Editorial

Was bleibt vom Bauhaus? Rückblicke gibt es derzeit reichlich – 2019 wäre die legendäre Bildungseinrichtung 100 Jahre alt geworden.

Uns in­ter­essiert vor allem ihre gegenwärtige Bedeutung. Die Idee einer Pädagogik, die auf induktives Lernen und die Einheit von Forschung, Lehre und Praxis setzt (ab S. 22), spielt an unseren Hochschulen trotz Bologna-Reform und ETCS-Credits noch immer eine Rolle. Sie bildet ein kleines, aber bedeutendes Gegengewicht zu den vorherrschenden Standards der Lehre, das es zu pflegen gilt.

Aber auch die drei ehemaligen Standorte selbst bieten Gelegenheit zum Beleben der Geschichte: Sie haben sich zum Jubiläum mit je einem neuen Museum beschenkt (ab S. 27). In Weimar hat Heike Hanada eine Landmarke geschaffen, die mit dem wiedereröffneten Neuen Museum seit April 2019 die «Topografie der Moderne» repräsen­tieren soll – zwischen ehemaligem Gauforum und Park eine Herausforderung. In Dessau haben addenda architects das Vermächtnis des Bauhauses als schwarzen Kubus in einen lang gestreckten Glaskörper gehängt. Der Freiraum im Erdgeschoss soll ab September 2019 als offene Bühne für die Stadt fungieren. Beide Entwürfe versuchen, nicht in einen formalen «Bauhaus-Stil» und damit in eine Imitation abzugleiten, sondern der visionären Idee durch eine Neuinterpretation Ausdruck zu verleihen. Auch wenn dies formal nicht immer geglückt ist, sind wir gespannt, wie die Museen angenommen werden. Beim dritten Standort, der Sanierung und Erweiterung des Bauhaus-Archivs / Museum für Gestaltung in Berlin durch Staab Architekten, lässt die Eröffnung noch bis 2022 auf sich warten. Immerhin hat der Spatenstich im Juni 2019 den Baubeginn eingeläutet.

Franziska Quandt, Hella Schindel

Inhalt

RUBRIKEN

03 EDITORIAL

07 WETTBEWERB
Ausschreibungen | Neues Foyer zu Berns Museen

11 PLANUNGS- UND BAUPROZESSE
Auf Erfolgskurs | Solar­energie und Baukultur

14 BUCH
Bauhausideen in Texas

14 BAUKULTUR
Der SIA hat einen neuen Geschäftsführer

15 ESPAZIUM
Aus unserem Verlag

16 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche

17 WEITERBILDUNG
Entwässerung und digitales Planen

18 SIA
Weiterhin keine an die Baukosten angelehnte Honorierung

20 AGENDA

THEMA
22 100 JAHRE BAUHAUS I: GRENZÜBERSCHREITUNG

22 DAS BAUHAUS WEITERWEBEN
Ákos Moravánszky
Das grenz­überschreitende Ausprobieren als wichtige Komponente des Studiums – ein zentraler Gedanke des Bauhauses – findet inzwischen wieder Beachtung.

27 DIE KONSERVIERUNG DER MODERNE
Frank P. Jäger
Drei neue Museen widmen sich der Geschichte und den Sammlungen des Bauhauses. Eine Suche nach dem aktiven Umgang mit dem berühmten Erbe.

34 STELLENMARKT

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Das Bauhaus weiterweben

Die Lehre am Bauhaus bezog ihre Energie aus dem erklärten Willen zum Experiment, zum individuellen Handeln. Eine Methode, die heute zwischen digitalen und theoretischen Aspekten der Ausbildung wieder einen prominenten Platz einnehmen muss.

Vor 100 Jahren begründete Walter Gropius mit dem Bauhaus die wichtigste Schule für moderne Gestaltung. In mancher Hinsicht dient sie bis heute als Vorbild. Es sind allerdings weder die neuen Formen noch das Dogma des Funktionalismus, von denen immer noch Impulse ausgehen, sondern die Lehrmethoden: die Pädagogik des Bauhauses.

