Bereits damals setzten Veränderungen in der Bebauungsstruktur der Stadt ein, die sich durch schmale, giebelständige Häuser auszeichnete. Vielfach umgebaut, erweitert und dadurch den sich verändernden Bedürfnissen angepasst, bergen etliche dieser Häuser noch heute einen mittelalterlichen Kern. Für die Bewahrung der Gebäude spielte bis ins 19. Jahrhundert weniger die Pietät gegenüber dem Erbe eine Rolle als wirtschaftliche und funktionale Gründe: Neu zu bauen war teuer, und die Funktion der Gebäude hatte sich bewährt.

Um 1870 setzten jedoch der Umbau und die Aufwertung des bis dahin weitgehend mittelalterlich geprägten zentralen Lübecker Handelsplatzes ein, des Marktplatzes. Die angrenzenden Gebäude wurden teilweise restauriert, so auch das Rathaus. Um seinen gotischen Charakter zu unterstreichen, erhielt es an seiner Platzfassade zusätzlich neogotische Ziergiebel - ganz im Sinne der Restaurierungspraxis des späten 19. Jahrhunderts. Fast gleichzeitig riss man gegenüber dem Rathaus eine Reihe kleinerer Häuser ab. An ihre Stelle trat der Neubau der Reichspost (1882-84) von Postrat Hake. Dieser verlieh dem Bau ein Stilgewand, das die Formensprache der norddeutschen Backsteingotik aufnahm, um sich in das historische Ensemble einzufügen. Doch der Neubau veränderte nicht nur den Charakter des Platzes, er besass auch eine politische Konnotation: Durch seine zentrale Lage und die Verwendung einer architektonischen Grossform, die derjenigen des Rathauses und der Marienkirche kaum nachstand, war er eine bauliche Manifestation des preussisch dominierten Deutschen Reiches im Herzen der Freien Hansestadt.

Rund 100 Jahre später begann 1995 mit dem Auszug der Post aus ihrem Stammhaus eine langwierige Diskussion über die Zukunft des Marktplatzes. Vom neugotischen Glanz des Gebäudes war nach dem Zweiten Weltkrieg wenig übrig geblieben. Stattdessen präsentierte es sich mit einer unauffälligen, purifizierten Nachkriegsfassade. Da sich für das Gebäude kein neuer Nutzer fand und es auch nicht unter Denkmalschutz gestellt worden war, standen die Zeichen auf Abriss. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass das benachbarte Stadthaus - ein Verwaltungsgebäude der fünfziger Jahre - ebenfalls 1995 geschlossen wurde, weil sich die Stadt seine Sanierung nicht leisten konnte. Ein städtebaulicher Ideenwettbewerb sollte 1996 eine Lösung für das Gebiet der alten Post und des Stadthauses bringen. Doch statt einen ersten Preis zu vergeben, empfahl die Jury die Weiterbearbeitung von fünf Beiträgen, welche die beiden grundsätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigten: Entweder kehrte man zur kleinteiligen mittelalterlichen Parzellenstruktur zurück, was dem Konzept einer kritischen Rekonstruktion entsprochen hätte. Oder man entschied sich dafür, auf dem Grundstück der Post wiederum eine architektonische Grossstruktur zuzulassen - wie schon in den vergangenen 120 Jahren. Überlegungen, eine kleinteilige bauliche Mischnutzung auf dem Areal zu verwirklichen, scheiterten freilich daran, dass sich für sie kein Investor fand.


Unesco gegen neue Niedlichkeit

Erst mit einem Besitzerwechsel des Postgrundstücks zeichnete sich im Jahr 2000 eine neue Entwicklung ab. Der Investor brachte einen Entwurf des Düsseldorfer Architekturbüros Ingenhoven und Overdiek ins Spiel, das an dem Wettbewerb 1996 nicht teilgenommen hatte. Dieser sieht die Bebauung des Areals mit einem dreigeschossigen Glasriegel vor, dem eine Lamellenkonstruktion aus rötlicher Terrakotta vorgeblendet werden und dessen Blickfang das ungewöhnliche Dach mit seiner Kappenstruktur sein soll. Jeder Kappe entspricht dabei eine vertikale Fuge am Baukörper, so dass die Gebäudeflucht in kleinere Teile strukturiert werden würde. Der Megastruktur im Inneren entspräche damit im Äusseren eine ferne Erinnerung an die einstige Parzellenbebauung des Grundstücks. Auf Widerstand stiess der Entwurf nicht nur wegen des Materials und der ungewöhnlichen Dachform, sondern auch, weil er den Standort des ehemaligen Stadthauses mit einbezog, ohne ihn gestalterisch zu differenzieren.

Nach längerer Diskussion und einer Überarbeitung der Entwürfe durch die Architekten arrangierte sich die Lübecker Denkmalpflege mit der städtebaulichen und architektonischen Wirkung des Neubaus. Bei der «Bürgerinitiative rettet Lübeck» (BIRL) stiess der Entwurf von Ingenhoven und Overdiek ob seiner Dimensionen und der monofunktionalen Nutzung jedoch weiter auf Protest. Daraufhin schaltete die BIRL die deutsche Sektion des Icomos ein, die sich der Einschätzung der Bürgerinitiative anschloss. Eine eilends einberufene Expertenrunde, die ihrerseits die Unesco informierte, kam freilich zu einer anderen Entscheidung: Sie sah Lübecks Status als Weltkulturerbe durch den Neubau nicht gefährdet. Gleichwohl mahnte sie die Überarbeitung des Entwurfs an. Der anstelle des Stadthauses im Vorfeld der Marienkirche geplante Bauteil soll nun stärker architektonisch differenziert werden. Derzeit erarbeitet das Düsseldorfer Architekturbüro Änderungsvorschläge. Auf das grundsätzliche Erscheinungsbild wird die Überarbeitung aber wohl kaum Einfluss haben.

Wahrscheinlich wäre Lübeck mit der rechtzeitigen Unterschutzstellung des Postgebäudes am besten beraten gewesen wäre. Doch diesen Weg zur Bewahrung ihres tradierten Stadtbildes hat sich die Stadt selbst versperrt. Die Haltung der Expertenrunde der Unesco allerdings weist über den engen Rahmen Lübecks hinaus, denn sie ist als ein Votum für moderne Architektur im historischen Kontext zu bewerten. Damit bezieht sie Position gegen jene Vorstellungen einer neuen Niedlichkeit und die Rekonstruktionsmanie, die derzeit in Deutschland um sich greift. Gleichwohl hätte man sich den Neubauentwurf für den Lübecker Marktplatz mutiger gewünscht. Doch dazu waren wohl die Vorbilder der Marienkirche und des Rathauses zu übermächtig, aber auch die Diskussionen um das Verhältnis zwischen Geschichte und Zukunft in Lübecks Architektur zu angstbeladen.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.10.07

08. August 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Swingende Strandarchitektur

Mit der Wiedereröffnung des «Teepotts» im Ostseebad Warnemünde wird nach zehn Jahren Leerstand einer der prominentesten Bauten von Ulrich Müther wieder genutzt. Seit den sechziger Jahren verwirklichte Müther an der Ostseeküste zahlreiche Betonschalen, die das Gesicht der DDR-Architektur entscheidend mitgeprägt haben.

Mit der Wiedereröffnung des «Teepotts» im Ostseebad Warnemünde wird nach zehn Jahren Leerstand einer der prominentesten Bauten von Ulrich Müther wieder genutzt. Seit den sechziger Jahren verwirklichte Müther an der Ostseeküste zahlreiche Betonschalen, die das Gesicht der DDR-Architektur entscheidend mitgeprägt haben.

Unmöglich, ihn nicht sofort ins Herz zu schliessen, wenn man zur Sommerfrische nach Warnemünde fährt: Gleich neben der Hafeneinfahrt, dort, wo grosse Ostseefähren und kleine Segelboote einlaufen, schwingt sein weit auskragendes, luftiges Dach dreimal auf und ab und setzt die bewegte Dünenlandschaft mit architektonischen Mitteln fort. Der runde «Teepott», eine Gemeinschaftsarbeit der Architekten Kaufmann, Pastor, Fleischhauer zusammen mit Ulrich Müther, ist Blickfang und Wahrzeichen für Warnemünde. Henkel und Tülle sucht man freilich vergeblich bei der einstigen Grossgaststätte des DDR-Konsums, die 1968 an die Stelle eines kleineren Vorgängerbaus aus den zwanziger Jahren getreten war. Doch schon die Bezeichnung Teepott treibt einem den Duft von kräftigem Schwarztee, Kluntjes und frischer Sahne in die Nase - passend zur salzigen Ostseeluft. Im Zusammenspiel mit dem alten Leuchtturm Warnemündes gleich nebenan, der seit rund hundert Jahren sein Leuchtfeuer fast bis an die dänische Grenze schickt, ist der gedrungene Baukörper des Restaurants Teil eines ebenso reizvollen wie ungleichen Duos am Ende der lang gestreckten Strandpromenade. Und seit dem 19. Juli können die Sommergäste auch wirklich wieder ihren Tee im Teepott nehmen - mit Blick auf Sandstrand und Hafeneinfahrt. Rund zehn Jahre stand das Baudenkmal zuvor leer. Als Spekulationsobjekt drohte es, zu einem Opfer der deutschen Wiedervereinigung zu werden. Nun aber hat ein Rostocker Investor den Teepott aus seinem Dornröschenschlaf erweckt und innerhalb eines halben Jahres für rund 7,5 Millionen Euro saniert und umgebaut; der drohende Abriss konnte abgewendet werden.


Dachschalen aus Beton

Ulrich Müther, der 1968 die nur sieben Zentimeter dicke Dachschale des Teepotts entworfen hatte, begleitete auch den Umbau. Fast 35 Jahre nach Fertigstellung des Gebäudes rechnete er die Betonkonstruktion nach. Und auch die besonderen aerodynamischen Rahmenbedingungen, denen das Haus durch seinen prominenten Standort direkt am Meer ausgesetzt ist, blieben nicht unberücksichtigt. Kein Zweifel, die sogenannte Hyparschale des Daches wird auch in den nächsten 35 Jahren Wind und Wetter trotzen. Und natürlich ist Müther die Erleichterung anzumerken, dass «sein» Gebäude nun endlich wieder in die Nutzung kommt. Dafür galt es, vom ursprünglichen Bestand einige Abstriche zu machen. So wurde die steinerne Fassade des Teepotts in den unteren Bereichen stärker geöffnet. Eine Metallskulptur des Berliner Bildhauers Fritz Kühn, die das Gebäude wie eine Manschette in der Mitte einfasste, wurde demontiert und eingelagert. Mehrere Restaurants, eine Cocktailbar und ein maritimes Museum sollen den Teepott mit seiner gläsernen Fassade nun wieder zum attraktiven Anlaufpunkt für Touristen machen.

Der Warnemünder Teepott ist nur einer von etlichen Müther-Bauten, die es entlang der Ostseeküste zu entdecken gilt. Sie alle eint ihre ungewöhnliche, geschwungene Dachkonstruktion. Über einem dichten Flechtwerk aus Stahl wird der Spritzbeton aufgebracht, so dass eine dünne Betonhaut entsteht, die dennoch über die notwendige Stabilität verfügt, um Druck, Zug und Schub standzuhalten. Müthers Schalenbauten stehen in einer Reihe mit den bedeutenden Schöpfungen des 20. Jahrhunderts. Sie reichen von den frühen Luftschiffhallen in Orly über Robert Maillarts Landi-Zementhalle in Zürich, Pier Luigi Nervis Sportpaläste in Rom oder Eero Saarinens TWA-Terminal in New York bis hin zu Jørn Utzons Opernhaus in Sydney und Heinz Islers Kuppelschalen. Eine besondere Rolle kommt den Bauten von Félix Candela zu, dessen Restaurant Los Manantiales im mexikanischen Xochimilco von 1958 auch auf Müthers Werk unmittelbaren Einfluss hatte. So erweist sich das Restaurant Seerose an der Havel in Potsdam (1980) als eine späte Reverenz an das Vorbild des Spaniers.


Organisch und dynamisch

Die besondere Wirkung der geschwungenen Dachkonstruktionen liegt in ihrer Leichtigkeit und Eleganz. Jenseits der kubischen Moderne der internationalen Nachkriegsarchitektur präsentieren sie eine besondere, eine skulpturale Spielart der Architektur, organisch bewegt und dem Vorbild der Natur abgeschaut. In ihren kühnen Formen und der faszinierenden Dynamik drücken die Schalenbauten ein beschwingtes Lebensgefühl aus, das man gemeinhin nicht mit der DDR in Verbindung bringen würde. Gleichwohl gelang es Müther, von den sechziger Jahren bis in die frühen achtziger Jahre eine ganze Reihe seiner Schalenkonstruktionen in der DDR zu verwirklichen. Und nicht nur dort. Auch am Planetarium im westdeutschen Wolfsburg baute der international renommierte Baumeister mit. Meist überspannten seine Hyparschalen Grossgaststätten, aber auch Messehallen wie in Rostock, Tagungszentren wie in Neubrandenburg und sogar ein Schwimmbad wie in Baabe auf Rügen fanden unter ihnen Platz. Die aufwendigen Konstruktionen bildeten so das architektonische Sahnehäubchen auf der seit den siebziger Jahren immer weniger überzeugenden Plattenbauarchitektur der DDR.

Doch nach 1989 verloren viele Bauten, an denen Müther mitgewirkt hatte, ihre ursprüngliche Nutzung. Zum Nachteil der Gebäude. Denn nun waren sie dem Vandalismus und der Witterung ausgesetzt, und die Bausubstanz nahm Schaden. Trotz ihrer herausragenden Bedeutung für die deutsche Nachkriegsarchitektur stehen noch immer Bauten Müthers leer oder werden durch eine unangemessene Nutzung beschädigt. Es sind auch bereits prominente Beispiele seiner Schalenbauten abgerissen worden. So wurde die Zerstörung des völlig intakten Ahornblattes auf der Fischerinsel in Berlins Mitte, das einst als Kantine des DDR-Bauministeriums gedient hatte, im Jahr 2000 zu einem Politikum, das ein schlechtes Licht auf die Berliner Stadtplanung warf. Und auch der Erstling Müthers von 1963, mit dem er seine Diplomarbeit verwirklichte, der Mehrzwecksaal des einstigen «Hauses der Stahlwerker» in Binz auf Rügen, musste den Umbauwünschen der neuen Eigentümer weichen.

Erst spät wurde Müthers Werk in Deutschland angemessen gewürdigt. Im Jahr 2000 veröffentlichte Winfried Dechau, Chefredaktor der «Deutschen Bauzeitung», ein schmales Bändchen über den «Landbaumeister aus Rügen». Mit der Renaissance der Architektur der sechziger Jahre setzt nun auch eine neue Rezeption von Müthers Entwürfen ein. Inzwischen befassen sich Diplomarbeiten mit der Umnutzung seiner Bauten. Noch allerdings ist der Glanz der einstigen «Ostseeperle» am Strand von Glowe auf Rügen mit ihrer segelartigen Dachschale recht matt; und auch die pilzförmige Schale des Panoramarestaurants Inselparadies in Baabe - ebenfalls auf Rügen - hat schon bessere Tage gesehen. Für beide Objekte soll es allerdings mittlerweile Investoren geben. So besteht zumindest die Hoffnung, dass auch sie in die Nutzung zurückgeholt werden können.

Ulrich Müther selbst will in der kleinen Rettungsstation in den Dünen von Binz auf Rügen eine kleine Ausstellung aus den Beständen seines Archivs einrichten. Selbstverständlich handelt es sich auch hier um einen Müther-Bau, der in Zusammenarbeit mit dem Architekten Dietrich Otto entstand. Wie ein futuristisches Ufo wächst der Bau pilzförmig über den Dünensaum und bietet einen freien Blick zum Meer. Nicht nur durch ihre prominente Lage am Strand, sondern vor allem auch durch ihre Zeichenhaftigkeit - wie beim Teepott in Warnemünde - unterstreichen Müthers Hyparschalen nachdrücklich, dass auch die Architektur der sechziger Jahre bemerkenswerte Akzente setzen kann und noch heute zum Wahrzeichen taugt.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2002.08.08

07. August 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Alabasterhaut

Ein Buch über den holländischen Architekten Wiel Arets

Ein Buch über den holländischen Architekten Wiel Arets

Stolze 103 Nummern umfasst die Werkliste, die die erste grosse Monographie über die Arbeiten von Wiel Arets beschliesst. Rund 20 Jahre liegen zwischen Arets' ersten Entwürfen für einen Wohnblock in Rotterdam 1982 und den jüngsten Projekten, wie dem Arena Tower in Amsterdam, wo unterschiedliche Wohnungsmodule wie Puzzleteile ineinander gesteckt werden sollen, oder dem Groninger Fussballstadion, einer multifunktionalen Megastruktur mit Stadtteilcharakter, bei der dank Wohnhochhaus, Hotel, Büro, Kino und Fitnessklub das Rasengrün der Arena fast zur Nebensache wird.

Berühmt wurde Arets durch Bauten wie die Akademie für Kunst und Architektur in Maastricht (1989 bis 1993) mit ihren Wänden aus Glasbausteinen oder die Polizeistation in Vaals (1993 bis 1995), die sich wie eine Betonskulptur in die Landschaft fügt. Die Bauaufgaben, die Arets in den letzten Jahren in Angriff genommen hat, sind mit dem Ansehen gewachsen, das der Direktor des Rotterdamer Berlage-Instituts längst weltweit geniesst. Und so widmen sich in der von Xavier Costa herausgegebenen Monographie auch einige prominente Architekturtheoretiker und -kritiker in knappen Essays dem Werk des Niederländers. Darunter Anthony Vidler und Bart Lootsma, der den Wurzeln der minimalistischen Formensprache des aus Limburg stammenden Architekten nachspürt. Weitere Abschnitte sind Arets' ungebauten Entwürfen und seinen teilweise fast poetisch anmutenden eigenen Texten vorbehalten.

Doch es sind vor allem die Photographien von Hélène Binet, die die Qualität des Buches ausmachen und dabei viel über die Kraft und die raue Schönheit von Arets' Bauten verraten. So ist es wohl kaum ein Zufall, dass Binet häufig die Schnittstellen und Kanten der Gebäude ins Blickfeld der Kamera rückt. Dort wird nicht nur die von Arets bevorzugte Materialität - Sichtbeton, Glas, Metall - gezeigt, die den meisten seiner Bauten einen spröden Charme verleiht. Binet fängt in ihren Bildern auch die raffinierten Raumkonzepte ein, die Staffelung der Baumassen und Raumschichten, die durch die Materialkontraste eine zusätzliche Dimension erhalten. Die Photographien konzentrieren sich dabei vielfach auf das gebaute Detail: die Alterungsspuren des Betons, die Schnittstelle zwischen Architektur und umgebender Landschaft oder die Detaillierung eines Fensters, und werden dabei selbst zum Kunstwerk. Nur ärgerlich, wenn dabei eines der Bilder aus den Fugen gerät und auf dem Kopf steht.


[Wiel Arets: Works, Projects, Writings. Hrsg. Xavier Costa. Birkhäuser-Verlag, Basel 2002. 328 S., Fr. 112.-.9]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2002.08.07

15. Juli 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Rahmen für das Festspielhaus

Erfolgreiche Reparatur in Hellerau

Erfolgreiche Reparatur in Hellerau

Dank dem Engagement der Wüstenrot-Stiftung konnte jüngst die Restaurierung der westlichen Pensionshäuser von Heinrich Tessenow in Dresden-Hellerau erfolgreich abgeschlossen werden. Die 1912 entstandenen Wohngebäude fassen den Eingang zum Festplatz vor dem grossen Festspielhaus ein. Mit Unterstützung der Stiftung war bereits 1996 die Restaurierung der östlichen Pensionshäuser erfolgt, die seitdem vom Sächsischen Werkbund genutzt werden. Zu Beginn der Instandsetzung befand sich die Bausubstanz der westlichen Pensionshäuser in einem extrem schlechten Zustand. Durch den Einsatz moderner Techniken gelang es dennoch, grosse Teile der originalen Bausubstanz zu bewahren. Dies gilt auch für die «Tessenow-Wände» - eine vom Architekten entwickelte kostengünstige und rationelle Holz-Backstein-Konstruktion -, die repariert werden konnten. Neue Nutzer der beiden Bauten sind das Heinrich-Tessenow-Institut und eine Informationsstelle des PEN-Zentrums Deutschland, das dort auch Wohnungen für verfolgte Schriftsteller einrichtet. Noch offen ist, ob die behutsame Instandsetzung der westlichen Pensionshäuser Vorbildcharakter für den Umgang mit dem grossen Festspielhaus von Tessenow bekommt, für das noch immer kein Restaurierungskonzept vorliegt.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.07.15



verknüpfte Bauwerke
Pensionshäuser Hellerau

01. März 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Archaisch und innovativ

Lehm gilt als ein archaischer Baustoff. Schliesslich begleitet er die Menschen, seit sie begonnen haben, Häuser zu bauen. In der Architektur der Gegenwart...

