Editorial
Auf pragmatische Nutzungsvorgaben mit einer konsequenten Formgebung antworten und zugleich eine individualisierte Zurückhaltung zum Ausdruck bringen.
Dieser tragfähige Gestaltungsansatz beim Wiederaufbau Helgolands trifft noch heute auf aktuelle Beispiele anspruchsvoller Architektur in Norddeutschland und Dänemark zu.
Dies mag daran liegen, dass die Weite der Landschaft, die Wassernähe – ob zum Meer oder zu einem Binnengewässer – und die schnellen Wetterwechsel sowohl die Faszination als auch den Respekt vor der Natur größer werden lassen als in einer Gegend mit kleinteiliger Topografie. Ob sich dies tatsächlich in der Architektur widerspiegelt, als uneitle, schnörkellose Klarheit, als schützende, solide Konstruktion, als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Ort, darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Ein sensibler, aber unsentimentaler Umgang mit den Eigenheiten einer Region und der Mentalität ihrer Menschen kann die Architektur und damit wiederum die Gegend selbst nur bereichern – egal ob im Süden oder im Norden. | Martin Höchst
Hamburger Understatement
(SUBTITLE) Umbau ehem. Hauptzollgebäude Speicherstadt in Hamburg
Mit dem Fall der Zollgrenze im Hamburger Hafen verloren auch die historischen Zollämter in der Speicherstadt ihre Funktion. Das ehemalige »Hauptzollgebäude« gleich gegenüber der Altstadt wurde von den Architekten BIWERMAU zum zeitgemäßen Bürogebäude auf eine derart nobel-zurückhaltende Art und Weise umgebaut, wie sie hamburgischer nicht sein könnte.
Nirgends sonst hat sich die Handels- und Kaufmannsstadt Hamburg so eindrucksvoll materialisiert wie in der Speicherstadt – ein bis heute einzigartiger Komplex von Lagerhäusern, der sich südlich der Innenstadt wie ein langes rotes Band zwischen Norderelbe und Zollkanal entlangzieht. Errichtet einst, weil die Stadt, bis dahin vollständig zollfrei, 1888 ins deutsche Zollgebiet eingegliedert wurde. Hamburg konnte dem Reich jedoch abringen, dass ein Großteil des Hafens eine zollfreie Enklave blieb. So wurde der Hafen mit einem Zaun umhegt und der bisher fließende Übergang zwischen Stadt und Hafen durch eine scharfe, mit Zollstationen gespickte Grenze ersetzt. Ein Großteil der Lagerhäuser stand nun im Zollinland. Für sie musste im Freihafen Ersatz geschaffen werden, und das möglichst nahe der Kontore der Kaufleute in der Innenstadt. So wurden auf den Brookinseln die alten Wohnquartiere abgerissen und von 1885 bis 1913 auf 26 ha Fläche der weltweit größte Speicherhauskomplex errichtet.
Zurück zu den Wurzeln
Der Warenumschlag in diesem Teil des Hafens rund um Sandtor-, Grasbrook- und Magdeburger Hafen sowie in der Speicherstadt florierte in den Jahren zwischen den Weltkriegen und auch nach dem Zweiten Weltkrieg in rasch wiederaufgebauten Schuppen und Lagerhäusern. Doch seit den 70er Jahren verringerte sich der Handel hier dramatisch, weil der bisherige Stückgut- durch den Container-Transport verdrängt wurde. Die Kaffee-, Tee- und Gewürzhändler in den Speichern wanderten ab und wurden durch Kreativagenturen, Webdesigner und Museen ersetzt. Mit den Planungen für die HafenCity wurde die Zollgrenze 2003 schließlich aufgehoben. Welche Bedeutung der Freihafenstatus hatte, lässt sich jedoch bis heute nicht nur an erhaltenen Zollwärterhäuschen und Resten des Zollzauns erkennen, sondern auch an den eindrucksvollen Verwaltungs- und Abfertigungsgebäuden des Zolls in der Speicherstadt. Wie die Speicher selbst verloren auch sie peu à peu ihre Funktion und wurden umgenutzt. Das ehemalige Zollabfertigungsgebäude am Wandrahm beispielsweise wurde zum Deutschen Zollmuseum umgebaut. Das benachbarte, ebenfalls am Zollkanal gelegene Zollgebäude 2 wurde von der städtischen Hafengesellschaft HHLA mit einem Nutzungsrecht bis 2089 an die maxingvest AG vermietet – der noch heute vollständig im Besitz der Familie Herz befindlichen Dachgesellschaft der Tchibo und Beiersdorf AG. Für das Unternehmen war die Anmietung eine Rückkehr zu den Wurzeln, denn in der Speicherstadt eröffnete einst der Tchibo-Gründer Max Herz sein erstes Kontor.