Man tut sich schwer mit diesem so kostbaren wie streitbaren kulturellen Erbe – das ist wohl die einzige Konstante in der wechselvollen Geschichte der Adaptionen. Im Gründungsjahr 1919 ging es noch vor allem um die Fortsetzung des «alten» Werkbundstreits zwischen den Befürwortern einer sozial wirksamen Serienproduktion und jenen, die nach einem neuen Stil suchten. Der Schweizer Architekturkritiker Peter Meyer warf 1927 dem Bauhaus, das sich für Flachdach und Metallglanz entschied, «klotzige Barbarei» vor.[1] Heute streitet man darüber, ob die «unpolitische Gesinnung des Bauhauses» ein berechtigter Grund für die Absage des Konzerts einer linken Punkrockband im ikonischen Dessauer Gebäude war. Die Sprecherin der Stiftung Bauhaus Dessau wurde jedenfalls entlassen.

Die Kritik am Bauhaus zur NS-Zeit, die 1933 zur Schliessung der Schule am dritten Standort in Berlin führte, ist weniger erstaunlich als die Attacken der Nachkriegszeit. Daran waren sowohl die aus Amerika nach Deutschland zurückgekehrten Ästheten der Frankfurter Schule wie Theodor W. Adorno beteiligt, die vom «barbarischen Zugriff» des Funktionalismus sprachen,[2] wie auch Architekten einer gemässigten Moderne. Rudolf Schwarz warf dem Bauhaus vor allem seine «unerträgliche Phraseologie» vor, jene dogmatische Haltung, die die Schule «immer tiefer in den Sumpf» steuerte.[3] Seine Polemik löste in der Bauhaus-Debatte von 1953 wütende Reaktionen aus. Die Ablehnung oder Annahme des Bauhaus-Gedankens war während des Kalten Kriegs in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland eine Frage der politischen Zuordnung.

Das Leben mit dem Bauhaus ist nicht leicht

Fast 30 Jahre später hatte der amerikanische Essayist Tom Wolfe leichtes Spiel, als er seinen Bestseller «From Bauhaus to Our House» schrieb: Die meisten kritischen Argumente wurden in den deutschen Diskussionen bereits verschossen. Wolfe hat sich aber vor allem darüber aufgeregt, dass eine Architektur, die in Deutschland als Antwort auf die Probleme der Zwischenkriegszeit entwickelt wurde, in den Vereinigten Staaten «nun hoch und breit aufgetürmt, in Form von Kunstgalerie-Anbauten für altehrwürdige Ivy-League-Universitäten, Museen für Kunstmäzene, Eigentumswohnungen für die Reichen, Firmensitzen, Rathäusern, Landhäusern» verwendet wird: «Arbeiterwohnungsbau für jeden Zweck, ausser für Arbeiter zum Wohnen».[4] Im Unterschied zum Originaltitel stellt die deutsche Version («Mit dem Bauhaus leben») resigniert fest, dass wir nun mit dem Bauhaus leben müssen, ob es uns gefällt oder nicht. Es ist eben nicht leicht, das Leben mit dem Bauhaus.

Wäre das Bauhaus zu seiner Blütezeit mit heutigen Kriterien evaluiert worden, hätte die sächsische Regierung die Institution schliessen müssen. In unserer Zeit der verwalteten Hochschulreputation findet die neuhumanistische Idee des Bauhauses – die technische und künstlerische Allgemeinbildung, die am Webstuhl oder in der Metallwerkstatt beginnt – keinen Platz in höheren Bildungsanstalten. Bildung, ursprünglich mit dem Programm der körperlichen und intellektuellen Selbsterziehung des Menschen, war im frühen Bauhaus noch mit Atemübungen und Mazdaznan-Ritualen verbunden und diente der Entfaltung der Begabungen.

Die Idee der Begabung ist jedoch suspekt geworden, weil sie der Gleichheit der Menschen widerspricht. Wir sprechen lieber über Skills, die alle erwerben können. Die moralisch begründete Ablehnung eines Studienkonzepts, das die Förderung und Entfaltung der Begabungen als seine wichtigste Aufgabe betrachtet, und die Kontrolle der Einhaltung von ethischen Grundsätzen im geregelten Studienbetrieb machten die Universität zu einer moralischen Instanz. Das war das Bauhaus nie. Die Schule hat ihren privilegierten Meistern fast unbeschränkte Freiheit und Autonomie gegeben, damit sie die Materialien und Techniken der neuen Realität durch ihr künstlerisches Sensorium und ihre Fantasie interpretieren und die Schüler so zum konstruktiven Denken und zum Erfinden erziehen.