Lehm gilt als ein archaischer Baustoff. Schliesslich begleitet er die Menschen, seit sie begonnen haben, Häuser zu bauen. In der Architektur der Gegenwart...

Lehm gilt als ein archaischer Baustoff. Schliesslich begleitet er die Menschen, seit sie begonnen haben, Häuser zu bauen. In der Architektur der Gegenwart führt Lehm allerdings nur ein Schattendasein - ganz im Gegensatz zum Holzbau etwa, der in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Renaissance erlebt hat. Dabei erfüllt Lehm wie kein anderer Baustoff die Anforderungen eines nachhaltigen Bauens: Meistens vor Ort verfügbar und damit ressourcenschonend zu gewinnen, ist er gut zu verarbeiten und von hoher Dämmwirkung. Doch ungebrannter Lehm ist wasserlöslich. Das macht ihn zwar vollständig rezyklierbar, zugleich aber auch als Baustoff anfechtbar. Die Angst vor der Unbeständigkeit eines Lehmbaus verhindert einen häufigeren Einsatz dieses Baumaterials. Dabei kann Lehm - auch ohne die Zugabe von Bindemitteln - dauerhaft verbaut werden. Das zeigt der Blick auf alte, in Pisé-Technik errichtete Bauten in Frankreich.

Dass Lehm dennoch in der modernen Architektur eine Rolle spielt, verdankt er vor allem Martin Rauch und dessen Häusern aus Stampflehm. Unter dem Titel «Rammed Earth. Lehm und Architektur» gibt jetzt ein bei Birkhäuser erschienenes Buch einen Überblick über Rauchs Projekte. Der im Vorarlberger Schlins geborene Rauch kam über die Keramik zur Architektur mit Stampflehm. Sein Bauen mit Lehm erweist sich als archaisch und innovativ zugleich. So experimentiert Rauch immer wieder mit den Zusatzstoffen bei Stampflehm. Dabei faszinieren Rauchs ausgeführte Lehmbauten durch die Unmittelbarkeit des Materials: etwa das eigene Atelierhaus in Schlins (1990-94) oder die gemeinsam mit den Architekten Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth verwirklichte Versöhnungskapelle in Berlin (1990-2000). Die Oberfläche der Lehmwände besitzt eine einzigartige Textur, eine raue Schönheit aus Farben und Strukturen. Wer vor einer solchen Lehmwand steht, der wird kaum den Impuls unterdrücken können, mit der Hand über die Wandfläche zu streichen, die Unebenheiten zu spüren und im Streiflicht den Strukturen der Wand zu folgen. Rauchs Lehmwände sind im Grenzbereich zwischen Architektur und Kunst angesiedelt. Sie sind der Landart verwandt, wie im Fall der beiden ineinander greifenden Lehmmauern für den Friedhof im schweizerischen Wil (1997/98). Da verwundert es nicht, dass renommierte Landschaftsarchitekten wie Kienast, Vogt und Partner aus Zürich oder der Künstler Olafur Eliasson bereits mehrfach mit Rauch zusammengearbeitet haben.


[ Otto Kapfinger und Martin Rauch: Rammed Earth. Lehm und Architektur. Birkhäuser-Verlag, Basel 2002. 160 S., Fr. 88.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01

05. Februar 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Mies in Mannheim

Ludwig Mies van der Rohe, der 1938 nach Amerika emigriert war, musste nach 1945 mehrere Anläufe unternehmen, ehe es ihm mit der Neuen Nationalgalerie in...

Ludwig Mies van der Rohe, der 1938 nach Amerika emigriert war, musste nach 1945 mehrere Anläufe unternehmen, ehe es ihm mit der Neuen Nationalgalerie in...

Ludwig Mies van der Rohe, der 1938 nach Amerika emigriert war, musste nach 1945 mehrere Anläufe unternehmen, ehe es ihm mit der Neuen Nationalgalerie in Berlin gelang, noch einmal in Deutschland zu bauen. So wurde Mies bereits 1953 - zusammen mit fünf weiteren Architekten - eingeladen, sich an einem Wettbewerb für das neue Theater im kriegszerstörten Mannheim zu beteiligen. Sein Entwurf sah einen «Haut-und-Knochen-Bau» vor, eine gläserne Megastruktur, die über ein aussen liegendes Traggerüst aus Stahl verfügte. Ein zentrales Thema in Mies' Arbeit, dass ihn seit dem Entwurf für das Cantor-Drive-in-Restaurant in Indianapolis beschäftigte. Doch Mies' Raumvision wurde nicht verwirklicht. Stattdessen entschied man sich dafür, den Beitrag des erst in einer zweiten Wettbewerbsrunde hinzugezogenen Gerhard Weber zu realisieren.

Eine von Thilo Hilpert erarbeitete Ausstellung in den Meisterhäusern Kandinsky-Klee in Dessau dokumentiert jetzt die Mannheimer Wettbewerbsgeschichte und bettet sie in die Architekturdiskussion im Nachkriegsdeutschland ein, die durch die Bauhaus-Kritik von Rudolf Schwarz entscheidend mitgeprägt wurde. Die kleine Ausstellung zeigt neben den Wettbewerbsbeiträgen, darunter Arbeiten von Schwarz und Hans Scharoun, als Glanzstück das originale Architekturmodell, das Mies in den USA anfertigen liess, sowie die Kiste, mit der es nach Deutschland transportiert wurde. Die etwas zu knapp geratenen Erläuterungen in der Ausstellung werden durch einen lesenswerten Katalog ergänzt.


[ Bis 31. März im Meisterhaus Kandinsky-Klee in Dessau. Katalog: Mies van der Rohe im Nachkriegsdeutschland. Das Theaterprojekt Mannheim 1953. Hrsg. Theo Hilpert. Seemann- Verlag, Leipzig 2001. 304 S., Euro 29.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2002.02.05

28. Januar 2002Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Geistliche Kraftzentren

Spätestens zu Beginn der achtziger Jahre schien in Deutschland das Thema Kirchenbau erledigt zu sein. Statt neue Kirchen zu bauen, stellten sich viele Gemeinden die Frage, wie sie angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen ihre Gotteshäuser künftig nutzen sollten. Nun boomt aber im deutschsprachigen Raum plötzlich der Kirchenbau.

Spätestens zu Beginn der achtziger Jahre schien in Deutschland das Thema Kirchenbau erledigt zu sein. Statt neue Kirchen zu bauen, stellten sich viele Gemeinden die Frage, wie sie angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen ihre Gotteshäuser künftig nutzen sollten. Nun boomt aber im deutschsprachigen Raum plötzlich der Kirchenbau.

Mit dem wachsenden Desinteresse weiter Bevölkerungskreise an institutionalisierter Religion wurde der Unterhalt bestehender Gotteshäuser vor allem in den Grossstädten zu einem ökonomischen Problem. Die meist eher hilflos anmutenden Antworten auf diese Herausforderung reichten von der Umgestaltung der Sakralräume in multifunktionale Gemeindezentren bis hin zur Umwidmung ganzer Kirchen zu Konzerthallen, Museen oder gar Wohnhäusern. Doch scheinbar aus dem Nichts heraus ist das Thema Kirchenbau heute wieder aktuell. Die renommierte Fachzeitschrift «Kunst und Kirche» spricht gar von einem «Phönix Kirchenbau». Und tatsächlich: In ganz Deutschland - und nicht nur dort - entsteht derzeit eine Reihe bemerkenswerter neuer Kirchen. Dabei handelt es sich um mehr als nur um eine zufällige zeitliche Überlappung der Planungen. Die Ursachen dieser Renaissance sind vielfältig: Zum einen sind in den neuen Bundesländern zarte Knospen neu aufkeimender Gemeinden zu sehen, zum andern mussten in der alten Bundesrepublik einige in die Jahre gekommene Kirchen durch Neubauten ersetzt werden.


Sehnsucht nach Spiritualität

Doch unter diesen eher pragmatischen Überlegungen für einen Kirchenneubau liegt auch die allerorten zu beobachtende Sehnsucht nach einer - nicht konfessionsgebundenen - Religiosität oder Spiritualität verborgen. Darauf lässt zumindest einer der bemerkenswertesten «sakralen» Neubauten schliessen, das «Haus der Stille» der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede von Peter Kulka aus Köln. Beim «Haus der Stille» entspricht der Reduzierung der Formen auf kubische Grundelemente die absolute Kargheit des Baumaterials Sichtbeton. So erlangt etwa die schmale Kapelle gerade dank der Entäusserung von allem Überflüssigen ihre hohe Unmittelbarkeit. Der bereits von aussen wahrnehmbaren Konzentration des Gebäudes auf das Wesentliche entspricht seine Funktion als ein Kloster auf Zeit. Es ist ein Platz jenseits des Alltags. Ein Ort, der Raum bietet für Versenkung und Besinnung und der doch bei aller «Armut» über ein grosses Mass an Anmut und sinnlicher Wirkung verfügt.

So schliesst Kulkas strenges Kloster fast nahtlos an jene Gedanken zu Armut und Leere an, die einst Romano Guardini und Rudolf Schwarz formuliert haben. Damit gibt Kulka dem Kirchenbau jene formale und inhaltliche Dimension zurück, die dieser als eine der zentralen Bauaufgaben des 20. Jahrhunderts lange Zeit besass. Zwei entscheidende Wendemarken kennzeichnen den deutschen Kirchenbau des 20. Jahrhunderts. Einerseits die verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, die eine Welle von Reparaturen und Neubauten von Kirchen nach sich zogen, andererseits das Zweite Vatikanische Konzil. Dessen Beschluss, die Zelebrationsrichtung des Gottesdienstes umzukehren, schlug sich unmittelbar in der räumlichen Ordnung - zumindest der Altäre - in den Kirchen nieder. Doch die Kirchenbaudiskussion setzte in Deutschland bereits lange vor diesen beiden Wendemarken ein. In den zwanziger Jahren hatten Gottfried Böhm mit seinem Idealmodell der Circumstantes-Kirche sowie Rudolf Schwarz mit der Idee der Wegkirche, wie er sie in Aachen in St. Fronleichnam (1929/31) exemplarisch verwirklichen konnte, für eine geistige Erneuerung und Belebung des Kirchenbaus gesorgt. Der Suche nach einer liturgischen Erneuerung entsprach die Suche nach einer modernen Formensprache für den Sakralbau. Konfessionsübergreifend trat dabei die Idee des Zentralraumes in den Vordergrund, wie ihn Otto Bartning 1922 mit dem Entwurf seiner Sternkirche formulierte. Zahlreiche der bereits vor 1933 entwickelten Gedanken zum Kirchenbau wurden nach 1945 wieder aufgenommen und konnten dann ihre eigentliche Wirkung entfalten, ehe der Bedarf an Kirchenneubauten Ende der sechziger Jahre deutlich abnahm.


Neue Sakralbaukunst

Der Blick auf die in den letzten Jahren fertiggestellten Kirchen verdeutlicht, dass es bei deren heutiger Renaissance nicht um eine normierte Massenproduktion von Sakralräumen geht. Ganz im Gegenteil. Der aktuellen Entwicklung wird eher der Begriff der Kirchenbaukunst gerecht. Die neuen Sakralräume kennzeichnet eine selbstbewusste Raum- und Materialqualität. Etwa wenn Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth mit ihrer kleinen evangelischen «Kapelle der Versöhnung» auf dem ehemaligen Berliner Mauerstreifen mit dem ungewöhnlichen Baustoff Lehm experimentieren. Von einer Holzlamellenkonstruktion eingefasst, bietet der fensterlose eiförmige Lehmraum mit seinem Oberlicht eine höchst sinnliche und konzentrierte Wirkung. Wenn man bedenkt, dass kaum einer der jetzt hervortretenden Architekten je die Gelegenheit hatte, bereits zuvor eine Kirche zu verwirklichen, dann muss das hohe Niveau der neuen Kirchenbauten überraschen. Dabei ist zu beobachten, dass trotz dem grossen Interesse an Materialexperimenten, wie sie die Kapelle von Reitermann und Sassenroth kennzeichnen, die wenigsten Bauten einer postmodernen Verspieltheit verhaftet bleiben. Dagegen scheint es für die meisten Architekten geradezu ein Akt der Befreiung zu sein, dass sich ihnen neben dem alltäglichen Baugeschäft die Möglichkeit bietet, mit einer Kirche ein hoch konzentriertes und zugleich innovatives Bauwerk zu schaffen.

Auf welchem Niveau ein solches Erstlingswerk stehen kann, beweist das Katholische Zentrum an der Hannoverschen Strasse in Berlin, das Thomas Höger und Sarah Hare entworfen haben. Ihnen bot sich die Chance, auf engem Raum sogar gleich zwei Sakralräume zu schaffen: einerseits die Kirche St. Thomas von Aquin und andererseits die kleine Kapelle im Haus der Bischofskonferenz. Beide Bauten kennzeichnet eine subtile Lichtregie. So wurde der rechteckige Kirchenraum von St. Thomas von Aquin mit flachen Granitsteinen aufgemauert, zwischen denen Glasplatten mit den gleichen Abmessungen eingesetzt wurden. Im oberen Bereich nimmt deren Zahl deutlich zu. Tagsüber fällt diffuses Licht in den Andachtsraum, abends dagegen scheint der illuminierte Kirchenraum von innen heraus zu leuchten. In der nahen Kapelle der Bischofskonferenz wird dieses Lichterlebnis noch gesteigert. Dort sind den beiden grossen Fensterflächen zur Strasse hin weisse Alabasterplatten vorgeblendet, von deren Halterung nur kleine Edelstahlkreuze sichtbar sind. So entsteht eine hell schimmernde, diaphane Wandfläche von fast schwebender Leichtigkeit. Ein meditativer Raum des Lichtes.

Neben die baukünstlerische Auseinandersetzung tritt eine intensive Beschäftigung mit den liturgischen Anforderungen angesichts der Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils, das nicht nur eine Veränderung der Zelebrationsrichtung mit sich brachte, sondern auch eine «tätige Teilnahme» der Gemeinde einforderte. Ablesbar wird dieses Ringen um eine veränderte «Kirchenordnung» in der ellipsenartig geschwungenen St.-Christophorus-Kirche auf der Nordseeinsel Sylt. Ihr Entwurf stammt von einem ausgewiesenen Kirchenbauexperten, dem Rudolf-Schwarz-Schüler Dieter G. Baumewerd (Münster). Während die gelbrote Backsteinfassade von St. Christophorus im unteren Bereich fast völlig geschlossen ist, wird sie im oberen, staffelartig zurückgezogenen Bereich von vertikalen Fensterschlitzen durchbrochen. Hohe Glasfugen an den beiden Schmalseiten des Baukörpers ermöglichen Einblicke in das ungewöhnliche Innere der Kirche.

Dort sind Ambo, Taufbecken und Altar einander gegenübergestellt. Um sie herum sind die Bänke ellipsenförmig angeordnet. Das architektonische Konzept der Ellipsenkirche spiegelt sich in der Struktur der Liturgie: Die Orte für Predigt und Eucharistiefeier sind voneinander getrennt und stehen doch in einem räumlichen Bezug zueinander. Die dadurch entstehende Bewegung können die Gemeindemitglieder im Idealfall nicht nur mit den Augen verfolgen. Vielmehr sind sie im Sinne einer «tätigen Teilnahme» aufgefordert, sie nachzuvollziehen. Gestärkt wird dadurch auch der Gemeinschaftsgedanke, denn die Gemeindemitglieder haben nicht nur den Gottesdienst im Blickfeld, sondern auch ihre Gemeinde. Zudem knüpft das Konzept der Ellipsenkirche nicht nur an die Kirchenbaudiskussion des 20. Jahrhunderts an, etwa an Böhms Circumstantes-Modell, sondern weiss sich tief in der christlichen Sakralbaukunst verankert, indem es das Motiv des Mönchschores aufnimmt.

Die Vielfalt der ästhetischen Formen, die intensive Auseinandersetzung mit den liturgischen Anforderungen an die Sakralräume und das insgesamt hohe baukünstlerische Niveau sprechen dafür, dass es sich bei der aktuellen Renaissance des Kirchenbaus nicht nur um ein Strohfeuer handelt. Inmitten der oft normierten Standardarchitektur unserer Städte scheinen die Gotteshäuser ihre alte Funktion als geistliche und architektonische Landmarken zurückzuerobern.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.01.28

26. November 2001Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Hoffnung für die Hutfabrik

Für Erich Mendelsohns marode Hutfabrik Steinberg und Herrmann in Luckenwalde (Brandenburg) scheint jetzt Rettung in Sicht zu sein. Die Fabrik gilt als...

Für Erich Mendelsohns marode Hutfabrik Steinberg und Herrmann in Luckenwalde (Brandenburg) scheint jetzt Rettung in Sicht zu sein. Die Fabrik gilt als...

Für Erich Mendelsohns marode Hutfabrik Steinberg und Herrmann in Luckenwalde (Brandenburg) scheint jetzt Rettung in Sicht zu sein. Die Fabrik gilt als frühes expressionistisches Meisterwerk, doch seit rund zehn Jahren steht das Baudenkmal leer. Zerstörung und Verfall waren Tür und Tor geöffnet. Ein privater Textilunternehmer hat die Anlage nun erworben und plant dort die Einrichtung einer Textilsortiermaschine. Mit finanzieller Beteiligung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalschutz und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz soll das Denkmal zunächst winterfest gemacht werden, um weitere Schäden zu verhindern. Die Planungen für die Herrichtung des Fabrikareals stammen von dem Babelsberger Architekten Gerald Kühn von Kaehne und Eberhard Lange.

Zu Beginn der zwanziger Jahre hatte der damals noch weitgehend unbekannte Mendelsohn die streng symmetrisch komponierte Fabrikanlage mit einer Eisenbetonrahmenbinder-Konstruktion verwirklicht. Wichtigster Blickpunkt der Fabrik war die Färberei, die von einem markanten trapezoiden Hut bekrönt wurde. Er überragte die angrenzenden Hallen, denen Mendelsohn durch Ziegelbänder und kantige Formen eine dynamische Wirkung verlieh. Doch der Hut war nicht allein als architektonische Geste gedacht, sondern diente zugleich zur Entlüftung der in der Färberei aufsteigenden Dämpfe. 1934 wurde die Fabrik an die Norddeutsche Maschinenbau AG verkauft, die für Hermann Görings Luftwaffe produzierte. Im Kontext dieser Umnutzung verschwand auch der obere Teil des expressionistischen Hutes, während seine «Krempe» bis heute erhalten ist und das ursprüngliche Aussehen des mehrfach veränderten Baus zumindest erahnen lässt. Von 1957 bis zur Wende dienten die Hallen schliesslich zur Fabrikation von Wälzlagern. Eine Rekonstruktion des charakteristischen Hutes ist zunächst nicht vorgesehen.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2001.11.26



verknüpfte Bauwerke
Hutfabrik Friedrich Steinberg, Herrmann & Co.

29. August 2001Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Klassische Orte des Innehaltens

Neue Bücher über Ludwig Mies van der Rohe

Neue Bücher über Ludwig Mies van der Rohe

Runde Jahrestage besitzen ihre eigene Dynamik. Unausweichlich summieren sich an ihnen die Lobreden. Doch ebenso schnell, wie die medial gelenkte Erinnerung aufflammt, verlischt sie meist auch wieder. Von diesem Mechanismus machte auch Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) keine Ausnahme: Zu seinem hundertsten Geburtstag 1986 versammelte sich der Chor seiner Schüler und der Architekturhistoriker und stimmte einen Lobgesang an - und nutzte ihn weidlich für marktgängige biographische Publikationen. Die damals veröffentlichten Bücher werden noch heute von Fritz Neumeyers Studie über das «Kunstlose Wort» überragt. Neumeyer verortet den Architekten im geistigen Umfeld seines ersten Bauherrn Alois Riehl und rekonstruiert anhand von Mies' Bibliothek die Einflüsse, die Mies van der Rohe und seine Architektur geprägt haben. In der Blütezeit der postmodernen Architektur blieb Neumeyers wissenschaftliche Durchdringung des Phänomens Mies fast zwangsläufig ohne Auswirkungen auf die gebaute Umwelt. Denn dort galt noch immer Roberto Venturis Verdikt «Less is a bore», das er Mies' Maxime «Less is more» gegenüberstellte. In einer Art Kollektivhaftung wurde auch Mies als einer der Ahnherren der Moderne für deren Sünden mitverantwortlich gemacht. Stahl und Glas galten - und gelten manchem noch heute - als vermeintliches Kernübel der Unwirtlichkeit nicht zuletzt der europäischen Städte, deren eigene, steinerne Tradition lautstark beschworen wurde. Was blieb, waren die Gebäude von Mies. Sie wurden und werden genutzt - manche besser, manche schlechter. Die meisten dienen darüber hinaus als Anschauungsobjekte ihrer selbst. Ikonen einer mehr oder weniger verhassten und gleichzeitig verehrten Moderne.