Modifiziert wiederhergestellt
Für die neue Nutzung als Unternehmenszentrale musste das denkmalgeschützte Gebäude umfangreich umgebaut werden – hier war dies ein Glücksfall, weil der Bau sich in keinem guten Zustand befand. Im Zweiten Weltkrieg durch Bombentreffer stark beschädigt, wurde er unter Verlust zahlreicher architektonischer Details in den 60er Jahren wiederhergestellt. Dort, wo sich einst eine abwechslungsreiche Dachlandschaft mit Steildächern, Türmchen und Dachgauben erhob, wurde ein schmuckloses, flach eingedecktes Bürogeschoss aufgesetzt. Die alten vielgliedrigen Fenster wurden durch stark vereinfachte Varianten ersetzt und im EG gar eine Tordurchfahrt für LKW durch das Gebäude getrieben. Im Innern war durch die Aufteilung der einstigen Kontorräume in Einzelbüros von der historischen Substanz fast nichts mehr zu sehen. Die direktbeauftragten Architekten BIWERMAU ließen, in Absprache mit dem Denkmalschutz, also zunächst einmal all die hinzugefügten Wände, Decken und Bekleidungen entfernen. Zum Vorschein kamen preußische Kappendecken, Fliesen-, Holz- und Granitböden, gusseiserne Stützen und in den Treppenhäusern sogar noch historische Wandbemalungen.
Beim Umbau galt die Maxime, sich wo immer möglich dem historischen Bild anzunähern, die Eingriffe der Nachkriegszeit jedoch nicht vollständig auszulöschen. Zudem sollten alle neuen Zutaten als solche ablesbar bleiben. Man kann dies exemplarisch an der Tordurchfahrt sehen: Sie wurde geschlossen und im Innern ein neues zentrales Foyer geschaffen. Die Eingänge an den Stirnseiten des Gebäudes wurden dafür aufgegeben. Im Innern der neuen Eingangshalle sind die Betonbügel der 60er Jahre noch sichtbar, außen hingegen wurden sie von einer neuen Backsteinschicht verhüllt. Diese Schicht aus Wasserstrich-Klinkern springt nicht nur vor, sondern setzt sich auch farblich etwas von den alten Ziegeln ab. Die Fugenfarbe orientiert sich am Bestand, die neuen Fugen jedoch liegen etwas tiefer als die historischen. Den Architekten war es zudem wichtig, dass alte und neue Steine nicht direkt aufeinandertreffen – so wurden in die Ecken des Vorbaus als optische Trennung vertikale Fugen vorgesehen, in denen die Fallrohre Platz finden. Die neue Eingangsfront wird zudem durch Pilaster gegliedert, die wohltuend die Vertikalität der alten Fassade aufnehmen.