Heute, angesichts der explosionshaften Erweiterung der zur Verfügung stehenden Werkstoffpalette und der technischen Möglichkeiten, erscheint es wichtig, das Potenzial dieser Pädagogik mit der Lehre in unseren Universitäten zu vergleichen.

Mass statt Lust und Neugier

Die europäischen Bildungsminister haben 1999 in Bologna die Übernahme eines nach dem dreistufigen angloamerikanischen System gestalteten Studienmodells beschlossen, um einen einheitlichen Bildungsraum einzurichten, in dem Leistungen verglichen werden und Studierende sich frei bewegen können. Die Umstellung des Architekturunterrichts auf das Bologna-System war keine bildungspolitische Notwendigkeit, aber ohne diese Umstellung wären Rankings kaum möglich gewesen. Messbarkeit hat aber Priorität: Die Studienleistungen werden mit dem European Credit Transfer System (ECTS) bewertet. Die Grundlage ist der Arbeitsaufwand, also die geschätzte Zeit, die ein Student braucht, um ein Lernziel zu erreichen.

Das Sammeln der Kreditpunkte macht es den Studierenden kaum mehr möglich, sich auf Gebiete und Themen zu konzentrieren, die sie interessieren. Die rigide Trennung von Forschung und Lehre im Bologna-Modell und die Verbreitung des Doktoratsstudiums als eigentliche Forschung, die zu einer Unterrichtstätigkeit unbedingt erforderlich ist, führen immer weiter weg von jener Einheit von Forschung, Lehre und Praxis, die die Grundlage der Bauhaus-Idee war. So geht auch jene Lust an der Forschung verloren, die von Neugier getrieben ist und keine notwendige Bedingung für den Beruf darstellt. Die Lust, sich mit Fragen zu beschäftigen, ohne sich Gedanken um ihre Verwendung in einem Curriculum machen zu müssen, gehörte zur Freiheit im Bauhaus – die dann vom Staat als Gefahr erkannt wurde, sonst hätte man die Schule nicht geschlossen. Bis 1927, als Hannes Meyer von Gropius zum Leiter der Architekturabteilung ernannt wurde, gab es im Bauhaus keinen Architekturunterricht – unter «Bauen» verstand man eine umfassende gestalterische und organisatorische Tätigkeit. Die Bauhaus-Diplome haben ihre Besitzer nicht zu gewissen konkreten Berufen befähigt, sondern die von ihnen besuchten Kurse und ihre Fähigkeiten aufgelistet.

Lernen in der Bauhaus-Werkstatt bedeutete etwas anderes als Lernen in einem Vortragsraum, wo auf der Powerpoint-Folie die zentralen Aussagen der Vorlesung hervorgehoben sind. Josef Albers, der 1923 mit László Moholy-Nagy die Leitung des Vorkurses übernahm, wollte keine mechanische Anwendung von erlerntem Wissen. Er bezeichnete seine Lehre als ein «induktives Lernverfahren», das mit dem Erlernen von grundsätzlichen Fertigkeiten beginnt, die dann zur Herstellung von Gegenständen führen. Ihre Kombinierbarkeit, ihr konstruktives Potenzial und ihre Rolle im Ganzen müssen erst dann verstandesmässig reflektiert werden. Seine Frau Anni Albers, die 1931 die Leitung der Bauhaus-Weberei übernahm, wurde nach der Auswanderung des Ehepaars nach Amerika als die wichtigste moderne Textilkünstlerin anerkannt und veröffentlichte auch Texte zur Frage des Webens als eines Konstruierens. Auf diesen Grundlagen, die auf die Schriften von Gottfried Semper zurückgehen, wurde nicht nur in Weimar und Dessau weitergebaut. Sie galten auch in North Carolina – Standort des Black Mountain College (wo neben dem Ehepaar Albers auch John Cage, Richard Buckminster Fuller, Merce Cunningham, Lyonel Feininger und Cy Twombly unterrichteten) –, in Chicago, in Ulm und in vielen anderen experimentellen Schulen.