Zwar ebbte die Zahl an Mies-Veröffentlichungen nach dessen Jubiläum ab, doch Mies blieb Gegenstand der architekturgeschichtlichen Forschung, aber auch der Hagiographie der Moderne. Nun ist zeitgleich mit der von zwei monumentalen Katalogen begleiteten New Yorker Doppelausstellung (NZZ 14. 7. 01) eine ganz erstaunliche Intensivierung des Interesses am Phänomen Mies zu verzeichnen - ganz ohne besonderen biographischen Anlass. Ein Buch aus der Edition Blau, das von einem Essay Yehuda E. Safrans eingeleitet wird, präsentiert leider nur eine Auswahl von 21 Bauten, wobei der Schwerpunkt auf dem amerikanischen Mies liegt. Doch dafür entschädigen die vorzüglichen Aufnahmen von Rui Morais de Sousa. Sie lassen Farbe und Materialien bei Mies lebendig werden und besitzen zudem eine hohe atmosphärische Dichte. Die Fotos bescheiden sich nicht damit, die Gebäude als die bekannten Ikonen der Moderne wiederzugeben, die sie fraglos sind. Sie zeigen diese Ikonen teilweise auch im Kontext der Städte. Und sie verschweigen auch nicht die Altersspuren der Gebäude. Die Patina verdeutlicht: Es sind Gebäude mit einer Geschichte, Gebäude in Nutzung. In Zeiten eines schnelllebigen Architekturverbrauchs ist auch das ein Qualitätskriterium für Mies' Architektur.

Einen frischen Blick auf den scheinbar altbekannten Mies gibt auch der Architekt Rolf D. Weisse. Seine grob gekörnten Schwarzweissfotos zeigen Mies als einen jovial wirkenden älteren Herrn. Die Zigarre in der Hand, aus der dicke Rauchwolken aufsteigen. Er doziert vor einer andächtig lauschenden Versammlung. Das Gesicht ist gealtert, Tränensäcke, Krähenfüsse, die sich auch im Schwarzweiss nicht verlieren. Doch ebenso wenig verliert sich der wache Blick von Mies, die Neugier und die Achtsamkeit. Was auf den ersten Blick als artifizielle Überformung anmutet, entpuppt sich schnell als ein Dokument: Mies van der Rohe im Gespräch in einigen von Weisse aufgenommenen Filmsequenzen, die für das Buch in Fotos zerlegt wurden. Daher die Grobkörnigkeit. Weisse, zeitweilig Mitarbeiter im Büro von Mies, skizziert den Weg vom Projekt für die Concert Hall (1941/42) bis zur Berliner Nationalgalerie als dem Endpunkt der Entwicklung einer Idee der frei überspannten Räume. Gebäude aus Haut und Knochen. Dazwischen liegen zahlreiche Etappen, meist Entwürfe, die lediglich Projekt blieben, aber eben auch das Farnsworth House (1946-51) und die Crown Hall in Chicago (1950-56). Eine massstäbliche Vergleichsskizze von Weisse listet die Hallenbauten untereinander auf.

Wer die Monumentalität der Nationalgalerie kennt, der erschrickt über die gigantische Grösse, die die geplante Convention Hall für Chicago angenommen hätte. Weisse hat ein durchaus persönliches Buch über Mies und die Berliner Nationalgalerie geschrieben. So persönlich, dass er den aktuellen Zustand der Nationalgalerie scharf kritisiert: Granulat auf der Granitplattform und Taubennägel an der Stahlkonstruktion, die die Wirkung des Gebäudes ebenso stören wie die geteilten Gläser anstelle der von Mies vorgesehenen Glasflächen, rufen Weisses Zorn hervor. Nicht bei Weisse nachzulesen ist freilich, dass die Staatlichen Museen in den nächsten Jahren eine Generalsanierung der Neuen Nationalgalerie planen. Das Leerräumen der grossen gläsernen Ausstellungshalle von Stellwänden und Gardinen bei den jüngsten Ausstellungen von Ulrich Rückriem und Jenny Holzer war der richtige Schritt, um die unmittelbare Wirkung dieses monumentalen Raumes den Besuchern wieder vor Augen zu führen. Die Herrichtung der Nationalgalerie könnte nun eine spannende Fallstudie über das Thema «Restaurierung der jüngsten Moderne» werden. Doch wie diese Millionenaufgabe angesichts der Berliner Finanzierungsprobleme gemeistert werden soll, ist derzeit noch völlig offen.

Ein brillantes Feuerwerk zündet Josep Quetglas in seinem Buch über den Barcelona-Pavillon. In Form eines Dreiakters spürt er höchst pointiert - und damit freilich auch an einigen Punkten durchaus streitbar - den unterschiedlichen Aspekten in Mies' frühem Hauptwerk nach: dem Rückbezug zur antiken Tempelarchitektur und der Schinkel-Rezeption. Zugleich macht er den geschlossenen Raum sowie die Frage der Spiegelungen des Glases, der verchromten Stützen und der polierten steinernen Wandflächen im Pavillon zum Thema und damit die Entmaterialisierung der Architektur - die Architektur der Leere.

Zu einer monographischen Reihe der einzelnen Bauten von Mies weiten sich die Publikationen von Werner Blaser, ebenfalls im Birkhäuser-Verlag. Soeben hat er einen Band über die Crown Hall vorgelegt. Blasers Bücher sind selbst kleine Kunstwerke, deren Ästhetik den Leser in ihren Bann zieht. Es sind Meditationen über die Baukunst, über Struktur und Kultur, wie etwa die Neuauflage von «West meets East», die Mies' Haut-und-Knochen-Bauten in das Geflecht östlicher Bautraditionen einwebt - mit einem Seitenblick auf Tadao Ando. Vielleicht liegt ja auch gerade hier der Grund für die heimliche Mies-Renaissance. In der überzeitlichen Qualität seiner Bauten, die mit dem distanzierten Blick von vierzig Jahren nicht ab-, sondern zunimmt. Mies van der Rohes Gebäude erfüllen gleichermassen die Sehnsucht nach Reduzierung wie nach Vielfalt. Mies hat Orte des Innehaltens geschaffen. In ihren ruhigen - oft klassischen - Formen laden sie dazu ein, sich auf ihre Architektursprache einzulassen, sich in ihnen zu vertiefen. Nach den historisierenden Exzessen der Postmoderne und der Architektur der «explodierten Hühnchen», wie sie die Dekonstruktivisten präsentiert haben, inmitten der Unübersichtlichkeit der vernetzten Welten bietet Mies' Architektur eine Zentrierung. Die Qualität ihrer Details hält auch den Rost aus. Mag sein, dass es die Sehnsucht nach ihrer Unmittelbarkeit ist, die sie heute nicht nur als Studienobjekte interessant macht, sondern auch als Vorbilder. Mies weiterbauen kann freilich nicht heissen, Mies zu kopieren. Mies hat für den freien Umgang mit Vorbildern selbst das beste Vorbild abgegeben, wie Quetglas anschaulich vorführt. Wie eine Gespensterdebatte mutet daher die gegenwärtige Berliner Diskussion um die mögliche Realisierung von Mies' Glashausvision aus den zwanziger Jahren am Bahnhof Friedrichstrasse an. Was wie ein Witz der späten Postmoderne klingt, wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf das Niveau der dortigen Architekturdebatten.


[Yehuda E. Safran: Mies van der Rohe. Port./engl. Editorial. Blau, Lissabon 2000. 216 S., Fr. 118.- (lieferbar über Gingko-Press). - Rolf D. Weisse: Mies van der Rohe. Vision und Realität. Von der Concert Hall zur Neuen Nationalgalerie. Strauss-Verlag, Potsdam 2001. 120 S., Fr. 78.-. - Josep Quetglas: Der gläserne Schrecken. Birkhäuser-Verlag, Basel 2001. 192 S., Fr. 35.-. - Werner Blaser: Mies van der Rohe Crown Hall. Birkhäuser-Verlag, Basel 2001. 84 S., Fr. 44.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2001.08.29

09. August 2001Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Innovative Theaterarchitektur

Der Architekt Oskar Kaufmann zwischen Berlin und Tel Aviv

Der Architekt Oskar Kaufmann zwischen Berlin und Tel Aviv

Über mangelndes öffentliches Interesse an seinen Bauten konnte sich Oskar Kaufmann (1873-1956) bis zu seiner Emigration aus Deutschland nicht beklagen. Bis dahin schuf der aus Ungarn stammende Architekt jüdischer Abstammung ein vielschichtiges Œuvre, vorwiegend in Berlin. Gleich zwei Publikationen widmeten sich 1928 Kaufmanns Arbeiten: Die eine stammte aus der Feder des heute nahezu vergessenen Musik- und Kunstkritikers Oscar Bie, die andere, vor einiger Zeit neu aufgelegt, von Max Osborn. Osborn war es auch, der für den eigenwilligen Stil des Architekten den treffenden Begriff des «expressionistischen Rokoko» prägte.

Kaufmanns Laufbahn begann 1907 mit einem Paukenschlag: dem Hebbeltheater in Berlin, das noch heute als sein besterhaltener Theaterbau gelten darf. Es war ein Gebäude von grandioser Neuerungskraft. Das raue Bossenmauerwerk des Theaters, das einst in einer geschlossenen Strassenfront stand, und der Verzicht auf jegliches eklektizistische Dekor wiesen das Haus als Beispiel eines zeittypischen innovativen Monumentalstils aus. Ganz anders wirkt dagegen das Innere mit seiner kostbaren Holztäfelung. Es entfaltet eine intime Wirkung, die von Kaufmanns einzigartiger raumbildender Fähigkeit spricht. Das Hebbeltheater, dem das Bremerhavener Stadttheater (1909/11) und die Volksbühne (1910/14) in Berlin folgten, machte Kaufmann zum gefragten Theaterarchitekten des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik.

«Theaterarchitektur» im übertragenen Sinne zeigten aber auch Kaufmanns Villen. Es waren Architekturinszenierungen, oft genug in exponierter Lage, die an Bühnenbilder und Märchenschlösser erinnerten. Die meist konvex-konkav geschwungenen Fassaden verliehen ihnen das Gepräge spätbarocker Palastanlagen. Gegen den puristischen Trend der Bauhaus-Moderne bediente sich Kaufmann souverän aus der Architekturgeschichte und überformte seine Vorbilder, um den Ansprüchen seiner wohlhabenden Auftraggeber zu entsprechen. Dabei waren seine Villen immer ein wenig extravaganter als die seiner - letztlich konservativeren - Berliner Konkurrenten, wie Cremer und Wolffenstein oder Breslauer und Salinger. Kaufmanns einzigartige Villen entsprachen einem betont luxuriösen Lebensstil. Mit dessen Untergang im «Dritten Reich» und im Zweiten Weltkrieg gingen auch seine Villen verloren oder wurden stark überformt.

Eine umfangreiche Monographie mit einem 60 Nummern umfassenden Werkverzeichnis Oskar Kaufmanns hat jetzt die Kunsthistorikerin Antje Hansen vorgelegt. Mit ihrer Arbeit entreisst sie einen der eigenwilligsten Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Vergessen. Zugleich passt das Buch gut in die Neubewertung der deutschen Moderne der zwanziger Jahre. Einer Zeit, die durch das Nebeneinander konservativer und progressiver Architekturströmungen auf engstem städtischem Raum geprägt war.

Wie intensiv auch vermeintlich konservative Architekten wie Kaufmann die Arbeiten der moderneren Kollegen beobachtet haben, zeigt Kaufmanns Werk, das ab 1933 im Exil in Palästina entstand. Dort hat er sein monumentales Formenrepertoire der klassischen Moderne angeglichen. Etwa beim Habimah-Theater (1935/45) oder beim Haus Dunkelblum (1934/36) in Tel Aviv. Dabei blieb er seinen aufwendigen, auf abgerundeten Formen beruhenden Grundrissen durchaus treu (Haus Haym, 1935/37). Gerade dieser höchst spannende Abschnitt im Werk Oskar Kaufmanns, der um 1939 nach Ungarn zurückkehrte, wo er unter grösster Gefährdung den Zweiten Weltkrieg überlebte, bedarf einer vertiefenden kulturhistorischen Untersuchung. Dafür hat Antje Hansen mit ihrer umfangreichen Studie die Grundlage geschaffen.


[Antje Hansen: Oskar Kaufmann. Ein Theaterarchitekt zwischen Tradition und Moderne. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Gebrüder-Mann-Verlag, Berlin 2001. 424 S., Fr. 131.-. - Oskar Kaufmann. Mit einer Einleitung von Max Osborn. (Reprint Neue Werkkunst.) Nachwort Myra Warhaftig. Gebrüder-Mann-Verlag, Berlin 1996. 64 S. Fr. 110.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2001.08.09

02. Februar 2001Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Ungeliebtes Erbe

Ein Überblick über Architektur der DDR

Ein Überblick über Architektur der DDR

Seit der deutschen Wiedervereinigung ist die DDR-Architektur zu einem wichtigen Thema der Baugeschichtsforschung aufgestiegen. So liegen inzwischen zahlreiche Publikationen sowohl über den Städtebau der DDR als auch über einzelne Architekten vor. Diese können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in der Öffentlichkeit lediglich die Phase der «nationalen Tradition» zwischen 1949 und 1955 mit ihrem zwischen Schinkel und Stalin schwankenden Stilgemisch - etwa an der Berliner Stalinallee - einer gewissen Beliebtheit erfreut.

Die Gebäude der Phase der Industrialisierung des Bauwesens, die sich zwischen 1955 und 1970 anschloss, ehe der weitgehende Niedergang der DDR-Architektur einsetzte, sind dagegen noch immer Anfeindungen ausgesetzt. Zahlreiche qualitätvolle Bauten dieser Zeit sind denn auch inzwischen aus dem Bild der ostdeutschen Städte verschwunden. Parallel zu dem politisch wie wirtschaftlich motivierten Stilwechsel von der Tradition zur Moderne veränderte sich in der DDR auch das Architektenbild. An die Stelle des «kapitalistischen» Privatarchitekten traten nun die in Kollektive eingebundenen «Komplexprojektanten». Freilich standen auch hinter den Kollektiven weiterhin Menschen. Deren Lebens- und Arbeitsweg hat das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner bei Berlin in einem Sammelband zusammengefasst. Eingeleitet wird das Buch, das 220 Architektenbiographien präsentiert, mit einem Essay von Thomas Topfstedt, der den Wandel des Architektenbildes in der DDR nachzeichnet.

Neben so illustren Vertretern der DDR-Architektur wie Hermann Henselmann (Hochhaus an der Weberwiese, Berlin), Josef Kaiser (DDR-Aussenministerium, Berlin, abgerissen), Richard Paulick (Blöcke C Nord und Süd Stalinallee, Berlin) oder Heinz Graffunder (Palast der Republik, Berlin) begegnen dem Leser auch weniger bekannte Architekten, etwa Kurt Nowotny, von dem das hinreissende Hauptpostamt am Leipziger Augustusplatz (1961-64) stammt. Der Band stellt somit einen wichtigen Anstoss für die weitere Erforschung der DDR-Architektur dar, aber auch zur Erhöhung ihrer öffentlichen Akzeptanz.


[Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR. Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biographischer Daten. Hrsg. Holger Barth, Thomas Topfstedt. Reihe Regio Doc 3, Erkner 2000. 305 S., Fr. 38.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.02.02

24. Januar 2001Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Impressionistisches Geschichtsverständnis

Umstrittene Berliner Neubauprojekte im Schatten von Baudenkmälern

Umstrittene Berliner Neubauprojekte im Schatten von Baudenkmälern

Stadtreparatur im Stil der «kritischen Rekonstruktion» ist seit der internationalen Bauausstellung der achtziger Jahre nichts Neues in Berlin. Doch die Sehnsucht nach Geschichte in der deutschen Hauptstadt nimmt immer konservativere Formen an. Da der Bertelsmann-Konzern die Fassade des Kommandantenhauses Unter den Linden rekonstruieren darf, wird der Chor derer immer lauter, die auch eine Rekonstruktion der Schlossfassade fordern. Konservatorisch ist der architektonische Rollback höchst bedenklich. Dabei schien Berlin mit dem Umzug von Regierung und Parlament bereits einen guten Weg im Umgang mit den Zeugnissen seiner Baugeschichte gefunden zu haben. Beispielhaft gebärdete sich etwa der Bund als Bauherr und setzte seine Baudenkmäler in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege für die neuen Ministeriumsnutzungen instand. Die Verwerfungen deutscher Geschichte blieben im Dokumentcharakter dieser Bauwerke, die aus den unterschiedlichsten Epochen stammen, unmittelbar greifbar. Historisches wurde bewahrt, Neues in klaren Formen davon abgesetzt.


Moderne ohne Lobby

Doch mit dem 1999 vom Berliner Senat verabschiedeten Planwerk Innenstadt besitzt die Berliner Geschichtsleidenschaft jetzt ein streitbares, weil doktrinäres und rückwärts gewandtes städtebauliches Rahmenwerk. Dabei ist gegen den Wunsch des Planwerkes, jene Wunden zu schliessen, die die manchmal recht geschichtsvergessene Stadtplanung der Nachkriegszeit gerissen hatte, an sich wenig einzuwenden. Doch die allzu starre Fixierung auf den historischen Stadtgrundriss, die eine diffuse Geschichtssehnsucht bedient, wird zur Bedrohung für die überlieferten echten Denkmäler. Die vom Planwerk propagierte urbane Verdichtung und die Rückkehr zu Blockrandbebauungen rücken vor allem dem Wirkungsfeld der Berliner Nachkriegsarchitektur in Ost und West massiv auf den Pelz. Es erscheint höchst fragwürdig, warum in einer Grossstadt des 21. Jahrhunderts der Stadtraum nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts rekonstruiert werden muss. Das Ergebnis des Berliner Vorgehens führt zwangsläufig zu einem sentimentalen architektonischen Erlebnispark. Wäre es nicht weitaus ehrlicher, die Stadt durch eine selbstbewusste moderne Architektur weiterzuentwickeln? Doch die Moderne besitzt in Berlin keine Lobby.

Deutlich wird die Berliner Misere an dem gerade erst abgeschlossenen Wettbewerb für eine Bebauung auf dem Friedrichswerder. Der Friedrichswerder, von alters her der Spreeinsel - der Keimzelle Berlins - vorgelagert, wurde seit dem 17. Jahrhundert besiedelt und stellte damit die erste Stadterweiterung des mittelalterlichen Berlin dar. Doch der ursprüngliche Charakter des Areals und seine kleinteilige Bebauung sind nicht erhalten. Ihre Zerstörung setzte bereits im 19. Jahrhundert ein und fand in den sechziger Jahren mit dem Abräumen von Karl Friedrich Schinkels Bauakademie ihr unrühmliches Ende. So bildet die einst eng umbaute Friedrichswerdersche Kirche, die Schinkel 1824-30 verwirklichte, heute den ältesten architektonischen Bezugspunkt in diesem Stadtbereich. Seit jüngstem ragt gleich daneben eine Ecke der Bauakademie als Teilrekonstruktion empor.

Eine entsprechend den politischen Vorgaben des Planwerks Innenstadt jetzt im Rahmen eines Bieterverfahrens ausgezeichnete Planung für den Bereich westlich der Friedrichswerderschen Kirche, die von Georg Graetz, Christoph Tyrra und Tobias Nöfer stammt, singt ein Loblied auf die Parzelle. Durch die Kleinteiligkeit des neu zu errichtenden Stadtquartiers soll der historische Charakter wieder wachgerufen werden: Um eine lediglich fünf Meter schmale Strasse - die zwischenzeitlich aus dem Stadtgrundriss ausradierte Falkoniergasse - sollen sich künftig neun Häuser mit Wohnungen und Geschäften drängeln. Dabei werden die Neubauten der Ziegelfassade der Friedrichswerderschen Kirche bis auf wenige Meter nahe kommen. Durch die Rekonstruktion des Stadtgrundrisses geht die nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnene Wirkung der Kirche als Solitär wieder verloren.


Fiktion statt Dokument

Sosehr sich die geplanten Neubauten mit ihrem sehnsuchtsschmachtend italianisierenden Fassadenkleid auch auf die verlorene Historie des Genius Loci zu beziehen vorgeben - auf eine Tiefgarage werden sie nicht verzichten. Einer ebensolchen Tiefgarage musste gleich gegenüber der Friedrichswerderschen Kirche in den neunziger Jahren die archäologisch ergrabenen Reste des Münzkanals der Preussischen Münze für den monumentalen Erweiterungsbau des Aussenministeriums weichen. Da half es auch nichts, dass der Architekt dieses für die Stadtgeschichte bedeutenden technischen Denkmals des ausgehenden Barocks Andreas Schlüter hiess, zu dessen Hauptwerken das benachbarte Hohenzollernschloss gehörte. Dieser Umgang mit Geschichtszeugnissen wirft ein bezeichnendes Licht auf den Wert, der den Geschichtsspuren im Rahmen des Berliner Architekturdiskurses beigemessen wird. Die Fiktion von Geschichte wird höher geschätzt als das tatsächliche historische Dokument.