Das DG von 1967 wurde entfernt und durch ein neues 3. OG ersetzt, dessen sehr enge Fensterachsen von außen eher den Eindruck eines Zierbands als das eines Vollgeschosses erwecken. Darüber schließlich erwächst eine neue, am historischen Vorbild orientierte, steile, kupfergedeckte Dachlandschaft. Lediglich ein Turm in der Dachmitte wurde zugunsten eines Oberlichts weggelassen und statt der einst kleinen sind nun große Dachgauben eingebaut, die viel Licht in das DG lassen. Da das Steildach sich über dem neuen 3. OG erhebt, ist der Bau heute höher als zu seiner Fertigstellung im Jahre 1899, was seinen Proportionen jedoch durchaus zum Vorteil gereicht. Auch weil die alten Ziegelfassaden nur vorsichtig ausgebessert und gereinigt wurden, alte Holzfenster aufgearbeitet und Nachkriegs-Fenster durch solche mit schmalen Stahlrahmen ersetzt wurden, erscheint der Umbau so dezent und selbstverständlich, dass man ihn überhaupt erst bei bewusster Betrachtung bemerkt. Das passt bestens zu den überaus zurückhaltenden Bauherren.
Nah am Wasser
Betritt man das Gebäude durch die neuen gläsernen Eingangstüren, muss man zunächst eine Wand umrunden. In der Halle angekommen erkennt man, dass dies die Rückwand des neuen Fahrstuhlschachts ist. Dessen Betonoberflächen verbinden sich gut mit den ebenfalls betonierten alten Kappendecken und den Betonbügeln der Tordurchfahrt. Die wenigen weiteren neuen Zutaten sind der Belgisch-Granit-Boden und der hölzerne Empfangstresen. Das Foyer liegt, bedingt durch den einstigen Umbau für die Tordurchfahrt, ebenerdig und damit tiefer als das restliche EG. Da das Gebäude wie die ganze Speicherstadt im Überflutungsbereich der Elbe steht (weshalb sich auch eine Umnutzung für Wohnzwecke verbot), musste dieser Bereich gesondert geschützt werden: Vor den Glaselementen des Foyers liegen, hinter Metallblenden der Fensterlaibungen verborgen, die Führungsschienen für eine Dammbalkenanlage, in die bei Sturmflut die Schutzbalken eingeschoben werden. Über einige Stufen geht es dann hinauf in den östlichen bzw. westlichen Bereich des EG, in dem früher die Zollabfertigung und die Kassen lagen, und in denen heute u. a. ein Café seinen Platz gefunden hat.
Die drei OGs sind jeweils unterschiedlich ausgebaut: Es gibt Bereiche mit Einzel-, Gruppen- und Großraumbüros. Längs durch alle Etagen führen jeweils mittig angeordnete, mitunter recht schmale Flure, die die Büros mit dem zentralen Aufzug und den an den Gebäudeenden liegenden Nebenräumen und historischen Treppenhäusern verbinden. Es gibt in den Büros viele Einbauschränke und -regale entlang der Wände und Fensterbrüstungen und auch die Flurwände werden als Regal- und Schrankräume genutzt. Die ungemein platzsparende Bauweise, die in ihrer Effizienz fast schon an das Interieur von Schiffen oder Eisenbahnwaggons erinnert, war notwendig, weil das Gebäude aufgrund seiner einstigen Kontorhaus-Struktur über eine nur sehr geringe Tiefe verfügte. Die neue Innenarchitektur ist puristisch und streng: Als Materialien wurden nur Stahl, Glas, Holz und Putz verwendet. Als großes Glück erwies sich die solide Bauweise des Altbaus: Die massiven Außenwände sind so dick, dass keinerlei zusätzliche Dämmung notwendig war. Auch auf künstliche Belüftung und Klimatisierung konnte verzichtet werden und eine Fußbodenheizung sorgt bei Bedarf für Wärme. Das neue DG schließlich ist noch nicht ausgebaut, steht als Erweiterungsfläche jedoch parat. Die dortigen Räume an den Stirnseiten des Gebäudes mit ihrer Rundum-Befensterung lassen den Blick herrlich schweifen, über die Altstadt mit ihren Kirchtürmen, die HafenCity und die Elbphilharmonie. Dass Eigentümer und Vorstand sich hier keine repräsentativen Büros eingerichtet haben, ist eigentlich nicht zu erklären – außer mit Hamburger Understatement.db, Mo., 2019.09.16
16. September 2019 Claas Gefroi
Mitten im Draußen
(SUBTITLE) Haus J in Ostholstein
Am Rand eines kleinen Dorfs in Ostholstein entstand inmitten eines prächtigen Gartens ein bemerkenswerter Alterswohnsitz, der durch seine räumliche Vielfalt und seine enge Verzahnung mit der Umgebung überzeugt. Das Haus reflektiert dabei sowohl die individuellen Bedürfnisse der Bauherrschaft als auch die spezifische Baugeschichte des Orts.