Eine Gewebe von Studios

An Architekturhochschulen ist diese Arbeit heute vor allem in den Entwurfsstudios möglich. Dies bedeutet keinesfalls einen nostalgischen Handwerkskult. Das Experimentieren schliesst sowohl digitale als auch analoge Methoden ein. Wie im Bauhaus die Industrialisierung und die neuen technischen Prozesse, Standardisierung und Massenfertigung zu neuen Formen der Objektgestaltung und Architektur führten, beeinflussen digitale Entwurfs- und Fabrikationsmethoden die heutige Architektur. Die grössere Flexibilität und Komplexität der Welt der Objekte zeigt sich auch in den Entwurfsstudios, wo die Digitalisierung nicht im Vordergrund steht. Der Architekturgrundkurs der ETH, der auf Andrea Deplazes’ Handbuch «Architektur konstruieren» basiert, und die konstruktiven Experimente in den Studios von Fabio Gramazio und Matthias Kohler, Philippe Block oder Annette Spiro öffnen ein breites Spektrum von Möglichkeiten, das von ihren jüngeren Teamkollegen weitergeführt wird.

So haben Guillaume Othenin-Girard und Amy Perkins, wissenschaftliche Mitarbeitende im Studio Tom Emerson an der ETH Zürich, im März 2019 eine Seminarwoche mit dem Titel «Weaving Scripting Writing» organisiert. Die Teilnehmenden haben etwas über 3D digital knitting gelernt, Textilsammlungen besucht und schon am ersten Tag am Webrahmen gearbeitet. Die Übertragbarkeit der Experimente auf die Architektur zeigt der Schutzbau über einer archäologischen Grabungsstätte in Pachacámac bei Lima in Peru, ein Projekt initiiert am Lehrstuhl von Studio Tom Emerson in Zusammenarbeit mit der Architekturschule PUCP Lima unter der Leitung von Guillaume Othenin-Girard und Vincent Juillerat (PUCP). Dieser «Raum für Archäologen und Kinder» wurde aus Polyesterbahnen buchstäblich zwischen den Holzbalken der Tragkonstruktion gewebt.

Man findet unschwer weitere Beispiele für ein heutiges Bauhaus. Es befindet sich überall dort, wo innerhalb des regulierten Bereichs der Evaluationen und Leistungskontrollen Freiräume für Experimente entstehen können: Räume für Bildung, die man mit den Kriterien der vermarktbaren Kompetenz nicht evaluieren kann.


Anmerkungen:
[01] Peter Meyer, «Moderne Architektur und Tradition», Zürich: H. Girsberger 1927, S.42.
[02] Theodor W. Adorno, «Funktionalismus heute», in ders., Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, S.104–127, hier S.110.
[03] Rudolf Schwarz, «Bilde Künstler, rede nicht. Eine (weitere) Betrachtung zum Thema Bauen und Schreiben», in Baukunst und Werkform, Jg. VI (1953), Heft 1, S.9 ff.
[04] Tom Wolfe, «Mit dem Bauhaus leben. Die Diktatur des Rechtecks», Übers. Harry Rowohlt. Königstein/Ts.: Athenäum 1982, S.60 f.

TEC21, Fr., 2019.07.12

12. Juli 2019 Ákos Moravánszky

Die Konservierung der Moderne

Zum Jubiläum des Bauhauses buhlen in Deutschland drei Städte mit neuen Museen um Kulturtouristen. Während in Berlin noch bis 2022 gebaut wird, eröffnet das Dessauer Haus im September, jenes in Weimar steht seit April den Besuchern offen.

Als Anfang April in Weimar der Neubau des Bauhaus-Museums festlich der ­Öffentlichkeit übergeben wurde, fehlte es in den Feuilletons nicht an bissigen Kommentaren; das Gebäude wurde als «hermetischer Monolith» tituliert, als «düsterer Klotz» und «Betonkasten», der das Bauhaus-­Erbe für immer einsarge, anstatt es mit der Gegenwart zu verbinden. Zweierlei nahm man Heike Hanada, der Architektin des Museums, besonders übel: dass ihr Haus so wenig der äusserlichen, quasi assoziativen Erwartung an ein Museum des Bauhauses entspricht, also nicht luftig, leicht, durchlässig und gläsern ist; zweitens, dass sie keine «Gegenarchitektur» zu den angrenzenden NS-Bauten entworfen hat, sondern mit dieser Nachbarschaft ganz selbstbewusst und gelassen umgeht – und es sogar wagt, deren neoklassizistische Motive in abgewandelter Form zu zitieren. Heike Hanadas kontrovers aufgenommener Bau ist das erste von drei neuen Bauhaus-Museen, die aus Anlass des 100-Jahr-Gründungsjubiläums der legendären Design- und Architekturschule im nördlichen Nachbarland entstehen. Der Erweiterungsbau des seit 1979 bestehenden Bauhaus-Archivs in Berlin öffnet erst im Jahr 2022 für das Publikum.