Einem ähnlich impressionistischen Geschichtsverständnis begegnet man auch in der Charlottenburger City West, rund um Kurfürstendamm und Bahnhof Zoo - freilich unter vertauschten Vorzeichen. Während man in der Mitte der Stadt mit Siebenmeilenstiefeln der Vergangenheit entgegeneilt, ohne den authentischen Denkmälern dieser Vergangenheit den ihnen gebührenden Respekt entgegenzubringen, weiss man in der City West den Wert des Erbes der Nachkriegsarchitektur nicht zu schätzen. So wird zwar das in den fünfziger Jahren entstandene, betont bescheidene Haus des alten Café Kranzler mit seiner berühmten Rotunde - einst eines der meistphotographierten Wahrzeichen Westberlins - in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt hergerichtet. Doch zuvor wurde ein gutes Stück des Gebäudes preisgegeben. Statt das denkmalgeschützte «Kranzler»-Ensemble durch einen qualitätvollen Neubau behutsam weiterzuentwickeln und dabei die Dimensionen des historischen Stadtraums der fünfziger Jahre zu wahren, überragt inzwischen ein 60 Meter hohes gläsernes Bürohaus nach dem Entwurf Helmut Jahns das offenbar ungeliebte Baudenkmal.

Durch den Massstabsprung des «Neuen Kranzlerecks» werden nicht nur die Bauten der Umgebung zur Staffage degradiert. Zugleich zerteilt seine breit lagernde Baumasse den Kurfürstendamm in zwei Hälften. In offenem Widerspruch zur Stadtplanung an anderen Stellen Berlins, wo man das Hohelied der Blockrandbebauung singt, hat man die bis vor kurzem geschlossene Strassenfront entlang des Kurfürstendamms zugunsten eines breiten Zugangs zu der neuen Einkaufspassage aufgerissen. Diese breite Fussgängerstrasse soll Kunden in den Hof des «Neuen Kranzlerecks» ziehen.

In Berlin-Mitte wie am Kurfürstendamm bietet sich letztlich das gleiche Bild: Berlins Baudenkmäler drohen ins Abseits zu geraten. Ob sie dabei durch Neubauten mit einem historistischen oder einem medioker-modernistischen Gewand in die Enge getrieben werden, ändert am Ergebnis wenig. So erweist sich die Berliner Geschichtsbesessenheit, wie sie das Planwerk Innenstadt predigt, am Prüfstein der Baudenkmäler in erster Linie als Geschichtsvergessenheit.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2001.01.24

01. Dezember 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Kühner Schwung

Die Schalenbauten von Ulrich Müther

Die Schalenbauten von Ulrich Müther

Elegant geschwungen, sanft gewellt oder auch zackig expressiv: Der Form des Baustoffs Beton scheinen kaum Grenzen gesetzt zu sein. Besonders deutlich führen das jene faszinierenden Solitäre vor Augen, die Ulrich Müther entworfen hat, der bedeutende Schalenbaumeister der DDR. Futuristisch anmutende Entwürfe befinden sich unter seinen Werken, wie etwa die pilzartig aus dem Boden wachsende Rettungsstation aus dem Jahr 1968, die am Strand von Binz auf Rügen steht. Mit ihren geschwungenen, hauchdünnen Dachkonstruktionen bilden Müthers Schalenbauten als Veranstaltungsorte und Gaststätten besondere Glanzpunkte, so etwa der «Tee-Pot» in Warnemünde oder die «Seerose» in Potsdam. Die Namen zeigen: Es sind sprechende Architekturen und zugleich beredte Zeugnisse der Ingenieur- und Baukunst. Doch zahlreiche der kunstvollen Konstruktionen Müthers sind heute stark abrissgefährdet. Bereits verloren ist das denkmalgeschützte Ahornblatt in Berlin. Ursache für die Gefährdung dieser filigranen Baukunstwerke ist nicht etwa deren Erhaltungszustand, sondern der lieblose Umgang mit diesen bedeutenden Zeugnissen der ostdeutschen Nachkriegsmoderne. Eine von Winfried Dechau herausgegebene Publikation widmet sich jetzt dem zu Unrecht lange vernachlässigten Werk Müthers. Dabei skizziert Berthold Burkhardt die Geschichte des Betonschalenbaus, während Simone Hain ihn in den Rahmen der industriellen Baukultur der DDR einordnet. Abgerundet wird der Band durch ein Porträt Müthers von Kerstin Weinstock sowie durch ein Werkverzeichnis. So schmal die Publikation ist, so spannend und wichtig ist sie. Sie kann helfen, dass nach dem Abriss des Ahornblattes nicht noch weitere Solitäre Müthers verloren gehen. Denn das heute leerstehende Restaurant «Inselparadies» in Baabe auf Rügen ist durch Vandalismus bereits stark in Mitleidenschaft gezogen worden, und auch für die ehemaligen Messehallen in Rostock muss Dechau resümieren, dass sie derzeit als Autohaus «kaputtgenutzt» werden.


[Kühne Solitäre. Ulrich Müther - Schalenbaumeister der DDR. Hrsg. Winfried Dechau. DVA, Stuttgart 2000. 87 S., Fr. 37.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.12.01

30. Oktober 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Weisse Stadt am Meer

Wie an einer Perlenkette aufgereiht, fügen sich die Schaufassaden der Häuser Heiligendamms zu einem eindrucksvollen Ensemble an der Ostsee. Im Zentrum rahmen zwei grosse Hotels, das ehemalige Grand-Hotel und das Haus Mecklenburg, einen Platz, dessen Abschluss das klassizistische Kurhaus von Carl Theodor Severin bildet.

Wie an einer Perlenkette aufgereiht, fügen sich die Schaufassaden der Häuser Heiligendamms zu einem eindrucksvollen Ensemble an der Ostsee. Im Zentrum rahmen zwei grosse Hotels, das ehemalige Grand-Hotel und das Haus Mecklenburg, einen Platz, dessen Abschluss das klassizistische Kurhaus von Carl Theodor Severin bildet.

Den besten Überblick über das älteste Seebad Deutschlands gewinnt man von der Seebrücke aus, die weit in die Ostsee hineinragt: In sanftem Schwung reihen sich die Fassaden der Cottages genannten kleinen Villen und führen hinüber zu den grossen Hotels und dem 1814/16 von Carl Theodor Severin realisierten Kurhaus, die das klassizistische Herz der Anlage bilden. Von hier aus wird verständlich, warum der von dunklem Wald gerahmte Ort auch «die weisse Stadt am Meer» heisst. Der Blick von der Seebrücke schafft freilich auch die notwendige räumliche Distanz, um den bröckelnden Putz und die Zeichen des seit Jahren fortschreitenden Verfalls der derzeit grösstenteils leerstehenden Gebäude Heiligendamms nicht so deutlich wahrnehmen zu müssen.


Vom Adel zum Bürgertum

Vom Vorbild englischer Seebäder angeregt, entdeckte der Herzog von Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz I., Heiligendamm 1793 für sich als Seebad. Während sich das gesellschaftliche Leben in der Sommersaison zunächst im nahe gelegenen Bad Doberan abspielte, diente Heiligendamm als reiner Badeort. Doch bald schon setzte auch unmittelbar an der Ostseeküste eine rege Bautätigkeit ein. Neben Severins Kurhaus entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die malerischen Cottages für die herzögliche Familie. Für die meisten der damals errichteten Gebäude zeichnete der vom Berliner Klassizismus beeinflusste Hofbaurat Georg Adolph Demmler verantwortlich. Auf ihn geht auch die malerische städtebauliche Komposition Heiligendamms zurück.

1843 errichtete er mit der «Burg Hohenzollern», die sich dem Kurhaus leicht nach hinten versetzt anschliesst, eines der markantesten Gebäude Heiligendamms. Der Name erinnert an die preussische Herkunft der Gemahlin des Grossherzoges Paul Friedrich. Die mit symmetrisch angeordneten Türmen im Tudor-Stil versehene Schaufassade der «Burg» erwies sich somit nicht nur als eine Reminiszenz an die Vorbilder der englischen Architektur allgemein, sondern vor allem auch als ein Rückbezug zur zeitgleichen romantisch-mittelalterlich geprägten Architekturauffassung in der Nachfolge Schinkels in Brandenburg-Preussen.

Mit dem aus wirtschaftlichen Zwängen erfolgten Verkauf des Seebades im Jahre 1873 begann dessen Wandel von der adeligen zur bürgerlichen Sommerfrische. Seinen architektonischen Niederschlag fand diese Entwicklung im Bau eines Grand-Hotels sowie einer seeseitigen Erweiterung von Haus Mecklenburg. Nach einer weiteren Blütezeit in den 1920er Jahren nahm während des Dritten Reichs zunächst die Ferienorganisation der «Deutschen Arbeitsfront» (DAF), «Kraft durch Freude» (KdF), Besitz von Heiligendamm, der während des Zweiten Weltkriegs eine Kadettenschule der Marine folgte.

In der DDR wurde Heiligendamm dann zum «Kurbad der Werktätigen» - mit einschneidenden Folgen für die Gebäude, die teilweise eine starke Übernutzung erfuhren. So wurde nicht nur das Grand-Hotel noch in den achtziger Jahren im Inneren erheblich umgestaltet. Bereits 1948/49 war die «Burg» - die als Symbol des vom Sozialismus überwundenen alten Systems galt - weitgehend umgebaut worden. An die Stelle der Türme im Tudor-Stil trat eine beruhigt klassizistische Architektur mit Walmdach. Der architektonische Wandel drückte sich auch in der Benennung des Gebäudes aus: Aus der «Burg Hohenzollern» wurde das Haus «Glück auf». Verantwortlicher Architekt für den Umbau war Adolf Kegebein, der 1930 immerhin das Wohn- und Atelierhaus von Ernst Barlach am Heidberg bei Güstrow entworfen hatte.


Problematische Revitalisierung

Nach der Wende erwarb die Kölner Fundus-Gruppe 1996 die grössten Teile Heiligendamms aus Bundesbesitz. Nach einem ersten fehlgeschlagenen Versuch, das traditionsreiche Seebad über einen Immobilienfonds wiederzubeleben, hat die Fundus-Gruppe jetzt mit der Grundsteinlegung im Frühsommer 2000 einen zweiten Versuch gestartet. Dessen erste Etappe soll 2002 mit der Eröffnung eines Grand-Hotels ihren Abschluss finden. Das geplante Hotel der Luxusklasse wird dann die historischen Einzelbauten des Kurhauses, des Hauses Mecklenburg, des ehemaligen Grand-Hotels, der «Burg» sowie eines rückwärtig gelegenen ehemaligen Orangerie-Gebäudes mit einbeziehen. Finanziert wird auch dieses Projekt über einen Immobilien-Fonds. Betreiber des Hotels wird die Kempinski AG, die schon das ebenfalls von Fundus über einen Fonds finanzierte «Adlon» am Pariser Platz in Berlin betreibt.

Während für Carl Theodor Severins Kurhaus auch im Inneren ein weitgehender Bestandsschutz besteht, werden die teilweise zu DDR-Zeiten veränderten übrigen Bauten des neuen Hotelkomplexes mit Einverständnis der Denkmalpflege im Inneren weitgehend entkernt, die Fassaden hingegen entsprechend den historischen Vorlagen restauriert. Problematisch erscheint dies im Fall der «Burg», deren Umgestaltung zur Zeit der DDR zugunsten des demmlerschen Entwurfs rückgängig gemacht werden soll. Gerade hier hätte sich die Chance geboten, einen qualitätvollen DDR-Umbau zu bewahren, der sich gut in das Gesamtensemble Heiligendamms einpasst. Zudem wäre mit dem Verzicht auf Rückbau und Rekonstruktion der «Burg» auch die wechselvolle geschichtliche Entwicklung des Seebades baulich ablesbar geblieben.

Ergänzt werden die historischen Bauten des neuen Hotelkomplexes an der Seite des ehemaligen Grand-Hotels durch den Neubau des sogenannten Hauses Severin, das unter anderem einen Wellness-Bereich beherbergen wird. Statt das denkmalgeschützte Ensemble Heiligendamms an dieser Stelle durch eine qualitätvolle und massstabgerechte zeitgenössische Architektur weiterzuentwickeln, hat sich der Investor leider für ein Gebäude mit historisierender Fassade entschieden, für dessen Entwurf mit Hentrich, Petschnigg und Partner (HPP) eines der grossen Architekturbüros aus dem Westen Deutschlands verantwortlich zeichnet.

Da das ohnehin als Zugeständnis an die Fundus-Gruppe von der Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern akzeptierte Haus Severin das ursprünglich genehmigte Bauvolumen im letzten Entwurf um etwa 20 Prozent überschritt und damit die Wirkung des Ensembles entscheidend verändert, lehnte die Denkmalpflege den Bau ab. Doch die wirtschaftliche Bedeutung, die die Landesregierung dem Hotelprojekt für die Region beimisst, sorgte dafür, dass das Votum der Denkmalpflege von übergeordneter Stelle ausgehebelt und eine Baugenehmigung erteilt wurde.


Öffentliche Uferanlage

Die kleineren Cottages, die sich entlang der Ostseeküste anschliessen und die Fundus ebenfalls erworben hat, werden nicht in den Hotelkomplex einbezogen. Sie sollen stattdessen durch das Hamburger Architekturbüro von Bassewitz, Hupertz, Limbrock denkmalgerecht in hochwertige Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Der ursprüngliche öffentliche Charakter des Areals, das sich zwischen den Villen und der unmittelbar an den Strand anschliessenden Uferpromenade ausbreitet, soll erhalten bleiben. Allerdings muss für den notwendigen Hochwasserschutz Heiligendamms eine leichte Böschung des Gebiets in Kauf genommen werden.

Neben der Anlage eines Golfplatzes sowie dem Ausbau des nahe gelegen Gutes Vorder Bollhagen zum Reitsportzentrum soll in einer zweiten Ausbauphase Heiligendamms das angrenzende Wiesenareal zu einer Villensiedlung im Stil des «New Urbanism» umgewidmet werden. Für dieses Gebiet hat der US-Amerikaner A. M. Stern, ein führender Verfechter der Postmoderne, einen Masterplan geliefert. Die Wiederbelebung Heiligendamms reiht sich ein in den allgemeinen Boom der Ferienindustrie im sonst strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern. Von Binz auf Rügen bis Boltenhagen bei Wismar wächst die Konkurrenz unter den Urlaubsorten entlang der Ostseeküste. Im Wettstreit um die Gunst der zahlungskräftigen Touristen wird sich künftig auch Heiligendamm behaupten müssen. Dank seinem einzigartigen architektonischen Erbe verfügt es freilich über ein besonders kulturgeschichtliches Pfund, mit dem es wuchern kann. Auch deshalb muss bei der anstehenden Herrichtung der Bausubstanz Heiligendamms mit der allergrössten Behutsamkeit verfahren werden.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2000.10.30

12. Oktober 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Geschichte und Zukunft

In historischen Zentren werden pseudohistorische Neubauten vom Publikum oft besser aufgenommen als zeitgenössische Architekturen. Dabei vertragen sich zukunftsweisende Interventionen besser mit alter Bausubstanz als plumpe Nachempfindungen. Dies beweisen zwei neue Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern.

In historischen Zentren werden pseudohistorische Neubauten vom Publikum oft besser aufgenommen als zeitgenössische Architekturen. Dabei vertragen sich zukunftsweisende Interventionen besser mit alter Bausubstanz als plumpe Nachempfindungen. Dies beweisen zwei neue Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern.

Wie viel moderne Architektur verträgt eine Altstadt? Nicht erst durch den Verlust von Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg und die Flächensanierungen der fünfziger und sechziger Jahre ist in Deutschland ein heftiger Streit zwischen Traditionalisten und Erneuerern entbrannt. Die Wurzeln dieser Diskussion reichen bis in das ausgehende 19. Jahrhundert zurück, zur Konfrontation zwischen Historismus und Heimatschutzarchitektur. Derzeit weht der Moderne wieder einmal ein heftiger Wind entgegen. Während sich die stimmungsvolle Kopie eines verlorenen Fachwerkhauses oder die emotionsbeladene Rekonstruktion einer kriegszerstörten Kirche der Zustimmung des Publikums gewiss sein darf, kann die ambitionierte zeitgenössische Ergänzung eines historischen Altstadtensembles kaum auf Beifall hoffen. Die Ausnahme bilden Monostrukturen wie Einkaufszentren oder Warenhäuser. Sie sprengen zwar inzwischen auch in den neuen Ländern im Osten Deutschlands allzu oft die örtlichen Massstäbe, doch die öffentliche Aufregung über diese konfektionierte Investorenarchitektur hält sich in Grenzen. Hauptsache, sie bringt neben neuen Arbeitsplätzen und dringend benötigten Steuereinnahmen auch Gemütlichkeit mit Satteldach und Natursteintapete.

Dass die Ergänzung und Weiterentwicklung denkmalgeschützter Altstädte mit Mitteln moderner Architektur - trotz manchen Anfeindungen - dennoch möglich ist, beweisen zwei Beispiele in Mecklenburg-Vorpommern. Der vom Schweriner Architekturbüro Jäger + Jäger zusammen mit Joachim Brennecke realisierte neue Domhof in Schwerin liegt im mittelalterlich geprägten Kern der 125 000 Einwohner zählenden Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns. Gleich gegenüber den beiden Neubauten residiert das Landesamt für Denkmalpflege im ältesten erhaltenen Fachwerkhaus der Stadt. Anstelle einer historisierenden Anbiederung an die Umgebung entschied sich Gerd Jäger, Absolvent und später Assistent an der ETH Zürich, den Stadtraum durch zwei moderne Neubauten zu konturieren, die sich dennoch gefühlvoll in den Bestand einpassen. Ein angrenzendes Fachwerkhaus, dessen Kern aus dem 17. Jahrhundert stammte, wies eine derart schlechte Substanz auf, dass seine aus Tannenholz bestehenden Teile aufgegeben werden mussten. Übrig blieb ein kleines Fassadenfragment, das Jäger in seinen Neubau einfügte.

Die ursprüngliche Planung hatte vorgesehen, durch eine Blockschliessung an dieser Stelle einen schmalen Strassenverlauf zu schaffen. Dank einem Grundstückstausch mit der Stadt gelang es jedoch, das Baugrundstück so zurechtzuschneidern, dass sich die Strasse vor dem Domhof heute zu einem stimmungsvollen kleinen Platz weitet, der auch das historische Fachwerkgebäude des Landesamtes für Denkmalpflege besser zur Geltung kommen lässt. Die beiden neuen dreigeschossigen Baukörper mit ihrer rechteckigen Grundform nehmen die Kleinteiligkeit der umgebenden Bebauung auf, interpretieren sie aber auf unterschiedliche Weise. Das verlorene historische Fachwerkhaus wurde durch einen Neubau aus denselben Materialien ersetzt. Dessen oberstes Geschoss springt staffelartig zurück und weitet so den Platz auch nach oben. Der tragenden Holzkonstruktion im Inneren wurde eine Fassade aus Fachwerk und Backstein vorgeblendet. Ihr klarer, kubischer Raster hebt sich von traditionellen Fachwerkbauten ab. Durch Kreuzfugen, die an die Stelle des üblichen Backsteinverbundes treten, wird das Thema der vorgesetzten Fassade auch nach aussen sichtbar gemacht.

Ganz anders präsentiert sich der benachbarte Baukörper. Er scheint über einem vollständig in Glas aufgelösten Erdgeschoss zu schweben, hinter dem die Betonkonstruktion sichtbar wird. Seine beiden Obergeschosse schliessen plan an den gläsernen Sockel an. Deren Fassade aus rötlich lasierten Holztafeln nimmt in Farbe und Material Bezug auf das benachbarte Fachwerkhaus und hebt sich doch von ihm ab. Ihr einziges Relief erhält die glatte Fassadenoberfläche durch den Rücksprung der in zwei Segmente untergliederten Fenster. Ein schmaler Zwischenraum zwischen beiden Baukörpern dient als offenes Treppenhaus, das einen interessanten Materialkontrast aus rötlichen Holzplatten, einer Treppe aus Sichtbeton und dem stählernen Schutzgitter bietet.

Anders als in Schwerin stellt sich die Situation in der Hansestadt Stralsund dar. Hier hat Jasper Herrmann den Neubau seines Architekturateliers nicht in der ebenfalls aus dem Mittelalter stammenden Altstadt errichtet, sondern auf der vorgelagerten Hafeninsel. Direkt an der Ostsee und in Sichtweite der Insel Rügen gelegen, fügt sich das Gebäude in eine teilweise verwahrloste, teilweise bereits hergerichtete Umgebung ein. Sie wird durch kleine Wohnhäuser, gewaltige backsteinrote Speichergebäude und Lagerplätze geprägt.

Wie Jäger hat sich auch Herrmann bei seinem Neubau für einen Kontrast zur Umgebung entschieden. Sein schmales Haus, das insgesamt nur acht Meter breit ist, von denen zwei Meter für das Treppenhaus dienen, passt sich bescheiden zwischen seine Nachbarn ein und wahrt dabei die Massstäblichkeiten des Ortes. Doch mit seiner Farbigkeit und den verwendeten Baumaterialien Beton, Glas, Holz und Stahl hebt es sich deutlich von der Umgebung ab. Während die leuchtend rote Lasur der Holzfassade noch als eine Reverenz an die norddeutsche Backsteinarchitektur interpretiert werden kann, bieten die rapsgelbe Eingangstür und die als Treppenhaus dienende Glasfuge, die an das Nachbargebäude anschliesst und von innen heraus bläulich schimmert, ein klares Kontrastprogramm. Grosse Glasflächen sorgen für die luftig transparente Wirkung des Gebäudes. Seine konsequente Gestaltung setzt sich auch im Inneren fort. Sogartig zieht die einläufige Treppe den Besucher in die oberen Stockwerke. Den beiden Architekturateliers im ersten und zweiten Obergeschoss schliesst sich ein kleiner, Penthouse-artiger Dachaufbau an. Auch hier besticht die einfache Konstruktion aus tragendem Stahlrahmen und äusserer Holzverkleidung.