Als ein Altenteil-Haus im ursprünglichen Wortsinn wird man das Haus, das sich das Ehepaar J vor Kurzem am Rand eines kleinen Dorfs bei Eutin im malerischen Ostholstein erbaut hat, nicht bezeichnen wollen – auch wenn es zunächst ganz danach aussieht. Denn der Umzug vom großen, vor langer Zeit als Erbe übernommenen alten Bauernhaus in den gleich daneben liegenden, vergleichsweise klein dimensionierten Neubau hat nichts mit der Übergabe des Hofs an die nachfolgende Generation zu tun. Bereits das Bauherrenpaar hat seinen Lebensunterhalt nicht mehr in der Landwirtschaft verdient und von seinen Kindern ist keines in das nun frei gewordene Haupthaus eingezogen. Es waren von daher keine wirtschaftlichen, sondern vor allem praktische Erwägungen, die zum Bau dieses Alterswohnsitzes führten: Das Bauernhaus war schlicht zu groß für zwei und – auf lange Sicht – eben auch nicht altersgerecht.
Zuerst gab es die Idee, ein einfaches Wirtschaftsgebäude, das in den 50er Jahren anstelle einer abgebrannten Scheune errichtet worden war, zu Wohnzwecken umzubauen. Gutachter rieten jedoch wegen der schlechten Bausubstanz davon ab. So musste es also ersatzweise ein Neubau werden. Schon aus baurechtlichen Gründen wäre jedoch auch für ihn auf dem weitläufigen Grundstück kaum ein anderer Standort als der des Bestandsgebäudes infrage gekommen.
Nach Mass
Geräumig, hell und mit vielen Ausblicken in den Garten und die umgebende Landschaft – das waren die zentralen Wünsche an den Neubau, für den man ein ebenso detailliertes, wie individuelles Raumprogramm entwickelte: eine offene Küche als Herzstück des Hauses, groß genug um Familie und Freunde zu bewirten; ein eher kleineres Wohnzimmer; ein verandaartiges Gartenzimmer, ein großes Schlaf-, Arbeits- und Bibliothekszimmer für ihn; ein kleineres Zimmer für sie; zwei Bäder, eines davon mit Tageslicht und Ausblick in den Garten; eine Waschküche mit direktem Zugang zum Garten; ein als Vielzweckraum nutzbares Gästezimmer; ein geschützter Stellplatz fürs Auto; schließlich Wandflächen für Bücherregale und viel Stauraum in Form von Einbauschränken.
So klar die Vorstellungen der Bauherrschaft hinsichtlich des Raumprogramms waren, so offen zeigte man sich hinsichtlich der formalen Umsetzung. Auch eine dezidiert moderne Lösung sollte möglich sein. Für den Entwurf wandte man sich auf Empfehlung an WEGENER ARCHITEKTEN aus dem nahegelegenen Neustadt in Holstein. Vorwiegend mit Bauen im Bestand beschäftigt, bedeutete das Projekt für Joachim Wegener und sein Team trotz seiner überschaubaren Dimension durchaus eine Herausforderung. Die intensive Arbeit am Entwurf erhielt die entscheidenden Impulse durch eine Fotografie der Scheune, die einst hier gestanden hatte. Der historische Zweiständerbau inspirierte den Neubau gleich auf mehreren Ebenen. Das gilt für das einseitig angeschleppte Dach des Hauses ebenso wie für den eingeschnittenen Stichbogen der Südfassade, der quasi das Scheunentor zitiert. Auch die dreischiffige Grundriss-Struktur des Neubaus lässt sich als Referenz an den Vor-Vorgängerbau lesen.