Weimar: 536 Entwürfe konkurrierten

Die 54-jährige Architektin, die an der TU Dortmund lehrt und ein Büro in Berlin hat, entwickelte ihr Wettbewerbskonzept in Kooperation mit dem Berliner Architekten Benedict Tonon. Die beiden beteiligten sich an dem mehrstufigen internationalen Wettbewerb als eines von 536 Teams. Zunächst hatte die Jury aus einer engeren Wahl zwei zweite Preise und zwei dritte Preise benannt. Ein erster Preis wurde nicht vergeben. Nach der Überarbeitung (VOF-Verfahren) fällte die Jury ihre Entscheidung zugunsten des Konzepts von Hanada und Tonon. Nach Wettbewerb und VOF-Verfahren führte die Architektin das Projekt im Einvernehmen mit Tonon allein weiter.

Der von der Stadt auserkorene Museumsstandort liegt zwischen einem kleinen Stadtpark, der Weimarhalle und dem sogenannten Gauforum. Dieses um 1940 von den Nationalsozialisten fertiggestellte Ensemble besteht aus rechtwinklig um einen weiten Platz angeordneten neoklassizistischen Bauten. Das westliche Gebäude des Verwaltungskomplexes grenzt direkt ans Museumsareal. Die Architektin verzichtete darauf, ihr Museum nah an die Strasse zu rücken. Stattdessen wählte sie einen Standort in zweiter Reihe, schon fast hinter dem Westgebäude des Gauforums. Dadurch bildet sich zwischen Museum, Park und Nachbarbauten ein einladender Vorplatz.

Gefragt war nun eine Gestalt, mit der sich das Gebäude trotz seinen geringen Abmessungen und der Distanz zum Strassenraum wirkungsvoll behauptet. Die Architektin wählte die Form eines strengen, viergeschossigen Kubus.

Wagnis Neuinterpretation

In die Baugeschichte blickend, fühlt man sich an Schreine, antike Grabmale und Mausoleen erinnert. Sie habe im Entwurf nach «einer anderen Art von Monumentalität» gesucht, sagt Hanada im Gespräch. Einer Monumentalität ohne Machtgestus, die sich erkennbar abhebt vom trutzigen Neoklassizismus der NS-Repräsenta­tionsbauten nebenan. Doch wer von Westen auf das Haus blickt, erkennt, dass es formal durchaus im Dialog steht mit der Fassade des Gauforums.

Abgesehen von der Attika und der klar ausgebildeten Sockelzone finden etwa die breiten Fensterfassungen aus Muschelkalk am NS-Verwaltungsbau eine Entsprechung in markanten Fensterlaibungen, die am Museum jedoch deutlich weiter aus der Fassade heraustreten.

Diese Gelassenheit Hanadas im Umgang mit den benachbarten NS-Bauten mochte nicht jeder goutieren, manche irritierte sie. Lange Zeit war es in Deutschland gewissermassen Common Sense für das Bauen im räumlichen Kontext von NS-Bauten, dass man deren Wirkung und Habitus irgendwie «brechen» müsse, man jedenfalls, um grösstmögliche Distanz zu betonen, entwerferisch dagegenhalten muss, am besten mit viel Glas und Transparenz. Warum aber nicht, so wie es Heike Hanada vormacht, das eigene Verständnis einer auf ihre Weise monumentalen und feierlichen Architektur selbstbewusst danebenstellen? Der Unterschied im Duktus entsteht zum einen durch ein zartes Fugennetz der Sichtbetonelemente, die den Bau rhythmisieren, und zum anderen durch die kompakte Kubatur, die in die Höhe strebt, anstatt sich in die Horizontale zu erstrecken. Diese Weise, die an sich harte, geschlossene Hülle durchlässig und subtil zu machen, lässt an Elemente des traditionellen Bauens in Japan denken, wo Heike Hanada sechs Jahre gelebt und gearbeitet hat.