Mit seinem Ateliergebäude hat Herrmann im beschaulichen Stralsund mit seinen gut 70 000 Einwohnern einen mittleren Kulturschock ausgelöst. Doch für ihn sind die öffentlichen Vorbehalte gegenüber seiner Architektur unverständlich. Vielleicht verübelt man ihm sein Gebäude deshalb besonders, weil er bei der Instandsetzung des Stralsunder Rathauses mit seiner grossartigen Prunkfassade zum Marktplatz jahrelang vorbildliche Denkmalpflege betrieben hat. Der in Deutschland anzutreffende Glaube, dass eine historisierende Architektur der einzige Weg sei, um ein denkmalgeschütztes Ensemble zu ergänzen, und daher etwas mit Denkmalpflege zu tun habe, beruht auf einem grundsätzlichen Irrtum. Einzig die klare Trennung von historischem Bestand und moderner Ergänzung ermöglicht Lesbarkeit und Weiterentwicklung eines Denkmals. Das gilt auch für die Gestaltung des städtebaulichen Kontexts von Baudenkmälern. Dabei sollte freilich so einfühlsam und respektvoll auf deren Umfeld eingegangen werden wie bei den qualitätvollen Neubauten von Jäger und Herrmann in Schwerin und Stralsund.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2000.10.12

26. Juni 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Wie viel Staat braucht die Denkmalpflege?

Die Denkmalpflege ist heute in breiten Bevölkerungsschichten fest verankert. Dies zeigen die Erfolge der «Tage des offenen Denkmals», dies zeigte jüngst aber auch eine Abstimmung in Lugano, bei der sich die Mehrheit der Stimmenden für den Erhalt der Ruine des Palace-Hotels aussprach. Gleichwohl scheint es da und dort chic zu werden, gegen Baudenkmäler zu opponieren: in Zürich etwa gegen das Landesmuseum, ein Meisterwerk des Historismus. In Deutschland fordern manche Votanten eine Zurückdämmung des Denkmalschutzes.

Die Denkmalpflege ist heute in breiten Bevölkerungsschichten fest verankert. Dies zeigen die Erfolge der «Tage des offenen Denkmals», dies zeigte jüngst aber auch eine Abstimmung in Lugano, bei der sich die Mehrheit der Stimmenden für den Erhalt der Ruine des Palace-Hotels aussprach. Gleichwohl scheint es da und dort chic zu werden, gegen Baudenkmäler zu opponieren: in Zürich etwa gegen das Landesmuseum, ein Meisterwerk des Historismus. In Deutschland fordern manche Votanten eine Zurückdämmung des Denkmalschutzes.

Nur ein Vierteljahrhundert nach den triumphalen Erfolgen, die das «Europäische Jahr des Denkmalschutzes» 1975 für die öffentliche Akzeptanz der Denkmalpflege mit sich brachte, sind die Zeiten angesichts der leeren öffentlichen Kassen härter geworden. Gleichwohl löst die Beschäftigung mit den baulichen Zeugnissen unserer Vergangenheit bei vielen Menschen noch immer Faszination und Neugier aus. Denn die Auseinandersetzung mit unserer gebauten Umwelt rührt an den Wurzeln unser Identität. Jetzt hat der Stadttheoretiker Dieter Hoffmann-Axthelm, mit einem im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen erstellten Gutachten eine neue Diskussion über Sinn und Zweck der staatlichen Denkmalpflege eröffnet. Unter dem Titel «Kann die Denkmalpflege entstaatlicht werden?» plädiert der Autor in dem als Streitschrift bezeichneten Gutachten dafür, die Denkmalpflege zurückzustutzen. Nach seinen Vorstellungen sollte sie sich vor allem jener Monumente annehmen, die sich im Besitz des Staates befinden, und private Denkmalbesitzer mit ihren überzogenen Erhaltungsforderungen verschonen.


Hierarchisierung der Denkmalpflege

Hoffman-Axthelms höchst pointiertes Gutachten wartet mit einigen erstaunlichen Erkenntnissen auf. Die Erweiterung des Denkmalbegriffs, die der Autor nachdrücklich beklagt, führt ihn im Kapitel «Was soll man erhalten?» zurück zu einer Hierarchisierung der Denkmäler. Ein Wohnhaus stehe uns als Denkmal näher als eine Fabrik. Näher als das Wohnhaus aber stehe uns das Palais, das Schloss, die Burg und schliesslich die Kirche, «weil sie der sozusagen kollektivste Raum ist, den es gibt». Kollektivität als Denkmalwert ist in den Zeiten einer pluralistischen und individualisierten Gesellschaft ein bemerkenswerter Denkmalfaktor. Auch auf die Frage, was denn den Denkmalwert ausmache, weiss Hoffmann-Axthelm eine Antwort: «Es gibt kein unmittelbareres Mass für Denkmalwert als die Schönheit.»

Nun spielt der ebenso schillernde wie wandelbare Begriff der Schönheit in den Denkmalschutzgesetzen der deutschen Bundesländer mit guten Gründen eine untergeordnete Rolle. Stattdessen findet man dort den Hinweis, dass die künstlerische oder historische Bedeutung den Denkmalcharakter eines Bauwerks, eines Bodendenkmals oder einer Gartenanlage definiert. Doch gerade mit historischen Denkmälern - auch aus der Zeit des «Dritten Reichs» oder der DDR - vermag Hoffmann-Axthelm wenig anzufangen. Ebenso wenig mit der grossen Gruppe von Industrie- oder Gartendenkmälern, für die erst in den letzten zwanzig Jahren ein breiteres fachliches und öffentliches Interesse entstanden ist. So fordert Hoffmann-Axthelm anstelle einer alle Bereiche der Baukultur umfassenden staatlichen Denkmalpflege eine Konzentration auf die Erhaltung von Kirchen, Burgen und Schlössern, kurz auf alles, was einen Alterswert besitzt. Dabei plädiert er für ein verstärktes bürgerschaftliches Interesse und vertraut darauf, dass dann schon geschützt werde, was auch schützenswert sei. Was dagegen untergehe, verdiene es vermutlich auch. «Was kein Herz zerreisst - wozu soll es erhalten werden?»

Ganz neu sind Hoffmann-Axthelms Forderungen freilich nicht. Schon vor 20 Jahren hielt er in der Architekturzeitschrift «Arch+» ein «Plädoyer für die Abschaffung der Denkmalpflege». Mit seiner damaligen Behauptung: «Die Anzeichen mehren sich, dass die Denkmalpflege am Ende ist», lag er allerdings daneben. Schliesslich wurden inzwischen nicht nur zahlreiche neue Denkmalschutzgesetze verabschiedet und die Denkmalpflege damit auf eine feste juristische Basis gestellt. Mit der Entwicklung eines differenzierten Instrumentariums, das unter dem Schlagwort des Denkmalmanagements bekannt geworden ist, besitzt die Denkmalpflege erprobte Mittel, um auf die Fragen nach der Umnutzung und der Zukunftsfähigkeit von Denkmälern Antworten zu geben, die auch in den Augen von kühl rechnenden Investoren Bestand haben. Durch die Zusammenarbeit von Denkmalpflege und Investoren ist es in Ost- wie in Westdeutschland gelungen, nicht nur historische Innenstädte wieder zu beleben, sondern auch zahlreiche Industriebrachen. Längst ist der Denkmalschutz vielerorts zu einem Motor für eine erfolgreiche und zukunftsorientierte Standortpolitik geworden. Das vielfach beschworene Bild, dass funktionslose Baudenkmäler bestenfalls in Museen umgewandelt werden können, führt an der Wirklichkeit vorbei.


Denkmalschutz und Standortpolitik

Die von Hoffmann-Axthelm beklagte Erweiterung des Denkmalbegriffes ist die logische Antwort auf den rasanten Wandel unseres kulturellen Umfeldes in den letzten 150 Jahren. In der Vielfalt der Denkmallisten spiegeln sich die rasante Entwicklung und die Komplexität unserer Gesellschaft. Dennoch gibt es durchaus Diskussionsbedarf in der Denkmalpflege - gerade im Hinblick auf die Fülle der Aufgaben im Osten Deutschlands, wo die Denkmalpflege bis 1989 häufig gezwungen war, lediglich den Untergang der Denkmäler zu verwalten. Die neuen Bundesländer liegen denn auch der Auftraggeberin der Streitschrift, der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer (Bündnis 90 / Die Grünen), besonders am Herzen. Im Nachgang zu Hoffmann-Axthelms Gutachten hat sie nun 12 Thesen zum Denkmalschutz veröffentlicht. Etwas gemildert in der Form, betrachten diese Thesen das vermeintliche Sammeln «von typischen Baudenkmälern bestimmter Epochen» dennoch mit Argwohn. Bei der lapidaren Feststellung, dass das Kriterium für einen erfolgreichen Denkmalschutz nicht daran festgemacht werden könne, wie viel unter Schutz gestellt wird, sondern daran, wie viel erhalten wird, handelt es sich um eine Binsenweisheit.

Die Behauptung allerdings, weniger könne dabei mehr sein, muss wie Hohn in den Ohren derer klingen, die in den Landesdenkmalämtern für den Erhalt einer Vielfalt von Zeugnissen der jüngeren und älteren Vergangenheit streiten. Als staatliche Institution ist die Denkmalpflege nicht zuletzt auch an parteipolitisch motivierte Weisungen gebunden. Allzu oft muss sie daher entgegen ihren eigenen Erkenntnissen und Interessen handeln. Kontinuierlich zurückgefahrene Denkmalpflege- Etats bewirken ein Übriges, um die so wichtige Position der Denkmalpflege zu schwächen. Insofern kann man dem von Vollmer formulierten Wunsch, es möge zu einer neuen Dialogkultur zwischen Denkmalschützern und Bürgern kommen, nur zustimmen. Denkmäler brauchen nicht nur ein wissenschaftliches, sondern ein breit gefächertes Bürgerinteresse. Hier muss die Denkmalpflege durch zusätzliche Information weitere Hilfestellungen leisten - nicht nur an den «Tagen des offenen Denkmals» mit einem Ansturm an begeisterten Besuchern.

Das bereits vorhandene vielfältige ideelle, aber auch finanzielle Engagement von Einzelpersonen und Gruppen für «ihr» Denkmal muss weiter gestärkt werden. Ein Mittel, dies zu erreichen, wäre die Einführung der Möglichkeit zur Verbandsklage für den Erhalt von Denkmälern - analog zum Naturschutz- und Umweltrecht. Sie böte die Chance, den gegenwärtigen Dualismus zwischen staatlicher Denkmalpflege und jeweiligem Eigentümer aufzubrechen. Bürgerschaftliches Engagement und öffentliches Denkmalinteresse erhielten so eine noch wirkungsvollere Basis.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2000.06.26

01. April 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Moderne und «Tradition»

Die private und berufliche Kontinuität deutscher Architekten von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis in die Nachkriegszeit gehört zu jenen Gebieten der deutschen Architekturgeschichte, die in den letzten Jahren mit besonderer Sorgfalt untersucht wurden. Dass auf diesem Sektor dennoch weiterhin Entdeckungen möglich sind, beweist die Arbeit von Gabriele Wiesemann über Hanns Hopp (1890-1971). Mit ihrem kommentierenden Essay im Reprint des «Neue Werkkunst»-Bandes über Hopp aus dem Jahr 1929 unternahm die Autorin bereits 1998 einen ersten verdienstvollen Schritt, um die Rezeption Hopps in Gang zu bringen.

Die private und berufliche Kontinuität deutscher Architekten von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis in die Nachkriegszeit gehört zu jenen Gebieten der deutschen Architekturgeschichte, die in den letzten Jahren mit besonderer Sorgfalt untersucht wurden. Dass auf diesem Sektor dennoch weiterhin Entdeckungen möglich sind, beweist die Arbeit von Gabriele Wiesemann über Hanns Hopp (1890-1971). Mit ihrem kommentierenden Essay im Reprint des «Neue Werkkunst»-Bandes über Hopp aus dem Jahr 1929 unternahm die Autorin bereits 1998 einen ersten verdienstvollen Schritt, um die Rezeption Hopps in Gang zu bringen.

Dass der Name Hopp heute selbst unter Architekturkennern nahezu unbekannt ist, liegt daran, dass seine wichtigsten Arbeiten in zwei Städten entstanden, die bis 1990 abseits der Trampelpfade architekturwissenschaftlicher Forschung lagen: Königsberg und Ostberlin. Nach expressionistischen Anfängen etablierte sich der ebenso kunstsinnige wie ehrgeizige Bildungsbürger Hopp in den zwanziger Jahren als freier Architekt in Königsberg, wo bis 1933 kaum ein öffentlicher Auftrag an ihm vorbeiging. Mit seiner Mädchengewerbeschule und dem Königsberger Parkhotel (beide 1929/30), bei denen er sich aus dem Stilfundus des Neuen Bauens bediente, machte er sich in Deutschland einen Namen als fortschrittlicher Architekt. Trotz seiner exponierten Rolle in Königsberg konnte Hopp im Dritten Reich nach einer kurzen Zeit der Anfeindungen als Privatarchitekt weiterarbeiten. Öffentliche Aufträge erhielt er jedoch nicht mehr.

Hopps zweite Karriere begann mit seiner Flucht aus Königsberg. Sein steiler Aufstieg in der sowjetischen Besatzungszone und der jungen DDR führte Hopp über Dresden und Halle, wo er zum Leiter der Burg Giebichenstein aufstieg, bis nach Berlin. Zunächst im Institut für Städtebau und Hochbau im Ministerium für Aufbau (1950) beschäftigt, arbeitete er im folgenden Jahr in der neu gegründeten Bauakademie, wo er sich als Leiter einer der drei Meisterwerkstätten neben Richard Paulick und Hermann Henselmann als führender Architekt des Staates etablierte.

Chamäleonhaft wechselte der Duktus in Hopps Arbeiten. Seine Wiederaufbauvision für Dresden 1945 stand mit ihrem strengen Hochhausraster noch ganz im Zeichen Le Corbusiers. Mit dem Kulturhaus Maxhütte (1955), den Tbc-Heilstätten in Bad Berka (1957) und vor allem bei den Abschnitten E und G der Berliner Stalinallee (1955) verstand er es, sich dem politisch verordneten Stil der «nationalen Tradition» im Geiste Schinkels anzupassen. Zwar unterstreicht Wiesemann, dass sich Hopp nicht diskussionslos den Forderungen der Partei unterwarf, doch ging es ihm nicht anders als den meisten seiner Kollegen. Wollte er seine privilegierte Position in der DDR nicht gefährden, mit der er sich grundsätzlich identifizierte, war offener Widerspruch gefährlich.

Einziger Kritikpunkt an der umfangreich recherchierten und vorzüglich ausgestatteten Studie Wiesemanns ist, dass Hopps Persönlichkeit und seine ästhetischen Grundsätze seltsam unscharf bleiben. Diese Indifferenz könnte freilich auch zu den Wesenszügen des Machtmenschen Hanns Hopp gehört haben, ohne die er sich nicht so erfolgreich in unterschiedlichen politischen Systemen hätte behaupten können.


[ Hanns Hopp. Ein Architekt in Ostpreussen. (Reprint der Ausgabe von 1929.) Nachwort Gabriele Wiesemann. Gebr.- Mann-Verlag, Berlin 1998. Fr. 114.-. - Gabriele Wiesemann: Hanns Hopp 1890-1971. Eine biographische Studie zur modernen Architektur. Verlag Thomas Helms. 312 S., Fr. 128.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.04.01

16. März 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Umnutzung alter Bauten

Längst gehört Bauen im Bestand nicht mehr zu den lästigen Pflichten von Architekten, denen es lieber wäre, prestigeträchtige Neubauten zu verwirklichen....

Längst gehört Bauen im Bestand nicht mehr zu den lästigen Pflichten von Architekten, denen es lieber wäre, prestigeträchtige Neubauten zu verwirklichen....

Längst gehört Bauen im Bestand nicht mehr zu den lästigen Pflichten von Architekten, denen es lieber wäre, prestigeträchtige Neubauten zu verwirklichen. Inzwischen sind Restaurierung und Ergänzung historischer Bauten selbst bei renommierten Baukünstlern Teil des Alltagsgeschäfts. Dank einem stetig wachsenden öffentlichen Bewusstsein für Bedeutung und Qualität historischer Gebäude aus unterschiedlichsten Epochen werden heute zahlreiche Bauten erhalten und umgenutzt, die vor zwanzig Jahren noch dem «Fortschritt» geopfert worden wären.

In seinem Buch «Bauen im Bestand» stellt Kenneth Powell eine Auswahl solcher Synthesen aus Alt und Neu vor, die in den letzten 15 Jahren in aller Welt realisiert wurden. Der Bogen reicht vom Turiner Lingotto-Gebäude von Fiat, das Renzo Piano hergerichtet hat, über eine ehemalige Aachener Schirmfabrik, die Eller + Eller in das Ludwig-Forum für internationale Kunst verwandelt haben, bis zum Umbau eines Kutschenhauses in Edinburg zu Wohnzwecken durch Richard Murphy. Vier thematische Schwerpunkte setzt Powell: Wohnen und Arbeiten, Freizeit und Lehre, Museum als Umbau und Blick in die Zukunft als Abschluss des Bandes.

Angesichts der gewachsenen Bedeutung von Umbauprojekten weltweit müsste Powells Auswahl vorgestellter Objekte exemplarisch sein. Problematisch jedoch ist, dass seine Kriterien bei der Beurteilung der Projekte unscharf bleiben. Die Frage nach einem denkmalgerechten Umgang mit der Bausubstanz hätte weitaus differenzierter diskutiert werden können. Die wenigsten Denkmalpfleger sehen sich als «Kreuzritter», wie Powell in seiner Einleitung etwas überspitzt behauptet. Auch seine Feststellung, dass heute nicht mehr die Erhaltung von Architektur das wichtigste Ziel sei, sondern vor allem ihre Transformation, setzt einen falschen Schwerpunkt, denn sie öffnet einer Reduzierung historischer Bausubstanz zur blossen Dekoration Tür und Tor. Historische Architektur kann aber nur dann erfolgreich umgenutzt werden, wenn unter ihrer neuen Funktion die ursprünglichen Schichten des Gebäudes erkennbar bleiben und nicht nur zum Anhängsel von neuer Nutzung und zeitgenössischer Erweiterung degradiert werden.

Qualitätvolles Bauen im Bestand wird durch eine differenzierte Instandsetzung gekennzeichnet, die es in einem zweiten Schritt durch eine eigene, denkmalgerechte Architektur weiterzuentwickeln gilt. Solch anspruchsvollen Kriterien genügen jedoch längst nicht alle Projekte, die Powell vorstellt - vor allem ausserhalb Europas. Regelrecht ärgerlich wird das Buch, wenn Powell behauptet, der Berliner Reichstag sei seit den fünfziger Jahren nur provisorisch hergerichtet worden. Der heute verlorene Wiederaufbau des Reichstages - ein durchaus streitbares Beispiel für das Bauen im Bestand in der Nachkriegszeit - stammte schliesslich aus der Hand Paul Baumgartens, eines der bedeutendsten deutschen Architekten nach 1945.


[ Kenneth Powell: Bauen im Bestand. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1999. 256 S., 253 Abb., Fr. 131.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2000.03.16

04. Februar 2000Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Sinn und Sinnlichkeit

In den vergangenen Jahren haben die Berliner Architekten Hilde Léon, Konrad Wohlhage und Siegfried Wernik mit einer Schulerweiterung, der Bremer Landesvertretung und einer Siedlung aus dem Mittelmass der hauptstädtischen Architektur herausragende Bauten geschaffen, bei denen Strenge und Anmut auf inspirierende Weise zusammenklingen.

In den vergangenen Jahren haben die Berliner Architekten Hilde Léon, Konrad Wohlhage und Siegfried Wernik mit einer Schulerweiterung, der Bremer Landesvertretung und einer Siedlung aus dem Mittelmass der hauptstädtischen Architektur herausragende Bauten geschaffen, bei denen Strenge und Anmut auf inspirierende Weise zusammenklingen.

Gelungene Architektur zeichnet sich oft dadurch aus, dass sie im Kontext mit ihrer Umgebung entsteht. Sie entwickelt vorgegebene räumliche und bauliche Voraussetzungen weiter und sei es dadurch, dass sie ihnen einen klaren Kontrast entgegenstellt. Die in den letzten Jahren verwirklichten Projekte der Berliner Architekten Hilde Léon, Konrad Wohlhage und Siegfried Wernik lösen diesen hohen Anspruch ein. Alle hier vorgestellten Projekte eint ein feines Gespür der Architekten für Akzente, die dem jeweiligen Stadtraum architektonisch angemessen sind. Dabei sind ebenso sinnliche wie überzeugend funktionale Gebäude entstanden, die durch ihre Eigenständigkeit die räumlichen und historischen Bezüge zur Umgebung weiterentwickeln.