Mit seinem Krüppelwalmdach, seiner klaren Kubatur und nicht zuletzt mit seiner weißen Putzfassade fügt sich der niedrige, ebenerdige Neubau fast wie ein Familienabkömmling in das vom stattlichen alten Bauernhaus dominierte Hofensemble ein – ohne dabei historistisch oder gar folkloristisch zu wirken. Die für die Gegend eher untypische Putzfassade verdankt der Altbau übrigens einem früheren Besitzer, der ihm damit Ende des 19. Jahrhunderts ein bürgerlich-repräsentatives Aussehen verleihen wollte. Aber nicht nur in den Baubestand integriert sich das Haus auf gelungene Weise. Mit seinem gedrungenen, breit gelagerten Baukörper und seiner auffällig flachen Dachneigung passt es sich auch wie selbstverständlich in die von sanften Hügeln geprägte ostholsteinische Landschaft ein, mit der es wegen seiner dörflichen Randlage in direkter Verbindung steht.
Durch die Küche
Den konzeptionellen und räumlichen Mittelpunkt des Hauses bildet die Küche. Hervorgehoben durch ihre Größe, ihre Höhe (bis unters Dach) und ihre Helligkeit vermittelt sie nicht zuletzt dank ihrer zum Garten hin ausgerichteten, verglasten Südfront, die den vorgelagerten, überdachten Terrassenraum optisch ins Haus hereinholt, einen weiten, großzügigen Eindruck.
Während die Terrasse, das Wohnzimmer, das Gartenzimmer, die Waschküche und die über eine schmale Treppe erreichbare Lesegalerie sowie das daran angrenzende Gästezimmer direkt von der Küche aus erschlossen werden, führen zwei sie flankierende Gänge zu den übrigen Räumen des Hauses – dem Entree, den Bädern und den Schlafzimmern. An ihrem Ende liegt ein weiterer, vergleichsweise intimer Raum, der über seine nach Norden hin ausgerichtete Glasfront, vor der eine zweite Terrasse liegt, einen weiten Blick in die Landschaft ermöglicht. Ein idealer Platz zum Lesen, Schreiben, Nachdenken und für ruhige Gespräche.
Wie im Garten
Dass der überaus sorgfältig angelegte und hingebungsvoll gepflegte Garten im Leben der Bauherrschaft eine herausragende Rolle spielt, offenbart sich einem aufmerksamen Besucher schon beim Betreten des Grundstücks. Auch für die Gestalt des Hauses und den Charakter seiner Innenräume war diese Gartenleidenschaft mitentscheidend. Der starke Bezug zum Garten und zur umgebenden Landschaft ist – vom innenliegenden Bad und dem Entree einmal abgesehen – überall im Haus spürbar. Das gilt in besonderem Maß für die großflächig verglasten Bereiche vor der südlichen und nördlichen Terrasse. Es gilt aber auch für drei der vier an den Hausecken situierten Räume – Wohnzimmer, Gartenzimmer und eines der Schlafzimmer –, in denen die Fenster jeweils übereck gezogen wurden. Im Gartenzimmer genießt man gar einen dreiseitigen Ausblick. Die schlichte, betont ruhige Gestaltung der Innenräume, die mit ihren weißen Putzwänden, den ebenfalls weißen Einbauschränken und den hellen Douglasien-Dielen fast etwas skandinavisch anmuten, tut ein Übriges, um die Aufmerksamkeit auf den Außenraum und das jahreszeitlich wechselnde Farbspiel der Natur zu lenken.