Nachts leuchten die Fugen

Nach Einbruch der Dunkelheit zeichnen sich die Lichtbänder, die in 24 der Horizontalfugen integriert wurden, wie die Linien eines Notenblatts auf dem Baukörper ab und verleihen ihm eine Filigranität, die man bei Tag nicht ahnt. Als Element aus der architektonischen Klassik erfährt der Fries in Gestalt des Endlos-Namenszugs «bauhaus museum» eine zeitgenössische Adaption – inspiriert von gängigen elektronischen LED-Laufschriften. Hier jedoch als Buchstaben, die in die Betonoberfläche eingeprägt sind.

Was die formalen Erwartungen an ein Bauhaus-Museum betrifft, macht sich am Projekt die Frage fest, ob ein solches Museum seinem Thema schon äus­serlich Ausdruck geben soll. Doch erscheint es als Stärke von Hanadas Gebäude, dass es eine ganz eigene Form besitzt und auf jedwede formale Anleihe bei der neuen Sachlichkeit verzichtet. Ein anderer Pluspunkt ist die überzeugend gelöste städtebauliche Einbindung. Im Süden steht das Haus so an der Hangkante oberhalb des Stadtparks, dass eine reizvolle Symbiose mit dem Grünraum entsteht: Der kleine Park wird quasi zum Museumsgarten aufgewertet, denn im Untergeschoss stellt das Museumscafé mit seiner Terrasse eine direkte Verbindung zur Parkebene her.

Die starke äussere Gestalt des Hauses hat jedoch ihren Preis, und zwar in seinem Innern. Aus manchem Blickwinkel wirkt der Innenraum merkwürdig kleinteilig. Was den Inhalt der Ausstellung (weitere Infos: espazium.ch/de/aktuelles/bauhaus-weimar-ausstellung) angeht, stellt sich die Frage, ob es denn zeitgemäss ist, die Geschichte einer vor 100 Jahren revolutionären Gestaltungsschule entlang sorgfältig in Szene gesetzter Designikonen in recht überraschungsfreien Themenstationen zu erzählen.

Am Ende des Rundgangs, wenn eigentlich niemand mehr damit rechnet, wartet das Haus noch mit einem architektonischen Trumpf auf: Die Abstiegstreppe ist als umgedrehte Himmelsleiter inszeniert, mit einem Luftraum, der an seinem unteren Ende so hoch ist wie das Haus. Nach der letzten Themenstation «Was bleibt vom Bauhaus?» führt diese Treppe passenderweise auf direktem Weg hinab in den Museumsshop.

Dessau: zwei erste Preise

Auch in Dessau, wo der Museumsneubau des in Barcelona beheimateten Büros addenda architects gerade fertig wird, hatte im September 2015 eine enorme Anzahl an Architekturbüros am Wettbewerb teilgenommen. Stolze 831 Teams aus 60 Ländern haben sich um den Bau beworben, der ab dem 8. September 2019 die mit 44 000 Objekten zweitgrösste Sammlung zum Bauhaus aufnehmen soll. Jedoch führte die atemberaubende Zahl eingereichter Ideen nicht zum perfekten Ergebnis, sondern steigerte vor allem die Fallhöhe zwischen dem gestalterisch Möglichen und dem gebauten Ergebnis. «Die Latte war hoch gesetzt. Wohl so hoch, dass man als Teilnehmer nur daran scheitern konnte», resümierte Marko Sauer 2015 in seinem Bericht (vgl. TEC21 44/2015, S. 9) das Wettbewerbsergebnis. Er behielt recht. Anstelle eines klaren Entscheids sprach die Jury zwei völlig konträren Beiträgen gleichberechtigt den ersten Preis zu. Im weiteren Verfahren setzte sich dann der konventionellere der beiden Entwürfe durch.

Ein gläserner Riegel, scheinbar transparent, leicht und zeitlos, ohne zu direkt an die Ästhetik des Bauhauses zu erinnern. Es macht ratlos, dass so viel Kreativität mobilisiert wird, um am Ende zu einem so harmlosen Glaskasten zu gelangen. Der Hang zu Entwurfskonzepten eines kleinsten gemeinsamen Nenners, zu denen alle Preisrichter/-innen am Ende irgendwie Ja sagen können, erscheint hier als fatale Schwäche. Wo bleiben die in harten Jurydebatten erkämpften Voten für einen wirklich unkonventionellen, kantigen Vorschlag?