Sinnlichkeit und Funktionalität

Erstes fertiggestelltes Projekt dieser Werkgruppe war das 1998 eingeweihte Oberstufenzentrum für Sozialversicherung in Berlin-Köpenick, das einem repräsentativen Ziegelgebäude der Jahrhundertwende als Erweiterung dient. Eine luftige Galerie aus Stahl und Glas verbindet Alt- und Neubau miteinander. Auf den ersten Blick wirkt die neue Schule wie eine unspektakuläre Kiste. Doch bereits ihre leicht versetzte Position neben dem Altbau lässt aufmerken, gelingt es den Architekten doch dadurch, unterschiedliche Hofräume mit jeweils ganz eigenem Charakter neben und vor den Gebäuden zu definieren. Die nächste Überraschung bietet die orangefarbene Fassade. Ihr lasierend aufgetragener Anstrich entfaltet die Wirkung eines Aquarells. Dadurch entstehen optisch bewegte Wandflächen, die die skulpturhafte Behandlung des Baukörpers unterstützen. Fensteröffnungen und Rücksprünge in der Fassade wirken, als seien sie aus der Baumasse herausgeschält. Das Ergebnis ist - trotz der rechteckigen Grundform des Gebäudes - ein äusserst lebendiger Baukörper.

Die zweigeschossige Eingangshalle mit ihrem schwarzen Boden aus Asphalt dient als offener Verteiler für das umfangreiche Raumprogramm der Erweiterung. Wenige Stufen führen zur grosszügigen Mensa mit ihrem freundlichen Farbkonzept hinab, während eine mit hellem Ahornholz verkleidete Wand zu der sich seitlich anschliessenden Bibliothek hinleitet. Davon hebt sich der Sichtbeton ab, der u. a. an den Decken Verwendung findet. Das vollständig in Sichtbeton ausgeführte Treppenhaus vermittelt zwischen den unterschiedlichen Raumhöhen in Alt- und Neubau. Ein gutes Beispiel für die Bedeutung, die Materialverwendung und Farbigkeit in der Architektur von Léon, Wohlhage und Wernik zukommt, gibt die von Tageslicht durchflutete Turnhalle. Ihre schlichten Wandpaneele aus Holz wurden durch einen knallgelben Anstrich und eine asymmetrische Verteilung über die Wand nobilitiert. Durch die über das Gebäude verteilten «Sehnsuchts-Nischen» der Videoinstallationen von Ulrike Böhme wird die stimmige Aura dieses stets kunstvollen, aber an keiner Stelle künstlich wirkenden Schulgebäudes auf den Punkt gebracht. Schon dem eintretenden Besucher klingen tropfende und plätschernde Geräusche entgegen. Sie stammen von einem meditativen Video, das unter einem Bullauge im Boden der offenen Galerie der Eingangshalle zu sehen ist: Wasser strömt über ein steinernes Bachbett.

Wie das Oberstufenzentrum für Sozialversicherung weckt auch die kürzlich fertiggestellte Bremer Landesvertretung in Berlin südliche Gefühle. Der orangefarbenen Fassade in Köpenick steht bei der nahe dem Tiergarten errichteten Landesvertretung ein kräftiges Rot gegenüber. Auch hier sorgt die Lasurtechnik des Farbauftrags für eine bewegt wirkende Fassadenoberfläche, die ihre Tönung mit dem Wandel des Tageslichts verändert. Die Entscheidung für die rote Fassade erweist sich freilich nicht allein als sympathischer Farbtupfer im Stadtbild, sondern führt in die Stadtgeschichte hinab. Im Rahmen der nationalsozialistischen Umbauplanungen für Berlin verwandelte die Generalbauinspektion Albert Speers das Tiergartenviertel vom charakteristischen Wohn- und Villengebiet zum neuen Diplomatenviertel. Als Relikt dieser Planung steht der Bremer Landesvertretung am anderen Ende der Hiroshimastrasse die italienische Botschaft mit ihrer inzwischen ausgeblichenen roten Palastfassade gegenüber. Dem laut tönenden Pathos dieses in den Jahren 1938/42 von Friedrich Hetzelt errichteten Baudenkmals haben Léon, Wohlhage und Wernik mit der Bremer Landesvertretung eine feinfühlige Mischung aus Repräsentation und Zurückhaltung gegenübergesetzt.

Neben der Bezugnahme in der Fassadenfarbe wartet die Bremer Landesvertretung noch mit weiteren italienischen Momenten auf. Dazu zählt der als Gästehaus dienende elegante Turm, der die Landesvertretung zum Landwehrkanal hin abschliesst. Irgendwann einmal soll er sich in eine geschlossene Bebauung entlang des Kanals einfügen. Derzeit wirkt er als Solitär ein bisschen wie ein toskanischer Geschlechterturm. Dem vertikalen Turmhaus steht der horizontal lagernde Repräsentations- und Bürotrakt der Landesvertretung zur Seite, der sich tief in das Grundstück hineinzieht. Eine kleine steinerne Terrasse hebt beide Bauteile über das Niveau der Strasse hinaus und definiert einen stimmungsvollen Empfangsraum, durch den eine Überleitung vom öffentlichen Raum zum Gebäude entsteht. Der langgestreckte Baukörper der Landesvertretung mit seinem grüngläsernen Eingangsbereich erweist sich als Variation des aus Köpenick bekannten Themas: unterschiedliche Fensterformate zeichnen ein graphisches Fassadenmuster, während die Loggien wirken, als seien sie aus der Tiefe der Baumasse herausgeschält.

Insgesamt wirkt die Bremer Landesvertretung noch raffinierter in der Raumentwicklung als die Köpenicker Schule. Vom Eingang aus sieht der Besucher durch das gesamte Gebäude bis in den Garten. In das Erdgeschoss sind drei quadratische Räume eingestellt, die als Pförtnerloge, «Bremer Club» und Frühstücksraum dienen. Durch diese drei freistehenden Kompartimente, die sich bewusst nach innen richten, wird das übrige Erdgeschoss zu einer variabel gestaltbaren Abfolge von sich verjüngenden und weitenden Repräsentationsräumen. Ihren Höhepunkt bildet der abschliessende grosse Gartensaal. Von ihm aus wandert der Blick über die Terrasse bis in den in Ebenen gestaffelten Garten, den ein seitliches Wasserbecken begrenzt. Strenge und Anmut fallen hier auf inspirierende Weise zusammen. - Den für das Oberstufenzentrum charakteristischen Kontrast zwischen Farben und Materialien zeichnet auch die Landesvertretung aus. Treppenhaus und Küche sind in einem Sichtbetonriegel untergebracht. Gleich einem massiven Rückgrat zieht er sich auch durch die übrigen Stockwerke des Gebäudes, die mit Büros belegt sind.


Ambitiöses Raum- und Farbkonzept

Dass es möglich ist, ein derart ambitiöses Raum- und Farbkonzept auch auf Wohnsiedlungen auszudehnen, ohne dabei das meist knapp bemessene Budget der «Häuslebauer» zu überfordern, zeigen die Siedlungsbauten von Léon, Wohlhage und Wernik, die in einem wenig strukturierten Gebiet von Biesdorf im Osten der Stadt entstehen. Inmitten eines Flickenteppichs architektonischer Belanglosigkeiten, die sich mit Satteldach und Jägerzaun zieren, konnte inzwischen der erste Bauabschnitt der Siedlung fertiggestellt und bezogen werden. Mehrere Haustypen, die für unterschiedliche Familiengrössen vorgesehen sind, gewährleisten ebenso wie die versetzte Anordnung der Zeilen Abwechslung.

Die auch hier verwirklichte aufwendige Fassadengestaltung mit lasierendem Farbauftrag sowie der Verzicht auf Sattel- und Walmdach hebt die Häuser deutlich von ihrer kleinbürgerlichen Umgebung ab. Es entsteht ein in Höhe und Tiefe modellierter Stadtraum mit dem Charakter einer toskanischen Feriensiedlung. Auch hier überzeugt der Blick auf das architektonische Detail. Die knappen Grundrisse wurden von überflüssigen Trennwänden befreit, ein zentraler Versorgungs- und Erschliessungskern mit Küche, Bad und Treppe unterteilt die Häuser in einen vorderen und einen rückwärtigen Bereich. Alle weiteren Gestaltungseingriffe bleiben den künftigen Besitzern überlassen. Zum kleinen Garten hin öffnen sich die Häuser mit weiten Fensterflächen. Die sicher über die Seitenwände verteilten französischen Fenster lassen die Hauswände wie eine Meditation über das Verhältnis von offener zu geschlossener Wandfläche erscheinen. Dunkle Fensterläden aus Holz unterstreichen den südlichen Charme des Ensembles, der den Feierabend gleichsam zum Ferienbeginn werden lässt.

Die skulpturale Behandlung fügt diese drei Lösungen zu einer anspruchsvollen Gruppe von Raumkunstwerken zusammen, die ihre Wirkung freilich nicht auf den ersten flüchtigen Blick preisgibt. Die vielschichtige Gestalt entfalten die Bauten erst nach und nach, und ihre Sinnlichkeit bezüglich der Wirkung von Raum und Material will erforscht und erkundet werden.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.02.04

03. Dezember 1999Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Architektonischer Aufbruch in Leipzig

Leipzigs Ruhm hat viele Gründe. Als Ort der Mustermesse und als frühe deutsche Industriemetropole wurde hier europäische Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Das hat nachhaltige Spuren im Stadtbild hinterlassen. Nun wird in Leipzig an einer neuen Stadt gebaut.

Leipzigs Ruhm hat viele Gründe. Als Ort der Mustermesse und als frühe deutsche Industriemetropole wurde hier europäische Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Das hat nachhaltige Spuren im Stadtbild hinterlassen. Nun wird in Leipzig an einer neuen Stadt gebaut.

Seit der Wende war man in der als «Boomtown» titulierten Stadt Leipzig vor allem darum bemüht, die tiefen Wunden zu heilen, die der Zweite Weltkrieg und manche Planungsfehler aus der Zeit des sozialistischen Wiederaufbaus dem Stadtorganismus zugefügt hatten. Das Ergebnis dieser Bemühungen zeigt ein weit gefächertes Spektrum unterschiedlichster Lösungen. Sie reichen von der architektonischen Massenware, die vorwiegend von westdeutschen Architekturbüros stammt, über den behutsamen Umgang mit historischer Bausubstanz aus unterschiedlichen Epochen bis zu einem kraftvoll mutigen Bekenntnis zum Neuen. Freilich zeigt sich auch in Leipzig der von der sächsischen Denkmalpflege gern kultivierte Hang zur Rekonstruktion verlorener Baudenkmäler. Er nimmt hier allerdings nicht jene beängstigenden Formen an wie in Dresden.


Der Bahnhof als Shopping-Center

Was die beiden ungleichen sächsischen Schwestern Dresden und Leipzig dagegen eint, das ist die Sehnsucht nach dem historischen Stadtbild, das im 20. Jahrhundert beschädigt wurde. Wo immer möglich, versucht man es zurückzugewinnen. Städtebauliche Brachen der Nachkriegszeit sollen geschlossen werden, so wie im Fall des Sachsenplatzes, der einst Teil der eng bebauten Stadt war. Hier wird in den nächsten Jahren nach dem Entwurf der Berliner Architekten Hufnagel, Pütz und Rafaelian ein gläserner Neubau für das Leipziger Museum der bildenden Künste entstehen, dessen Modell an die Handschrift von Peter Zumthor oder Herzog & de Meuron erinnert. Das Museum soll von einer Randbebauung eingefasst werden, damit die historische Dimension der Stadt wieder entsteht.

Wie sensibel das Verhältnis von alt und neu in Leipzig ist, das zeigt sich jedem, der mit der Bahn in die Messemetropole reist. Der Leipziger Hauptbahnhof galt bei seiner Entstehung 1902 bis 1915 nach Entwürfen der Dresdener Architekten William Lossow und Max Hans Kühne als der grösste Kopfbahnhof Europas. Mit seiner für jene Zeit hochmodernen Eisenbetontechnologie zeigte er die klare Formensprache des beruhigten Neoklassizismus der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Wie kein anderes Bauwerk untermauerte er den Anspruch Leipzigs, als Metropole von europäischem Rang zu gelten. Nach schwerer Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut, avancierte der Bahnhof in der Nachwendezeit zum heftig umstrittenen Renommierprojekt.

Vom Perron aus scheint das majestätische Baudenkmal noch intakt zu sein. Ein beeindruckendes Geflecht aus Stahl, Glas und Holz, das derzeit bei laufendem Bahnbetrieb hergerichtet wird, breitet sich schützend über den Gleisen aus. Doch je mehr man sich der rund 300 Meter langen Querhalle nähert, von der aus die 26 Bahnsteige erschlossen werden, desto nachhaltiger zeigen sich die Kennzeichen der hemmungslosen Kommerzialisierung des späten 20. Jahrhunderts. Seit der Restaurierung 1995-1997 durch das Düsseldorfer Architekturbüro HPP Hentrich, Petschnigg und Partner sind die weiten Bogenstellungen, die den Übergang von den Bahnsteigen zur Querhalle markieren, teilweise durch Glaswände geschlossen. An die Stelle der räumlichen Einheit ist eine optische Trennung getreten. Weit gravierender aber ist die Umgestaltung der Querhalle. In ihren Boden wurde eine linsenförmige Öffnung gerissen, die nun den Blick auf drei Ebenen eines Shopping-Centers freigibt. Zwei gläserne Fahrstuhltürme, die als Werbeflächen genutzt werden, ragen aus der Tiefe empor und schaffen einen wenig sensiblen Kontrast zu den unterschiedlichen historischen Schichten der Raumhülle.

Das gut 110 Millionen Franken teure Projekt verdeutlicht die Kernproblematik Leipzigs, die sich freilich auf die meisten deutschen Städte übertragen lässt. Ohne massive Eingriffe in den historischen Bestand sind Baudenkmale nur mühsam wirtschaftlich nutzbar zu machen. Unwirtschaftliche Architektur aber, so grossartig und einzigartig sie wie im Fall des Leipziger Hauptbahnhofs auch sein mag, hat langfristig kaum eine Chance zu überdauern. Die grosse Vision eines uneingeschränkten Bekenntnisses zum historischen Bauerbe, das seinem Besitzer auch Kosten verursachen darf, wurde schon längst ad acta gelegt. An ihre Stelle ist der zermürbende Kampf ambitionierter Denkmalpfleger getreten, die versuchen, trotz massiven baulichen Veränderungen der Bauwerke, durch die Funktion und Bedeutung des Denkmals verfälscht werden, etwas von dessen einstiger Qualität zu bewahren.

Wie Veränderungen und Ergänzungen eines historischen Baus eine höchst qualitätvolle Synthese aus Alt und Neu erzielen können, zeigt hingegen die gegenüber der Nicolaikirche im Zentrum Leipzigs gelegene Alte Nicolaischule. Hier hat die Architektengemeinschaft Rüdiger Sudau, Hinrich Storch und Walther Ehlers 1992-1994 für Leipzig einen Weg aufgezeigt, wie Beton, Stahl und Glas ein historisches Bauwerk gewinnbringend um eine neue Schicht ergänzen können.

Ebenfalls vor der Herausforderung, Altes und Neues für eine veränderte Nutzung verbinden zu müssen, stand Peter Kulka bei der Restaurierung und dem Umbau der Herfurthschen Villa und des benachbarten Kutscherhauses für die Leipziger Galerie der zeitgenössischen Kunst. Idyllisch im Grün eingebettet liegt die Galerie am westlichen Rand des Musikviertels unweit des ehemaligen Reichsgerichts, das derzeit als Sitz des Bundesverwaltungsgerichts hergerichtet wird. Klar trennt Kulka den historischen Bestand der um 1893 erbauten Villa von der zeitgenössischen Erweiterung ab. Den eleganten Formen des spätklassizistischen Sandsteinbaus setzt er einen Kubus entgegen, der mit grauen Zementfaserplatten verkleidet wird. So wirkt der Altbau zur Gartenseite hin wie in den Klammergriff genommen. Bewusst wird die Spannung zwischen dem kleinteiligen Altbau und der kompakt wirkenden Erweiterung betont. Solch harter Kontrast kommt letztlich beiden Bauteilen zugute. Der Blick für das architektonische Detail wird geschärft und die Wirkung des Gesamtensembles durch den Verzicht auf eine nivellierende Verschmelzung der Bauphasen gesteigert. - Mit Blick auf Kulkas kreativen Umgang mit der Villa ist man gespannt auf seinen Versuch, der Ruine des Bayerischen Bahnhofs - einem der ersten Kopfbahnhöfe in Deutschland - neues Leben einzuhauchen. Während unterirdisch dort ein neuer S-Bahnhof entsteht, sollen die stillgelegten oberirdischen Teile des Bahnhofs langfristig Teil eines Bürgerparks werden.

Selbst an den Stellen, an denen man sich in Leipzig für einen Bruch mit der Vergangenheit entschied und historische Bausubstanz durch Neubauten ersetzte, blieb die Auseinandersetzung mit dem Kontext ein zentrales Thema. Die gläsernen Messepaläste von von Gerkan, Marg und Partner vor den Toren der Stadt sind zum Symbol des aufstrebenden Leipzig geworden. Doch auch im Bereich der Altstadt sind einige bemerkenswerte Neubauten entstanden, die ein Gegengewicht zur Investorenarchitektur der Nachwendezeit schaffen. Dazu gehören die Gebäude des Düsseldorfer Architekturbüros Eller und Eller in der Peterstrasse. Das Concentra-Haus, Zeugnis der moderaten Moderne der zwanziger Jahre, wurde behutsam hergerichtet. Die Farbgebung im Inneren folgt dem Befund der denkmalpflegerischen Untersuchung. Eine stählerne Kolonnade, die dem Gebäude vorgelegt wurde, schafft dagegen einen bewussten Kontrast zur sonst steinernen Architektur des Hauses. Als ergänzende Schicht ist sie ein Hinweis auf die zeitgenössische Weiterentwicklung des Gebäudes.

Der Neubau des benachbarten «Goldenen Arms», benannt nach einem bis ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Gasthof, bricht radikal mit der steinernen Architektur der Altstadt. Entstanden ist ein Glashaus, das in das tiefe Grundstück hineinreicht. Die Fassade knüpft an die Tradition der gläsernen Kaufhäuser seit der Jahrhundertwende an. Ihre horizontale Gliederung erinnert an die Fassade des Vorgängerbaus. Im ersten und zweiten Obergeschoss schiebt sich ein Glaskubus in den Strassenraum vor. Seine Schrägstellung ist keineswegs eine beliebige Belebung der Kaufhausfassade. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, in dem Neubau die historische Bauflucht der Peterstrasse wieder aufzunehmen, die durch die Neubauten des 19. Jahrhunderts verschoben wurde. Von unten nicht wahrnehmbar, verbirgt sich auf dem Dach des «Goldenen Arms» eine fast dörflich anmutende Wohnlandschaft, die sich entlang eines offenen Hofes entwickelt.


Schimmerndes Glashaus

Auch das Frankfurter Architekturbüro Schumacher und Schneider hat bei seinem Büro- und Geschäftshaus für die Deutsche Treuhand-Gesellschaft KPMG die Glasarchitektur zum Thema gemacht. Mit dem Neubau ist inmitten der steinernen Bebauung aus der Gründerzeit am südlichen Rand des Altstadtrings ein luftiges Schmuckstück entstanden. Markant pointiert eine abgerundete Ecksituation das Zusammentreffen von Beethovenstrasse und Münzgasse. Geschossbänder verleihen dem Bau eine klare horizontale Gliederung. Vor allem zur Beethovenstrasse hin erweist sich die Baumasse durch den eingeschobenen Treppenhausturm als geschickt gestaffelt. Dadurch wird die historische Parzellenstruktur aufgegriffen. Trotz dem signifikanten Materialunterschied fügt sich der Baukörper harmonisch in seine Umgebung ein. Gemildert wird der Materialkontrast teils durch Lamellen, mit denen an die Nachbarfassade angeschlossen wird, teils durch den als Sonnenschutz notwendigen Siebdruck auf dem Glas.