Eine solide, langlebige Konstruktion und die Verwendung schadstoffarmer Materialien, das war bei der Planung dieses Hauses sowohl der Bauherrschaft als auch dem Architekten ein wichtiges Anliegen. Die tragenden Wände wurden aus 36,5 cm dicken, hochdämmenden Ziegelsteinen aufgemauert und sowohl außen wie innen verputzt. Für die Dämmung des Dachs und der Dielenböden nutzte man Zellulosefasern. Für die Doppelstehfalz-Blecheindeckung des Dachs entschied man sich in erster Linie aufgrund der geringen Neigung. Hinsichtlich der Heizung und der Warmwasserbereitung griff man auf eine solarunterstützte Brennwerttherme zurück. Zwei kleine Kaminöfen stehen als zusätzliche bzw. alternative Wärmelieferanten zu Verfügung.
So solide, durchdacht und sachlich angemessen wie diese bautechnischen Merkmale, wirkt Haus J auch als Gesamtprojekt betrachtet: Ein Alterswohnsitz nach Maß, durchaus zeitgenössisch in seiner Erscheinung, zugleich aber tief verwurzelt in der Geschichte seines Standorts und der ostholsteinischen Landschaft.db, Mo., 2019.09.16
16. September 2019 Mathias Remmele
»The Street Inside«
(SUBTITLE) Straßensport- und Jugendkultur-Zentrum »Streetmekka« in Viborg (DK)
In der dänischen Kleinstadt Viborg hat das Kopenhagener Architekturbüro EFFEKT eine leer stehende Industriehalle in ein lebendiges Zentrum für Straßensport und Jugendkultur verwandelt. Die anspruchsvolle Gestaltung des Umbaus steht dabei auch für die Ernsthaftigkeit, mit der soziale Arbeit bei unseren Nachbarn im Norden betrieben wird.
Jahrelang wurden im jütländischen Viborg Rotoren für Windkraftanlagen der Firma Vestas produziert. Nach der Verlagerung der Produktion blieb davon lediglich eine verlassene Halle aus Stahlbeton, die anschließend ein paar Jahre leer stand, übrig. Doch statt den unweit vom Bahnhof in einem öden Gewerbegebiet gelegenen Bau aus den 70er Jahren einfach weiter verfallen zu lassen, entschied sich die Gemeinde 2016 nach längerer Überlegung zum Ankauf der Halle. Sie sollte nach dem Vorbild der drei Städte Kopenhagen, Esbjerg und Aalborg und in enger Kooperation mit dem dort bereits aktiven gemeinnützigen Verein GAME zu einem weiteren Straßensport- und Jugendkultur-Zentrum umgewandelt werden.
»Streetmekka«
Das mit rund 60 Mitarbeitern besetzte Team von GAME ist in sämtlichen Brennpunktvierteln Dänemarks tätig und bietet außerdem im Libanon sowie in mehreren afrikanischen Staaten Straßensport-Projekte in Verbindung mit Jugendkulturarbeit an.
Mit ihren »Streetmekka« genannten Zentren hat die Non-Profit-Organisation dieses Engagement noch weiter ausgebaut: »Ganz bewusst bieten wir damit ein niederschwelliges und integratives Indoor-Angebot für Jugendliche, die sich von klassischen Vereinssportarten wie Fußball oder Handball nicht angesprochen fühlen und die eher informelle Angebote zur Freizeitgestaltung suchen«, berichtet GAME-Manager Thomas Gissel. Die gute Nachricht dabei: Im traditionell stark sozial ausgerichteten Dänemark lassen sich solche Ideen dann auch verwirklichen! Denn das innovative, gemeinsam mit einem großen Netzwerk an Pädagogen, Streetworkern und Psychologen umgesetzte Angebot des Vereins wird nicht nur durch die jeweiligen Kommunen, sondern auf Basis des Programms Lokale- & Anlægsfonden auch durch den dänischen Staat sowie durch weitere Sponsoren großzügig unterstützt und gefördert.