Vision vom gläsernen Museum

Das Erste, was man bei der Annäherung an den Neubau von addenda architects erblickt, ist ein lang gestreckter, schwer definierbarer Quader, der entfernt an ein Rechenzentrum aus DDR-Zeiten oder auch an ein Autohaus erinnert. Nur ist er viel grösser. Die homogene Glashülle ist von filigranen Sprossen in ein Raster gegliedert und wirkt vor allem als Spiegel – die neogotische Backsteinfassade des Dessauer Hauptpostamts vis-à-vis zeigt sich darin ebenso wie die umliegenden Bauten der Nachkriegsarchitektur. Dieses Gebäude wirkt wie das Gegenkonzept zu Heike Hanadas Bauhaus-Museum in Weimar: Dort der turmartige, steinerne Solitär – hier die allseits verglaste, die Horizontale betonende Halle. Hier programmatische Transparenz, dort eine harte, aber akzentuierte Schale. Dem fertigen Bau in Dessau fehlt jedoch die Offenheit, die die Wettbewerbsbilder von 2015 noch transportierten.

Der 125 m lange und 25 m breite, zweigeschossige Baukörper bildet eine Zäsur, zugleich aber auch eine Membran zwischen der Kavalierstrasse, einer wichtigen Achse der Stadt, und dem Stadtpark: Während der Öffnungszeiten sollen Besucher und Anwohner ungehindert durch das Gebäude hindurch von der Strasse in den Park schlendern können.

Und im Innern des Hauses offenbart sich dann auch ein erstaunlicher Kontrast zu seiner äusseren ­Wirkung: eine weitläufige, luftige Halle mit bester Aussicht auf die Umgebung, in der künftig auf 600 m² Wechsel­ausstellungen und Veranstaltungen stattfinden sollen. In 5 m Höhe schwebt ein dunkler Körper, der von der Aussenfassade um 3.5 m nach innen gerückt ist. Die sogenannte «Black Box» erscheint im Innenraum omnipräsent. Für die inneren Wände wählten die Architekten rauen Sichtbeton, nicht geschliffen und nicht versiegelt. Gliedernd setzen sich an der Unterseite der Decke im Erdgeschoss die schwarz getünchten Unterzüge ab (weitere Infos zur Statik: espazium.ch/de/aktuelles/bauhaus-dessau-statik). Sie wirken wie eine Reminiszenz an die Deckenkonstruktion in Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in Berlin. Generell lässt die hier verfolgte Idee eines gläsernen Museums an den singulären Wurf des letzten Bauhaus-Direktors denken, was sicher kein Zufall ist.

Die offene Mitte

Auf den Visualisierungen, mit denen addenda architects den Wettbewerb gewannen, ist der Kontrast zwischen der offenen Halle und dem dunklen, über ihr schwe­benden Raumvolumen noch deutlich sichtbar. Im nahezu fertigen Haus ist diese Transparenz der unteren Halle jedoch nur im Innern erlebbar. Ein Grund dafür dürfte sein, dass man sich im Zuge der Detailplanung entschlossen hat, unter anderem aus Gründen des ­Sonnenschutzes anstelle eines hochtransparenten ­Glases ein im Punktraster bedrucktes zu verwenden und auf einen aussen liegenden Sonnenschutz zu verzichten. Stattdessen sollen Vorhänge 0.5 m hinter der Fassade, kombiniert mit einer leistungsfähigen Belüftung des Raums zwischen Vorhang und Fassaden­innenseite, zu einem Kamineffekt führen, der die erwärmte Luft schnell ableitet und so sicherstellt, dass die Temperaturen in der Halle auch im Hochsommer moderat bleiben.

Mit der spiegelnden Fassade ist zugleich die städtebauliche Wirkung des Hauses angesprochen. Gerade in diesem zentralen, am Ende des Zweiten Weltkriegs stark zerstörten Bereich der Stadt hätte es nach einem Gebäude verlangt, das echte materiell-physische Präsenz besitzt und nicht in erster Linie seine architektonisch teils banalen Nachbarbauten spiegelt. Klare Kanten hätten der Mitte von Dessau etwas von ihren Konturen zurückgeben können. Nun bleibt zu hoffen, dass das Gebäude aus seiner offenen Mitte in den ­Stadtraum auszustrahlen vermag, wie es die Architekten in ihrem Essay zum Gebäude in Aussicht stellen.