In skulpturaler Manier mäandert die Treppenanlage mit ihren halbrunden Podesten von Stockwerk zu Stockwerk empor. Die Büros, die in den beiden Gebäudeflügeln entlang der Münzgasse und eines Hofes untergebracht sind, öffnen sich zum Atrium ebenfalls mit gläsernen Wänden. Doch statt dass dadurch eine banale Transparenz erzeugt wird, lässt der rote Teppichboden, der sich auf allen Ebenen findet, ein geheimnisvolles Schimmern durch das Gebäude gleiten. Das KPMG-Gebäude von Schumacher und Schneider ist sicher einer der Höhepunkte des neuen Bauens in Leipzig. Ein Gebäude, das mehr ist als eine schicke Hülle. Wenn der Besucher im Atrium des KPMG-Gebäudes seinen Blick schweifen lässt, dann kommt ihm ein Begriff in den Sinn, der selten geworden ist: Baukultur. Die beiden Frankfurter Architekten haben ein Haus geschaffen, das weit jenseits des architektonischen Einerleis angesiedelt ist. Ein Glücksfall für Leipzig. Die Qualität des Gebäudes sollte der Stadt den Weg weisen, auf dem sie - trotz den wirtschaftlich angespannten Zeiten - bei ihrer Identitätsfindung zwischen Alt und Neu fortschreiten sollte.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.12.03

27. November 1999Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Zweimal Mies van der Rohe

Fünfzig Jahre ist es her, dass Ludwig Mies van der Rohe die Lake Shore Drive Apartments (1948-51) in Chicago gebaut hat. Die beiden Hochhäuser aus Stahl...

Fünfzig Jahre ist es her, dass Ludwig Mies van der Rohe die Lake Shore Drive Apartments (1948-51) in Chicago gebaut hat. Die beiden Hochhäuser aus Stahl...

Fünfzig Jahre ist es her, dass Ludwig Mies van der Rohe die Lake Shore Drive Apartments (1948-51) in Chicago gebaut hat. Die beiden Hochhäuser aus Stahl und Glas waren die spektakuläre Verwirklichung seiner bereits in den zwanziger Jahren gehegten Visionen. Nun wirft Werner Blaser in seiner Baumonographie einen Blick zurück auf die beiden Wohntürme und ihren Architekten, der vor dreissig Jahren starb. Masami Takayama, selber Architekt und Bewohner eines der Apartments am Michigan-See, berichtet über die Mängel der Hochhäuser, die heute längst nicht mehr dem neusten Stand der Technik entsprechen. Bei starkem Wind schwanken sie, und der Aufzug ist viel zu langsam. Doch angesichts der ästhetischen Qualitäten, die Blasers schmales Bändchen zu veranschaulichen weiss, erscheinen solche Mängel nebensächlich. Der intensive Austausch zwischen innen und aussen sowie der unmittelbare Bezug zum See gehören zu den Hauptthemen der Lake Shore Drive Apartments. Was in diesen beiden Häusern in einer vertikalen Stapelung - Stockwerk für Stockwerk - umgesetzt wurde, das wird beim 1945-50 am Ufer des Fox River in Illinois entstandenen Farnsworth House auf eine einzige horizontale Ebene beschränkt. Diesem gläsernen Wochenendhaus ist der zweite Band der Reihe über Einzelbauten Mies van der Rohes gewidmet, die im kommenden Jahr fortgeführt werden soll. Die Transparenz ist nur ein Aspekt des Farnsworth House. Dass seine Aura auch heute noch berührt, liegt an Mies' Fähigkeit, dem Bezug des Gebäudes zur Natur durch das Raster der Stahlträger Rahmen und Rhythmus zu verleihen. Dadurch strahlen Mies' Bauten eine nahezu meditative Kraft aus. Blaser versteht es, diese Kraft in Buchform überzuführen.


[ Werner Blaser: Mies van der Rohe. Lake Shore Drive Apartments; Mies van der Rohe. Farnsworth House. Birkhäuser-Verlag, Basel 1999. Beide Bände 84 S., Fr. 44.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.11.27

14. Oktober 1999Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Steinerne Strenge

Der 1949 in Altenrhein geborene Schweizer Architekt Max Dudler gehört zu den erfolgreichen Schöpfern des «neuen» Berlin. Seine Handschrift findet sich...

Der 1949 in Altenrhein geborene Schweizer Architekt Max Dudler gehört zu den erfolgreichen Schöpfern des «neuen» Berlin. Seine Handschrift findet sich...

Der 1949 in Altenrhein geborene Schweizer Architekt Max Dudler gehört zu den erfolgreichen Schöpfern des «neuen» Berlin. Seine Handschrift findet sich am Gendarmenmarkt im Bezirk Mitte ebenso wie am Invalidenpark, wo er den streng kubischen Erweiterungsbau für das Bundesverkehrsministerium geschaffen hat. Lange schon besitzt das von Dudler gestaltete Restaurant Sale et Tabacchi in der Kreuzberger Kochstrasse Kultstatus. Doch der einstige Mitarbeiter im Büro von Oswald Mathias Ungers hat auch an der Peripherie der Stadt gebaut. 1997 wurde sein Schulgebäude in Hohenschönhausen fertiggestellt. Ihm ist jetzt eine Monographie gewidmet.

Hohenschönhausen gehört zu jenen Orten, an denen man grosse Architektur kaum vermutet. An diesem amorphen Zwischenort finden sich aufgefrischte Plattenbauten neben aufgelassenen Schuppen. Wahrlich keine einfache Aufgabe, einem solchen Gebiet einen städtebaulichen und architektonischen Rahmen zu verleihen, ihn durch ein Gebäude mit einem unverwechselbaren Charakter auszuzeichnen. Dudlers Schulgebäude versucht, dies durch eine architektonische Grossform zu erreichen. Man muss viel laufen, ehe man die lange Terrasse abgeschritten hat, auf der der Bau sich mit weitem Schwung entlangzieht. In Glasflächen aufgelöst, hinter denen sich Flure befinden, präsentiert sich der Baukörper zur Prendener Strasse. Zum Schulhof und zu den angrenzenden Sportanlagen hin gliedert er sich kammartig und mit einer gestaffelten Höhenentwicklung, so dass architektonisch gefasste kleinere Hofbereiche entstehen. Mit einer Geste kraftvollen Selbstbewusstseins kulminiert der Bau an der öden Kreuzung von Falkenberger Chaussee und Prendener Strasse. Hier zeigt ein lediglich im unteren Bereich durchfensterter Quader den Mut zur geschlossenen Wandfläche.

Dudlers Schule setzt dem Bedürfnis mancher Architekten, sich «expressiv auszutoben», ein Stück «urbaner Kultivierungsarbeit» entgegen. So formuliert es Wolfgang Pauser treffend in seinem begleitenden Essay. Freilich erweist sich Pausers Architekturinterpretation in manchen Passagen als sprachlich wie gedanklich recht verstiegen. Ist Dudlers Gebäude tatsächlich die «gestalterische Antwort auf die Frage, was da gerade am meisten fehlt, was nötig wäre, welcher Schlenker des Ruders vom kybernetischen Steuermann systemimmanent abzufordern wäre»?

Stefan Müllers Schwarzweissphotos zeichnen ein eigenes Bild von dieser Architektur, verklären sie, indem sie ihren spröden Charakter verschweigen. Sie binden das Gebäude statt dessen eng an die Vorbilder der klassischen Moderne an, stellen das flache Dach, die liegenden Fensterformate und die klaren kubischen Formen in die wohlvertraute Traditionslinie. Doch dem steht - trotz den weiten Fensteröffnungen - die steinerne Geschlossenheit und Monumentalität des Baukörpers entgegen, dessen Massivität durch die dunkelgrüne Kunststeinfassade unterstrichen wird. Es erfordert viel Bereitschaft, sich auf einen solchen Bau einzulassen, seine Vorzüge und seine Materialität zu akzeptieren. Bleibt die Frage, ob diese Architektur tatsächlich in der Lage ist, ihre Nutzer bei dem täglichen Gang zur Schule stets aufs neue von sich und ihrem hohen Anspruch zu überzeugen.


[ Wolfgang Pauser: Max Dudler. Schulbau in Berlin-Hohenschönhausen. Photos Stefan Müller. Verlag Gebrüder Mann, Berlin 1999. 76 S., Fr. 62.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 1999.10.14



verknüpfte Bauwerke
Schulgebäude in Hohenschönhausen

09. April 1999Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Schönes neues Berlin

Nach der Baueuphorie im Osten Berlins entdecken Investoren und Architekten auch das alte Westberlin neu. Rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche soll die Stadt erneuert werden. Geplant sind unter anderem Hochhäuser, denen ungeliebte Bauten der fünfziger und sechziger Jahre geopfert werden sollen. Augenfällig ist ein Hang zum Monumentalen.

Nach der Baueuphorie im Osten Berlins entdecken Investoren und Architekten auch das alte Westberlin neu. Rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche soll die Stadt erneuert werden. Geplant sind unter anderem Hochhäuser, denen ungeliebte Bauten der fünfziger und sechziger Jahre geopfert werden sollen. Augenfällig ist ein Hang zum Monumentalen.

Seit Berlins Wiedervereinigung 1990 standen mit Pariser Platz, Friedrichstrasse und Potsdamer Platz vor allem Rekonstruktion und Reparatur von Stadtquartieren im Osten im Blickfeld der Öffentlichkeit. Doch längst hat auch im Geschäftszentrum des ehemaligen Westberlin, zwischen Kurfürstendamm und Tauentzienstrasse, die «neue berlinische Architektur» Einzug gehalten. Rund um die markante Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Egon Eiermanns ergänzendem Neubau von 1957/63 soll die Stadt neue urbane Qualitäten erhalten. Dies schliesst auch hochtrabende Pläne für Wolkenkratzer mit ein. Gleich reihenweise werden dafür die ungeliebten Bauten der fünfziger und sechziger Jahre geopfert, die die Identität der Stadt der Nachkriegszeit so nachhaltig geprägt haben.

Grossbaustelle City West

Die Neubauten, die an ihre Stelle treten, kennzeichnet ein in Berlin derzeit gern kultivierter Hang zum Monumentalen. Das galt bereits für das Bekleidungshaus Peek & Cloppenburg von Gottfried Böhm mit seiner Pfeilerstellung und für das Salamander-Haus von von Gerkan, Marg und Partner (gmp), die beide Anfang der neunziger Jahre an der Tauentzinstrasse entstanden. Im letzten Sommer wurde in der noblen Fasanenstrasse das Ludwig-Erhard-Haus von Nicolas Grimshaw eingeweiht. Für den massigen Baukörper mit seiner gebogenen Skelettkonstruktion mussten der alte Börsensaal der Industrie- und Handelskammer von Franz Heinrich Sobottka und Gustav Müller sowie das Haus des Vereins der Berliner Kaufleute weichen, ein bescheidener Nachkriegsbau von Paul Schwebes, der zur neuen Berliner Prächtigkeit nicht mehr so recht passen wollte.

Eine Reihe weiterer Bauvorhaben wird dafür sorgen, dass das Herz der City West in den nächsten Jahren Grossbaustelle bleibt. An der prominenten Kreuzung des Kurfürstendamms mit der Joachimstaler Strasse entsteht demnächst ein abgerundeter Neubau mit Hotel nach Entwürfen von gmp. Er tritt an die Stelle des Q-Damm-Ecks, eines bedeutenden Spätwerks von Werner Düttmann aus den Jahren 1969/72. Der Bau mit der markanten Bildschirmwand zählte zu den wenigen herausragenden Baudenkmälern der siebziger Jahre in Berlin. Doch im gegenwärtigen Berliner Architekturklima, das der Nachkriegsmoderne extrem feindlich gesinnt ist, kam eine ernsthafte Diskussion um die Denkmalwürdigkeit des Q-Damm-Ecks gar nicht erst auf. Nur eine Querstrasse weiter plant derweil Jan Kleihues anstelle des C&A-Gebäudes ebenfalls einen Neubau.

Doch die ursprünglich für den Standort gehegten Hochhausvisionen sind inzwischen ad acta gelegt worden. Ohnehin wird das Thema Hochhäuser für die City West seit Jahren kontrovers diskutiert. Mit dem elfgeschossigen Kantdreieck gleich gegenüber dem Theater des Westens realisierte Josef Paul Kleihues 1992–95 nicht nur einen der qualitätvollsten Neubauten der Stadt. Zugleich wirkte der Bau wie ein Startschuss für weitere Hochhausprojekte. Gleich neben der Rotunde des Café Kranzler von Hanns Dustmann entsteht auf dem «Victoria-Areal» am Kurfürstendamm ein gläsernes Hochhaus nach Plänen des in Berlin derzeit vielbeschäftigten Helmut Jahn. Ein Teil der flachen Einkaufszeile, mit der Dustmann in den fünfziger Jahren der damaligen Frontstadt Westberlin eine Visitenkarte verliehen hatte, musste dem Neubau weichen, in dessen Schlagschatten zukünftig diese prominenteste Ecke aus Berlins Nachkriegszeit versinken wird.

Nur wenige Schritte weiter ragt seit Jahren inmitten eines brachliegenden Filetgrundstücks wie ein Mahnmal städtebaulicher Ratlosigkeit die Abrissruine des «Brau und Brunnen»-Gebäudes empor. Selbstverständlich handelte es sich bei dem abgerissenen Geschäftshaus um einen Bau der fünfziger Jahre: Der Architekt heisst einmal mehr Paul Schwebes. Zunächst war an seiner Stelle ein High-Tech-Hochhaus nach Entwürfen von Richard Rogers geplant. Inzwischen ist der umstrittene – aber genehmigte – Entwurf von Rogers vom Tisch. Statt dessen hat der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler für «Brau und Brunnen» eine neue Planung für das «Zoo-Fenster» erstellt. Sein Konzept sieht ein klar gegliedertes Hochhaus vor, das an seiner höchsten Stelle stolze 37 Stockwerke und 118 Meter Höhe erreicht. In den unteren Geschossen sind Einzelhandelsgeschäfte und ein Hotel vorgesehen, der restliche Bau soll der Wohnnutzung vorbehalten bleiben. Doch es erscheint fraglich, ob die Berliner Bauverwaltung mit der Genehmigung solch gigantischer Gebäudekomplexe, wie sie die Entwürfe von Rogers und Mäckler vorsehen, gut beraten war, da dadurch die Dimensionen der City West vollständig gesprengt werden.

Gesprengte Dimensionen

Ausgangspunkt für Mäcklers Hochhausplanungen war eine von ihm zusammen mit dem Architekturhistoriker Wolfgang Schäche im Auftrag des Berliner Bausenators angefertigte Verträglichkeitsstudie für die Umgebung des Breitscheidplatzes (erhältlich bei der Berliner Senatsverwaltung Bauen, Wohnen und Verkehr; DM 18.–). Angesichts der massigen Neubauten von Grimshaw, Jahn, Kleihues und des Entwurfs von Rogers signalisierte die Studie Handlungsbedarf für die City West, um die Verlagerung der Baumassen nach Westen städtebaulich aufzufangen. Gleich eine ganze Reihe von Hochhäusern sollten daher nach ihren Vorstellungen zukünftig das Stadtbild um den Breitscheidplatz verändern.

Die Zeitstimmung der fünfziger Jahre, in der der grösste Teil der Berliner Innenstadtbebauung erfolgte, war nicht hochhausfeindlich. Gleich mehrere qualitätvolle Hochhäuser, die in losem Abstand die Innenstadt akzentuieren, entstanden damals. Dem Allianzhochhaus von Alfred Gunzhauser und dem Hochhaus am Zoo von Paul Schwebes und Hans Schoszberger folgte in den sechziger Jahren das Europa-Center von Helmut Hentrich und Hubert Petschnigg (HPP). Eingebettet waren diese Hochhäuser jedoch in eine sehr differenzierte, meist an der Traufhöhe von 22 Metern orientierte Bebauung. Fernab vom Diktat der Blockrandbebauung der Gründerzeit, die heute in Berlin fröhlich Urständ feiert, modellierten Schwebes und Schoszberger mit dem «Zentrum am Zoo», das sich an der Budapester Strasse entlangzieht, eine an Le Corbusier angelehnte originär berlinische Variante der Nachkriegsmoderne. Allerdings wurden das feine Fassadenrelief und die filigrane Struktur der Fenster des Ensembles in den achtziger Jahren mit der hier nachgerade typischen Lieblosigkeit saniert.

Stadtlandschaftliches Städtebauideal

In der immer wieder aufwallenden Diskussion um das städtebauliche Bermudadreieck zwischen Bahnhof Zoo, Kurfürstendamm und Breitscheidplatz droht die Architektur der fünfziger Jahre endgültig den kürzeren zu ziehen. In aller Schärfe hat die Berliner Architektenkammer gegen Mäcklers Entwurf für das «Brau und Brunnen»-Hochhaus protestiert. Es stehe zu befürchten, dass der Kern der «westlichen Innenstadt mit einem Schlag verzwergt»: Klar ist, dass die genehmigten Hochhausplanungen weitere Begehrlichkeiten bei anderen Investoren wecken werden. Schon wird wieder einmal der Abriss des Schimmelpfeng- Hauses von Franz Heinrich Sobottka und Gustav Müller diskutiert. Neben Schwebes/Schoszberger bildeten Sobottka/Müller die wichtigste Berliner Architektengemeinschaft im Berlin der Nachkriegszeit. Zwar steht das Schimmelpfeng-Haus, das einen Querriegel zur Kantstrasse bildet, unter Denkmalschutz. Doch auch in diesem Fall droht der allzuoft auf verlorenem Posten stehenden Denkmalpflege lediglich ein weiteres Rückzugsgefecht. Erst kürzlich hat der Vorsitzende des Berliner Denkmalrates, der Kieler Kunsthistoriker Adrian von Buttlar, in der «FAZ» öffentlich geklagt, dass rings um die Gedächtniskirche «ein geschichtliches Erinnerungspotential ersten Ranges und obendrein ein qualitätvolles Beispiel des stadtlandschaftlichen Städtebauideals der fünfziger Jahre» zu verschwinden drohe.

Die oft bedenkenlose Zerstörung von Bauten der fünfziger, sechziger und inzwischen auch der siebziger Jahre hat in Berlin mittlerweile traurige Tradition. Erinnert sei an die Zerstörung des von Paul Baumgarten geschaffenen Reichstagsinneren auf Beschluss des Deutschen Bundestags sowie an den anstehenden Abriss der polnischen und der ungarischen Botschaft Unter den Linden. Für sie wurde der Denkmalschutz ebenso aufgehoben wie vor Jahren für das Haus des Vereins der Berliner Kaufleute. Mit der Entsorgung der historischen Bauten der Nachkriegszeit beraubt sich die vergleichsweise junge Metropole Berlin nicht nur eines bedeutenden Abschnitts ihrer Architekturgeschichte. Mit ihrem baulichen Erbe gibt die Stadt zugleich ein Stück ihrer von der Nachkriegszeit geprägten Identität sorglos dahin. Statt sie behutsam für die Zukunft weiterzuentwickeln, droht in Berlin derzeit der Untergang einer ganzen Architekturepoche.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.04.09

27. März 1999Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Norddeutsche Ikonen des Neuen Bauens

Das niedersächsische Celle, am Südrand der Lüneburger Heide gelegen, verzaubert seine Besucher mit den zahlreichen Fachwerkhäusern, die sich in der historischen...

Das niedersächsische Celle, am Südrand der Lüneburger Heide gelegen, verzaubert seine Besucher mit den zahlreichen Fachwerkhäusern, die sich in der historischen...

Das niedersächsische Celle, am Südrand der Lüneburger Heide gelegen, verzaubert seine Besucher mit den zahlreichen Fachwerkhäusern, die sich in der historischen Altstadt malerisch aneinanderfügen. Neben solcher Kleinstadtidylle gilt Celle zugleich als ein Zentrum des Neuen Bauens in Deutschland nach 1920. Wichtigster Protagonist der Moderne in Celle war Otto Haesler (1880–1962). Seit 1906 betrieb er hier als Privatarchitekt sein äusserst erfolgreiches Büro, errichtete nahezu im gesamten Stadtgebiet seine Bauten. In seinem Frühwerk öffnete sich Haesler für die unterschiedlichen Architekturströmungen der Zeit. Seine Bauten pendelten zwischen Heimatschutz, englischem Landhausstil und Neoklassizismus. Erst Mitte der zwanziger Jahre wandelte sich der bis dahin allenfalls moderat moderne Eklektizist Haesler zu einem der wichtigsten Vertreter des Neuen Bauens, dessen Arbeiten heute gleichberechtigt neben denen von Ernst May in Frankfurt, Bruno Taut in Berlin oder Walter Gropius stehen, mit dem er an der Karlsruher Dammerstock-Siedlung 1928/29 zusammen wirkte.

Vom Neoklassizismus zur Moderne

Vor allem mit Siedlungsbauten begründete Haesler seinen Ruf als moderner Architekt. Noch heute lässt sich in Celle ein einzigartiger Eindruck der Entwicklung von Haeslers Siedlungen gewinnen. Den Anfang machte die Siedlung Italienischer Garten (1924/25), bei der er, von Bruno Taut beeinflusst, zusammen mit Karl Völker an der Entwicklung einer neuen Fassadenfarbigkeit experimentierte. In der Siedlung Georgsgarten von 1926/27 machte Haesler den entscheidenden Schritt hin zum Zeilenbau. Die Formensprache der Siedlung war mit flachem Dach und langgezogenen Fensterbändern nun konsequent der Moderne verpflichtet. Bereits vor der Weltwirtschaftskrise setzte sich Haesler intensiv mit der Gestaltung von Kleinstwohnungen auseinander, u. a. im Auftrag der 1927 gegründeten «Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Wohnungswesen». Die Ergebnisse solcher in Grösse und Ausstattung auf ein Mindestmass reduzierter Wohnungen, die entsprechend kostensparend zu bauen und billig zu vermieten waren, flossen 1928 in Haeslers Bau eines Versuchshauses in Stahlskelettbauweise in Celle ein. Auf Grundlage dieses Versuchshauses entstand seit 1930 unter den verschärften wirtschaftlichen Bedingungen der Weltwirtschaftskrise die Siedlung Blumläger Feld, wiederum in Stahlskelettbauweise. Doch gerade die minimierten Wohnungsgrundrisse, die die Wirtschaftlichkeit der Siedlung gewährleisten sollten, wurden von dem Siedlungsarchitekten Bruno Taut und dem Architekturkritiker Adolf Behne vehement kritisiert.