Herausfordernde Dimensionen
In Viborg war GAME bereits seit mehreren Jahren im Brennpunktviertel Ellekonebakken tätig: Schnell entwickelte sich deshalb die Idee, die Arbeit des Vereins vor Ort durch die Eröffnung eines Streetmekka-Zentrums in der leer stehenden Vestas-Halle zu erweitern. Nach längeren Gesprächen gelang es, neben den Verantwortlichen der Stadt Viborg auch weitere lokale Auftraggeber von dem Projekt zu überzeugen. 2017 konnte daraufhin ein begrenzter Wettbewerb ausgeschrieben werden, bei dem schließlich der gemeinsam eingereichte Vorschlag der Kopenhagener Architekten EFFEKT und des Landschaftsplanungsbüros BOGL ausgewählt wurde.
Das Büro EFFEKT hatte 2016 bereits die Umnutzung eines ehemaligen Lokschuppens zum Streetmekka in Esbjerg geplant: »Dabei hatten wir es allerdings mit mehreren kleineren Hallen zu tun, die wir jeweils für unterschiedliche Funktionen nutzen konnten«, berichtet Projektarchitekt Ulrik Mathiasson. Hier in Viborg standen die Architekten demgegenüber vor der Herausforderung, einen einzigen großen Innenraum zu bespielen, der zwar im Innern mit seinen beeindruckenden Proportionen und dem mächtigen Stahlbetontragwerk fast schon an eine Kathedrale erinnert, von außen aber als völlig belanglose Kiste in Plattenbau-Ästhetik daherkam. Ausgehend von diesem Befund und in enger Absprache mit dem Bauherrn sowie den Verantwortlichen bei GAME entwickelten die Planer schließlich die Idee, den rohen Charakter der Halle beizubehalten, die typologisch bedingte Abschottung der Halle aber bewusst aufzubrechen. Mit wenigen Eingriffen sollte so eine deutlich extrovertierte Architektur entstehen, die bereits auf den ersten Blick aus ihrer Umgebung hervorsticht.
Überleitende Bereiche
Zur Umsetzung dieser Wirkung wurden zunächst die zuvor geschlossenen Außenwände an den beiden Stirnseiten des rechteckigen Gebäudes abgebrochen und jeweils durch eine gebäudehohe Glasfassade ersetzt. An der Ostseite leicht eingerückt angeordnet, wird dort die neue Hülle zur einladenden und durch einen Pfeil aus Leuchtstoffröhren zusätzlich markierten Eingangsfront. Parallel dazu wurden auch die Fassaden nach Norden und Süden teilweise geöffnet, um hier sowohl neue Flächen zu gewinnen und eine optimierte Nutzung der bestehenden Anschlüsse und Versorgungsleitungen zu erreichen als auch eine bessere Trennung der verschiedenen Funktionen zu ermöglichen.
Um trotz der verschiedenen Eingriffe eine homogene Außenansicht zu erhalten und dadurch auch einen wohltuenden Kontrast zum eher tristen Umfeld zu schaffen, wurde die in Stahlbauweise erweiterte Halle abschließend durch eine luftig wirkende Membran aus 5 cm dicken transluzenten Polycarbonat-Platten umhüllt. Das lichtdurchlässige Material sorgt im Verbund mit den zuvor bereits bestehenden, neu gestalteten Oberlichtern für ausreichend Tageslicht im Innenraum und lässt die Architektur je nach Tageszeit und Lichtverhältnissen als urbane, beinahe entmaterialisierte Lichtinstallation erscheinen, die bereits von außen die verschwommenen Umrisse von Nutzern und Tragstruktur der Halle erahnen lässt. Die unterschiedlich großen, an mehreren Stellen in die Hülle integrierten Rücksprünge schaffen zudem Raum für witterungsgeschützte Nischen. Dies betont zusammen mit größeren, leicht zurückliegend eingelassenen Fenstern, verschiebbaren Torelementen, Spielfeldböden aus Asphalt und den sowohl von Nutzern als auch etablierten Künstlern gestalteten Graffitis den programmatisch gewünschten fließenden Übergang zwischen innen und außen: »Der Raum fungiert so gewissermaßen als Street Inside«, bringt Ulrik Mathiasson das Konzept auf den Punkt.