Berlin: Ausstellungsfläche verdreifacht

Auch beim geplanten Bauhaus-Museum in Berlin sind Aspekte des Städtebaus von zentraler Bedeutung. Schon deshalb, weil es sich nicht um einen Neubau, sondern um die Ergänzung eines vorhandenen Ensembles handelt. Wie in Dessau fiel auch in Berlin im Herbst 2015 die Entscheidung (vgl. TEC21 47/2015, S. 8), jedoch wird das sanierte und erweiterte Bauhaus-Archiv erst im Jahr 2022 fertiggestellt sein. Das Bauhaus-Jubiläumsjahr erlebt das Archiv in einem Ausweichquartier. Anders als in Dessau gab es hier mit der Arbeit von Staab Architekten einen klaren ersten Preis, gefolgt von kaum weniger attraktiven Konzepten auf den weiteren Rängen. (Insbesondere sei der zweitplatzierte Beitrag von Bruno Fioretti Marquez Architekten aus Berlin erwähnt, der den vorderen Grundstücksbereich frech, aber markant mit einem mehrgeschossigen Riegel besetzt und somit den Altbau von der stark befahrenen Strasse abschirmt. Ein im doppelten Sinn angenehm kantiges Konzept.)

Von einem Erweiterungsbau zu sprechen, ist hier fast ein Understatement, wird doch im Zuge des 56-Mio.-Euro-Projekts die Nutzfläche des Gebäudes mehr als verdoppelt, die Ausstellungsfläche sogar mehr als verdreifacht. Zudem ist das Berliner Projekt – stärker als jene in Dessau und vor allem Weimar – über den Verdacht erhaben, wesentlich von Stadtmarketing­erwägungen beflügelt zu sein. 1960 in Darmstadt gegründet, verfügt das Berliner Bauhaus-Archiv über das umfangreichste Konvolut an Objekten und Dokumenten; allein das Fotoarchiv umfasst 60 000 Aufnahmen, die Architektursammlung rund 14 000 Pläne oder Zeichnungen. In dieser Zeit war das Bauhaus im Osten noch als formalistisch-dekadent gebrandmarkt. Walter ­Gropius selbst hatte sich Anfang der 1970er-Jahre ­dafür eingesetzt, seinen Entwurf eines Archivbaus am heutigen Standort in Berlin zu verwirklichen.

Der Leuchtturm

Blickfang des Siegerentwurfs von Staab Architekten ist ein «fast zarter gläserner 5-geschossiger Turm», wie es im Jurybericht heisst – eine «leuchtende Laterne», die durch einen eingeschossigen Riegel zur Von-der-Heydt-Strasse ergänzt wird. Über eine neue, unter­irdisch liegende Ausstellungsfläche wird der Neubau mit dem Bestandsbau verbunden und in den Stadtraum inte­griert. An zentraler Stelle öffnet er sich zu einem Atrium, das die neue Mitte des Ensembles bildet.

Die charakteristische Brückenrampe «promenade architecturale» als Zugang zum Bestandsbau wird durch den Neubau respektvoll eingefasst und räumlich gestärkt. Der Altbau soll künftig ausschliesslich als Archiv dienen, der Neubau die Ausstellungen aufnehmen. Von dem 1964 für die Darmstädter Mathilden­höhe geplanten Gropius-Entwurf sagten viele, er sei trotz intensiver Überarbeitung nicht wirklich erfolgreich für den Berliner Standort adaptiert worden. Erhalten blieb ­neben der allgemeinen Grundrissdisposition die von Gropius geplante einprägsame Silhouette mit den Sheddächern. 1997 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Es ist heute eines der Wahrzeichen Berlins. Die Chance des Entwurfs von Staab Architekten besteht nun darin, dass er das Bauhaus-Archiv, das bislang etwas verloren wie in der zweiten Reihe dastand, wirkungsvoll in den umgebenden Stadtraum einbettet, der sich ja seit 1979 vom aufgelockerten Randgebiet einer isolierten Halbstadt in das Zentrum einer Metropole verwandelt hat. Volker Staabs zeichenhaftem ­Entwurf bleibt zu wünschen, dass er die angestrebte Ästhetik von Transparenz und Leichtigkeit besser ­einzulösen vermag, als dies in Dessau gelang. Ein ­spätes Werk von Gropius städtebaulich zu vervollkommnen, scheint die hoffnungsvolle Essenz dieses Projekts zu sein.

TEC21, Fr., 2019.07.12

12. Juli 2019 Frank Peter Jäger

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