Der erste Bauabschnitt der Siedlung Blumläger Feld, der jetzt durch Umbauplanungen massiv in seinem Erscheinungsbild bedroht wird, setzt sich aus zwei 220 Meter langen Zeilen in strenger Nord-Süd-Ausrichtung zusammen. Zwischen den Zeilen befinden sich noch heute die grosszügigen Mietergärten. Im Norden begrenzt der wesentlich kleinere «Lungenflügel» die Zeilen, so dass eine U-förmige Grundrissfigur entstand. Die Bauten des Lungenflügels hatte Haesler mit einer Südterrasse ausgestattet, um Familien mit TBC- Erkrankten eine intensivere Besonnung zu bieten.

Im angrenzenden Wasch- und Heizhaus, das heute als Otto-Haesler-Dokumentationszentrum dient, befanden sich Wannenbäder, da die Wohnungen lediglich mit WC und Waschbecken ausgestattet sind. Immerhin verfügt die Siedlung über ein eigenes Heizwerk, in jeder Wohnung befindet sich jeweils ein Heizkörper. Die Heizungsrohre laufen noch heute offen durch die Wohnungen und über die Strasse und verbinden sämtliche Teile der Siedlung miteinander. Diese Freileitungen verleihen den Wohnbauten einen eigentümlich technischen Touch. Um den toten Raum des Flurs einzusparen, erfolgt bei einigen Wohnungen die Erschliessung über die Küche. Tatsächlich sind die Wohnungsgrössen auf ein Mindestmass reduziert. So sollten in der ersten verwirklichten Zeile 51,83 Quadratmeter für 6 Personen ausreichen, im später leicht veränderten Wohnungstyp waren es auch nur 56,70 Quadratmeter.

Siedlung Blumläger Feld in Gefahr

Obwohl die originalen Holzfenster inzwischen durch Kunststoffenster mit zu breiten Profilen ersetzt wurden und zahlreiche Wohnungen zusätzlich über eine Dusche verfügen, hat sich der Grundcharakter der Siedlung bis heute erhalten. Nach Angaben der Eigentümerin der Siedlung, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft mbH (WBG), fährt die Siedlung durch die anfallenden Instandhaltungsmassnahmen jedoch jährliche Verluste in Höhe von rund 400 000 Mark ein. Um die Ertragslage der Siedlung zu verbessern, hat die WBG den Architekten Ivan Kozjak aus Hannover mit Umbau und Erweiterung der Siedlung beauftragt. Kozjaks Planung sieht vor, die Kopfbauten der langen Zeilen, das Heiz- und Waschhaus sowie den Lungenflügel in der originalen Substanz zu erhalten. Dies entspricht etwa 20 Prozent der Siedlung. Der überwiegende Teil soll jedoch u. a. durch einen drei Meter breiten Vorbau und die Aufstockung um ein Geschoss ergänzt werden. Durch das Zusammenlegen von Wohnungen sollen grössere Wohneinheiten entstehen, wobei die Aufstockung gewährleisten soll, dass die derzeitige Anzahl der Wohnungen erhalten bleibt. Vom zunächst geplanten Abriss einer angrenzenden Siedlungszeile Haeslers zugunsten eines «Service-Centers» mit Arzt und Lebensmittelgeschäft für die Anwohner wurde seitens der WBG – zumindest vorübergehend – Abstand genommen.

Gegen die Umbaupläne der WBG hat die «Otto-Haesler-Initiative» heftig protestiert. Nicht ohne Grund sieht sie im Konzept der WBG eine Entstellung der Grundsubstanz der renommierten Haesler-Bauten. Auch die Vorgehensweise der WBG wurde kritisiert, erst mit den abgeschlossenen Planungen den Weg an die Öffentlichkeit zu suchen. Ein solches Vorgehen entspricht kaum der Bedeutung des Objekts Blumläger Feld. Auch das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege in Hannover setzt sich dafür ein, den ursprünglichen Charakter der Siedlung zu erhalten, der eine herausragende Bedeutung als architektonisches wie kulturhistorisches Dokument sozialen Engagements in der Zeit der Weltwirtschaftskrise zukommt. Die Pläne der «Otto-Haesler-Initiative», ein Symposium zur Zukunft des Blumläger Feldes abzuhalten, sind zu begrüssen. Ziel eines solchen Symposiums muss es sein, Wege zu einem weitaus behutsameren Umgang mit dem Baudenkmal aufzuzeigen, als sie die bisherigen Planungen aufweisen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.03.27

05. Februar 1999Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Halle handelt

Mit zwei sehr unterschiedlichen Gebäuden, der Georg-Friedrich-Händel-Halle von Braun, Schlockermann und Köhler und dem Juridicum von Thomas van den Valentyn und Gernot Schulz, hat die Stadt Halle in Sachsen-Anhalt an zwei Stellen ihres Stadtorganismus ein deutliches Zeichen für den städtebaulichen und architektonischen Aufbruch gesetzt.

Mit zwei sehr unterschiedlichen Gebäuden, der Georg-Friedrich-Händel-Halle von Braun, Schlockermann und Köhler und dem Juridicum von Thomas van den Valentyn und Gernot Schulz, hat die Stadt Halle in Sachsen-Anhalt an zwei Stellen ihres Stadtorganismus ein deutliches Zeichen für den städtebaulichen und architektonischen Aufbruch gesetzt.

Halle schmückt sich gerne mit seinem berühmten Sohn, dem Komponisten Johann Georg Friedrich Händel, der 1685 in der Saalestadt geboren wurde. Seit 1948 dient sein Geburtshaus als Händel-Museum. Neuerdings ziert sein Name noch ein weiteres Gebäude: die Georg-Friedrich- Händel-Halle von Braun, Schlockermann und Köhler (Frankfurt), die am Ostrand der historischen Altstadt am Mühlgraben entstanden ist. Sie ist Teil eines gewaltigen, 48 000 Quadratmeter grossen Areals, auf dem eine private Investorengemeinschaft, die HKO, Neubauten realisiert. Der dreieckige Glasbau der Händel-Halle schiebt sich selbstbewusst zwischen eine Wohnbebauung und die neue - ebenfalls glasdominierte - Hörfunkzentrale des Mitteldeutschen Rundfunks. Im Osten wird der neue Stadtbereich, für den es eines Investitionsvolumens von 350 Millionen Mark bedurfte, durch den massigen Bürokomplex der Stadtwerke abgeschlossen. Alle Bauteile rahmen den weiten, rückwärtig vom Mühlgraben begrenzten Salzgrafenplatz. Er bildet ein steinernes Forum, das als öffentlicher Raum einen optischen Zusammenhalt zwischen den umgebenden architektonischen Solitären schafft.

Konzertsaal aus Glas und Stein

Die Händel-Halle, Konzertsaal und multifunktionaler Veranstaltungsort in einem, präsentiert sich als ein modisch expressiver Bau aus Glas, Beton und Naturstein. Das unglücklich geschnittene, dreieckige Grundstück wurde konsequent genutzt. Hinter einem auskragenden Vordach, das auf schlanken Betonpfeilern ruht, schliesst sich das spitz zulaufende gläserne Foyer an. Seine Transparenz verschafft dem Bau Weite und verleiht ihm zugleich einen scharfkantigen Akzent. Im Inneren nimmt eine stählerne Treppe neben der Pausenbar das Thema des spitzen Winkels erneut auf. Von der Treppe aus weitet sich der Blick auf Salzgrafenplatz und Foyer. Diese effektvolle Promenade geht allerdings auf Kosten der Grosszügigkeit der gläsernen Ecksituation. Der grösste Teil des Foyers samt Infothek und Garderobe wurde dem eigentlichen Veranstaltungssaal untergeschoben. Von hier aus erfolgt auch die Erschliessung des kleinen Veranstaltungssaals für maximal 350 Besucher.

Der eigentliche Baukörper des Veranstaltungssaals hebt sich von aussen sichtbar ab. Durchgehend mit grünem Gneis aus der Schweiz verkleidet, akzentuieren drei markante faltenartige Zacken seine monolithische Fassade. Ihnen entsprechen im Innenraum die zur Bühne abfallenden Stränge der Sitzreihen. Die Gestaltung des weitgehend mit Holz ausgekleideten Konzertsaales, der maximal 1500 Besucher fassen kann, wird vor allem durch die Raumakustik bestimmt. Etwas zu aufdringlich präsentieren sich dabei die objekthaft herausgehobenen Kugelelemente der Lüftung, die den Bühnenraum seitlich flankieren, sowie die gezackten seitlichen Wandsegel, die als Reflektoren dienen. Hauptblickpunkt ist der monumentale Orgelprospekt. Bühnenbereich und Sitzreihen sind durch ihre Variabilität gekennzeichnet, müssen sie doch den Anforderungen gerecht werden, die Konzert, Musical oder Kongress an die Händel-Halle stellen.

Unterschiedliche urbanistische Situation

Trotz ihrer räumlichen Nähe zu Marktplatz, Dom und Moritzburg ist die Händel-Halle im Stadtgefüge noch isoliert. Bessern kann sich diese missliche Situation erst, wenn der MDR - voraussichtlich ab Februar 1999 - in Etappen den Sendebetrieb in seinem neuen Hörfunkgebäude aufnimmt. Noch vordringlicher wäre die weitere städtebauliche Anbindung der Händel-Halle an die historische Keimzelle Halles, den Hallmarkt. Nur eine gewaltige Baugrube erinnert derzeit an das ambitionierte Projekt eines Shopping-Centers, das «Händelforum», das nach der ursprünglichen Planung eines Ideenwettbewerbs von 1992 an die mit Graffiti «verzierte» Brandwand der Händel-Halle angrenzen sollte. Die fehlende Kaufkraft der Hallenser hat bisher seine Verwirklichung verhindert. Voraussichtlich im Frühjahr 1999 soll mit dem Bau eines Hotels und zweier weiterer Gebäude an dieser Stelle durch einen Investor begonnen werden. Es soll den Anschluss an das Zentrum Halles, das gleich jenseits des Hallorenrings angrenzt, gewähren.

Im Gegensatz zur neuen «Spitze» Halles ist das Juridicum von Thomas van den Valentyn und Gernot Schulz (Köln) eng in das umgebende historische Viertel der Martin-Luther-Universität eingebunden. Der 34 Millionen Mark teure Komplex setzt sich aus drei Baukörpern zusammen. Ein dreieckiges «Tortenstück» bindet den Neubau an das Ensemble des Universitätsplatzes an. Dahinter erhebt sich der glasdominierte Kubus der Bibliothek, dem sich nach Westen der terrassierte Baukörper für die juristischen Lehrstühle anschliesst und der gefühlvoll zwischen Bibliothek und umgebender Altstadtbebauung vermittelt. Während sich die helle Lochfassade am Universitätsplatz mit ihren senkrechten Fensterschlitzen eher unspektakulär gibt, schaffen van den Valentyn und Schulz im Inneren des Juridicums ein beeindruckendes Raumgefüge. Dank dem üppig verwendeten, durch hellen Jurakalkstein und warme Holztöne nobilitierten Sichtbeton ist schon das Foyer weit entfernt vom Charakter universitärer Verbrauchsarchitektur der siebziger Jahre.

Vorbei am Empfangstresen, gelangt man in das Allerheiligste des Juridicums: die Halle des Bibliothekskubus, die aus Glas, Beton und Holz besteht. Auf ihren terrassenartig abfallenden fünf Ebenen befinden sich Bücherregale. Die Arbeitsplätze der Studierenden sind an mächtigen Holztischen in den vorderen Bereichen der Terrassen placiert. Hinter einer stählernen Reling öffnet sich von den oberen Geschossen aus ein majestätischer Blick auf den Raum. Das Auge wandert entlang den schlanken Stützen weiter hinaus - bis über die Dächer von Halle.

Stilvolle Interieurs

Die strenge Eleganz der Bibliothek wandelt sich in den angrenzenden Arbeits- und Seminarräumen, in denen Sichtbeton vorherrscht. Konsequent reduziert ist auch hier das Farbkonzept. Statt des blauen (Teppich-)Bodens der Bibliothek findet sich hier dunkelrotes Linoleum. Der Strenge der Farb- und Materialauswahl entspricht die Wahl der Formen. Die Variationen von Kubus und Rechteck, aus denen sich der Bau zusammenfügt, werden nur bei dem annexartigen Tortenstück und dem halbrunden Prüfungszimmer durchbrochen. So stilvoll wie das übrige Gebäude erweist sich auch die kleine Cafeteria am Eingang. Die bis auf Schulterhöhe in tief dunklem Blau lackierten Holzpaneele und die langgestreckte hölzerne Gartenbank an der Rückwand schaffen eine fast existentialistische Atmosphäre.

Der einzige Missklang, der diesem architektonischen Bravourstück anhaftet, ist sein fragmentarischer Charakter. Bisher nicht verwirklicht wurde das angrenzende halbkreisförmige Auditorium, das den Universitätsplatz entsprechend dem Wettbewerbsentwurf von van den Valentyn und Schulz aus dem Jahr 1993 südlich abschliessen soll. Eine bedauerliche Entscheidung. Mit dem Kammermusiksaal in Bonn (1987/89) und zuletzt mit dem Musikgymnasium Schloss Belvedere bei Weimar (1996) oder der Berliner Adenauer Stiftung (1998) hat sich van den Valentyn als Architekt wirkungsvoller Auditorien erwiesen. Spannend wäre es, ihn zusammen mit Schulz vor der Herausforderung des grossen Auditoriums in Halle zu erleben. Das Juridicum jedenfalls legt nahe, dass er diese Aufgabe zu einem qualitätvollen Ergebnis führen würde.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.02.05

04. Dezember 1998Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Experimentierfeld Klassizismus

Die Frage, wo in der Architektur die Grenze zwischen «kritischer Rekonstruktion» und unkritischer Kopie verläuft, ist umstritten. Mit besonderem Nachdruck...

Die Frage, wo in der Architektur die Grenze zwischen «kritischer Rekonstruktion» und unkritischer Kopie verläuft, ist umstritten. Mit besonderem Nachdruck...

Die Frage, wo in der Architektur die Grenze zwischen «kritischer Rekonstruktion» und unkritischer Kopie verläuft, ist umstritten. Mit besonderem Nachdruck wurde sie am Pariser Platz in Berlin diskutiert. Eigentlich war die «kritische Rekonstruktion» ein Kind der Berliner Internationalen Bauausstellung (IBA) der achtziger Jahre, mit der sich ihr geistiger Vater, Josef Paul Kleihues, als Leiter der IBA-Neubau auf die Suche nach der Stadt des 19. Jahrhunderts begab. Längst ist die «kritische Rekonstruktion» zum Berliner Heilmittel aufgestiegen. Wo immer Krieg und Nachkriegszeit im historischen Stadtgrundriss Brachen hinterlassen haben, dient sie als Medizin, um städtische Bereiche zurückzugewinnen.

Nach dem Mauerfall erinnerte am Pariser Platz nur noch das Brandenburger Tor als monumentaler Solitär mit Mahnmalcharakter an Berlins ehemaligen «Empfangssalon». Mit den Häusern Sommer und Liebermann hat Josef Paul Kleihues dem Tor jetzt eine architektonische Fassung zurückgegeben. Wie eng ihre Bindung an die historische Bebauung des 19. Jahrhunderts ist, reflektiert bereits ihre Namensgebung. 1844/46 hatte der Klassizist August Wilhelm Stüler die barocke Nordfront des Platzes – einschliesslich der beiden das Brandenburger Tor rahmenden Gebäude – für den Stadtrat und Hofzimmermeister Carl August Sommer in ein italianisierendes Ensemble verwandelt. In dem nördlich an das Tor angrenzenden Haus Pariser Platz Nr. 7 befand sich später das Atelier Max Liebermanns. Mit den beiden Neubauten begibt sich Kleihues auf eine doppelte Spurensuche. Zum einen spürt er als Verfechter eines «Poetischen Rationalismus» den formalen Grundprinzipien des Klassizismus nach, der ihm als Mutter der vernunftbeherrschten Architektur der Aufklärung gilt. Zum andern setzt er sich mit dem konkreten Vorbild der Stüler-Bauten auseinander, die er in eine abstrakte allgemeingültige Gebäudesprache zu übersetzen sucht.

Entgegen ersten Überlegungen, das Tor mit streng geometrischen Glasbauten zu rahmen, entschied sich Kleihues schliesslich für Steinbauten. Nun entsprechen die nach einem strengen Massraster ausgeführten Gebäude mit ihren elf Fensterachsen den Vorgängerbauten. Die Hauptfassaden gehen auf den Pariser Platz, die Rückseiten mit ihren Vorgärten zur verkehrsumbrausten Ebertstrasse. Der helle portugiesische Sandstein, mit dem die Fassaden verkleidet sind, weist kaum Struktur auf. Dadurch verleiht er den Gebäuden eine einheitliche, aber auch künstlich und kühl wirkende Fassadenoberfläche. Streng heben sich der Fugenschnitt und die sparsam eingesetzten Gesimse von der glatten Oberfläche ab. Im Erdgeschoss hat Kleihues die Putzrustika der beiden Vorgängerbauten in eine liegende Kannelur übergeführt, die die Bauten bildhaft rahmt. Das zunächst irritierende Motiv der liegenden Kannelur bekommt an den Nahtstellen zwischen den Seitenflügeln und den leicht vorspringenden Mittelrisaliten eine fast skulpturale Note – vielleicht das reizvollste Detail der Gebäude.

Vom Erdgeschoss an reduzieren sich die Fensterformate kontinuierlich, erneut entsprechend strenger Massverhältnisse. Dabei fällt einmal mehr Kleihues' in engen Spuren laufende Auseinandersetzung mit Stüler auf – etwa bei dem Drillingsfenster. Die ausführlichen Fensterrahmungen des Vorgängerbaus hat Kleihues auf schmale Leisten reduziert, die den oberen Abschluss der Fenster betonen. Das Motiv der von Stüler unterhalb des Kranzgesims gesetzten Reihe kleiner quadratischer Öffnungen adaptiert Kleihues nach seinen Vorstellungen. Deutlich vergrössert, täuschen die quadratischen Fenster nun nach aussen hin ein Mezzaningeschoss vor; in Wirklichkeit handelt es sich allerdings um ein Vollgeschoss. Die historische Gebäudehöhe von 16,8 Metern, die sich auf das Kranzgesims des Brandenburger Tores bezieht, wird jedoch beibehalten.

Signifikantester Unterschied zwischen den beiden Zwillingsbauten ist ihr Dachabschluss. Während das Haus Sommer hier eine geschlossene Attika aufweist, die der Massivität seines steinernen Erscheinungsbildes entspricht, zeigt das Haus Liebermann statt dessen eine luftig geflochtene Geländerkonstruktion, die ein allzusehr ins Historisieren abgleitendes Detail bildet. Inzwischen ist Kleihues bestrebt, dieses Geländer durch eine Attika zu ersetzen. Während das Haus Liebermann im Inneren noch auf seine Fertigstellung wartet, zeigt das Haus Sommer, in dem Commerzbank und Rheinische Hypothekenbank residieren, eine in den Formen schlichte, in den verwendeten Materialien aber repräsentative Innenausstattung. Im Erdgeschoss schliesst sich dem Entrée ein Veranstaltungssaal an. Hier sollen künftig Ausstellungen stattfinden, durch die das Gebäude mit der prominenten Adresse zumindest teilweise einen öffentlichen Charakter bekommt.

Die Häuser Sommer und Liebermann sind als strenge Variationen zum Thema des Klassizismus gedacht. Mit ihrer rationalen Massordnung versuchen sie, dessen architektonische Formensprache ins Abstrakte zu übertragen. Damit bezieht Kleihues eine deutlich andere Position, als sie die «Stimmungsarchitektur» des Hotels Adlon von Patzschke, Klotz und Partner gleich gegenüber bietet. Doch wer versteht in einem von Bildungsverlust und formaler Normierung geprägten Zeitalter dieses Variation zum Thema Klassizismus? Wer erkennt die sanfte Ironie der liegenden Kannelur des Erdgeschosses? Eher wird man wohl die allzu grosse Nähe der Neubauten zu ihrem Vorbild feststellen. Auch wenn die verlorene Historie bei Kleihues nicht als Kopie zutage tritt, so erscheint sie doch als eine Metamorphose mit beabsichtigtem Wiedererkennungseffekt.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1998.12.04

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