Freigehaltene Fläche
Ähnlich offen und luftig präsentiert sich auch der insgesamt 3 170 m² große Innenraum der Halle mit seinem vorhandenen Betonboden sowie den neu eingefügten Box-in-Box-Einbauten aus recyceltem und unbehandeltem Holz. Im Bestand des eingeschossigen Verwaltungsriegels an der Südseite wurden ein Bürotrakt, ein separater Mitarbeitereingang sowie eine Holz- und eine Metallwerkstatt integriert, das darauf aufgestockte neue Geschoss beherbergt ein Künstleratelier, Toiletten sowie mehrere Workshop-Räume, darunter ein Musikstudio für DJ-Aufnahmen, ein Animationsstudio und eine bestens ausgestattete FabLab-Werkstatt. Die neu hinzugewonnenen Flächen in Richtung Norden haben die Planer demgegenüber genutzt, um einen fließend nach außen geöffneten, dabei teilweise überdachten und rund um die Uhr zugänglichen Bereich für Skateboard-Aktivitäten zu schaffen.
Durch die hinzugewonnene Fläche in den Randbereichen war die der Halle selbst weitgehend freigeblieben, sodass die Planer hier große zusammenhängende Plätze für Street-Basketball im östlichen Bereich sowie abwechslungsreich gestaltete Hindernisse für Parkour- und Trial-Akteure im westlichen Teil unterbringen konnten. Komplettiert wird der Raumeindruck durch neu eingefügte Tribünenelemente aus Holz sowie einen mittig in die Halle eingestellten zweigeschossigen Box-in-Box-Einbau, der neben einem großen Tanzsaal in der oberen Ebene auch einen lässigen Aufenthaltsbereich bereithält. Die Möbel hierfür wurden teilweise durch die Nutzer selbst angefertigt. Zur Temperierung des Gebäudes auf 16 (Halle) bzw. 21°C (Büros und Studios) im Winter wurde eine konventionelle Heizungsanlage eingebaut.
Eingesparte Mittel
Im Zusammenspiel der verschiedenen Elemente und unter bestmöglicher Weiternutzung des Bestands sowie der vor Ort gewonnenen und teilweise recycelten Materialien haben die Planer einen überaus robusten, dabei flexibel nutzbaren Raum geschaffen, an dem sich die Jugendlichen zwanglos treffen können und unterschiedliche Talente erfahren und ausleben können. Interessant dabei: »Trotz der hohen Funktionalität und der außergewöhnlich großen Nachfrage liegen die Kosten mit rund 2 Mio. Euro lediglich bei einem Drittel von herkömmlich errichteten Sporthallen«, wie Ulrik Mathiasson anmerkt.
Um das Projekt noch enger an die Stadt anzubinden, planen die Verantwortlichen gegenwärtig einen neuen Fußgänger- und Radweg in Richtung Zentrum und Bahnhof. Mittelfristig ist außerdem vorgesehen, auch die Nachbargebäude sukzessive einer neuen Nutzung zuzuführen und so einen jungen, extrovertierten neuen Stadtteil zu entwickeln. Eine schöne Perspektive, die sich so oder ähnlich auch in zahlreichen anderen Kommunen umsetzen ließe: Leerstehende Industriehallen, die sehnlichst auf eine neue Nutzung warten und deren Erhalt eine Menge Grauer Energie einsparen würde, gibt es schließlich nicht nur in Dänemark. Ähnlich sah das übrigens auch die Jury des renommierten Mies van der Rohe Awards, die das Gebäude 2019 nominierte. Für Mathiasson ist das »ein schöner Erfolg, der uns dazu motiviert, unsere Ideen weiter zu verfolgen!«db, Mo., 2019.09.16
16. September 2019 Robert Uhde